Prolog: Nachdem sich die junge Prudentia also dazu entschlossen hatte, wieder einmal spazieren zu gehen - auch diesmal alleine und ohne häusliche Anstandsbegleitung - führten ihre Beine sie in die Straßen Mogontiacums. Sie hatte die Stadt lieb gewonnen, in der sie sich seit nunmehr gewiss einem Jahr befand...
Prudentia trägt lediglich eine lange, blaue Tunika mit einer Kordel um den Bauch. Sie wusste dass es nicht sehr schicklich war, die Stola wegzulassen, aber ihre alten Freunde hätten sie verspottet, wenn sie unnötig viele Stoffbahnen trug, die sie in ihrem Gehen auch noch stark hinderten. Einst war ihr Vater Händler bei den Germanen gewesen, der dort römisches Gut vertrieben hatte und, wenn auch nicht sehr häufig, diesen Handel auch anders herum betrieben hatte. Sie hatte die römische Sprache, wie auch die germanische gelernt. Und doch war ihr Vater so pflichtbewusst gewesen, sie wenigstens nach bester Mühe auch im römischen Glauben und Bewusstsein zu erziehen. Dennoch war sie ein kleiner Wildfang geworden, der sich so leicht durch keine Worte bändigen lässt. Wie auch ihre Freunde einst. Und doch, würde sie erst in Rom angekommen sein, würde sie sich wieder in dichte Stoffbahnen zwängen müssen, die ihr bei der Hitze dort noch den letzten Verstand und jegliche Beweglichkeit raubten.
Prudentia war nie sehr stark gewesen. Sie konnte immer schon sehr schnell rennen. Schneller als viele ihrer Freunde. Aber sie hatte einen sehr filigranen Körperbau, den sie nicht allzusehr belasten durfte und der auch schnell einmal erkrankte. Dabei aß sie immer mit Appetit, wenngleich die Mengen im Nachhinein wieder sehr schmal ausfielen. Viele sahen das mit Wohlwollen und werteten es als zufriedene Zurückhaltung. Wer ihre Essgewohnheiten allerdings über einen längeren Zeitraum beobachten konnte, war in der Regel schon zur Sorge angehalten. So ihr Vater und späterhin auch Commodus. Es hatte ihr leidgetan, aber zu ändern hatte sie es nicht vermocht. Und so bekam ihrem sehr zierlichen Körper die große Hitze im Süden des Imperiums nur schwerlich. Sie war dort beinahe wie gelähmt. Selbst hier raubte ihr der Sommer schon oft das Durchhaltevermögen.
Ihre Hände hatte sie hinter dem Rücken verschränkt, den Blick fröhlich nach vorn gerichtet. Sie musterte genau ihre Umgebung. Es machte ihr Spaß, mit anderen Menschen zu sprechen. Aber noch lieber beobachtete sie aus einer hinteren Position heraus und lernte dabei auch durchaus Mal ein paar Feinheiten der Rhetorik. Leise begann sie wieder eine Melodie vor sich herzusummen.