Schattengespräche

  • Nun war Ioshua ben David schon einige Tage wieder in Alexandria, so daß er sich wieder den Geschäften widmen konnte. Die Seereise hatte er längst überstanden und sein Anwesen in Delta stand noch immer, fest und solide.


    Dieser Tag im Monat Quinctilis wie ihn die Römer nannten, war ein besonders schwüler Tag. Die Wolken bedeckten den Himmel als Ioshua zu ihm hinauf sah und er verfluchte die Götter. Er schwitzte unter seiner orientalischen Pracht, doch er konnte dem obersten Repräsentanten Alexandrias, einem Mann, von dem er bedauerlicherweise noch nicht viel gehört hatte, was erstaunlich war, nicht in einer einfachen Dorftunika gegenübertreten. Es verpflichtete ihn der Respekt und die Achtung, jenen obersten Stadtbeamten standesgemäß gegenüberzutreten, wenn er ihm begegnen würde.
    Ioshua kannte diese Sorte von extrovertierten Wichtigtuern wie er meinte. Provinzfürsten, die sich benahmen wie ein Monarch und sich ob ihrer Macht einiges einbildeten und dies in aller Regel auch nicht durch eine geringe Portion Arroganz verbargen. Doch zuweilen mußte man sich mit eben jenen Herrschaften gut stellen, wenn man erlangte, was man begehrte.


    So hatte sich der reiche Ioshua ben David mit seiner Sänfte von seinem Haus in Delta auf dem Weg in das Herz der Stadt gemacht, der Agora, wo Krämer ihre Waren feil boten, Lehrer auf offener Straße oder in den Kolonnaden, die den Platz umgaben, ihre Schüler unterrichteten und wortbegeisterte Redner aufschwungen, sich in der Kunst der Rhetorik zu messen. In diesen Pulk steuerte die wuchtige Sänfte mit dem schweren Tylusier, die Vorhänge der Sänfte waren hochgeschoben. Ioshua bettete sich auf einem weichen Kissen.
    Zielsicher steuerte die Sänfte die seitliche Stoa an, dort, wo sich die Arbeitsräume der Archonten, der städtischen Beamten, befanden, und der Andrang an wartenden Besuchern, Passanten und Bittstellern zunehmend größer wurde.
    An einer freien Stelle im Schatten einer marmornen Säule, ionische Bauweise, stellten die Träger der Sänfte ab. Mit einem Handnicken gab Ioshua seinem Diener zu verstehen, den Exegetes von seinem Erscheinen zu informieren und um eine Unterredung zu bitten. Jener Diener mußte sich freilich erst mit den dutzend grammatoi herumschlagen, die mit einem Griffel und einer Wachstafel um den Arm bewaffnet, die zahlreichen Bitten, Gesuche und Wünsche der Besucher entgegennahmen und sie desweiteren an die jeweils zuständigen Archonten verwiesen.
    Der Diener des Ioshua hatte sich nun mühsam zu einem dieser Schreiber durchgekämpft und unterrichtete ihm von seinem Anliegen, in der Hoffnung sodann weitergeholfen zu werden.

  • Nach einiger Zeit kam der Exegetes aus einer der Türen hinter der Stoa. Seine Epheben sowie ein Diener, der Bettler, Kinder, Tiere und andere Dinge verscheuchte, die dem Exegetes im Wege standen, und ein weiterer Diener, der einen großen, mit gelber Seide bespannten Schirm über den Kopf des Pyrtanen hielt, begleiteten ihn. Der Schirm war im Schatten der Säulenhalle eigentlich nutzlos, und der Diener des Ioshuas hatte Nikolaos' Schreiber davon unterrichtet, dass die Sänfte gleich neben der Stoa zu finden sei. Dennoch wollte der junge Pyrtane auf diesen Ausdruck seines Reichtums und seiner Würde nicht verzichten.


    Nikolaos war gespannt auf den Mann, der sich anmaßte, ihn hinaus zu bitten anstatt sich zu ihm hinein zu begeben, wie es sich eigentlich geschickt hätte. Der Diener hatte ihm den Namen genannt, Ioshua Sohn des Davids, ein Judäer also. Nikolaos war dieser Name von irgendwoher im Gedächtnis geblieben. Er hatte eine Zeit lang in seinem Sessel nachgedacht, bevor er den Weg nach draußen angetreten hatte. Er hatte sich absichtlich etwas Zeit gelassen, denn das Benehmen des Mannes erforderte in seinen Augen genau dies. Schließlich war Nikolaos eine Sitzung der Pyrtanen ins Gedächtnis zurückgekommen, bei der es um die Frage ging, ob einem gewissen Judäer mit Namen Ioshua ben David das Bürgerrecht zuerkannt werden sollte. Damals waren sie zu keinem Ergebnis gekommen, und eine weitere Nachfrage seitens des Mannes hatte es nicht gegeben. Nun schien Ioshua ben David erneut dieses Anliegen vorbringen zu wollen.


    Nikolaos und seine Begleiter erreichten die Sänfte. Der Exegetes blieb unter der Stoa stehen und sah zur Sänfte hinab. Er strich sich mit einer Hand das Obergewand seiner prachtvollen Amtstracht glatt, bevor er den Mann grüßte.
    "Chaire, Iosua, Sohn des Davids.", sagte er bedächtig und höflich. Nikolaos war, wie viele, deren hauptsächliche Sprache eine dem Attischen Ähnliche war, der Aussprache von Zischlauten nicht mächtig.
    Nun erkannte er, was den Mann daran gehindert haben konnte, ihn selbst aufzusuchen: Er war von einer Leibesfülle, die Nikolaos an einen seiner Pächter, dem Wirt eines in der Stadt sehr bekannten Gasthauses, erinnerte. Ein Anflug von Belustigung über diese Ähnlichkeit milderte seinen Ärger.


    "Darf ich fragen, was dich zu mir führt? Oder wollen wir einen ruhigeren Ort aufsuchen, an dem wir ungestört sprechen können?", fragte er, ebenso höflich wie er den fetten Juden begrüßt hatte.

  • Der Diener hatte es geschafft. Nachdem er sich an den zahlreichen Besuchern vorbeigedrängt hatte und dabei einige blaue Flecken wegstecken mußte, gelang es ihm den zuständigen grammateos zu unterrichten und dieser informierte sofort seinen Herrn, den amtierenden Exegetes. Letztlich hatte wohl auch die ein oder andere Drachme seinem Anliegen Nachdruck verliehen. pecunia portas mundi appertit wie der Lateiner zu sagen pflegt.
    Als der Exegetes unübersehbar in seiner Pracht auf die Sänfte zusteuerte, das Gedränge in der Säulenhalle hatte keinen Stück nachgelassen, war Ioshua dann auch nicht minder überrascht, daß sich der städtische Beamte selbst zu ihm herausbewegte. Das hatte gar nicht in seiner Absicht gelegen. Um den Exegetes zu begrüßen, erhob er sich darauf aus seiner Sänfte und stand dem Alexandriner nun gegenüber. Jener wirkte im Gegensatz zu der wuchtigen Statur des Tylusiers eher schmächtig und da er ihn auch an Körpergröße überragte, bot dieses ungleiche Duo ein belustigendes Bild.


    "Shalom, erhabener Exegetes !" erwiderte Ioshua die Begrüßung. "Wenn wir einen Ort hätten, an dem es etwas gemäßigter zuginge, so würde ich diesen mit Freuden bevorzugen."

  • Nun stand der Judäer Nikolaos gegenüber. Nikolaos fühlte sich von dessen bloßen Ausmaßen ein wenig bedrängt. Er hoffte, niemals eine solche Statur zu erlangen. Er lief im übrigen gar keine Gefahr, dies zu tun, schließlich zerrte ihn sein regelmäßiger Opiumkonsum aus. Dass Iosua ihn mit einer Grußformel in der Sprache der Judäer begrüßte, stieß bei Nikolaso etwas sauer auf, jedoch vergaß er dieses kleine Ärgernis schnell. Er war gespannt, was der Dicke ihm zu sagen hatte. Offenbar war Iosua sehr reich, das war an seiner Sänfte und an seiner Kleidung mehr als deutlich zu sehen.
    Als sein Gegenüber vorschlug, einen anderen Ort aufzusuchen, überlegte Nikolaos einen Augenblick. In seinen Arbeitsräumen wären sie ungestört, jedoch herrschte dort, den hohen Decken und den dicken Steinmauern zum Trotz, eine drückende Hitze.
    "Ich würde vorschlagen, dass wir in den Hain des Paneions gehen. Dort ist es kühl, und abseits der Hauptwege ist man dort ungestört. Es ist nicht weit bis dorthin. Wir können sofort aufbrechen, ich muss zuvor lediglich meine Sänfte kommen lassen.", antwortete er daher. Er gab dem schirmlosen Diener einen Wink, woraufhin dieser die Stoa entlang lief und hinter der Stoa in eine Seitengasse einbog. Dort warteten die Träger mit Nikolaos' Sänfte, vermutlich genossen sie gerade den Schatten der anliegenden Häuser und würfelten. Es dauerte nicht lange, bis die vier Männer mit der Sänfte des Exegetes um die Ecke kamen. Sie trugen die Sänfte bis an die Stoa heran, damit Nikolaos sofort aufsteigen konnte.

  • Eigentlich war Ioshua nicht danach, eine größere Strecke zurückzulegen, um sich in einem öffentlichen Park auszutauschen, zumal das Paneion auch einige Straßenecken von hier entfernt war und man sich erst die Hauptstraße entlang drängeln mußte, auch wenn das mit der Sänfte sicher kein großes Problem war. Aber da der Exegetes bereits seine Träger anweisen ließ, tat er es diesem gleich mit seinen und gab seinen Trägern Anweisung der Sänfte des Exegetes zu folgen.

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