Von Ostia nach Rom

  • Der Fuhrmann war wirklich sehr unterhaltsam, wenn man ihn erst einmal zum Reden brachte. Flava hatte mit ein paar gezielten Fragen, ihrem charmantesten Blick und dem ein oder anderen perfekten, kleinen Lachen ein Thema gefunden, über das er gerne redete: Seine Familia. Sie erfuhr, dass er Sextus Minatius Philippus hieß, und die fünf Miatii Philippi vor ihm das Geschäft gegründet hatten, für das er jetzt unterwegs war. Sein Vater, ein Mann, der wohl schon achtzig sein musste, überließ es seinem Sohn allerdings noch nicht, weswegen er nur den Wagen fuhr. Sein Sohn, Septimus, sei ohnehin viel besser für das Geschäftliche geeignet, da Sextus sich selbst als zu einfältig dafür bezeichnete. Flava widersprach natürlich, wie es sich gehörte.
    Während die Gegend so langsam dahin glitt und die Pferde auf der guten Straße in einen gemütlichen Trab gewechselt waren, unterhielt sich Flava fröhlich über ihren Bruder hinweg weiter mit Philippus. Auch Flavus’ zeitweilig gereizter Blick ließ sie nicht einhalten. Immerhin erfuhr sie so noch, dass Philippus Enkel gerade eine Erkältung hatte. Fachmännisch merkte sie an, dass Aesculapius wohl sehr empfänglich für Kaninchen sei, vor allem weiße, und ein Opfer wohl nicht schaden könne. Sextus zweifelte noch, aber mit einer kleinen Diskussion – während der sie den Hilfesuchenden Blick von Philippus an Flavus gekonnt ignorierte – war er schließlich überzeugt und wollte es einmal versuchen.


    Ach, jetzt hab ich soviel geschwatzt und geschwatzt. Guter Philippus, du musst mich sicher für leichtfertig halten. Verzeih meiner Jugend.
    Aber schau, ist es das da vorne schon?

    In der Ferne tauchte eine Stadt auf, die einfach Rom sein musste. Flava hatte noch nie etwas so riesiges gesehen.

  • Marcus wurde erst auf das vor ihnen auftauchende Rom aufmerksam, als seine Zwillingsschwester ihn und den Fuhrmann darauf hinwies. Bis dahin hatte er krampfhaft in die restliche Umgebung gestarrt und versucht Flavas Geschwätzigkeit zu ignorieren. Natürlich war er anfangs auch zu dem Fremden freundlich, bis er zugestimmt hatte die beiden mit seinem Karren nach Rom zu bringen, doch ansonsten war ihm dieser Mensch völlig gleichgültig. Er konnte daher auch das große Interesse seiner Schwester an dem Privatleben dieses bis dahin völlig Unbekannten in keinster Weise nachvollziehen. Wichtig war ihm, dass er endlich nach Rom kam und sich dort ausruhen konnte. In seinen Gedanken äffte er seine Schwester sogar nach. Verzeih meiner Jugend? Flava würde im Alter bestimmt ebenso geschwätzig bleiben, wie sie es jetzt und eigentlich schon seit sie reden konnte gewesen war. Verständnislos schüttelte er den Kopf und war froh, dass dieser Phillipus – oder wie er hieß – bestätigte, dass die Stadt vor ihnen tatsächlich Rom war. Er wandte sich an seine Schwester.


    „Willst du nun wirklich in die Therme Flava? Oder können wir gleich nach dem Anwesen der Decimer suchen?"

  • Von der plötzlichen und ruppigen Art ihres Bruders aus dem Gespräch gerissen, bedachte Flava den Fuhrmann noch mit einem entschuldigenden Lächeln, als sie sich ihm zuwandte. Wären sie alleine unter sich gewesen, wären ihre Worte wohl ein wenig deutlicher und weniger charmant ausgefallen, da Philippus sie aber hören konnte, blieb Flava leise und geduldig lächelnd, als sie mit ihrem Bruder sprach.
    Nun, Flavus, du bist mein Bruder. Letztendlich werde ich mich deiner Entscheidung fügen, wie es sich für eine gute Schwester geziemt. Aber wenn du mich fragst, wie es mir lieber wäre, würde ich sehr gerne noch eine Therme kurz besuchen, um mich frisch zu machen. Schließlich möchte ich, dass wir wie die Kinder eines Senators zu unseren Verwandten kommen und nicht wie die eines Bettlers.
    Was Markus aber sicher an ihrer Stimme herauslesen konnte, war, dass sie es ihm ewig vorhalten würde, wenn ihre Verwandten einen schlechten Eindruck von ihnen erhalten würden. Er würde sich dann noch in Jahren, was Jahrzehnten anhören dürfen, dass das alles damals seine Schuld gewesen sei und sie besser aufgenommen worden wären, hätte er nur zehn Minuten an einer Therme halt gemacht.

  • Als Flava die beiden mit den Kindern eines Bettlers verglich, schweifte Marcus Blick kurz zu dem Fuhrmann, der auch nicht gerade einen sehr wohlhabenden Eindruck machte. Sah er denn nach dieser langen Reise wirklich schon so aus wie dieser Mann? Unsicher sah er an sich herunter. Natürlich hatte seine Tunika den einen oder anderen Fleck davongetragen, doch wie ein Bettler sah er deswegen nicht aus. Er sah wieder zu seiner Schwester und seufzte. Es war ohnehin zwecklos sich nun mit ihr über dieses Thema zu streiten. Für ihre Verhältnisse sprach sie sehr ruhig und besonnen, was wohl auf die Anwesenheit dieses Phillipos zurückzuführen war. Vor Fremden spielte sie gerne die vornehme römische Dame, wenn nicht gerade ihre jugendliche, geschwätzige Art wie vorhin zum Vorschein trat. Ihre Erziehung vergas sie jedoch nur in den seltensten Fällen und so auch diesmal nicht. Würde er nun zu ihr sagen, dass sie direkt zum Anwesen der Decimer fahren, hätte sie im das vermutlich niemals mehr verziehen. Marcus war es vollkommen egal wie er seinen Vater oder seinen bisher unbekannten Verwandten gegenübertrat. Umso dreckiger er aussah, umso mehr sollte sich der Vater dafür schämen. Doch Frauen sahen das anders. Flava wollte für ihren Vater hübsch sein und ihn als brave, anständige und vollkommen römische junge Dame gegenübertreten. Er zuckte daher nur mit den Schultern und sagte Phillipos, dass er noch vor einer Therme halt machen sollte. Bestimmt würde er für diese Sonderpause auch eine Sonderpauschale verlangen.

  • Bei seinen Worten grinste Flava übers ganze Gesicht und hüpfte einmal kurz aufgeregt auf dem Sitz herum. Manchmal liebte sie ihren Bruder wirklich. Das Umarmen ersparte sie ihm aber, immerhin waren sie trotz allem in Gesellschaft.
    Philippus nickte nur und zwinkerte Flava einmal zu, woraufhin sie sich scheinbar schüchtern empört abwandte. Sie waren ohnehin gleich bei den Stadttoren angelangt, und Flava war schon ganz aufgeregt, wie es dann erst innerhalb der Mauern sein würde. Vor Aufregung griff sie wieder nach der vertrauten Hand von Flavus.

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