atrium | Die Ankunft der Aurelia Laevina

  • Ursus nickte. Es mochten die einzelnen der aufgeführten Punkte nicht so erheblich allübergreifend erheblich erscheinen. Doch in der Gesamtheit war es doch sehr beunruhigend. "Hast Du auch noch nicht mit Marcus darüber gesprochen? Er ist in der Position, mal an höherer Stelle etwas zu sagen. Spätestens wenn er in den Senat berufen wird. Und das dauert bestimmt nicht mehr lange. Du hast jedenfalls recht. Das alles zusammen betrachtet ist wirklich beunruhigend."


    Nachdenklich legte Ursus die Hand ans Kinn. Natürlich war er ganz der falsche für so ein Problem. Doch er fühlte sich geehrt, daß Orestes ihn in sein Vertrauen zog. Wenn auch nur, um sein Verantwortungsgefühl gegenüber dem Cultus Deorum zu wecken. "Du bist ein kluger Mann, Orestes. Hör zu... ich... ich denke Du hast recht. Ich werde in Zukunft wieder stärker den Göttern gedenken. Nicht, daß das viel bringen würde für die Allgemeinheit. Doch mit jedem, der wieder mehr daran denkt, wird es besser, nicht wahr? Meinst Du eigentlich, die ausländischen Kulte schwächen unseren eigenen?" Er hatte auf den Straßen mehr als einmal solche Bemerkungen gehört. Bisher hatte er das als Unsinn abgetan. Aber vielleicht fehlte ihm der Überblick, wie stark der Zulauf zu den ausländischen Kulten war.

  • Orestes war froh, dass Ursus ihn zu verstehen schien. Er hatte seinen eigenen Beobachtungen bisher nicht getraut und war daher froh über diese Gelegenheit sie einem anderen mitzuteilen, um zu überprüfen, ob er nicht Gespenster sah. "Nein. Mit Marcus habe ich noch nicht darüber gesprochen, werde es aber demnächst tun. Ich wollte nur erst mit jemand anderem darüber sprechen, um zu sehen, wie absurd meine Beobachtungen sind - oder eben nicht."


    Als Ursus schließlich versprach, sich zukünftig mehr um die Götter zu kümmern, fühlte sich Orestes nützlich und gebraucht. Man sah es ihm wahrscheinlich sogar an, da sich sein Rücken etwas straffte und er in einer aufrechteren Sitzposition weitersprach: "Du hast Recht, wenn jeder einzelne etwas tut, wird es besser. Aber vielleicht bist Du ja bald nicht einfach ein einzelner sondern Magistrat Roms! Dann verändert Dein Tun schon einiges." Er versuchte noch einen Schluck zu trinken, bemerkte aber, dass sein Becher leer. Indigniert stellte er ihn ab - zu faul, um ihn wieder zu füllen. "Was allerdings die fremden Kulte angeht, so vermag ich dies nicht abzuschätzen. Ich habe das Gefühl, dass sich zwar einerseits viele davon angezogen fühlen, aber nur wenige bei einem Kult bleiben. Die meisten folgen heute der Isis und morgen der Ischtar, übermorgen dann vielleicht diesem Chrestos. Aber da mag ich mich auch täuschen.

  • Ursus zuckte mit den Schultern und schüttelte ganz leicht den Kopf. "Ich kann Dir nicht sagen, ob es nicht vielleicht von anderen als absurd angesehen wird. Schließlich weiß ich noch weniger von diesen Dingen als Du. Aber was Du sagtest, hörte sich für mich schlüssig an. Und ich stehe eigentlich auf dem Standpunkt: Lieber einmal unnötig gefragt, als einmal zuwenig. Was, wenn die anderen, die es eigentlich sehen sollten, einfach schon zu sehr von anderen Dingen abgelenkt sind? Was kann Dir schon passieren? Wenn Marcus der Meinung ist, Du machst Dir da zuviel Sorgen, dann wird er Dir das schon sagen. Verlieren kannst Du doch eigentlich nichts dabei. Nur gewinnen, wenn Deine Sorgen berechtigt sind und deswegen etwas unternommen wird."


    Wieder mußte Ursus nicken, als Orestes davon sprach, daß er vielleicht mehr bewegen konnte, wenn er gewählt würde. Auf die Handlungen eines Magistrats wurde natürlich viel mehr geguckt, als auf die eines Bürgers. Er war fest entschlossen, dem Rat des Vetters zu folgen.


    "Ja, die Wankelmütigen... die glauben heute dies und morgen das und wundern sich, warum keiner der Götter sich auch nur einen Deut um sie kümmert. Dieser Chrestos... ich habe auch schon davon gehört. Der zieht wohl vor allem Sklaven und Frauen an, nicht wahr? Ich bin jedenfalls beruhigt, wenn Du den Eindruck hast, daß ohnehin nur die Wankelmütigen den fremden Kulten folgen. - Möchtest Du noch etwas?" Ursus hatte gesehen, daß Orestes eigentlich hatte trinken wollen, dann aber den leeren Becher beiseite stellte.

  • Ursus hatte zweifelsohne Recht, er hatte seit längerem nicht mehr mit Corvinus geprochen, so konnte er ihm einfach mal aufwarten und dies zum Anlass nehmen ihm auch diese Gedanken mitzuteilen. "Du hast recht, ich werde in jedem Falle mal mit Corvinus reden müssen und dann werde ich auch dieses zur Sprache bringen."


    Sein Gesprächspartner hatte bemerkt, dass sein Becher leer war. Sehr aufmerksam, was diese Dinge anging konnte Orestes von Ursus noch eine Menge lernen. "Gut einen Becher nehme ich noch, dann muss ich allerdings auch mal das Reich des Morpheus aufsuchen, da morgen wieder ein Tag mit Unterricht und Tempelbürokratie auf mich wartet." Er schenkte sich also doch noch einmal nach und trank einen Schluck. "Ja dieser Chrestos ist ein 'Gott' für die Schwachen. Völlig unrömisch, das wird sich nicht durchsetzen können. Was die Kulte angeht habe ich jetzt auch von einem neuen Kult gehört, der besonders unter Soldaten verbreitet sein soll - er huldigt einem Mithras. Plutarchos hat was darüber geschrieben und neulich berichtete mir ein Klient aus Alexandrien davon. Ein Kult für die Starken. Hast Du in Germanien was davon mitbekommen?"

  • Ursus füllte den Becher des Vetters und auch seinen eigenen. Es war wirklich gemütlich, hier beeinander zu sitzen, doch auch er spürte langsam Müdigkeit in sich aufsteigen. "Schlafen gehen ist auch keine schlechte Idee, wenn ich ehrlich bin, so bin ich doch auch ziemlich müde. Diesen Becher noch..." Er mußte unwillkürlich grinsen. Eine der größten Lügen unter Tavernenbesuchern, so hatten sie in Griechenland immer scherzhaft festgestellt. Nur noch ein Becher, dann gehe ich...


    "Mithras? Mir ist, als hätte ich darüber schon mal gelesen. Werden da nicht Stiere geopfert? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt nicht verwechsle. Nein, in Germanien habe ich davon nichts gehört. Die Soldaten haben, soweit ich das mitbekommen habe, vor allem Mars verehrt. Es gab dort natürlich auch einige germanisch-stämmige, bei denen bin ich mir nicht sicher, ob die nicht eher den germanischen Göttern folgen. Genaues kann ich Dir dazu aber nicht sagen. Als Tribun erfährt man wenig von den privaten Gewohnheiten der einfachen Soldaten. Hast Du den Eindruck, dieser Kult wird hier in Rom besonders stark?" Er trank einen Schluck und blickte Orestes fragend an.

  • Auch Ursus schien nach diesem Becher gehen zu wollen, auch wenn sein Grinsen etwas anderes verriet. Er kannte dieses Grinsen. Es war das, was man aufsetzte, wenn man sagte - 'heute aber nicht wieder bis zum Morgengrauen' und alle antworteten 'aber nein, niemals' und man erst beim Aufgang der Sonne die Taberne veließ. Orestes wusste das nur zu genau. Da aber sein Schüler am nächsten Tag auf ihn warten würde, würde er nach diesem Becher gehen.


    "Ja. Ein Stieropfer steht wohl im Mittelpunkt. Wobei ich nicht weiß, ob jedesmal ein Stier geopfert wird. In Rom ist er wohl noch nicht so verbereitet. Aber man weiß es auch nicht so genau. Er könnte aber eine gewisse Anziehungskraft haben, es heißt nur Männer dürfen initiiert werden. Und dass er nichts für im-schatten-geher ist. Das könnte ihn für Römer attraktiv machen, insbesondere für die Soldaten - daher meine Frage."

  • Nein, Ursus hatte wahrhaftig nicht vor, in diese sehr alten Gewohnheiten zurückzufallen. Auch er hatte morgen einiges zu erledigen und wollte dafür frisch und ausgeruht sein. Außerdem nahm er die Ankündigung seines Vetters, nach diesem Becher zu gehen, durchaus ernst.


    "Ja, ich kann mir auch gut vorstellen, daß solch ein Kult besonders die Soldaten anzieht. Und die Männer, die gerne wie Soldaten wären, es aber aus diesen oder jenen Gründen nicht sein können. Und es ist tatsächlich ein reiner Männerkult? Ob die Frauen sich das auf die Dauer gefallen lassen? Gerade sie sind es doch, die besonders gerne neuen Kulten ihre Aufmerksamkeit schenken. Oder kommt mir das nur so vor?" Er nahm sich vor, mal Augen und Ohren offenzuhalten. Vielleicht erfuhr er ja etwas über diese Kulte und auch darüber, was die Leute so zu ihnen hinzog und warum sie ihren eigenen Göttern so bereitwillig den Rücken kehrten.

  • "Tjaha. Die Frauen.", sagte Orestes auf die letzte Bemerkung seinen Verwandten. Das stimmt, den Frauen liegen die neuen Kulte. Ich habe auch eine Vermutung weswegen: weil diese Kulte mehr auf die innere Bewegung des Herzens schauen und nicht so sehr auf das äußere. Sie pflegen mehr die Devotion, die Hingabe. Das ist heute sehr modern, besonders bei den - wie sagt man - empfindsamen weiblichen Wesen. Dann erhob er seinen Becher. Ein Trinkspruch auf die Frauen wäre nun wohl angemessen, aber er wollte dies lieber seinem Cousin überlassen - der hatte da mehr Erfahrung.

  • Ursus mußte leicht grinsen. Die Frauen waren ein Mysterium und es war wohl noch keinem Mann gelungen, dies wahrhaftig zu ergründen. "Grundsätzlich ist da ja auch nichts falsches dran, finde ich. Aber ich finde, sie sollten dabei bei unseren eigenen Göttern bleiben. Modern... modern ist oft einfach nur das Neue. Nicht, daß ich etwas gegen Neues hätte, aber doch nicht um jeden Preis. Man sollte doch erst alles Neue einer gründlichen Prüfung unterziehen und das Bewährte nicht einfach außer Acht lassen." Er lachte leise. "Ich glaube, im Grunde meines Herzens bin ich ziemlich konservativ. Also in einigen Bereichen des Lebens."


    Als Orestes seinen Becher hob, erhob auch Ursus den seinen. "Hoffen wir, daß die Frauen stets hingebungsvoll, empfindsam und gefühlsbetont bleiben und auf die Stimme ihres Herzens hören. Auch wenn es uns so manches mal den letzten Nerv kostet, ist es doch genau das, was wir an ihnen lieben. Also ich zumindest." Er lachte wieder, stieß leicht mit seinem Becher, gegen den von Orestes und trank dann einen guten Schluck.

  • "Naja. Dafür sind wir ja schließlich Patrizier, damit wir konservativ sind, oder? Das Progressive können wir ruihg den Germanicern dieser Welt überlassen. Wir bleiben doch lieber den Sitten unserer Väter treu. Die ja auch immer wieder neues zugelassen haben - nach reiflicher Prüfung.". Er lächelte. Es war doch gut, den Tag so ausklingen zu lassen.


    Ursus hatte seine Andeutung verstanden. "Ja. Das hast Du wahrhaft recht!". Und trank nach dem leichten Anstoßen. Es war nurmehr ein kleiner Schluck im Becher, so dass es sich kaum noch lohnte ein neues Thema zu beginnen, so dass er nach einem kurzen Blick in den Becher den letzten Schluck nahm. "Bene. Jetzt ist es wirklich Zeit für mich." Er stellte den Becher ab und streckte sich etwas. Was meinst Du vertagen wir unsere durchaus tiefschrfende Diskussion auf einen anderen Tag respektive Abend?

  • Ursus lachte herzlich. "Dafür sind wir Patrizier, ja. Es unseren Ahnen gleichzutun kann nicht so falsch sein, sie haben schließlich sehr viel erreicht. Aber so sehr progressiv waren die Germanicer, die ich bis jetzt kennengelernt habe, eigentlich nicht. Zumindest nicht mir gegenüber. Aber wer weiß, vielleicht haben sie sich das gegenüber einem Patrizier schlicht nicht getraut", scherzte er, wohl wissend, daß sie ihn wohl kaum in irgendeiner Weise fürchteten. Warum auch?


    Orestes hatte seinen Becher nun doch ziemlich schnell geleert. Und es war ja auch schon recht spät. Ursus trank also ebenfalls aus, stellte den Becher weg und stand auf. "Ja, vertagen wir sie. Gerne auf einen nicht allzu fernen Abend. Es ist wirklich schön, Dich hier im Haus zu wissen, Manius. Eine Zeitlang war es hier allzu ruhig." Er lächelte seinen Vetter in ehrlicher Freude an, - bis ein Gähnen ihn übermannte. "Wie Du siehst, auch für mich wird es wahrhaftig Zeit", lachte er, "Schlafe wohl."


    Wohl wissend, daß die Sklaven auch ohne weitere Anweisung schon wieder für Ordnung sorgen würden, verließ Ursus das Atrium und suchte sein Zimmer auf.

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