Tablinum Aquilius | Die Wutprobe

  • Ein wenig war es Antonia, als sei sie zurückversetzt in ihre Kindheit, säße einem gestrengen Lehrer gegenüber, der sie auf einen Fehler in einer griechischen Übersetzung hinwies und tadelte. Nun rügte Aquilius sie zwar nicht, doch die Situation war der Claudia nicht minder unangenehm und wäre sie nicht jemand, der seinen Körper nur selten aus der Kontrolle des Geistes entließ, sie hätte begonnen unruhig auf ihrem Sitzplatz umherzurutschen. Einzige Regung war, dass ihre Hand den schmalen Rand des Bechers umfuhr, den sie in der anderen hielt. Sei es, um nicht an der Tunika zu zupfen, sei es, um einen Grund zu haben, dem Flavier nicht ins Angesicht sehen zu müssen.
    Nur in einem Punkt konnte sie Aquilius unumwunden zustimmen: Sie hatte nicht das Bedürfnis, sich den ganzen Tag im Spiegel anzusehen. Im Gegenteil, bereits wenige Minuten, die sie mit ihrem stummen Ebenbild verbrachte waren ihr zu viel, schürten den Wunsch, eine andere zu sein. Wenn sie einen Fehler nicht hatte, so war es Eitelkeit. Auch noch auf angebliche Klugheit angesprochen riss sie endlich den Blick los, mehr aus Überraschung denn als wirklich bewusste Handlung vollzogen, was die braunen Augen wieder zum ‚Gastgeber’ brachte. Halb hatte sie schon einen Widerspruch auf den Lippen, ließ ihn jedoch, in Anbetracht eines vermutlich aussichtslosen Kampfes um ihre (nicht-) Vorzüge mit Aquilius, unausgesprochen. Lediglich ein fast schon verzweifelter Gesichtsausdruck verriet, dass sie so gar nicht seiner Meinung war.
    „Es scheint dir großen Spaß zu bereiten, mich in Verlegenheit zu bringen.“, seufzte sie schicksalsergeben. „Aber eines Tages werde ich mich dafür rächen, eine Claudia vergisst so etwas nie.“
    Jener Versuch, das Gespräch wieder in den humorigen Bereich zu lenken, wurde von einem Zwinkern begleitet, das der Drohung, die ohnehin keine war, den Ernst nehmen sollte.


    Seine Beschreibung der Ehe indes deckte sich in weiten Teilen mit ihren Vorstellungen davon, hatte sie sich doch, noch als unverheiratete junge Frau, gleichermaßen niemals der Illusion hingegeben, ihre Ehe würde jemals werden, wie von den Dichtern und in Theaterstücken so gerne dargestellt. So blieb ihr kaum mehr als ein zustimmendes Nicken, bis letztlich eine Frage folgte, die sie vor noch einem Jahr zu einer Lüge gezwungen hätte. Nicht gegenüber Aquilius vielleicht, hatte er doch stets um das gespannte Verhältnis zwischen Antonia und Gracchus gewusst. Doch jedem anderen hätte sie die liebende Ehefrau und freudestrahlende Matrone vorgespielt. Heute war dies nicht mehr nötig. Wie von selbst verzog sich ihr Mund zu einem leichten Lächeln, während sich ihr Kopf zugleich in eine leichte Schräglage begab.
    „Ich bin zufrieden, ja.“, antwortete sie. „Es mag sonderbar klingen, aber ich glaube, nie in meinem Leben war ich so glücklich wie in den letzten Tagen. Dieses Kind hat mich gerettet, in jedweder Hinsicht.“
    Wie sonst hätte sie die Achtung ihres Gatten gewinnen, wie sonst ihrem Leben einen Sinn geben können? Mit nichts und niemals, dessen war sich Antonia sicher.
    „Gewiss, zufrieden mit der Verbindung an sich war ich auch vorher. Manius ist wahrlich keine schlechte Partie gewesen, reduziert man unsere Ehe lediglich auf den politischen Aspekt. Wie du weißt ist meine Familie zwar eine der ältesten, zugleich aber auch eine der unbedeutendsten patrizischen Gentes geworden. Ein Flavier war mehr, als ich damals erhoffen konnte.“

  • Ihr Seufzen ließ mich leise auflachen, dann hob ich abwehrend die Hände. „Ach, Antonia, ich wünschte, Du könntest Dich endlich auch einmal mit meinen Augen sehen, damit Du nicht immer eine gar so schlechte Meinung von Dir hättest. Und glaube mir, ich mache einer Frau selten ein Kompliment, das sie nicht verdient hat, gerade Du, die Du Gracchus‘ Haushalt führst, seinen Erben liebevoll umsorgst und in allem ein Bild der römischen Frau darstellst, wie sie uns von unseren Müttern als ideale Ehefrau angepriesen wurdest, verdienst es, dies auch zu hören, auch wenn Du es noch so wenig hören willst. Wahrscheinlich muss ich Dich einfach so oft loben, bis Du mir endlich einmal glaubst und mir nicht dauernd aufs Neue widersprichst.“
    Ich zwinkerte ihr leicht zu und beließ es dann dabei. Sie war schon immer hart mit sich ins Gericht gegangen, umso härter, je vollkommener sie zu werden schien. Vielleicht war es auch genau das, was sie stetig an sich arbeiten ließ, ihre eigene Meinung von sich selbst, die wohl nicht allzu positiv war. Gegen sich selbst anzukämpfen war doch stets die größte Herausforderung. Einen Schluck Wein später lauschte ich ihrer Schilderung des Ehelebens und wieder einmal ertappte ich mich dabei, dass ich sowohl Gracchus als auch Antonia um dies beneidete, was die beiden miteinander teilten. Gracchus darum, dass er eine Frau hatte, die ihm in allem den Rücken frei hielt, ihn unterstützte, wo sie nur konnte, zudem klug und nicht eingebildet war, Antonia darum, ihr Leben mit dem Menschen teilen zu dürfen, den ich liebte, den ich schon viele Jahre geliebt hatte, bevor sie in sein Leben getreten war.


    „Mit einem Flavier kauft man sich in einer Ehe aber auch immer einen Menschen, der niemals einfach sein wird. Wir sind nun einmal keine allzu pflegeleichte Familie, und das wird immer so sein. Die Dunkelheit, die in unserem Inneren lebt, lernt man mit den Jahren zu bezähmen oder damit umzugehen, aber dennoch wird sie stets vorhanden sein und man wird immer damit leben müssen; sie wird auf die düstersten Stunden unseres Lebens lauern, um uns dann in eben jenen Augenblicken zu überfallen und den größtmöglichen Schaden anzurichten. Dein Sohn ist zur Hälfte Flavier, vielleicht wird er unter dieser Düsternis niemals leiden, ich hoffe es wirklich für euch alle – aber bitte achte sorgsam darauf, dass er viele Gründe hat, fröhlich zu leben.“
    Es waren düstere Worte, zu düster, sie wollten nicht zu ihrer Selbsteinschätzung der Ehe passen, die sie mit Gracchus nun zu führen schien, aber einer musste sie auch aussprechen, und ich war mir sicher, dass mein Geliebter diese Worte niemals in einer so klaren Weise formuliert hätte, hieße es doch auch, einen Makel an unserer Familie zuzugeben.
    „Ich bin froh darum, dass ihr beide offensichtlich zueinander gefunden habt und dass Du glücklich geworden bist, Antonia, es war sehr traurig zu sehen, wie sehr Du Dich gequält hast all die Monate, in denen Du hier im Haus gelebt hast. Du weißt, ich hätte Dir gerne geholfen, aber nicht bei allem kann man so zur Seite stehen, wie man das gerne würde. Manches muss auch einfach mit der Zeit sich wandeln und reifen.“

  • Den Kampf mit Aquilius um die Oberhand in dieser Diskussion schien Antonia zu verlieren. Vermutlich fehlte ihr einfach die Übung im Streitgespräch, denn ihre Sklaven hatten gelernt nicht zu widersprechen und mit allen anderen fand sich bisweilen kein Grund für eine solche Konversation. Der Funke einer Idee glomm auf, fiel auf ausgetrocknetes Blattwerk und entwickelte sich zu einem lodernden Feuer. Der Schein zog sich förmlich bis zu ihren Augen.
    „Nun, vielleicht lege ich es ja darauf an. Ich widerspreche dir, um mehr und mehr Komplimente zu hören, was hältst du von dieser Erklärung? Wäre dies nicht viel wahrscheinlicher? Welche Frau widerspricht dir schließlich, wenn du sie mit derlei Worten bedenkst? Ich wäre ja verrückt, würde ich nicht weitere begehren.“
    Offenbar war sie zwar nicht verrückt – je nachdem welche Maßstäbe man anlegte – doch zwiegespalten in jedem Fall. Natürlich gefielen ihr die Aussagen, die Feststellungen die er zu treffen schien, doch lösten sie vielmehr den Wunsch aus tatsächlich so zu sein. Mit jedem Satz, mit welchem er sie in den Himmel lobte wurde das Bedürfnis stärker. Die ideale Ehefrau. Damit hatte er genau getroffen, was sie begehrte zu sein. Wie Cornelia, wie die Mutter der Gracchen wollte sie sein, nicht wie Livia, jene herrschsüchtige Gattin des Augustus. Abbild der perfekten Matrone. Nun, zumindest die Mutter eines Gracchus war sie mittlerweile geworden, was man wohl also durchaus als amüsanten Zufall, oder aber als bedeutenden Wink des Schicksals verstehen konnte. Diese erste Parallele war demnach gezogen.
    „Doch ich glaube es würde dir gar nicht gefallen, würde ich eines Tages nicht mehr widersprechen, gib es zu. Es macht dir Spaß, mich zu ärgern.“ Amüsiert schmunzelte die Claudia, wenigstens sie selbst fand mitunter einen gewissen Reiz daran sich wie in einem Spiel gegenseitig weiter zu fordern. Natürlich wurde jenes Vergnügen nur zu oft von der Scham überlagert, die, in ihren Augen fehlplazierte, Schmeicheleien auslösten.


    Ruhig lauschte sie den Worten des Flaviers über seine Familie, bedachte ihn mit einem friedlichen Lächeln. Nein, pflegeleicht konnte man die Gens wahrlich nicht nennen, einfach in keinem Fall und doch konnte sie seine Befürchtungen nicht teilen. Die Vorstellung, jenem kleinen Wesen könne jemals ein Leid geschehen löste den unbändigen Drang aus, genau dies zu verhindern. Was unweigerlich die Erkenntnis nach sich zog, ein solcher Fall könne niemals eintreten. Nicht solange sie lebte.
    „Ich weiß, Aquilius, ich weiß.“, seufzte sie. „Doch sei versichert, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um jedwede Gefahr und allen Schaden von Manius fernzuhalten, woher er auch kommen möge.“
    Wohlweißlich hatte sie eine Eingrenzung des Namens Manius außen vor gelassen. Es galt für beide Maniusse (…^^) in ihrem Leben, einem jeden gäbe sie alles, was sie geben konnte und somit schien allein der eiserne Wille der Patrizierin rund um die Uhr damit beschäftigt alles Übel in näherer Umgebung auszumerzen. Ob dies gleichsam ein fröhliches Leben bewirken würde ließ sich derzeit jedoch kaum absichern. An ihr eigenes, keineswegs besonders fröhliches Leben in der Villa Flavia erinnert, wie es noch vor wenigen Monaten gewesen war, befiel ein trüber Schleier ihr Gesicht. Sie erinnerte sich nicht gern daran, suchte möglichst zu verdrängen, was einst gewesen war.
    „Vielleicht musste es so sein.“, erwiderte sie teilnahmslos. „Denn ich hätte niemals so sehr zu schätzen gewusst was ich nun habe, hätte ich es von Anfang an gehabt.“

  • Antonias Erklärung für ihr dauerndes Widersprechen ließ mich einige Momente lang innehalten – war sie denn wirklich so gierig nach Komplimenten und der Bestätigung anderer? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen, und so lachte ich abermals auf.
    „Ach Antonia, ich kenne Dich gut genug, um zu wissen, dass Du nicht derart nach Komplimenten fischt wie ein verzweifelter Mann von Ostia, der seit langem keinen guten Fang mehr gemacht hat. So manche Frau würde dies sicher tun, aber nicht Du, Du hast derlei doch überhaupt nicht nötig.“ Wieder schob ich ihren Worten ein Kompliment nach und zumindest darin wusste ich, würde ich sie stets in Atem halten. Andere mochten darin meisterhafte Rhetoren sein, sich vor anderen zu profilieren, oder vor Gericht in einem sagenhaften Prozess Aufsehen zu erregen – aber ich zog es vor, die freudvollere Alternative zu wählen und mir und der entsprechenden Frau selbst eine kleine Freude durch die Rhetorik zu bereiten.


    „Weißt Du, welche Art Frau mich stets gelangweilt hat? Jene, die meinen Worten allzu leicht zustimmen, die niemals eine eigene Meinung äußern und mit denen man nicht diskutieren kann. Gerade das schätze ich an Dir, Du zögerst nicht, zu sagen, was Dich bewegt, was Du denkst, und das macht die Unterhaltungen mit Dir auch so interessant, dass man stets, ist die eine beendet, eine weitere führen möchte. Nichts fände ich schlimmer als ein schön anzusehendes Geschöpf, das nicht mehr vermag als dekorativ irgendwo zu stehen oder zu sitzen. Ich weiß, die meisten Männer würden es sich anders wünschen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Frauen, die am leidenschaftlichsten widersprechen, auch die leidenschaftlichsten Liebhaberinnen sind.“ Dieses Satzende garnierte ich mit einem verschmitzt-unverschämten Lächeln und nahm in provozierender Langsamkeit einen Schluck Wein. Egal, wie sie jetzt widersprechen würde, es würde nicht leicht fallen, noch irgendein Argument zu finden, ohne langweilig dazustehen. Und widersprechen würde sie beim Thema der Leidenschaft zwischen zwei Menschen sicherlich. Hoffte ich.


    Ernster werdend, als sich das Gespräch ihrem Sohn zuwandte, nickte ich. „Ich bin mir sicher, dass niemand es wagen wird, an den kleinen Manius Hand anzulegen, und wenn Du und Gracchus über ihn wachen, weiß ich ihn sicher. Sage mir, solltest Du irgendwann deswegen Hilfe brauchen. Er ist mein Neffe und so will ich auch meinen Teil für seine Sicherheit und sein Wohlbefinden beitragen, wenn das gebraucht wird.“ Beim tonlosen Klang ihrer Stimme, als sie über das Glück sprach, das ihr zuteil geworden war, und dass sie es nie zu schätzen gewusst hätte, neigte ich mich etwas zu ihr und ergriff ihre Hand, sie für einen Moment lang mit der meinen haltend, dann drückend.
    „Antonia, ich denke oft, dass einem bestimmte Dinge geschehen müssen, damit wir anderes klarer sehen, oder jenes, das folgt, anders betrachten. Ich habe es bisher nicht oft gesagt, aber jene Zeit, in der ich mich nicht entsann, wer ich war, weil mir das Fieber alle Erinnerungen geraubt hatte; in dieser Zeit, in der ich als einfacher Fischer Tag für Tag geschuftet habe, um nur ein wenig Geld zusammen zu bekommen, und um meine vermeintliche Familie zu ernähren, kannte ich nur das einfache Glück eines einfachen Menschen. Wenn das Geld gereicht hatte, mehr zu kaufen als nur Nahrung, wenn ich bei meiner vermeintlichen Frau gelegen hatte und wir einander genossen hatten, wenn ich den Sonnenaufgang gesehen habe am frühen Morgen, wenn wir Fischer hinaus gefahren sind ... in all dieser Zeit war ich oft glücklicher als jemals zuvor.


    Als meine Erinnerung zurückgekehrt war, musste ich oft daran denken, wie wenig man doch braucht, um glücklich zu sein, und wie viel Besitz und Macht einen bisweilen vollkommen unglücklich macht. Diese villa ist mir oft als ein Gefängnis erschienen, in dem ich ersticken müsste, obwohl ich jederzeit hätte gehen können ... Menschen wie Du haben es mir immer leichter gemacht, das alles zu ertragen. Auch jetzt noch. An manchen Abenden, an denen ich in meinem Bett liege und alleine einschlafen muss, vermisse ich meine Liebste von damals, auch wenn alles nur auf einer Lüge gebaut war. Es war dennoch ein Trost, ihren Atem zu hören und zu wissen, wohin man gehört.“ Ich atmete leise ein und blickte an ihr vorbei auf einen undefinierbaren Punkt der Wand, den Worten nachlauschend. Ja, an manchen Tagen war die Stille in meinem Inneren nahezu greifbar. Ich wusste genau, wie sie sich damals gefühlt haben musste.

  • Aquilius’ Schweigen schürte eine kindliche Freude in Antonia. Hatte sie ihn nun etwa? Doch nein, er durchschaute sie, begann zu lachen und so ließ sich auch bei der Claudia nicht länger die ernste Fassade aufrecht erhalten, machte stattdessen einem schelmischen Schmunzeln Platz.
    „Es ist zum Verzweifeln mit dir.“, seufzte sie in gespielter Hoffnungslosigkeit. „Mir scheint es wurde dir in die Wiege gelegt, wie es gemeinhin bei den Flaviern üblich zu sein scheint, besonders talentiert mit Worten umgehen zu können.“
    Erneut schien er sich nicht verkneifen zu können einen Beweis seines Talents hintan zu stellen, ließ wie beiläufig ein weiteres Kompliment in seinen Satz einfließen, was Antonia nur noch mit einem hilflosen Augenverdrehen zu kontern vermochte. Niederlage, mit Pauken und Trompeten. Ihm würde sie niemals jene Art austreiben können. Und vermutlich auch deshalb nicht, weil ein großer Teil von ihr ihn genau so mochte, wie er war. Eine Schnute ziehend hoben sich letztlich die patrizischen Schultern in einer Geste der stillen Resignation.
    Die Schilderung seiner Frauenvorlieben indes war nun wieder ein Thema, bei dem Antonia sich sicherer fühlte, drehte es sich doch, vorerst, nicht mehr um sie selbst. Vielleicht hatte sie aus eben jenem Grund zeitweilen so große Schwierigkeiten mit Gracchus gehabt. Ihm hatte sie stets zugestimmt, brav genickt und immer getan was er wollte. Ob das im Nachhinein ein Fehler war? Kurz legte sie die Stirn in Falten, nur um später wieder eine Grimasse zu schneiden. Egal was sie nun entgegnete, es konnte nur verkehrt sein. Widersprach sie, gestand sie ein leidenschaftslos und langweilig zu sein, stimmte sie zu sagte sie das genaue Gegenteil damit aus. Auf der Unterlippe kauend fixierte sie Aquilius, der mit sichtlicher Freude an seinem Becher nippte.
    „Nun, ich kann natürlich nicht auf deine ungleich größeren Erfahrungen mit leidenschaftlichen Damen zurückgreifen.“ Ein kleiner Seitenhieb, kaum groß genug für eine Revanche, doch mit gütig-tadelnder Miene ausgesprochen, als sei sie die Großmutter und Aquilius ein ungestümer Enkel. „Doch wage ich zu behaupten, dass die größte Furie keineswegs die angenehmste Partnerin diesbezüglich sein wird.“
    Eine wahrhaft politische Antwort. Sie hatte erwidert, ohne sich selbst einzubeziehen, hatte das Riff umschifft und war nicht auf Grund gelaufen. Weder hatte sie zugestimmt, noch widersprochen. Allerdings glaubte Antonia nicht, dass der Flavius es einfach dabei beruhen lassen würde. Um Zeit zu gewinnen ließ auch sie den Rebensaft ihre Kehle hinab rinnen.


    Noch einmal flammte kurz ihr Lächeln auf, als der frischgebackene Onkel sich bereit erklärte, jederzeit hilfreich zur Seite zu stehen. Eingehend nickte Antonia. „Ich hoffe, es wird niemals nötig sein, aber sei versichert, wenn ich Hilfe brauche, werde ich mich an dich wenden.“
    Einen Dank selbst sprach sie nicht aus, erachtete es für unnötig, denn allein ihr Gesicht sprach in diesem Moment Bände. Dies hier war ihre Familie, mehr als es die Claudier je gewesen waren. Und sollte diese Familie sie jemals benötigen, so würde sie keinen Moment zögern zu handeln.
    Aquilius warme Hand auf der ihren spürend senkte sie den Blick, lächelte dankbar, erwiderte jedoch nur schwach den Druck. Den Kopf weiterhin nach unten gerichtet, wo ihre schmale Hand in der seinen lag, lauschte die Patrizierin den Worten des Flaviers. Was währenddessen in ihrem Innern vorging drang lediglich durch den sich verstärkenden Druck der Finger auf Aquilius’ Handrücken an die Außenwelt. Es stimmte wohl, was er sagte. Oft wurde der römische Adel beneidet um die scheinbare Sorglosigkeit in der er lebte. Doch in Wahrheit war ein einfaches Leben, wie der Patrizier es schilderte, wohl weitaus erstrebenswerter, hatte man zwar stets die Sorge um einen zu füllenden Magen, doch blieb einem die Sorge um Stand und Zukunft weitgehend erspart. Erstaunt war sie hingegen darüber, dass nicht nur ihr allein die Villa Flavia oft wie ein Käfig erschien. Ein Goldener zwar, mit allen Annehmlichkeiten die sich ein Mensch nur wünschen konnte, doch nach wie vor ein Käfig. Endlich hob sie den Blick, suchte Aquilius’ Augen. Sie wusste nicht recht, was sie hierauf erwidern, ob sie Trost spenden oder doch lieber schweigen sollte. Am Ende rief ein mitleidiges Wort nur Ablehnung und Zorn hervor. Gedanken schwirrten in ihrem Kopf umher, sagten ihr, er könne sich doch so viele Frauen in sein Bett holen – Sklavinnen oder Bürgerinnen – wie er wollte. Doch sagte eine innere Stimme ihr, dass dies wohl nicht dasselbe war wie still neben jemandem zu liegen, dem man vertraute und der einem Halt bot. Seine Augen wanderten weiter, suchten etwas, das hinter ihr lag und fixierten es. Sie verstand ihn, verstand nur zu gut, besser vielleicht als jeder andere, was in ihm vorging. Und somit wusste sie, egal was sie sagte, es wäre keine allzu große Hilfe, denn das Gefühl der Leere bliebe. Gerade jetzt wo Aristides im Begriff war zu heiraten, wo sie selbst und ihr Gemahl endlich ein Kind bekommen hatten, musste es besonders hart für ihn sein.
    „Ich wünschte-“, durchschnitt ihre Stimme endlich das Schweigen, das sich über die beiden ausgebreitet hatte, „-ich könnte irgendetwas sagen, etwas tun, das es dir leichter macht.“
    Aufmunternd lächelte sie ihn an. „Doch alles was mir bleibt ist dir zu versichern, dass meine Tür dir jederzeit offen steht, solltest du ein offenes Ohr oder ein freundliches Gesicht benötigen.“
    Ein wenig schien sich ihre Rollenverteilung gewandelt zu haben. Früher war er es gewesen, der ihr stets Trost gespendet hatte, der sie aus den Untiefen der Verzweiflung gerissen hatte, in welche sich Antonia selbst stürzte. Und nun saß sie hier und offerierte ihm, was er einst ihr selbst anbot.

  • Wäre sie nur schön gewesen, ich hätte Antonia nie so zu schätzen gelernt, wie es in den letzten Jahren der Fall geworden war. Wir hatten gemeinsam Höhen und Tiefen durchlebt, und wahrscheinlich hätte sie für mich auch einen gewissen Reiz eingebüßt, hätte ich sie jemals tatsächlich in meinen Armen gehalten. So waren wir zu Freunden geworden, einer seltsamen Art von Freunden, aber Freunden, so gut ein Mann und eine Frau eben befreundet sein konnten. Für mich mischte sich in diese Freundschaft durchaus ein gewisses Maß Begehren, aber ich war mir auch darüber im Klaren, dass sich viel dieses Begehrens auch aus dem Wissen gründete, sie nicht haben zu können. Verbotene Früchte schmeckten eben stets süßer als jene, die man mit Leichtigkeit an Straßenecken einkaufen konnte. Mit ihr offen sprechen zu können, war ein besonderes Geschenk, und eines, das einem nur selten zuteil wurde. Selbst Gracchus konnte ich nicht alles sagen, wie ich auch ihr nicht alles sagen würde, was mich bewegte. Die dunklen Teile meines Selbst behielt ich für mich. Musste sie für mich behalten, um niemanden von mir zu stoßen.


    „Ich hätte mich auch über einiges gewundert, hättest Du eingehende Erfahrungen mit Damen gemacht, meine liebe Antonia,“ griff ich ihren Ton scherzhaft auf und schmunzelte vor mich hin. „Aber um aus meinem reichhaltigen Erfahrungsschatz Frauen betreffend die ein oder andere Begebenheit heraus zu nehmen – meine Erfahrungen haben gezeigt, dass Furien oft so viel Feuer mit sich tragen, dass man darin lichterloh brennen kann; wenn man es nur will, wenn man mit diesem Feuer auch umgehen kann. Nun gut, ich gestehe, ich habe mir auch mehr als einmal die Finger daran verbrannt, aber das war den Schmerz und das Risiko wert.“ Leise ausatmend betrachtete ich Antonia abermals, als sei sie eine besondere Art Kunstwerk. Sie konnte ich mir tatsächlich nicht schreiend und stöhnend vorstellen, auch wenn meine Phantasie die Möglichkeit dessen nicht ausschließen wollte. Es war einfach zu verlockend, doch noch darauf zu hoffen, es irgendwann zu erleben, und sei es nur, um ihr zu beweisen, dass man mit dem völligen Verzicht auf den Kopf ebenso etwas Besonderes erleben konnte. Leidenschaft und Nachdenklichkeit schlossen sich gegenseitig zumeist aus, und nur wenn man dies zu tun vermochte, erlebte man die wahren Höhen.


    „Einigen wir uns doch einfach darauf, dass ich Dir auch weiterhin so viele Komplimente machen werde, wie ich es möchte, und Du nimmst sie zumindest stillschweigend an, während Du mir doch immer wieder erklärst, dass ich übertreibe und Du viel, viel schlechter bist als die Frau, die ich Dir beschreibe.“ Ich hob den Becher prostend in ihre Richtung und erlöste sie endlich von jenem Thema, von dem ich nur zu gut wusste, dass es ihr Unbehagen bereitete. Aber ich wollte sie auch nicht über Gebühr damit quälen, schließlich war sie mir als Mensch, als Freundin lieb und teuer. Man musste es nicht übertreiben. Wir würden ohnehin früh genug wieder Scherze darüber machen, und das wusste sie so gut wie ich.
    Und einmal mehr erwies sie sich als Freundin, als Verbündete, als eine Frau, die verstand, die wusste, wie eng die Maschen dieses Fischernetzes unserer Existenz bisweilen geknüpft sein konnten, und dass man darin sehr wohl gefangen sein konnte, ohne Luft und Raum zu finden. Es bedurfte nicht einmal besonders vieler Worte, dass sie mir klar machte, wie gut sie verstand, was mich bewegte, was mich an all diesen Vorzügen unseres Lebens immer wieder zweifeln ließ; und es beruhigte mich ungleich mehr, dass es einen Menschen gab, dem ich dies hatte sagen können.


    Gracchus gegenüber behielt ich meine Einsamkeit für mich, denn ich wusste, er würde es sich ungleich mehr zu Herzen nehmen. Manches Mal schien er mir so zerbrechlich zu sein, dass ich ihn einfach nur beschützen wollte. Aber Antonia, die dies selbst durchlebt hatte, konnte ermessen, wie schmerzhaft es war, ohne Mitleid zu empfinden. Nichts hätte mich mehr beschämt als Mitleid.
    „Sage einfach nichts, Antonia, denn kein Wort wird ändern, wie es eben ist. Ich habe Dir damals, als Du unglücklich warst, meine Tür geboten, wenn es zu schrecklich werden sollte, und ich danke Dir dafür, dass Du mir die Deine anbietest, wenn ich irgendwann den Moment erreichen sollte, an dem ich nicht weiter gehen kann, ohne zu verzweifeln. Aber ich will es mit jenem Rat ebenso halten, den ich Dir damals gab, und auf bessere Zeiten hoffen. Irgendwann wird es sicherlich besser sein als es heute ist. Du wirst lachen, vor einiger Zeit habe ich wirklich geglaubt, eine Frau kennengelernt zu haben, die an meiner Seite stehen könnte wie Du es bei Gracchus tust, aber nun ist sie auf Reisen, und ich weiss nicht, ob sie zurückkehrt und wann sie zurückkehrt. Sie hat sich nicht verabschiedet, und schreibt mir auch nicht, und das ist es, was mich ein wenig ratlos zurück lässt, glaubte ich doch, sie hätte an dem Gedanken einer Ehe ebenso Gefallen gefunden. Verliebt sind wir beide nicht, denke ich, aber ...“ Ich hob leicht die Schultern und seufzte. „Es ist so einfach, eine Frau für ein Vergnügen zu finden, aber Ehen sind so schrecklich kompliziert. Warum will überhaupt irgendwer bei klarem Verstand verheiratet sein?“

  • Innerlich versuchte Antonia sich vorzustellen, wie es wohl wäre, eben eine solche Furie im Schlafgemach zu sein. Ansatzweise hatte sie sich bereits darin versucht, hatte die Ratschläge der Lupa umgesetzt… und sich im Anschluss unglaublich schmutzig und minderwertig gefühlt. Nein, Leidenschaft musste gezügelt werden, das war ihre Ansicht. Doch ließ sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten und vielleicht war es aus Sicht eines Mannes auch durchaus etwas anderes. Sie würde es niemals beurteilen können. So schürzte sie für einen Moment die Lippen, legte nachdenklich den Kopf schief und erwiderte unverwandt den Blick, mit welchem Aquilius sie bedachte. Hin und wieder wünschte sie sich doch Gedanken lesen zu können. Es fiel ihr schwer bei diesem Thema zu unterscheiden wo der Schalk aufhörte und der Ernst begann. Wäre ihr Verhältnis zu Gracchus ein anderes, vielleicht hätte sie auch ihn einmal danach gefragt, was ihm lieber war. Die Stille oder die Wilde. Angesichts der Tatsache, dass sie wohl niemals die Ungestüme sein könnte war dies aber wohl ohnehin nebensächlich.
    In Ermangelung eines reicheren Erfahrungsschatzes war sie letztlich gewillt Aquilius’ Aussagen als Tatsachen hinzunehmen und nichts weiter dazu zu sagen. Ohnehin waren sie bereits weiter und endlich konnte auch Antonia über jenes Thema schmunzeln, das ihr so unangenehm war. Ein herzzereissender Seufzer entfuhr ihr, als sie scheinbar resigniert mit dem Kopf nickte.
    „Nun gut, ich habe wohl keine andere Wahl.“, erwiderte sie auf den Kompromissvorschlag des Flaviers, den Schmerz der Welt in den Augen, doch das gelöste Grinsen eines Menschen auf den Lippen. „Irgendwann wirst du schon die Waffen strecken, spätestens wenn mir in zwanzig Jahren die Falten das Gesicht verdecken.“
    Mit Grauen sah sie jenem Tag entgegen, den sie mit unzähligen Mittelchen weit hinauszuzögern versuchte. Nachts sah sie zumindest einem Wesen, das dem Sumpf entstiegen war weitaus ähnlicher als einem Menschen. Gewillt dies zu verdrängen erwiderte die das zuprosten und nahm erneut einen Schluck.


    Das ungleich ernstere Thema hatte einen ebensolchen Gesichtsausdruck zur Folge, wenngleich ein wenig Erleichterung durchaus auch in der Claudia zu finden war. Zwar betrübte es sie Aquilius so gequält zu sehen, doch bedeutete es immerhin, dass es nicht an ihr gelegen hatte, dass sie so unglücklich gewesen war. Dass diese Villa einfach dazu prädestiniert war, die Menschen die in ihr lebten zu verschlucken, gefangen zu halten und ihnen die Luft zu rauben. Und doch konnte und wollte man ihr nicht so recht entfliehen.
    „Mit Sicherheit wird es wieder hellere Tage geben.“, pflichtete sie schließlich mit einem Lächeln bei. Auch wenn sie es selbst nicht geglaubt hatte, für sie war es auch wieder bergauf gegangen. Für Aquilius, der für Antonia stets ein besonderer Liebling der Götter gewesen war, musste dies umso mehr zutreffen.
    Als er begann von einer Frau zu erzählen spitzte die Claudia natürlich die Ohren. Es lag in ihrer Natur, in ihrem Blut, solche Dinge in Erfahrung bringen zu wollen und wenn man sie ihr freiwillig erzählte, umso besser. Glücklicherweise für sie und ihre Umwelt hatte das Blut, das in ihren Adern floss, seit den Glanzzeiten ihrer Gens massiv an Intrigengier verloren. Nur die Neugierde war geblieben. Wenigstens in ihrem Fall.
    Interessiert nickte sie also, als einige Details über seine Auserwählte Preis gegeben wurden. Mit zunehmender Wortanzahl begann sich ihre Stirn in Falten zu legen. Dass man einen Mann wie Aquilius derart im Ungewissen ließ war ihr unverständlich.
    „Um jemanden zu haben, den man im Alter für seine grauen Haare verantwortlich machen kann.“, gab sie augenzwinkernd auf seine Frage zurück, wurde aber umgehend wieder ernst. „Ich muss gestehen, ich kann ihr Verhalten nicht recht nachvollziehen. Aber… vielleicht fürchtet sie die Ehe? Glaubt, sie würde in Ketten gelegt und will ein letztes Mal ihre Freiheit genießen?“
    Nicht mehr als Mutmaßungen und Antonia wusste zu gut, dass sie unwahrscheinlich waren. Frei waren Menschen ihres Standes nie, ganz gleich wohin sie reisten. So hob sie ratlos die Schultern. „Frauen.“, seufzte sie und verdrehte die Augen.

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