Ein wenig war es Antonia, als sei sie zurückversetzt in ihre Kindheit, säße einem gestrengen Lehrer gegenüber, der sie auf einen Fehler in einer griechischen Übersetzung hinwies und tadelte. Nun rügte Aquilius sie zwar nicht, doch die Situation war der Claudia nicht minder unangenehm und wäre sie nicht jemand, der seinen Körper nur selten aus der Kontrolle des Geistes entließ, sie hätte begonnen unruhig auf ihrem Sitzplatz umherzurutschen. Einzige Regung war, dass ihre Hand den schmalen Rand des Bechers umfuhr, den sie in der anderen hielt. Sei es, um nicht an der Tunika zu zupfen, sei es, um einen Grund zu haben, dem Flavier nicht ins Angesicht sehen zu müssen.
Nur in einem Punkt konnte sie Aquilius unumwunden zustimmen: Sie hatte nicht das Bedürfnis, sich den ganzen Tag im Spiegel anzusehen. Im Gegenteil, bereits wenige Minuten, die sie mit ihrem stummen Ebenbild verbrachte waren ihr zu viel, schürten den Wunsch, eine andere zu sein. Wenn sie einen Fehler nicht hatte, so war es Eitelkeit. Auch noch auf angebliche Klugheit angesprochen riss sie endlich den Blick los, mehr aus Überraschung denn als wirklich bewusste Handlung vollzogen, was die braunen Augen wieder zum ‚Gastgeber’ brachte. Halb hatte sie schon einen Widerspruch auf den Lippen, ließ ihn jedoch, in Anbetracht eines vermutlich aussichtslosen Kampfes um ihre (nicht-) Vorzüge mit Aquilius, unausgesprochen. Lediglich ein fast schon verzweifelter Gesichtsausdruck verriet, dass sie so gar nicht seiner Meinung war.
„Es scheint dir großen Spaß zu bereiten, mich in Verlegenheit zu bringen.“, seufzte sie schicksalsergeben. „Aber eines Tages werde ich mich dafür rächen, eine Claudia vergisst so etwas nie.“
Jener Versuch, das Gespräch wieder in den humorigen Bereich zu lenken, wurde von einem Zwinkern begleitet, das der Drohung, die ohnehin keine war, den Ernst nehmen sollte.
Seine Beschreibung der Ehe indes deckte sich in weiten Teilen mit ihren Vorstellungen davon, hatte sie sich doch, noch als unverheiratete junge Frau, gleichermaßen niemals der Illusion hingegeben, ihre Ehe würde jemals werden, wie von den Dichtern und in Theaterstücken so gerne dargestellt. So blieb ihr kaum mehr als ein zustimmendes Nicken, bis letztlich eine Frage folgte, die sie vor noch einem Jahr zu einer Lüge gezwungen hätte. Nicht gegenüber Aquilius vielleicht, hatte er doch stets um das gespannte Verhältnis zwischen Antonia und Gracchus gewusst. Doch jedem anderen hätte sie die liebende Ehefrau und freudestrahlende Matrone vorgespielt. Heute war dies nicht mehr nötig. Wie von selbst verzog sich ihr Mund zu einem leichten Lächeln, während sich ihr Kopf zugleich in eine leichte Schräglage begab.
„Ich bin zufrieden, ja.“, antwortete sie. „Es mag sonderbar klingen, aber ich glaube, nie in meinem Leben war ich so glücklich wie in den letzten Tagen. Dieses Kind hat mich gerettet, in jedweder Hinsicht.“
Wie sonst hätte sie die Achtung ihres Gatten gewinnen, wie sonst ihrem Leben einen Sinn geben können? Mit nichts und niemals, dessen war sich Antonia sicher.
„Gewiss, zufrieden mit der Verbindung an sich war ich auch vorher. Manius ist wahrlich keine schlechte Partie gewesen, reduziert man unsere Ehe lediglich auf den politischen Aspekt. Wie du weißt ist meine Familie zwar eine der ältesten, zugleich aber auch eine der unbedeutendsten patrizischen Gentes geworden. Ein Flavier war mehr, als ich damals erhoffen konnte.“