Das Haus von Philolaos, dem Kitharisten

  • “Gna, wenn sie mich lieben würde, wärst du jetzt nicht hier.“
    Er besiegelte es zwar mit dem Handschlag, aber das hieß nicht, dass Philolaos Ánthimos jetzt irgendwie leiden mochte. Penelope hatte er an ihn vielleicht verloren, aber deshalb konnte er ihn dennoch nicht ausstehen.
    “Ich hab für meine Frau damals vier Ziegen bezahlt. Penelope ist mehr wert.“
    Mit diesen Worten ließ er die Hand seines künftigen Schwiegerenkels los und drehte sich von diesem Weg. Zu der Sache mit dem einziehen sagte er nichts. Dazu saß der Schmerz jetzt zu tief.

  • "Du irrst dich, ich bin hier WEIL sie dich liebt. Aber du hast recht, sie ist mehr wert als vier Ziegen. Wenn es dir Recht ist, werde meinen Bruder Thimótheos, unser Familienoberhaupt, vorbeischicken um den Brautpreis auszuhandeln."


    Er atmete tief durch.


    "Mein anderes Angebot bleibt bestehen, du wirst in meinem Haus immer willkommen sein, und zwar als Familienmitglied und nicht als Bittsteller."

  • Er grunzte einmal ziemlich unwirsch als Antwort auf das Angebot. Jetzt würde Philolaos darüber nicht nachdenken, geschweige denn reden.
    “Ja, schick deinen Bruder. Es soll vernünftig verhandelt werden, nicht zwischen Tür und Angel. So schließt man keine Ehe.“


    Philolaos murmelte noch etwas unverständliches vor sich hin, was soviel heißen mochte wie „nichtmal der Älteste“ oder auch etwas anderes, und stand auf, um zur Küchenzeile zu gehen. Er war jetzt fertig mit diesem Menschen, der ihm seine Enkelin geraubt hatte.

  • "Dann soll es so sein. Mögen die Götter mit dir sein Philolaos."


    Mit diesen Worten verließ er den alten Mann. Die Auseinandersetzung hatte ihn doch stärker mitgenommen als er erwartet hätte. Wie sollte er Pelo nur beibringen, dass ihr Großvater sich weigerte bei ihnen zu leben? Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte setzte er sich erst einmal auf die Treppe und atmete durch. Viel länger hätte er seine Selbstbeherrschung nicht mehr aufrecht erhalten können. Seine Beine fingen an zu zittern. Nachdem er dann einige Zeit dort gesessen war, beruhigte er sich wieder. Jetzt war es Zeit mit Penelope zu reden.

  • Am letzten Abend vor der Hochzeit war Penelope wieder zurück in dieses Haus gekommen. Sie war seit Monaten nicht mehr hier gewesen, und daher hatte sie Angst, als sie eintrat. Inhapy hatte sich um Philolaos gekümmert, aber dennoch hatte Penelope riesige Angst. Vor allem das erste Zusammentreffen mit ihrem Großvater hatte ihr furchtbare Angst gemacht.
    Aber als sie dann in die Türe getreten war und sich dem alten Mann zu erkennen gab, war nichts von seiner gewalttätigen Art zu spüren gewesen. Nein, er hatte geweint. Penelope hatte ihren Großvater noch nie weinen sehen, zumindest nicht so. Er hatte sie umarmt und gehalten, er hatte sie vermisst. Gut, dass Inhapy auch da war, denn Penelope wusste gar nicht, wie sie damit umgehen sollte, und wäre allein völlig überfordert gewesen.
    Philolaos sah anders aus. Irgendwie älter. Es waren drei Monate gewesen, aber er sah aus, als wären es drei Jahre gewesen, oder noch mehr. Sie hatte ihren Großvater nie so kraftlos gesehen, so mager und schwach. So… alt. Aber scheinbar war er klar, und das war mehr, als Penelope von früher sagen konnte. Den ganzen Abend hatten sie geredet, lange und viel geredet. Zwar hatten sie tunlichst Themen vermieden, die die Vergangenheit zu sehr berührten, aber sie hatten geredet.


    Eigentlich hätte das Fest in diesem Haus stattfinden müssen. Normalerweise hätte dann der Brautzug von hier aus in das Haus im Brucheion gehen müssen, nachdem das Fest soweit gediegen war. Aber das wollte Penelope auf keinen Fall. Sie wollte ihrem Großvater das nicht antun, dass die Hälfte aller Pyrtanen der Stadt sehen musste, wie er nun lebte. Außerdem zog er ja auch gleich mit wieder in sein altes Haus, und es hatte ihm ja auch einmal gehört. Also war es wohl nicht so schlimm, wenn sie gleich dort auch feierten und der Brautzug eher rituell einfach einmal um den Block ging. Penelope glaubte nicht, dass das irgendwelche negativen Auswirkungen hatte. Musste ja nicht jeder wissen, wie sie die letzten Jahre gelebt hatte, ehe sie Anthi getroffen hatte.
    Ànthimos… wie sie so am Morgen dastand und sich vorstellte, ihn gleich zu heiraten, wurde ihr ganz schummerig. Sie hatte nicht wirklich Angst, sie freute sich wahnsinnig. Aber vor den ganzen Gästen, vor dem fest und dem ganzen drumherum, davor hatte Penelope ganz gehörig Angst.
    Inhapy hatte sie noch am Vorabend in ein Bad aus Eselsmilch gesteckt. Damit sie heute besonders schön sei, hatte sie gemeint. Penelope hatte versucht, ihr zu erklären, dass sie heute auch noch mal ein rituelles Bad nehmen würde, aber davon ließ die Ägypterin sich nicht abhalten. Sie murmelte dabei beständig irgendwas vor sich her, und Penelope hatte einfach aufgegeben, sich zu widersetzen und ließ es über sich ergehen.
    Und nun stand sie da, am nächsten Tag, in einem neuen Chiton, in ihrem Zimmer, und war schon ganz nervös. Hatte sie auch nichts vergessen? War ihre Kleidung denn einer Braut angemessen? Sie hatte einen reinweißen Chiton an, der mit roten Fäden abgesetzt war. Ein Blumenmuster, das sich am Hals und an ihren Seiten hinab nach unten schlängelte, war das aufwendigste daran. Sie hoffte, es war gut genug. Sie hatte gehört, Römerinnen webten sich dafür eigens eine eigene Tunika. Ihre Haare hatte Inhapy hochgesteckt, sie selbst hatte dafür zu zittrige Finger gehabt. Die Frisur sah so ungewohnt aus, wenn sie sich im Wasser ihrer Waschschüssel so betrachtete. Sonst flocht sie ihre Haare nicht so kunstvoll.
    “Oh, ihr Götter, lasst mich diesen Tag heute nur gut überstehen“, betete sie still vor sich hin. Unten wartete schon ihr Großvater mit Inhapy, ihrem Mann und den Kindern, dass sie herunterkäme. Aber noch war sie nicht ganz soweit.

  • Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Penelope schließlich herunter kam. Ihre engste Freundin und ihr Großvater hatten sich richtig herausgeputzt. Inhapy trug sogar eine Perücke, was sie sonst eigentlich nie tat. Sogar eine richtig kostbare mit Perlen aus Türkis darin. Sicher hatte sie sich die extra hierfür geliehen, denn leisten konnte sie sich die sicher nicht.
    Penelope schritt die schmale Treppe herunter und stellte sich nervös vor die beiden hin.
    “Du bist wunderschön“, sagte Philolaos plötzlich.
    Ganz unvorbereitet auf diese Worte wurde Penelope ganz verlegen und schaute verwirrt. “Siehst du mich?“ Er war schon so lange blind, eigentlich dürfte er doch gar nicht wissen, wie sie ausschaute?
    Philolaos lächelte nur kurz. “Für manche Dinge braucht man keine Augen.“ Und dann wurde er wieder gewohnt etwas ruppiger und nicht mehr so rührselig. “Können wir dann los? Du hast ja ewig gebraucht, wenn wir noch lange warten, essen die ohne uns. Und eigentlich gebe ich ja das Essen, da sollte ich da sein.“
    Penelope tauschte einen kurzen Blick mit Inhapy, sagte aber dazu nichts weiter. Natürlich wäre es gegen den Stolz ihres Großvaters gegangen, wenn er nicht als Brautvater – oder Brautgroßvater – seine Enkelin anständig verheiratete, wie es sich gehörte. Dazu zählte eben auch, dass er das Essen zahlte. Auch wenn das hier nicht so wirklich stimmte, denn Anthi und Penelope hatten dafür zusammengelegt. Aber das musste ja kein Mensch jemals erfahren. Auch nicht ihr Großvater.
    “Ja, wir können los. Ich bin soweit. Inhapy, der Wagen…?“
    “Ist alles geregelt. Hay und Bay bringen ihn in gebührendem Abstand hinter uns her, damit es nicht so sehr nach Brautzug ausschaut. Er wird dann vor dem Haus stehen, wenn der richtige Brautzug losgeht. Keine Sorge, Pelo. Wir müssen nur noch hingehen, alles andere ist geregelt.“
    Penelope überlegte, ob sie denn auch wirklich los konnten. Ihr war so, als hätten sie etwas Wichtiges vergessen. Sie konnte noch nicht losgehen, da fehlte doch bestimmt noch etwas? Jetzt loszugehen erschien ihr irgendwie so übereilt und verfrüht. Bestimmt waren die Gäste noch nicht einmal da, oder Anthi noch nicht fertig, oder… irgendwas war bestimmt.
    “Hmm. Also, fehlt auch wirklich nichts? Ich meine, wenn wir was vergessen, dann…“
    “Jetzt zier dich nicht so, wir gehen zu deiner Hochzeit, nicht zu deiner Hinrichtung. Also mach schon, ich hab Hunger.“
    Penelope nahm noch das rote Himation von Inhapy entgegen, das sie heute als Schleier tragen würde. Die Farbe war ihr eigentlich egal, aber Römerinnen trugen zu ihren Hochzeiten eine rote Palla, hatte sie sich sagen lassen. Da fand sie, das war eine kleine Geste in Richtung der römischen Gäste, damit sie auch gleich die Braut erkannten. Immerhin kannte sie viele von Anthis römischen Freunden gar nicht. Und das Himation würde sie ohnehin eigentlich nur jetzt auf dem Weg und beim Brautzug tragen, so wichtig war ihr da die Farbe nicht. Und es passte auch zum Kleid.
    Bevor ihr Großvater also noch gänzlich unleidlich wurde, machte sie sich mit ihm auf dem Weg zu ihrem neuen und alten Zuhause.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!