Ànthimos' Training

  • Er freute sich über die Antwort von Marcus Achilleos. Er schien ein weiser und freundlicher Mann zu sein. Viele andere Menschen reagierten auf eine Ablehnung generell mit Aggression oder Wut. Er hingegen offenbar nicht.


    "Fünfzehn Jahre? Da hatte ich wohl gerade das erste mal einen Diskus in der Hand." Meinte er schmunzelnd. "Ja, ich bin ein guter Speer-und Diskusswerfer. Das sind meine besten Disziplinen im Pentatlon und wenn du möchtest, können wir das gerne zusammen trainieren. Ich zeig dir auch wie es geht. Das wirst du sicher schnell wieder lernen."

  • "Hoffentlich. Ich habe zwar viele Sitten der Inder und Serer angenommen, aber meine attischen Wurzeln habe ich niemals ganz vergessen. Diese Wurzeln müssen mal wieder etwas gestärkt werden. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne mit dem Diskus beginnen. Als Jugendlicher war ich darin mal ziemlich gut."


    Ich sah Ánthimos erwartungsvoll an.

  • "Serer, sind das nicht diese dunkelhäutigen Barbaren aus dem Süden?" Fragte er interessiert.


    Ànthimos holte einen Diskus. Die Bronzescheibe wog einiges und es war nicht einfach sie über eine längere Stracke zu schleudern.


    "Du wirst ja sicher noch wissen, wie man einen Diskus festhält." Er griff das entgegengesetzte Ende der Scheibe, so dass sein rechter Unterarm einen Teil des Diskus verdeckte und schwnag seinen Arm zwei drei mal hin und her. "Eigentlich ist es ganz einfach. Du stellst dich mit dem Rücken in die Richtung in die du werfen möchtest. Dann beugst du ein wenig deine Knie und setzt dein linkes Bein ein wenig nach hinten. Gleichzeitig streckst du deinen rechten Arm nach hinten." Er zeigte ihm jede Position einzeln. "Ich lege dann immer noch meinen linken Arm an mein rechtes Knie, weil ich mir einbilde damit besser Schwung holen zu können. Anschließend macht du eine halbe Drehung und schleuderst den Diskus." Er machte ihm langsam die Bewegung vor. "Na, kommt dir das nicht bekannt vor?"

  • "Also, die Serer, die ich meine, leben weit im Osten und nennen sich selbst Han, auch wenn sie offiziell Ch'in heißen. Sie haben mandelförmige Augen und, das finde ich besonders lustig, können das Wort "Serer" nicht aussprechen. Da kommt dann so was wie "Selel" raus. Ich schmunzelte. Aber die Römer nennen sie Serer, weil da die Seide herkommt. Wenn es weit im Süden auch ein Volk dieses Namens gibt, werde ich wohl mal dahin reisen müssen. Schon allein, um mal den Süden gesehen zu haben."


    Ich sah mir Ánthimos's Bewegungen genau an. Ja, bekannt sah das aus. Ich nahm mir also eine Diskus und nahm ihn, so wie es mir gerede gezeigt wurde, und schwang den rechten Arm zweimal. Dann schüttelte ich kurz den Kopf. "So geht das nicht."


    Ich legte den Diskus beiseite und zog das Hemd aus und nahm den Diskus erneut. So ging es besser. Ich machte langsam alle Bewegungen nach, nur dass ich nicht den linken Arm ans rechte Knie legte. Statt dessen hielt ich den linken Arm parallel zum Diskus unter dem rechten Unterarm und bewegte ihn dann nach einer Vierteldrehung in Wurfrichtung, um extra Schwung zu holen. Ja, genau, das war der Wurfstil, den ich damals hatte.


    "Ich glaube, ich hab's."

  • Als Marcus sich seines Hemdes entledigte sah Ànthimos, dass sein "Schüler" zwar durchaus Muskeln hatte, aber eher drahtig als muskulös war.


    "Ich habe schon viele gesehen, die diesen Wurfstil pflegen. Das ist sicher nicht verkehrt. Wahrscheinlich geht es damit genauso gut wie mit meinem, aber durch das jahrelange Training bin ich natürlich auf meinen Stil fixiert."


    Er freute sich, dass Marcus offenbar so schnell wieder hineingefunden hatte. Nun war er aber gespannt, wie er sich machen würde.


    "Nun gut, dann versuch es doch einfach mal. Ich werde mir Deinen Bewegungsablauf genau anschauen. Aber pass auf, dass du nicht zu früh oder zu spät loslässt."

  • "Dann schauen wir doch mal, ob heute gutes Flugwetter für den Diskus ist," sagte ich grinsend.


    Ich nahm Schwung und schleuderte den Diskus weg. Ich ließ etwas zu spät los, so dass der Diskus leicht nach links flog. Außerdem hatte sich mein Wurfarm durch den Schwung zu weit nach oben bewegt, so dass die Scheibe ziemlich steil nach oben flog, was aber auf Kosten der Reichweite ging.


    "Geflogen ist er zwar, aber nicht gut. Dass er nach links ging, lag daran, dass ich zu spät losgelassen habe. Aber warum war der so steil?"

  • "Das lag daran, dass du dein Hangelenk nicht stabil gehalten hast. Durch den Schwung hast du es hochgerissen." Er zeigte ihm mit einer Handbewegung was er meinte. "Es ist schwer den richtigen Winkel zu finden, damit der Diskus die optimale Reichweite ausnutzt. Indem man die Hand richtig hält, lassen sich einige Meter herausholen."
    Anthi lief los Richtung Diskus und holte ihn. Als er wieder zurückkam meinte er: "So, jetzt will ich es mal versuchen." Er konzentrierte sich und ging in Stellung. Diese behielt er einige Sekunden um sich zu konzentrieren und seine Atmung auf seine Bewegung abzustimmen. Dann schnellte er er herum und lief den Diskus nach einer halben Drehung von der Hand schnellen. Auch er verzog ein wenig nach links, hatte aber eine gute Handstellung behalten. Es war ein guter Wurf, aber bei weitem noch nicht das beste was er konnte. Man konnte es getrost als lockeren "Übungswurf" abtun, allerdings schlug er Marcus' Wurf schon um einige Meter.

  • Ich lief los und holte den Diskus. nachdem ich wieder zurück gekommen war, versuchte ich einen weiteren Wurf. Ich war so sehr darauf konzentriert, mein Handgelenk stabil zu halten, dass ich mich deutlich zu weit drehte. Den Diskus konnte ich nur noch aufhalten, indem ich meine linke Hand davor hielt.


    "Lass mich nochmal probieren," sagte ich nachdenklich und nahm wieder Aufstellung. Diesmal konzentrierte ich mich erst ein paar Sekunden bevor ich den Diskus warf. Er war zwar noch immer leicht nach links verrissen, aber dafür flog er recht flach. Natürlich holte ihn die Schwerkraft damit nach unten, bevo er die maximale Reichweite hatte.


    "Der war jetzt zu tief. Also einen leichten Bogen nach oben brauche ich schon. Vielleicht sollte ich Museion mal nachfragen, ob man den perfekten Winkel nicht errechnen kann."

  • Das Diskuswerfen schien ihm Spaß zu machen. Gut so, dachte Ànthimos.
    "Berechnen? Ach quatsch, das musst du ihm Gefühl haben. Es nützt dir ja nichts sowas zu berechnen und dann kannst du es nicht umsetzen. Dafür braucht es aber jahrelange Übung, sonst könnte es ja jeder."


    Außerdem brauchte man die Technik und die Kraft. Nur mit beidem hatte man bei den Olympischen Spielen eine Chance. Er holte den Diskus. "Manche mögen denken, es ist leicht einen Diskus zu schleudern, aber es bedarf Technik, Kraft und Körpergefühl. Aber dafür, dass du diesen Sport schon so lange nicht mehr gemacht hast, sieht das Ganze schon richtig gut aus."

  • Ich nickte zustimmend.


    "Ich denke, dass man das über so ziemlich jeden Sport mit Gegenständen sagen kann. Wird beim Speerwurf und Bogenschießen auch nicht anders sein. Also beim Bogenschießen ganz sicher nicht, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber gut, dein Wurf. Jetzt will ich mal einen Olympia-reifen Wurf sehen."


    Ich grinste herausfordernd.

  • Anthi lachte.


    "Ich bin ein wenige außer Form, weil ich fast zwei Monate nicht trainiert habe. Also wird es wohl noch ein Weilchen dauern, bis ich dir einen meiner besten Würfe zeigen kann. Aber ich versuch mal einen ordentlichen Wurf zu fabrizieren."


    Anthi konzentrierte sich, ging in Stellung, spannte seine Muskeln an, drehte sich und warf. Ein lautes "Aaaaaaaah!" entsprang seiner Kehle. Dieses Mal flog der Diskus gerade weg, und auch wenn der Wurf etwas zu niedrig war, schlug er seinen ersten Wurf doch sehr deutlich.


    "Das war schon besser, auch wenn ich dieses Mal nicht die perfekte Höhe hatte. Trotzdem denke ich, würde dieser Wurf reichen um sich zumindest für die Spiele zu qualifizieren."

  • Der Diskus flog und flog... Was für ein Wurf! Ich klatschte. :app:


    "Also wenn es nach mir ginge, würdest du dich damit auf jeden Fall qualifizieren! Und du bist dir sicher, dass du zwei Monate nicht mehr trainiert hast? Also, da mache mir keine Gedanken, dass du in vier Jahren den Zweig holen wirst. Du bist wirklich gut."


    Respekt und Anerkennung schwangen in meiner Stimme deutlich mit.

  • "Danke, du bist zu freundlich. Aber einen Zweig zu holen wird schwer. Es wäre eine Ehre an den Spielen teilnehmen zu dürfen. Von einem Zweig wage ich gar nicht zu träumen." Anthi freute sich über die Anerkennung, vor allem von einem solch weitgreisten Mann. "Außerdem ist des Diskuswurf ja nur eine Disziplin im Pentathlon. Da macht mir der Stadionlauf und Halma noch deutlich größeres Kopfzerbrechen, denn dort haben die weniger muskulösen und leichteren Athleten ihre Vorteile."

  • "Also, wenn wir davon ausgehen, dass du ein ziemlich guter Ringer bist, dann wären ja schon zwei Disziplinen zusammen. In allen fünf Disziplinen beim Pentathlon hat sowieso noch niemand gewonnen."


    Ich grinste und ging den Diskus holen. Als ich dann wieder zurück gekommen war, nahm ich Wurfaufstellung und probierte es erneut. Diesmal hatte ich den Diskus wirklich gut losgelassen. Erneut mit leichter Abweichung nach links, aber ich kam immerhin an etwa zwei Drittel von Ánthimos's Länge heran. Damit war ich ganz zufrieden.


    "Reicht zwar nicht für Olympia, aber in Indien würde ich damit problemlos gegen jeden gewinnen. Naja, wäre auch unfair, weil die keinen Diskus kennen," meinte ich grinsend. Ja, Diskuswerfen machte mir Spaß. Ich hatte es schon immer gemocht und erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich es vermisst hatte.

  • Und ein guter Speerwerfer war er ebenfalls. Trotzdem, das waren die anderen sicher auch, und Anthi bildete sich nichts darauf ein.


    "Alle fünf hätte wohl auch nur Herakles gewonnen." Meinte er ebenfalls grinsend.


    Der nächste Versuch von Marcus war deutlich besser als der vorherige.


    "Also, das war doch schon einmal richtig gut. Damit dürftest du wirklich fast alle schlagen, die das nicht fast jeden Tag machen und auf Wettkämpfe gehen. Wie sieht eigentlich so ein Inder aus? Ich habe gehört, sie würden einem normalen Mann nur bis zur Brust gehen und hätten eine Hautfarbe wie Bronze."

  • "Danke sehr," bedankte ich mich für das Lob.


    "Da hast du durchaus etwas Richtiges über Inder gehört. Wobei es auch durchaus einige gibt, die größer sind. Fast alle haben dunkle Augen und pechschwarze Haare. Die Kleidung der Inder erinnert einen irgendwie an die der Ägypter. Und die Frauen... da gibt es schon einige sehr sehr hübsche Frauen. Allerdings habe ich die meiste Zeit dort der Meditation und dem Studium gewidmet und habe enthaltsam gelebt."

  • Er freute sich, dass das was er gehört hatte wohl offensichtlich stimmte. "Wieso hast du dort enthaltsam gelebt, wenn es dort so viele hübsche Frauen gibt? Hast du irgendetwas angestellt, für das du dich selber bestrafen wolltest?"


    Das war eine durchaus logische Schlussfolgerung, kam das Wort Meditation doch aus dem Latein und bedeutete so viel wie "nachdenken". Vielleicht hatte er etwas angestellt und wollte über seine Taten nachdenken und mit sich selber ins reine kommen. Wenn er da an sich und Penelope dachte schien ihm der Gedanke an Enthaltsamkeit wirklich wie eine sehr sehr schlimme Strafe.


    "Was hast du denn dort studiert, außer dieser Kampftechnik?

  • Bei der Frage, ob ich was angestellt hatte, grinste ich - obwohl er damit zumindest zum Teil durchaus recht hatte.


    "Ich habe bei Mönchen gelebt, die nach Erkenntnis und innerem Frieden streben. Und auch ich strebe seitdem nach meinem inneren Frieden."


    Ich lächelte freundlich.


    "Was ich studiert habe? Staatsphilosophie, Gesetze, Kriegskunst und ganz allgemein Philosophie. Es hängt alles zusammen. Allerdings habe ich das alles nicht in Indien, sondern noch weiter weg studiert. In Indien habe ich die Lehre, der die Mönche dort folgen, studiert. Diese Lehre besagt, dass Leben Leiden ist. So lange, bis man die Ursachen des Leidens erkannt hat, diese Erkenntnis akzeptiert und diese Ursachen beseitigt hat. Ich bin momentan so weit, dass ich erkannt und akzeptiert habe. Und das hat mich schon viel Meditation und Erfahrung gekostet."

  • Noch weiter weg? Anthi dachte immer nach Indien wäre die Welt langsam mal zu Ende...was sollte denn da noch kommen? Und die Lehre von der er da redete klang nicht besonders aufmunternd.
    Allerdings traf sie auch irgendwie auf seine Lebensgeschichte zu: Sie hatten damals den Priester des Ptah als die Ursache ihres Leides erkannt und sie hatten ihn beseitigt. Seit dem ging es Anthi und seinen Brüdern wieder deutlich besser...wenn da nicht diese verfluchten Albträume wären! Aber eine Lehre die auf reiner Vergeltung aufbaute hörte sich sehr brutal und barbarisch an. Aber warum sollte man dafür meditieren und Erfahrungen sammeln?


    "Das scheint mir aber sehr barbarisch zu sein. Man kann doch nicht jedem der einem mal ein Leid angetan hat beseitigen! Wo kommen wir denn da hin?"

  • Einen Moment lang war ich perplex.


    "Äh... was? Nein, ganz sicher nicht! Die Ursachen des Leidens liegen in jedem selbst. Es sind sogar nur drei. Begehren, Ablehnung und Unkenntnis. Wenn man die Menschen annimmt, wie sie sind, und auch die Natur und alles um einen herum, dann ist die Ablehnung überwunden. Wenn man nichts begehrt, dann ist das auch überwunden. Und wenn man sich all dessen bewusst ist und einen Weg findet, beides zu erreichen, dann ist die Unkenntnis überwunden. Hört sich alles ganz einfach an, ist es aber nicht. Mitgefühl mit allen Lebewesen ist eine wichtige Eigenschaft, die Vermeidung des Tötens ist eine andere. Ich denke aber, dass man auch andere Blickwinkel bedenken muss.
    Jenseits von Indien habe ich gelernt, dass Harmonie am wichtigsten ist. Der Staat funktioniert am besten, wenn er auf Harmonie aufgebaut ist. Die Harmonie von Himmel und Erde ist auch wichtig. Dort habe ich aber auch gelernt, dass man Harmonie manchmal erzwingen muss. Manchmal ist es nötig, die Harmonie kurzfristig zu stören, zum Beispiel durch einen Krieg, um eine höhere Harmonie zu erreichen.
    Ich denke, wenn man beide Lehren verknüpft, dann erst erhält man die vollständige Erkenntnis und kann so handeln, dass man Gutes tut."

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