Das Pergamenthörnchen auf der Pirsch

  • Allmählich hatte die sommerliche Hitze Rom aus ihren Klauen entlassen, die Luft stand nicht mehr zwischen den Hügeln, sondern wurde ab und an durch einen frischen Luftzug bewegt, welcher die nahenden Boten des Herbstes mit sich trug. Die Sonne senkte ihr Antlitz immer früher hinter die großen Bauwerke herab, und der Tiber füllte sich wieder mit dem klaren Regenwasser aus den Hügeln, war nicht mehr länger nur Schatten seiner selbst. Von alldem nahm der Sklave Sciurus nur Notiz am Rande, denn die Jahreszeiten tangierten ihn nur insoweit, dass die Temperatur des Wassers in der Waschschüssel seines Herrn mit ihnen von lauwarm zu kochend heiß variierte, und wenn selbst die Hypokausthenheizung im Winter dessen Cubiculum nicht genügend wärmte, musste der Sklave am Abend für einen heißen Ziegel in Gracchus' Bett Sorge tragen, manches mal auch auch selbst als Bettwärmer herhalten. Auch jener Trakt der Villa Flavia, in welchem die Sklaven hausten, blieb von den Jahreszeiten unbeeindruckt - es gab keine Blumen, welche er- oder verblühten, ihre Köpfe nach der Sonne reckten, es gab keine Heizung unter dem Boden, und viele Sklaven schwitzten im Sommer ebenso wie im Winter.


    Sciurus trat einen langen, eintönigen Gang entlang, zu dessen Seiten nur einfache, hölzerne Türen die Tristesse durchbrachen, bis er vor dem Gemeinschaftsraum der Sklavenschaft stand. Ein Junge und eine alte Waschsklavin saßen an einem der langen Tische und löffelten einen dünnen Getreidebrei aus hölzernen Schüsseln. Die Köchin saß ihnen gegenüber, lachte im einen Moment noch heißer, verstummte jedoch sogleich, als sie Sciurus in der Türe stehend bemerkte. Sie murmelte etwas, das wie "'s Brot wird schwarz' klang, stand hastig auf und verließ den Raum durch den Durchgang zur Küche hin.
    "Du", Sciurus bedachte den Jungen am Tisch mit einem Kopfnicken. Er wusste seinen Namen genau, er kannte alle Sklaven der Villa mit Namen, von den meisten sogar den ursprünglichen Namen, so sie einen besaßen, doch er machte sich selten die Mühe, sie zu nennen, denn Namen waren ohnehin bedeutungslos für Sklaven. "Geh' und suche Dido und Asny. Sage ihnen, sie sollen hierher kommen." Dass sie sich beeilen sollten, erwähnte Sciurus nicht, denn es war dies ein ungeschriebenes Gesetz in diesem Haus. Der Junge ließ den Löffel hastig fallen und stand auf, noch ehe er den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte, um geduckt an Sciurus vorbei aus dem Raum zu eilen. Der Vilicus lehnte sich an den Türrahmen, Gang und Raum im Blick, und taxierte die Alte, welche langsam ihren Brei löffelte, nicht aufsah und kein Wort sprach.

  • Aufgequollen und rot waren Didos Hände, die immer wieder mit einem großen, weißen Leinentuch in einen Zuber hinein tauchte, ab und an stocherte sie mit einem hölzernen Stab nach und nahm eine Bürste auf Schweineborsten, um die groben Flecken zu entfernen. Waren die erst mal weg, würde das Leinen in einen großen, gußeisernen Topf kommen und dort kochen, bis das Tuch wieder strahlend weiß war. Dido hatte ihre Sonderstellung schon vor Wochen verloren, vor Monaten. Seitdem sie keine Leibsklavin mehr war. Zudem war sie kein Kind mehr in den Augen der Sklavenschaft, sie hatte das vierzehnte Lebensjahr erreicht und mußte nun arbeiten wie jeder andere Sklave, jeder normale Sklave im Haushalt. Mit verkniffenem Mund hob sie den Stoff und wrang ihn aus, um die Bürste hoch und runter zu schrubben. Dido führte ihre Hand zur Stirn, um mit den Handrücken einige Strähnen weg zu streichen, die in ihr Gesicht hingen. Diese blieben feucht an ihren Schläfen kleben. Schon den ganzen Morgen war Dido damit beschäftigt und sie war es Leid. Doch sie würde erst hier wegkommen, wenn der Haufen neben ihr auch fertig war. Dido sah erst auf, als sie ihren Namen das zweite Mal genannt hörte. Das nasse Stück Stoff in den Händen starrte sie den Sklavenjungen feindselig an. Sie mochte die anderen Sklaven nicht und diese mochten auch Dido nicht. Darum wurde Dido gleichermaßen drangsaliert, wie sie selber auch austeilte. "Er will Dich sprechen! In der Küche." Sie wussten alle im Haus, wer damit gemeint war.


    Der Stoff sank in das Wasser. Kleine Luftblasen stiegen auf als er in dem Bottich versank. Der Saum ihrer Sklaventunika war nass und klebt an ihrem Bein als sich Dido erhob. Stumm und kalt den Sklavenjungen anschauend, trat sie an diesem vorbei und ging in den Gang hinein. Erst als sie an dem Sklaven vorbei war, schwand die kalte Miene. Besorgnis und Neugier traten an ihre Stelle. Was Sciurus wohl will? Hoffentlich hatte sie nichts falsch gemacht! Hoffentlich ihn nicht enttäuscht. Schließlich war Sciurus ihr Vorbild und ihr Idol. Wenn sie nur einen Funken von ihm hätte und vielleicht auch so werden könnte eines Tages. Während sie den Gang entlang lief, strich sie sich ihre blonden Strähnen zurück und band den Knoten von ihrem Haarband neu. Sie wollte nicht so abgekämpft erscheinen, wie sie es eben war nach diesem Vormittag. Wie macht er das bloss? Das war ein Gedanke von Dido als sie Sciurus erblickte. Gleichzeitig wirkt er vollkommen entspannt und lässig, behält aber immer noch das raubtierhafte an sich. Dido beschloss, dass sie das auch üben musste. So an dem Türrahmen lehnen. "Salve.", grüsste Dido respektvollen Tons. "Du hast mich gerufen." Keine Frage. Wenn Sciurus sie rief, war das so und kein Sklave würde sich ein Scherz mit ihr Erlauben. Dido sah Sciurus an und wartete.

  • Ein unscheinbares Nicken bewegte den Kopf des Sklaven, doch blieb er stumm und schaute weiter über Dido hinweg in den Gang. Es dauerte einige Augenblicke, dann kehrte der Sklavenjunge statt Asny zurück. "Asny ist nicht in der Villa, sie ist mit einer Magd unterwegs."
    Der eisige Blick Sciurus' durchbohrte den Jungen, dass er erschauderte und sich wünschte, im Erdboden zu versinken. Asny gehörte nicht direkt in seine Befugnis, dennoch schätzte Sciurus es nicht, wenn Dinge in diesem Haus vorgingen, von denen er nicht unterrichtet worden war. Er würde den Namen der Magd herausfinden und ihr später einen Besuch abstatten. Nun jedoch warteten andere Aufgaben. Mit einem Wink schickte er den Sklavenjungen hinfort, der nichts lieber tat als die Beine in die Hand zu nehmen und in den Eingeweiden der Villa zu verschwinden.


    "Dann werden nur wir beide gehen." Sciurus taxierte das blonde Mädchen vor sich, das allmählich zu einer jungen Frau heranreifte. Dennoch hatte sie sich ihre kindliche Agilität bewahrt, gleichsam glich ihr Blick in der letzten Zeit stets dem eines streunenden Hundes - treuherzig und als könne sie keiner Fliege etwas zu Leide tun, doch immer lauernd vor Tritten und geworfenen Gegenständen. Es war der Blick einer jungen Sklavin, welche zeitlebens vom Wohlwollen des Herrn abhängig gewesen war, welche früh gelernt hatte, ihren Herrn zu Dingen zu bewegen, ohne dass dieser sich immer dessen bewusst gewesen war, die gleichsam wenig Drang nach Freiheit verspürte, da sie unter den Sklaven stets wie die Made im Speck gelebt hatte - die nun ihren Herrn in weiter Ferne wusste und mit einem Mal alle Privilegien zu verlieren schien. Es war nicht, dass Sciurus Mitleid mit Dido gehabt hätte, Mitleid gehörte nicht zu jenen Empfindungen, welche in Sciurus vorhanden waren, doch er mochte es nicht, wenn Talent vergeudet wurde. Er wusste, dass Dido Talent hatte.
    "Du wirst mich in die Stadt begleiten. Wir werden Pergament kaufen."


    Didos Kleidung entsprach dem häuslichen Standard, und da sie nicht übermäßig verschmutzt war, genügte sie vollauf, selbst für Sklaven aus flavischem Hause, um sich auch bei den besseren Pergamenthändlern sehen zu lassen. Sciurus selbst trug eine beigefarbene Tunika, jedoch mit einer einfarbigen, dunklen Borte gesäumt, dazu gute Ledersandalen, wie auch Bürger sie trugen, und nichts an ihm wies darauf hin, dass er ein Sklave war. Er trat ohne ein weiteres Wort an Dido vorbei, den Gang entlang, in der Gewissheit, dass sie ihm folgen würde.

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    VILICUS - MANIUS FLAVIUS GRACCHUS

    Einmal editiert, zuletzt von Sciurus ()

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