Atrium | veni, vedi, quaesivi - CFA et MAC

  • Der Junge führte den Sklaven samt seinem Herrn ins Atrium. Versorgte den Besucher dort mit einer Erfrischung und verschwand darauf wieder um dem dominus Aquilius davon in Kenntnis zu setzen, daß er im Atrium erwartet wurde.

  • Der Namenlose folgte mir wie ein Schatten und hielt sich im atrium ebenfalls dezent im Hintergrund. Ich hatte das Interieur der villa Flavia schon so oft gesehen, dass ich ihm kaum mehr Bewunderung zollte, sondern vieles als selbstverständlich hinnahm. Die gepflegten Seerosen im impluvium beispielsweise, oder die Wachsmasken und Ahnenskulpturen, die wohl in jedem römischen Haushalt einen präsentablen Platz erhielten.


    Ich nahm einen Becher mit verdünntem Wein von dem Jungen entgegen und wartete ein wenig angespannt. Meinen Freund hatte ich schon länger nicht mehr gesehen, und es wäre wohl allein deshalb ratsam gewesen, mir für den Rest des Tages nichts weiter vorzunehmen, doch erwartete ich später am Tag einen Besucher zur cena. Doch noch war es lange hin, bis ich an den Heimweg denken sollte, den ich dann - hoffentlich - mit guten Neuigkeiten antreten würde. Der inneren Unruhe nachgebend, blieb ich stehen, nachdenklich und gleichsam erwartungsvoll, und lauschte auf das Geräusch von sich nähernden Schritten.

  • Als mir einer unser Haussklaven den Besuch gemeldet hatte, war ich beschäftigt gewesen - es war zwar kein Tempel-Tag, sondern einer, an dem ich im Haus verblieb, doch stapelte sich auf meinem Schreibtisch diverses Papierzeug an Verwaltungskram, und den abzuarbeiten würde mich sicherlich noch einige Morgen kosten. Einerseits freute ich mich über die willkommene Gelegenheit, das Schreibzeug liegen zu lassen, andererseits wusste ich, dass es auf mich warten würde, bis ich zurückkehrte und es erledigen würde, was mich ein bisschen weniger freudig in Richtung meines Besuchers gehen ließ - aber mit derlei Plagen musste man sich wohl in einer gewissen Zeit abfinden lernen. Zudem, ich war mir recht sicher, welches Anliegen meinen Freund zur villa Flavia geführt hatte, der hausinterne Klatsch hatte mir ausführlichste Neuigkeiten zu seinem Besuch bei meiner Nichte unterbreitet, und ihre Worte von einst, als wir uns im Garten miteinander unterhalten hatten, waren mir noch heute gut im Gedächtnis. So mochte Corvinus alsbald meine Schritte vernehmen, während ich den Gang in Richtung des atriums voran schritt, um ihn zu begrüßen - und da saß er schon, etwas gedankensinnig wohl, aber doch äußerlich zumindest fast der Alte (wenn man sich die Senatorenehrenzeichen wegdachte, dann ganz der Alte).


    "Salve, Corvinus," begrüßte ich ihn und trat auf ihn zu, ein leichtes Lächeln aufsetzend - dass mich sein Verhalten in der causa Celerina bisher nicht erfreut hatte, war eine andere Sache, und darüber konnte man sich sicherlich zivil einigen. Letztendlich war sie noch jung genug, um ihren Gefühlen ohne nachzudenken zu folgen, und er wohl das erste Mal ernsthaft an einer Frau außerhalb seiner Familie interessiert (die genaue Geschichte mit seiner Nicht-und-doch-Schwester hatte ich bis heute nicht ganz verstanden). "Was führt Dich denn zu mir, den Senator in unser bescheidenes Heim, garniert mit Kindergebrüll und stinkenden Windeln?" Klein-Gracchus' Stinkbomben hatte ich einmal zu oft gerochen, wenn die Sklavinnen diese Produkte seines Darms zu entsorgen versuchten, und irgendwie fürchtete ich mich vor den Gerüchen, die Bridhes und mein Kind wohl verlassen würden.

  • Stehend hatte ich den stark verdünnten Wein genossen, diesen Tribut hatte ich meinem Unbehagen ob der Situation wegen zollen müssen, doch stellte den Becher auf einen bereitstehenden Tisch, als Aquilius schließlich kam. Er mochte es nicht einmal beabsichtigt haben, doch fiel mir sehr wohl auf, dass er die vertrauliche Anrede erneut nicht nutzte. Schon bei unserem Treffen auf der Hochzeit war es mir aufgefallen, andererseits hatte es durchaus verständlich angemutet, dass er in Gegenwart so vieler nicht allzu persönlich hatte werden wollen. Hier aber und heute, erstaunte mich dieses Gebaren, und zuallererst hob ich eine Braue, die dies kenntlich machte, um hernach gleichsam etwas steif zu antworten. Kein guter Einstieg, fand ich. "Aquilius", erwiderte ich die Begrüßung und ein ebenso getrübtes Lächeln. Es fühlte sich falsch an, sogleich zur Sache zu kommen, doch war seine Frage in dieser Hinsicht eindeutig. Ein wenig ratlos ob des - wie ich ihn empfand - eisigen Empfangs, überlegte ich, wie ich nun am besten vorging. "Nun, deswegen bin ich zwar nicht vordringlich gekommen, aber ich wollte mich in jedem Falle erkundigen, wie es meinem Freund so geht", erwiderte ich und grübelte gleichsam darüber nach, welche Laus ihm wohl über die Leber gelaufen sein mochte. Das ohnehin nur marginale Lächeln wäre mir wohl endgültig vergangen, wenn ich auch nur im Ansatz geahnt hätte, was er dachte.

  • "Komm, setzen wir uns erst einmal, Du hast sicher heute schon einige Wege hinter Dir und ich bin froh, wenn ich mal keine längere Zeit stehen muss," sagte ich, bevor ich seine Frage beantworten wollte und nahm auf einer der gepolsterten Sitzbänke platz, die genau für eben jenen Zweck im atrium zu finden waren. Erst, als er ebenso saß, lehnte ich mich zurück, streckte die Beine etwas aus und blickte ihn an, den Kopf etwas schief legend, und betrachtete ihn genauer. Die Zeit, in der ich ihm hatte recht gut ansehen können, was in ihm vorging, schien ein für alle Mal vorüber, aber dies lag auch schon eine halbe Ewigkeit zurück. Heute war er das vielbeschäftigte Oberhaupt seiner Familie und ich schwankte zwischen meinen Pflichten im Tempel und einem möglichen weiteren Aufstieg hin und her - was die Karriere anging, hatte er mich zweifelsohne spätestens bei seiner Erhebung in den Senat überholt, aber das war auch nichts, worum ich ihn beneidet hätte; diese Ernennung hatte er sich mit seinen Ämtern wohlverdient.
    "Dein Freund hat langsam den Eindruck, ein alter Mann zu werden - alle um mich herum heiraten, bekommen Kinder, lassen sich nieder, beginnen ein geruhsameres Familienleben, und ich bin mir immernoch nicht sicher, ob dieser Weg für mich überhaupt taugt. Als Zuschauer fühle ich mich bei so etwas wohler, und die Zeit verrinnt immer schneller. Das letzte Jahr war so eilig vorbei, dass ich mich kaum an einzelne Tage wirklich erinnere."


    Ich hob etwas die Schultern und stellte für mich fest, dass ich in ein paar Jahren klingen würde wie ein weinerlicher Greis, der seiner Jugend hinterher weinte - aber hatte ich in der letzten Zeit noch anderes gemacht als ein alter Mann? Pflichten, Sorgen, Verantwortung. Aber nicht wirklich allzu viel Spaß. "Wie ist es Dir denn ergangen? Ich habe von Deinen Erfolgen immer wieder gehört, aber ich denke doch auch, dass sie Dir viel Zeit und Mühe abverlangt haben müssen, wie es eben immer ist, wenn man etwas Besonderes erhält. Dein Vater wäre sicher stolz, würde er jetzt sehen, dass Du wie er im Senat sitzt und die Tradition fortführst, die er begonnen hat." Mein Vater wäre wohl eher amüsiert, dass ich nun doch den Weg beschritt, den er mir vorgegeben hatte - vielleicht hatte ich es auch deswegen nicht eilig, Ehren zu erhalten oder Ruhm zu gewinnen, dieser 'ich hab's Dir doch gesagt' Ausdruck, der in allen Gesten und Gedanken über ihn vorherrschen würde, war kein angenehmer Gedanken.
    Mit einem leisen Ächzen setzte ich mich etwas gerader und langte nach einem der Weinpokale, um mir selbst einzuschenken, ihn fragend anblickend, ob er auch noch etwas wollte. "Wie geht es denn Prisca? Das letzte, was ich von ihr vernahm, war, dass sie sich auf eine Reise gemacht hätte, aber leider habe ich bisher von ihr noch keinen Brief erhalten - bisweilen geht ja doch das ein oder andere verloren und ich kann so nur hoffen, dass sie wohlauf ist."

  • Ich folgte seiner Aufforderung und setzte mich neben ihn. Etwas an Aquilius irritierte mich, und ein nachdenklich forschender Seitenblick traf ihn, während ich wartete, dass sich alles aufklären würde, sobald wir im Gespräch waren und er meine Frage nach seinem Befinden beantwortete. Er tat es mir gleich, versuchte vermutlich, ebenfalls in meinem Gesicht zu lesen, doch alles, was er dort bestenfalls erkennen würde, war der Hauch von Irritation ob seines Verhaltens. Und tatsächlich wurde mir klarer, was ihn beschäftigen mochte, als er sprach. Aquilius war nicht dumm, und selbst wenn Gracchus und Celerina nichts gesagt hatten, so würde er dennoch von den Sklaven Dinge gehört haben, die wahr oder auch gänzlich ersponnen waren. Das blieb selbst unter den besten von ihnen nicht aus. Bestätigend nickte ich auf seine Worte hin. "Ich weiß, was du meinst. Bisweilen gewinnt man den Eindruck, die Zeit sei Sand, der zwischen den Fingern davonrieselt, ohne dass man etwas dagegen tun kann. Aber alt bist du längst noch nicht. Was sollen da diejenigen sagen, die wirklich alt sind?"


    Ich machte eine undeutliche Geste mit der Hand. "Meine Erfolge... Das klingt gerade so, als entstammte es einer griechischen Sage. Dabei versuche ich nur, gemäß dem Sinne meiner Ahnen zu leben. Der Senat ist... Nun ja, ich hatte es mir anders vorgestellt, wenn ich ehrlich bin. Spannender. Es ist natürlich dennoch eine Ehre, zu den patres conscripti zu gehören." Vielleicht waren es auch nur die ersten Sitzungen gewesen, die verschlafen gewirkt hatten. Vermutlich lag es daran, dass ich mir schlichtweg mehr vorgestellt hatte. "Du wirst auch noch in den Genuss kommen, glaub mir", fuhr ich fort und grinste Aquilius kurz an, nur um anschließend wieder ernster zu wirken. "Prisca geht es gut. Das Letzte, was ich von ihr hörte, war dass sie in Mantua halt gemacht hat, um dort in der villa nach dem rechten zu sehen. Scheinbar will sie anschließend weiter nach Ravenna, und das Reisen gefällt ihr so gut, dass ich fürchte, sie wird ihre Reise danach noch weiter ausdehnen. Was die Briefe angeht, mach dir nichts draus. Sie scheint so beschäftigt, dass es für mich armen Tropf auch nur für ein paar schnelle Zeilen reicht. Aber ich soll dich grüßen, zumindest hat sie das vor drei Wochen geschrieben", erklärte ich. Prisca fehlte auch mir.


    "Ich hatte vor ein paar Tagen das Vergnügen, den kleinen Gracchus kennenzulernen. Ein aufgeweckter kleiner Junge, er ist sicher nicht nur der ganze Stolz seines Vaters. Nun, es wird auch für mich Zeit, mir allmählich Gedanken über einen Erben zu machen." Ich schüttelte den Kopf, als er mich fragend ansah. Mein Becher war noch zur Hälfte gefüllt, das würde vorerst reichen.

  • "Ich schätze, ab einem gewissen Alter verliert die Zahl der Jahre an Bedeutung - und es wird weit wichtiger, ob man das nächste Mal problemlos einer Frau beiliegen kann, oder ob man das nächste Gastmahl übersteht, ohne sich übermäßig oft erleichtern zu müssen. Wir zählen die Jahre zuerst, um unbedingt älter zu werden, und dann, um festzustellen, dass wir die Jugend vermissen, und irgendwann zählt man nicht mehr, weil die bloße Zahl der Jahre zu deprimierend sein dürfte," meinte ich überlegend und schüttelte dann leicht schmunzelnd den Kopf. "Seltsam ist es jedenfalls, wie schnell ein Jahr verrinnen kann und wie wenig man sich an Details erinnert. Ich könnte Dir nicht einmal sagen, was das Programm der letzten ludi gewesen ist oder wie ich die letzten saturnalia gefeiert habe ... sie gingen nur jeweils sehr schnell vorüber." Mit den Schultern zuckend schloss ich die Überlegungen ab, die nach kürzester Zeit sicherlich nicht erfreulich enden würden - nämlich auch mit der Tatsache, dass wir uns dem Griff der Jahre niemals würden entziehen können. Ich entsann mich allzu genau des jugendlichen Corvinus und seiner leuchtenden Augen, heute saß ein ernster gewordener Mann vor mir, dessen Stirn bald einige Querfalten zeigen würde wie bei allen Männern unseres Alters, die sich viel mit Schriftstücken beschäftigen mussten.


    "Deine Bescheidenheit ehrt Dich, und doch denke ich, kannst Du sehr wohl von Erfolgen sprechen. Du hast Dir einen guten patronus gewählt, der Dich augenscheinlich auch angemessen unterstützt, hast Deine Amtszeiten gut absolviert, da war der Weg in den Senat schon gewissermaßen vorgezeichnet, denke ich. Auch wenn es sicher nicht immer spannend sein dürfte - was mir Manius bisweilen von den Sitzungen erzählt, lässt mich irgendwie davor zurückschrecken, dorthin allzu sehr zu streben - es ist doch ein wichtiger Schritt, der die gens Aurelia dort hält, wohin Dein Vater sie gerückt hat. Viel zuviele Söhne ruhen sich auf den Lorbeeren ihrer Väter aus und tun nichts mehr," gab ich zu bedenken und lauschte dann seinem Bericht über Prisca. Dass sie wohlauf war, beruhigte mich, und auch seine Worte über kümmerlich ausfallende Briefe. Sicher, Prisca war noch jung genug, dass sie sich von Reisen vereinnahmen ließ, und ein wenig beneidete ich sie um ihre Unbekümmertheit, erinnerte es mich doch auch an alte Zeiten; ich hatte meine Reisen ähnlich genossen.
    "Solange ich weiss, dass sie wohlauf ist, soll mir das genügen, bitte grüße sie doch, wenn Du ihr das nächste Mal schreibst, ich denke, es hätte wenig Sinn, ihr Post nachzuschicken, solange ich ihr Ziel nicht kenne, werden die Briefe sie nicht rechtzeitig erreichen."


    "Der kleine Gracchus ist auch ein kleiner Sonnenschein - ich denke, er wird seinen Eltern noch viel Freude bereiten, er scheint jetzt schon intelligent und interessiert, das sind die besten Voraussetzungen für ein Leben, das unserer Tradition entspricht." Und was der kleine Gracchus nicht an Lebensfreude von seinen Eltern mitbekommen würde, darum würden sich die Vettern seines Vaters natürlich kümmern. "Was Deinen Erben angeht, ist es wohl an der Zeit dafür, nicht zuletzt, da Du nun ein gutes Erbe zu vergeben hast, als Kind eines Senators wird ein junger Aurelier alle Möglichkeiten haben, die er haben sollte. Allerdings, dafür bedarf es auch der richtigen Frau." Ich nahm einen Schluck Wein aus meinem Becher und sah ihn ruhig an.

  • Augenblicklich fühlte ich mich an die Austern erinnert, die Celerina mir hatte kredenzen lassen. Ein wenig unwohl war mir dabei schon - sah ich denn wahrhaftig schon so alt aus, wie Aquilius eben diejenigen Männer beschrieb, die sich um solcherlei Gedanken machen mussten? Ich nahm mir vor, endlich den zerborstenen Silberspiegel zu ersetzen, der einmal in meinen Gemächern gehangen hatte. Ganz unwillkürlich musterte ich den Flavier und fragte mich, ob er selbst wohl bereits mit Problemen dieser Art zu kämpfen haben mochte. Gewiss nicht. Dennoch blieb ein vager Zweifel, gleichsam auch trübe Gedanken meine eigene, unmittelbare Zukunft betreffend, und so schwieg ich ein wenig bedrückt, denn mir wollten nicht die rechten Worte einfallen, um Aquilius' Trübsal zu zerstreuen.


    "Hungaricus hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, da hast du recht. Aber bist du nicht Klient von Purgitius Macer?" fragte ich ihn. Was er über meinen Vater sagte, ließ zwiespältige Gefühle in mir aufkeimen, denn zum einen war mein Vater auch im cursus honorum gewesen und stets für die Familie eingetreten, zum anderen hatte er es niemals weiter gebracht als bis zum Amt des quaestor, ehe er freiwillig der Welt entflohen war. Insgeheim empfand ich letzteres als feige, weswegen ich mich schämte, wenn ich der Ahnen gedachte. Vielleicht war es aber auch gerade das Versagen meines Vaters, das mich stets darin bestärkte, noch weiter zu gehen und noch mehr zu tun. Ich wusste es nicht zu sagen, und auch wenn ich Aquilius als meinen besten Freund bezeichnet, so hätte ich ihm niemals die Wahrheit sagen können, ohne mich selbst wie ein Verräter zu fühlen, und so würden diese Gedanken wohl auf ewig mein kleines, persönliches Geheimnis bleiben. Nicht einmal mit Prisca konnte ich darüber sprechen.


    Ein wenig kniff ich die Augen zusammen, als Aquilius mich bat, ihr Grüße auszurichten. Wohl wusste ich von dem Tag, den sie in seiner Gegenwart am Meer verbracht hatte - und ich war seinerzeit alles andere als Begeistert gewesen, dass sie beide versäumt hatten, mich davon in Kenntnis zu setzen. Doch schätzte ich sowohl Prisca als auch Aquilius nicht so gedanken- und zügellos ein, dass ich mir ernsthaft hätte Sorgen machen müssen. Was mich dennoch nicht daran gehindert hatte, besorgt zu sein, noch nachdem bereits einige Tage verstrichen gewesen waren. "Das werde ich gern tun", sagte ich also und nickte. Immerhin kannte ich seine Absichten, so wie Prisca sie kennen musste, auch wenn er sie noch nicht offiziell geäußert hatte, da es zu einem entsprechendem, gemeinsamem Abendessen bisher nicht gekommen war. Eine gute Gelegenheit, Aquilius daran zu erinnern. "Wolltest du nicht ohnehin mal zur cena kommen? Oder möchtest du, dass Prisca dann dabei ist? Falls ja, werden wir wohl beide so lange warten müssen, bis sie ihre Abenteuerlust soweit gestillt hat, dass das Heimweh überwiegt." Ein Schmunzeln folgte auf diese Worte, denn wer wusste schon in den Kopf einer jungen, eigenwilligen Frau zu schauen? Wenigstens hatte sie klaglos hingenommen, dass ich ihr eine ganze Batallion Sklaven als Aufpasser mitgeschickt hatte.


    "Und er wird ganz gewiss nicht nur von seinem Vater alles lernen, was ein junger Mann aus gutem Hause später können sollte", fügte ich an und zwinkerte Aquilius zu. Ob das nun gut oder schlecht war, ließ ich dahingestellt. Im nächsten Moment begann ich, Aquilius erneut als guten Gesprächspartner zu schätzen. Er nahm nicht nur Impulse auf, sondern gab sie gleichsam zurück, was mir im Falle Celerinas durchaus den Stand erleichterte. Ich hatte ganz vergessen, wie angenehm es war, mit Aquilius zu reden. "Ja, da hast du natürlich recht." Ich musterte ihn kurz. Gewiss war ihm schon zu Ohren gekommen, was sich vor einigen Tagen hier ereignet hatte, so ganz ungeplant und überraschend für mich. Wer hätte auch ahnen können, was Celerina alles auffuhr? Ich räusperte mich. "Also gut, ich denke nicht, dass es viel Sinn macht, um den heißen Brei herumzureden. Du wirst ohnehin schon davon gehört haben, nehme ich an. Ich habe mir in den letzten Monaten viele Gedanken gemacht, welcher Familie die Frau entstammen könnte, die ich an meiner Seite wissen möchte. Nun, ich habe eine Frau gefunden, um die ich werben möchte, und deswegen bin ich heute hier." Ich musterte Aquilius und ließ noch einmal einen kurzen Augenblick verstreichen. "Ich bitte dich, mir deine Nichte Celerina zur Frau zu geben."

  • "Das ist richtig," sagte ich und verlor den ein oder anderen wohlmeinenden Gedanken in Richtung meines patronus. Wir waren einander sympathisch, konnten einigermaßen auf gleicher Höhe kommunizieren und blasiert war er auch nicht, was wollte man sich schon mehr von einem Patron wünschen? Nicht zuletzt wegen der ruhigen und bedachten Art, die Macer in vielen Dingen an den Tag gelegt hatte, hatte ich ihn mir als Patron ausgewählt. Der Vinicier war mir einfach zu arriviert gewesen, und ein Mann, dem der Biss im Lauf der Jahre verloren gegangen war, erinnerte mich nur daran, dass es mir auch irgendwann so ergehen würde.
    "Ich bin mit meiner Wahl auch bisher sehr zufrieden gewesen - er unterstützt meinen gemächlicheren Weg in die höheren Ränge vorbildlich und ich hoffe, ich mache ihm nicht zuviel Schande bisher, wobei ich gestehen muss, dass das Quaestorat nun wirklich nicht aufsehenerregend verlaufen ist. Allerdings muss man sich dabei immer fragen, ob ein Quaestorat überhaupt aufsehenerregend verlaufen kann - die wenigsten Quaestoren machen von sich reden, von dem Annaeer einmal abgesehen, der anscheinend recht viele Ehrungen in Hispania einheimsen konnte." Die Sache kam mir immernoch etwas spanisch vor, wusste ich doch, dass mein Verwandter Furianus nicht unbedingt der freigiebigste Mensch war. Entweder war der Annaeer wirklich herausragend gut gewesen, oder aber es gab einen bestimmten Grund für diese Flut an Ehrungen, die über ihn hereingebrochen war.


    Aber das war eine ganz andere Sache, und ich wischte die Überlegungen beiseite, irgendwann anders würde ich mir dazu mehr Gedanken machen. "Eigentlich hatte ich das schon während des Quaestorats vor," antwortete ich ihm auf seine Frage zur cena. "Aber Du kennst das sicher, man ist so viel unterwegs, dass man zu gar nichts kommt, ich war an den Abenden, an denen ich in der villa war, heilfroh, meine Füße in einen Bottich Wasser tunken zu können und sonst einfach nichts zu tun. Man sollte wirklich für die Strecken, die man täglich unterwegs ist, bezahlt werden." Ich verzog leicht das Gesicht, glücklicherweise war das alles endlich vorüber und irgendwann würde das nächste Amt anzutreten sein.
    "Es wäre natürlich schöner gewesen, wäre Prisca dabei, aber wenn sie eben reist, was will man machen? Sie wird früh genug häuslich werden müssen, da sei ihr diese Freiheit von Herzen gegönnt, wir hatten schließlich auch in unserer Jugend die Möglichkeit, ein bisschen etwas von der Welt zu sehen. Es erschien mir immer ungerecht, dass man Frauen so sehr an ihr Zuhause fesselt, wenn sie noch jung und für die Welt offen sind. Keifende Matronen werden die meisten allzu schnell, vielleicht auch gerade weil sie so wenig anderes kennen." Nicht, dass ich mir Prisca als keifende Matrone erhoffte, sicher nicht - aber ich hatte schon so manches hübsche Ding während der Ehe zunehmend giftiger werden sehen und war vorsichtig geworden.


    Dass sich das Thema dann dem eigentlichen Grund wohl zuwandte, der ihn zu mir geführt hatte, ließ mich kurz nicken - fast, als würde sich damit eine Vermutung bestätigen.
    "Nun, ich habe von Sklaven vernommen, dass Du sie hier im Haus besucht hast, dass ihr euch auch öfter schon in Gesellschaft gesehen habt - und ich muss sagen, es hat mich nicht wenig erstaunt, so etwas von Sklaven erfahren zu müssen und nicht von Dir, meinem Freund, von Angesicht zu Angesicht. Sie hat mir selbst vor einiger Zeit angedeutet, dass sich da etwas entwickeln könnte, aber ich war der Ansicht, dass es angemessener wäre, würdest Du es mir sagen, wenn es der Wahrheit entspricht, und habe abgewartet, was sich entwickelt. Dass Du alleine mit ihr in unserem Garten unterwegs warst ... nun, wärst Du nicht mein Freund, hätten wir nun einen unangenehmen Streit, aber ich vertraue Dir, Marcus, und werde Dir zu diesem Treffen keine Fragen stellen. Was Deine Bitte angeht - ich kann sie Dir nicht erfüllen." Das hatte ich durchaus ernst gesprochen, als wollte ich sie ihm nicht erfüllen, aber ich nahm dem Moment auch gleich die Spannung mit einem leichten Grinsen. "Sie ist sui iuris, und ich bin nicht ihr Vormund, Marcus. Wenn sie Dich also heiraten will, ist das ihre Entscheidung alleine, ich versuche nur, ihr eine Stütze zu sein, wo ihr die Eltern keine Stütze mehr sein können. Ich werde ihr eine angemessene Mitgift geben, dass sie als eine Braut von Stand in Dein Haus kommen kann, wie es unser Brauch ist, doch mein Einverständnis brauchst Du nicht." Eine weitere Pause entstand, dann setzte ich eine Frage hintenan, die mich schon seit einer Weile beschäftigte. "Liebst Du sie?"

  • Flüchtig dachte ich an meinen eigenen Patron und nahm mir vor, ihm mal wieder zu schreiben. Er war schließlich nun in Hispanie - dort, wo Modestus sozusagen gerade frisch herkam. Langsam nickte ich. "Ja, Hispania. Gutes hat man lange nicht mehr gehört aus dieser Provinz. Ich habe derzeit einen Reporter dort unten, der ein wenig im Dreck stochern soll. Jetzt wo du es ansprichst, fällt mir auf, dass die letzte Korrespondenz mit ihm schon eine Weile zurückliegt... Hm. Aber es ist gut, dass Hungaricus da unten nun den Daumen drauf hat." Ich dachte mit gerunzelter Stirn an Caius Columnus und fragte mich, ob es ihm wohl gut ging. Bisweilen neigte er zu unüberlegten Aktionen, allerdings gab es auch keinen, der so gut schnüffeln konnte wie er.


    "Ja, natürlich. Das war auch nicht als Finte zu verstehen, sei unbesorgt. Aber ich habe es nicht vergessen, und du bist nach wie vor herzlich willkommen. Allerdings", fügte ich an und grinste breit, "habe ich während meiner Quästur keine Hornhaut an den Füßen bekommen. Irgendwas hast du falsch gemacht, Caius." Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Prisca als keifende Matrone konnte ich mir nur sehr schwer vorstellen, weswegen Aquilius zwei hochgezogene Brauen erntete. Vielleicht war ihm auch nicht bewusst, wie sehr ich meine kleine Nichte schätzte, als Mensch wie im Gespräch. Erneut nagte das Gefühl des Vermissens an mir, und Eifersucht keimte, als ich daran dachte, dass ich irgendwann gezwungen sein würde, sie jemand anderem zuzugestehen. Insofern war es mir eigentlich ganz recht, dass Aquilius noch nicht offiziell um ihre Hand angehalten hatte. Hier kam ich ihm also zuvor.


    Die Art, wie er mir dann vorhielt, bereits von meinen Absichten erfahren zu haben, ließ allmählich eine Falte auf meine Stirn treten. Ich ließ ihn aussprechen, hatte jedoch noch während er sprach wieder den leisen Groll in mir, den ich verspürt hatte, als ich hatte erfahren müssen, dass er Prisca für einen Ausflug ans Meer geraubt hatte. In meinen Augen war das weitaus schlimmer als ein Treffen in heimischem Umfeld. Wer war schon dabei gewesen? Eine Hand voll Sklaven, darunter Tilla. Und hier war Celerinas Familie stets präsent gewesen. "Du hast selbstverständlich recht, wenn du mir vorhältst, nicht eher kund getan zu haben, dass ich Interesse an Celerina hege. Das war mein Versäumnis und dafür stehe ich auch ein. Ich denke allerdings auch, dass ich dich nicht daran erinnern muss, von wem und vor allem wann ich von diesem Ausflug ans Meer erfahren habe, den du mit Prisca unternommen hast." Ich schmunzelte mit der Absicht, meinen Worten ein wenig der Schärfe zu nehmen, sprach dann auch sogleich weiter. "Aber ich vertraue dir, wie du mir, und gerade deswegen werde ich dir gern jede Frage beantworten, die du mir zu besagtem Besuch stellen möchtest. - Abgesehen davon, dass deine Nichte mich mit der wahrhaftigen Fülle an Rosa und dem insgesamt außergewöhnlich pompösen Empfang mehr denn überrascht hat, wären bloß die Austern erwähnenswert, die sie mir serviert hat. ...womit wir wieder beim Alter wären." Ein wenig trocken war der letzte Teil hervorgekommen, und ich sah Aquilius ein wenig melancholisch an, um schließlich zu seufzen. "Ich weiß, dass dein Einverständnis nicht erforderlich ist. Dennoch ist es mir wichtig, ihr mit deinem Wohlwollen den Hof zu machen. Meine Familie ist ebenso traditionsbewusst wie die deine, Caius", rief ich ihm in Erinnerung und lächelte. Zudem hatte ich den Eindruck gewonnen, dass Celerina solch traditionelle Dinge ebenso wichtig waren wie mir, auch wenn sie mit ihrem pompösen Empfang wahrhaftig über die Stränge geschlagen hatte.


    In der entstehenden Pause musterte ich meinen Freund seitlich. Etwas bewegte ihn, und als er seine Frage stellte, wurde mir auch klar, was es sein mochte. Natürlich wollte er seine Nichte geborgen und sicher wissen. Ich ließ einen Moment verstreichen. "Nein", sagte ich dann. "Aber das wird mich nicht daran hindern, sie mit dem ihr gebührenden Respekt zu behandeln."

  • „Hispania war seit jeher ein Hort von seltsamen Ereignissen,“ sagte ich nachdenklich und rieb mir sinnierend mit einem Finger über das Kinn, die Stirn runzelnd. „Ich habe mich als Kind dort sehr wohl gefühlt, aber als Politiker muss diese provincia eine sehr unangenehme Pflicht sein, wenn sie einem zugeteilt wurde. So vielen Beamten wurden immer wieder Bestechlichkeit vorgeworfen, es gab dort durchaus auch Aufstände und sonstige Probleme. Sicher dürfte es von Vorteil sein, ein Auge dorthin zu werfen, selbst wenn es meine Heimat ist – manches Mal denke ich mir, es wäre am Besten, man würde einfach alle Magistrate rauswerfen und durch untadelig loyale Männer ersetzen, um ein für allemal mit diesen hoffnungslos versifften Strukturen aufzuräumen.“ Es war schon zu der Zeit, als mein Vater sich noch einigermaßen für die Lokalpolitik interessiert hatte, mitunter sehr seltsam gewesen, diversen Geschichten zu lauschen – aber heutzutage war man sich nicht mehr sicher, welchen Worten man noch trauen durften, die von Hispania berichteten. Vielleicht hätte ich von dort aus versuchen sollen, den politischen Aufstieg zu versuchen, aber letztendlich machte Rom die Politik, keine der Provinzen selbst.


    Ich winkte ab, als er sich über meine Füße lustig machte, musste aber schmunzeln – wir hatten wohl unterschiedliche Auffassungen von der Erledigung des jeweiligen Amtes, aber das war auch der Vorteil der Einjahresämter. Ein stetiger Wechsel der Amtsträger hielt alles lebendig und es gab oft genug einen neuen Arbeitsansatz, dass sich nichts zu sehr festsetzen konnte.
    „Ich besuche euch gerne zum Abendessen, keine Frage, Marcus. Weißt Du, ich wollte Prisca vor einiger Zeit fragen, ob sie meine Frau werden möchte, dann hätte ich Dich aufgesucht, aber ihre Abreise kam mir mit diesem Ansinnen deutlich zuvor. Es wird langsam auch für mich Zeit, mir eine Ehefrau zu suchen und ich will damit nicht noch fünf Jahre warten .. ich werde auf Prisca nicht ewig warten können, so leid es mir auch tut, denn sie ist mir sehr sympathisch und ich denke, wir haben uns bisher gut genug verstanden, dass die Hoffnung bestünde, wir könnten ein ganz passables Ehepaar abgeben. Ich gönne ihr ihre Reise gerne, Marcus, doch selbst der zweite Grund, sie zu heiraten, wäre durch eine Ehe zwischen Dir und Celerina erfüllt – eine engere Verbindung unserer Familien zum gegenseitigen Vorteil.“
    Ich seufzte innerlich, denn dass sie sich seit einer längeren Zeit gar nicht mehr gemeldet hatte, war mir unangenehm, ich hatte eigentlich geglaubt, wir hätten uns besser verstanden, als dass mir ihr Verwandter schließlich von ihrer Reise berichtet hätte, selbst wenn dieser Verwandte mein bester Freund war.


    Leicht winkte ich ab, die Details seines Besuchs in unserem Garten waren gänzlich unerheblich für mich, dass sie nicht gerade der Leidenschaft gefröhnt hatten, lag ohnehin auf der Hand, und irgendwelches Werben um den anderen war mir vertraut genug, dass ich es nicht unbedingt von anderen hören musste.
    „Wenn Celerina Dich heiraten möchte, Marcus, dann habe ich keine Einwände, sie ist ihr eigener Herr. Ich bin hier ihr nähester Verwandter, sollte sie es also irgendwann für nötig halten, aus Deinem Haus hierher zurück zu kehren und irgendwelche Klagen gegen ihren Ehemann zu erheben, dann werde ich derjenige sein, der an ihrer Seite stehen wird, ich werde ihr auch eine angemessene Mitgift mitgeben, weil ich nicht sicher weiss, wie weit ihre eigenen Mittel reichen, die sie von ihrer vorherigen Ehe mit sich bringt. Dass Du sie anständig behandeln sollst, muss ich Dir ja nicht sagen, dass ich mich ungern mit Dir prügeln möchte, weil sie in meinem cubiculum sitzt und heult, dass ihr Mann es nur mit Sklavinnen treibt, nicht aber mit ihr, kannst Du Dir auch denken. Also sei so gut und versuche, ihr ein guter Mann zu sein, lass Dir nicht zuviel von ihr sagen, und wir beide werden auch weiterhin sicherlich die besten Freunde sein. Sie ist natürlich herrschsüchtig und verwöhnt wie so ziemlich jede Patrizierin, und sicherlich wird sie Dir Feuer unter dem Hintern machen, wenn die Dinge nicht so laufen wie sie es sich vorstellt, aber ich denke, darin unterscheidet sie sich kaum von jeder anderen Frau. Ein duldsames Lämmchen würde Dich sicherlich genauso langweilen wie mich auch ...“


    Ich nahm noch einen Schluck Wein und schüttelte schmunzelnd dann den Kopf. „Langsam bin ich hier wirklich nur noch von Ehepaaren umgeben, wenn ich nicht schon genug Gründe hätte, eine ganze Menge Alkohol zu trinken, jetzt hätte ich sie sicherlich. Im Grunde ist die Liebe nicht das Entscheidende bei einer Eheverbindung, ich habe den Eindruck, sie macht es meist nur komplizierter, als man es sich selbst schon bereiten würde. Wenn Du mir sagst, dass Du sie ehrenhaft behandeln wirst, soll mir das vollends reichen. Sie wirkt, was Dich angeht, jedenfalls durchaus interessiert, aber verliebt erschien sie mir auch nie. Ich würde fast vermuten, sie will nun einen Gemahl, mit dem sie Aufregenderes erleben kann als mit ihrem ersten Mann, jemanden, mit dem sie Freude und Leid teilen kann, ohne sich zu langweilen oder einsam zu fühlen. Und Du .. warum willst Du sie heiraten? Was erwartest Du von einer Ehe mit ihr?“

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!