Sie besaß ihre Flöte noch. Das war jetzt natürlich nicht ganz das, was ich erwartet hatte. In der Tat machte es die Dinge etwas komplizierter, weil mir nun eine Ausrede - vor allem gegenüber mir selbst - wegfiel, warum ich nicht zum Üben kam. 'Alleine üben ist doof' war bisher eine Ausrede, die ich mir selbst gegenüber recht gut verkaufen konnte. Allerdings nur bei Musik. Kalligraphie, Kampfkunst; Mathematik... dafür galt diese Ausrede natürlich nicht. Jetzt musste ich mir etwas Neues einfallen lassen. 'Keine Zeit' war auch nicht wirklich als Ausrede zu gebrauchen, denn wie sagte mein Shifu immer: 'Keine Zeit haben heißt, nicht planen zu können!' Deshalb hatte ich ja prinzipiell Zeit, ich hatte sie nur anders verplant. Aber vielleicht sollte ich mal wieder etwas machen, das nicht direkt irgendeinen Nutzen brachte. Oder brachte Musik vielleicht einen Nutzen, den ich noch nicht kannte? Möglicherweise sollte ich mal jemanden im Museion fragen. Penelope war doch Philologe für Musik, die könnte ich fragen. Oder auch nicht.
"Namen sind niemals unwichtig." Es war mehr ein Kommentar, der nur halb bewusst aus meinen Gedanken kam, die immer noch um einen möglichen Nutzen von Musik kreisten.
Inzwischen waren wir auch in der großen Halle angelangt, wo ich kurz stehen blieb. "Ich verlange nicht mehr von mir, als ich zu leisten fähig bin. Meditation, Kampfübungen und Kalligraphie bringen Geist und Körper in Einklang und damit automatisch Erholung. Mehr benötige ich nicht." Jedenfalls wollte ich das glauben. In letzter Zeit zeigten sich hin und wieder Anzeichen von Überarbeitung, die ich aber geflissentlich ignorierte. Per definitionem konnte ich nicht überarbeitet sein, also war ich es auch nicht!
"Ähm..." Wie jetzt? Die Zeit nicht direkt wieder verplanen? Warum denn nicht? Was soll ich denn sonst machen den ganzen Tag? "Eigentlich hatte ich vor, die Zeit zu nutzen, um mich mit der Zeit als solcher zu beschäftigen. Genauer gesagt mit der Messung derselben." Zeitmessung, dass hatte ich inzwischen über Geographie gelernt, war der Schlüssel zur Bestimmung der Längengrade. Nur wie konnte man präzise die Zeit messen? "Oder mit Mathematik." Ich zuckte mit den Schultern. 'Du hättest jetzt auch ´Flöte spielen´sagen können,' ging mir durch den Kopf.