Akademie des Marcus Achilleos

  • Sie besaß ihre Flöte noch. Das war jetzt natürlich nicht ganz das, was ich erwartet hatte. In der Tat machte es die Dinge etwas komplizierter, weil mir nun eine Ausrede - vor allem gegenüber mir selbst - wegfiel, warum ich nicht zum Üben kam. 'Alleine üben ist doof' war bisher eine Ausrede, die ich mir selbst gegenüber recht gut verkaufen konnte. Allerdings nur bei Musik. Kalligraphie, Kampfkunst; Mathematik... dafür galt diese Ausrede natürlich nicht. Jetzt musste ich mir etwas Neues einfallen lassen. 'Keine Zeit' war auch nicht wirklich als Ausrede zu gebrauchen, denn wie sagte mein Shifu immer: 'Keine Zeit haben heißt, nicht planen zu können!' Deshalb hatte ich ja prinzipiell Zeit, ich hatte sie nur anders verplant. Aber vielleicht sollte ich mal wieder etwas machen, das nicht direkt irgendeinen Nutzen brachte. Oder brachte Musik vielleicht einen Nutzen, den ich noch nicht kannte? Möglicherweise sollte ich mal jemanden im Museion fragen. Penelope war doch Philologe für Musik, die könnte ich fragen. Oder auch nicht.


    "Namen sind niemals unwichtig." Es war mehr ein Kommentar, der nur halb bewusst aus meinen Gedanken kam, die immer noch um einen möglichen Nutzen von Musik kreisten.


    Inzwischen waren wir auch in der großen Halle angelangt, wo ich kurz stehen blieb. "Ich verlange nicht mehr von mir, als ich zu leisten fähig bin. Meditation, Kampfübungen und Kalligraphie bringen Geist und Körper in Einklang und damit automatisch Erholung. Mehr benötige ich nicht." Jedenfalls wollte ich das glauben. In letzter Zeit zeigten sich hin und wieder Anzeichen von Überarbeitung, die ich aber geflissentlich ignorierte. Per definitionem konnte ich nicht überarbeitet sein, also war ich es auch nicht!


    "Ähm..." Wie jetzt? Die Zeit nicht direkt wieder verplanen? Warum denn nicht? Was soll ich denn sonst machen den ganzen Tag? "Eigentlich hatte ich vor, die Zeit zu nutzen, um mich mit der Zeit als solcher zu beschäftigen. Genauer gesagt mit der Messung derselben." Zeitmessung, dass hatte ich inzwischen über Geographie gelernt, war der Schlüssel zur Bestimmung der Längengrade. Nur wie konnte man präzise die Zeit messen? "Oder mit Mathematik." Ich zuckte mit den Schultern. 'Du hättest jetzt auch ´Flöte spielen´sagen können,' ging mir durch den Kopf.

  • Namen waren also niemals unwichtig? Gut, dann traf diese Regelung eben nur auf ihren eigenen zu. Den erachtete nicht einmal sie selbst als wichtig und im Grunde war es ihr fürchterlich einerlei, wie man sie rief. Inzwischen hörte sie auf beinahe alles. Wahrscheinlich hatte Achilleos diese Bemerkung auch nur für sich selbst gemacht, zum ‚harmonischen Ausgleich‘ oder was auch immer. Es brachte ihm gewiss viel, wenn er seine Grundsätze immer und immer wieder laut aussprach. Dann verinnerlichte er sie besser. Dieser Mann hatte sich gewiss noch mehr Zwänge und Regeln selbst auferlegt, als sie für Alsuna in ihrem Dasein als Dienerin bestanden. Und alles freiwillig. Die Sklavin unterdrückte ein weiteres Mal den aufsteigenden Drang, den Kopf zu schütteln.
    Kurioserweise folgte kein Kommentar mehr zu seiner vordem so gewünschten Flötenrunde. Dabei hätte er sich doch zweifellos freuen müssen über diese unerwartete, aber nichtsdestotrotz glückliche Fügung ihres eigenen Instrumentes. Andererseits hatte sie von vornherein nicht ganz glauben können, dass ihrem Jinshi etwas an dieser müßigen Zeitverschwendung läge. Vermutlich würde er furchtbar nervös und unruhig werden und mit seinen Gedanken permanent bei anderen Dingen weilen. Nach ein-, allerhöchstens zweimaligem Üben wäre die Angelegenheit vom Tisch. Natürlich nur, weil er es so wollte und keinesfalls, weil er nicht anders konnte.


    Selbstredend war Alsuna ebenfalls gezwungen, in der großen Halle zu verharren, um den Ausflüchten, nein, natürlich den Erklärungen ihres Jinshi die nötige Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Kalligraphie und Kampfkünste, ja sicherlich. Die reinste Oase der Erholung. Geradezu Faulenzertum. Und Meditation? Was genau verbarg sich hinter diesem Phänomen? Da er es anwandte und es irgendwie ganz und gar nicht entspannend klang, beschloss Alsuna, es in dieselbe Ecke zu verschieben wie auch die übrigen genannten Begriffe. Anstrengung, für welchen Teil seines Daseins auch immer genau. Und dann dieses ‚mehr benötige ich nicht‘. Stimmt, um ein Haar hätte sie ja ganz vergessen, dass sie hier einem wahren Gott gegenüberstand. Dieser benötigte selbstverständlich nicht so ordinäre Dinge wie Spaziergänge, langen und ungestörten Schlaf oder gar... Spaß. Wahrscheinlich hätte er rundheraus betont, wie viel Spaß ihm Kalligraphie doch bescherte.


    Als er dann tatsächlich angab, die durch ihre Hilfe gewonnene Zeit mit der Erforschung der Zeit an sich zu nutzen, musste Alsuna wirklich an sich halten, um nicht in ein wenig höfliches Kichern auszubrechen. Es zuckte leicht und doch verräterisch um ihre Mundwinkel, doch sie hoffte, dass ihr wie stets leicht gesenkter Kopf dieses deutliche Anzeichen herzlicher Belustigung weitestgehend verborgen gehalten hatte. Dennoch biss sie sich leicht auf die Unterlippe, als er dann auch noch mit Mathematik begann.
    “Ich verstehe,“ erwiderte sie schließlich, sich diplomatisch einer näheren Meinungsäußerung enthaltend. Wenigstens noch.
    “Darf ich dich fragen, wie es um deine Nachtruhe bestellt ist? Träumst du viel, schläfst du in der Regel durch, hast du feste Zeiten dafür eingeplant?“

  • War da gerade ein Anflug eines Grinsens um ihre Mundwinkel? War es etwa so lustig, dass ich nichts von Müßiggang hielt? Ich war kurz versucht, sie zurecht zu weisen, tat es aber nicht. Irgendwo, tief in meinem Innern wusste ich, dass ich mir zu viel abverlangte und das Leben letztlich aus mehr bestand als nur aus Arbeit. Aber ich war nicht bereit, mir das auch einzugestehen. Als sie dann nach meiner Nachtruhe fragte, war ich kurz verunsichert. Wozu wollte sie das wissen? Um sich danach richten zu können? Oder aus Sorge um mein Wohlergehen? Beides war unnötig. "Nein, darfst du nicht," antwortete ich ruhig, aber dennoch mit einer gewissen Strenge.


    Ohne weiter darauf einzugehen, ging ich über den inneren Hof in die Bibliothek. Das Gebäude war ebenso groß wie das für die Gästewohnung und entsprechend gab es hier genug Platz. Zur Straße gab es kein Fenster, wohl aber zum Hof und zu den anderen beiden Seiten. Die fensterlose Wand war von einem Regal fast komplett eingenommen, das aber zum größten Teil leer war. Es befanden sich ein Dutzend Bücher (Rollen) darin, die griechische Texte enthielten. Vor allem Gedichtbände für Kinder. Dazu kamen etwa ebensoviele Bücher, die aus zusammengebundenen Holzstreifen bestanden, die mit chinesischen Schriftzeichen beschrieben waren. Darüber hinaus waren ein paar Stapel Papyri, Schreibfedern und Schreibtusche zu finden. In dem Raum standen auch fünf kleine Tische mit je einem Stuhl. Auf einem dieser Tische lag ein Stapel Papier und eine Holzschatulle.


    "So, das ist die Bibliothek von innen. Der Tisch da," ich deutete auf den Tisch mit der Schatulle, "ist mein persönlicher Schreibtisch. Da hat niemand außer mir Platz zu nehmen. Die Materialien darauf sind auch ausschließlich für meinen eigenen Gebrauch."

  • Nun gut, dieses ‚Nein’ hatte Alsuna wohl auch verdient gehabt, schließlich war sie seine Sklavin und seine Gesundheit hatte sie nicht im Geringsten zu interessieren. Wenn er verblutend vor ihr im Dreck läge würde er schon dankbar sein können, wenn sie ihn beim Darübersteigen nicht noch tiefer in den Sand trat. Solange er von ihr nichts außerhalb dessen erwartete, was sie ihm notgedrungen zugestehen musste, würden sie sicherlich hervorragend miteinander auskommen. Und für jemanden, der sich mit Sklavenhaltung angeblich nicht auskannte, hatte er sich wirklich schnell in seine Rolle einleben können. Womöglich war sie auch einfach zu nett gewesen, war ein bisschen zu sehr auf ihn und seine aufreibenden Bedürfnisse eingegangen. Nachher glaubte er noch, sie wäre gerne seine Sklavin. Nein, wahrscheinlich würde es ihn gar nicht interessieren. Sie waren wirklich alle gleich, weswegen man auch gegenüber allen gleich empfinden sollte.
    Sie ärgerte sich innerlich über sich selbst, wenngleich sie eigentlich zu keinem Zeitpunkt selbstlose und aufopfernde Gedanken gehegt hatte. Doch eine Winzigkeit, ein kleiner Splitter war bereits zuviel. Auch Splitter konnten bedrohlich sein, ließen erblinden und waren weitaus schwerer zu entfernen, als wirklich große Fremdkörper. Dass sie überhaupt noch einer derartigen Lehre bedurfte!


    Den Daumennagel wütend in die Kuppe des rechten Zeigefingers gebohrt folgte Alsuna Achilleos in dessen kleines Heiligtum und ließ den Blick über das dortige Angebot an Schriften wandern, wenngleich das Interesse daran momentan deutlich abgenommen hatte. Da man ihr freien Zutritt gewährt hatte, würde sie sich zu gegebener Zeit näher damit beschäftigen können. Seine Vorräte ließen durchaus noch Wünsche offen, doch es war damit zu rechnen, dass er die Zahl seiner Schriftstücke konstant anzuheben gedachte. Wahrscheinlich würde ihr diese Bibliothek nicht allzu sehr nutzen können. Vielleicht bekam sie auch die Aufgabe, Texte kopieren zu müssen. Immerhin lernte sie dann ausreichend deren Inhalt.
    “Ich verstehe, Herr“, antwortete sie auf seine Instruktionen hin und benutzte auch die ungeliebte Anrede so, als wäre sie im Grunde selbstverständlich. Was sie auch durchaus sein sollte.

  • Herr? Hatte sie mich gerade 'Herr' genannt? "Alsuna, ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass du mich Jìnshì nennst?" bemerkte ich. Es war schon interessant. Wie sehr ich mich in der kurzen Zeit daran gewöhnt hatte, Alsuna mehr oder minder als Untertanin zu behandeln. Oder doch schon als Sklavin? Seltsamerweise schien sie mir viel weniger eine Untertanin zu sein, wenn ich sie mit ihrem Namen ansprach. Das fiel mir erst jetzt auf. Mein entschiedenes Nein auf ihre Frage, die vielleicht doch eher fürsorglich gemeint war, war möglicherweise auch etwas überzogen. "Ich schlafe recht unregelmäßig und vielleicht auch etwas zu wenig in letzter Zeit. Aber ich werde versuchen, mir demnächst etwas Freizeit zu gönnen. Es bringt wohl auch niemandem etwas, wenn ich mich zu Tode arbeite."

  • So, man hatte sich also darauf geeinigt, ihn ‚Jinshi‘ zu nennen? Seltsam, Alsuna hätte schwören können, dass ihr Herr dies ganz alleine entschieden hatte. Da sie im Grunde nach wie vor nicht wusste, was ein ‚Jinshi‘ nun eigentlich genau sein sollte, hätte sie eine solche Entscheidung kaum fällen können. Im Grunde war sie auch nicht wirklich auf ihn wütend, nur auf sich selbst. Und obgleich sie nicht wusste, was sich hinter dem Begriff ‚Jinshi‘ eigentlich verbarg, so hatte er doch das ‚Herr‘ ersetzt und sich irgendwie anders angefühlt. Für einen kurzen Moment. Einen äußerst sentimentalen Moment. Und dann dieses ‚Herrscher-zu-Untertan-Prinzip‘, wie er es genannt und offenbar aus einem fremden Land hierher geholt hatte. Möglicherweise passte dies gar nicht in die hiesige Kultur, schließlich konnte man nicht alle möglichen Sitten und Gebräuche importieren wie Gewürze oder edle Stoffe. Wenn ihm so viel an diesen Dingen lag, hätte er einfach im dazugehörigen Land bleiben sollen. Eine berechtigte Frage. Weswegen war er hier? Um den Kindern Alexandrias eine bessere Zukunft zu ermöglichen? Um seine Lehren an Bedürftige weiterzugeben? Dazu benötigte sie erst einmal die Information, ob er überhaupt freiwillig hier war.


    “Ich weiß, Herr“ beantwortete sie seine erste Bemerkung und konzentrierte ihren Blick derart intensiv auf Achilleos‘ Kehle, dass man ihn beinahe hätte spüren müssen, “doch mir sind die damit einhergehenden Pflichten und Regeln noch unbekannt, ebenso die daraus entstehenden Erwartungen an mich. Deswegen erscheint es mir nicht angemessen, diese Anrede zu verwenden. Ich könnte Fehler im Umgang mit dir begehen." So wie gerade eben beispielsweise.
    Alsuna hätte nicht erwartet, dass er ihre Frage tatsächlich im Nachhinein noch beantworten würde. In echter Verwunderung hoben sich ihre Augenbrauen leicht, wenngleich ihr Blick immer noch sein früheres Ziel anvisierte. Hatte sie ihm etwa irgendwie ein schlechtes Gewissen bereitet?


    Alsuna beschloss, diesen Gedankengang zunächst nicht weiter zu verfolgen. Überraschend, wie einsichtig dieser Mann plötzlich war. Nun gut, letztendlich war es seine Gesundheit und tatsächlich sollte sich niemand in diese Angelegenheit einmischen. Und er hätte ihrer Frage auch einfach elegant ausweichen können.
    "Deine Nachtruhe hat mich nicht zu interessieren, Herr“, bekräftigte sie dennoch um ihm zu verdeutlichen, dass sie die Lektion durchaus verstanden hatte.

  • Aha. Daran lag es also. Sie wusste mit dem Begriff Jìnshì nichts anzufangen. Oder genauer, sie kannte die Bedeutung nicht und wollte nichts falsch machen. "Nun ja, Jìnshì ist zunächst einmal der Titel eines Menschen, der die höchste Beamtenprüfung in Ch'in bestanden hat. Streng genommen ist es also der Titel eines Gelehrten. Ich bin dadurch berechtigt, andere Menschen auf alle Prüfungen für Beamte vorzubereiten, bin in Ch'in teilweise von der Steuer befreit und habe das Recht, ein Schwert zu tragen. Außerdem habe ich ein Recht darauf, in diesem fernen Reich gehobene Beamtenposten zu besetzen. Für mich persönlich ist es aber vor allem der Titel eines Gelehrten. Und damit geht eine Verantwortung für die Gesellschaft einher. Und zwar für die ganze menschliche Gesellschaft. Tianxia, alle unter dem Himmel. Ich bin verpflichtet, die Harmonie zu mehren, Ungerechtigkeiten zu reduzieren, die Gesetze zu achten und durchzusetzen. Ich stehe also im Dienst der Gesellschaft. Je höher man in der Gesellschaft aufsteigt, umso weniger dient man einem Herrn, aber umso mehr dient man der Gesellschaft, also der Menschheit an sich. Die Menschheit ist alles, der einzelne ist nichts. Wenn du mich also Jìnshì nennst, dann erweist du mir einerseits den Respekt, den ich nach Bestehen der Prüfungen - und die sind wirklich hart - verdiene, doch gleichzeitig erinnerst du mich damit auch an meine Verpflichtung gegenüber der Welt und den Menschen. Was uns unterscheidet, ist unser Stand. Doch Menschen sind wir beide. Als Jìnshì habe ich gesellschaftlichen Aufstieg durch Leistung erreicht. Das ist eine Chance, die ich den Kindern hier geben möchte. Und auch du hast diese Chance. Im Moment ist deine Aufgabe, mich zu unterstützen. Mir Arbeit abzunehmen. Und, prinzipiell hast du recht, wenn du dich auch nach meiner Nachtruhe fragst, denn es geht dabei ja um meine Gesundheit. Auch das ist Unterstützung. Ich bin es nur nicht mehr gewohnt, dass sich jemand um mein Wohlergehen kümmert. Das ist schon ziemlich lange her."

  • Zwar hatte Alsuna es irgendwie geahnt, allerdings war sie dennoch letzten Endes nicht davon ausgegangen, dass sich hinter dem Begriff ‚Jinshi‘ eine solche Menge an Hintergrund verbarg. Niemals würde sie behaupten, alles nachvollziehen zu können, besonders da er zwar von fremden Gegenden und seltsam klingenden Orten sprach, jedoch nicht recht offenbarte, was dies nun letztendlich für sie persönlich bedeutete. Es klang alles hübsch – unrealistisch, aber hübsch – ,doch sie war hier nun einmal kein Mensch. Sie galt in dieser Stadt als Sklave und daran änderte auch Achilleos‘ Sichtweise nichts. Was er beschrieb war ein Verhältnis zwischen zwei freien Menschen, einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer. Natürlich lag den beiden das gegenseitige Wohlergehen am Herzen, schließlich waren sie aufeinander angewiesen. Sie respektierten sich... wahrscheinlich. Im Stand einer Sklavin besaß sie keine Sicherheit, sie konnte jederzeit verkauft werden und alles, was sie gegebenenfalls vor der Außenwelt [welche gerade in dieser Gegend sehr übel werden konnte] schützte, war die Tatsache, dass sie das Eigentum ihres Herrn war. Genauso konnte sich der Wind drehen und sie würde zur Zielscheibe seiner Feinde, weil man ihm schaden wollte.


    Irgendjemand von ihnen sah nicht die ganze Wahrheit. Entweder sie verstand seine Einstellung nicht, oder er begriff nicht, wie ein Sklavendasein eigentlich aussah. Natürlich musste sie es ihm angemessen anrechnen, dass er es versuchte, doch tat er es letztendlich nicht nur für sich selbst, um seine Einstellung, seine Sicht der Dinge hervorzuheben und zu sichern? Wurden Wohltätigkeiten nicht auch zu einem guten Teil aus Egoismus gemacht?
    „Natürlich möchte ich dir den gebührenden Respekt entgegenbringen, doch auch wenn ich in deinen Augen ein Mensch bin, in dieser Stadt bin ich eine Sklavin. Wenn du mich anders behandelst, wird mir mein Stand dort draußen nur noch stärker offenbart. Als Sklavin kenne ich meinen Platz und die damit einhergehenden Regeln. Ich denke, es wäre sicherer dies beizubehalten.“ Allzu problematisch schien sich dies für ihn ohnehin nicht zu gestalten. Wenngleich sie nun eigentlich nicht genau wusste, wie die Chance, die er ihr zu geben gedachte, aussehen sollte.

  • "Hmm..." Alsunas Worte stimmten mich nachdenklich. Sie hatte nicht unrecht, aber ich würde sie trotzdem so behandeln, wie eine Untertanin, und nicht, wie eine Sache. "Warst du eigentlich schon immer Sklavin?"


    Langsam ging ich wieder in den inneren Hof.

  • Wenigstens dachte er darüber nach. Oder gab er das nur vor? Fiese Herrschaften vermochte man zumindest auf den beinahe ersten Blick zu erkennen, da war es in der Regel eindeutig, was man von ihnen erwarten konnte. Hier lag dies alles deutlich komplizierter. Doch es würde sicherlich nicht schaden, weiterhin eher misstrauisch zu bleiben und sich nach dem zu richten, was sie bereits hinreichend kennengelernt hatte.
    Dass Achilleos ihr nicht antwortete sah Alsuna als ein deutliches Zeichen für ein Umschiffen dieses Themas an. Oder aber er war noch nicht zu einem endgültigen Urteil gekommen, woran die Sklavin jedoch nicht recht glauben wollte. Viel eher würde er sich weiterhin nach seinen offenbar vollkommen verinnerlichten Werten und Traditionen richten und sie weiterhin so behandelt, wie es ihm sein Kodex aus der Ferne vorschrieb. Vermutlich sah er sie immer noch als ‚eine andere Art Sklavin‘.


    “Nein, ich bin nicht als Sklavin geboren, allerdings bin ich es, solange ich mich erinnern kann, insofern läuft es auf dasselbe hinaus. Seit meinem fünften oder sechsten Lebensjahr.“

  • Ich nickte. "Verstehe. Ähm... andere Sache: Hat Memnos dir genug Kleidung mitgegeben?" Wenn nicht, dann würden wir wohl erstmal einkaufen gehen müssen. "Und vielleicht auch etwas einfachere Kleidung?" Das wäre in Rhakotis sicher besser. Ihre momentane Kleidung war zwar sehr schön und gab Alsuna das Aussehen einer Dame, aber für alltägliche Arbeiten war diese Kleidung ungeeignet. Wobei Alsuna darin wirklich schön anzusehen war, musste ich ihr zugestehen. Jedenfalls jetzt, wo es mir auffiel.
    "Was für Interessen hast du eigentlich? Also, ich meine, wenn du ganz frei entscheiden könntest, womit würdest du dich dann beschäftigen?" Ich wusste nicht, ob sie sich jemals darüber Gedanken gemacht hatte, aber ich hielt es für wichtig. Langfristig war mein Plan, Alsuna auf die Freiheit vorzubereiten. Und da war es durchaus nützlich, ihre Interessen zu kennen.

  • Ich lief durch die Straßen Richtung Akademie.
    Es war mittlerweile Abend geworden und die Sonnen verschwand langsam aber sicher hinter dem Horizont.
    Meine Arbeit und die meiner Männer war für heute getan, doch wollte ich vorher Marcus noch einen kleinen Besuch abstatten.
    Die anderen waren schon längst auf dem Rückweg nach Nikopolis.
    Ich erreichte schließlich die Akademie, in der es um diese Zeit schon fast toten Stille herrschte, und klopfte gegen die Eingangstür.

  • Eigentlich barg es eine Überraschung, dass Achilleos überhaupt solange damit gewartet hatte, sie auf ihre Gewandung anzusprechen, bei der es sich um eines der edelsten Stücke ihres kompletten Bestandes handelte. Schließlich hatte Memnos den berühmten ersten Eindruck so strategisch geplant wie einen Feldzug. Alsuna war sich recht sicher, dass ihr Auftreten etwas anders ausgesehen hätte, würde ihr zukünftiger Herr bereits über mindestens eine Frau und einen Stall Kinder verfügen. Doch wahrscheinlich war der griechische Händler doch ein wenig zu oberflächlich an diese Sache herangetreten. Jemand wie Achilleos sah in derartiger Kleidung mit Sicherheit nur eine nutzlose Geldverschwendung sondergleichen. Gerade auch vor der Kulisse dieses heruntergekommenen Viertels. Oder Memnos hatte mit seinem Auftritt direkt dafür sorgen wollen, dass sie sich in Rhakotis von Anfang an furchtbar unbeliebt machte.
    "Ja Herr, mir wurde auch einfachere Kleidung mitgegeben. Natürlich ist nun alles an Kleidung und Schmuck ebenfalls dein Besitz, so du es wünschst, werde ich dir alles zeigen." Oder beinahe alles.


    Ihre Interessen? Warum ging er nicht wie andere Leute davon aus, das Sklaven so etwas schlicht nicht kannten? Sicher besaß sie diese, wie hätte sie ansonsten überleben können? Sorgfältig abgegrenzt von ihrem restlichen Leben und ebenso vorsichtig verborgen vor den Blicken der Leute, die in jenem restlichen Leben die Fäden zogen. Und selbst über einen Wechsel ihres Besitzers hinaus hatte dies eigentlich so bleiben sollen. Man konnte unmöglich voraussehen, welche Auswirkungen es besäße, wenn sie plötzlich offen darüber sprach. Wie sie Achilleos bisher kennengelernt hatte, wäre er wahrscheinlich alles andere als begeistert. Dann würde er es ihr verbieten und sie würde noch viel verdeckter wie sonst schon arbeiten müssen.
    Andererseits eröffneten sich hier auch nie dagewesene Möglichkeiten. Sie musste ja nicht gleich mit der vollen Wahrheit durch die Tür stürmen. Und so merkte man ihrer Antwort das Zögern durchaus an.
    "Nun... ich würde meine Kenntnisse in der Heilkunde noch vertiefen. Und vielleicht... mich mit dem Totenkult verschiedener Länder beschäftigen. Mit dem Zusammenspiel von Seele und Körper vor und während des Lebens und nach dem Tod. Ohne die Verzerrung durch den religiösen Glauben." Ja, das klang doch eigentlich noch ganz brav. Zumindest hoffentlich in den Ohren von Achilleos, den man nicht als normalen Bewohner Alexandrias bezeichnen konnte.

  • Ich brauchte Alsuna also keine Kleidung zu kaufen. Das war schon mal gut. "Kleidung und Schmuck bleiben bei dir. Deshalb muss ich es auch nicht sehen." Wenn ich sie irgendwann einmal in die Freiheit entlassen würde, dann hätte sie schon mal einen Anfang, um über die Runden zu kommen.


    "Heilkunde? Nun, da kannst du sicher etwas am Museion lernen. Ebenso über das Zusammenspiel von Körper und Seele. Du kannst zwar nicht offiziell als Schülerin aufgenommen werden, aber vielleicht kann ich etwas tricksen und einen Kollegen am Museion um einen Gefallen bitten. Ich werde sehen, was ich da tun kann. es kann auch nicht schaden, wenn du mich zusammenflicken kannst, wenn das nötig ist. Hast du schon mal Wunden gereinigt und vernäht?" Es war durch meine Bemerkung wohl klar, dass ich damit keine einfachen Wehwehchen meinte, die man sich im Haushalt ab und an zuzieht. Die mussten in der Regel nicht vernäht werden.

  • Ich kam gerade vom Museion zurück. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass mich jemand verfolgen würde, aber ich konnte es nicht beweisen, denn jedesmal, als ich mich umsah, sah alles ganz normal aus. Als ich dann Matrinius am Tor erblickte, hellte sich mein gesicht etwas auf. "Salve Matrinius, wie geht es dir?"

  • Ah, salve Marcus! Wo kommst du denn her?
    Ich hatte ja eigentlich mehr damit gerechnet, dass er mir von der anderen Seite des Tores her öffnen würde.
    Mir geht es gut und dir?
    Antwortete ich auf seine Frage.
    Dabei entging mir nicht, dass Marcus scheinbar etwas besorgt aussah.

  • "Ich habe am Museion unterrichtet. Geographie. Und selbst? Patroullie?" Ich öffnete das Tor. "Mir geht es soweit ganz gut. Der Arm ist gut verheilt und meine Schüler machen sich auch ganz gut. Übrigens, stell dir vor, ich habe eine Sklavin. Ein Händler, dem ich manchmal bei der Bewertung von Seide und Gewürzen helfe, hat sie mir geschenkt. Keine Ahnung, warum, aber er hat es getan. Von ihm habe ich auch schon das Grundstück für die Akademie erhalten. Kannst du dir das vorstellen, ich und eine Sklavin?" Ich lachte, doch dann fiel mir etwas auf der Starße auf. Ich sah zur Straßenecke, die weiter vom Tor entfernt war. Da kamen fünf Lanzenträger entlang und noch einer mit einem Kurzschwert. "Das ist aber seltsam... die sehen gar nicht aus wie Stadtwächter..."


    "Da ist ja der Römerfreund! Und einen Römer noch gleich dabei! Macht sie fertig!" rief der Schwertträger in perfektem Koiné. Das war schon seltsam, weil sie eher wie Ägypter gekleidet waren. Dann stürmten die Lanzenträger auch schon auf uns zu.


    Ich schob Matrinius schnell durchs Tor und folgte ihm. Dann schloss ich das Tor. "Wusste ich's doch! Ähm... kurze Lagebeschreibung: Das Tor wird nicht lange halten und die sind uns drei zu eins überlegen. Ich schlage vor, dass wir sie erstmal hier im Gang erwarten und uns langsam zum Tor zum äußeren Hof zurückfallen lassen. Dort müssen wir sie dann aufhalten. Schon mal gekämpft?" Dabei zog ich mein Schwert. Die Klinge war deutlich länger als die eines Gladius, zumal ich das Jian in leichter Überlänge fertigen ließ. Dadurch konnte ich es auch anderthalbhändig führen.

  • Ich beglückwünschte Marcus zu seinen neuen Errungenschaften, als plötzlich 6 bewaffnete Männer um die Ecke kamen, etwas auf Koine sprachen und auf uns zustürmten.
    Mein Koine war zwar etwas eingerostet, doch konnte ich durchaus noch verstehen was die Typen wollten und ihre Körpersprache tat den Rest dazu.
    Ehe ich noch reagieren konnte schob mich Marcus schon durch das Tor und schloss es hinter mir.
    Dann redete er plötzlich wie wild auf mich ein und faselte was von Kämpfen, Tor hält nicht lange usw..
    Ich kam mir im ersten Moment ziemlich verarscht vor, bevor ich meine Stimme wieder fand.
    Ich glaube wir sollten erstmal nichts überstürzen. Vielleicht lässte sich ja mit ihnen reden?
    Meinte ich hoffnungsvoll, da ich das Kämpfen auf Leben und Tod sowieso als letztes Mittel betrachtete und öffnete das Tor einen Spalt breit um den hernnahenden Männern etwas zuzurufen.
    Ein Zischen drang an unsere Ohren und ich zog meinen Kopf im letzten Moment zurück, bevor ein Speer mit lauten Krachen in das Holz des Tores eindrang, wo vor kurzem noch mein Kopf gewesen war.
    Ich schloss das Tor sofort wieder und wandte mich an Marcus.
    Vergess einfach was ich gesagt habe.
    Sagte ich nun doch mit Zorn in der Stimme und zog mein Gladius.
    Manche Menschen bevorzugten halt einfach das geschwungene Schwert, als das gesprochene Wort.
    Der schmale Gang dürfte uns zumindest einen Vorteil ihnen gegenüber verschaffen.
    Meinte ich, während ich spürte wie das Adrenalien langsam aber sicher durch meinen Körper schoss.
    Was das Kämpfen angeht so muss ich dich leider enttäuschen. Das wird heute wohl das erste mal der Fall sein, dass ich gezwungen bin jemanden zu töten.
    Sagte ich, schenkte dem neben mir stehenden Marcus noch ein halbherziges Lächeln und zog noch ein Pugio aus meinem Gürtel zog.
    Sterb mir ja nicht weg, hast du gehört? Ich will mich nicht alleine mit denen rumschlagen!

  • Ohne Kampferfahrung? Das war schlecht. "Lass mich dir einen Tipp geben: Du darfst keine Gnade zeigen! Und nicht zu viel nachdenken. Nachdenken kannst du später noch genug, und das wirst du. Und mach' dir keine Sorgen, dass ich wegsterbe. Ich war schon in einigen Kämpfen und gestorben bin ich noch nie." Ich grinste.

  • Allzu viel hätte es Alsuna tatsächlich nicht ausgemacht, ihrem neuen Herrn die unter Hermione erworbenen Besitztümer zu überlassen. Nichts davon hatte sie sich selbst ausgesucht oder zurecht gestellt; als eine Art größere Puppe war dies allein Aufgabe ihrer Herrin gewesen, welcher diese auch mit Feuereifer nachgekommen war. Wenigstens hatte Hermione einen guten Geschmack in Modefragen besessen, so dass man sich in der Regel ganz und gar nicht für sein Äußeres zu schämen brauchte.
    Da die Sklavin noch nicht wusste, ob Achilleos sie nicht aus welchen Gründen auch immer einmal in dieser teureren Gewandung benötigte, würde sie nach wie vor davon absehen, zum Beispiel den Schmuck zu verkaufen und sich von dem Geld etwas zu besorgen, das sie weitaus mehr brauchte.
    Anscheinend war ihre Ausdrucksweise in der Beschreibung ihrer Interessen harmlos genug gewesen. Und eine Fortbildung über das Museion klang zwar befremdlich in ihrer Position, dennoch würde sie sich eher die Zunge abbeißen, als dagegen zu protestieren. Natürlich gebot ihr die unterwürfige Höflichkeit einen minimalen Einwand.
    “Ich möchte aber nicht, dass du wegen mir in Schwierigkeiten kommst, Herr.“ Ja, dies sollte wohl erst einmal genügen.


    Auf seine Frage bezüglich des Vernähens von Wunden hätte Alsuna am Liebsten wiederum mit einer Gegenfrage reagiert, nämlich ob er sich denn schon jemals eine Wunde zugezogen hätte, die des Vernähens würdig gewesen wäre. Andererseits umgab ihn trotz der freundlichen Worte durchaus auch die Aura eines Kriegers, woran das auffällige Schwert an seiner Hüfte wohl nicht ganz unschuldig war. Mit Sicherheit war sein Körper über und über mit Narben verschiedenen Alters bedeckt. Womöglich verzichtete er aus diesem Grunde auf eine Massage. Es schmerzte ihn schlicht zu sehr.
    Natürlich (und zu Alsunas leisem Bedauern) hatte noch niemand Hermione den Bauch aufgeschlitzt oder der Kleinen auch nur annähernd etwas angetan, das den Griff zu Nadel und Faden rechtfertigt hätte. Und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte Memnos garantiert einen vorzüglich ausgebildeten Heiler mit der Versorgung beauftragt und nicht sie.
    “Die meiste Praxiserfahrung bezüglich der Wundbehandlung habe ich bislang an Schweinen geübt. An.. toten... Schweinen.“ Ohne Zucken und Jammern war die Arbeit auch recht gut verlaufen. Wahrscheinlich kein Vergleich mit einem echten Schlachtfeld. Doch wenn sich ihr verletzter Herr möglichst wie ein totes Schwein verhielte, dann würde sie ihm durchaus gut helfen können.
    “Wird es denn... oft nötig sein, dich ‚zusammenzuflicken‘, Herr?“ Es schadete sicherlich nicht, diese Information einmal vorsichtig zu erfragen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!