Akademie des Marcus Achilleos

  • "Möchtest du damit vielleicht andeuten, dass das Recht dir nicht angemessen vorgibt, was richtig oder falsch ist? Aber dann wäre es ja fehlerhaft. Dann begingen diejenigen, welche sich eisern an die Gebote des Gesetzes hielten, ja möglicherweise Fehler. Woran soll man sich denn dann noch orientieren?"
    Mochte es auch daran liegen, dass Alsuna sich selbst hin und wieder gerne in diffuse Grauzonen zurückgezogen hatte, doch verspürte sie gerade große Lust, ihrem Herrn diesen 'Verteidiger von Recht und Ordnung'-Zahn zu ziehen. Einfach eine kleine, einsame Sklavenfreude, die vielleicht nicht ihren Ansporn in reiner Freundlichkeit fand, deswegen jedoch nicht weniger motiviert war. Zudem war diese aktuell herrschende Situation recht interessant, wie es eben immer Schaulustige anlockte, wenn die Welt eines Menschen zusammenzubrechen drohte. Zwar machte sich die Germanin diesbezüglich kaum Illusionen, da sie in ihrem Gegenüber immer noch einen Tausendsassa mit ungeahnten und unbegrenzten Möglichkeiten sah, doch ihr sollte es bereits genügen, wenn sie ein wenig an seinem Schild zu kratzen vermochte.


    So, letztendlich war er auch nichts als ein Sklave. Und damit war er also zufrieden? Eine Existenz bis zur Selbstaufopferung für eine Institution, die einem nie etwas zurückgab? Mit einem Herrn vermochte man sich zumindest noch halbwegs gut zu stellen, aber der Staat? Gut, es winkten vermutlich nicht unerhebliche Privilegien, aber dank denen geriet man nur noch mehr in diesen Sumpf. Doch anscheinend war dies ja genau die Lage, welche sich Achilleos für sein Leben wünschte. Ein kleiner Selbstquäler. Oder aber er suchte schlicht nach Macht, Ruhm und Reichtum. Ganz gleich, nach was er im Endeffekt strebte, oder ob er immer noch irgendein Spiel mit ihr abzog, falls es nur die kleinste Möglichkeit gab, ihm doch irgendwie den Boden unter den Füßen fortzuziehen, würde Alsuna diese nutzen. Was hatte sie schon zu verlieren?


    Ein weiterer Schritt auf ihren Herrn zu folgte, immer noch durchsetzt mit einer gewissen eleganten Gelassenheit, als wäre sich das Raubtier beim Umkreisen seiner bereits angeschlagenen Beute sehr sicher, das diese ihr nicht mehr würde entkommen können. Selbst ohne direkten Blickkontakt.
    "Möchtest du denn einmal den Versuch wagen und darüber nachdenken, was du eigentlich willst, oder fürchtest du dich doch zu sehr vor dem Ergebnis?"

  • So langsam nahm die physische Distanz zwischen Alsuna und mir für meinen Geschmack zu sehr ab. Andererseits hatte ich bedeutendere Probleme. Wollte ich darüber nachdenken, was ich will? Oder wollte ich es nicht? Wenn nicht, hatte ich dann womöglich Angst vor dem Resultat? Oder eher Angst davor, einfach loszulassen und den Blickwinkel zu ändern? Oder vor etwas ganz anderem? War Alsuna ein Glücksfall für mich, weil sie mir diese Überlegungen aufzwang, oder war sie ein Unglück, aus dem selben Grund? Wer war dieser Marcus Achilleos eigentlich? Und wer war Zixi De? Waren beide die selbe Person? Und wer war ich? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort hatte.
    "Ich weiß es nicht." Das war die einzige Antwort, die ich darauf hatte. Alles andere wäre eine Lüge gewesen.

  • Er wusste es nicht? Diese Antwort bestätigte zwar durchaus den Verdacht, welchen Alsuna bezüglich seiner Kenntnisse um wirklich wichtige Angelegenheiten inzwischen hegte, dennoch war sie deswegen nicht weniger frustrierend. Wen sollte man denn seiner Meinung nach diesbezüglich fragen, wenn nicht ihn? Seine Nachbarn? Irgendwen im Osten? Auf eine derartige Frage vermochte er sich wohl nur selbst eine Antwort zu geben.
    Die Alternative war natürlich, dass er mit ihr einfach gar nicht länger über dieses Thema sprechen wollte und vorgab, keine Ahnung zu haben, damit sie das Interesse an ihm verlöre, beziehungsweise an seiner verpfuschten Einstellung. Denn natürlich setzte sie ihn irgendwie unter Druck, sowohl durch ihre andauernde Fragerei, als auch auf physischem Wege. So distanziert und abgehärtet, wie er über das Schicksal anderer bestimmte, konnte man womöglich nur agieren, wenn man immer einen gewissen Abstand wahrte und sprichwörtlich niemanden zu nahe an sich heran ließ. Außer natürlich im Kampf. Und unter Umständen Kindern gegenüber, denn so quirlig, wie jene waren, konnte man ihnen mitunter schlicht nicht entkommen oder aus dem Weg gehen.


    Doch wahrscheinlich sollte sie sich keine großen Hoffnungen machen, dass ihre Präsenz ihm allzu viel Unbehagen einflösste. Sie wirkte abgesehen von ihrer Haarfarbe nicht sonderlich furchterregend, zumal sie einfach nicht auf die Unterstützung eines durchdringenden Blickes zählen konnte, wie er oftmals schon genügte, um Menschen zum Schweigen zu bringen oder aber handeln zu lassen. Und wenn es ihm zu viel würde, schubste er sie einfach zur Seite und sein Weg wäre wieder unversperrt. Sie selbst ließe so etwas wiederum als kleinen Sieg gelten, doch über derart unwichtige Dinge würde dieser Mann ohnehin nicht nachdenken müssen. Der bislang Unbesiegte. Insofern konnte sie ihren Weg ruhig noch einen Schritt weiter fortsetzen.


    "Nun, ich denke, so etwas findet man nur dadurch heraus, dass man einen Versuch wagt. Ich halte dich für einen offensichtlich klugen Menschen. Der sich gerade hinter einem stagnierenden 'Ich weiss es nicht' versteckt. Du bist doch wissensdurstig, oder? Und neugierig. Wenn du etwas nicht weißt, willst du es in der Regel herausfinden und lernen. Den weißen Fleck beseitigen. Was kann denn schon groß passieren? Tappst du lieber für den Rest deines Lebens weiter freiwillig im Dunkeln herum, als endlich die Augen zu öffnen?"

  • So langsam kam sie mir wirklich zu nah. Physisch und psychisch. Ihre Fragen trafen auf die vielen kleinen Zweifel, die ich zu ignorierten lernte. Und mir fiel kein Zitat ein, das mich aus dieser Situation befreien konnte.
    "Wenn ich über mich selbst richte, dann kann ich nicht bestehen. Ich bin nicht so perfekt, wie ich es gerne wäre, und das wissen wir beide. Selbst wenn ich nicht über mich richten würde... ich wage es nicht, mich meinen inneren Dämonen zu stellen. Ich ahne, was ich dann sehen werde, und bin noch nicht so weit, dann auch als Sieger hervorzugehen. Du kennst mich in meinem jetzigen Zustand. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du mich nicht in einem Zustand kennen lernen willst, in dem ich nicht von Prinzipien geleitet werde, die vor Jahrhunderten von irgendwelchen weisen Männern in der Fremde aufgestellt wurden. Ich fürchte, dass ich besser zum Tyrann tauge als zum Wohltäter, besser zum Vernichter als zum Erschaffer!"

  • In dem er nicht von Prinzipien geleitet wurde? Alsuna musste sich eingestehen, dass sie diese Aussage verwirrte, was man ihr möglicherweise auch flüchtig angesehen hatte. Schließlich war sie bislang davon ausgegangen, dass gerade jene hanebüchenen Regeln und Gesetze ihn dazu verpflichtet hatten, fern jeden Mitgefühls durch die Gegend zu ziehen und Unschuldige auszulöschen. Hatte er diese so genannten 'Weisheiten' am Ende doch nur für den Drang zur Vernichtung und Tod benutzt, welcher ohnehin in seinem Innersten lauerte?
    Nun gut, über die langen Jahre ihrer Sklavenschaft hinfort hatte sich auch in ihr einiges angestaut, das selbst mittels ihres gegenwärtigen 'Ausbruchs' von Ungehorsam noch nicht neutralisiert hatte werden können. Demütigungen und Wut verkörperten nun einmal eine mehr als hungrige, gierige Bestie. Allerdings brachte Alsuna derlei Empfindungen mitnichten rein negative Ansichten entgegen. Sie gaben Kraft und härteten ab. Beides äußerst nützlich in ihrem Stand. Und solange man nicht dergestalt die Kontrolle über sich verlor, dass man sich in einem Rausch selbst gefährdete, war laut ihrem persönlichen Urteil die Welt in Ordnung. Noch nie hatte sie sich als Menschenfreundin gesehen und fand darin auch keinen Makel. Schließlich hatte man ihr bislang auch wenig gegeben, das der Dankbarkeit oder Freundlichkeit bedurft hätte.


    Insofern befand sie sich eigentlich recht weit entfernt von einem zartbesaiteten Weiblein, das bei jedem Tropfen Blut einer Ohnmacht nahe kam. Zwar war sie ebenfalls noch nie hüfthoch in Leichenbergen gewatet, allerdings schätzte Alsuna sich selbst als nicht unbedingt zimperlich und schwächlich ein, wenn sie es denn anders haben wollte. Immerhin schritt sie gerade todesmutig auf ein 'Ding' zu, dessen Reaktion aufgrund der Tatsache, dass sie es zunehmend in die Ecke drängte, sicherlich nicht fröhlicher ausfiele. Oder harmloser. Oder schmerzfreier. Mittlerweile trennten sie nur noch etwa zwei kleine Kinderschritte, Tendenz abnehmend. Wenn sie nun innehielte, würde sie damit lediglich andeuten, dass sie sich vor ihm und seinen Worten fürchtete. Und sie lebte von derartigen winzigen Triumphen.


    "Wenn du ewig davonläufst, wirst du niemals bereit sein, dich ihnen zu stellen - falls man das überhaupt jemals sein kann. Zudem ist niemand so perfekt, wie er gerne wäre. Außer vielleicht, er ist zufälligerweise ein Gott, aber denen bin ich weder begegnet, noch interessieren sie mich sonderlich. Und du musst ja auch nicht sofort über dich richten und dich dann womöglich gleich selbst in ein Schwert stürzen."
    Irgendwie glaubte Alsuna zu ahnen, dass diese unglückliche Maßnahme ziemlich gut auf ihren Herrn passen könnte.
    "Dämonen sind zudem weit weniger schlimm, wenn man sie mal bei Licht betrachtet, als wenn man sie nur in der Finsternis rumoren hört. Sogar ein Kaninchen klingt im Dunkeln unheimlich, wenn es scharrt und knabbert und man nicht weiß, was es ist. Nun lauf nicht vor irgendwelchen Schatten davon."

  • "Keine Sorge, Selbstmord begehe ich definitiv nicht." Natürlich nicht, denn dazu hatte ich kein Recht. Das durfte mir eigentlich nur der Kaiser befehlen. Der im Osten oder auch der in Rom. "Und du willst mir also sagen, dass meine inneren Dämonen gar nicht so schlimm sind, ja? Und dass ich mich unnötig vor etwas fürchte, das mir nichts anhaben kann? Woher kommt dein Interesse an meinem Wohlergehen? Ich denke, du kannst mich nicht ausstehen?"


    Jetzt ging ich einen Schritt auf Alsuna zu und hob ihr Kinn vorsichtig mit meiner linken Hand an. Dabei war ich sehr sanft, fast so, als wäre die Germanin vor mir zerbrechlich. Natürlich wollte ich auf diese art erreichen, dass sie mich ansah, wenn sie antwortete. Sollte sie sich dagegen wehren, dann würde ich nicht darauf bestehen. Sie konnte jederzeit ausweichen.

  • Nun würde es langsam so weit sein müssen. Sehr bald würde er ihr entweder aus dem Weg gehen oder sie sonstwie ins Leere laufen lassen müssen. Tat er dies nämlich nicht, besäße sie dasselbe Problem, was sie ihm augenblicklich aufzuzwingen versuchte, nämlich zu viel Nähe im Hinblick auf eine Person, von der sie bevorzugt Abstand hielt. Zu Beginn ihres kleinen Manövers hatte sie sich die Wahrscheinlichkeit eines zumindest moralischen Sieges - im weitesten Sinne - als noch recht ansprechend ausgemalt. Langsam schlich sich jedoch die geflüsterte Frage in ihren Kopf, wo ihre ach so schöne Taktik enden sollte, wenn Achilleos eben nicht so reagierte, wie sie es sich vorfreudig ausmalte. Wenn er einfach stur und starr stehen bliebe und sie gegen eine Wand aus Ignoranz prallen ließe. Oder ihr wutentbrannt den Kopf zertrümmerte, weil sie ihn so unsagbar nervte mit ihrer beabsichtigten Penetranz. Was hätte sie dann erreicht?
    Doch vielleicht dachte sie auch einfach bereits zu früh darüber nach. Wenn sie ihre Schritte fortan etwas kleiner gestaltete, besäße sie noch die halbe Zeit der Welt, und wenn sie wirklich nicht weiter käme, würde sie schon Rat wissen. Ihre Psyche mochte ebenfalls nicht die gesündeste sein, doch bei ihm dürfte es noch um einiges heftiger aussehen.


    Selbstmord würde er also nicht begehen. Und sie machte sich ganz gewiss keine Sorgen um ihn, sie hatte lediglich ihn dazu drängen wollen, sich weiter mit seinem Scherbenhaufen von Seele auseinanderzusetzen und ihn deswegen voller übler Hintergedanken beruhigen wollen. Wenn man sich um jemanden sorgte, umstreifte man denjenigen wohl nicht wie eine Hyäne mit der Witterung frischen Blutes in den Nüstern. Da Alsuna sich in ihrem Leben bislang ausschließlich um sich selbst gesorgt hatte, wäre ein derart vermittelter Eindruck auf jeden Fall eine Missdeutung. Zudem war ihre Sorge wenig wert, denn wie man merkte, geriet sie dennoch gerne in bedrohliche Situationen. Eine gewisse Lust an Gefahr vermochte sie nicht ganz zu verbergen.
    Dann jedoch änderte Achilleos merklich die Lage. Er begann erneut, seinerseits Fragen zu stellen, was wahrscheinlich auch daran lag, dass sie bei ihrer vorherigen Antwort schlicht vergessen hatte, beständig bohrend ihrerseits Fragen zu stellen. Wundervoll, nach einer solch großzügigen Einladung konnte der Kerl ja gar nicht anders, als dankbar darauf einzugehen. Als hätte sie ihm höchstpersönlich ein Schlupfloch in ihrer Belagerung gezeigt, durch welches er entkommen konnte. Alsunas Kiefer pressten sich kurz ein wenig fester aufeinander und die ohnehin nur gespielte Entspannung geriet ins Wanken, wurde gerade noch so von ihrem Willen und dem Entschluss gehalten, nicht gleich alles hinzuwerfen und aufzugeben. Falls er glaubte, die Spitze des Speers nun einfach in ihre Richtung deuten lassen zu können, würde sie ihn bedauerlicherweise eines Besseren belehren müssen. Zu nahe war sie ihrem Ziel gewesen, um ihn nun wegen eines kleinen Fehlers gänzlich aufzugeben. Obgleich 'nahe' ein sehr relativer Begriff war. Um eine Antwort war sie in der Regel jedoch nie verlegen, nur kam ihr diese eher selten wirklich über die Lippen.


    Insofern sog sie bereits die Luft für eine seine Mutmaßungen gänzlich entkräftende Erwiderung ein und ließ ihre Aufmerksamkeit flüchtig tiefer sinken, um so unauffällig wie möglich den Abstand einzuschätzen und den im Folgenden geplanten Schritt dementsprechend zu gestalten, als Achilleos ganz offenbar fand, dass Angriff am Ende doch die beste Verteidigung wäre. Natürlich waren all die Jahre der kontinuierlichen Übung nicht vergebens gewesen, so dass ihr Blick rasch in Bereiche flüchtete, die ein gutes Stück über den Augen ihres Herrn lagen, ohne diese auch nur zu streifen. Man würde ihr die Augäpfel schon aus den Höhlen schaben müssen um sie zu zwingen, einen Blick zu erwidern und tatsächlich galt diesem gewohnheitsmäßigen Ausweichen gerade der kleinste Teil von Alsunas Aufmerksamkeit. Vielmehr drängte sich ihr die brüllende Frage auf, was beim Ufer des Styx dieser Kerl da gerade tat. Und, vielleicht etwas weniger offensichtlich, was er damit bezweckte. Die Charmeoffensive? Er musste wirklich ungeheure Furcht vor seinen inneren Bestien hegen, wenn er lieber so etwas anstellte, als das Gespräch auf 'normalem' Wege fortzusetzen. Sie hatte doch wohl mit dem Nähertreten nicht impliziert, dass sie ihm nahe sein wollte! Wie kam man nur zu einer derartig absurden Schlussfolgerung?!
    Die Germanin wusste nicht zu sagen, was sie gegenwärtig mehr empören sollte; dass ihr Herr sich auf so miese Art aus der Affäre zu ziehen versuchte, oder dass er tatsächlich glaubte, diese Art könne bei ihr von Erfolg gekrönt sein. Doch ganz gleich, für was sie sich letztendlich entschied, etwas hatte gerade definitiv seinen neuen Tiefpunkt erreicht. Ihre Hinterhältigkeiten waren zumindest noch halbwegs niveauvoll gewesen, die seinen allerdings waren so platt und lächerlich wie Hermiones Brustumfang.


    Alsuna unterdrückte mühsam den äußerst hartnäckigen Impuls, ihm auf die ein oder andere ähnlich niedere Art Schmerzen zuzufügen - oder zumindest die Absicht auszuführen, ob jene letztendlich von Erfolg gekrönt wäre, stand auf einem anderen Pergament. Tze, sein Wohlergehen... nur weil sie in seinem kranken Seelenleben herumkratzte, bedeutete dies noch lange nicht, dass sie ihn dadurch irgendwie heilen wollte. Je mieser er sich fühlte, um so besser ging es ihr. Was einem tödlich gerechten Halbgott wie ihm natürlich niemals in den Sinn käme. Obgleich ein solcher sehr wahrscheinlich auch nicht derart überdeutlich vermittelt hätte, dass er dringlichst vom Thema ablenken wollte.
    Man vermochte der Sklavin ihre Reaktion durchaus anzumerken, das Zucken, welches anfänglich ihren Körper durchlaufen hatte, wirkte zwar überrascht, doch keineswegs positiv. Was sich bald bestätigen sollte.
    "Ich wühle einfach nur gerne im Dreck", kam es gepresst und durchzogen von mühsamer Beherrschung über ihre Lippen, ehe sie einen schnellen, dank ihrer Wut auch recht kraftvollen Schlag mit der Handkante nach seinem Handgelenk tätigte, den er entweder abbekäme, oder, was wahrscheinlicher war, der einfach nur die Luft vor ihrem Gesicht durchschnitt, da er sich schon längst aus der Gefahrenzone zurückgezogen hätte. Zurückweichen würde sie ganz sicher nicht, nun erst recht nicht.

  • Ihr Schlag nach meiner Hand war vorhersehbar, dennoch zog ich die Hand nicht weg, sondern ließ sie von ihrem Schlag treffen. So konnte ich ihre Kraft einschätzen. Sie war etwas stärker, als ich zunächst annahm. Das war interessant.


    "Aha. Dann wühl mal schön weiter im Dreck, vielleicht kommt ja was Sinnvolles bei raus. Aber heute nicht mehr!"

  • Alsuna zweifelte trotz seiner vermutlich ohnehin nicht ernstgemeinten Aussage mittlerweile stark daran, dass noch irgendetwas Sinnvolles bei dem herauskommen würde, was einen Kontakt zwischen ihr und Achilleos betraf. Zum einen weil er die Ausweichmanöver eines Aals bevorzugte und zum anderen, weil ihr so langsam die Lust an diesem Spielchen verging. Stattdessen dürstete es sie vielmehr danach, ihn einfach nur noch gedemütigt und geschunden im Dreck Rhakotis' liegen zu sehen, was umso frustrierender war, als dass sich jenes Bild garantiert niemals in die Wirklichkeit retten ließe.
    Mit einem ordentlichen Aufgebot ihrer Reste an Selbstbeherrschung unterdrückte die Sklavin den aufkeimenden Drang, gegen alle stolzen Absichten zurückzuweichen, da ihr Gegenüber wie es schien rein gar nicht an dieser Option interessiert war. Selbst trotz seiner voluminösen Überlegenheit musste er sogar bei einer solchen Kleinigkeit noch den Überlegeneren demonstrieren. Alle Welt sah auf den ersten Blick, dass sie es auf direktem Wege niemals mit ihm aufzunehmen vermochte, und wenn sie noch eine Million mal wie eine Irre auf sein Handgelenk einschlug. So sie nicht zusätzlich irgendeine Verletzung aus der Vergangenheit träfe und damit einen miesen kleinen Schwachpunkt gnadenlos ausnutzte, würde sie niemals mehr ernten als blutige Hände und eine ordentliche Portion Schmach. Und selbst dann stünde er wahrscheinlich nach wie vor vollkommen unbeeindruckt vor ihr gleich einer Statue.


    Aber halt, da gab es doch noch seine 'einzige bislang erlebte Kampfverletzung'. Welche sich erfreulicherweise auch über jenen Unterarm erstreckte, welcher in der Hand mündete, die immer noch ihr Kinn hielt. Nun gut, mehr als eine Narbe war davon nicht übrig geblieben, zumindest konnte sich Alsuna nicht daran erinnern, irgendeinen Bewegungsmakel bemerkt zu haben. Was vermutlich auch gar nicht sein konnte, schließlich würde Achilleos dadurch massiv an Vollkommenheit einbüssen. Dennoch, ein Versuch war es wert. Ohnehin hatte sie ihn bereits tätlich angegriffen und dadurch eine gewaltige Grenze im Herr-Sklave-Verhältnis übersprungen, so kam es auf einen Versuch mehr oder weniger auch nicht mehr an. Da seine Taktik aus arrogantem Stillhalten bestand, würde sie schon merken, wie tief ihn dieser Schlag erwischt hatte.


    "Nein, heute sicherlich nicht mehr. Ist schon peinlich, wenn man bei einer schwachen Frau gleich körperliche Überlegenheit demonstrieren muss, weil man sich mental in die Ecke gedrängt fühlt." 'Schwache Frau' war kein erstrebenswerter Titel und so eigentlich auch nicht korrekt, doch sollte er ruhig weiter dem Glauben verfallen, hier unter jeder Vorraussetzung leichtes Spiel zu haben. Bislang hatte sie ihm auch nicht wirklich das Gegenteil beweisen können.
    Den Blick immer noch in höhere Ebenen gerichtet hob sie beide Hände zu ihren Schläfen, um sich einige kupferfarbene Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen und verlagerte so unauffällig wie möglich ihr Gewicht auf das linke Bein. Dann versuchte sie in einer möglichst schnellen, fließenden Bewegung die Finger beider Hände ineinander zu flechten und diese mit aller wütenden Kraft möglichst sowohl in der Nähe des Ellbogens als auch der Narbe auf seinen Arm zu schlagen. Sollte er nachgeben - was er vermutlich ohnehin nicht täte - konnte sie ihm etwas tiefer noch ihr Knie gegen die Unterarmknochen treten lassen. Und dann... ja... wahrscheinlich eine zügige Flucht antreten.

  • "Es ist genauso peinlich, wenn man freiwillig auf die Freiheit verzichtet und sich dann über die Launen des - nunmehr freiwillig gewählten - Herren aufregt und..." In diesem Moment schlug sie zu. Ich hatte schon damit gerechnet. Meinen ursprünglicher Impuls, den Arm wegzuziehen, unterdrückte ich. Sollte sie doch treffen. Und sie traf. Ziemlich hart sogar.


    "Schön. Bist du jetzt glücklicher? Wolltest du mir damit irgendetwas beweisen?" Ich versuchte gar nicht erst, den genervten Klang aus meiner Stimme zu nehmen. "Sonst noch was?"


    Ich hob eine Augenbraue. Dann fügte ich sarkastisch hinzu. "Ach ja, habe ich fast vergessen. Aua, aua, hat weh getan." Falls sie erwartete, nun von mir einen Schlag oder eine andere Strafe zu bekommen, dann war meine Reaktion sicher unerwartet.

  • Ja, verdammt, es hatte äußerst gut getan! Ein recht niederer Trieb fühlte sich mit diesem Schlag aufs Höchste befriedigt. Einer, der schon viel zu lange unterdrückt worden war, und der vor allem so schnell nicht mehr aufhören wollte, wenn er denn tatsächlich einmal die Oberhand gewann und aus seinen Fesseln gelöst wurde. Und da sich Achilleos erfreulicherweise weder zusammenkrümmte, noch stöhnte, sondern einfach stehen blieb und weiterhin spitzfindige Bemerkungen von sich gab, fand Alsuna während ihrer knappen, eher stark sporadischen Suche keinen Anlass, bezüglich ihrer Handlungen einen anderen, pazifistischen Weg einzuschlagen. Der Schuss Adrenalin mischte sich in ihr Blut und beschleunigte ihren Herzschlag, als hätte sie soeben halb Alexandria gepackt und im Meer versenkt. Ihre Augen, welche weiterhin an einen Punkt in den oberen Schatten gerichtet waren, blitzten freudig erregt und nur mit Mühe bezwang sie den Impuls eines gleichermaßen wirkenden Lächelns. Ohja, sie fühlte sich durchaus glücklicher. Glücklich, dieses blasse Wort vermochte gar nichts auszudrücken, wie sie gegenwärtig empfand. Ihr war zwar nicht danach, die ganze Welt zu umarmen, um sie jedoch mit Mann und Maus zu vernichten gereichte ihre Lust durchaus.


    "Wenn du nicht gerade irgendeinen schlauen Ostling zitierst, büßen deine Worte ziemlich an Eleganz ein, Jinshi." erwiderte die Germanin zwischen zwei tiefen Atemzügen, das letzte Wort dabei unheilvoll betonend.
    "Zudem, hätte ich die Freiheit nicht ausgeschlagen, wären mir so bewegende Dinge entgangen wie deine reumütige Entschuldigung oder deine hübsche, wehrlose, vollkommen verunsicherte Seele, die selbst eine peinliche Sklavin um Rat fragen muss. Was hätte ich mich um rührende Augenblicke gebracht!"
    Nun grinste sie doch, jedoch nur einen kurzen Moment lang. Es besaß durchaus auch Vorteile, wenn man der Umgebung stets und immer mehr Aufmerksamkeit entgegenbrachte, als dem Menschen, der darin stand. Nicht unbedingt im Nahkampf, wenn man quasi gezwungen wurde, den Blick an die Decke zu richten, doch vordem hatte sie Gelegenheit genug gehabt, sich mit dem Inventar an diesem Ort näher auseinanderzusetzen. Da gab es beispielsweise diesen feinen Schreibtisch, welcher recht genau hinter Achilleos stand und der noch immer Spuren ihrer aufgegebenen Freiheit trug.
    Nun gut, er wollte Nähe? Die konnte er bekommen.


    "Und bitte, ein Überwesen wie du fühlt doch keinen Schmerz. So etwas würde ich mir nie einbil..." Noch vor Beendigung des Satzes, der ohnehin nur als Ablenkungsmanöver diente, tauchte Alsuna unter seinem wahrscheinlich wirklich noch kerngesunden Arm hindurch, ging kurz in die Hocke, und stieß sich im nächsten Augenblick mit dem Kopf voran, die Hände gegen seine Hüften gepresst und ordentlichem Schwung gegen seinen Bauch, der zwar um einiges härter war, als erwartet, doch diese späte Erkenntnis vermochte die eigentliche Aktion auch nicht mehr wirklich aufzuhalten. Im Grunde brauchte er lediglich ein wenig das Gleichgewicht zu verlieren, zurückzutaumeln und die Tischkante hinter ihm würde ihr Übriges tun, um ihn zu Fall zu bringen. Schön, sie hatte die unangenehme Situation als Erste zu einem Ende geführt, aber zurückgewichen war sie auch nicht. Im Gegenteil.

  • Mit diesem Angriff hatte sie mich tatsächlich überrascht. Ich hätte ihn vermutlich durch einen massiven Schlag auf ihren Kopf oder ihren Nacken abwehren können, aber ich wollte sie nicht umbringen oder schwer verletzen. Obwohl es eigentlich meine Art gewesen wäre, genau das zu tun. Vielleicht war ich doch nicht ganz so grausam, wie ich dachte?


    Immerhin gelang es mir noch, meine Bauchmuskeln anzuspannen, doch die Wucht ihres Angriffs ließ mich nach hinten taumeln. Der Schreibtisch setzte einen Hebelpunkt, so dass ich definitiv das Gleichgewicht verlor. Ich verlagerte das Gewicht zur Seite, um nicht vollends auf den Tisch zu fallen. Gleichzeitig griff ich Alsunas Schultern und zwang sie dadurch, meinem Sturz zu folgen. Ich fing den Aufprall auf den Boden ab, indem ich mich abrollte, auch wenn ich dabei mit meinem linken Ellenbogen kräftig auf dem Boden aufschlug. Ein kräftiger Schmerz schoss sofort durch meinen linken Arm. Alsuna bekam deutlich weniger ab, auch weil ich darauf achtete, dass sie nicht voll auf den Boden aufschlagen würde. Bedingt durch die Rollbewegung landete ich zunächst über ihr beziehungsweise fast auf ihr, doch ließ ich mich einfach weiter rollen.


    Jetzt lag Alsuna auf dem Rücken und ich neben ihr. Ohne lange zu zögern stand ich sofort wieder auf und richtete mich zu ihr aus. Die Füße standen leicht versetzt, die Knie leicht angewinkelt. Die Arme waren ebenfalls angewinkelt und die Hände mit ausgestreckten, nach oben gerichteten Fingern versetzt vor meinem Körper. Jetzt war ich kampfbereit. "Guter Angriff, das muss ich zugeben! Diesmal war es auch tatsächlich schmerzhaft. Wenig elegant, aber effektiv. Gefällt mir!"


    Nach dieser kurzen Ansprache entspannte ich mich wieder und hielt ihr meine rechte Hand hin. "Komm, lass mich dir aufhelfen." Dabei blieb ich allerdings auf weitere Angriffe vorbereitet. Auch wenn der Schmerz im linken Arm inzwischen in ein Pochen überging und ich das Gefühl hatte, dass der Arm leicht taub wurde. Zumindest schien nichts gebrochen zu sein.

  • Wenn diese Härte alleine von seiner Bauchmuskulatur herrührte, dann stand ihr hier tatsächlich gerade Herakles gegenüber, der bereits seinen Platz zwischen den Göttern des Olymps eingenommen hatte. Wenigstens war ihr Vorhaben letztendlich von Erfolg gekrönt gewesen und ihr Ziel gab dem Angriff ausreichend nach, ansonsten hätte sie sich wahrscheinlich gleich selbst außer Gefecht gesetzt. Doch auch jetzt genügte die Härte des Kontakts bereits aus, um ihr für einige Augenblicke fast gänzlich die Orientierung zu rauben, der Sturz und das anschließende Abrollen taten ihr Übriges, um die Gesetze des Oben und Unten zunächst einmal außer Kraft zu setzen. Gleich einem Stier, den man gegen das Scheunentor hatte preschen lassen, fühlte sie sich und war dementsprechend unzufrieden mit dem Resultat ihrer Bemühungen. Zumal man nie zu sagen vermochte, ob Achilleos wahrhaftig überrascht worden war oder ihre Absicht von Weitem bereits hatte kommen sehen und einfach einmal mitgespielt hatte, um der Kleinen einen Gnadentriumph zu gönnen.
    Zumindest musste er mit irgendeinem Körperteil heftig auf den Boden aufgeschlagen sein, abgeleitet von dem harten Rumms, der dicht neben ihr einschlug. Ihr Kopf war es nicht, der verursachte sein eigenes, ungesundes Krachen auf dem Holzboden, unmittelbar danach. Es war nicht ganz so kräftig wie das zuvor vernommene, doch es genügte, um Alsuna flüchtig ein paar glitzernde Sternbilder auf schwarzem Grund erblicken zu lassen. Ein gepresstes, leises Stöhnen entfloh ihren Lippen. Normalerweise hätte sie sich reflexartig zusammengerollt und den Kopf zwischen den Schultern eingezogen, doch ihre Körperspannung hatte sich kurzfristig verabschiedet und aufgrund dessen bedauerlicherweise ihren Einsatz verpasst.


    Auch ihr Rücken fühlte inzwischen die Härte des Bodens und Alsuna stellte erleichtert fest, dass sie nun zumindest nicht mehr durch die Luft gewirbelt wurde wie eine Feder im Sturm. Nein, das hatte sie sich definitiv anders vorgestellt, schon allein weil er letztendlich doch wieder oben gelandet war. Wie eine verfluchte Katze war dieser Kerl, er landete einfach immer auf den Pfoten! Kein Wunder, dass ihm alles glückte, an diesem Ort waren Katzen schließlich auch noch heilig und wurden verehrt und angebetet. Mit immer noch geschlossenen Augen und einem gequälten Gesichtsausdruck schob die Germanin diese ohnehin eher wirren Gedanken beiseite. Das würde tüchtig Kopfschmerzen geben, abgeleitet von dem sich ausbreitenden, wellenartigen Pulsieren, das von gleich zwei Stellen ihres Schädels ausging. Wie angezogen und ebenso unnütz tastete ihre rechte Hand durch ihr Haar auf der Suche nach dem Entstehungsort der Beulen. Währenddessen schien Achilleos bereits wieder widerlich wohlauf zu sein. Zudem hatte sich seine Stimme noch einen netten, verzerrenden Nachhall zugelegt, wie es Göttern offenkundig gebührte.


    'Guter Angriff.' 'tatsächlich schmerzhaft'. Dämlicher Idiot! kam es leicht würgend von ihrem durchgeschüttelten Geist, den es ganz gewiss nicht noch nach dem Lob ihres Gegners gelüstete. Großartig, es gefiel ihm! Alle Knochen einzeln sollte sie ihm brechen, ganz langsam, Faser für Faser, damit er von dem Vergnügen ihrer Attacken auch wirklich lange etwas spürte! Schon wollte sie ihm eine äußerst unflätige Bemerkung bezüglich ihrer Meinung zu seiner Meinung entgegenschleudern und hatte auch schon die Lippen geöffnet und Luft geholt als man sie zwang, sich umzuentscheiden. Kurz schien sie zu versuchen, die Augen zu öffnen, allerdings sah man nur flüchtig zwei schmale, weiße Halbmonde, ehe auch der letzte, kümmerliche Rest Körperspannung sie verließ und ihr Kopf kraftlos zur Seite sackte. Natürlich war es eine Finte, sogar ihre Atmung versuchte sie flach zu halten, was angesichts ihres brennenden Wunsches, dem schmerzhaften Donner in ihrem Kopf irgendwie Ausdruck zu verleihen, gar nicht so einfach war. Doch nach diesem Angriff war ihr Herr wahrscheinlich auf jeden eventuellen Versuch in diese Richtung bis zum Zerbersten vorbereitet, was man ihm zuerst einmal wieder austreiben musste. In dieser lückenlosen, kampfbereiten Haltung würde sie niemals gegen ihn bestehen können. Ohnehin fühlte sie sich in der Welt der fiesen, kleinen Tricks bedeutend wohler.

  • War sie jetzt bewußtlos? So ganz sicher war ich mir nicht. Was zu tun war, wenn sie wirklich bewußtlos war, wusste ich auch nicht. Normalerweise hatte ich meine Gegner einfach liegen lassen, wenn sie das Bewußtsein verloren hatten. Meine Wächter hatten sich dann darum gekümmert. Die Option schied hier natürlich aus.


    "Alsuna?" fragte ich vorsichtig und hielt meine rechte Hand unter ihre Nase, um zu sehen, ob sie atmete.

  • Zugegeben, von ihrer jetzigen Position aus hatte sie ihren Gegner nicht wirklich angemessen im Blick. Sie durfte es lediglich sehr vorsichtig wagen, ihr dem Boden am nächsten liegendes Auge, in diesem Fall das rechte, einen winzigen Spalt zu öffnen um vielleicht an der gegenüberliegenden Wand die Bewegung eines Schattens wahrzunehmen. Viel war es nicht, was sich ihr dort eröffnete, doch ihren Gehörsinn störte die gespielte Ohnmacht zum Glück in keiner Weise.
    Im Grunde rechnete die Germanin nicht wirklich damit, dass Achilleos ihr die kleine Scharade tatsächlich abkaufen würde. Dafür schien er zu erfahren im Umgang mit Kampf und dessen Folgen auf andere Leute. Wahrscheinlich grinste er vor sich hin und murmelte lediglich so zögernd ihren Namen, weil er wissen wollte, wie weit sie ihr Spielchen noch trieb. Oder wie lange sie ihre Lungen, die nach tieferen Atemzügen lechzten, noch würde mit Gewalt beherrschen können. Bedauerlicherweise nicht mehr allzu lange, wie sie sich eingestehen musste.


    Zwar schien er sich auch folgsam - oder amüsiert - etwas zu ihr hinabzubeugen, allerdings nicht tief genug, wenn sie ihre blinde Wahrnehmung anhand von Gewänderrascheln und leichter Bodenerschütterung nicht täuschte. Dass er ihre tatsächlich auch noch vorhandene Atmung mit der Hand kontrollierte, bemerkte sie indes nicht. Er war noch nicht nahe genug und so langsam ging ihr die Luft aus. Und so sehr ihrem angeschlagenen Kopf auch die Aussicht missfiel, bald wieder bewegt zu werden, so musste sie den Verlauf ihrer Finte doch ein wenig beschleunigen.


    Die Fingerspitzen ihrer linken Hand, welche mit der Handfläche nach oben neben ihren Kopf und auf einem Schleier kupferfarbenen Haares gebettet ruhte, zuckten leicht und die Pupillen unter den geschlossenen Lidern zeigten schwache Aktivität. Schließlich begannen sich auch Alsunas sacht geöffnete Lippen zaghaft zu bewegen und Worte zu formen, allerdings sprach sie wenn überhaupt so gedämpft und leise, dass aus der gegenwärtig noch herrschenden Entfernung zu einem menschlichen Ohr unmöglich etwas zu verstehen war.

  • Flüchtig dämmerte Alsuna der Gedanke, ob sie derzeit möglicherweise auf dem besten Wege war, auch noch den Rest Menschlichkeit und Vertrauen in andere nachhaltig in Achilleos zu vernichten, indem sie zunächst auf sein Mitgefühl setzte, um es im Folgenden gnadenlos auszunutzen. Zumal seine Freundlichkeit irgendwann, wenn sie es doch schlicht übertrieben hatte, gewiss ein fürchterliches Ende finden würde. Es war erstaunlich, dass es das bislang noch nicht getan hatte. Doch wahrscheinlich sah er sie immer noch nicht als ernstzunehmende Gegnerin an oder als echte Gefahr, denn wie sonst war es zu erklären, dass er tatsächlich auch auf diese Finte einging? Wie vermochte man eine mitleidlose Spur aus Blut und Leichen zu hinterlassen und gleichzeitig so schrecklich naiv zu sein? Es musste maßlose Unterschätzung sein - oder aber das Wissen um die eigene gnadenlose Überlegenheit. Beide Optionen schürten Alsunas Wille, diesen überheblichen, arroganten Bastard den Schmerz seines Lebens spüren zu lassen, eine solch heftige Niederlage, dass er sich so bald nicht mehr davon würde erholen können, erst recht nicht, wenn sie ihn kontinuierlich daran erinnerte. Und das würde sie. Selbst wenn ihr im Gegenzug sämtliche Knochen gebrochen werden sollten, sie fände einen Weg. Anscheinend wusste er nur um die edlen, ehrenvollen Kampfstile. Sein Nachteil.


    Er war nahe über ihr, das konnte sie fühlen. Die Ausgangsposition war nicht die beste für ihre Absichten, doch es würde schon gehen. Überraschung war alles. Konzentration und Geduld, um auf den rechten Zeitpunkt zu warten. Sowie Unterdrückung einiger sehr fieser Triebe, die ihn am Liebsten einfach nur mit allem verprügelt hätten, das in Reichweite war. Was ohnehin nicht sehr viel darstellte.
    Gedämpfte Laute drangen über ihre Lippen, welche nach wie vor unverständliche Wortfetzen darzustellen schienen, doch zumindest schien sie langsam und zögerlich in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Ihre Brust hob und senkte sich unter einem tiefen Atemzug, den sie schlicht nicht länger unterdrücken konnte und ihre Hände bewegten sich stärker, schienen nach etwas in der Luft zu tasten, bis ihre Fingerspitzen der linken Hand einige Strähnen seines Haares berührten und sich zaghaft wieder zurückzogen. Die rechte, welche etwa in Hüfthöhe gelegen hatte und die - wenigstens in der Theorie - außerhalb seines Sichtfeldes lag, hob sich bedeutend zügiger bis zum Ellbogen, tastete hauchzart über Achilleos' Kleidung, welche seinen Rücken bedeckte und verharrte endlich relativ unschuldig auf seinem Oberarm. Schließlich waren die Augen der Germanin nach wie vor geschlossen und dennoch musste sie irgendwie seine Position erkennen können.


    Langsam wandte sie ihm das Gesicht zu und versuchte gleichzeitig möglichst unauffällig ihre Muskeln anzuspannen, welche dies immer noch unruhig nur zu gerne taten. Die linke Hand glitt inzwischen immer noch blind tastend über seine Wange und zwang seinen Kopf sanft in die richtige Position, um ihren Blick erwidern zu können. Falls es diesen Blickkontakt denn tatsächlich zum ersten Mal geben sollte. Schon flatterten ihre Lider leicht und ihre Fingerspitzen streichelten von seinem Wangenknochen über den Rand seines Ohres in die seidige Tiefe seines Haares hinein. Der Anflug eines Lächelns legte sich auf ihre Lippen, während sie die Lider langsam öffnete und den Blick über seine Züge hinauf zu seinen Augen wandern ließ...


    Oder beinahe bis zu seinen Augen. Inzwischen war auch ihre rechte Hand zu seinem Hinterkopf gelangt und verschränkte dort die Finger mit jenen der anderen. Viel Schwung konnte sie nicht holen, da er ein wenig zu dicht bei ihr war, doch es würde vielleicht für die erste Überraschung reichen. Mit einem schnellen Ruck hob sie den Oberkörper das fehlende Stück an und ließ ihre Stirn so hart als möglich gegen die seine schlagen. Da ihr Schädel ohnehin schon brummte, würde diese Beule nun auch nichts mehr groß ändern. Mit zusammengebissenen Zähnen rammte sie ihm zeitgleich das rechte Knie in den Bauch, diesmal allerdings auf die dort herrschende, absolut anormale Härte vorbereitet. Hätte ihre Position eine solche Aktion möglich gemacht, so hätte ihr Ziel deutlich tiefer gelegen, doch was jetzt noch nicht gelang, vermochte man möglicherweise später nachzuholen. Erst einmal wollte sie ihn hauptsächlich auf den Rücken drehen und unter sich bringen - wie sie ihn dort hielte, würde sie dann überlegen, wenn es so weit war. Ihr rechter Unterarm drückte sich nach einem schnellen, festen Schlag auf seinen Kehlkopf, während die linke Hand sich in seinen Haaren vergraben hatte und ihn auch eben nach links unten zerrte, dorthin, wo ihr gesamter Körper ihn nun mit allem Schwung, den sie aufbringen konnte, zu stoßen versucht. Liefe alles glücklich und konnte sie wenigstens halbwegs auf ihm landen, würde sie immer noch mithilfe ihres Knies prüfen können, wie weit die augenscheinliche Rüstung verlief. Erst mal sog sie den Atem ein und brachte ihre gesamte Energie auf, um einen Meisterkämpfer zu Fall zu bringen.

  • Die Überraschung war gelungen! Erst der Schalg gegen die Stirn - was war das, was mich da traf? Ein Brett? - dann blieb mir die Luft weg, irgendwas drückte auf meine Kehle und ich war am Boden. Ich war auf eine Finte hereingefallen! Alsuna war wohl doch nicht so unerfahren im Kämpfen, wie ich dachte. Was hatte noch Meister Sun gesagt? Kenne deinen Gegner? Mein Mitgefühl war doch eine Schwäche! Eine ganz erhebliche Schwäche sogar! Das würde mir nicht nochmal passieren. Die alte Gnadenlosigkeit musste wieder zum Leben erweckt werden.
    Doch bis dahin musste ich irgendwie die Lage ändern. Ich griff nach der Hand, die auf meiner Kehle war mit meiner linken Hand, bekam das Handgelenk zu fassen und griff dann mit der rechten Hand den Daumen. Wenn er nicht schnell befreit würde, dann würde ich ihn mit einem schnellen Ruck brechen. Gleichzeitig verlagerte ich mein Gewicht zur Seite. Danach würde ich versuchen, mich zu drehen und die Beine schnell nach vorne, also seitwärts, zu ziehen. Würde das nicht klappen... nun gut, Alsuna hatte keine Panzerung. Ein Schlag auf kurze Distanz konnte auch recht wirkungsvoll sein. Doch Priorität hatte erstmal mein Hals.

  • Immerhin, die Überraschung schien gelungen. Wenigstens zeitweise. Hätte nicht jener unselige Drang von ihr Besitz ergriffen, diesen Mann ganz und gar vernichtend zu schlagen, hätte sie wohl triumphieren und sich womöglich aus dem Staub machen können. Aber nein, augenblicklich hatte eine überaus sture Besessenheit von ihr Besitz ergriffen und hielt sie fest und unnachgiebig in den Krallen. War das dieser sagenumwobene Berserkerrausch, welchen man ihrem Volk hier im Süden nachsagte? Nein, wohl kaum, noch niemals hatte sie etwas Derartiges bei einem Germanen tatsächlich einmal mitbekommen. Alsuna wusste selbst nicht recht, was es war, außer zusätzlich eine gehörige Portion tödlicher Dummheit. Sie schaufelte sich hier gerade mit aller Gewalt ihr eigenes Grab. Und sie vermochte nicht aufzuhören, nicht einmal mehr einen Gedanken zu fassen, der abseits ihres brennenden Wunsches lag, Achilleos so schmerzhaft wie möglich zu besiegen. Oder ging es überhaupt um Achilleos? Wollte sie nicht einfach nur gegen 'einen' Herrn triumphieren? Dann hatte sich allerdings gerade ein sehr ungünstiges Schicksal ihrer Wahl angenommen, denn wo Memnos schon lange keuchend am Boden gelegen hätte, würde dieser Mann sie abschütteln wie eine lästige Fliege. Sie konnte nicht gewinnen. Und sie wusste das. Und sie machte weiter.


    Dieser ganze verfluchte Kerl war eine einzige Waffe. Sobald sie den Überraschungsmoment verlöre, wäre das ihr rasches Ende. Und dieses Mal würde er ihr gewiss mehr rauben, als nur ihre Stimme. Temporär. Dennoch. Es gefiel ihr. Es war... lebendig. Lebendiger als beinahe alles, was sie bislang in ihrem Leben erfahren hatte. Immerhin wehrte sie sich. Wenigstens erhob sie sich und zeigte überdeutlich, wie sie ihrem Herrn gegenüber fühlte. Fast hätte sie gegrinst, würde nicht dieser plötzliche Schmerz durch ihren Daumen schießen, der es dringlich machte, ihren Arm mit einem Ruck von seinem Hals zu lösen. Andererseits waren augenblicklich seine beiden Hände dort beschäftigt. Wären sie frei, würde sich das Blatt erst recht wenden. Bereits jetzt besaß dieser Körper allem Anschein nach mehr Gliedmaßen und Muskeln, als jeder andere. Und es schien ihm überhaupt nicht zu gefallen, unter ihr zu liegen. Dennoch - wenn ihr Daumen tatsächlich bräche, wäre sie noch früher erledigt, als sie es ohnehin bereits sein würde. Denn gleich wie unterlegen man gegenüber dem Gegner auch war, man musste ihm nicht zwangsläufig noch in die Hände spielen. Zudem besaß auch sie noch eine weitere freie Hand, sobald sie die dazugehörigen Finger aus Achilleos' Haar gelöst hatte.


    Er musste sie loslassen, und zwar schnell. Womöglich gelang es ihr nicht, ihren Arm fortzuziehen, obgleich sie es nach Kräften versuchte. Lieber ging sie auf Nummer sicher. In mehrerer Hinsicht. Mit durch die Dringlichkeit der Situation gesteigerter Gewalt drückte Alsuna ihren nun wieder freien Daumen auf Achilleos' rechtes Auge, von der Position her mit Tendenz zum inneren Augenwinkel. Die übrigen Finger verhakte sie nicht unbedingt sanfter und mit spürbar scharfem Druck der Nägel hinter seinem rechten Ohr, so dass ihre gespreizte Hand einen guten Halt bekam.
    "Hör auf oder du darfst all deine hübschen Kampfstile auf Einäugigkeit anpassen!" Sie hatte bereits mitangesehen, dass es lediglich des richtigen Winkels und ausreichend Kraft bedurfte, um einem Menschen den Augapfel seitlich aus der Höhle zu pressen. Selbst, wenn er sich wand, ihre Hand besaß genügend Halt, um seinem Gezappel mit zunehmendem Druck rasch ein Ende zu bescheren. Sie täte es nicht gerne, viel lieber sähe sie bereits die Drohung allein ausreichend Früchte tragen, doch wenn er partout nicht aufgab, was bliebe ihr übrig? So aufgewühlt und kampfeshungrig wie sie derzeit war und mit jedem gierigen Atemzug stärker wurde, fiele es ihr ab einem bestimmten Punkt überaus schwer, inne zuhalten. Wenigstens ohne fremde 'Hilfe'. Sie musste auf seine Hände achten, am Besten auch gleich auf seine Beine und den gesamten Rest. Um ihrer Drohung die nötige Unterstützung zu verleihen, drückte sie probehalber etwas stärker zu, und sei es nur, um seine Reaktion zu testen.

  • Ich fühlte ein Ausmaß an Wut in mir hochsteigen, das ich schon lange nicht mehr hatte. Doch ich kämpfte dagegen an. Zorn war ein schlechter Ratgeber im Kampf. Der kurze Erfolg, dass sie ihren Daumen retten wollte, wurde recht schnell zunichte gemacht, als ich ihren Daumen auf meinem Auge spürte. Der Druck war unangenehm und ihre Fingernägel gruben sich in meine Haut. Ich zog einen kurzen Augenblick ernsthaft in Erwägung, mein Auge zu opfern, doch entschied ich mich anders.


    Ich ließ eihre Hand los und verschränkte die Arme vor meiner Brust. "Du hast gewonnen," presste ich zwischen meinen Lippen hervor. "Wenn du klug bist, bringst du mich jetzt um!" fügte ich in Gedanken hinzu. Denn jetzt hatte sie Krieg. Und Krieg konnte nur mit der Vernichtung des Feindes enden. Oder mit einem Friedensvertrag. Da sie aber nicht gerade friedensliebend zu sein schien, blieb nur die Vernichtung. In meinen Augen war weder Wut noch Scham noch sonst eine Emotion zu erkennen. Der Blick war völlig kalt. fast schon unmenschlich.

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