Templum Dis patris - Am Rande des Abgrundes

  • | Aedituus Caecus Niger


    Caecus Niger überprüfte noch einmal das Innere des Tempels, verrückte ein, zwei Kerzen für das rechte Licht, und ließ seinen Blick zu dem Abbild des Dis Pater schweifen. Vor diesem, auf dem flachen, steinernen Altartisch, hatte er dafür Sorge getragen, dass für das Voropfer der Iunia ausreichend Platz war, wiewohl er sich dessen versichert hatte, dass die Öffnung mittig der kleinen Kuhle, in welche die Trankopfer hineingegeben wurden, frei war. Zugegeben kam es recht selten vor, dass etwa einige Krümel eines Opferkuchens, einige welke Blätter eines Kranzes oder auch eine Münze dort hinein fielen und den Abfluss verstopften, doch der Aedituus wollte an diesem Tage nichts dem Zufall überlassen. Zufrieden mit der Erscheinung der cella wandte er sich um, streute vor dem Ausgang noch einmal eine Handvoll Räucherung in eine kleine Schale voll glühender Kohle und verließ das Gebäude, ging die Stufen hinab. An dem Opferstein vor dem Tempel hatte sich bereits die kleine kultische Abordnung versammelt, welche für den Ablauf des Opfers vonnöten war - ein victimarius mit seinem scharfen Beil, ein popae mit dem schweren malleus, dem Hammer, zwei weitere Opferdiener für sonstig anfallende Handgriffe, zwei tibicines mit ihren Flöten und zwei ministri, die vermutlich noch aufgeregter waren als die Opferherrin, waren sie doch junge Knaben, deren Respekt dem Dis Pater gegenüber noch aus einer schaurigen Furcht vor der Unterwelt heraus geboren war. Daneben war der Ochse mit einem starken Seil an in den Boden eingelassene Ringe gebunden, sein kurzes, schon von Natur aus flächig sehr dunkles Fell mit funkelndem, schwarzfarbenen Kohlestaub eingerieben, zu welchem die rot- und weißfarbenen vittae und infulae um seinen Kopf sowie die wollene dorsula auf seinem Rücken trotz der aufkommenden Dämmerung sich noch kräftig abhoben, und auch die versilberten Hörner und Hufe glänzten noch weithin glitzernd im Abendlicht. Zu den Seiten hin hatte man zudem die Säumung des Tempeleingangs mit Feuerschalen erweitert, so dass auch der Vorplatz angemessen ausgeleuchtet würde sein, selbst dann noch, wenn die Sonne bereits hinter den Hügel Roms versunken war.


    Beinahe hätte der Aedituus Iunia Axilla nicht wiedererkannt, schien doch ihr ganzes Wesen mit der düsteren Atmosphäre zu verschmelzen, die sich in Erwartung des Opfers um den Tempel hatte gelegt.
    "Salve, Iunia Axilla!", grüßte Caecus die junge Frau und neigte dabei leicht den Kopf, ließ gleich hernach noch ein "Salve!" an die Begleiterin der Opferherrin gerichtet folgen.
    "Es ist ein vorzüglicher Abend für ein Opfer und es ist alles vorbereitet. Möchtest du das Tier noch einmal begutachten?"

  • Auch, wenn Axilla von Opfern allgemein nicht viel hielt und auch noch nie so etwas Großes geopfert hatte, sie wusste, wie der Ablauf war. Auch, wenn sie sehr selten in die Stadt zu einem Tempel gegangen war, ihr Vater hatte ihr gezeigt, wie man opferte. Schon einige Kaninchen hatten ihr Leben verloren durch ihre Hand. Und auch, wenn Axilla sicher hundert Fehlerchen machte, die grundsätzlichen Dinge wusste sie ja doch.
    Und so verstand sie, als Serrana ihr das Zeichen mit den Schuhen gab, auch sofort. Mit einem fast verlegenen “Oh, da war ja was“ zog sie sich ihre Schuhe aus und gab sie einem der Sklaven.
    Der Boden war eiskalt, der edle Stein, der hier verlegt war, von den Kohlebecken nur leicht erwärmt. Unangenehm kroch die Kälte das Bein hinauf, aber Axilla versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Wer Opfer bringen wollte, der musste eben Opfer bringen. Und auch das Wasser war nicht wirklich warm, so dass Axilla sich ein wenig überwinden musste, sich nochmal die Hände zu waschen. Zuhause hatte sie sich nicht nur gewaschen, sie hatte sich geradezu geschrubbt. Aber vielleicht war sie ja unbeabsichtigt mit irgendwas in Berührung gekommen, also schadete Händewaschen nicht. Auch wenn es eiskaltes Wasser war.
    Dass Serrana auch keine Ahnung hatte, wie das hier nun genau vonstatten gehen würde, beunruhigte Axilla noch ein wenig mehr, aber sie versuchte, es zu unterdrücken. Mut ist eine Tugend. Immer mutig sein. Eine Iunia ist immer mutig, versuchte sie sich selbst zu tadeln und zu motivieren, trotzdem ging das flaue Gefühl in der Magengegend nicht weg.


    Axilla hörte schließlich Schritte und drehte sich zu dem Aedituus. Instinktiv schenkte sie ihm ein ganz kleines, schüchternes Lächeln, weil sie ihn wiedererkannte und er sie wohl auch, obwohl sie etwas anders wohl aussah.
    “Das ist meine Cousine, Iunia Serrana“, stellte Axilla die Cousine schnell vor. “Und ich würde mir den Ochsen gerne einmal anschauen.“
    Axilla gab ihre Palle noch einem ihrer Sklaven und folgte also dem Priester zu dem Tier. Natürlich hatte sie es vorhin beim Kommen schon gesehen. Die ganze Ansammlung an Opferhelfern war neben dem pechschwarzen Tier kaum zu übersehen gewesen. Aber jetzt konnte sie ihn aus der Nähe betrachten.
    Es war ein schönes, großes Tier. Ein starkes Seil hinderte das Tier daran, einfach wegzulaufen. Die Hörner und Hufe waren versilbert worden, wie sie es gesagt hatte. Axilla trat direkt neben das Tier, hob einmal die Hand, als wolle sie ihn streicheln, fuhr aber einen palmus über seinem Fell entlang, gerade so, dass sie seine Körperwärme fühlen konnte, ohne ihn zu berühren. Sein Fell war ein bisschen matt, aber tiefschwarz. Sie mutmaßte, dass er mit irgendwas eingerieben war, testete es aber nicht. Die Augen des Tieres waren wach und dunkel und folgten ruhig ihren Bewegungen.
    “Ein sehr schönes Tier“, meinte sie schließlich an den Aedituus gewandt und gab damit ihr Einverständnis zu dem Tier als Opfertier. "Wollen wir hoffen, dass er Dispater auch so gut gefällt.“
    Sie ging wieder zum Kopf des Tieres und schaute nochmal in die schönen, braunen Augen. [size=5]“Ein Leben für ein Leben“[/size], flüsterte sie dem Ochsen zu und hoffte, das Tier würde dem Gott genügen für das, was sie sich wünschte. Dann löste sie sich von dem Tier und ging zu dem Aedituus. Auf ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut, und irgendwas wurde hier verräuchert, dass ihr leicht im Hals kratzte, aber sie versuchte, beides zu ignorieren. “Ich habe noch eine Frage zum Voropfer. Hat der Altar eine Öffnung für das mulsum und das Öl und den Honig? Oder sind da Schalen? Oder ist es ganz anders?“ Jetzt konnte man doch ihre Nervosität an ihrer Stimme hören, auch wenn sie sich ganz tapfer hielt. Aber das war einfach das größte, was sie jemals von sich aus getan hatte.


    Sim-Off:

    Zuschauer sind natürlich auch jederzeit willkommen, falls jemand das Opfer sehen möchte ;)

  • Serrana war es mittlerweile gewöhnt, mit nackten Füßen auf dem kühlen Steinboden zu stehen, deshalb nahm sie die Kälte schon gar nicht mehr wirklich wahr. Doch obwohl sie Pluto in seiner Funktion als Dis Pater genauso verehrte wie alle anderen Götter auch, fühlte sie sich in seinem Tempel bei weitem nicht so wohl wie in dem der Minerva. Gleichgültig wieviel sie dort manchmal auch zu tun hatte, empfand sie doch immer ein unglaublich angenehmes Gefühl von Ruhe und Frieden. Auch dieses Heiligtum hier strahlte Ruhe aus, und trotzdem hatte sie das Gefühl, als würde nur ganz knapp unter der Oberfläche noch etwas anderes liegen.


    Als Axilla sie dem sich nähernden Aedituus vorstellte, neigte Serrana mit dem Respekt, den sie höherstehenden Priestern grundsätzlich entgegenbrachte den Kopf und erwiderte dann dessen Gruß. "Salve. Ich möchte dir danken, dass du meiner Cousine bei diesem Opfer zur Seite stehst."


    Serrana betrachtete das Opfertier nur aus der Entfernung, schließlich war es ja Axillas Opfer und nicht das ihre, auch wenn sie die Gründe dafür vollkommen unterstützte. In nicht allzuferner Zukunft würde sie Minerva selbst ein Tier opfern müssen, um ihre Ausbildung zur Priesterin abschließen zu können, allerdings würde das weiß und weiblich und vermutlich auch ein ganzes Stück kleiner sein. Und wenn dieses Tier dann genauso ruhig sein würde wie dieser Ochse, dann könnte sie mehr als zufrieden sein.


    Als ihre Cousine dem Aedituus eine Frage stellte, sah auch Serrana diesen neugierig an. Einem Opfer an Dis Pater hatte sie bislang noch nicht beigewohnt, und auch wenn die Rituale in den Tempeln der einzelnen Gottheiten doch große Ähnlichkeiten aufwiesen, konnte es durchaus auch Unterschiede geben.

  • | Aedituus Caecus Niger


    Auf den Dank der Cousine hin winkte der Aedituus nur bescheiden ab, gehörte dies doch zu seinen Aufgaben. Er geleitete die Damen zu dem schwarzfarbenen Ochsen und hielt unbewusst einen Augenblick die Luft an. Auch wenn er aus dem Angebot des Fuficius tatsächlich mit großer Sorgfalt das beste Tier ausgewählt hatte, so gab es doch immer Menschen, die mit nichts je zufrieden waren. Iunia Axilla schien zum Glück nicht zu diesen zu gehören, auch wenn sie nach ihrer Zusage noch einmal die Augen des Ochsen prüfte. Caecus Niger hatte dafür Sorge tragen lassen, dass das Tier zwar beruhigende Kräuter mit seiner letzten Mahlzeit bekommen hatte, ihn allerdings nicht auch noch mit halb betäubenden Räucherungen behandeln lassen, wie es bei Stieren oftmals notwendig war. So war der Blick des Tieres ruhig und klar und nicht gänzlich abwesend, was bisweilen dazu gereichte, den ein oder anderen Opferherren zu verunsichern.


    "Die Mulde für die Trankopfer ist am Altarsockel angebracht, gewissermaßen zu euren Füßen", beantwortete er schlussendlich die Frage der Iunia. Der Erbauer des Tempels hatte augenscheinlich darauf Wert gelegt, dass die Gaben so schnell wie möglich in die Unterwelt gelangten - auch wenn räumliche Distanz im römischen Kult nicht immer in logischer Beziehung zu den Göttern stand. Schließlich wurden auch die Trankopfer für die himmlischen Götter in die Erde abgegeben, sowie auch der Rauch der Räucherungen für Dis Pater in den Himmel aufstieg. Religion folgte nuneinmal nicht immer logischen Regeln, oder aber einer solchen Logik, die für den Menschen nicht nachzuvollziehen war, da sie übermenschlichen Gesetzen gehorchte.
    "Für die weiteren Gaben stehen Schalen auf dem Altar bereit." Ein wenig beruhigend fügte er hinzu: "Du wirst sehen, es ist nicht anders als in anderen Tempeln auch."

  • Wie in anderen Tempeln auch... Axilla lächelte kurz, aber eigentlich eher aus verlegenheit. Sie hatte auch keine Ahnung, wie es in anderen Tempeln war. Sie war auf dem Land aufgewachsen und wenn sie mal nach Tarraco gekommen war, dann nicht, um in einem Tempel zu opfern. Und in Alexandria hatte sie auch um die Tempel einen mehr oder minder großen Bogen gemacht. Woher sollte sie also wissen, wie andere Tempel so waren? Ihren Hausaltar, den kannte sie, und der hatte keine Mulde. Und das kleine Heiligtum im Wald, das den Faunen gewidmet war, in der nähe ihres Hauses, das kannte sie auch. Und das hatte auch keine Mulde. Aber sie würde sich schon zurecht finden.


    “Ähm, gut, dann... nach dem Voropfer gehen wir dann vor den Tempel?“ Axilla glaubte ja nicht, dass sie den Ochsen im Tempel opfern wollten. Aber sie ließ sich gerne belehren. “Und bei dem Ochsen... Das entkleiden und bestreichen machen die Popae? Und der victimarius fragt mich dann 'Agone'? Und ich muss antworten?“ Sie hoffte nur, sie machte keinen Fehler. Sie hatte auswendig vor dem Spiegel geübt, was sie alles sagen wollte, hatte es sogar Serrana vorgetragen, aber im Moment war schon wieder alles vergessen. “Und das Blut, das wird in Schalen aufgefangen? Soll ich das machen, oder machen das auch die Popae?“ So langsam merkte man Axilla ihre Aufregung auch äußerlich an. Sie wurde ein klein wenig hektisch.

  • Serrana konnte förmlich spüren, wie Axilla langsam aber sicher immer nervöser und unsicherer wurde. Daher trat sie wieder näher an ihre Cousine heran und legte ihr beruhigend die Hand auf den Unterarm.


    "Mach dir nicht so viele Gedanken, es wird alles gutgehen, du wirst schon sehen."


    Und obwohl Serrana eigentlich dazu neigte, schnell nervös und ängstlich zu werden, blieb sie an diesem Tag komischerweise die Ruhe selbst. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass in dem ganzen Altarraum um sie herum eine ungeheure Spannung herrschte und sie betrachtete den Aedituus mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Neugier an. Auch hier bei diesem Opfer würde sie wieder einiges für ihr späteres Leben als Priesterin lernen können.

  • | Aedituus Caecus Niger


    Mit einem Mal sprudelten die Fragen aus Iuna Axilla nur so heraus und Caecus Niger wurde sich wieder dessen gewahr, dass die junge Frau in ihrem Leben nach eigener Aussage noch kein Rind geopfert hatte. Selbst wenn Frauen an solcherlei teilnahmen, achteten sie wohl kaum auf die genauen Abläufe, wie es den Männern schon im Kindesalter beigebracht wurde, da diese solche Aufgaben irgendwann später als patres familias einmal selbst ausführen mussten.
    Da sie nicht unter Zeitdruck standen - die Dämmerung würde schlussendlich nur einfach in den Abend hin übergehen, der ebenso gut für ein Opfer an Pluto geeignet war, und falls es nach dem Ritus stockdunkel sein würde, konnte Caecus Niger bei dem Preis, den die Iunia bezahlt hatte, den beiden Damen getrost den stämmigen victimarius und einen der popae mit einer Fackel als Geleit nach Hause mitgeben - setzte der Aedituus noch einmal zu einer ausführlichen Erläuterung des Opferritus an, um der jungen Frau ein wenig die Furcht vor der großen Aufgabe zu nehmen. Zwar musste ein Opfer nicht den gesamten Ablauf umfassen und konnte nach persönlichen Vorlieben um bestimmte Teile gekürzt - wie auch erweitert - werden, doch Caecus hielt es für das beste, den traditionellen Ritus vorzugeben, wie auch einige Teile der Opferherrin abzunehmen, die nicht zwingend durch sie durchgeführt werden mussten.


    "Der Ritus beginnt vor der Tür des Tempels, indem die tibicines auf deine Anweisung hin mit ihrem Spiel beginnen. Am Tempeleingang reinigst du deine Hände in dem kleinen Wasserbecken neben der Tür." Dass Iunia Axilla nicht schwanger war, unter ihrem Dach kein Toter zur Aufbahrung lag und sie sich an diesem Tage noch keinem Mann hingegeben hatte, setzte der Aedituus voraus, gehörten diese Prämissen der Reinheit doch auch zum kultischen Grundwissen junger Frauen.
    "Dann zieht ihr gefolgt von den Opferhelfern in einer kleinen, symbolischen Prozession bis zu dem foculus, zu dem Altartisch. Er steht an der rückwärtigen Wand der cella unter dem Standbild des Dis pater. Dort sprichst du dein Gebet, legst deine Gaben für das Voropfer ab und teilst dem Göttlichen deine Bitte oder Dank mit, ganz wie du es auch zu Hause am Hausaltar tust. Abgesehen davon, dass die Trankopfer in die kleine Mulde gegeben werden und so direkt in den Wirkungsbereich des Dis übergehen. Deine Worte sollten dabei deine Bitte oder deinen Dank explizit benennen. Denke daran, dass die Götter uns nicht in die Köpfe schauen können, allerdings haben sie gute Ohren, so dass ein Flüstern durchaus ausreicht, das liegt ganz in deinem Ermessen."
    Gerade wenn Funktionspersonal des Tempels an einem Opfer mitwirkte, wollten manche Menschen nicht, dass diese ihre Worte hörten. Obwohl Caecus über keinen seiner Männer Schlechtes zu sagen wusste, konnte er das dennoch nachvollziehen, denn mit ausreichend Geld war halb Rom käuflich, und manche Bitten oder mancher Dank betrafen doch überaus persönliche Angelegenheiten, die nicht an die Öffentlichkeit dringen sollten.


    "Wie bei jedem anderen Gebet wendest du dich auch im Tempel nach rechts, um das Voropfer abzuschließen. Danach begibst du dich, wieder gefolgt von der kleinen Prozession, aus dem Tempel, die Stufen hinab bis zum Altarstein auf dem Vorplatz. Ich werde dann noch einmal eine rituelle Reinigung vornehmen, indem ich euch mit einigen Tropfen Wasser besprenge, und die Teilnehmer und eventuelle Zuschauer zur Ruhe auffordern. Du offerierst sodann Dis pater deine Gabe, die dreifache Nennung seines Namens ist hierbei immer geeignet. Also in etwa", seine Stimme wurde ein wenig tiefer, "'Dis pater, untergründiger Herrscher der tiefen Reiche, dieser Ochse zu deinen Ehren, Dis pater, dir, Dis pater, als mein Dank.'" Mit normaler Intonation sprach Caecus weiter. "Etwas in dieser Art, ein wenig abgewandelt je nachdem ob es sich bei dem Opfer um die Einlösung eines Gelübdes handelt oder eine Bitte. Noch einmal wäschst du dir die Hände, dazu wird einer der Jungen dir eine Schale Wasser anreichen, und trocknest sie an dem mallium latum. Auch dieses reicht dir einer der Helfer. Die Weihung des Tieres mit mola salsa werde ich übernehmen, hernach den Schmuck abnehmen und dir das Opfermesser reichen. Die symbolische Entkleidung führst du selbst durch - die Klinge muss nicht über das Fell kratzen, einige digiti darüber reicht. Anschließend kannst du nochmal ein kurzes Opfergebet folgen lassen, dies ist allerdings nicht zwingend notwendig, da du dein privates Anliegen schon im Tempel formulierst. Möchtest du ein solches öffentliches Opfergebet noch einfügen?"
    , fragte Caecus, um dem Schlächter die notwendige Anweisung geben zu können, ob er nach dem Entkleiden noch auf das Ende dieses Gebetes warten sollte.


    "Ansonsten wird der victimarius sich gleich im Anschluss an das Entkleiden positionieren und das agone? fragen. Deine Antwort darauf lautet age!, woraufhin die Schlachtung stattfindet. Das Auffangen des Blutes wird einer der popae übernehmen. Danach werden die vitalia dem Tier entnommen und begutachtet. Möchtest du das selbst übernehmen, oder wäre es dir lieber, wenn ich es tue?"



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  • Axilla hörte dem Aedituus nicht aufmerksam zu. Sie klebte geradezu an seinen Lippen und sog jedes Wort auf wie ein durstiger Schwamm. Leise reden genügte also, aber sie musste deutlich werden? Gut, dann würde sie flüstern, musste niemand mitbekommen, dass dieses Opfer zur Untermauerung eines Fluchs gedacht war. Das ging nur Dis und sie etwas an. Nichtmal Serrana kannte die ganze Wahrheit, sicher hätte sie sonst versucht, Axilla abzuhalten. Einen Fluch auszusprechen war etwas böses, und Axilla wusste das ja auch. Aber sie war jetzt zu weit gegangen, um sich abhalten zu lassen.
    Das Voropfer war also nicht das Problem. Wenn sie es statt in Schalen auf dem Hausaltar eben direkt in eine Mulde kippen sollte, würde sie das machen. Beten bekam sie auch hin. Sie durfte nur die Drehung nach Rechts nicht vergessen. Dass sie sich gleich nochmal waschen sollte, war zwar nicht unbedingt toll – immerhin war das Wasser wirklich kalt – aber würde sie auch nicht umbringen. Und die genaue Anleitung des Priesters gab ihr ein Stück weit wieder Ruhe, auch wenn sie von stoischer Gelassenheit immernoch meilenweit entfernt blieb.
    “Darf Serrana mir das Voropfer angeben?“ fragte sie noch sicherheitshalber nach. Nicht, dass es an so einer Kleinigkeit noch scheiterte. Und Axilla wollte die Cousine gerne mit einbeziehen, wenngleich sie sie auf der anderen Seite auch heraushalten wollte. Sie wollte ja nicht, dass sie umsonst mitgekommen war und eigentlich nur dastand und wartete. Auf der anderen Seite wollte Axilla nicht, dass die liebe und süße Serrana an dem Fluch einen Anteil hatte, das war ihre Sache. Ein sehr zweischneidiges Schwert.


    “Ähm, nein, nein, muss nicht so öffentlich sein. Der Gott weiß dann schon, was ich von ihm will, da können wir dann gleich fortfahren“, antwortete sie noch auf die Frage, ob sie ihre Bitte nochmal öffentlich wiederholen wollte. Sie konnte ja wohl kaum auf der Treppe stehen und laut und deutlich den Fluch wiederholen. Nein, das wäre nicht so gut gewesen, und es hätte sicherlich die Wirkung des Fluches auch abgeschwächt.
    Die Sache mit den Vitalia war aber dann doch etwas, wo Axilla nochmal stutzte. “Was machen? Das entnehmen, oder das untersuchen?“ Irgendwie hatte sie das jetzt nicht kapiert. Sie dachte, der Victimarius würde das Tier ausweiden? Und von innereien verstand sie jetzt nicht so viel, das sollte vielleicht jemand machen, der Erfahrung hatte. Ihr ging es dabei gar nicht um das Blut oder darum, Eingeweide anzufassen, sondern nur darum, dass sie keine Ahnung um die richtige Vorgehensweise hatte.
    “Ich glaube, das machst du besser, du hast sicher mehr Erfahrung. Und... ist es möglich, den Rest, der dann gekocht wird, den Menschen hier zu spenden?“ Der Ochse war immerhin ziemlich groß, das war eine ganze Menge Fleisch, die dabei übrig bleiben würde. Und bis auf die Vitalia, die dem Gott vorbehalten waren, war es ja üblich, das gekochte Fleisch dann auch zu verwenden. Allerdings hatte der iunische Haushalt nicht Verwendung für derartig viel Fleisch, und wenn Axilla damit den Ärmeren unter Roms Bevölkerung etwas gutes tun konnte, empfand sie das für eine barmherzige und gute Sache – auch wenn der Grund, wie es überhaupt zu dem Fleischsegen kam, düster und absolut unbarmherzig war.

  • | Aedituus Caecus Niger


    "Natürlich darf dir deine Cousine die Opfergaben anreichen", bestätigte Caecus die Frage nach dem Voropfer. So Iunia Serrana nicht als gleichberechtigte Opferherrin fungierte - und darauf ließ nichts schließen -, kam ihr als Teilnehmerin der gleiche Stellenwert zu wie den übrigen Opferhelfern.


    Auf die Frage nach den vitalia hingegen antwortete der Aeditus eilig: "Das Untersuchen der Eingeweide meinte ich. Die Entnahme wird in jedem Fall der victimarius übernehmen." Manche Opferherren bestanden zwar auch darauf, die vitalia selbst zu entfernen, doch waren dies in der Regel Angehörige des Cultus Deorum, welche sich intensiv damit befasst hatten. Denn schlussendlich konnten die Organe bei unsachgemäßer Entnahme beschädigt werden. "Dann werde ich die Begutachtung übernehmen. Das Fleisch kannst du selbstverständlich spenden. Der Tempel wird es zubereiten und in deinem Namen verteilen."
    Einige Bürger glaubten zwar, es brächte Unglück, ein dem Pluto geweihtes Tier zu verspeisen, doch es gab immer einige, die auch einem schwarzen Ochsen nicht abgeneigt waren, respektive nicht erst fragten, woher das Fleisch stammte und gütlich ignorierten, dass es nahe des Tempels des Dis pater verteilt wurde. Und so sich die Römer zu fein waren, kamen Peregrine oder zu guter Letzt die Sklaven des Tempels - die ohnehin an keine Götter glaubten.


    Caecus Niger bedachte die jungen Frauen mit einem prüfenden Blick, ob damit alle Fragen beantwortet waren.



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  • Damit war für Axilla alles geklärt. Sie sah noch einmal zu ihrer Cousine hinüber, als müsse sie erst bei dieser Kraft schöpfen. Noch immer war sie aufgeregt, und der beißende Qualm, der von den Kohlebecken herzog, kratzte in der Kehle und an den Augen. Die Sonne ging gerade unter, so dass das fahle Licht des Abends langsam in schwärzere Dunkelheit hinüberglitt, grotesk erhellt von den züngelnden Flammen um sie herum. Schatten fingen an, wie lebendige Wesen am Boden zu tanzen. Ein unheimlicher Platz, und Axilla konnte sich der Macht der Angst nicht gänzlich erwehren. Nur Mut, kleines Eichhörnchen, gab sie sich selbst einen kleinen Ruck und nickte dann dem Aedituus zu.
    “Gut, dann... wollen wir mal.“ Es klang zwar noch nicht ganz überzeugt, aber es war zumindest eine Ansage.


    Axilla schritt also in Richtung der Flötenspieler hinüber, direkt mittig vor den Tempel. In ihrem Rücken stand nun der Ochse, auf sein Schicksal wartend. Axilla sah noch einmal hoch zu den marmornen Säulen des Tempels, die im Feuer der Kohlebecken mit tanzenden Schatten überzogen waren. Die letzte Chance, das alles doch abzubrechen. Sie sah hoch, und höher in den graublauen Winterhimmel, den kein Stern erhellte. Sie kam sich so klein und unbedeutend vor, und ihr war so unendlich schlecht. Sie holte noch einmal Luft, ähnlich einem zum Tode Verurteilen, und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, straffte sich ihre Gestalt und schien zum ersten Mal an diesem Abend ruhig und gefasst. Sie sah zu den tibicines hinüber und gab ihnen einen kleinen Wink mit der Hand. Sofort spielten sie mit ihren Flöten die alten Melodien, die die Geräusche der Straße übertönten und dem Opferherren so helfen sollten, die Konzentration zu behalten.
    Ganz langsam ging Axilla vorwärts, zum Tempel. Direkt hinter ihr fühlte sie Serrana, aber sie drehte sich nicht mehr nach ihr um. Dem Orpheus gleich hieß es jetzt, nicht mehr zurückzublicken, und so sah sie die kleine Reihe mit Opferhelfern nicht, die ihr zu dem Becken mit dem noch immer kalten Wasser folgten.
    Sie tauchte die Hände in die eiskalte Flüssigkeit und wusch sich – jetzt bereits zum dritten Mal an in Vorbereitung zu diesem Opfer – die Hände. Langsam und Bedächtig waren die Bewegungen, auch wenn die Hände leicht zitterten, als sie sie wieder aus dem Wasser nahm und leicht abtropfen ließ. Mit klammen Fingern ging es weiter, hinein in den Tempel.
    Hier drinnen war es noch etwas dunkler als draußen, aber das Licht reichte, um alles zu sehen. Mit langsamen Schritten ging es vorwärts zur Statue des unterirdischen Gottes. In den meisten Tempeln waren diese Bildnisse übermannsgroß und dadurch furchteinflößend, doch diese hier war nicht viel größer als Axilla selbst. Allerdings machte sie das nicht weniger furchteinflößend. Dis saß auf seinem Thron, die schwefelige Krone auf dem Haupt, ein phallusartiges Szepter in der Hand. Der Blick der Statue allein zwang jedem Betrachter Respekt ab, und ergeben senkte Axilla den Kopf vor dem Stein.
    Der Altar war direkt vor ihr, und einen Moment starrte Axilla wie ein hypnotisiertes Kaninchen einfach nur in die Öffnung zu ihren nackten Füßen. Alles war bereit, sie musste nur anfangen. Anfangen...
    “Dis Pater...“ Ihre Stimme schnitt laut in die unheimliche Schwärze. Auch wenn die Flötenspieler die Stille vertrieben, Axilla meinte, die hohen Töne würden gar nicht bis zum Altar vordringen. Als wäre eine Aura aus Gefühllosigkeit um die schreckliche Statue herum, die alles, was lebendig war, aufzusaugen schien. “Reicher Vater. Sieh, was ich dir bringe. Ich entzünde dir Weihrauch aus Syria, und hoffe, er erfreut dich.“
    Axilla ließ sich von Serrana den Beutel mit den feinen Harzkugeln reichen, die sie großzügig in die Feuerschale kippte. Sofort qualmte es kräftig, grauweißer Rauch waberte den Altar hinunter und erfüllte den Raum mit seinem süßlich-scharfem Duft, vermischte sich mit den scharfen Kräutern zu einer Melange der beißenden Gerüche. Es kratzte in der Kehle und brannte in den Augen, aber Axilla zuckte nicht.
    “Möge er die Opfergaben reinigen, wie du, Februus, der Reinigende für uns Sterbliche bist.
    Herr über den dritten Teil der Welt, der Erde und von allem, das in ihr ist. Nimm meine bescheidenen Gaben. Sie sollen dir gehören und nur dir. Ich bringe dir Öl, gepresst aus Oliven und gefiltert, bis es klar ist.“
    Axilla streckte die Hand aus, damit ihr Serrana die Amphore mit dem Öl reichen konnte. Das Feuer schimmerte auf der klaren Flüssigkeit, als Axilla es langsam und beständig in die Mulde zu ihren Füßen goss. “Nimm diese Gabe von deiner Dienerin, Iunia Axilla. Ich habe es sorgfältig ausgesucht in der Hoffnung, es möge dir gefallen.“
    Axilla reichte die Amphore zurück und ließ sich das nächste Stück angeben. Es waren kleine Silbermünzen, nicht viele, aber in mühevoller Kleinarbeit zu hohem Glanz poliert. Axilla legte sie vorsichtig auf den foculus, eine nach der anderen, und sprach dabei beständi, langsam und deutlich weiter.
    “Dir, oh Reicher, Herr über alle Juwelen und Silberminen, bringe ich feines Silber. Genommen aus der Erde, die dir Untertan ist, soll es dir wieder gegeben werden, auf dass du auch weiterhin deinen Reichtum mit uns Sterblichen teilst.“
    Als nächstes folgte der Honig. Klebrig und schwer träufelte Axilla ihn in die Mulde. “Orcus, Furienherr, Hüter der Toten, der du uns die Süße des Lebens genießen lässt, der du den Frühling, Proserpina, liebst, Gnädiger, Gerechter, dir bringe ich süßen Honig. Er soll dir gehören, und nur dir.“ Die klebrige Wabe in der tönernen Schale stellte Axilla auch vorsichtig auf den Altar, denn auch diese sollte dem Gott gehören.
    “Und schließlich, Pluto, Herr von allem, was nach dem Tod kommt, bringe ich dir mulsum. Es soll dir gehören, und nur dir.“
    Axilla goss das schwere, süße Honig-Wein-Gemisch in die Öffnung. Es spülte die Reste des Honigs, die langsam hinuntersickerten, mit sich schnell hinab in das dunkle Loch und verschwand in der Schwärze der Erde. Axilla gab schweigend die Amphore zurück an Serrana, und sah diese einmal zögerlich an. Sie hatte noch immer Angst, geradezu Ehrfurcht, und das war in ihrem Blick deutlich zu sehen. Aber so sehr sie auch wünschte, jetzt einfach fliehen zu können, so wenig konnte sie es. Mit leicht zitternden Händen drehte sich Axilla wieder der Statue zu, erhob die Hände, wie zu einer Bitte.
    “Oh großer Gott, der du uns Menschen schon seit dem goldenen Zeitalter kennst, der du uns begleitest jeden Tag unseres Lebens und der du uns empfängst, wenn wir sterben. Reicher Vater, Dis Pater, ich weiß, ich habe dir nicht so oft geopfert, wie ich hätte sollen. Ich weiß, ich habe dir nicht so oft gedacht, wie ich hätte sollen. Ich weiß, dass ich viele Fehler habe, über die du einst richten wirst. Und dennoch bitte ich dich nicht für mich, sondern für Urgulania, meine Cousine, die schändlich ermordet wurde auf den Straßen Alexandrias. Ich bitte dich, nimm sie gnädig auf. Sieh über ihre Fehler hinweg, und sieh statt dessen, was in meinem Herzen für sie ist und wie mein Herz sie sieht. Sie war eine gute Frau, eine große Lehrerin, die im Respekt für die Götter ihre Ämter versehen hat. Heiße sie in Elysio willkommen, wo immer Frühling und Sonnenschein ist.“
    Axilla senkte den Blick wieder vor der großen Statue, die sie niederzustarren schien. Ihre Zunge war schwer und der Kopf schwirrte ihr von den Dämpfen hier herinnen. Die ganze Last ihres Lebens schien sie niederdrücken zu wollen, und sie wurde sich immer gewahrer, wie klein sie doch im Vergleich zu dem Gott war.
    “Pluto, ich weiß, ich bin nicht mehr als eine Fliege. Du, der du die Unendlichkeit zwischen den Sternen bist, für dich ist mein Leben nicht mehr als ein Wimpernschlag. Was bedeutet dir da das Leben einer Sterblichen? Und doch bitte ich dich, nein, ich flehe dich an.“
    Axilla ließ sich auf die Knie nieder vor dem Altar, die Hände noch immer zu dem Gott leicht erhoben, und jetzt flüsterte sie, was so tief in ihrem Herzen lag. So leise wie möglich brachte sie ihre eigentliche Bitte hervor, damit niemand außer dem Gott die Worte hörte.
    [size=6]“Dis Pater, strafe den Mann, der Schuld trägt an Urgulanias Tod. Ich flehe dich an, schick die Furien zu Appius Terentius Cyprianus. Lass meinen Fluch wahr werden. Schicke ihm Verderben. Schicke ihm Nemesis. Lass meinen Wunsch wahr werden, großer Gott, Unendlicher. Einen schönen Stier habe ich für dich, draußen vor dem Tempel. Er wird dir gehören, wie ich es versprochen habe. Aber ich flehe dich an, erhöre mein Gebet!“[/size]
    Axilla blieb eine Weile auf den Knien vor der Statue des Gottes und schwieg. In ihren Gedanken herrschte kalte Leere, und sie hoffte, dass dies ein Zeichen des Gottes war, dass er anwesend war und zusah, so wie der Stein auf sie herabblickte. Axilla wusste nicht, wie lange sie so verharrte, aber schließlich stand sie auf und wandte sich, wie der Priester es vorhin noch gesagt hatte, demonstrativ nach Rechts, um das Voropfer abzuschließen.

  • Während sie aufstand und sich dem Priester zuwandte wurde es kalt, sehr, sehr kalt.
    Zugleich erfüllte eine nicht zu fassende und kaum zu beschreibende Präsenz den Raum.

  • Serrana konnte spüren, wie unsicher Axilla trotz all ihrer Entschlossenheit war und beschloss alles zu tun, um ihrer Cousine während dieses für sie so wichtigen Opfers so gut wie möglich zur Seite zu stehen, auch wenn sie sich selbst dabei nicht allzu wohl fühlte. Nacheinander gab sie ihr während des Voropfers Weihrauch, Öl, Silbermünzen und Honig an und lächelte Axilla immer wieder beruhigend an, um ihr zu signalisieren, dass alles in Ordnung war und gut lief.
    Nachdem diese das Voropfer durch eine Rechtswendung erfolgreich abgeschlossen hatte, atmete Serrana erleichtert auf, fühlte sich aber dennoch zunehmend unwohl. Mittlerweile schien die durchdringende Kälte im Tempel nicht nur durch ihre nackten Füße in ihren Körper kriechen zu wollen, sondern hüllte sie von allen Seiten ein und legte sich wie ein Laken über ihre Haut. Serrana unterdrückte ein Frösteln und sehnte sich zunehmend nach der warmen und heimeligen Atmossphäre im Tempel der Minerva. Aber da dieses Opfer für Axilla von so großer Bedeutung war, biss Serrana kurzentschlossen die Zähne zusammen und wandte sich dann ebenfalls dem Priester zu.

  • | Aedituus Caecus Niger


    Gemeinsam mit den übrigen Opferhelfern folgte Caecus Niger der Opferherrin in den Tempel hinein, hatte dabei besonders ein Auge auf die jungen ministri, dass diese ihrer Aufgabe mit dem notwendigen Ernst nachkamen. Die Atmosphäre der cella tat hierfür jedoch ihr übriges, so dass die kleine Prozession beinahe anmutete, als würden sie nicht nur einen Tempel des Dis pater, sondern den orcus selbst betreten. Deutlich glaubte der Aedituus die dunkle Präsenz Plutos zu spüren, wie schon so oft in seiner Dienstzeit, angelockt durch die angemessenen, beinahe poetisch klingenden Worte der Iunia. Professionell, als würde sie keinen Tag etwas anderes tun, vollzog diese das Voropfer.


    Als sie sich schlussendlich umwandte, nickte Caecus ihr bestätigend zu. Ein Luftzug schlich sich von der Türe her durch den Tempel und ließ die Flammen der Kerzen flackern, dass die grauen Schatten an den Wänden sich wanden und zuckten wie Sterbende in ihrem letzten Kampf, während der Rauch aus den Schalen der ministri in Spiralen sich durch die Luft wand wie die Geister der Toten, die sich aus dem mundus erhoben. Gleichsam tönte, beinah vom leisen Flüstern der Flöten verschluckt, von draußen ein Säuseln, ein Wimmern wie das Wehklagen verlorener, verirrter lemuren - es rührte dies von einem Windspiel, das nahe der Tür verborgen war, doch wer dies nicht wusste, mochte die Stimmen der Untergründigen vermuten.



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  • Auch Axilla bemerkte die Kälte, die ihr zunehmend in die Glieder kroch. In den Füßen hatte sie kein Gefühl mehr, während sie barfuß über den feinen Marmorboden tapste, immer einen Schritt nach dem anderen in Richtung Vorplatz zurück. Über das Spiel der Flöten hinweg hörte sie ein leichtes Klagen von hohen Stimmen, schrecklich mitanzuhören, wie weinende Menschen. Unheimlich legte es sich über die sanfteren Töne hinweg und schien sie zu begleiten, während sie langsam hinausschritten.
    Natürlich hatte Axilla Angst. Für sie waren Geister und Mächte sehr real, viele dieser unsichtbaren Wesen auf seltsame Art sogar mehr als die großen Götter. Sie glaubte an ihre Macht, wie die der Laren und Nymphen, so auch an die der Lemuren und Manen. Und zu gern wär sie einfach erschrocken jetzt weggelaufen. Sie fühlte diese kalte Präsenz, hörte das Klagen, und ihr war unendlich schlecht. Am liebsten wollte sie sich übergeben. Aber sie blieb ruhig, setzte einen bedachten Schritt vor den anderen, schluckte die Galle wieder hinunter und führte so ihre kleine Prozession durch das hohe Tor wieder nach draußen.


    Inzwischen war es hier Nacht geworden und nur noch die Flammen der Kohlebecken erhellten die Szenerie. Axilla konnte es nicht unterdrücken, einmal erleichtert aufzuatmen, als sie aus dem Gebäude heraustrat und die lebendige Welt vor sich sah. Der Ochse war an starken Seilen an die dicken Ringe im Boden gebunden und wartete auf sein Schicksal. Der victimarius stand unheildrohend daneben, den Malleus bereits in beiden Händen haltend. Axilla lief bei dem Anblick ein weiterer Schauer über den Rücken, aber noch hielt sie sich wacker und gerade.
    Sie wartete, dass die Flötenspieler nun an ihr vorbei auf ihren Platz gingen und der Aedituus sie noch einmal rituell mit etwas Wasser reinigen würde. Ehern wie eine Statue blieb sie stehen und ließ sich den kalten Winterwind ein wenig die offenen Haare zerzausen, während ihr Blick über den Platz schweifte.
    Nur wenige Menschen waren hier und schauten, was sich hier abspielte. Offenbar gab es nicht häufig ein so großes Opfer bei diesem Tempel, aber der Ort mit seiner kalten Präsenz war ihnen wohl nicht weniger unheimlich als Axilla selbst. Es machte sie noch ein wenig nervöser. Sie wollte keinen Fehler machen. Sie wollte keinen Fehler vor Zeugen machen. Und sie hoffte so sehr, dass der Gott ihr Opfer annehmen würde.

  • | Aedituus Caecus Niger



    Eilig tippelten die jungen ministri hinter der Opferherrin her, als könnten sie so dem Einfluss des Dis paters entkommen. Doch auch vor dem Tempel war die Stimmung bereits umgeschlagen, die Sonne war untergegangen und hatte winterliche Dunkelheit zurück gelassen. Kaum hoben sich die Umrisse der Stadt noch vom Himmel ab, und nur wenige Fenster der Häuser um den Tempelvorplatz herum waren erleuchtet. Jene, hinter denen ein Licht flackerte, starrten wie die glühenden Augen gewaltiger Schattenkreaturen auf das Opfer hinab.


    Der Aedituus Caecus Niger nahm einen Pinsel aus schwarzem Ochsenschwanzhaar entgegen und tauchte ihn in das eiskalte Wasser, das einer der popae in einer silbernen Schale anreichte. Hernach besprengte er zuerst Iunia Axilla, sodann ihre Cousine Serrana, die Opferhelfer und die wenigen Zuschauer, die nahe genug standen. Jede seiner Bewegungen führte im Schein der Flammen aus den Feuerschalen zu einem Zucken der Schatten auf dem Boden, als würden sich dort bereits die unterirdischen Geister winden und nach dem versprochenen Opfer verzehren, gefangen im steinernen Grund und nicht fähig, sich in die reale Welt empor zu lösen. Mit einem lauten, die Stille des Abends durchschneidenden "Favete linguis!", forderte der Aedituus die Anwesenden zur Ruhe, obgleich dies nicht notwendig gewesen wäre, denn es war ohnehin niemandem danach zu Mute zu sprechen. Nicht einmal die Opferherrin schien geneigt, dies zu tun, als Caecus ihr in die Augen blickte.



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  • Das Wasser war kalt, und Axilla musste sich beherrschen, nicht zurückzuzucken. Die Tropfen perlten ihr das Gesicht herunter und schienen auf ihrem Weg beinahe festzufrieren, aber sie gab keinen Mucks von sich. Eisern konzentrierte sie sich auf die Aufgabe, die vor ihr lag, auch wenn ihr Magen rebellierte und sich vor Furcht zusammenschnürte. Aber die Götter waren immer mit denen, die nicht vor Furcht zurückschreckten, sondern ihren weg gingen. So hatte sie es von ihrem Vater gelernt, und sie hatte vor, seine Lehren zu beherzigen.
    Der Aedituus schließlich forderte die wenigen, die hierher gefunden hatten, zur Ruhe auf. Favete linguis, hütet eure Zungen. Axilla sah ihm unsicher in die Augen und war geneigt, seinem Befehl ebenfalls Folge zu leisten. Mit einem Mal erschien ihr die Welt so still und jedes Wort, dass in diese tote Ruhe hineingesprochen werden würde, erschien ihr wie ein Eindringling. So herrschte einen Moment vollkommene Stille auf dem Platz, ehe Axilla ihre Ehrfurcht soweit heruntergeschluckt hatte, um einen Schritt auf den wartenden Ochsen zuzutun. Dreimal den Namen nennen, dreimal den Namen nennen ermahnte sie sich beständig in Gedanken, ehe sie sich zum Tempel und damit dem Gott zuwandte.
    “Dis Pater!“ Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren viel zu laut und etwas schrill, aber das war wohl Einbildung. Trotzdem machte sie eine kleine Pause und holte neu Atem, ehe sie weitersprach. “Wie ich dir, Dis Pater, versprochen habe, hier diesen Ochsen dir, Dis Pater, großer Gott, zum Geschenk, auf dass du meine Bitten erhören mögest!“
    Ganz leicht zitterte Axilla, weil ihr kalt war, aber sie hoffte, dass man es ihr nicht ansehen mochte. Barfuß bei diesem Wetter mit Wasser besprengt im Dunkeln zu stehen war etwas, wofür man dann nicht noch die Präsenz des Gottes fühlen musste, um zu verstehen, was Kälte war. Und es war noch nicht vorbei.
    Einer der ministri kam mit einer Wasserschale zu ihr, und sie wusch sich noch einmal die Hände in dem eiskalten Wasser. Danach wurde ihr ein Tuch gereicht, und sie trocknete sich die Finger. Der Versuchung, sich auch einmal die mittlerweile halb getrockneten Tropfen auf ihrem Gesicht wirklich wegzuwischen und es ihr somit ein bisschen wärmer zu machen, widerstand sie. Sie wusste nicht, ob es erlaubt war, und sie wollte den Gott mit so einer Kleinigkeit nicht erzürnen. Sie reichte das mallium latum wieder zurück und wandte sich dem Ochsen zu. Der Priester bestrich das Tier mit der mola salsa und weihte es somit endgültig dem Gott. Der Ochse ließ es klaglos über sich ergehen, lediglich kurz zuckten seine Muskeln, als das Gemisch aus Salzlake und Dinkelschrot ihn das erste Mal berührte. Hernach wurden dorsula, vittae und infulae sorgsam abgenommen, und lediglich die silbernen Hörner und Hufe blieben dem Tier als Schmuck, der nun wie ein etwas nasser Ochse einfach nur noch aussah. Axilla schaute fast mitleidig zu ihm, wie er da stand, nicht minder zitternd wie sie, als sie das culter, das Opfermesser entgegennahm.
    Axilla ging schweigend die paar Schritte bis zu dem Kopf des Tieres. Sie fühlte sienen warmen Atem, als sie neben seinem Kopf zum stehen kam und das Messer erhob. Sie hielt es 'richtig', die glatte Seite der Schneide an ihrem Unterarm entlang, die scharfe von sich weisend. Vielleicht sähe es besser aus, wenn sie es auf die Weise halten würde, dass die Schneide ganz von ihr weg wies, aber dafür war sie zu sehr Tochter ihres Vaters, um eine Waffe so falsch zu halten. Ganz langsam ging sie von Kopf bis zum Schwanz des schwarzen Tieres, das Messer so knapp über dem Fell führend, dass sie hier und da auch mal eines der längeren Fellhaare umbog. Die ganze Zeit über murmelte Axilla dabei, so leise, dass vermutlich nur der Gott sie hörte, wenn überhaupt. “Für dich, Dis. Ich bitte dich, nimm es an. Bitte, nimm es an. Nimm es an...


    Ebenso langsam, wie sie zum Schwanz des Tieres gegangen war, ging sie wieder nach vorne, einige Schritte seitlich von dem Ochsen, den Blick zum Tempel gewandt. Jetzt, so kurz vor dem eigentlichen Opfer, befiel eine unheimliche Ruhe die junge Iunia. Es war geschafft. Egal, ob der Gott es annehmen würde oder nicht, sie hatte getan, was sie geschworen hatte. Sie hatte nicht gezögert, hatte nicht mehr mit sich gehadert. Sie hatte es getan, und alles weitere lag in der Hand des Gottes. Es fehlte nur noch ein einfaches, kurzes Wort.
    “Agone?“ hörte sie in diesem Moment auch schon die Worte des victimarius der sich mit dem wuchtigen malleus vor dem Ochsen bereits positioniert hatte. Axilla sah noch nicht einmal zu ihm hinüber, sondern nur auf den Tempel vor ihr, als sie den Befehl schließlich gab. Tu es! “Age!“
    Sie hörte das heftige Krachen des Opferhammers auf den Schädel des Ochsen, der daraufhin augenblicklich mit einem tiefen Stöhnen zusammenbrach. Die wuchtige Masse verursachte ein dumpfes Geräusch auf dem Boden des Tempelvorplatzes. Der cultarius war mit dem Messer sofort zur Stelle und stach zielsicher in die Halsschlagader des Tieres, kaum, dass es zu Boden gefallen war. Dunkles Blut schoss mit kraft hervor und wurde in einer Opferschale aufgefangen. Beim zurückziehen der Klinge allerdings hatte der Opferstecher etwas viel Schwung, so dass einige Tropfen spritzten und Axilla trafen. Sie blinzelte ganz kurz erschrocken, blieb aber sonst reglos wie eine Statue. Das warme Blut brannte heiß auf ihrer Wange, als sich die drei Tropfen ihren Weg nach unten bahnten. Sie schmeckte den metallenen Geschmack, als es ihre Lippe erreichte, und ihr Magen wollte sich am liebsten entleeren. Aber sie blieb eisern und reglos stehen, ließ es einfach geschehen, ohne zu murren oder zu zucken. Eine Römerin ertrug das.
    Sie hörte, wie der Brustkorb des Ochsen von dem victimarius geöffnet wurde und das dumpfe Schmatzen, als er die vitalia herausholte und auf die patera legte, damit der Aedituus sie begutachten konnte.
    Bitte, nimm es an. Bitte, bitte, nimm es an. Nimm es an, betete sie in Gedanken und hoffte auf das eine, erlösende Wörtchen.

  • | Aedituus Caecus Niger


    Zufrieden betrachtete der Aedituus die Opferung des Tieres. Iunia Axilla verhaspelte sich nicht, stolperte nicht, und auch der Ochse brach nicht aus ob der ungewohnten Vorgänge um ihn herum. Zumindest soweit es den Ablauf des Ritus betraf waren die anfänglichen Sorgen der Opferherrin also gänzlich unbegründet, denn der irdische Vollzug ließ nichts zu Wünschen übrig. Ob Pluto indes gewillt war, das Opfer anzunehmen und die Bitte der Iunia zu erfüllen, lag einzig in Ermessen des Gottes. Den Willen des Gottes zu lesen, dies wiederum war Aufgabe Caecus Nigers. Am Opferaltar stehend nahm er die erste patera - jene mit dem Herzen des Ochsen - in Empfang, das Organ zu prüfen, anschließend jede weitere Schale. Sorgfältig betrachtete er die Oberflächen im goldenen Licht der Fackel, die ein popa ihm zur Seite hielt, prüfte sie auf Verfärbungen und Unregelmäßigkeiten, betastete ein Organ ums andere, um Knoten und unnatürliche Verhärtungen zu ertasten, welche die Ablehnung des Dis pater würden verkünden.


    Das Flötenspiel war zu einem leisen Säuseln im Hintergrund geworden, irgendwo in der Ferne klappte ein Anwohner lautstark die hölzernen Läden vor seinen Fenstern zu, ansonsten schien die Stille regelrecht angespannt. Ab und an ließ ein kühler Windhauch die Flammen tanzen, ein paar Opferhelfer wippten verstohlen auf ihren Zehen, um ein wenig Wärme in ihren Körper zu treiben, während alle gespannt auf die Verkündung des göttlichen Willens warteten.



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  • Serrrana beobachtete aus den Augenwinkeln das Wippen der Opferhelfer und hätte sich ihnen am liebsten angeschlossen, da sie sich inzwischen auch wie ein Eisblock fühlte. Dabei war die äussere Kälte noch nicht einmal so schlimm, aber irgendwie fühlten sich jetzt sogar ihre Gedanken "kalt" an, und das machte Serrana ein wenig Angst.
    Normalerweise hatte sie bei blutigen Opfern immer noch ein wenig Mitleid mit dem Opfertier, aber heute atmete sie erleichtert auf, als der schwarze Ochse sein Blut verspritzend zu Boden stürzte und damit das Ende dieses Rituals in greifbare Nähe rückte.
    Wie bewundernswert ruhig Axilla doch blieb! Fast konnte man glauben, dass sie jeden Tag im Tempel verbrachte und den Göttern opferte. Serrana verstand die Zusammenhänge rund um den Tod ihrer unbekannten Verwandten Urgulania zwar immer noch nicht so richtig, aber dennoch hoffte sie für ihre Cousine, dass deren Mühen und Gebete von Dis Pater erhört werden würden.

  • Die Zeit verrann zäh wie Blut, dass eben noch munter und hellrot aus einer Wunde gesprudelt war, nun aber dickflüssig und dunkel wurde, um gleich in einer schwarzen Kruste zu erstarren.
    Jede Bewegung erschien langsam, als wenn die Kälte im Raum alles zu erfrieren drohte.
    Lang zog sich das Warten hin, während der Priester die Organe prüfte und auf eine göttliche Eingebung hoffte.


    Wollte Dis pater die Sterblichen auf die Probe stellen? Wollte er ihren Langmut ergründen und ihre Geduld strapazieren?
    Zeit – für ihn ein Begriff von nur geringer Bedeutung. Aber für die Menschen ein kostbares Gut, immer zu knapp, nie genug, zu schnell vorbei, und wenn nicht, dann auch eine Last.


    Endlich legte er sich auf den Priester nieder, öffnete ihm die Augen, zeigte ihm, dass alle Organe schön und ohne Makel waren, und er gab ihm die Gewissheit, dass er, Dis, den sie angerufen hatten, dass er, der Dunkle Gott, auf den sie gewartete hatten, dass er, den sie auch Pluto, Orcus, Agelastus, Februus oder Summanus, Agathalyus, Agesilaus, Chtonius, Altor, Quietalis, Axiocerses, Eubuleus, Soranus, Stygius, Vedius oder auch Veiovis nannten, gelegentlich auch Äides, oder wenn sie griechisch ansprachen auch Hades, dass er zufrieden war und das Opfer annahm.

  • Es war der Tag, nachdem Sermo die Nachricht vom Tod seines Bruder Valentinus erhalten hatte. An diesem Morgen hatte er Diomedes wortlos den Brief an den Decemvir in die Hand gedrückt und hatte ohne bestimmtes Ziel das Haus verlassen. Er war umhergestreift, hatte der Vergangenheit nachgesonnen oder einfach nur irgendwelche Dinge beobachtet - ackernde Hafenarbeiter, feilschende Kaufleute, spielende Kinder, lamentierende Philosophen. Und während er von einem Ort zum anderen wanderte, führten ihn seine Füße bald hierhin, bald dorthin. Bis er einen Ort erreichte, der ihn abrupt frösteln ließ. Gedankenverloren hob der Quintilier den Kopf und betrachtete das Gebäude, das düster vor ihm aufragte. Dis Pater war dieser Tempel geweiht, dessen langer Schatten Sermo umschlingen wollte, ihn in sein Reich zu zerren gedachte. Mit einem beinah wohligen Schaudern machte er einige Schritte rückwärts, um das Bauwerk in seiner vollen - schlichten - Pracht erkennen zu können. Klein war der Tempel im Vergleich zu so vielen anderen, doch nicht minder schön. Sermo jedenfalls fand gefallen an diesem Ungetüm, das eine so bedrohliche Ausstrahlung zu haben schien. So gebannt begann er wieder in trüben Gedanken zu versinken wie in einer morastigen Suppe. So suchte er sich gegenüber des Plutotempels eine Steinbank, auf der er sich niederließ. Nicht viele Menschen überquerten diesen Tempelvorplatz, weshalb Sermo hier in Ruhe seiner Trauer nachhängen konnte. Armer Valentinus, was ihn wohl sein Leben gekostet haben mochte? Krankheit? Unglück? Was auch immer es gewesen sein mochte, dieser Octavius Macer musste es ihm beantworten können.
    Derweil hatte im Tempel ein Opfer begonnen, das Sermo nicht gleich wahrgenommen hatte. Als er das Geschehen registrierte, lehnte er sich etwas vor und observierte die Vorgänge genau. Eine junge Frau, begleitet von einer anderen, führte das Opfer durch - natürlich mithilfe der vielen Tempeldiener und eines eigenen Priester. Sie opferte einen wunderschönen Bullen, was Sermo auf eine recht vermögende Dame schließen ließ. Mit Wonne verfolgte er die Tötung des Tieres, das schwerfällig zu Boden fiel. Das Aufprallgeräusch hallte dumpf von den umliegenden Gebäuden wider. Das Spiel der Flötisten untermalte diese Zeremonie in eigentümlich wundervoller Weise, ging es hierbei doch nicht um Fröhlichkeit und Feierei, sondern um Tod und Vergänglichkeit. Und während der Aedituus die Innereien des Opfertieres begutachtete, breitete sich eiskalter Hauch über dem Platz aus. Es war, als führte Pluto selbst unter die Sterblichen und wollte sie auf ihrem Weg in die Unterwelt begleiten. Sermo zog den Mantel enger um sich, während die Welt für einen Augenblick beinah erstarrt schien.

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