Templum Dis patris - Am Rande des Abgrundes

  • | Aedituus Caecus Niger


    Die Auswahl des Ochsen war gut getroffen worden, die äußere Vitalität und Kraft spiegelte sich auch im Inneren des Tieres wider, in gesunden, makellosen Organen. Einen kleinen Flecken glaubte Caecus Niger auf der Niere zu entdecken, doch als er den Klumpen in seinen Händen wandte, war es nur ein Schatten, den das Feuer in seiner Unbeständigkeit geworfen hatte. Als die letzte vitalia vor ihm sich klaglos darbot, hob er den Blick zu der Opferherrin hin und verkündete: "Litatio! Dis pater, der dunkle Fürst der inferiores, ist gewillt, diese Gabe anzunehmen!"


    Während der Aedituus sich in einer Schüssel voll eisig kaltem Wasser das rötlich-braune Blut von seinen Händen wusch, wurden die Organteile in einen Topf voll siedend heißes Wasser, der über einer der Feuerschalen am Rande aufgestellt war, geworfen und gekocht. Das Flötenspiel der tibicines war in ein leises Säuseln übergegangen, welches nurmehr dazu diente, die Zeit zu überbrücken, bis ein popa mit einer breiten, löchrigen Kelle die Fleischstücke aus dem Wasser fischte und sie auf einen silbernen Teller legte. Caecus Niger bat die Opferherrin Iunia Axilla an seine Seite hinter das flackernde Feuer neben dem steinernen Altar und ließ sich die vitalia anreichen. Mit einer flachen Zange nahm er Stück um Stück und übergab es den Flammen, dass diese die Transformation des Materiellen in das Immaterielle, aus den hiesigen in die göttlichen Gefilde vollziehen konnten.
    "Wie dir versprochen, Dis pater, die Gabe der Iunia Axilla zu deinem Wohle!", repetierte er zu jedem Stück Fleisch, das sich in beißenden, dunklen Rauch wandelte, der träge gen Himmel mäanderte gleich dem Tiber in den Sommermonaten durch Rom.


    Als auch der letzte Klumpen durch die Flammen verzehrt war, wurde dem Aedituus noch einmal eine kleine Schale mit Wasser und der Pinsel aus Ochsenschwanzhaar gereicht, mit welchem er die Anwesenden unter leisem Gemurmel rituell reinigte von dem düstern Hauch des Pluto, der während des Ritus über sie hinweg gezogen war. Damit war das Opfer vollendet.



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  • Ein kleines Wort, und doch bedeutete es so viel. Litatio! Das Opfer wurde angenommen. Der große Gott war zufrieden. Axillas Blick wandte sich erlöst den Sternen über ihr zu, der Leere dazwischen, dem samtenen Schwarz. Noch immer war ihr kalt und übel, noch immer war die Präsenz des Gottes deutlich spürbar für sie. Und dennoch wärmte sie das Gefühl der Erleichterung und nahm eine Last von ihrem Herzen. “Danke, Pluto“, flüsterte sie leise dieser Schwärze zu und hatte keine Angst, den Gott bei seinem Namen zu nennen. In diesem Moment fühlte sie sich ihm mehr verbunden als jeder Frühjahrs- oder Festtagsgottheit, überhaupt mehr zugetan als jedem Wesen.
    Der Priester gab ihr ein Zeichen, das Axilla mit ihrem nach oben gerichteten Blick beinahe nicht bemerkt hätte. Sie musste sich mühen, langsam und würdevoll zu ihm zu schreiten und nicht hinüberzuhechten in jugendlichem Eifer und der Freude über das angenommene Opfer. Aber das leise Lächeln, das um ihre Lippen spielte, konnte sie nicht mit noch so viel Mühe in gebotenen Ernst umwandeln.
    Sie stand neben Caecus Niger und sah zu, wie er nach und nach die Fleischstücke zum Verbrennen in das Feuer legte. Jedes Mal zischte es kurz auf, als das Wasser verdampfte, in dem die Stücke gekocht worden waren, und jedes Mal stieg ihr so der Duft von Essen in die Nase. Ihr Magen rebellierte wieder, und sie musste stark an sich halten, sich nicht an Ort und Stelle zu übergeben. Eigentlich war der Fleischgeruch nicht unangenehm, aber vermischt mit der Aufregung, dem Weihrauch, den beißenden Kräutern und dem Umstand, dass ihr Magen momentan andauernd etwas fand, was ihm nicht gefiel, musste sie einmal kräftig Schlucken, damit ihr Stolz alles drin behielt, was nicht nach draußen kommen sollte. Wenigstens aber löschte dies das Lächeln aus.
    Schließlich war alles verbrannt, und der Aedituus nahm noch einmal den Pinsel zur Hand, um alle mit Wasser zu besprengen und zu reinigen. Gnädigerweise verwendete er einen besonders kräftigen Spritzer auf Axillas Wange, wo das Ochsenblut mittlerweile angetrocknet war, so dass sie es, als er weiter ging und die anderen besprenkelte, mit dem Handrücken wegwischen konnte.


    Es waren nur wenige Leute auf dem Vorplatz des Tempels, die stehen geblieben waren und gewartet hatten. Die meisten davon sahen wie Peregrine aus, die nun darauf spekulierten, ein Stück von dem Fleisch des Ochsen abzubekommen. Weiter hinten saß noch ein Römer auf einer Bank, aber Axilla hatte weder die Zeit noch die Muße, ihn jetzt näher zu betrachten. Erst galt es noch, das hier vernünftig abzuschließen. Und Serrana wollte bestimmt heim, immerhin war es schon dunkel geworden.
    Sie wandte sich an den Priester und hielt ihm mit offenen Handflächen noch das Opfermesser entgegen, dass sie die ganze Zeit noch seit der Weihung des Ochsen in Händen gehabt hatte. Irgendwie hatte sie wohl die Stelle verpasst, an der sie es hätte zurückgeben müssen, oder aber es war so richtig, was sie nicht wusste. In jedem Fall konnte sie es nicht behalten.
    “Ich danke dir und dem Tempel für die Hilfe. Hat mein Diener das Geld schon vorbeigebracht, oder ist noch etwas offen?“ Schulden bei so etwas zu machen wollte Axilla in gar keinem Fall. Also fragte sie sicherheitshalber lieber noch einmal nach.
    “Wird meine Anwesenheit bei der Verteilung des Fleisches noch benötigt, oder... war's das?“ fragte sie dann auch noch sicherheitshalber nach. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, sie wolle hier unbedingt schnellstmöglich weg, aber ein bisschen Sorgen um Serrana machte sie sich schon. Außerdem war es wirklich kalt.

  • | Aedituus Caecus Niger


    Über den Opferausgang zufriedenen - schlussendlich hatte er für die Auswahl des Tieres Sorge getragen -, nahm Caecus Niger das Opfermesser von Iunia Axilla entgegen, welches im Schein der Flammen nurmehr stumpf glänzte. "Es gibt nichts zu danken, wir stehen zur Verfügung, wann immer du Pluto eine Gabe darbringen möchtest."


    Ob die Rechnung beglichen war, wusste der Aedituus selbst nicht, und suchte daher kurz mit dem Blick einen der popae, der auch für die akribische Verwaltung der Tempelgelder zuständig war. Er konnte ihn auf die Schnelle nicht finden, allfällig räumte er bereits einige der Kultgegenstände zurück in die Kammer unter dem aedes, allerdings ging Caecus davon aus, dass er ihn vor dem Opfer unterrichtet hätte, wäre die Schuld noch nicht beglichen. "Bezüglich der Gratifikation ist wohl alles geregelt."


    Ein kühler Hauch ließ die Flammen zucken und erst nun wurde dem Aedituus bewusst, wie dunkel es war. Im Ritus verlor er stets jedes Zeitgefühl, wiewohl die Dunkelheit weniger von der allzu späten Stunde herrührte, denn vielmehr von der winterlichen Jahreszeit. "Dein persönliches Verweilen ist nicht länger vonnöten. Haben du und deine Cousine ein paar stämmige Sklaven für den Nachhauseweg, oder kann ich euch zwei unserer Männer mit Fackeln zum Geleit anbieten?" Der Lohn hierfür wäre in der monetären Gabe der Iunia mehr als inbegriffen.



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    Sim-Off:

    Du solltest nun auch ein persönliches WiSim-Angebot über ein großes, blutiges Opfer haben.

  • Irgendwie hoffte Axilla bei dem ersten Satz des Priesters, dass das bedeuten würde, dass sie hier so schnell nicht mehr herkommen musste. Sie hatte gewiss nichts gegen den Herrn der Unterwelt, aber die Gelegenheiten, ihm zu Opfern, wollte sie doch nach Möglichkeit spärlich erleben müssen. Immerhin hoffte sie, dass der Rest ihrer arg zusammengeschrumpften Gens noch recht lange leben würde, und dass sie keinen Grund haben würde, noch jemanden mit einem so scheußlichen Fluch zu belegen.
    So lächelte sie nur etwas verlegen und wusste nichts darauf zu erwidern. Ein wenig unruhig trat sie ein bisschen von einem Bein auf das andere, damit ihr warm wurde. Die Schuhe anzuziehen traute sie sich noch nicht. Erst, wenn sie wirklich entlassen war und heimgehen konnte. Irgendwie hatte Axilla noch immer Angst, der Gott könnte sonst seine Meinung noch ändern.
    “Gut, es wäre mir schon unangenehm gewesen, da etwas schuldig geblieben zu sein“, gestand sie etwas fröstelnd. Aber zum Glück war das Geld bereits im Vorfeld angekommen, so dass sie sich da keine Gedanken machen musste. Eine Börse hatte sie nämlich im Augenblick nicht dabei. Und sie wollte hier nicht gehen, ehe wirklich alles geregelt war. Aber anscheinend war es das ja, und sie konnten gehen.
    Ein erleichtertes Aufatmen konnte Axilla nicht unterdrücken, ebensowenig wie das ehrliche Lächeln, das der Priester erhielt. “Ähm, nein, ich denke, wir kommen auch so nach Hause.“
    Sie drehte sich leicht um zu den Sklaven, die mit ihnen gekommen waren. Da war Leander. Nicht unbedingt groß. Und stattlich? Naja... mit viel gutem Willen... und einer gehörigen Portion Enthusiasmus... nein, nichtmal dann. Und natürlich Adula, Serranas Schatten. Die war gewiss beides, aber die war kein Mann. Axilla kaute sich kurz frierend auf der Unterlippe, ehe sie sich doch nochmal dem Aedituus zuwandte.
    “Ähm, naja,... vielleicht einen Fackelträger, also, wenn es keine Umstände bereitet und du jemanden hier entbehren kannst. Ich meine, der Ochse kocht sich ja auch nicht von alleine.“
    Nach allem, was Axilla in letzter Zeit widerfahren war, sollte sie etwas vorsichtiger werden. Und einen Tempeldiener als Geleitschutz mitzunehmen, wenn es dunkel war, war vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung. Von diesen drohte sicher keine Gefahr, auch wenn vielleicht das auch wieder naiv war, zu glauben.


    Sim-Off:

    Habe das Angebot (mit wirklich tollem Angebotstext :D ) dankend angenommen. Ich danke ganz herzlich für das tolle Spiel, es hat wirklich sehr viel Spaß gemacht.

  • | Aedituus Caecus Niger


    Mit einer laxen Handbewegung durch die kühle Nachtluft wischte der Sacerdos den Einwand hinfort. "Zu viele Köche verderben das Rind." Sodann drehte er sich um und rief nach dem popa, der zuvor den malleus geschwungen hatte. Es war ein kräftig gebauter Bursche, dessen Kreuz fast doppelt so breit war wie seine Hüften, und der dadurch ein wenig unförmig wirkte, in festem Stand allerdings den Anschein eines unumstößlichen Pfeilers bot, der mit Leichtigkeit ein Haus auf seinen Schultern könnte tragen.
    "Dies ist Burichus Edecon, er wird euch geleiten. Burchius, ich vertraue darauf, dass die beiden Iunia wohlbehalten zuhause ankommen werden."


    "'türlich, Herr." Obgleich das Lächeln des Angesprochenen nur in seinen unter buschigen Brauen verborgenen, dunklen Augen zu sehen war, machte der ein wenig einfältig wirkende popa durchaus einen vertrauensseligen Eindruck. Burichus Edecon konnte die komplexen Rituale des Cultus Deorum nicht in all ihren Details bei sich behalten, weshalb er froh war, dass vor dem Hammerschlag der cultrarius immer nach dem Agone? fragte und der Opferherr immer das Age! sprach, doch was den Umgang mit dem malleus anging war er ein echter Spezialist. Er wusste genau, an welcher Stelle am Kopf des Rindes der Knochen am besten brach und das Tier am schnellsten und saubersten tötete. Mit gleicher Präzision wusste er auch, wie man einem Mann die Faust ins Gesicht rammen musste, um ihn außer Gefecht zu setzen, ohne ihn zu töten, denn nach der Arbeit im Tempel verdingte er sich des Abends oftmals noch als Türsteher eher zwielichtiger Tavernen - der Cultus Deorum bezahlte seine Angestellten zwar nicht schlecht, doch Burichus Edecon hatte eine Frau und vier Kinder zu ernähren, was in Rom als Peregrinus nicht gar so einfach war.


    Der popa nahm sich eine Fackel aus einem der gusseisernen Ständer und stand bereit, die beiden Iunia zu begleiten, wohin auch immer sie wollten - und sollte es bis ans Ende Roms sein.



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    Sim-Off:

    Das Vergnügen lag ganz auf meiner Seite, darob kann ich den Dank nur zurückgeben.

  • Während sich der Priester im Geiste bereits wieder irdischen Dingen zuwandte, dabei wohl nicht ahnte, womit dieses Opfer verbunden war, während sich Iunia Axilla erleichtert über den guten Ausgang des Opfers zeigte, dabei aber vielleicht auch wusste, dass darin zugleich etwas Böses lag und die Beschaffenheit ihrer Seele für immer verändert war, während Burichus Edecon die beiden Damen dorthin geleitete, wohin sie zu gehen wünschten, während all dies geschah, entschwand der dunkle Schatten und mit ihm ging der Fluch auf seine weite Reise, den Mann zu treffen, den Axilla so inbrünstig hasste. Welches Verderben er ihm bringen würde, dass sollte sich zeigen.

  • Bei der dritten Station ihres Opfer-Marathons kam Axilla schließlich am Abend an. Das Innere des Tempels lag schon in dämmrigem Zwielicht und war so wohl noch unheimlicher als von Natur aus. Axilla betrat auch hier den Tempel nach der rituellen Säuberung wieder barfuß, gefolgt von ein paar Opferhelfern mit den angedachten Gaben.
    “Pluto, Herr der Unterwelt! Dispiter, Wächter über das Totenreich. Nimm diesen Weihrauch an und schenke mir dein Ohr! Auch bringe ich dir Silbermünzen, Herr der Silberquellen, auf dass du meiner Bitte wohlgesonnen gegenüberstehen mögest.“ Auch hier qualmte eine angemessene Menge des göttlichen Universalkommunikationsmittels namens Weihrauch vor sich hin, und feine, blank polierte Silbermünzen wanderten klingelnd in die Opferschale zu Füßen der Götterstatue.
    “Dispiter, ich bitte dich hier heute um Nachsicht für meinen Vetter Lucius Iunius Merula. Er ertrank eine Woche vor den Kalenden des Septembers, ohne dass seine Familie davon wusste. Daher wurden die nötigen Riten auch nicht zur rechten Zeit ausgeführt, sondern von mir nun vollbracht. Ich bitte dich, nimm seine Seele in dein Reich auf, lass die Fehler der Lebenden nicht auf seine tote Seele zurückfallen und heiße ihn gnädig willkommen im Reich der Schatten. Weise ihm seinen Platz im Elysium zu, wenn er zu dir gebracht wird, auf dass er Friede findet und nicht dazu verdammt ist, als Geist durch die Welt zu streifen.“


    Mit der Drehung nach rechts waren auch hier Voropfer und Gebet beendet, und der kleine Zug begab sich nach draußen, wo ein schwarzer Widder mit versilberten Hörnern und Hufen schon bereit stand.
    “Oh großer Dispiter! Dieser Widder sei dein, auf dass du meine Bitte erhörst! Do, ut des!“
    Der Widder wurde der Gottheit mit mola salsa geweiht und durch das sanfte Führen des Opfermessers von seinem Kopf zur Schwanzspitze wenige Fingerbreit über seinem Fell seinem Schicksal zugeführt. Auch hier stand ein Opferstecher bereit, der durch ein kurzes “Age“ den Befehl zum Vollzug des Opfers erhielt. Nur einen Herzschlag später ergoss sich auch schon das Blut des Widders in die Fangschale, während das Tier sein Leben verlor.

  • Lange Zeit hatte Gracchus diesen Tempel nicht betreten, Jahre allfällig, hatte den inferiores nur dann ihren Tribut gezollt, so die jährlichen Feiertage dies geboten. Eine Gabe stand noch aus, das Blut der Löwen der Imago-Weihe, um den Fluch der flavischen Töchter zu lösen, doch dieses Opfer musste von Minor und ihm gemeinsam gebracht werden, was er in Anbetracht der Wahlvorbereitungen seines Sohnes bisherig hatte aufgeschoben. Die Entscheidung, den Tempel des Dis aufzusuchen war zudem keiner vorausschauenden Planung entsprungen, sondern schlichtweg eine Laune als die flavische Sänfte das Areal aleatorisch passierte. Einen Augenblick nur wartete Gracchus in der mittäglichen Hitze vor dem Tempel bis dass einer der Sklaven bei einem Händler einige Querstraßen entfernt ein wenig Räucherung hatte erstanden, dann trat er allein die Stufen empor, verharrte nur einen Herzschlag vor der Porta, um eine Stoffbahn seiner Toga über sein Haupt zu schlagen, ehedem er die cella betrat. Eisig kalt schlug der Hauch des Dis pater ihm entgegen, kroch unter den Stoff seiner Kleidung während der Flavier darauf wartete, dass seine Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnten. Gleichwohl wollte kein Schauder sich einstellen, keine drückende Schwere oder furchtsame Beklommenheit, lediglich ein befreiendes Seufzen löste sich aus Gracchus‘ Kehle und vermengte sich mit dem Flüstern der Untergründigen. Schweigend trat er an die immerwährend glühenden Kohlen zu Füßen des Götterbildes und streute sukzessive den gesamten Inhalt des Beutels an Räucherung darüber, dass beißende Schwaden aus Rauch sich erhoben und ihn gemeinsam mit Dis pater umhüllten. Welches Prinzip der Urgewalten konnte ihm näher sein als das der Zerstörung, welche er selbst so mannigfach über Rom hatte gebracht? Nicht den Staatsmann voll Pflicht, Tugend und Ehre in sich musste er besänftigen, nicht den Krieger, der er nie gewesen war, und nicht den Künstler, der er gerne gewesen wäre. Ohne eine einzige Legion, ohne einen einzigen Soldaten oder auch nur das eigene Schwert hatte er Tod und Verderben gebracht, hatte er den Hauch des Dis geatmet in das Antlitz tausender Römer und seiner eigenen Familie. Nicht im Tempel des Iuppiter, nicht vor dem Tor des Ianus, nicht unter den Tänzern des Mars war sein Platz, sondern hier, zu Füßen des untergründigen Herrschers, dessen Flüstern er sein Leben lang hatte vernommen, dessen dienstbare Geister er stets um sich scharrte und dessen Idee ihm inhärent war ohne Studium und Reflexion. Allfällig gierten die krallenbewehrten Klauen der Larven und Lemuren nicht nach seinem Leibe, sondern klammerten sich nur an ihn wie Kinder an die Mutter, die sie nährte, allfällig war es kein Fluch, unter dem er geboren war, sondern eine Gabe - allfällig war das größte Opfer der Welt schlichtweg der Mensch. Unwillkürlich zog Gracchus von seinem kleinen Finger einen Ring - aus Gold gearbeitet mit einer Gemme aus orangefarbenem Karneol, welche einen Hirsch zeigte - ein Andenken an die lange Zeit, welche der Flavier in Achaia hatte verbracht, und welches er oft und gerne an der Seite seines Siegelringes trug.
    “Do ut resistas“
    , flüsterte er und legte das Schmuckstück zwischen die Füße des Dis pater, ehedem er diese berührte und die Augen schloss. Die steinerne Kühle der Statue vermengte sich mit dem eisigen Hauch der daimones, das leise Knisterten der Kohlen mit ihrem rauen Flüstern. Als Gracchus seine Augen wieder öffnete hatte der Rauch sich aufgelöst, hatten seine Augen sich gleichsam an die Dunkelheit gewöhnt. Klar und deutlich schien ihm das Innere des templum, wiewohl der Blick auf sein Leben weiter im Nebel blieb als er kurz darauf wieder hinaus trat in die sommerliche Sonne.

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