Armilustrium - Tanzend durch die Stadt

  • Einer meiner liebsten Feiertage in jedem Jahr stellte das armilustrium dar, jener Feiertag zu Ehren des Mars, an dem unserer römischen Tradition in besonderer Weise gedacht wurde:
    Jeder Salier trug ein Schild, eines der heiligen ancilia, geschmiedet in der Form einer Acht - und einer unter uns, niemand wusste, welcher es war - trug jenes besondere Schild, das einst von Mars selbst als Pfand für den Bestand des römischen Reiches hingegeben worden war, am Arm. Die Weisheit des Numa Pompilius, einem der ersten Könige Roms, hatte dieses so besondere Schild über die Jahrhunderte hinweg beschützt, denn nachdem seine Gemahlin Egeria ihm das Geheimnis des Schildes verraten hatte, hatte der Schmied Mamurius Veturius im Auftrag des Königs elf gleiche Schilde gefertigt, vom Auge nicht vom besonderen Geschenk des Mars zu unterscheiden. So wurde ein möglicher Raub und damit ein Verderben des Reiches wirkungsvoll verhindert - und nur an besonderen Tagen trugen wir, die salii Palatini, diese Schilde durch Rom, auf dass die Menschen immer an das großherzige Geschenk des Mars erinnert würden. Es war vielleicht einer der anstrengendsten Feiertage des Jahres, zumindest für jene Männer, die als Salier den gesamten Weg lang tanzen und singen würden, die Zuschauer, meist jedoch vor allem die Zuschauerinnen, hatten das Vergnügen, uns mit ihrem genauen Blick zu beobachten und sich vielleicht auch jenen auszusuchen, der ihnen am besten gefiel. Hätte es einen Feiertag gegeben, an dem halbnackte junge Frauen durch die Stadt getanzt wären, hätte ich dies jedenfalls getan.


    Wir hatten uns vor der porta unserer curia versammelt, all jene, die sich der Ehre und Verantwortung gestellt hatten, den salii Palatini anzugehören, und ich war zufrieden mit dem, was ich sah - Männer in voller Kraft und Blüte ihres Lebens, angetan mit der traditionellen Bekleidung und Bewaffnung, die insgesamt ein sehr schmuckes Bild boten, jeder an diesem frühen Morgen frisch und wach wirkend. Das würde sich im Lauf der Zeit sicher ändern, denn die Schilde wogen so einiges, der Tanz durch die Straßen war ausgesprochen anstrengend, und mit den neuen Mitgliedern, die erst vor kurzer Zeit kooptiert worden waren, hatte es einige Übungsstunden gegeben, die ihnen klar gemacht hatten, dass dies alles war, aber sicher kein Vergnügen. Aber ein wahrer Dienst war es, und solche Aufgaben bedeuteten eben auch, dass man sich anstrengen musste.
    Mir war es als magister oblegen gewesen, die Männer aufzustellen, und ich hatte dafür gesorgt, dass meine Vettern einen Innenplatz erhalten hatten - Aristides mit seinem verletzten Bein sollte sich bei den Tänzen nicht vor aller Augen blamieren müssen, und Gracchus' noch immer andauernder Sprachfehler würde aus dem Gesang für die Zuschauer nicht herauszuhören sein, wenn ihn die Männer außen übertönten.


    Das bedeutete auch, dass die beiden Neuen, die Aurelier, außen tanzen mussten, und ich hoffte, die Übung wäre genug gewesen, damit sie uns und den Göttern keine Schande machen würden - es war ein riskantes Experiment, aber ich hoffte das Beste und war mir eigentlich sicher, dass sie durchhalten würden, beide waren kräftig und jung genug, um es zu schaffen. Wenn nicht jeder Schritt perfekt war und nicht jeder Ton ohne Fehler getroffen, würde das in der Masse erfahrenerer Männer nicht auffallen.
    Abermals zog ich den anderen voran, angetan mit der archaischen roten tunica, der trabea, dem ancilium und dem einschneidigen Hiebschwert an der Seite, denn dies war die Aufgabe des magisters, er war seit jeher der Vortänzer und Vorsänger gewesen und ging den anderen sodales voraus. So mussten einst die Krieger ausgesehen haben, die aus dem beschaulichen Städtchen Rom, dieser eins so kleinen Siedlung, eine mächtige Stadt geformt hatten, und auch dieser Aspekt des armilustriums, die greifbare Erinnerung an unsere stolze Vergangenheit, gefiel mir sehr gut.


    Eine Handbewegung ließ die Männer hinter mir verstummen, ich verharrte einen Moment lang, atmete tief die klare, kühle Luft des Morgens ein und schlug dann mit dem Schwert auf meinen Schild, um den Tanz und den Gesang mit der Taktangabe zu beginnen. Metall dröhnte auf Metall, dreimal, dann antworteten mir die anderen Männer mit ihrem gesungenen Wort, und der Tanz begann. Mein Herz wurde leichter, als die vertraute Routine zu greifen begann und wir loszogen, der Stadt entgegen, die Mars schützte, und für deren Versprechen, ihn stets zu ehren, wir einstanden, dafür tanzten - im Dreischritt, das carmen saliare begleitete uns wie auch die Gewissheit, dass sicherlich auch Mars hören würde, dass wir sangen. Die Stadt wartete auf uns, das Ziel, der Aventin, schien noch endlos weit entfernt, aber in diesem Moment dachte ich nicht mehr daran, verlor meine Überlegungen im ryhtmischen Stampfen unserer Füße, im Schlagen der Schwerter auf die Schilde, in der immer wiederkehrenden Erneuerung einer Ewigkeit, deren Teil wir einmal mehr sein würden ...

  • Nicht dass man Mars zum Armilustrium hätte rufen müssen, aber das Dröhnen von Metall auf Metall klang so kräftig, dass Vulcanus schon zeitgleich hätte schmieden müssen, damit Mars es überhörte. Aber der Kriegsgott war ohnehin bereit. Hoffentlich waren es die Salier auch. Die Straße war ihre.

  • Sie hatten geübt. Sicherlich im Prinzip waren sowohl Tanz als auch Gesang, die sie heute dem großen Mamars darzubringen gedachten nicht schwer, aber es würde ein gehöriges Maß an Konzentration und Ausdauer kosten den langen Weg im Takt durchzustehen. Und sie sollten auch noch außen tanzen. Das war zwar eine Herausforderung, da Orestes sich nun nicht hinter anderen verbergen konnte, aber er liebte schließlich Herausforderungen.


    Als er nun an diesem Morgen - in der traditionellen Gewandung - erschien, fühlte er sich gut. Die Nacht über hatte er gut geschlafen und er war einigermaßen fit. Er war sich sicher, diesen Tanz durchstehen zu können. Sie stellten sich auf und es dauerte nicht lange bis der Magister den Takt anschlug, Orestes fing mit den anderen an zu singen und den dreischrittigen Tanz zu tanzen. Und es dauerte nicht lange, da formte sich aus den einzelnen Saliern ein "Wir". Orestes bemerkte dies, dass es nicht mehr viele einzelne waren, die ihre Schritte voreinander setzten, sondern dass es nun die palatinischen Salier waren, die tanzten. Das erhellte seinen Mut noch einmal - und er begann sich einszufühlen, mit den anderen und mit denen die zum Wohl und Heile Roms nicht nur symbolisch und tänzerisch zogen, sondern die ihr Leben wirklich aufs Spiel setzten.

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    Einer endlosen, sich mehrfach selbst kreuzenden Schlange gleich hingen feine, durchscheinende Nebelschwaden in den Tälern zwischen den Hügeln Roms, welche nur zaghaft der emporsteigenden Sonne wollten weichen, die Kuppe des palatinischen Hügels wie eine Zwischenwelt scheinen ließen, eingebettet zwischen den fransigen Wolken am blassen, blaufarbenen Himmel und dem faserigen, weißfarbenen Nebelbett. Kühl kroch die morgendliche Luft unter den Rüstungen der Salier hindurch, umschmeichelte die bloße Haut zwischen Stiefelschäften und Tunikasäumen, ließ die rot- und goldfarbenen Blätter der Bäume rascheln, manch eines davon sich vom Geäst lösen und zu Boden sinken. Auch im Zentrum der Welt herrschte nicht stetig Sonnenschein, musste der Sommer dem Herbst weichen, musste das Jahr in endlosem Kreislauf sich drehen, allmählich seinem Ende entgegen ziehen, gleichsam wie auch seine Einwohner. Das armilustrium zu Ehren des Mars kennzeichnete das Ende der Kriegszeit, den Beginn der winterlichen Kampfpause, an welchem die Waffen wurden rituell gereinigt, befreit nicht nur von Blut und Schmutz, sondern gleichsam vom Hauch des Todes, vom letzen Röcheln der Sterbenden, von letzten Atemzügen, letzten Herzschlägen, letzten Augenblicken. Obgleich derzeitig im Imperium keine großartigen Schlachten wurden geschlagen, keine langwährenden Kriegszüge wurden geführt, so war jener Tag dennoch ein Tag des kriegerischen Innehaltens, und stellvertretend für all die aberzähligen Soldaten, verstreut über alle Provinzen, nah wie fern, des Imperium Romanum, wurde in Rom die Waffenreinigung durchgeführt wie in alter Zeit, als noch das gesamte Heer Roms versammelt seinen Platz in der Stadt fand. Seit Tagen, Wochen bereits hatte Gracchus jenen Tag herbei gesehnt, jene Möglichkeit, aus der alltäglichen Pflicht auszubrechen, aus der alltäglichen Fasson, und gleichsam doch ganz allen Erwartungen treu zu bleiben. Obgleich Tanz und Gesang der Salier fest vorgegeben waren, einem wohl definierten, wenn auch längst nicht mehr durchschaubaren Muster folgten, so fand sich doch kaum ein Tag im Leben eines Patriziers, welcher offiziell ein solches Übermaß an Expression gestattete, jenes Eintauchen in die tiefe Couleur des Gesanges - den Gesang an sich, wie auch den Tanz -, jenes Treiben im Fluss der Bewegungen, akribisch genau und gleichsam doch so geschmeidig. Waren die Bühnen des Theaters einem Patrizier auch verwehrt, so boten die steinernen Pflaster Roms den sodales salii ab und an einen Tag lang jene Bretter, auf welchen dem Gusto nach szenischem Ausdruck konnte nachgegeben werden, mit keinem geringeren Zuschauer denn Mars selbst, für welchen jenes Spektakel sich darbot. Als sein Vetter Aquilius vor ihm durch den Schildschlag den tänzerischen Marsch einläutete, als die sodales dem Antwort gaben, als der kleine Trupp sich vom Hügel herab in Bewegung setzte, der Gesang sich tief und mächtig erhob, die Schildschläge und das Stampfen des Tanzes Rom erzittern ließen, vergaß Gracchus alles, was sonstig ihn ausmachte, spürte nurmehr jene uralte Kraft durch seine Adern strömen, welche seit Jahrhunderten das römische Imperium voran trieb, und obgleich er auf dem Palatin noch in verhaltenem Ton nur sich am Gesang beteiligte, konnte alsbald er seine Stimme nicht in sich halten und ließ die Worte der Gesänge aus sich herausfließen, entkamen sie gleichsam präzise seinen Lippen, da er kaum noch dachte, da er ohnehin ihren Sinn nicht verstand, sie allein durch ihren Klang in die passende Harmonie sich zu rücken vermochten.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Warm glitt sein Atem über die Lippen, kräuselte sich zu einem hellen Hauchen als er auf die morgendliche Kälte traf, feine Schwaden wehten von seinem Mund hinfort und lösten sich bereits vor dem nächsten Herzschlag auf. Um sich herum spürte er die Präsenz der anderen Patrizier, auf seinen Schultern ruhte das beruhigende Gewicht einer Rüstung, des aeneum tegumen. Es fühlte sich gut an, sie zu tragen; vor einigen Tagen hatte er seine eigene Rüstung abgelegt, sie auf einen hölzernen Ständer in eine Kammer gestellt, denn er hatte seinen Dienst als Soldat aufgegeben und fühlte sich immer noch jeden Tag nackt, wenn er nicht das Gewicht der lorica auf sich spüren konnte. Er hatte immer noch damit zu kämpfen, daß er den Dienst eines Soldaten hatte aufgeben müßen. Womit der Tag für ihn einerseits besonders wichtig, dann wiederum auch recht schmerzhaft war. Es war nun das erste Mal seit Jahren, daß er wieder hier unter den Saliern stand, die letzten Feiertage lagen in der Zeit als Marcus im fernen Parthia unter dem Kommando des göttlichen Iulianus diente. Marcus schloß die Augen und sog die kalte Luft in sich hinein, es war wie ein Abklang seiner Zeit als Soldat, während er hier in der archaischen Rüstung ihrer Ahnen stand. Er spürte das ruhige Klopfen seines Herzen, hörte seinen eigenen Atem und spürte Schild und Schwert in seinen Händen, die von seinen schwieligen Händen geübt umgriffen wurden. Rumps! Metall schlug auf Schilde und Marcus öffnete die Augen, der Augenblick der Ruhe, die ihn erfaßt hatte, schwand schlagartig, denn nun kam der Teil der ihm regelrecht schlaflose Nächte bereitet hatte – die Tänze. Mit großer Freude hatte er diese früher vollführt, doch mit seinem Bein waren selbst die Proben schon eine Tortur gewesen, Marcus holte tief Luft und schlug den Takt ein. Der Schmerz schoß bereits beim ersten Schritt in Marcus' Bein, doch er war noch nicht allzu schlimm, um ihn in der ersten Zeit des Tanzens zu sehr zu beeinträchtigen, was aber mit Sicherheit noch kommen würde. Das tripudium begann: Ein Schritt, noch einer, ein Dritter zur Seite, eine Drehung, ein Schlag auf das Schild, Marcus kannte den Tanz mittlerweile sehr gut und konnte ihn noch nach Jahren, wäre nicht sein verfluchtes Bein.
    „Divum empta cante, divum deo supplicate...“
    , hörte er seine eigene, tiefe und geübte Baßstimme singen, immerhin konnte er da ohne Probleme mit den anderen Saliern mit halten. Noch ging es mit seinem Bein, doch er wußte nicht, wie lange er durch halten würde. Wieder eine Drei-Schritt-Kombination, wieder dröhnte laut der Klang von Metall auf Schild. Es war wahrscheinlich die Sicherheit der anderen salier und dann die vertrauten Schritte, die die Nervosität sich zu blamieren, minderte, dennoch verfluchte er seinen Vetter, daß er ihn nicht ganz von den Tänzen befreit hatte, er wollte schließlich keinen Fehler machen bei einem so wichtigen Ereignis.
    Cume tonas, Leucesie, prae tet tremonti quot ibet etinei de is cum tonarem...“
    Im Zuge der salier bewegte auch Marcus sich zwischen all die Menschen, die schon so früh erschienen waren, um den Tänzen der salier beizuwohnen.

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