Ein kleiner Spaziergang

  • “Sie nimmt von dir wirklich Geld dafür, dass sie dir etwas beibringt?“
    Jetzt war Penelope noch ein wenig überraschter. So hatte sie ihre Freundin gar nicht eingeschätzt. Nungut, Penelope kannte das Leben in Rhakotis zu gut und wusste, wie viel zehn Drachmen die Woche sein konnten. Noch dazu, wenn man fünf Kinder hatte, da fragte sie sich immer wieder, wie Inhapy die alle satt bekam. Aber dennoch hatte sie eigentlich nie einen Menschen kennen gelernt, der so unbestechlich und integer war wie Inhapy. Und dass sie Anthi da Geld abknöpfte, ihm etwas beizubringen, das passte irgendwie nicht in ihr Bild von der Ägypterin.
    Das mit den Jungs war für Pelo kein Problem. Sie mochte alle drei, auch wenn Hay und Bay mit ihren elf Jahren grade etwas schwieriger waren und sie die beiden nicht immer auseinander halten konnte. Die zwei trieben damit gerne auch Spielchen und verwirrten die Leute. Aber Nebtawi war dafür der reinste Sonnenschein und eine wahre Freude. Und wenn sie den Kindern lesen beibringen würden, war das etwas positives.
    “Dann kann ich Nebtawi vielleicht auch wieder ein wenig Flöte spielen beibringen. Ich hab schon fast ein schlechtes Gewissen, weil ich jetzt so wenig Zeit für ihn hatte. Aber Hay und Bay solltest besser du unterrichten. Wenn du ihnen vom Gymnasion und Olympia erzählst, hören sie dir auch sicher eher zu als mir.“

  • "Ich hab ihr das Geld einfach angeboten. Natürlich sollst du von ihr die beste Behandlung bekommen. Ich weis zwar dass du die auch so bekommen hättest, aber ich möchte Inhapy ja nicht ausnutzen. Von daher halte ich es nur für richtig ihr Geld zu geben. Ich hab auch gleich gesagt, dass ich da nicht mit mir diskutieren lasse."


    Wahrscheinlich hatte es Anthi am Meisten gewundert, dass sie nicht mehr lange diskutiert hatte. Aber er war halt ein stattlicher Grieche und kein kleiner Ägypter wie Inhapys Mann, den man einfach so umkommandieren konnte. Daran musste es wohl gelegen haben.


    "Ich kümmer mich gerne um die beiden älteren Jungs. Dann werde ich ihnen die Geschichten von Herakles und Milon von Kroton beibringen."

  • Das sah Inhapy gar nicht ähnlich, nicht zu diskutieren. Es musste ihrer Freundin wohl wirklich schlecht gehen im Moment, wenn sie sich so kampflos darauf eingelassen hatte. Pelo konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich von Anthi hatte einschüchtern lassen. Vielleicht ergab sich ja mal die Möglichkeit, unauffällig nachzufragen, was sie dazu bewogen hatte. Penelope verdiente jetzt so viel, da war es für sie fast selbstverständlich, der Freundin auch helfend unter die Arme zu greifen, wenn diese Hilfe brauchte.
    “Das erzählst du besser nicht Inhapy. Wenn ihre Jungs plötzlich anfangen, Athleten werden zu wollen, bekommst du glaube ich eins mit der Teigwalze übergezogen. Sie haben eine gute Arbeit in der Ziegelmacherei, musst du wissen.“
    Nun, verglichen mit den Träumen, die Ánthimos und auch Penelope hegten, war das wahrscheinlich nur etwas sehr kleines. Aber eine Arbeitsstelle, bei der man genug Pausen bekam und jeden siebten Tag sicher frei hatte, das war für jemanden aus Rhakotis eine sehr gute Arbeit. Noch dazu, da der Vater auch dort arbeitete und die Söhne so bei Problemen noch eine Ansprechperson hatten. Es war so gut, dass man das nicht leichtfertig aufs Spiel setzte. Penelope konnte das sehr gut verstehen.

  • "Gute Arbeit? Wenn sie anständig lernen können sie vielleicht mal als Scriba arbeiten und deutlich mehr Geld verdienen. Ob das mit den beiden älteren Jungs noch was wird, weis ich nicht, aber dem kleinen Nebtabi können wir sicher zu einer guten Zukunft verhelfen."


    Er hatte auch in diesem Alter angefangen Lesen und Schreiben zu lernen.

  • Auf der einen Seite hatte Ánthimos sicherlich recht, als Scriba konnte man viel mehr Geld verdienen und man hatte auch die Aussicht auf weiteren Aufstieg und noch mehr Geld. Aber auf der anderen Seite kannte Penelope auch Rhakotis und wie es dort war und wie schwer man es haben konnte, von da heraus zu kommen. Und da war ihre jetzige Arbeit ein kleiner Glücksfall, den man nicht so leichtfertig aus Spiel setzte.
    “Nunja, sie haben jeden siebten Tag frei und werden für Kinder wirklich ordentlich bezahlt. Und sie arbeiten mit ihrem Vater zusammen. Und für Rhakotis ist das sehr gute Arbeit. „
    Penelope fiel wieder auf, wie wenig Anthi manchmal davon wusste, so arm zu sein. Sein Leben war bis zum Tod seines Vaters doch geregelter verlaufen als ihres. Oh, sie machte ihm das sicher nicht zum Vorwurf, aber in diesem Moment erinnerte sie sich wieder daran. Daher konnten sich viele der Menschen in guten Positionen so schwer vorstellen, warum es in Rhakotis so war, wie es war. Sie hatten dieses Leben mit seinen rauen Gesetzen nie kennen gelernt und nie lernen müssen, damit umzugehen. Sie hatten nie gesehen, wie jemand verhungert war, wie jemand krank war und sich keinen Arzt leisten konnte, wie jemand gearbeitet hatte, bis er tot umgefallen war. Wenn man das alles hautnah miterlebt hatte, wusste man einfach, dass man manchmal kleinere Maßstäbe an das Leben ansetzen musste und sich an kleinerem Glück erfreuen sollte. Und das man nicht alles ändern konnte.
    “Ich würde mir wünschen, dass du recht hast. Für alle drei würde ich es mir wünschen. Achwas, für alle fünf.“
    Penelope lehnte sich leicht gegen Anthi und musste an ihr eigenes Kind in ihrem Bauch denken. Was wohl aus ihr werden würde? Welche Zukunft wohl sie hatte? Penelope wusste nur, dass sie alles, einfach alles dafür tun würde, dass es die bestmögliche von allen hatte.

  • "Wenn wir es bei einem schaffen würde das der Familie schon sehr helfen. Aber das wird schon. Uns geht es zum Glück ja gut genug, damit wir anderen helfen können."


    Jetzt war noch ein Thema offen, bei dem er stark schwankte ob er Penelope davon berichten sollte oder nicht.


    "Und ich hab endlich einen Trainigspartner für die Schwerathletik gefunden. Ach sieh mal dort drüben gibt es was zu essen. Hast du auch solchen Hunger wie ich?" Der letzte Satz war ein erbärmlicher und zum Scheitern verurteileter Versuch dieses Thema gleich zu überspringen. Obwohl Anthi natürlich wirklich Hunger hatte...wie immer eigentlich.

  • “Nein, ich bin nicht sonderlich hungrig.“
    Und eigentlich interessierte Penelope jetzt auch essen nicht wirklich. Sie wusste ja, dass Anthi Schwerathlet war und da natürlich auch trainieren musste. Aber das hieß ja nicht, dass ihr das gefallen musste. Das hatte sie gleich bei ihrem ersten Treffen gesagt, wie ihr sehr wohl in Erinnerung war. Er hatte ein viel zu schönes Gesicht, um es sich verhauen zu lassen. Pelo wollte sich gar nicht vorstellen, wie er nach dem training dann aussehen würde.
    “Und wer ist das? Und was trainiert ihr dann genau? Und wie oft? Und du bist doch vorsichtig, oder?“
    Bei den Göttern, sie machte sich jetzt schon ohne Ende sorgen, und dabei hatte er mit Trainieren noch nicht einmal angefangen.

  • "Sein Name ist Lysimachus, und er ist ein Dardaner. Er ist ein großer ungehobelter Klotz, aber ein netter. Er sieht nicht nur aus wie ein Bär, er ist auch sehr stark. Allerdings ist er unbeweglich und viel zu schwer. Dafür hat er einfach zu viel Fett am Körper. Ich denke sobald er merkt, dass er keine Chance gegen mich hat, werde ich ihn wohl dafür bezahlen müssen, dass er mit mir kämpft." Anthi zuckte mit den Schultern. Beim Sport war Bescheidenheit keine seiner Tugenden.
    "Außerdem sieht er aus als hätte er schon einige Male zu oft Schläge ins Gesicht bekommen. Mal schauen, ich denke mit ihm werde ich häuptsächlich Faustkampf und Pankration üben. Wenn er davon genug hat, werden wir wohl ringen."


    Dann erinnerte sich an Pelos letzte Frage.


    "Vorsichtig? Pelo, ich weis was ich tue. Der Andere muss vorsichtig sein, denn die Vorsichtigen verlieren bei diesen Sportarten. Mit Angst und Vorsicht kann man nicht gewinnen. Aber vertrau mir, ich bekomme selten etwas ab und vermag mein Gesicht schon zu schützen, wenn es dir darum geht."


    Er lächelte ihr aufmunternd zu. Er war es gewohnt zu gewinnen, und da kannte sein Selbstvertrauen beinahe keine Grenzen.

  • Und das sollte sie jetzt beruhigen? Penelope wurde bei seinen Worten immer blasser und irgendwie fühlte sie sich übel. Zwar war sie bislang von jedweder Morgenübelkeit verschont geblieben, aber jetzt schien so ein Zeitpunkt zu sein, wo das anfangen könnte. Zumindest hatte Penelope ein sehr, sehr flaues Gefühl in der Magengegend.
    “Ich dachte, ihr wolltet nur trainieren? Du willst doch nicht ernsthaft… ich meine, Pankration ist nicht ungefährlich, und ich dachte, du übst erstmal nur, bis du wieder in Übung bist?“
    So, wie er es sagte, klang das eher so, als würde er mit dem anderen bis aufs Blut kämpfen, wenn es sein musste. Penelope hatte ganz scheußlich viel Angst allein beim Gedanken daran.

  • Sie machte sich immer mehr Sorgen, natürlich völlig zu Unrecht.
    "Du bist ja putzig. Was denkst du wohl passiert mit mir, wenn ich zu einem richtigen Wettkampf gehe und das nicht vorher so ernst wie möglich trainiert habe? Natürlich kämpfen wir nicht bis zum Allerletzten, aber ein ordentliches Training muss schon sein. Aber keine Angst, normalerweise gibt es da nur ein paar blaue Flecke und sonst nichts."


    Pelo war ja lustig. Vielleicht sollten sie sich noch gepolsterte Handschuhe oder so etwas anziehen! Manchmal kamen Frauen auf Ideen...

  • Normalerweise? NUR? Irgendwie hörten sich diese Worte in diesem Zusammenhang sehr missbraucht an. Penelope wurde noch ein bisschen blasser, so dass sie nun fast so hell wie eine Germanin wohl war. Nun, sie hatte sich diesen Mann ja ausgesucht und sich in ihn verliebt, aber er schien so überhaupt kein Gefühl für Gefahr zu haben. Sie hingegen hatte schon immer ein Gespür dafür gehabt und war Ärger weitestgehend aus dem Weg gegangen. Und seit sie um das Leben in ihrem Bauch wusste, hatte sich dieser Instinkt noch ein wenig verstärkt. Daher machte sie sich nun erheblich mehr Sorgen als vor Anthis Ausführungen.
    “Irgendwie ist mir nicht gut“, meinte sie nur, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. Sie fühlte sich grade ziemlich übel.

  • Sofort stützte er Penelope. Sein Gesicht zeigte Besorgnis.


    "Was ist den Schatz? Ist dir schlecht? Oder schwindelig? Sollen wir zu Inhapy gehen? Möchtest du dich kurz setzen?"


    In Gedanken hatte er sie schon auf dem Arm und war den halben Weg nach Rhakotis gelaufen. Der Gedanke, dass er ihr nicht gut ging, ließ sein Herz bis zum Hals schlagen. Er war unverwüstlich, aber sie war sein schwacher Punkt, seine Achillesferse, deswegen schockte ihn die Sorge um ihre Gesundheit deutlich mehr als dutzende Treffer im Faustkampf.

  • Wenn er sich nicht grad prügeln wollte, war Penelopes Mann richtig süß. Sie lächelte ihm leicht aufmunternd zu, sie mochte es nicht, wenn er sich Sorgen machte. Aber stützen ließ sie sich dennoch gerne.
    “Ach, es ist nichts, ich hab nur so ein ganz flaues Gefühl im Magen. Inhapy müssen wir deshalb nicht belästigen.“
    Warum beruhigte sie ihn eigentlich? Es war ja gut, wenn er sich sorgte, dann würde er dieses Training vielleicht etwas hinausschieben. Aber Penelope war einfach viel zu ehrlich, um die Situation dazu auszunutzen. Das Intrigenspiel der Frauen war ihr nicht geläufig, und wie man durch Schmollen erreichte, was man wollte, hatte sie bei Philolaos nie lernen können. Der war eher angeekelt von schmollenden kleinen Mädchen und hatte erst recht auf seinen Willen bestanden.
    “Ich mach mir nur Sorgen um dich. Aber vielleicht setzen wir uns dennoch ein wenig.“

  • Sie liefen noch einige Meter und kamen dann an eine Steinbank. Anthi wartete bis Pelo soch gesetzt hatte, und tat es ihr dann gleich.


    "Wie du machst dir Sorgen um mich? Wegen dem Training? Ich bitte dich. Traust du mir etwa nicht zu, dass ich ein hervorragender Kämpfer bin? Hältst du mich etwas für einen Schwächling? Glaube mir, mir passiert nichts. Ich trainere das seit Jahren. Meine Muskeln sind gestählt und ich weis wieviel ich aushalte und wann ich genug habe. Von daher brauchst du keine Angst zu haben, und schon gar nicht bei einem Training. Ich bin nunmal Schwerathlet, da gehört das dazu. Überleg mal wieviel weniger gefährlich das ist, als zum Beispiel das Leben eines Soldaten, oder eines Arbeiters im Steinbruch. Beim Training stehen sich zwei Leute gegenüber, von denen keiner das Ziel hat seinen Gegenüber zu verletzen. Das mag ein wenig merkwürdig klingen, wenn man bedenkt, dass wir uns gegenseitig schlagen, aber da wird schon Rücksicht genommen."


    Er wusste nicht genau, wie er das einer Frau erklären sollte...

  • Zärtlich streichelte sie Ánthimos einmal über das Gesicht. Wie sollte sie ihm das nur erklären?
    “Natürlich halte ich dich nicht für einen Schwächling. Ach, Ánthimos, wie du nur auf solche Gedanken kommst? Und natürlich vertrau ich dir auch, aber… weißt du, es kann einfach immer etwas passieren, was von niemandem so beabsichtigt war. Ich mach mir da einfach Sorgen um dich. Und vor allem jetzt. Die Ephebia dauert nicht mehr lange, und dann können wir heiraten, und wenn das Baby kommt… Ich möchte mir einfach keine Sorgen machen müssen, ob das alles wirklich eintrifft.“
    Penelope wollte es gar nicht näher ausführen. Sie wusste nicht, was sie tun würde, sollte Ánthimos tatsächlich etwas geschehen. Um des Lebens in ihr Willen würde sie ihr möglichstes versuchen, aber sollte sie das auch verlieren, würde sie sicher ebenso wie er ihre Reise auf der schwarzen Straße antreten. Aber das wollte sie ihm so nicht sagen, sie wollte ihm da keine Angst machen.

  • Anthi verstand sie gut, ging es ihm mit ihr doch ebenso. Allerdings würde er das ganz sicher nicht zugeben.

    "Es bringt doch nichts, sich aus Angst krank zu machen. Ein Unglück kann man nicht vermeiden, da sind wir in der Hand der Götter. Und haben wir Grund an ihrem Wohlwollen zu zweifeln? Also ich glaube nicht. Außerdem denke ich, haben wir beide unser Unglück für dieses Leben hoffentlich aufgebraucht. Aber ich verspreche dir: Ich werde vorsichtig sein."

  • Dieses Versprechen war ja schon alles, was Penelope wollte. Zwar wäre ihr lieber gewesen, er würde einer weniger gefährlichen Tätigkeit nachgehen, aber sie wusste ja, wie es war, wenn man einen Traum hatte. Und den würde sie nicht versuchen, ihm zu nehmen, niemals.
    “Gut. Und besser für dich, wenn du dich daran hältst. Ich will nicht erst wie Orpheus in die Unterwelt gehen müssen. Und ich würde dich dann auch nicht zurückholen wollen, sondern dir mit der Teigwalze noch eins überbraten.“
    Sie schaffte es nicht ganz, bei diesen Worten ernst zu bleiben. Zumal sie ja auch nicht wirklich ernst gemeint waren. Aber ihr Mann sollte nur gut auf sich aufpassen. Sie hatte nämlich keinerlei Erfahrung damit, jemanden wieder zusammenzuflicken und Wunden zu versorgen. Abgesehen von blutigen Fingern vom Seitenzupfen gab es in ihrer Vergangenheit selten Verletzungen, oder nur solche, die sie nicht selbst versorgt hatte, sondern Inhapy.

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