Hortus | Ein herbstlicher Nachmittag - Ein Gespäch zwischen Herrin und Sklavin

  • Es war einer der letzten sonnigen Tage des Jahres. Der Herbst hatte schon lange Einzug gehalten und die Bäume des Gartens in seine Farben getaucht. Besonders die Nachmittagsstunden hatten ihren Reiz und wer die Möglichkeit hatte, der war gut beraten, diese letzten sonnigen Stunden für sich zu nutzen.
    So war es Fiona nicht unrecht, als sie ihre Herrin in den Garten hinaus begleiten sollte. Allerdings trug die Sklavin eine innere Last mit sich herum, die für sie Tag für Tag an Schwere gewann. Sie war innerlich so zerrissen. Die Begegnung mit dem Alten, den sie neulich in der Stadt hatte, ließ ihr keine Ruhe mehr. Tagtäglich wuchs in ihr der Wille, nach Hause zu kehren, ihn zu finden und ihn endlich wieder in ihre Arme schließen zu können. Wenn es einen Menschen gab, der die Sehnsucht einer Liebenden kannte, dann mußte es ihre Herrin Epicharis sein! So glaubte es Fiona jedenfalls. Sie würde ihre Beweggründe verstehen. Davon war sie überzeugt. Schließlich hatte sie selbst so lange auf ihr Glück warten müssen! Schon einige Male hatte sie davon gesprochen, Fiona eines Tages wieder die Freiheit zu schenken. Sicher würde sie nun ihr Versprechen einlösen, wenn Fiona sie darum bat.
    Dieser schöne beschauliche Nachmittag, bot die ideale Gelegenheit dazu, um Epicharis darauf anzusprechen, glaubte Fiona. Sie mußte nur den geeignetsten Moment abwarten.
    Nachdem die beiden Frauen einen schönen sonnigen Platz erreicht hatten, an dem eine marmorne Bank stand, verharrten sie dort. Die Herrin nahm Platz und Fiona sah nun den richtigen Moment gekommen. "Herrin, darf ich eine Frage stellen?"

  • Es war ein herrlicher Tag. Zuvor hatte sich Epicharis den kleinen Gracchus Minor ausborgen wollen, aber Antonia hatte ihn nicht herausgeben wollen. Zumindest war Epicharis das unterschwellig klar geworden, als sie unverfänglich und unverbindlich nachgefragt hatte, ob man mit dem Kleinen in den Garten gehen könnte bei dem schönen Herbstwetter. Also hatte Epicharis darauf verzichtet, Antonia direkt danach zu fragen, ob sie den kleinen süßen Gracchus herumtragen durfte. Immer, wenn sie ihn sah, geschah ohnehin etwas komisches. Es war ihr, als drücke etwas ihr Herz zusammen, und das Verlangen nach einem eigenen kleinen Knurpsel stieg in immer ungeahntere Höhen. Schweren Herzens hatte sich Epicharis dann allein aufgemacht in den Garten.


    Auf dem Weg dorthin hatte sie Fiona getroffen und kurzerhand gebeten, mit ihr zu kommen. Nebeneinander schlenderten sie also über die kiesbestreuten Wege, an Rabatten und Beeten entlang und natürlich an den legendären flavischen Rosensträuchern, und Epicharis blieb so nicht verborgen, dass Fiona mit etwas haderte. Sie sprach es nicht an, denn sie selbst hatte die Erfahrung gemacht, dass es klüger war, wenn man wartete, bis der andere bereit zum Reden war. So schwieg sie, genoss die klare Luft und setzte sich schließlich auf eine mit warmen Polstern belegte Marmorbank. Ruhig sah Epicharis Fiona an, als diese das Schweigen brach und sie um etwas bat. "War das nicht schon eine Frage?" erwiderte Epicharis herzlich und zwinkerte Fiona zu. Mit der Linken klopfte sie auf die Kissen, was Fiona als Aufforderung verstehen sollte, sich ebenfalls zu setzen. "Nur zu."

  • Ja, Fiona war sich sicher! Dies war ein guter Moment, um eine solch wichtige Frage zu stellen. Epicharis war bester Laune, was höchstwahrscheinlich nicht nur an dem herrlichen Nachmittag und dem schönen Wetter lag. Sie war zweifellos glücklich! Die Ehe tat ihr gut und es war schön, mit ansehen zu können, wie sie in ihr erblühte. Wie die meisten anderen Sklaven war auch Fiona sich sicher, daß der Nachwuchs nicht lange auf sich warten ließe. Umso mehr schmerzte es sie, wenn sie an ihr eigenes Glück dachte. Monatelang hatte sie getrauert, hatte sich irgendwann damit abgefunden, daß die Liebe ihres Lebens tot war. Genauso tot, wie der Rest ihrer Familie. Alleine im Tod sah sie die Möglichkeit, ihren Geliebten wieder zu sehen… und nun diese Nachricht! Sie mußte sie einfach gehen lassen! Sie mußte! Niemals hatte sie gegen Epicharis aufbegehrt. Stets war sie ihr zu Diensten gewesen und hatte alles für sie getan. Sie hatte sich ihre Freiheit redlich verdient!
    Fiona zweifelte keinen Augenblick mehr daran, je länger sie darüber nachdachte, je mehr sie sich einredete, wie sehr es ihr zustand, bald wieder frei zu sein. Natürlich würde Epicharis keine Minute zögern, ihrer Bitte zu entsprechen.
    Lächelnd nahm sie neben der Herrin Platz und suchte nach den richtigen Worten. Plötzlich schien es ihr schwer zu fallen, die Frage richtig auszudrücken. Oder sollte sie zuerst erklären, warum sie ihre Freiheit zurück haben mußte? Ach, das konnte sie ihr auch noch später erklären! Jetzt war es erst einmal wichtig, sie davon in Kenntnis zu setzen, was ihr so sehr auf dem Herzen lag. "Ich… ich wollte dich fragen, nein, dich bitten… ähm… wäre es möglich, wenn… wenn du mich gehen läßt? Ich meine, mir die… Freiheit wieder zurück gibst?" Voller Erwartung, gepaart mit einer Portion Unsicherheit blickte sie Epicharis an. Es hatte sie einiges an Überwindung gekostet. Doch nun war es ausgesprochen. Nicht mehr umkehrbar. Und natürlich würde Epicharis Verständnis zeigen! Sie mußte doch wissen, was der größte Wunsch eines Sklaven war! Die Freiheit natürlich! Aber woher hätte sie es wissen sollen? Daran verschwendete aber Fiona keinen einzigen Gedanken.

  • Dass es Fiona sichtlich Mühe kostete, ihre Frage zu stellen, bemerkte Epicharis schon, bevor sie überhaupt den Mund geöffnet hatte. Alles an der Sklavin wirkte mit einem Mal aufgeregt und zugleich verlegen. Und drängend. Ja, das Drängen war ganz eindeutig zu sehen und zu spüren. Epicharis rutschte ein wenig herum, hatte nun auch ihre Beine Fiona schräg zugewandt. Ein Zeichen dafür, dass sie ihr vollauf Aufmerksamkeit schenkte. Die Worte, die jedoch das Ohr der frischgebackenen Flavia erreichten, bekümmerten sie. Das Lächeln verblasste, an seine Stelle trat eine Mischung aus Trauer und Nachdenklichkeit. Die erwartungsvolle Hhaltung der Sklavin machte alles noch ein wenig arger. Epicharis dachte über diese Bitte nach. Es stand außer Frage, dass Fiona stets verlässlich und fleißig gewesen war. Aber Epicharis stand mit ihrem Leben noch ganz am Anfang. Fiona war noch nicht lange Sklavin. Wie sähe es aus, wenn Epicharis ihre vermeintlich neugewonnene Freiheit - denn sie glaubte, dass ihr Ehemann sie niemals dazu zwingen würde, etwas zu tun, das sie nicht wollte - dafür nutzen würde, gleich eine ihrer treuesten Sklavinnen freizulassen? Und wie sähe es für die anderen Sklaven hier in der Villa aus? Die meisten unter ihnen hatten Jahrzehnte in den Diensten ihrer Herren gestanden und waren bisher noch nicht freigelassen worden. Epicharis legte die Hände im Schoß zusammen und sah darauf hinunter.


    So verstrich eine Weile, bis Epicharis glaubte, die rechten Worte gefunden zu haben. Sie sah Fiona nun an und lächelte schwach. "Ach, Fiona. Weißt du, ich habe ganz genau gemerkt, dass dich etwas bedrückt. Ich wünschte, du hättest es mir schon viel früher erzählt. Hast du wegen der Hochzeit damit gewartet?" fragte sie, sprach jedoch gleich weiter. "Minna und Kassandra und du, ihr wart meine Stütze. Meine kleine Familie, meine Freunde. Das seid ihr noch. Es wäre ungerecht, wenn ich dir die Freiheit schenkte und den anderen nicht. Was würde Minna sagen? Ihr seid doch dicht befreundet." Epicharis hob einen Mundwinkel und streckte die Hand aus, um sie auf Fionas Unterarm zu legen. "Warum bittest du mich darum? Hat dir jemand Unrecht getan? Habe ich dir Unrecht getan?"

  • Epicharis hatte ihr ihre vollste Aufmerksamkeit geschenkt. Dadurch gewann Fiona wieder an Sicherheit. Sie dachte über ihre Frage nach. Sie nahm sie ernst! Aber warum antwortete sie ihr nicht, wo doch die Antwort auf ihre Frage klar auf der Hand lag? Zweifel beschlichen Fiona wieder, ihrer Herrin könnte die Wichtigkeit ihrer Bitte nicht klar genug sein. Woher hätte sie denn auch wissen sollen? Aber sie wußte doch, wie es war, wenn man schon glaubte, das Wichtigste verloren zu haben und dann erfuhr, daß dem nicht so war. Damals, als alle glaubten, Aristides sei im Krieg getötet worden, da hatte sie doch dieses Gefühl spüren müssen!


    Endlich begann sie sich zu äußern. Zaghaft tastete sie sich an Fionas Bitte heran. Der Sklavin war es nicht entgangen, wie sehr sie nach den richtigen Worten suchte und die, die sie wählte, drückten ihre Wertschätzung aus, ganz ohne Zweifel! Fiona rutschte nervös auf ihrem Platz hin und her. Die Feuchtigkeit ihrer Hände kündeten davon, wie sehr aufgeregt sie war. Ein einziges Wörtchen trennte sie noch von ihrer Freiheit. Ein Ja trennte sie noch von ihrem Verlobten. Aber dieses Ja sollte ihr verwehrt bleiben. Es wäre ungerecht..! Es traf Fiona, wie einen Schlag! Ein Schlag ins Gesicht, genauso empfand sie es. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Natürlich hatte sie nächtelang auch darüber nachgedacht, was aus Minna und Kassandra wurde. Sie wußte, die Freiheit würde sie von ihrer Freundin trennen. Aber sie war immer der Überzeugung gewesen, Minna hätte es verstanden. Auch Kassandra, die viele Jahre länger als sie Sklavin gewesen war, hätte ihrem Glück sicher nicht im Wege gestanden. Fiona verstand die Welt nicht mehr! Fassungslos war ihr Ausdruck. Damit hatte sie nicht gerechnet. Ihr Traum von einer schnellen Rückkehr war wie eine Seifenblase geplatzt!
    Epicharis´ Frage nach dem Grund ihrer Bitte, echote in ihrem Kopf. Sie brauchte eine Weile, bis sie wieder die Sprache fand.
    "Es gibt jemanden, dem ich mein Herz geschenkt hatte, den ich wiederfinden muß. Es ist…" Es war wichtig für sie gewesen. Wichtiger als alles andere! Fionas Worte hatten an Klang verloren. Sie kamen gehemmt und kraftlos. Ja, sie hatte ihr Unrecht getan! Gerade eben hatte sie es getan, ohne davon die leistete Ahnung davon zu haben, was sie mit der Ablehnung von Fionas Bitte auslöste.

  • Traurig sah Epicharis die Sklavin - nun ihre Sklavin - an und nahm die Hand wieder fort, um sie zurück in den Schoß zu legen. An die Stelle des erwartungsvollen Blicks trat Fassungslosigkeit, die Epicharis sehr wohl wahrnahm. Nur was sollte sie entgegnen? Sie war niemand, der Sklaven quälte oderzu etwas zwang. Sie gab sich Mühe, gerecht zu sein und gute Arbeit entsprechend zu honorieren. Und dennoch zweifelte sie nun ob Fionas Frage an sich selbst. Ja, Epicharis bekam vollkommen grundlos ein schlechtes Gewissen. Bedrückt harrte sie aus in der Stille, die sich zwischen ihnen ausdehnte. Sie verstand die Worte nicht im rechten Zusammenhang, die Fiona schließlich äußerte, widerstrebend, so schien es ihr. Hatte sie in der Villa Claudia jemanden kennengelernt? Nur wen?


    "Es ist...?" ermunterte sie sie zum Weitersprechen und beugte sich ein wenig vor. Sie wünschte sich Antonia herbei. Antonia, die so viel weiser war. Sie hätte ihr sicher die rechten Worte sagen, ihr etwas raten können. Epicharis fixierte einen ob der Jahreszeit beinahe blütenlosen Roschenbusch und runzelte nachdenklich die Stirn. Was sollte sie tun? Sie wollte Fiona nicht vor den Kopf stoßen. Schließlich sah sie sie wieder an. "Wer ist es? Kenne ich ihn? Und warum musst du ihn wiederfinden, ist er verschwunden? Du weißt doch, ich würde dir nicht verbieten, dass du einen Freund hast." Nordwin hatte schließlich auch zuerst Kassandra nachgestellt und dann ein Auge auf Minna geworfen, und Epicharis hatte nichts dagegen eingewandt.

  • Der Fassungslosigkeit folgte Ernüchterung, der Ernüchterung folgte tiefe Trauer. Es war, als würde sie ihn noch einmal verlieren. Noch einmal mußte sie miterleben, wie man ihr Leben demontierte. Sie waren doch alle gleich, dachte Fiona verächtlich. Damals wie heute, es wiederholte sich alles wieder. Offenbar hatte sie nichts über den Umgang mit Römern gelernt. Wieder war sie auf ihre Verlockungen hereingefallen, wie damals ihr Vater. Als Dank dafür, hatten sie ihn und seine Familie niedergemetzelt.
    Um sich selbst zu schützen, begann sie sich vor Epicharis Augen regelrecht einzuigeln. Niemand sollte ihr oder ihren Gefühlen jemals wieder zu nahe kommen, geschweige denn ein Leid zufügen! Wie konnte sie nur so hohe Erwartungen in Epicharis setzten? Weil sie in mancher Hinsicht, wie sie selbst war? Weil sie sie durch ihre Freundlichkeit geblendet hatte und nun blind der Realität gegenüber stehen mußte?
    "Ach nichts!", antwortete, sie schnell und schickte ein scheinbar unverfängliches Lächeln hinterher.
    "Nein, du kennst ihn nicht. Ich habe ihn verloren und würde ihn nur gerne wieder finden." Sie gab sich wieder gefaßt, doch innerlich zerbrach gerade eine Welt für sie. Wenn sie mich nicht gehen läßt, dann werde ich ohne ihre Erlaubnis gehen, dröhnte es in ihrem Kopf. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr reifte in ihrem Kopf ein Plan heran.
    "Aber das weiß ich doch, Herrin!", erwiderte sie freundlich ihre letzte Bemerkung.

  • Das Lächeln mochte dazu dienen, Epicharis zu beruhigen, doch erreichte es nicht Fionas Augen, was es Epicharis leicht machte, es als gespielt zu entlarven. Bedrückt erwiderte sie es, ebenso unwahr. Sie bemerkte, wie Fionas Gesichtsausdruck sich veränderte, maskenhaft wurde. Abweisend und irgendwie emotionslos. Auch, wenn ihre letzten Worte freundlich klangen, so täuschte sie Epicharis nicht darüber hinweg, dass sie enttäuscht war.


    Die Flavia erwiderte zunächst nichts, ließ Zeit verstreichen und seufzte schließlich leise. "Erzähl mir von ihm", bat sie ihre Sklavin dann unvermittelt, einerseits, um die Thematik ein wenig ins Positive zu lenken, andererseits, um Fiona ein wenig von ihrer offensichtlichen Antwort - einem nicht direkt ausgesprochenen Nein - abzulenken. "Wie war er so? Warum hast du nie von ihm erzählt?" fragte sie und dachte parallel dazu nach, wie sie Fiona von den trüben Gedanken und der Enttäuschung darüber, noch nicht die Freiheit zu erlangen, ablenken konnte. Vermutlich war es doch nicht das Beste, sie über ihren Geliebten auszufragen. Eventuell richtete sie damit Schlimmeres an als sie beabsichtigte. "Du meinst, du hast ihn verloren, als du in die Sklaverei geraten bist?"

  • Die entstandene Stille wirkte einerseits bedrückend auf Fiona, da sie nicht mehr tun konnte, andererseits musste sie nicht die vorgeben, die was sie nicht war. Sie war weder gefasst, noch gelassen. Schwer enttäuscht war sie. In ein tiefes Loch war sie gefallen, aus der es nur schwerlich einen Ausweg gab. Sie hätte heulen können, als sie glaubte, man hätte ihr das Herz herausgerissen. Umso mehr traf es sie dann, als Epicharis sie aufforderte, von ihm zu erzählen. Es schnürte ihr die Kehle zu. Sie konnte nicht! Sie wollte nicht ihre Erinnerung mit ihr teilen. Das war das einzige, was sie schließlich noch besaß und das sollte sie nun auch noch teilen? All die schönen Stunden, die sie mit Owain verbracht hatte und wie sie gemeinsam Zukunftspläne geschmiedet hatten, die genauso wie ihr Wunsch nach Freiheit zerplatzt waren.
    "Owain hieß er", begann sie schließlich. "Ich kannte ihn schon, seit ich ein kleines Mädchen war. Wir wollten heiraten." Ihre Worte waren tonlos und leer. Fiona schien eine leblose Hülle zu sein. Die Fiona, die es bis vor wenigen Minuten noch gegeben hatte, die immer ein Lächeln für ihr Gegenüber übrig hatte und die immer freundlich war, diese Fiona war auf mysteriöse Weise verschwunden.
    Das erneute Nachfragen der Flavia, war dann auch wie Salz in Fionas Wunden. Nein, das war zu viel! Sie konnte nicht mehr! Schmerzverzerrt, begannen sich ihre Augen mit Tränen zu füllen. "Ja", antwortete sie ganz knapp. Die Tränen liefen über ihre Wangen. In ihrem Kopf spielten sich immer wieder die gleichen Szenen ab von Leid und Tod. Es trieb sie fast in den Wahnsinn. "Warum quälst du mich so?" rief sie schluchzend. Dann sprang sie von ihrem Platz auf und wäre am liebsten weggerannt. Doch selbst das tat sie nicht, da sie doch wußte, Epicharis hatte auch darüber die Gewalt.

  • Owain also. Ein seltsamer Name. Aber Fiona war schließlich auch ein seltsamer Name. Epicharis seufzte leise, als sie die Tonlosigkeit in ihrer Stimme heraushörte. Es war also doch nicht richtig gewesen, Fiona damit aufheitern zu wollen, indem sie sie nach ihrem Geliebten fragte. Bekümmert schwieg die Flavia daraufhin, betrachtete Fiona nur mit einem um Verzeihung bittenden Blick, der deutlich unglücklicher wurde, als die ersten Tränen bei Fiona kullerten. Der Sonnenschein wollte nun gar nicht mehr zur Situation passen, schien sogar wie Hohn auf den feuchten Blättern und dem sattgrünen Gras zu glänzen.


    "Fiona", versuchte Epicharis vergeblich, ihre Sklavin zu beruhigen. Doch diese sprang auf. Sah sie an, als sei Epicharis dafür verantwortlich, dass sie damals ihren Verlobten verloren hatte. Fionas Worte verletzten Epicharis, die nun betrübt zu ihrer Sklavin aufsah. "Geh nur, wenn du möchtest", sagte sie matt und sah fort.

  • Schluchzend stand Fiona da, blickte in den Garten hinaus. Nichts in der Welt hätte sie jetzt noch trösten können. Zu groß waren die Enttäuschung, der Schmerz und die Hoffnungslosigkeit. Ihre Wünsche und Erwartungen waren vergangen, wie Rauch. Doch das schlimmste für sie, war festzustellen, wie sehr sie sich doch in Epicharis getäuscht hatte. Ihre Freundlichkeit war in Wirklichkeit nur Fassade. Was allerdings tatsächlich in Epicharis vorgehen mochte, konnte Fiona nicht im Mindesten erahnen. Sie wischte ihre Tränen ab, doch immer wieder folgten neue Tränen. Ausgerechnet Epicharis! Sie hätte sie doch am ehesten verstehen müssen.


    Als Epicharis´ Erlaubnis kam, hatte Fiona eigentlich vorgehabt, zu gehen. Nur weg von diesem Platz. Doch etwas in ihr hielt sie zurück. Die Sklavin blickte zu ihrer Herrin, die ihr Gesicht betrübt von ihr abgewandt hatte. Fionas Reaktion hatte sie berührt. Es hatte sie nicht kalt gelassen. Warum konnte sie sie dann nicht einfach gehen lassen?
    Sie setzte sich wieder neben sie, fixierte den Boden mit ihrem Blick und schwieg. Sie schwieg eine ganze Weile. Nur der leichte Herbstwind strich durch die Blätter der Bäume und spielte mit ihrem Haar.
    "Gibt es irgendeine Möglichkeit für mich?" fragte sie schließlich, ohne dabei aufzublicken.

  • Weder Fiona noch Epicharis rührten sich. Das ging eine ganze Weile so. Jeder hing wohl seinen eigenen Gedanken nach, auch wenn man die des jeweils anderen wohl nicht erahnen konnte. Epicharis jedenfalls haderte mit sich selbst und hinterfragte ihre Reaktion auf Fionas Bitte. Jedoch konnte sie nicht feststellen, woran genau die Sklavin Anstoß gefunden hatte. Wind zupfte zaghaft an den Zweigen der Rosenbüsche um sie herum und lie0 das am Boden liegende Laub leise rascheln. Der würzige Duft von feuchter Erde und nassem Gras war sehr intensiv und drang weit in Epicharis' Lungen ein, als sie tief durchatmete.


    Fionas Worte ließen die Patrizier wieder aufsehen. Doch Fionas Blick konnte sie nicht einfangen. Die Sklavin fixierte den Boden. Epicharis ließ einen Moment verstreichen, ehe sie antwortete. "Wie meinst du das, Fiona? Wie könnte ich dir dazu etwas sagen, wo ich doch nicht mehr weiß, als das, was du mir eben gesagt hast? Dass er dein Verlobter ist. War. Und dass du ihn suchen willst? Wie stellst du dir das vor?" fragte sie nach und schüttelte dabei andeutungsweise den Kopf. "Und was wäre, wenn du ihn gefunden hättest? Du erwartest von mir, dass ich dir blind vertraue. Und dass ich dich bevorzugt behandle. Du kennst mich inzwischen. Habe ich je ungerechte Entscheidungen in Bezug auf euch getroffen?"

  • Epicharis beantwortete ihre Frage mit einer Gegenfrage. Fiona blickte auf. Natürlich, sie hatte ihr nichts von der Begegnung mit dem alten Druiden erzählt. Das würde sie auch nicht tun, denn sonst gefährdete sie den alten Mann am Ende noch. Für Fiona wäre es ganz einfach gewesen. Sie hatte es sich im Geiste bereits ausgemalt, wie es sein würde, wäre sie erst einmal ihre unsichtbaren Ketten los, die sie hier festhielten. Sie wäre zurück nach Britannia gereist, an den Ort ihrer Jugend und Kindheit. Dort hätte sie ihn wieder gefunden und nie mehr wieder hergegeben. Jetzt, im Nachhinein klang das wie ein Märchen, letztendlich war es nichts anderes gewesen, als ein Märchen. Denn Epicharis verstand sie nicht und was noch viel schlimmer war, sie traute ihr nicht! Du erwartest von mir, daß ich dir blind vertraue! Das war für sie, wie ein Peitschenhieb, der fürchterlich wehtat. Fiona sah sie fassungslos an. Diese Frau, für die sie alles getan hätte, der sie vertraut hatte und die sie im Laufe der Zeit sogar lieb gewonnen hatte, verletzte sie nun so sehr, mir dem was sie sagte!
    "Ja, ich verstehe! Einer dahergelaufenen Sklavin glaubt man nicht! Vergiß es einfach, worum ich dich gebeten habe!" , antwortete sie kalt. Jetzt stand Fiona doch auf und sie war im Begriff zu gehen. In ihr begann in diesem Moment ein Entschluß zu keimen, woran sie zwar schon einige Male gedacht hatte, aber diesen Gedanken immer wieder verworfen hatte. Nun begann er zu wachsen und je länger Fiona sich grämte, desto kräftiger wuchs er in ihr.

  • Es kam nicht oft vor. Das kam es sicher nicht. Ein stummer Betrachter mochte vielleicht sogar behaupten, dass es nie vorkam. Doch wenn es vorkam, dass Epicharis wütend wurde, war es eines sicher niemals: Schön für denjenigen, gegen den sich Epicharis dann wandte. In diesem Fall war es Fiona.


    Zunächst hätte Epicharis Stein und Bein geschworen, dass Fiona niemand war, der unüberlegt oder ungerecht urteilte. Von dieser Meinung kam sie allerdings schnell ab, als sie die allzu offensichtliche Gefühle auf dem Gesicht der Sklavin und an deren Körperhaltung ablas. Eines konnten Frauen nämlich ganz wunderbar, es war ihnen sozusagen angeboren: Sie waren meistens wahre Spezialisten, was die Deutung von Emotionen und Gedanken ihrer Mitmenschen betraf. Auf Epicharis' Stirn zeigten sich allein bei der Betrachtung der sklavischen Züge die ersten steilen Falten. Fionas Worte lösten einen Mechanismus in Epicharis aus, der vor langer Zeit verschütt gegangen war, nun aber mit aller Macht an die Oberfläche drängte. Niemand redete so herablassend mit ihr, wenn sie nichts für die Situation konnte!


    Epicharis sprang einen Bruchteil nach Fiona ebenfalls auf und ergriff die Sklavin erstaunlich fest für ihre Statur am Handgelenk, zog sie herum und zwang sie damit, ihrer Herrin ins Gesicht zu sehen. Statt einer Ohrfeige seitens Epicharis erntete Fiona vorerst nur einen Blick, der ihr zu verstehen geben sollte, dass Gutmütigkeit nun das Letzte war, das Epicharis verkörperte. "Rede... Nie wieder so mit mir, hast du verstanden?" artikulierte sie mühsam beherrscht nach einigen Augenblicken des stummen Kräftemessens mit Fiona. Einerseits enttäuscht darüber, so von Fiona angegangen worden zu sein, andererseits erschrocken über ihre eigene Reaktion, ließ Epicharis das Handgelenk ihrer Sklavin dann urplötzlich los und wandte sich demonstrativ von ihr ab, um scheinbar interessiert in den hinteren Teil des Gartens zu schauen. Sie hoffte, dass Fiona diese Geste als die Aufforderung, zu gehen, verstehen würde, als die sie gemeint war. Gleichzeitig fragte sie sich, warum sie so überhastet reagiert hatte. Allmählich sank der Adrenalinpegel wieder, und Epicharis wurde innerlich ruhiger. Doch Fiona bedachte sie mit keiner einzigen Geste, keinem Blick mehr.

  • Der Zorn glühte in ihr, wie ein heißes Eisen. Eingeschnappt wollte sie davon stapfen. Niemals hätte sie gedacht, Epicharis würde ihr nach laufen, sie am Arm packen und sie aufhalten. Doch sie tat es, mit einem unerwarteten festen Griff packte sie sie und zwang sie, stehen zu bleiben in ihr ins Gesicht zu schauen. Die Sklavin erntete dabei einen nie da gewesenen Blick, den sie nie wieder vergessen würde. Entbrannte Wut traf auf glühenden Zorn. Fiona entgegnete nichts, sie sah sie nur an. Niemals hätte sie geglaubt, eines Tages in Epicharis eine Feindin sehen zu müssen. Doch in diesem Augenblick wurde sie es. Wie konnte sie sich in all den Jahren nur so in ihr täuschen? Sie hatte sie vergöttert, ja sie sogar eine Freundin genannt und in der Zeit, da sie glaubte, ihren Verlobten verloren zu haben, hatte sie ihr beigestanden und ihr Trost gespendet. Und jetzt das! So dankte sie es ihr!
    Aus dem Blick der Sklavin sprach nur noch Verachtung. Sie waren doch alle gleich, dröhnte es wieder und wieder in ihrem Kopf.
    Epicharis ließ von ihr ab und schenkte ihr keine weitere Beachtung mehr. Schweigend wandte sich Fiona wieder um und verließ fast rennend den Garten.
    Ihr erster Weg war die Sklavenunterkunft, in die sie mit feuerrotem Kopf und zorniger Miene, halb weinend stürzte. Alles und jeder, der ihr auf dem Weg dorthin dabei in die Quere kam, rempelte sie an, ohne Rücksicht auf Verluste, bis sie sich schließlich auf ihr Bett warf. Heulend entlud sich ihr Zorn. Dieses Gespräch an diesem scheinbar so schönen Nachmittag, es hatte ihre innere Zerrissenheit noch verstärkt. Der Augenblick in dem Epicharis Minna erwähnt hatte, war es ihr wieder mehr denn je bewusst geworden. Wenn sie fort ging, dann musste das ohne die Freundin geschehen. Davor hatte sie sich immer gefürchtet. Aber Fiona musste eine Entscheidung treffen und sie hatte sich entschieden. An dem Tag, an dem der Alte ihr erzählt hatte, Owain hätte überlebt. An diesem Tag hatte sie sich entschieden. Nun schwor sie sich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

  • Raschelndes Gras und Laub verrieten Epicharis, dass Fiona ihre stumme Geste verstanden hatte und sie verließ. Die Patrizierin blieb im Garten zurück, allein mit sich und ihren Gedanken. Stumm sann sie darüber nach, ob sie nicht vielleicht doch überreagiert hatte. Aber dass sie von Fiona enttäuscht war, konnte sie nicht leugnen. Die Bitte der Sklavin hatte sie aus dem Konzept gebracht, es war ihr unverständlich, warum sie ausgerechnet jetzt zum ersten Mal davon sprach. War Epicharis zu weichherzig? Vermutlich war sie das. Und vermutlich hatte Fiona das erkannt und erst jetzt gefragt, weil sie sich einfach nicht getraut hatte, Menecrates diese Bitte zu stellen. Er hätte ohnehin abgelehnt. Überhaupt schien er inzwischen kein Herz mehr zu haben.


    Epicharis schob die trüben Gedanken an ihre Familei fort. Sie belasteten sie nur noch mehr als das Gespräch von eben es tat. Ein kühler Hauch kündigte an, dass ein neuer Regenschauer im Anmarsch war, und nach einem weiteren verstrichenen Moment wandte sich Epicharis zum Gehen und verließ ebenso den Garten. Sie hatte später noch einen Brief zu schreiben. Vielleicht würde sie das auf andere Gedanken bringen.


    - finis -

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