Culina et pars ceterum villae | Io Saturnalia, das Goldene Zeitalter oder: Chaotische Vorbereitungen

  • Auch mir fiel es zunehmend schwerer, meine Müdigkeit zu verbergen. Doch hier im Dunkeln zu sitzen, war sehr wohltuend. So konnte man noch einmal den Tag passé laufen zu lassen. Dabei beobachtete ich das letzte vor sich hin glimmende Stück Holz, das langsam erlosch. Mein Blick wich kurz ab, als ich das ächzende Geräusch der Holzkiste vernahm, die Aristides mit seinen Fersen zu sich gezogen hatte, um darauf seine Füße zu lagern. Dabei fiel mir wieder seine Verletzung ein, mit der er damals aus dem Krieg zurückgekehrt war.
    Er lächelte wieder ein wenig. Das war gut, denn was brachte es ihm, wenn er noch weiter mit sich haderte? Was geschehen war, war geschehen und nichts konnte daran noch geändert werden. Lag nicht gerade in der Ursprünglichkeit einer Sache ihr besonderer Reiz? Ich selbst hatte ja bisher nur die voll durchorganisierte Form kennengelernt. Zwar war diese viel prunkvoller gewesen, doch hatte ich daran wenig gute Erinnerungen, die mir noch immer das Herz schwer werden ließen. Doch bevor es diesmal soweit kam, hatte es geschafft, mich mit seinem nächsten Einwurf abzulenken. Denn meinen scherzhaften Vorschlag, die Villa zu verkaufen, erwiderte er mit dem Hinweis auf mögliches Folgen,die das haben konnte. Dass er es nicht wirklich ernst gemeint haben konnte, hörte ich aus seiner Stimme heraus. Dabei hatte er einen Bruder erwähnt, der auf Sardinien wohnte. Ich hatte gar nicht gewusst, dass er einen Bruder hatte. Das musste der Senator Flavius Felix sein, von dem alle immer noch in größtem Respekt und voller Ehrfurcht sprachen. Oder war es eher Furcht, die die langjährigen flavischen Sklaven durchfuhr, wenn sein Name fiel? Wie auch immer, mir der Familie sollte man es sich nicht verscherzen, wenn man in Frieden leben wollte.


    Dann wären wir aber das dreckige Geschirr los! Aber sich einer Schlägertruppe gegenüberstehen zu sehen, ist keine angenehme Vorstellung, antwortete ich grinsend.
    Es war kaum zu glauben, wenn ich darüber nachsann, wie sehr ich ihn falsch eingeschätzt hatte. Bis heute Morgen, bevor ich ihm in der Küche begegnet war, hatte ich so gut wie gar nichts von seiner Gutmütigkeit an ihm entdecken können. Das Gefühl der Angst hatte mich stets mit seinem Namen verbunden und genau diese Angst, war nun wie ein Rauch verflogen. Ob dies so bleiben würde, musste man sehen. Vielleicht war dies auch einfach nur eines dieser Wunder, die gelegentlich zur Saturnalienzeit geschah.


    Ach, das bisschen! meinte ich abschätzig und winkte ab.
    Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber es hat mir sogar Spaß gemacht. Eigentlich koche und backe ich sehr gerne. Das habe ich früher auch schon gemacht. Als damals meine Mutter gestorben war, habe ich mich auch um meine Geschwister und um meinen Vater kümmern müssen und mein jüngster Bruder war damals auch noch ganz klein gewesen.


    Meine Gedanken schweiften ab, zu meiner Familie. Aquilius wollte jemand zu ihnen schicken, um ihnen nach all der langen Zeit ein Lebenszeichen von mir zu senden. Dazu war es nicht mehr gekommen. Wahrscheinlich hatte er es vergessen. Trotzdem verging kein Tag, an dem ich nicht an sie dachte. Mein kleiner Bruder musste bereits ein großer Junge sein und meine Schwester war vielleicht schon verheiratet. Und mein Vater…? Ich seufzte leise, fast unhörbar.


    Ja, eine kleine Pause wäre gar nicht schlecht, meinte ich schließlich bitter lächelnd, um meinen Schmerz unterschlucken zu können. Ich sollte endlich die Vergangenheit loslassen und mich der Gegenwart und der Zukunft hinwenden. Wer zulange in der Vergangenheit lebte, der verpasste seine Zukunft.
    Als er zum zweiten Mal an diesem Abend die Bürgerliste erwähnte, lenkte ich meinen Blick zu ihm. Es musste ihm viel daran liegen, dass mein Kind zu dem kam, was ihm nach römischem Recht zustand. Da schmeichelte mir natürlich sehr.


    Vielen Dank für dein Angebot! Das weiß ich ehrlich zu schätzen und ich werde es auch gerne annehmen.


    Es gab noch so vieles, von dem ich noch nicht wusste, was wichtig war und worauf ich zu achten hatte. Da war es gut, zu wissen, jemanden an seiner Seite zu haben.


    Wie geht es eigentlich deinem Bein?

  • Marcus' Augen hatten sich mittlerweile an das Zwielicht in der Küche gewöhnt, selbst wenn seine Augen eher auf dem roten Glimmen ruhte, das eine beruhigende und einlullende Wirkung auf ihn hatte, selbst wenn die Glut keine Wärme mehr abzustrahlen wußte, aber auch wenn es in der Küche etwas kühler geworden war von der Nacht, so fror er nicht, er hatte auch genug Speck an seiner Leibesmitte dafür und von Natur aus einen inneren Ofen, so daß er die Kühle eher angenehm empfand und für einige Herzschläge auch geschafft die Augen schloß, aber sie schnell wieder öffnete, denn Marcus hatte in der Legion gelernt, überall und in jeder Position einzuschlafen und wäre er erstmal hinweg gedämmert, hätte es schon die parthische Kavallerie bedurft, um ihn aus seinem Schlaf – mitsamt eines herzhaften Sägens ganzer Wälder – wieder zu wecken; oder ein Horn, das in der Legion zum Sammeln gerufen hätte, auch darauf würde er heute immer noch reagieren und prompt aufspringen; aber jetzt war noch nicht die Zeit zu schlafen, auch wenn er es sich langsam immer gemütlicher auf der Holzbank machte; er hatte schon eine Weile nicht über seinem Bruder nachgedacht und fragte sich einen Moment, wie es ihm wohl ging, auf Sardinien, aber sie Beide hatten schon von je her ein eher mageres Verhältnis gehabt, was durchaus daran lag, daß Felix bei den Claudiern aufgewachsen war und erst spät sein flavisches Erbe entdeckt hatte; er grinste schief bei den Worten von Bridhe.
    „Ich glaube auch, zumal mein Bruder Felix bestimmt noch Kontakt zu den Soldaten der classis hat, er war dort einige Zeit lang praefectus. Und es gibt kaum üblere Schläger als Matrosen!“
    Marcus lächelte für einige Herzschläge lang versonnen, da er sich gut vorstellen konnte, daß das ein sehr angenehmes Kommando war, natürlich reichlich voll mit Arbeit, aber direkt bei vielen, vielen Schiffen und am Meer, was könnte schöner sein?


    Marcus drehte seinen Kopf ein wenig als Bridhe anfing von ihrer Familie zu sprechen, er wußte ja recht wenig von der ehemaligen Sklavin, nur, daß sie aus dem fernen Britannien kam – und irgendetwas mit Schwanenfleisch geisterte da noch in seinem Kopf herum, womit er sie wohl ziemlich vor den Kopf gestoßen hatte, wann und wie, das hatte er aber schon längst wieder vergeßen – er hob die Hand und kratzte sich an der Wange, die schon reichlich stoppelig war, aber ihm sproß der Bart immer zu schnell, so daß er sich schon am Abend wieder rasieren könnte; er zauderte ein Moment, denn Bridhe umgab etwas Trauriges, er konnte nicht genau benennen, woran er das ausmachte, aber manchmal war Marcus eben doch nicht nur ein Klotz auf Beinen und bekam durchaus mit, daß seine Mitmenschen etwas bewegte, er räusperte sich leise und sprach dann doch nach dem kurzen Zögern.
    „Deine Familie, lebt sie in Deiner Heimat...?“
    Hoffentlich war er jetzt nicht in ein Fettnäpfchen mit seinem unnachahmlichen Talent, jedes auch mit seinen Hufen zu finden, getreten, denn bei Sklaven und Freigelaßenen konnte man von jedem schlimmen Schicksal ausgehen, wenn sie aus der Freiheit heraus gerißen wurden, anders bei Sklaven der flavischen Linie, deren Eltern schon unfrei gewesen waren. Das mit der Bürgerliste wiederum beantwortete er lediglich mit einem freundlichen Nicken, das war für ihn selbstverständlich, der Junge gehörte zur Familie und somit war es für Marcus eine natürliche Pflicht, seinen Beitrag für den Jungen, aber auch der Mutter zu leisten, sofern sie es auch wollte.


    Was sein Bein machte? Prompt meldete es sich und zeugte deutlich seine Unzufriedenheit, daß Marcus den ganzen Tag durch die culina, aber auch im Haus herum gehetzt war; einen Tag auf dem campus würde Marcus gewiß nicht mehr aushalten, was natürlich nicht gerade die glücklichen Aspekte seines Innenlebens schürte.
    „Ach ja, das beschwert sich mal wieder über die parthische Begegnung und den heutigen Tag sowieso.“
    Marcus grinste schief und sah mit einem Stirnrunzeln auf sein Bein, wo er die Narben eher erahnte als sie wirklich sah, aber all diese würden ihn bis zum Ende seine Lebens an den Krieg in Parthia zurück erinnern, selbst wenn er sonst gut im Verdrängen war, anscheinend sollte es nicht so sein.
    „Wie lange bist Du eigentlich schon in Rom?“

  • Ein endlos langer Sandstrand, feinkörniger Sand, mit Gras bewachsene Dünen und das Meer, das am Morgen meist ruhig daliegt, so als könne es nichts und niemandem etwas zuleide tun.
    Am Horizont wähnt man bereits die sanften, saftiggrünen Hügel, durch die sich ein schmales blaues Band zieht. Das Ufer des Flusses ist gesäumt von Bäumen und Büschen. Schilfgras wächst an den seichten Stellen. An einigen günstigen Stellen haben sich die Menschen mit ihren einfachen, teils aus Stein, teils aus Lehm gebauten Hütten angesiedelt. Das Land bietet viel Platz. Über allem thront ein meist Wolken verhangener Himmel, der manchmal dunkel drohend wirkt, der sich aber auch von seiner schönen Seite zeigen kann. Ein leichter, zuweilen auch stärkerer Wind, der vom Meer herkommt, weht immer über das Land und spielt mit dem offenen Haar der jungen Mädchen.


    Ich hatte noch gute Erinnerungen an meine Heimat, wusste noch, wo jener Baum und jener Busch zu finden war. Nur hatte ich feststellen müssen, dass mit der Zeit die Gesichter der Menschen, verblassten, die ich einst gekannt hatte und mit denen mich etwas verband. Ich konnte sie einfach nicht mehr fassen. Sie entfernten sich immer weiter von mir weg.
    Immer wieder, wenn ich von zu Hause erzählte, erweckte ich meine Erinnerungen für kurze Zeit zum Leben. So auch jetzt, als ich im Halbdunkel der Küche saß. Wahrscheinlich würde ich niemals über meinen Verlust hinwegkommen, auch nach all den Jahren nicht. Ich wurde dann immer ganz still. Im Laufe der Zeit hatte ich gelernt, meine Sehnsucht hinunterzuschlucken. Es gab kein Zurück mehr. Jetzt nicht mehr! Damit musste ich einfach leben.
    Dass ich mit den wenigen Bemerkungen über meine Familie sein Interesse geweckt hatte, überraschte mich. Aristides Frage kam zögerlich, begleitet von einem leisen Räuspern, was mich darauf schließen ließ, dass es ihm ein leichtes Unbehagen bereiten musste. Wofür ich aber gar keinen Grund sah. Ich nahm es niemandem übel, dass ich hier war, weder Aquilius, der mich einst als Sklavin gekauft hatte, noch sonst jemandem in der Familie der Flavier, die mich danach behandelt hatten, was ich war. Es waren nur die Männer, die mich einst geraubt hatten, denen ich alles Übel der Welt wünschte.


    Ja, sie leben noch dort, am Ufer der Bóinne. Mein Vater und meine Geschwister. .Mein kleiner Bruder dürfte jetzt fast schon neun oder zehn Jahre alt sein und meine beiden Schwestern sind wahrscheinlich schon verheiratet und haben Kinder.


    Wehmut lag in meiner Stimme und die Hoffnung, dass es ihnen im Leben gut ergangen war, dass sie es geschafft hatten, sich mit dem Verlust, den auch sie hatten hinnehmen müssen, abzufinden.
    Vielleicht würde es mein kleiner Sohn eines Tages leichter haben. Wenn er nicht in einem fremden Land aufwachsen musste, in dem er niemals als vollwertig galt. Das wünschte ich mir und daran setzte ich all meine Hoffnungen. Es erleichterte mich, dass Aristides mich darin unterstützen wollte.


    Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass der heutige Tag nicht spurlos an seinem Bein vorbeigegangen war. Auch ich spürte kaum noch meine Füße vom vielen stehen und laufen. Jetzt wurde mir klar, genauso wie ihn die Folgen seiner Verletzung für den Rest seines Lebens begleiten würden, so würden auch mich die Narben, die mir das Leben zugefügt hatte, begleiten.
    Bei seiner Frage blickte ich zu ihm hinüber. Es war schon so lange her, seit man mich in dieses Haus gebracht hatte und trotzdem konnte ich mich fast noch an jede Einzelheit erinnern.


    Ich war siebzehn, fast achtzehn, als sie mich von zu Hause weg brachten. Jetzt bin ich zweiundzwanzig. Seit vier Jahren bin ich schon hier.


    Mir kam es vor, wie eine Ewigkeit.

  • Bo- In -nhe! Selbst in Gedanken konnte Marcus den Namen dieses Flußes nicht mit der Betonung wiedergeben, die Bridhe benutzte, es klang sehr fremd in seinen Ohren, wie auch die Sprache der Germanen in seinen Ohren klang, damals, als er noch in Germania stationiert gewesen war und ab und an den Einheimischen hatte lauschen können, auch manchen Kelten, die dort lebten, des Handels wegen; aber für ihn klang alles recht ähnlich und gar Unterschiede zwischen den Kelten hatte er nie wahrgenommen, weil er auch nie auf sie achtete. Er nickte hinwieder langsam und nachdenklich, na, wenn ihre Familie lebte, hatte sie nicht den Wunsch, in die Heimat zurück zu kehren, jetzt, wo sie frei war? Oder war sie in der villa Flavia einfach inzwischen zu sehr zu Hause, daß sie gar nicht mehr auf den Gedanken kam? Natürlich war das Marcus nicht unrecht, nicht, weil er es Bridhe nicht gönnen würde, ihre Familie wieder zu sehen – gerade er als Familienmensch konnte das wirkliche nachvollziehen – aber sie hatte auch seinen Neffen als ihren Sohn, den Sohn seines Vetters, und es war Marcus gar nicht recht zu sehen, daß der kleine Wurm in der Fremde und unter lauter Barbaren aufwuchs und sie damit seine Chancen im Römischen Imperium minderte oder gar zerschlug, indem sie wieder nach Britannia zurück kehrte, doch er schwieg sich dazu aus, jedes falsch gesetzte Wort konnte bei solchen Dingen und jungen Müttern auf den falschen Nerv treffen und genau das Gegenteil verursachen. Einen Moment zauderte Marcus, denn ein Funke von Neugier glomm in ihm, wie der rote Schimmer im Ofen, doch er schwieg und stellte die unausgesprochenen Fragen nicht; warum war sie in die Sklaverei gekommen? Warum nach Rom? Warum ihre Familie nicht? Oder doch und sie hoffte nur und wußte es gar nicht richtig, daß sie wirklich in ihrer Heimat waren? Nein, das war nicht gut, solche Fragen zu stellen und Marcus schluckte sie herunter, noch ehe sie seine Kehle hinauf finden und sich aus seinem Mund kitzeln konnten.
    „Zweiundzwanzig? Hm, dann bist Du...öhm...fast halb so alt wie ich!“
    Marcus lächelte verschmitzt und selbst wenn man dieses in dem rötlichen Dämmerlicht der culina nicht sah, so hörte man es doch deutlich aus seiner Stimme heraus, selbst wenn sich Marcus in solchen Momenten alt fühlte, es war doch gar nicht so lange her gewesen, daß er selbst kaum älter als Zwanzig gewesen war; gar nicht so lange.
    „Meine Tochter Arrecina, meine kleine Cinilla, wäre fast so alt wie Du...wenn sie nicht gestorben wäre!“
    Es war eigentlich nie gut für Marcus, über seine Tochter zu sprechen und schon als er die Worte aus seinem Mund purzeln hörte, selbst wenn sie wie aus einer traurig versiegenden Quelle zu stammen schienen, bereute er es sofort wieder und das Lächeln war schon längst hinweg geschmolzen, leise seufzend betrachtete er den Geschirrhaufen und kämpfte mit der wachsenden Trauer in sich, die sich immer wieder durch sein Innerstes bohrte.
    „Ich denke, wir können das Geschirr bis morgen stehen laßen und noch ein paar Familienmitglieder verdonnern, daß sie uns helfen, geht ja nicht an, daß die Flavier an den Saturnalien auf der faulen Haut liegen, hm? Und wir gehen jetzt erstmal schlafen, der Tag war lang genug. Meinst Du nicht auch, Bridhe?“
    , fragte er sie freundlich, mit leicht gedämpfter Stimme.

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