Klienten - Arbeit, Arbeit und noch einmal Arbeit

  • Serenus saß mit zerrauften Haaren in seinem Arbeitszimmer und brütete über einer Unmenge von Kliententafeln mit Informationen, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten. Dido stand derweil auf einem Hocker und befestigte mit kleinen Nägeln und einem Hammer große Pergamente an den freien Wandflächen auf die Serenus Klientendiagramme und Beziehungen in Ansätzen zu strukturieren versucht hatte. Cartografus, einer der Scribas der Gens Flavia betrat mit verschnupfter Nase und mit einem dicken Wollschal um den Hals das Arbeitszimmer. Eine Erkältungswelle rollte gleich einem Inferno durch die Villa. Überall wurde geniest, gehustet oder man sah kranke Sklaven. Selbst seinen Hund Domitian hatte die Erkältung erwischt. In den Armen hatte der Sklave einen mittelgroßen Weidenkorb mit weiteren Schriftrollen und Wachstafeln, welchen er ächzend zu sechs weiteren Weidenkörben stellte.


    "Cartografus, das können doch nicht alles Klienten von Onkel Senator Felix sein? Oma Agrippina schrieb Onkel Graccus, daß ich erst einmal nur ein paar unbedeutende Klienten von ihm zum Üben bekommen sollte. Sowie einige ausgewählte Klienten von Onkel Gracchus, bei denen Sciurus mit bei den Besprechungen dabei ist."


    "Dominus! Das sind nur ein Teil der Klienten von Senator Flavius. Und die Klienten von Senator Pontifex Flavius hat mir Sciurus noch nicht gegeben. Er wollte sie mir bringen, sobald er mit diversen Kostenaufstellungen fertig ist. Dominus!"


    "Bei Mercurius Schatzkiste, wie hat Onkel Gracchus es nur all die Jahre geschafft gleichzeitig seine Klienten, die Klienten von Onkel Senator Felix und die Klienten von Papa während dessen Feldzug zu organisieren und zu verwalten. Ich blicke hier nicht mehr durch. Geh und richte Sciurus aus, daß er Zeit mitbringen soll, wenn er mir die Klienten von Onkel Gracchus bringt. Aber zuerst gehst du bei Tante Antonia vorbei und bittest sie höflich bei mir mal vorbei zu schauen."


    Serenus vertiefte sich wieder in die Unterlagen. Also wenn hier jemand durchblicken würde, dann sicher Tante Antonia. Immerhin verwaltete sie mit Hilfe von Sciurus ein Multi-Millionen-Sesterzen-Wirtschaftsimperium der Gens Flavia, während Onkel Gracchus weitgehend nur Dinge unterschrieb und in Auftrag gab. Wo empfing man die nur alle? Morgens war die Villa immer voll mit wartenden oder bestellten Klienten, aber für solche Massen brauchte er ja ein Theater mit vielen Sitzplätzen.


    Und mit der Frage wer sein Patron sein sollte mußte er sich auch noch herum schlagen. Der Imperator fiel aus. Onkel Furianus saß irgendwo in Athen. Onkel Gracchus wirkte in der letzten Zeit nur noch gestresst und rannte zwischen irgendwelchen Tempel, dem Senat und der Villa nur noch hin und her. Der war schon richtig dünn geworden von der vielen Rennerei. Sein eigener vater? Verdammt, der konnte ja nicht mal richtig Griechisch und hatte sicher von seinen Vermögenswerten gar keine Ahnung. Das regelte alles Hannibal und wenn Serenus nicht aufpasste, dann würde die claudische Natter bald das Ruder in die Hand nehmen.

  • Ein wenig überrascht hatte Antonia vernommen, dass ihr Neffe, der genau genommen gar kein Neffe war, darum bat, dass sie ihn in seinen Gemächern aufsuchte. Sie sollte ihn aufsuchen? Vor ihren Augen stand der kleine Junge, der befehlsgewohnt seine Dienerschaft herbeizitierte – und nun auch sie? Kopfschüttelnd hatte sie jenen Gedanken verworfen, Serenus war längst nicht mehr das kleine Kind von einst, er war älter geworden, gewiss auch reifer und nicht mehr der eigensinnige Bengel von früher. Zudem hatte der Sklave eine Bitte vorgetragen und keinen Befehl seines Herrn ausgesprochen. So hatte sie sich, rätselnd, was er wollen konnte, aufgemacht zum Arbeitszimmer von Aristides‘ Sohn. Minor, ihren eigenen Spross, hatte sie derweil in der Obhut einer seiner Ammen gelassen, glaubte sie doch kaum, dass Serenus Interesse daran hatte, seinen kleinen Verwandten zu besichtigen. Gewiss benötigte er Hilfe bei einer mathematischen Aufgabe oder etwas Derartiges.
    Am Ziel angekommen klopfte die Claudia und trat letztlich ein. Bei den Saturnalien hatte sie Serenus erstmals wieder gesehen und war erstaunt gewesen, wie groß er geworden, wie erwachsen er bereits ausgesehen hatte. Umgehend hatte sie sich alt gefühlt. Unsagbar alt, nun, da ihr die verstrichene Zeit in Form dieses Jungen so deutlich gegenüber gestanden hatte. Ein schmerzerfülltes Seufzen hatte sie sich seinerzeit verkniffen, doch am selben Abend hatte sie die doppelte Zeit aufgebracht, um sich der Schönheitspflege hinzugeben.
    “Lucius.“, grüßte sie den Neffen, der ein wenig derangiert wirkte. Zerwuscheltes Haar, eine Unmenge an Wachstafeln um ihn herum und eine Art Stammbaum an der Wand. Leicht schmunzelnd kam sie näher. “Mir scheint du hast dich bereits wieder hervorragend hier eingelebt.“

  • „Salve Tante Antonia. Nicht wirklich, Roma hat sich verändert, meine Freunde starten alle in politische Ämter oder vorbereitende Tätigkeiten. Und immer mehr werden verlobt, verheiratet und ziehen weg, vor allem die Mädchen. Und einige davon haben sich in der Zeit meiner Abwesenheit ganz schon gewandelt. Von hässlichen, plappernden Harpyien durchaus zu ansehnlichen und intelligenten Personen. Andere zicken nur doof rum. Dido hat im Moment auch solche und solche Tage.
    Zumindest wurde mein ganzes Reisegepäck ausgepackt und einsortiert. Ich weiß nicht, mit jeder Reise und je älter man wird, desto mehr Ochsenkarren voller Gepäck kommen zusammen.


    Ich brauche deine Hilfe. Ich blicke nicht mehr durch. Oma Agrippina hat Onkel Gracchus angewiesen mir einige Übungsklienten abzugeben, damit ich es lerne ein guter Patron zu sein. Klientenarbeit sieht sie als sehr wichtig an. Verbindungen sind einfach alles in unserer Welt, zumal die Zukunft ja ganz klar dem diplomatischen Politiker gehört, nachdem unsere Legionen alles erobert haben. Papa war vermutlich in Parthia einer der letzten Eroberer unserer Familiengeschichte.


    Was du hier siehst ist laut dem Scriba Cartografus nur ein Bruchteil der Klienten von Onkel Senator Felix, die ich jetzt alle geerbt habe und die bis dato von Onkel Gracchus mitverwaltet wurden. Ich habe mal versucht Beziehungsdiagramme und Prioritäten zu skizzieren. Allerdings bin ich kläglich gescheitert. Ich durchblicke das System nicht. Eques, Plebeier und Freie ist es schon mal nicht. Und eine Wichtigkeitseinstufung gibt es auch nicht, ebenso wie kein Roma und der Rest von Italia.“


    Serenus zeigte auf eine überquellende Kiste neben der Tür.


    „Daß ich der neue Patron sein soll hat sich wohl herum gesprochen. Es kommen andauernd Termingesuche an, obwohl gestreut wurde, dass ich mich bei ihnen melden werde. Gestern kam ein ganzer Sack voller Post an, heute füllt Acanthus schon den 2. Sack und Dido steht seit drei Stunden an der Porta und notiert Klientennamen und nimmt die Boten entgegen. Hannibal ist nicht aufzufinden. Onkel Lucullus ist unpässlich. Onkel Gracchus ist als Pontifex unterwegs. Sciurus macht Besorgungen in der Stadt. Papa ist mir ohne Hannibal sicher keine Hilfe.


    Wie geht man das an? Und wo empfange ich die alle? Unsere Villa ist zu klein. Wir müssten ein Theater anmieten. Und die meisten Klienten haben Sorgen, Probleme und wollen Hilfe. Bei Oma kommen die meistens nur vorbei, lassen sich kurz sehen und wünschen einen guten Tag und eine lange Gesundheit. Ich dagegen brauche mindestens 20 weitere Scribas und 150.000 Sesterzen so wie sich die bittenden Anliegen in der Kiste anhören. Das Geld hat unsere Gens sicherlich, aber da sind solch abstruse Wünsche drin, da sehe ich nicht ein zu zahlen oder mich persönlich darum zu kümmern, dass der Hund von Klient Alpha dem Klienten Beta seinen Haufen vorsätzlich vor den Laden macht. Und was interessiert es mich, wenn der Sklave eines Klienten im Sterben liegt und er gerne eine finanzielle Zuwendung für einen neuen Sklaven will. Wir haben doch sicher noch irgendwo ein paar unnütze Sklaven auf Vorrat rumstehen.“

  • Ganz von selbst schlich sich mit Serenus‘ steigender Wortanzahl ein wissendes Schmunzeln in Antonias Gesicht. Verlobt, verheiratet… vornehmlich die Mädchen. Ob das ein Wink mit dem Zaunpfahl war? Gewiss, der Junge war wohl langsam in einem Alter, in dem man sich als Mann für Mädchen zu interessieren begann – soweit die Claudia dies beurteilen konnte. Sofort klappte sich im internen Namens- und Gesichtsspeicher Antonias eine stattliche Liste von ledigen Patrizierinnen auf, welche nach und nach durchgegangen wurde. Allerdings, so rief sie sich ins Gedächtnis, war es natürlich Aristides Aufgabe eine Gemahlin für seinen Sohn auszusuchen. Aber sicher ließ er sich hierbei helfen, schließlich hatte man als Frau ganz andere Möglichkeiten an die kleinen und großen Geheimnisse seiner Geschlechtsgenossinnen zu gelangen. Männer ließen sich viel zu leicht von klimperndem Schmuck und klimpernden Augen beeinflussen.. ihr eigener Ehemann natürlich ausgenommen, dieser schien außerordentlich resistent gegen derlei Dinge. Vielleicht lag dies jedoch auch nur daran, dass Antonia niemals dergleichen Tricks an Gracchus getestet hatte.
    Erst als die Sprache auf Serenus‘ Übungsklienten kam tauchte die Patrizierin wieder ins Hier und Jetzt im Bestreben, die Erklärung des Neffen wenigstens einigermaßen nachvollziehen zu können. Ab und an nickte sie oder brummte ein zustimmendes Wort, wenngleich sich ihr die Problematik noch nicht recht offenbaren wollte. Antonias Blick wanderte über den Scriba hin zur Wand. Das schien eine wahre Sisyphusarbeit zu sein und umgehend verspürte sie den Wunsch, sich mit einer Migräne zu entschuldigen. Andererseits wirkte Serenus tatsächlich ein wenig überfordert und ihn gänzlich sich selbst zu überlassen gestattete das familiäre Gewissen nicht.
    „Nunja, du musst ja nicht das System deines Onkels übernehmen. Entscheide dich für eines, mit dem du glaubst am besten zurechtzukommen und sortiere die Klienten neu. Vielleicht“, erwiderte sie und trat näher an die bezettelte Wand, um die Notizen entziffern zu können, “ist es etwas gänzlich simples. Chronologisch nach der Jahreszahl, in der die Klienten Klienten wurden, oder jährliches Einkommen.“
    Natürlich konnte die Claudia in diesem Punkt ebenso wie Serenus lediglich Vermutungen anstellen, da sie selbst keine Klienten ihr Eigen nannte und sich auch nie Gedanken hierüber gemacht hatte. Und wenn sie sich diesen Wirrwarr so ansah war sie mehr als froh darüber. Allerdings war nun endlich eine Erklärung dafür gefunden, dass ein so reger Betrieb an der flavischen Porta herrschte. Das bucklige Fußvolk rechnete sich wohl Chancen darauf aus, dass mit einem neuen Patron auch neuer Geldsegen über sie kommen würde. Zumal der Patron kaum den Kinderschuhen entwachsen war.
    “Unsere Sklaven verschenken solltest du jedenfalls nicht. Für einen normalen Plebejer sind patrizische Sklaven viel zu teuer – und das aus gutem Grund. Aber ich verstehe, was du meinst. Am sinnvollsten ist es, denke ich, wenn du nicht jeden Tag alle Klienten empfängst. Und vor allem nicht jeden einzeln. Als essentiell wichtig erachte ich allerdings, dass du nicht alle Wünsche der Klienten erfüllst. Es handelt sich doch um erwachsene Männer, denen man ein wenig Eigeninitiative durchaus zutrauen kann. Unwichtigere Anliegen lässt du über einen Scriba per Post abwickeln und nur um die wichtigeren Anliegen, respektive die wichtigeren Klienten, kümmerst du dich persönlich. Allerdings“, fuhr sie mit einem Blick auf den anwesenden Scriba fort, “solltest du da wohl auf einen vertrauensvollen Sklaven zurückgreifen, der sich auf diesem Gebiet bereits auskennt und dir das ein oder andere erklären kann.“
    Mit einem Nicken beendete sie vorerst ihren Ratschlag, als ihr ein weiterer Gedanke kam. Schon seit Serenus‘ Rückkehr in die Villa war der Claudia aufgefallen, dass er noch immer nicht recht mit seiner neuen Stiefmutter warm geworden war. Wäre dies nicht die perfekte Gelegenheit, das Verhältnis zu verbessern? In Antonias Augen ja.
    “Aber sag, möchtest du möglicherweise nicht lieber Epicharis bitten, dir hierbei zu helfen? Ich bin sicher sie wäre weit besser geeignet als ich und wie ich sie kenne würde sie dich nach Kräften unterstützen.“

  • Serenus dachte über die klugen Worte von Tante Antonia nach und machte sich im Geiste Notizen, während Dido und Cartografus fleißig mitschrieben. Dann brachte seine Tante die claudische Natter ins Gespräch. Schau an, schau an. So war das mit der Unterwanderung der Gens Flavia durch die Gens Claudia gedacht. Er fragte sich ohnehin, wann die bettelarme Gens Claudia wieder vor der Porta stehen würde um seinem Vater oder Onkel Gracchus die nächste Claudia für ihn anzubieten. Andererseits war er eventuell von Vorteil die claudischa Natter genauer zu beobachten, zu studieren und in Sicherheit zu wiegen, bevor er sie vernichtete. Es war nur eine Frage der Zeit bis Oma Agrippina ihm hierfür die Erlaubnis gab.


    "Und wieso glaubst du, daß meine Stiefmutter besser geeignet ist?"

  • In unflavischer Tradition wanderten langsam nicht nur eine, sondern gleich beide Augenbrauen Antonias in die Höhe. Mit jener Frage hatte sie nicht gerechnet und die Wahrheit konnte sie kaum entgegnen. Zeit schindend breitete sie also die Arme aus und zog die Schultern nach oben.
    “Nunja.. so könntet ihr beide etwas lernen. Schließlich sollte auch Epicharis sich früher oder später um die Verwaltung der Güter und Besitztümer deines Vaters kümmern.“
    Sofern Aristides überhaupt welche besaß. Je mehr sie darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien der Claudia, dass Aristides Habschaft zum größten Teil in jenen Ländereien enthalten war, die sie selbst, respektive Sciurus verwalteten. Allzu begeistert schien Serenus jedenfalls nicht von der Idee, allerdings war das auch kaum zu erwarten gewesen. Versöhnlich lächelnd schweifte ihr Blick über die gestapelten Unterlagen. “Im Übrigen denke ich, dass hier jede helfende Hand nötig sein wird, um eine gewisse Ordnung hinein zu bringen.“

  • Serenus nahm zur Kenntnis, daß er die claudische Natter wohl eher früher als später beseitigen lassen mußte. Auch wenn Oma schimpfen würde. Die Gens Claudia verschwor sich ja schneller in der Villa als gedacht.


    "Wieso sollte sich Flavia Epicharis um die Güter und das Vermögen von Papa kümmern? Das tun bereits Hannibal, Onkel Gracchus und Oma Agrippina. Obgleich ich befürchte, daß es nur eine Frage dder Zeit ist bis ich von Papa auch Klienten erben werde."


    Hatte sein Vater überhaupt Klienten? Er hatte nie mitbekommen, daß da welche kamen. Hannibal würde das sicher wissen.


    "Allerdings gebe ich zu, daß ich hier noch einige Hände und Scribas gebrauchen könnte. Jedoch ist es undenkbar, daß ich meine Stiefmutter um Hilfe ersuchen werde. Ich bin ein Flavier, ich habe meinen Stolz und ein Gesicht zu wahren!"

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