cubiculum Celerina | Engaged - Unter Verlobten

  • *Angelehnt an "Departed - Unter Feinden"


    Eine kurze Stippvisite - mehr nicht. Das zumindest hatte ich vor, als ich von Gracchus' Büro aus zu Celerinas Gemächern geleitet wurde. Inzwischen durfte jemand meine Verlobte über meine Anwesenheit, ebenso wie über die Absicht, im Anschluss an das Gespräch mit dem Hausherrn bei ihr vorbeizusehen, informiert haben.


    Der flavische Sklave, der mich hierher gebracht hatte, verabschiedete sich artig und verschwand dann am Ende des Flures. Trautwini, der auf mich gewartet und mich hierher begleitet hatte, reichte mir die Blumen. Und ich, der ich verlobt war mit Flavia Celerina, klopfte schließlich an. Trautwini ließ mich allein und verschwand ebenfalls in den Eingeweiden des Hauses, vermutlich, um in der Küche darauf zu warten, dass ich wieder gehen wollte. Ich musste mir eingestehen, dass ich doch etwas befangen war. Wie mochte Celerina aussehen? Was mochten diese Piraten ihr angetan haben?

  • Wie seit Tagen, so war auch heute mein cubiulum abgedunkelt. Lediglich der Schein einer Öllampe, die auf einem Tischchen nahe meinem Bette stand, erhellte ein wenig den Raum. Durch eine Sklavin war ich informiert worden, über das Eintreffen meines Verlobten. Einerseits bebte mein Herz, denn so lange hatte ich warten müssen und diesen Augenblick herbeigesehnt, doch andererseits war da das Gefühl der Scham, die mich zurückhielt, erfreut aufzuspringen und ihm entgegen zu rennen. Was würde er denken und was sagen, wenn er mich sah, übersät mit blauen Flecken. Wahrscheinlich war der Tratsch der Sklaven bereits an seine Ohren gedrungen. Das schlimme war nur, es entsprach der Wahrheit, was sie munkelten.
    Die Sklavin hatte mir noch geholfen, wenigstens die ärgsten Stellen, die nicht von meiner Kleidung abgedeckt waren, mit einer speziellen deckenden Kosmetik zu behandeln, damit man sie nicht sehen konnte. Wenigsten wollte ich meine äußerliche Unversehrtheit wahren, auch wenn es in mir ganz anders aussah.
    Einigermaßen zurechtgemacht wartete ich nun auf das Klopfen, das ewig nicht kommen wollte. Wieder war es meine Ungeduld, die mich glauben ließ, er könne mich vielleicht doch vergessen haben. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit, kam es doch, das Klopfen an meiner Tür.
    Ich gab der Sklavin ein Zeichen, damit sie die Tür öffnete. Es dauerte eine Weile, bis ich den Eintretenden erkannte. "Marcus?"

  • Während der namenlose Sklave, welcher Aurelius Corvinus zum Gemach der Flavia geführt hatte, seinen sonstigen Aufgaben zustrebend in den Gängen der Villa verschwand, und der Begleitsklave des Gastes ihm hernach folgte, wich Sciurus nicht aus Corvinus Rücken, würde dies gleichsam auch nicht, wenn dieser im Cubiculum Celerinas verschwand. Sein Herr war nicht eben davon angetan gewesen, dass die Flavia ihr Zimmer nicht verlassen und den Gast, wie dies angemessen wäre, im Atrium oder Triclinium empfangen wollte, gleichsam konnte oder wollte er sie ob des Erlebten nicht dazu drängen, die Sicherheit ihrer Räumlichkeiten zu verlassen, so dass Gracchus schlussendlich gestattet hatte, dass der Aurelier Celerina dort aufsuchte - nicht ohne jedoch für das passende Anstandshörnchen Sorge zu tragen.


    Sciurus selbst hatte kein gesteigertes Interesse daran, zu sehen oder zu hören, was die beiden Verlobten miteinander tun oder sprechen würden, um hernach den neuesten Klatsch und Tratsch in der Villa zu verbreiten - für ihn war dies eine Aufgabe wie jede andere, wiewohl er für seinen Herrn Auge und Ohr würde sein.

  • Es dauerte kaum eine Minute, da wurde die Tür geöffnet. Statt eines normalen Zimmers empfing mich Dunkelheit, von einer einzelnen Flamme einmal abgesehen. Eine Sklavin sah mich scheu an und trat dann beiseite, um mich einzulassen. Befangenheit hatte meine Kehle erobert und sie zugeschnürt. Es war wie damals, im roséfarbenen Garten. Ich fühlte mich, als würde ich die Höhle des Löwen betreten. Nur würde ich es diesmal nicht allein tun, denn Gracchus hatte mir gleich einen Aufpasser mitgesandt. Ganz so unglücklich war ich darüber nicht, wie ich mir selbst gestehen musste.


    Die Dunkelheit und das schwache, gelbliche Licht der Öllampe löschtebeim Eintritt in den Raum alle Farben aus. Das Blumengesteck war nun grau schattiert, ebenso wie meine tunica und der purpurne Streifen auf der toga. Celerinas Stimme klang zögerlich, wie ich fand, und in der Abwesenheit von hinlänglichem Licht brauchte ich einen Moment, um mich zu orientieren, zumal ich bisher nicht einmal Celerinas Gemächer betreten hatte. Es gehörte sich nicht, eine Frau in ihrem Gemach aufzusuchen, das wusste ich und hätte ich auch gewusst, ohne dass Gracchus seinen Sklaven mitgeschickt hatte, und ich würde nicht noch einmal denselben Fehler machen wie seinerzeit im Garten. Auch nicht jetzt, da wir verlobt waren miteinander. Ich gab der Sklavin die Blumen für Celerina und trat gleichzeitig aus dem hellen Rechteck, das durch die Tür fiel, hinein in die Dunkelheit des Zimmers. Celerina saß im Bett, und soweit ich es beim Näherkommen erkennen konnte, wirkte sie angeschlagen. Ihre Augen waren zwei dunkle Flecken, in denen sich kein Licht widerspiegelte. "Celerina", sagte ich und wusste im nächsten Moment nicht, was ich noch sagen sollte. Gewiss wollte sich nicht über das Vorgefallene sprechen, und wenn doch, so nicht mit mir. Ich blieb neben dem Bett stehen, überlegte kurz, ob ich mich auf die Kante setzen sollte, verwarf den Gedanken dann aber nach einem Blick zu dem Sklaven Gracchus' neben der Tür hin und zog mir einen Stuhl heran. Nachdem ich mich gesetzt hatte, hob ich eine Hand und strich ihr mit dem Rücken der Finger kurz über die Wange. "Ich bin froh, dass nicht du in diesem Lagerhaus verbrannt bist. Wie geht es dir?" fragte ich, kaum dass die Hand wieder gesunken war.

  • Langsam tauchte sein Gesicht aus der Dunkelheit auf. Noch vor einigen Tagen hatte ich geglaubt, dieses Gesicht nie wieder sehen zu dürfen. Ich hatte noch einige andere Schritte wahrgenommen, die nach Marcus eingetreten waren, die sich allerdings mir nicht genähert hatten, sondern irgendwo in der Dunkelheit verharrte. Ich nahm an, es handelte sich um einen Sklaven. Doch nur eines war für mich wichtig: er war da! "Marcus!" Was mußte in ihm vorgegangen sein, als er in mein abgedunkeltes Zimmer betrat. Die Sklavin trug etwas zu mir und als sie fast direkt neben mir stand, erkannte ich, daß es Blumen waren. Ich gab ihr ein Zeichen, damit sie etwas mehr Licht ins Zimmer ließ.
    Marcus hatte sich einen Stuhl herbeigezogen und Platz genommen. Ich konnte seine förmlich seine Befangenheit spüren. Auch ich wußte nicht recht, wie ich mich geben sollte. Die Freude, die ich empfand konnte ich nicht richtig zeigen, was alleine an meiner Angst lag, was er sagen würde, wenn er mich erst einmal sah.
    "Ja, das bin ich auch," entgegnete ich ihm verhalten, obschon ich mir manchmal gewünscht hatte, ich hätte an jenem Tag die Reise in den Hades angetreten.
    Die Sklavin öffnete die Läden und das grauanmutende Tageslicht begann sich Schritt für Schritt vorzuarbeiten, bis es auch mich traf. Es blendete mich Start, so daß ich mein Gesicht abwenden mußte. Das Licht gab nicht nur die Schönheit der mitgebrachten Blumen preis, sondern ließ auch erahnen, was mir zugestoßen war. Unter einer dichten Schicht Kosmetik hatte ich versucht, die Male meiner Entführung zu verstecken. Stellenweise war dies nur unzulänglich geschehen, so daß das eine oder andere Hämatom sichtbar geblieben war.
    "Es geht mir gut", versuchte ich mit gespielter Heiterkeit zu entgegnen. Aber mir ging es nicht gut! Weder die Schmerzen, die meinen Körper heimsuchten waren verschwunden, noch die seelischen.

  • Auf Celerinas Wink hin platzierte die Sklavin die mitgebrachten Blumen, welche mir im Übrigen nun recht mickrig vorkamen, auf dem Beistelltisch, auf dem auch die Öllampe brannte. Dann schickte sie sich an, die Vorhänge zu lüften. Ich betrachtete sie kurz dabei und musste gleich Celerina die Augen zusammenkneifen. So wandte ich meiner Verlobten den Blick wieder zu und verbog die Mundwinkel zu einem vagen Lächeln. Mit den verschiedenen Rottönen der Blüten erblühten auch die Veilchen auf Celerinas Gesicht, auf ihren Armen und dem Dekollettee. Das Lächeln wich aus meinen Zügen, als ich den Blick über die in allen Farben schillernden Schattierungen der Haut schweifen ließ, bis ich mir bewusst wurde, dass ich damit wohl Erinnerungen wachrief, an die sie sich ganz sicher nicht erinnern wollte. Eine Frage manifestierte sich in meinem Kopf. Wenn ihr jemand so etwas angetan hatte, war es dann noch wahrscheinlich, dass er ihr etwas anderes nicht angetan hatte?


    Meine Miene war versteinert, wie ich erst jetzt bemerkte. Ich bemühte mich, sie zu lockern und Celerina mit einem Blick etwas aufzuheitern, doch vermutlich misslang es mir ganz kläglich. Ich seufzte. "Wirklich? Mir fällt es bisweilen schwer, andere glauben zu machen, es ginge mir gut, wenn dem eigentlich nicht so ist - zumindest durchschaut mich mindestens meine Nichte Prisca gleich zu Beginn, und das eigentlich immer. Deswegen versuche ich erst gar nicht mehr, ihr zu versichern, dass es mir gut geht, wenn mich in Wirklichkeit etwas beschäftigt." Ich warf Celerina einen prüfenden Blick zu. Konnte sie soweit überhaupt folgen in ihrem Zustand? "Ich habe gewiss nicht die gleichen, fast schon hellseherischen Fähigkeiten wie Prisca, aber dass es dir nicht gut geht, ist dennoch ziemlich ersichtlich. Finde ich." Eine Braue wölbte sich dem Haaransatz entgegen, während ich versuchte, zugleich tadelnd wie aufmunternd dreinzublicken. Dennoch, die Frage ging mir nicht aus dem Kopf. Ich würde mich dennoch hüten, sie jetzt zu stellen. Vermutlich würde ich sie gar niemals stellen.

  • Langsam gewöhnten sich meine Augen an die neuen Lichtverhältnisse. Die Sklavin hatte die Blumen auf dem Tischchen abgestellt. Wie schön sie waren! Er mußte tatsächlich ein kleines Vermögen dafür ausgegeben haben, um sie zu dieser Jahreszeit zu beschaffen.
    "Sie sind wunderschön, deine Blumen! Danke!"
    Natürlich hatte ich ihn nicht täuschen können! Wer mich ansah, wußte sofort, wie es mir gehen mußte. Aus diesem Grund hatte ich mein cubiculum seit meiner Rückkehr auch nicht mehr verlassen. Hier war ich sicher vor den Blicken der Sklaven, die durch meine Rückkehr eh schon aufgewühlt waren. Hier war ich allerdings auch mir selbst überlassen. Gelegentlich bekam ich Besuch, so wie jetzt auch. Um mich zu schonen, vermieden meine Besuche, mich direkt darauf anzusprechen, was geschehen war, obwohl sie über das Geschehene nur mutmaßen konnten. Dabei hätte ich mich gerne erleichtert. Ich hätte mir gerne alles von meiner Seele geredet, wenn ich gekonnt hätte. Doch wie hätte Marcus reagiert, wenn er gewußt hätte, was dieses Monstrum mir allesangetan hatte? Nun, früher oder später würde er es doch erfahren, wenn denn das Verfahren gegen den Piraten eröffnet wurde.
    Dieses seltsame Lächeln, was ich mir selbst aufgezwungen hatte, war verflogen. Er hatte mich gänzlich durchschaut und so blätterte der letzte Rest meiner zerbröckelten Fassade gänzlich ab. Was übrig blieb, war der zerschundene Körper einer einst hübschen Frau, die nun mehr wie ein Häufchen Elend wirkte und der die Tränen in den Augen standen.
    "Nein, mir geht es nicht gut, Marcus.", schluchzte ich. "Was ich erlebt habe, wünsche nicht einmal meinem ärgsten Feind!" Die Tränen rannen mir übers Gesicht und mischten sich mit der Kohle, die meine Augen umrandete. Nun mußte ich noch häßlicher wirken. Ich wischte die Tränen beiseite.
    "Ylva ist tot!", sagte ich auf einmal nach einer kleinen Pause. Seitdem sie nicht mehr da war, wußte ich erst, wie sehr wichtig sie für mich gewesen war.

  • Aufmerksam und mit dem Quäntchen Mitleid, das nicht auch noch zu unterdrücken war, obwohl ich mir große Mühe gab, betrachtete ich Celerina. Augenblicklich schmolz das aufgesetzte Schauspielerlächeln dahin. Der Ausdruck, der stattedessen auf ihr Gesicht trat, ließ mich sie betreten ansehen. Durch das einfallende Tageslicht waren nicht nur ihre Blessuren deutlich zu erkennen, sondern auch die Tränen. Immer schon war es so gewesen, dass mir eine weinende Frau ein schlechtes Gewissen machte. Ich wusste nicht woher das kam oder warum es so war - es war eben so. Die kleine Sisenna hatte um diesen Umstand gewusst und sich ihn viel zu oft zunutze gemacht. Betroffen sah ich die erste Träne rollen und wusste nicht, was ich sagen sollte. Nur ein flüchtiger Blick glitt hin zu Sciurus, dem ich nur Beachtung schenkte, weil er in diesem Raume Gracchus' verkörperte, und weil er ihm gewiss Bericht erstatten würde. Die Angelegenheit im Garten musste einen weitaus bleibenderen Eindruck hinterlassen haben, als ich zunächst angenommen hatte. Celerina wischte ihre Tränen fort. Wirkte sie gar trotzig?


    Ich hob erneut die Hand, beugte mich ein wenig auf dem Stuhl vor und strich ihr mit dem seitlichen Zeigefinger einen feuchten Kohlestrich von der Wange. "Das wichtigste ist, dass du nun wieder hier bist", sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte sagen sollen. Im Trösten war ich noch nie besonders gut gewesen, zumindest glaubte ich das. "Wer immer dir das angetan hat, wird dafür mit dem Tod bestraft werden. Dein Onkel wird sich gewiss mit dem gleichen Nachdruck dafür einsetzen wie ich, sei dir dessen sicher. Du wirst doch Klage einreichen?" fragte ich nach. Ob Gracchus bereits den cursus iuris absolviert hatte? Ich hätte ihn vorher fragen sollen. Es rief jedoch mir ins Bewusstsein, dass ich jenen noch zu belegen hatte.


    Mit der Hand, die eben noch über ihre Wange gestrichen hatte, griff ich nun nach der ihren. Ein mitfühlendes Runzeln stand auf meiner Stirn. "Das tut mir leid", sagte ich. Was hätte ich auch anderes erwidern sollen? Vermutlich war ihr die Sklavin wichtig gewesen. Schlechtestenfalls hatte sie ein Halt für Celerina dargestellt, während sie gefangen waren. "Celerina... Ich bin vermutlich der denkbar schlechteste Gesprächspartner, aber falls du darüber reden möchtest, dann..." Ich beendete den Satz mit einem stummen Schulterzucken. Im Grunde wollte ich gar nicht genau wissen, was sie mit ihr angestellt hatten. "Vielleicht sprichst du mit Epicharis? Oder Gracchus' Frau?" schlug ich vor. Eine Frau würde doch sicher einer Frau mehr anvertrauen wollen als einem Mann, selbst wenn dieser ihr Verlobter war.

  • Ich hatte die letzte Träne fort gewischt und schniefte noch etwas. Meine Augen mußten nun auch noch häßlich gerötet sein. Ein Wunder nur, daß Marcus nicht Reißaus genommen hatte. Marcus war meines Erachtens sehr zurückhaltend. Ich warf einen flüchtigen Blick zu dem Sklaven, den ich erst jetzt richtig wahrgenommen hatte. War das nicht Gracchus´ Schatten? Man hatte ihn Marcus offenbar als Aufpasser hinterhergeschickt. Schließlich war es ja schon gewagt, wenn ein Mann, der nicht der Ehemann war, das cubiculum einer Dame betrat, auch wenn es seine Verlobte war. Ich konnte mir vorstellen, wie sehr Gracchus mit sich gerungen haben mußte. Doch diese Situation ließ nichts anderes zu! Aber war dies der einzige Grund, was seine Zurückhaltung und Befangenheit erklärte? Ich hatte mir nie wirklich die Frage gestellt, wie viel Marcus für mich empfand, denn dies war allerhöchstens zweitrangig.
    Ich versuchte wieder Fassung zu erlangen. "Ja, ich habe bereits einen Sklaven mit einem entsprechenden Schreiben losgesandt. Auch ich möchte, daß dieses Subjekt bestraft wird. Möglichst langsam sollte er sterben, damit er…" Ich verstummte und dachte ernsthaft darüber nach, ob ich ihm nicht doch erzählen sollte, was mir zugestoßen war. Würde er mich dann noch wollen? Nein, ich brachte es nicht über mich! Wieder sah ich zu dem Sklaven, der völlig teilnahmslos da stand.


    "Marcus, ich… Es ist schön, daß du gekommen bist. Ich hatte gehofft, du würdest einmal vorbei schauen. Und nun bist du hier!" Ich nahm einen erneuten Anlauf und lächelte. "Ja, ich habe mich schon Epicharis anvertraut. Ich muß darüber sprechen, Marcus. Vielleicht kann ich so vergessen." Das war nur ein Wunschgedanke. Wahrscheinlich würde es mich mein Leben lang verfolgen.
    "Ich hoffe darauf, bald mein cubiculum verlassen zu können. Dann könnte ich vielleicht doch an den Saturnalien…" Wieder verstummte ich, nicht ohne vorher auf den Sklaven zu schauen und kehrte zurück zu einem völlig anderen Thema, was mich auch sehr getroffen hatte. "Während ich fort war, ist Gnaeus, mein Bruder verstorben."

  • Als Celerina ihren Satz nicht beendete, wartete ich noch einen kleinen Augenblick, doch sie führte ihn nicht weiter aus. "Hat dein Onkel etwas dazu gesagt?" erkundigte ich mich dann also. Sicherlich wusste er dann bereits um die Einreichung der Klage. "Ich bin mir sicher, dass diese Menschen nicht noch einmal die Gelegenheit haben werden, jemanden so zuzurichten", schloss ich dann ein wenig unbeholfen. Dass sie dadurch denken konnte, ich fände sie hässlich oder gar unzumutbar, daran verschwendete ich keinen Gedanken.


    "Selbstverständlich", erwiderte ich auf ihren Dank hin. Und das war es tatsächlich: selbstverständlich. Immerhin war sie meine totgeglaubte Verlobte, und selbst, wenn wir uns gehasst hätten, hätte die Höflichkeit es geboten, einen Anstandsbesuch zu machen. Nun, ganz so schlimm war es glücklicherdings jedoch nicht, auch wenn ich mit mir gerungen hatte, herzukommen - einfach aus dem Grund heraus, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Epicharis hatte sie sich also anvertraut. Das war gut. Ich hatte die lectrix als eine hilfsbereite junge Frau kennen und schätzen gelernt. So nickte ich erfreut. "Schön langsam. Alles nacheinander, Celerina. Jetzt erhole dich erst einmal gut. Vielleicht tut dir der ein oder andere Spaziergang im Garten auch gut. Und dann sehen wir weiter." Mir fiel ein, dass es sich nun als schwierig gestalten konnte, nun mit den anderen mitzufahren. Celerina würde es zwar vermutlich nicht offen bekennen, doch missfallen würde es ihr gewiss, wenn ich in ein paar Tagen für mindestens eine Woche verschwand.


    Ihr folgender Satz bescherte mir eine erneute Sprachlosigkeit. Fast hätte ich gefragt, ob sie Gnaeus Lucanus meinte, den engagierten, angehenden Priester. Doch noch rechtzeitig brachte ich mir ins Gedächtnis, dass sie nur ihn meinen konnte und keinen anderen. "Das...tut mir leid..." Was sollte man da auch anderes sagen? "Wie...hm. Er war doch noch jung. Ich habe ihn gut in Erinnerung, wie er bei mir wegen des Dienstes an den Göttern vorstellig wurde."

  • Ich hoffte, diese Sache würde schnell von statten gehen, ohne mein weiteres Zutun. Meine größte Angst bestand darin, diesem Kerl noch einmal gegenübertreten zu müssen, wenn man ihm den Prozeß machte. Nur den Augenblick, in dem er sein Leben aushauchte, den wollte ich um nichts in der Welt verpassen. Vielleicht würde ich danach wieder meinen Frieden finden und könnte nachts wieder ruhig schlafen. Wenn ich wußte, daß er tot war, dann ließen vielleicht auch die Alpträume nach. Doch noch war er am Leben.
    "Ich habe mit meinem Onkel noch nicht richtig spreche können. Sie nehmen alle sehr viel Rücksicht auf mich und wollen mich schonen." Doch an diesem Gespräch führte kein Weg vorbei. Nach den Saturnalien war wohl der beste Zeitpunkt dazu. Bis dahin hoffte ich, auch wieder einigermaßen hergestellt zu sein, um mich in die Öffentlichkeit zu wagen.
    Es beruhigte mich zu hören, daß es für ihn selbstverständlich gewesen war, herzukommen. Auch wie sehr er um mich besorgt war, empfand ich als rührend und nicht zuletzt die Anteilnahme am Tod meines Bruders, der mich zusätzlich noch belastete. Das zeigte mir, daß sich nichts geändert hatte, zwischen uns und daß ich ihm noch etwas bedeutete.
    "Ja, er war noch sehr jung. Aber schon vor Monaten hatte ihn eine mysteriöse Krankheit befallen. Die Ärzte waren ratlos und die letzten Wochen soll er auch nicht mehr ansprechbar gewesen sein, so sagte man mir." Es war in der Tat einfach nur traurig, wie schnell ein junger Mensch in der Blüte seines Lebens dahin gerafft wurde.
    Ich lächelte, auch wenn mir nicht nach nach einem Lächeln war, doch im gleichen Moment empfand ich wieder diesen Schmerz, der meine Erinnerungen zu dieser dreckigen Hütte in jener Lagune bei Corsica zurückführte. "Marcus, nachdem die Piraten fort waren und ich alleine auf dem Boden dieser Hütte lag, als ich glaubte, dort sterben zu müssen, da habe ich an dich gedacht, Marcus." Der Druck meiner Hand wurde fester. Der Hand, an der mein Verlobungsring hätte stecken müssen. "Sie haben mir den Verlobungsring abgenommen." Auf diesen Ring war ich so stolz gewesen. Nun war er weg und würde wahrscheinlich auch nie wieder auftauchen. Ich schluchzte. "Marcus, da gibt es noch etwas. Der Anführer dieser Piraten. Er hat… er hat mich." Nein, aussprechen konnte ich es nicht, es war einfach zu ungeheuerlich. Ich sah ihn immer wieder vor mir, wie er sich, einer wilden Bestie gleich, auf mich stürzte. Mein Blick ging wieder ins Nichts. Ich war so verloren.

  • "Das ist ja auch nur zu verständlich", erwiderte ich. Ich selbst hatte Celerina auch schonen - und mir noch ein wenig mehr Zeit gönnen - wollen. Doch nun war ich hier, saß an ihrer Seite, an ihrem Bett und hielt ihre Hand. Was sie über ihren Bruder berichtete, erklärte vieles. Auch, dass ihm damals bei der Opferprüfung schwummerig vor Augen geworden war. Er hatte ob dessen niemals den Rang eines vollwertigen Priesters erreicht, obgleich er doch Großes hätte vollbringen können mit seinem Wissensdurst und Familiennamen. Statt einer wörtlichen Erwiderung drückte ich nur einmal tröstend ihre Hand. Es war sicher sinnig, nicht allzu lange auf dem Tod Lucanus' herumzureden, allein schon im Bezug auf ihre Verfassung, die mir inzwischen recht deutlich labil anmutete.


    Ein wenig verwundert, auch wenn ich es nicht zeigte, nahm ich zur Kenntnis, dass sie scheinbar in einer schweren Stunde an mich gedacht hatte. Es verwirrte mich, da es mich schlichtweg verlegen machte, denn dachte man in schweren Stunden nicht an jene Personen, die einem lieb und teuer waren und die einem etwas bedeuteten? Ich blickte zurück - bei mir war es zumeist Prisca gewesen, die dann vor meinem geistigen Auge erschienen war. Nur warum dachte Celerina ausgerechnet an mich? Dies war der Zeitpunkt, zu dem mir bereits zum zweiten Mal etwas schwante. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Was sollte ich sagen? Und dann war da noch dieser Sklave neben der Tür. Den Göttern sei Dank fuhr Celerina rechtzeitig fort, ehe ich gewzungen war, etwas sentimental Kitschiges zu erwidern. "Das macht nichts. Er lässt sich ersetzen", erwiderte ich, innerlich glücklich darüber, ein weitaus weniger gefährliches Terrain mit einer Antwort betreten zu können. Ich wollte eben ausführen, wie filigran gearbeitet das Gold, wie außergewöhnlich die Machart und wie selten der Stein des Ringes sein würden, der diesen Verlust selbstverständlich ersetzen würde, als Celerina erneut etwas sagte, dann aber verstummte. Meine Brauen neigten sich einander zu, doch nur kurz. Dann ging es mir auf, und ein mitfühlendes Lächeln erschien auf meinen Lippen. "Er hat dich übel zugerichtet, ich weiß. Und er wird dafür bezahlen, dass er das gewagt hat", beendete ich den Satz an ihrer statt. "Sei unbesorgt. Er wird nie wieder jemandem leid zufügen können."


    Was tun? Eine Ablenkung musste her. Ganz arglos purzelte ein Gesprächsthema in meinen Geist, für das doch alles Frauen zu haben waren. "Hast du dir schon Gedanken über deine pronuba gemacht? Claudia Antonia scheint ihre Aufgabe sehr gut gemacht zu haben, zumindest danach zu urteilen, wie sehr Epicharis strahlt, wenn ich ihr im Redaktionsgebäude begegne. Sobald es dir wieder besser geht, sollten wir mit den Planungen beginnen."

  • Mit allem hatte ich gerechnet nur damit nicht! Verstand er nicht, was ich sagte? War es denn so mißverständlich? Lag das nicht offen auf der Hand? Ich sah auf und meine Augen trafen auf seine. Nein, er hatte nicht ergründen können, was ich meinte. Womöglich war es ein Segen, daß er das nicht tat! Was hätte er nur von mir gedacht, hätte er es erfahren? Er durfte es nicht erfahren. Nicht aus meinem Mund. Vergessen, genau das mußte ich! Es einfach vergessen, dann war es wie weggespült. Nicht existent. Niemals geschehen. Ja, so sollte es sein!


    "Ja. Niemals mehr," entgegnete ich, fest in seine Augen blickend. Ich fühlte mich in diesen Augen gefangen, wie in einem Vakuum. Ein sicherer Platz, an dem mir nichts geschehen würde, von dem ich aber auch nicht los kam.
    Da kam mir die Ablenkung gerade recht. Etwas Zerstreuung brachte mich und auch ihn auf andere Gedanken. Ja, bereits vor meiner Entführung hatte ich angefangen zu planen. Die Frage nach der pronuba stand da ganz oben auf meiner Liste und wäre es nicht zu diesem bedauernswerten Zwischenfall gekommen, hätte ich wahrscheinlich Antonia schon darauf angesprochen.
    "Ich dachte auch schon Antonia. Ich werde sie fragen, bald schon. Und ja, die Planung unserer Vermählung sollte keinen Aufschub mehr haben. Ich würde vorschlagen, nach den Saturnalien sollten wir es angehen, meinst du nicht auch? Es wird eine exorbitante Hochzeit werden, von der die Leute noch lange sprechen werden."
    Die dunkle Stimmung meiner Gedanken erhellte sich zusehends. An die Zukunft denken, das mußte ich und nicht in der Vergangenheit verharren. Zunehmend fühlte ich mich besser. Ich konnte es kaum erwarten, wieder vollständig hergestellt zu sein, denn im mir brodelte der Tatendrang.

  • Wie sie mich ansah, hielt mich gefangen. Ich hatte das Gefühl, in diesem Moment meiner Zukunft ins Auge zu sehen, nur seltsamerweise bereitete es mir eher Unbehagen als Zufriedenheit. Doch der Moment ging vorüber, ohne dass ich mir Gedanken darüber machte, was Celerina wohl gerade denken mochte. Ich nahm an, dass sie noch einmal an diesen Schurken dachte, der nun in einem Kerker vor sich hin vegetierte und auf sein Ende wartete.


    Celerinas weitere Worte lösten einen Adrenalinschub in mir aus. Bald klang definitiv anders als nach den Saturnalien. Bald war darüber hinaus ein äußerst dehnbarer Begriff, während nach den Saturnalien wiederum bereits ziemlich bald war. Ich rechnete. Die Saturnalien begannen in ein paar Tagen und dauerten zehn Tage an. Das hieß, im besten Falle blieben uns - mir! - noch drei Wochen. Vier, wenn man die Planungen als Vorwand nahm, die Zeit noch ein wenig zu dehnen. Mir wurde bewusst, dass ich dasaß und nichts sagte. Celerina sah mich an. Schnell lächelte ich also. "Ja, nach den Saturnalien." Mir fiel auf, dass nach den Saturnalien genauso gut kurz vor den nächsten Saturnalien bedeuten konnte. Aber es zu schieben, brachte ohnehin nichts, also verwarf ich solche Gedanken. "Ich hatte bereits mit meinem maiordomus gesprochen. Wenn du möchtest, wird er sich mit deinem vilicus abstimmen, was die Planungen betrifft, ansonsten überlasse ich ihm alles. Wir sollten vor oder nach dem martius heiraten, Celerina." Immrhin war dies der Monat des Mars. "Was hältst du von den iden des februarius (Sa, 7.2.2009/106 n.Chr.)? Das müsste ein dies nefastus sein. Wenn dir der Termin recht ist, würde ich die Auguren befragen."

  • Indem ich bereits wieder plante und an die Zukunft dachte, rückte somit die Vergangenheit ein Stücken von mir ab. Es schien, als könne ich neue Kräfte daraus gewinnen, um wieder die Celerina zu werden, die ich einst gewesen war. Das waren wohl die ersten Schritte zurück in mein Leben, die ich gehen mußte. Und ich ging sie gerne, in der Hoffnung, Gorgus und seinen Mannen eines Tages vollkommen entgehen zu können.
    Ich sah Marcus an und diesmal war mein Lächeln nicht krampfhaft. Diesmal lag soviel Hoffnung darin. Aber glaubte ich, für einen kurzen Augenblick nur, den Hauch von etwas unstetem in seinem Blick zu erkennen? Nein, ausgeschlossen! Er dachte bestimmt, so wie ich. Auch er mußte gelitten haben, als man ihm die Kunde von meinem angeblichen Tod gebracht hatte. Und nun hatte sich doch alles zum Guten gewandt. Nun lag unser gemeinsames Leben direkt vor uns, zum greifen nahe.
    "Ja, ich werde ihn beauftragen, damit er sich mit deinem maiordomus besprechen kann." Wobei ich bei der Planung aktiv dabei sein wollte. Dann nannte er auch schon einen Termin und ich zuckte innerlich zusammen. Die iden des februarius! Das war in nicht ganz zwei Monaten. So schnell schon! Mir war in diesem Moment nicht ganz klar, ob dies gut oder schlecht war. Natürlich war genau dies mein ehrgeizigstes Ziel gewesen, welches ich in den letzten Monaten verfolgt hatte und nun lag es so unmittelbar vor mir. Nein, ich sollte glücklich sein und den Göttern danken, daß ich lebte und daß sie mir einen so stattlichen Bräutigam gegeben hatten.
    "Oh, Marcus, das wäre wundervoll!" entgegnete ich schließlich hocherfreut.

  • "Gut. Dann halten wir den siebenten Tag vor den Iden fest. Möchtest du dich um die Stoffe kümmern? Natürlich nur, wenn du dir das zumustest", fügte ich hinzu. Alle Trübsal und der Schrecken schienen mit einem Mal wie weggeblasen. Das verwirrte mich ein wenig, aber, so sagte ich mir, sicher klammerte sie sich nur an einen schillernden Strahl, damit alles in Vergessenheit geriet. In diesem Moment nahm ich mir vor, ihr die Hochzeit unvergessen werden zu lassen, so gut es mir eben möglich war. Dieses Zugeständnis konnte ich durchaus machen.


    "Ich denke, ich werde dir nun wieder ein wenig Ruhe gönnen, Celerina." Überdies hätte ich auch nicht recht gewusst, welches Thema ich noch hätte ansprechen können oder sollen. "Bald sind die Saturnalien, und dann sehen wir uns wieder. In Ordnung?"

  • Nun nahm die Hochzeit langsam, aber fortschreitend richtige Gestalt an. Dadurch hatte ich etwas wieder gewonnen, woran ich mich festhalten konnte und das mir auch die nötige Abwechslung brachte, um endlich von meinen schrecklichen Erlebnissen loszukommen.
    "Aber ja, um die Stoffe kümmere ich mich gerne! Ich muß mich dann auch schleunigst ans Weben machen. Diesmal soll meine Tunika recta richtig gelingen!" Nur ungern dachte ich daran zurück, als ich damals als junges Mädchen mein Hochzeitsgewand gewebt hatte. Es war nicht besonders ansehnlich gewesen. Wahrscheinlich lag es an der mißlungenen tunica recta, daß meine erste Ehe zu einem Fiasko geworden war.
    Nachdem nun alles besprochen war und ich auch langsam wieder müde wurde, wollte sich Marcus zurückziehen. In wenigen Tagen würde ich ihn ja wieder sehen. Ich hatte mir vorgenommen, ihn an den Saturnalien zu besuchen. "Ja, das werden wir!", antwortete ich ihm lächelnd.
    Doch da gab es noch etwas!
    "Ach Marcus, noch eines! Jetzt nachdem ich gerettet worden bin, würde ich gerne mit dir gemeinsam ein Dankesopfer an Iuno darbringen." Daran lag mit viel, denn ich fühlte mich so, als sei mir mein Leben ein zweites Mal geschenkt worden.

  • Ich hatte nicht angenommen, dass Celerina bei ihrer zweiten Ehe sich ebenfalls selbst an die Arbeit machen und das Hochzeitsgewand selbst weben, sondern vielmehr die Dienste einiger eifriger Weberinnen in Anspruch nehmen würde. Doch sie schien anderes geplant zu haben. Natürlich ließ ich wie gewähren, wieso auch sollte ich anders handeln? Nachdem sie das nächste Treffen noch einmal bestätigt hatte, wollte ich mich schon vom Stuhl erheben, doch sie fügte noch etwas an, sodass ich halb sitzend, halb erhoben, innehielt und sie ansah. Ihr Wunsch war natürlich vollauf nachvollziehbar, ebenso erfreute es mich, dass sie der Schutzgöttin der Frauen danken wollte. "Natürlich", erwiderte ich und richtete mich vollends auf. "Das können wir gern machen - sobald es dir besser geht und du dir sicher bist, das Haus verlassen zu wollen. Wir sehen uns an den Saturnalien, Celerina. Bis dahin gute Besserung." Ein aufrichtiges Lächeln folgte, dann ein Nicken, und schließlich verließ ich nach einem Blick hin zu Sciurus den Raum, um draußen vor dem Gemach auf den Aufpassersklaven zu warten.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!