Area| O dulce nomen libertatis!

  • Speziell für Epicharis hatte der Parther eine kleine braune Stute ausgewählt, die er noch schnell sattelte, bevor es endlich losging. Nachdem nun alle Schwierigkeiten scheinbar aus dem Weg geräumt waren, fühlte er sich wieder zuversichtlicher, was die Flucht betraf. Bevor es losging, kramte er die Decke, die er sich eingepackt hatte, noch einmal hervor. Damit ging er zu der Römerin. Im vorrübergehen streifte sein Blick die junge Sklavin, die etwas auf eine Wachstafel schrieb. Er verlor keinen einzigen Gedanken mehr daran, dass sie sich so widerstandslos ihnen angeschlossen hatte. Blut war eben doch dicker als Wasser.


    Epicharis hatte sich nicht mehr gerührt. Sie hatte jegliche Bemühungen, Widerstand zu leisten, aufgegeben. Cassim hatte sie von Anfang an richtig, als eine junge intelligente Frau eingeschätzt.
    "Hab keine Angst! Bis wir aus der Stadt draußen sind, wirst du bei mir mit reiten. Wenn du mir dann versprichst, dich ordentlich zu benehmen, nehme ich dir wieder die Fesseln und den Knebel ab." Behutsam stellte er sie auf und legte die Decke um sie, damit man später nicht die Fesseln und den Knebel sah. Dann trug er sie hinaus in den Hof und hob sie auf das Pferd, wobei er sie vorerst über dem Sattelholm platzierte, um dann selbst besser aufsteigen zu können.
    Hannibal, der nicht ganz sicher auf dem Pferd zu sitzen schien, ritt voraus. Ihm folgten die anderen beiden Sklaven und schließlich Cassim, mit der Römerin, die er mit einem Arm festhielt. Ihr Pferd zog er hinter sich her. Den Falken hatte er fliegen lassen. Er würde den Weg bis hinaus zur Stadt fliegen. Später wollte er ihn wieder zu sich rufen.


    Die erste Hürde war genommen. Er hatte die Villa, die seine Sklavenstatt gewesen war, verlassen. Wieder war er Duras Europos ein Stückchen näher gekommen.

  • Geraume Weile brauchte es, bis sich langsam die Sklaven wieder in der villa zu ihren normalen Tätigkeiten aufraffen konnte, ihren Kater ausgeschlafen hatten oder sich von der Vorstellung verabschiedeten, daß nun leider wieder die normale Zeit beginnen würde; nun mußten sie alle wieder auf das Wort der Patrizier hin springen, täglich im Morgengrauen oder früher aufstehen, und den ganzen, lieben langen Tag schuften, bis die Meisten von ihnen völlig erschöpft auf ihr Lager fallen würden, es gab nur ein paar privilegierte Sklaven im Haushalt, die mehr Zeit besaßen und weniger anstrengende Arbeiten tun mußten; und diese hatten den Neid von den vielen anderen Sklaven gewiß.


    Einer jener Sklaven war der servus Gaius; Gaius war ein junger Mann, den alle übersahen, er war weder schön, noch war er häßlich, er war wirklich durchschnittlich, in allem, von seiner durchscnittlichen Statur bis zu seinen schwarzen, gewöhnlich wirkenden Haaren, die ihn in der Masse versteckten, hatte man ihn gesehen, so vergaß man ihn kurz darauf wieder, er war ein Gesicht von vielen, worunter er immer wieder litt, aber immerhin war er einer der wenigen Schreibsklaven, denn eine Tatsache hob ihn aus dem Rest hervor, er hatte eine wunderschöne Handschrift. Müde und in sich versunken marschierte Gaius zu den Kästen, in denen die Post während der Saturnalien geworfen worden war, da kein Sklave bereit gewesen war, um jene entgegen zu nehmen, unzählige tabulae, Schriftrollen und Päckchen polterten ihm entgegen, ein Teil von den tabulae fiel auch prompt herunter und landete im naßen Matsch vor seinen Füßen, leise fluchend bückte sich Gaius und hob sie hoch, verzog anschließend das Gesicht, denn die tabulae hatten unter dem Aufprall und dem Matsch gelitten, hoffentlich erkannte man überhaupt noch etwas von der Schrift, er erkannte auf einer der tabulae -die an Gracchus gerichtet war – auch die krakelige Handschrift eines Kindes, wie ihm schien, und sie kam ihm irgendwie bekannt vor, doch seufzend packte er erstmal alles in seine Arme und trat den Rückweg an, er würde es nach seinem Frühstück sortieren und sich danach um den Inhalt kümmern, sehen, was wohin gehörte. Denn nicht alle Träger wußten das System der villa Flavia zu durchschaun...

  • Es war einige Tage nach der Saturnalienfeier und Marcus litt immer noch unter den Nachwirkungen von all dem Feiern und dem vielen Trinken, aber auch dem ausgiebigem Schlemmen, dem er gefrönt hatte, nach jenem eher mageren Saturnalienabend, wo die Familie zusammen gekommen war. Dementsprechend matt und mit brummendem Schädel saß er im Garten, um die wenigen Sonnenstrahlen des Tages auszunutzen und blinzelte in das goldene Licht hoch, als ein Schatten auf ihn fiel. Marcus, der keine Lust hatte, sich mit irgendwas zu beschäftigen, egal was, verharrte und hoffte, der Schatten würde wieder verschwinden, er tat es jedoch nicht, sondern ein marginales Räuspern war zu vernehmen; Marcus blinzelte und ließ seine Augen zu dem Fleck hinüber wandern, der Ursache von der Störung seines Sonnenbades war; ein älterer Sklave mit weißen Haaren, faltigem Gesicht und einem arg zerknirschten, ängstlichen und besorgtem Ausdruck auf dem Gesicht.
    „Dominus…Entschuldigung…!“
    Marcus seufzte leise und winkte ihm, näher heran zu treten.
    „Ja, was gibt’s?“
    - „Herr, es gibt…ähm…schlechte Nachrichten!“
    Abwartend sah Marcus den Sklaven an, doch der schien sich nicht zu trauen, weiter zu sprechen.
    „Was denn?“
    , fragte er schließlich unwirsch, was bei dem alten Mann ein Zucken seiner Wangenmuskulatur verursachte.
    „Ähm…hier…“
    Er reichte eine Tafel an Marcus weiter, die zur Hälfte unleserlich geworden war. Nach einigen Anläufen gelang es Marcus, zumindest eine Zeile zu entziffern.
    „Eeent- Entführung und Sk…-Sk…-Sklavenflucht?“
    Verdattert sah Marcus auf, der Sklave schien am Liebsten sich in Luft auflösen zu wollen, doch ein strenger Blick von Marcus hielt ihn an Ort und Stelle.
    „Was hat das zu bedeuten?“
    „Es sind einige Sklaven geflohen, wohl schon vor ein paar Tagen. Vorgestern glaube ich, es ist nicht so ganz klar und es scheint, als ob sie Geiseln genommen haben.“
    Marcus wurde blass und starrte den Sklaven jetzt entgeistert an.
    „Welche Sklaven und welche Geiseln?“
    Der Sklave flüsterte leise die Namen, Marcus runzelte die Stirn und forderte den Sklaven auf, sich zu wiederholen…ein Herzschlag später flog ein Vogel erschrocken über ihm aus der Krone eines Baumes auf; er hatte sich über den wütenden Laut und das Scheppern der Tafel erschrocken…

  • Zuerst war es Fassungslosigkeit, dann war es Ohnmacht. Langsam, aber unaufhörlich glitt es ab in Wut. Wie getrieben lief ich auf und ab. Was machte man, wenn einer der Sklaven geflohen war? Wen beauftragte man, um das verlorengegangene Eigentum wieder zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzubringen? Mit solchen Fragen hatte ich mich niemals herumschlagen müssen. Schlimm genug, daß es jetzt soweit gekommen war. Ich war am Ende meiner Kräfte angekommen. Dieser elende Sklave sollte dafür bezahlen, für das, was er getan hatte. Ich mußte hier raus! Hinaus an die frische Luft! Sofort!


    Die Wintersonne wärmte mein Gesicht. An jedem anderen Tag hätte ich mich daran erfreuen können, nur nicht an diesem Tag! Selbst der Anblick des flavischen Gartens bewirkte nichts, was mich hätte beruhigen können. Ganz im Gegenteil!


    Da, war das nicht Marcus, den ich eben noch flüchtig im Garten gesehen hatte? Natürlich! Marcus wußte, was in diesem Fall zu tun war. Schnell folgte ich ihm. Von weitem sah ich, wie er sich mit einem Sklaven unterhielt. Er sah dabei sehr ernst, nein sehr zornig aus. Ich fragte mich, ob er bereits von der Flucht der Sklaven gehört hatte. Das Scheppern einer zerbrochenen Tontafel drang an mein Ohr. Aber das alles konnte mich nicht aufhalten
    "Marcus! Auf ein Wort Marcus! Ich muß dich sprechen.", rief ich. "Stell dir vor, mein Sklave ist verschwunden! Einfach weg! Geflohen!" Ich hatte Mühe meine Tränen zu unterdrücken und meine Fassung zu wahren.

  • Rot wie die aufgehende Sonne, purpur wie das Abendrot, derart hatte sich bereits das Gesicht von Marcus verfärbt, seines Zornes wegen, den er mit dem Schmettern der tabula ungeniert Luft gemacht hat; die Tafel lag nun zerbrochen neben dem Rand des Fischteiches und einer Statue, die den Flug des Schriftstückes hatte auffangen müssen. Mühsam sog Marcus die Luft durch seine Nase ein und aus und schnaubte wütend, seine Fäuste dabei fest zusammen geballt. Herrje, das konnte doch nicht wahr sein! Warum hatten die Parzen es so mit ihm gemeint, daß sie ihm erneut einen derartig aufsäßigen Sklaven ins Haus gesteckt hatten und schon wieder musste seine Familie deswegen leiden; ein kleiner Teil von seinem Bewusstsein fragte sich, ob sich Gracchus nicht von je her geirrt hatte und dieser Fluch eher auf ihn – Marcus – lastete; oder es war das Haus, das derartiges Unglück anzog und die Menschen ins Leid stürzte, all den schrecklichen Erinnerungen der flavischen Kaiserzeit wegen? Nur am Rande vernahm er die Worte seiner Anverwandten und reagierte für einige Herzschläge nicht, ehe es dann doch in sein Bewußtsein träufelte.
    „Dein Sklave…?“
    , echote er und drehte sich zu Celerina um, der hitzige Rotton stand ihm bestimmt immer noch im Gesicht geschrieben und mit Sicherheit war es deutlicher zu sehen als noch vor einigen Monaten, wo die Sonne ihm ein tiefes Braun verpaßt hatte, die mittlerweile deutlich blaßer geworden war.
    „Ach, kann es sein, daß es dieser Chimondros…“
    „Chimerion, Herr!“
    , warf der ältere Sklave vorsichtig ein; Marcus warf ihm einen warnenden und bösen Seitenblick zu, der den Sklaven etwas zu verunsichern schien, noch mehr, als er es ohnehin schon war.
    „…auf jeden Fall ist nicht nur Dein Sklave getürmt, Celerina, zwei von meinen Sklaven auch, womöglich auch drei, und sie haben meine Frau mitgenommen!“
    Jetzt, wo er es aussprach, mengte sich auch mit Wucht Sorge um Epicharis in den Zorn hinein, dennoch schnaubte er erstmal erneut und wütend.

  • Ich hatte Marcus nicht in bester Verfassung angetroffen. Offenbar war er schon unterrichtet worden. Ich verstand zwar nicht so recht, weswegen er sich so echauffierte. Es war doch nur mein Sklave, der sich davon gemacht hatte. Doch je länger mein Blick auf seinem rotangelaufenen Gesicht lag, stieg eine Befürchtung in mir auf, Chimerion könnte noch Schlimmeres angerichtet haben. Dieser Nichtsnutz, womöglich hatte er noch gestohlen und geraubt!
    "So ist es, Marcus! Mein Chimerion, dieses Scheusal. Er ist verschwunden. Hat er… hat er sich noch mehr zu Schulden kommen lassen?" Ich traute mich gar nicht zu fragen, weil ich es bereits ahnte, daß es nicht nur die Flucht war, die Marcus so erbost hatte. Jedoch was nun an meine Ohren drang, war einfach unglaublich! Spätestens bei der Erwähnung von Epicharis´ Entführung wich die Farbe aus meinem Gesicht. Böse Erinnerungen, denen ich eigentlich entkommen wollte, kamen wieder in mir hoch. Diese Bestien! Diese schreckliche Neuigkeit hatte mir die Sprache verschlagen. Es hätte so vieles gegeben, was ich hätte sagen können, was ich hätte sagen müssen. Aber keine einziges Wort kam über meine Lippen. Ich fühlte mich wie zugeschnürt. Das Herz wollte mir zerbersten. Der arme Marcus! Und Epicharis erst.
    Ich hätte den Statuen, so wie sie in unserem Garten zu Hauf stand, alle Ehre gemacht. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich meine Starre. Endlich war die Information vollkommen zu mir vorgedrungen und ich begriff, was tatsächlich geschehen war.
    "Epi…Epicharis? Nein! Das… das ist, oh Marcus, das ist einfach schrecklich!" Das war alles zu viel für mich! Ich spürte wie mir unwohl wurde und mich ein Schwindelgefühl heimsuchte. Glücklicherweise war eine marmorne Bank in der Nähe, auf die ich mich setzen konnte. Ich begann in mir selbst zu versinken und begann, mir Selbstvorwürfe zu machen, weil ich meinem Sklaven, zu sehr vertraut hatte, weil ich ihm zu viele Freiheiten gestattet hatte und weil ich Närrin ihm auch noch ein Pferd geschenkt hatte, welches er mit Sicherheit für seine Flucht benutz hatte. Was sollte jetzt nur werden?

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