cubiculum FC| Man trifft sich immer zweimal im Leben

  • Einige Tage waren nun bereits schon vergangen seit meiner Rückkehr. Zwar verließ ich noch immer nicht mein Zimmer, doch gestattete ich es dem Tageslicht hereinzukommen. Schließlich galt es sich vorzubereiten. Am morgigen Tag begannen die Saturnalien. das hieß für mich in erster Linie, ich müsse mich der Familie und den Sklaven zeigen und dies auch noch außerhalb meiner Mauern!
    Ehrlich gesagt graute es mir davor, wenn ich mir vorstellte, mit meinem, von blauen Flecken übersäten Körper im Triclinium zu sitzen. Andererseits brächte dies auch wieder Abwechslung in mein ach so fades Leben. Das schlimmste für mich war diese Gefangenschaft in meinem cubiculum, die ich mir selbst auferlegt hatte.
    Doch eines war schier unerträglich für mich! Jetzt da ich mich in Sicherheit wiegen konnte und um mich gesorgt wurde und ich auch wußte, ich würde leben, da machte sich eines ganz schmerzlich bemerkbar. Ylva, meine Ylva fehlte mir so sehr! Auch wenn ich sie an manchen Tagen am liebsten den Löwen zum Fraß vorgeworfen hätte, nun fehlte sie mir. Sie war seit vielen Jahren jeden Tag um mich gewesen und ihr hatte ich auch alles anvertrauen können. Wirklich alles! Vieles hatten wir gemeinsam ausgestanden. Die schrecklichen Jahre in Lutetia, der Tod meines Mannes und meine daraus resultierende Freiheit. Die Reise nach Rom, die damals für mich eine Reise ins Unbekannte darstellte und schließlich die Entführung durch dieses Piratenpack. Manchmal sah ich sie noch vor mir, leidend, geschändet und schließlich blutüberströmt.
    Jetzt saß ich in meinem Bett und sah in Richtung Fenster. Genaugenommen sah ich ins Nichts! Draußen schien die Wintersonne und ein wärmender Strahl fand seinen Weg in mein cubiculum. Nichts konnte mich erfreuen, absolut gar nichts! Ich fühlte nur diese Leere um mich, die diese Ersatzsklavin, die man mir abgestellt hatte, niemals ausfüllen konnte.
    Seit Epicharis´ Besuch und der bitteren Feststellung, die mich seitdem quälte, war nichts mehr, wie es war.
    Jetzt in der größten Not war ich alleine!



    Sim-Off:

    Reserviert! :)

  • Der Kleine war den ganzen Tag so unruhig gewesen, hatte ständig gequängelt, gejammert, fand einfach keinen Schlaf. Ich trug ihn stundenlang auf dem Arm umher, tätschelte ihn sang ihm Lieder vor, aber nichts half. Ich vermutete stark, das waren die Zähne, die nach und nach bald durchbrachen. Ähnliches hatte ich früher schon bei meinem kleinen Bruder beobachtet. Trotzdem war ich aber besorgt und litt mit dem Kleinen. Sein herzerweichendes Jammern ließ mich nicht kalt. Ich wusste mir bald nicht mehr zu helfen.


    Den Nachmittag hatte ich im Garten verbracht. Ein wenig frische Luft und einige Sonnenstrahlen konnten nicht schaden. Dem Kleinen war es aber einerlei, wo ich ihn umher trug, ob im Garten oder drinnen, er jammerte weiter. Als die Sonne hinter einigen grauen Wolken verschwand, wurde es mir zu kalt und ich ging zurück ins Haus.
    Ich wollte zurück zu meiner Kammer, lief den Korridor entlang und blieb gedankenverloren vor einer Tür stehen, die ich gleich darauf öffnete. Weshalb ich das tat, konnte ich auch nicht erklären. Vielleicht weil der Kleine wieder zu schreien begann. Kurz darauf, nachdem ich die Tür geöffnet hatte, bemerkte ich auch sofort, dass ich mich in der Tür geirrt hatte. Seltsam, hier war ich schon einmal gewesen. Ich steckte meinen Kopf durch die Tür und zog ihn ganz schnell wieder zurück. Da saß die Flavierin, mit der mich so einige unschöne Erinnerungen verbanden. Eigenartigerweise verbanden mich fast nur unschöne Erinnerungen mit den meisten Flaviern! -.^ Das musste an der Familie liegen! Hoffentlich hatte sie mich nicht gesehen! Schnell weg und Tür zu!

  • Während ich so dasaß und grübelte, hörte ich plötzlich, wie jemand die Tür öffnete. Derjenige hatte es nicht für nötig gehalten, zu klopfen, weswegen ich aufschreckte. Meine Augen schnellten vom Fenster zur Tür. Seit der Entführung war ich besonders schreckhaft geworden.
    Eigenartigerweise war niemand eingetreten. Ich konnte nur noch einen Frauenkopf mit dunklen Haaren erhaschen, der sich schnell wieder aus der Tür zurückzog. außerdem vernahm ich Kindergeschrei. Ich glaubte natürlich sofort, es handle sich um Antonia und den kleinen Minor. Aber Antonia hätte natürlich erst angeklopft, bevorsie eintrat und sie hätte sich auch nicht einfach so davongeschlichen.
    "Halt! Wer bist du? Komm rein!" rief ich und starrte neugierig zur Tür. Ich war gespannt, was nun geschah. Vielleicht war es ja auch nur eine Sklavin, die sich an der Tür geirrt hatte.

  • Ertappt! In der einen Hand hielt ich noch die Türklinke fest und hatte den Fuß in der Tür. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Meine Muskeln verkrampften sich. Die Stimme kannte ich noch und auch ihren gebieterischen Ton. Diarmuid machte das überhaut nichts aus, er jammerte unaufhörlich weiter. Ich musste irgendetwas tun. Einfach nur hier stehen bleiben, ging nicht. Ich atmete tief durch. Dann wagte ich mich in die Höhle der flavischen Löwin.


    Unter den Sklaven hatte man sich ja schon einiges erzählt, über die zurückgekehrte Flavia. Dass sie schlimmes erlebt hatte und übel zugerichtet worden war. Auch wenn ich sie nicht besonders mochte, empfand ich aber trotzdem Mitleid mit ihr. Keiner Frau sollte so etwas passieren.


    Zögerlich trat ich zu ihr hin, vermied sie dabei direkt anzuschauen. Aus den Augenwinkeln sah ich aber doch einen Teil ihres Körpers. Was ich sah, erschütterte mich.


    Salve domina, es tut mir leid, ich fürchte, ich habe mich an der Tür geirrt. Der Kleine jammert so sehr, davon werde ich ganz durcheinander, begann ich mich zu verteidigen. Ich wog das Kind in meinen Armen, das keinen Anlass dafür sah, sich vor der Flavia zu beruhigen.


    Ich möchte dich nicht stören, domina. Soll ich nicht besser wieder gehen?


    Was hätte ich darum gegeben,wäre sie auf meinen Vorschag eingegangen! Mir war es unangenehm auch noch mit dem Kleinen in ihrer Nähe zu sein. Ich konnte mich noch gut an unsere erste Begegnung erinnern. Davon hatte ich jetzt noch genug.

  • Begierig sah ich zur Tür, die sich wieder öffnete. Eine blaße, dunkelhaarige Frau mit einem Kind im Arm kam zum Vorschein. Sie kam mir bekannt vor. Auch die Stimme hatte ich schon einmal vernommen. Ich grübelte, woher ich sie kannte. Zweifelsohne gehörte sie zum flavischen Sklaveninventar. Aber der Kleine, den sie im Arm trug, war nicht Antonias Kind. Er schrie immerfort.
    "Das macht nichts!" entgegnete ich auf ihre Entschuldigung. Im Augenblick war ich für jede Ablenkung empfänglich. Außerdem konnte ich so auch meine Neugier stillen und herausfinden, woher ich sie kannte. Ich fragte mich, wessen Kind das war. Sie war natürlich die Mutter, aber wer war der Vater?
    "Nein, du störst nicht. Komm näher! Noch näher!" Mit einer auffordernden Geste gebot ich ihr, an mein Bett heranzutreten, damit ich mir ihr Kind betrachten konnte.
    "Ist es krank, dein Kind? Oder warum schreit es so?"
    Je länger ich mir sie betrachtete, desto schneller kam meine Erinnerung zurück. Wir waren uns in der Tat schon einmal begegnet und zwar hier, in meinem cubiculum. Damals war sie noch schwanger gewesen.
    "Du bist Aquilius´ Sklavin, nicht wahr?" Dann war der Kleine augenscheinlich auch der Bastard meines Onkels. "Setz dich!", wies ich sie an und deutete dabei auf die Bettkante rechts neben mir.

  • Wenn auch eher zögerlich kam ich ihrer Bitte nach. Immerhin hatte ich ja schon ein wenig ihre Launen kennengelernt und wusste, was mich in ihrer Gegenwart erwarten konnte. Vom Tod ihrer Sklavin hatte ich auch gehört. Das war wirklich sehr schrecklich.
    Kurz von ihrem Bett blieb ich stehen. Zwangsläufig sah ich sie nun aus der Nähe. Was ich vorher nur flüchtig mit meinen Augen eingefangen hatte, bewahrheitete sich jetzt. Die Male waren unübersehbar. Als sie mich ansprach, wusste ich nicht sofort zu antworten. Mich nahm zu sehr mit, was ich sah.


    Äh, ja. Nein, eigentlich nicht. Er bekommt Zähne. Das tut ihm weh.


    Ich tätschelte den Kleinen, sprach leise mit ihm und hoffte darauf, ihn so beruhigen zu können. Aber Diarmuid tat mir nicht den Gefallen. Als ob es nicht genug war, dass ich hier sein musste. Er wimmerte immer in einem fort. Die Unruhe meines Kindes übertrug mich auch auf mich, was der Flavierin nur unschwer entgehen konnte. Gefördert wurde dies noch durch ihre Frage.


    Ja, aber jetzt nicht mehr. Er hat mich freigelassen.


    Warum nur besaß sie solche Macht über mich, dass sie mich durch eine simple Frage, wie diese einschüchtern konnte? Hätte ich nicht voller Stolz sein sollen? Es hinaus schreien sollen, ja ich bin frei! Nein, dazu war ich nicht fähig.
    Eine Unsicherheit schwang mit, als ich mich neben sie auf die Kante ihres Bettes setzte.

  • Jetzt, da sie neben mir saß, hatte ich Gelegenheit dazu, mir ihr Kind genauer betrachten zu können. Nun ja, eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu verleugnen. Das kleine schmerzverzerrte und verheulte Kindergesicht hatte zweifellos etwas Rührendes. "Darf ich es einmal haben, ja? Wie hast du es eigentlich genannt?" Der kleine Wonnebrocken war einfach zu niedlich. Ich selbst hoffte darauf, die Götter seinen mir gnädig gestimmt und würden mir baldmöglichst auch ein Kind schenken, sobald ich mit Marcus vermählt war.


    "Soso, er hat dich freigelassen! Wie nobel von ihm!" Das war mir glatt entgangen! Vielleicht hatte er sie während meiner Abwesenheit freigelassen. Unvermittelt sah ich auf das Kind, sein Kind. Nein, dafür war das Kind bereits zu groß! Sinn und Zweck dieser Handlung war es ja wohl, dem Kind ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Es mußte ein Akt von reiner Menschenfreundlichkeit gewesen sein, der Sklavin die Freiheit zu schenken, die das Kind ihres Herrn unter ihrem Herzen trug. Seltsamerweise konnte ich Verständnis dafür aufbringen. Das eigene Kind als Sklave zu halten, erschien auch mir als sehr befremdlich.
    Die junge Mutter machte mir einen sehr unsicheren Eindruck, so als hätte sie Angst vor mir. Ich fragte mich nur, weshalb. Von mir hatte sie nichts zu befürchten. Jetzt da sie Aquilius Freigelassene war, sowieso nicht mehr.
    "Du fürchtest dich vor mir, nicht wahr?", bemerkte ich schließlich noch, auch wenn ich sie mit meiner Frage noch mehr verunsichern sollte.

  • Das hatte ich befürchtet! Nur ungern gab ich mein Kind her und ihr wollte ich esschon gar nicht geben. Immer noch glaubte ich, man wolle mir das Kind wegnehmen, was sicherlich abstrus war. Aber washättesie tun können? Sie lag hier und war selbst wehrlos. Also reichte ich ihr vorsichtig meinen Sohn.


    Er heißt nach seinem Vater, Caius.


    Ihr wollte ich nicht verraten, wie ich ihn wirklich nannte. Auch wenn sie jetzt viel freundlicher zu mir war, als bei unserem letzten Zusammentreffen, hatte ich kein Vertrauen zu ihr. Deshalb ließ ich Diarmuid keinen Moment aus den Augen, nachdem sie ihn genommen hatte.


    Ja, das hat er. Noch vor der Geburt meines Kindes, antwortete ich, mit einem leicht trotzigen Unterton, der lediglich eine Reaktion auf ihre Bemerkung war. Allerdings tat es mir gleich danach schon wieder leid. In ihrer Umgebung gelang es mir einfach nicht, ich selbst zu sein. Ständig glaubte ich, mich verteidigen zu müssen.
    Als sie mich schließlich fragte, ob ich Angst vor ihr hätte, traf mich diese Frage so sehr, als hätte sie mir soeben eine Maske vom Gesicht gerissen und mich somit enttarnt. Doch jetzt musste ich mich nicht mehr länger verstecken.


    Ja.


    Mehr sagte ich nicht. Ich hatte es offen und direkt hinaus gesagt. Deshalb konnte sie mir doch nichts anhaben.

  • Ich konnte es ihr nicht verübeln, daß sie mir nur zögerlich ihr Kind gab. Es war anzunehmen, daß sie in mir nur die herrische und unfreundliche Flavierin sah, wenn ich mir dabei unser letztes Treffen in Erinnerung rief. Fremden Sklaven gegenüber war ich nur seltenst auf Anhieb freundlich gestimmt. Außer sie schafften es, mich sofort durch ihr Auftreten und ihr Verhalten zu beeindrucken, was aber den wenigsten gelang.
    "Caius heißt du also, du kleiner süßer Wicht!", begrüßte ich das Kind mit herzlicher Stimme und einem freudigen Lächeln, als ich es entgegennahm. Seine kleinen Fingerchen, das zarte Mündchen und die süße Stupsnase! Dieser niedliche kleine Kerl erweichte mein Herz. Ich konnte mich gar nicht satt sehen an ihm und vergaß dabei fast, daß ja seine Mutter noch neben mir saß.
    "Soso!", stellte ich etwas zeitversetzt fest, den bissigen Unterton, den sie versucht hatte anzuschlagen, gänzlich ignorierend. "Mein Onkel ist einfach ein gutmütiger Mensch. Findest du nicht auch? Und bei diesem süßen Fratz hätte er auch gar keine andere Wahl gehabt!", sagte ich schließlich mehr zu dem Kind, als zu der Freigelassenen.
    Doch dann schaffte sie etwas, was ihr bislang nicht gelungen war und was den meisten Sklaven nur ganz selten gelang. Sie beeindruckte mich mit ihrer Aufrichtigkeit. Sie gab allen ernstes zu, Angst vor mir zu haben und bekräftigte dies mit einem einfachen und simplen Ja.
    Mein Blick ruhte einen Augenblick lang auf dem blassen Gesicht. Dabei fiel mir ein, ich hatte gänzlich ihren Namen vergessen und wußte gar nicht, wie ich sie ansprechen sollte.
    "Deine Aufrichtigkeit gefällt mir. Aber laß dir gesagt sein, du brauchst keine Furcht vor mir zu haben." Ich lächelte ihr zu. Es kein herablassendes Lächeln, sondern eines von der freundlichen Sorte. Dann legte ich ihr das Kind wieder in ihren Arm.
    "Ich bin froh, daß du bei mir bist. Den ganzen Tag allein zu verbringen ist so schrecklich. Die Erinnerungen kommen dann immer wieder zurück. Verstehst du? Bitte bleib noch ein Weilchen bei mir.", bat ich sie. "Wie war doch gleich dein Name?"

  • Ich sah ihr mit gemischten Gefühlen zu, wie sie mit meinem Kind neckte. Sie nannte ihn einen süßen Wicht. Ihre Stimme klang mit einem mal viel höher, als sonst. Sie verhielt sich auch ganz anders, als ich es von ihr gewohnt war. Ich hatte schon davon gehört, dass sich manche Menschen änderten, wenn sie es mit kleinen Kindern zu tun bekamen. Es machte sie ein Stückchen menschlicher.
    Der Kleine reagierte ganz unbefangen auf sie. Woher hätte er denn auch wissen sollen, in wessen Armen er gerade lag. Diarmuid schenkte ihr ein zahnloses Lächeln und brabbelte dabei lustig vor sich hin.
    Langsam lockerte sich meine Angespanntheit, besonders dann, als sie mir erklärte, ich müsse mich vor ihr nicht fürchten und ich solle doch bei ihr bleiben. Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, was diesen Sinneswandel bei ihr herbei geführt hatte. Im Augenblick wirkte sie auf mich wie ein hilfloses Bündel. Aber weshalb ihr ausgerechnet meine Gegenwart so wichtig war, verstand ich auch nicht. Oder war das einfach nur eine List, um es mir zu zeigen, was sie tatsächlich von mir hielt? Aber da war etwas an ihr, was mir sagte, dass ihre Bitte echt war.
    Nach einer Weile gab sie mir den Kleinen wieder. Sehnsüchtig warf er der fremden Frau noch einen Blick zu. Aber er hatte auch nichtsdagegen, wieder in Mamas Armen zu liegen.


    Wenn du es wünschst, bleibe ich gerne noch etwas.


    Ich versuchte wenigstens ansatzweise zu lächeln. Es ging einfach nicht, dass ich auf Kommando meine Furcht vor ihr ablegte. Denn die war ja nicht unbegründet gewesen. Das musste sie doch verstehen. Dafür brauchte ich Zeit, um neues Vertrauen zu fassen. Aber wahrscheinlich hatte sie längst unsere letzte Begegnung vergessen. Genauso wie sie meinen Namen vergessen hatte, den Namen einer fremden Sklavin.


    Ich heiße Bridhe, domina, sagte ich artig und schlug meine Augen nieder.

  • Einen Augenblick lang, lag mein Blick auf ihr. Ich sah sie voller Güte an, denn auch sie erwies mir ihre Güte, indem sie blieb, auch wenn sie meinen Wunsch eher als Befehl aufgefasst hatte.
    "Das ist äußert nett von dir, Bridhe." Ich lächelte sie an. Sie hielt ihren Jungen wieder in ihrem Arm. Die beiden machten einen so perfekten Eindruck. Mutter und Kind, ein vollkommenes Paar. Sie war für diese Gnade, die ihr zuteil geworden war, fast zu beneiden.
    "Du hast bestimmt gehört, was mir widerfahren ist, nicht wahr?" Zweifellos hatte sie das. Jeder in der Villa hatte davon gehört, sogar die halbe Stadt. Aber niemand konnte sich davon ein Bild machen, was ich alles erlebt hatte. Bisher hatte ich nur Andeutungen gemacht, aus Scham oder Nachsicht, der anderen gegenüber. Niemandem hatte ich von Ylva schrecklichem sterben erzählt und von der Bestie, wie er sich auf mich gestürzt hatte.
    "Meine Ylva, sie ist tot!", brachte ich auf einmal hervor. Meine Tränen traten wieder hervor und ich ergriff Bridhes Hand, um sie fest zu drücken.

  • Es war doch erstaunlich, wie sich manche Menschen ändern konnten. Die Flavia war nicht mehr dieselbe, die ich noch vor einigen Monaten kennengelernt hatte. Sie war menschlicher geworden. Manchmal mussten eben erst schlimme Dinge geschehen, bis man seine Umgebung mit anderen Augen sehen konnte. Die Flavia sah mich zum ersten Mal als Mensch und nicht als Sklavin. Sie ignorierte mich nicht mehr. Sie war sogar froh, dass ich bei ihr war.


    Ja, ich habe davon gehört, domina.


    Die Entführung und die anschließende Rettung war das beliebteste Tratschthema im Sklaventrakt gewesen. Es war schwierig gewesen, die Gerüchteküche zu ignorieren oder ihr gar aus dem Weg zu gehen. Besonders die Küchensklaven hatten die Entführung und den vermeintlichen Tod der Flavierin ausgiebig breit getreten. Auch das Schicksal der Leibsklavin der Flavierin hatte mich getroffen. Ich hatte Ylva nie richtig kennengelernt. Aber ein so schreckliches Ende hatte niemand verdient.
    Die Flavia griff nach meiner Hand. Sie weinte. Ich verweigerte sie ihr nicht. Wenn ihr das Halt gab, dann war es das, was ich für sie tun konnte.

  • "Es war furchtbar! Diese Barbaren, sie haben sich auf sie gestürzt und…“ Nein, ich wollte ihr die Einzelheiten ersparen und mir auch. Dann kam alles wieder hoch, Ylvas Martyrium, das Blut, der Gestank. Schon damals, als Ylva tot neben mir lag, hatte ich sie beneidet. Sie hatte einfach das letzte bißchen Leben, was noch in ihr gewesen war, einfach abgestreift, wie eine alte löchrige Tunika, die man nicht mehr wollte. Aber ich hatte dazu nicht den Mut. Vielleicht sah ich es ja als eine Art Pflicht an, zu überleben. Eine Verpflichtung gegenüber meiner Familie, meines Verlobten, ja vielleicht sogar gegenüber meinem Stand. Was hätte ich dafür gegeben, diese Erinnerungen loszuwerden!
    In Gegenwart dieser Freigelassenen hatte ich mich völlig gehen gelassen. Ich heulte ihr etwas vor und war aufgelöst. Das hatte kurzfristig den Effekt, daß es mir dadurch besser ging. Jedoch ermahnte ich mich selbst, wer ich war und was ich da tat. In der Vergangenheit hatte ich mich davor gehütet, gegenüber Personen, die mir nicht besonders nahe standen, mich dermaßen zu offenbaren oder gar Schwäche zu zeigen.
    Mit einem Tuch wischte ich mir meine Tränen ab, beruhigte mich wieder und gewann wieder die Oberhand über mich. "Danke für deine Hilfe!", meinte ich nur und zwang mich zu lächeln. Einen Moment sah ich die junge Frau an. Ich überlegte krampfhaft, wie es mir gelingen konnte, von mir abzulenken. Wobei die Freigelassene mit ihrem Kind schon für allerhand Gesprächsstoff sorgen konnte. "Was gedenkst du jetzt zu tun, nachdem man dir die Freiheit geschenkt hat? Wie man hört, hat mein Onkel die Villa verlassen und dich nicht mitgenommen!" Den letzten Satz hätte ich mir im Nachhinein gerne verkniffen, doch da war es schon zu spät. Diese Tatsache, allein mit dem Kind zurück gelassen worden zu sein, musste sie ungemein gekränkt haben. Jetzt wollte ich nicht auch noch diejenige sein, die in ihrer Wunde bohrte.

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