Die Erkenntnis! oder: Nach der Audienz beim Consul

  • Die Stufen vom mons palatinus hinunter bis zum forum romanum waren recht schnell getätigt, wenn auch mit jedem Schritt die schwere toga Marcus' Beine behinderten; er würde nicht unfroh sein, die Sänfte zu erreichen und dort das Gewand von seiner Schulter reißen zu können, um wieder ordentlich durchzuatmen. Schwarzgekleidete Soldaten marschierten an ihm vorbei, der eine oder andere Sklave, der sich in den emsigen Aktivitäten der Palastangestellten erging, und auch so manch ein Bittsteller, der womöglich umsonst den ganzen Tag im Palast verbringen würde; schweigend lief Marcus, in sich gekehrt, um all das zu überdenken, was eben noch bei Aelius Quarto gesagt und getan wurde, denn immer noch war da ein seltsam befremdliches Gefühl, er hätte etwas verpaßt; aber so lange sich noch an dem Ort mit den tausend Ohren war, schwieg sich Marcus darüber aus. Erst als sie die Sänfte erreichten, Marcus hinein geklettert war – dabei die Pfunde spürend, die er in all den letzten Jahren deutlich zugespeckt hatte – und sich endlich die toga herunter zog – bzw. damit anfing – zeigte sich die Verwirrung im ganzen Ausmaß auf seinem Gesicht.
    „Sag' mal, Manius, der consul, irgendwie hat er mich verwirrt, was hat er mit Kandidatenliste gemeint und Wahlen?“
    Irritiert musterte er Gracchus, der sicherlich eine einfache und einleuchtende Erklärung hatte.
    „Und habe ich alles richtig gesagt?“
    Wobei auch immer; Marcus spürte, wie die Sänfte mit einem milden Ruck hoch gehoben wurde und sie anfing, sich sanft zu schaukeln, um sich durch das Gedränge des Forums durchzudrängen.

  • Währenddessen sein Vetter damit begann, in der Sänfte sich schnellstmöglich aus den Stoffbahnen der Toga hinaus zu schälen, begnügte Gracchus sich damit, nur eine bequeme Sitzposition einzunehmen - er trug das umständliche Kleidungsstück oft genug, um sich bereits einigermaßen damit angefreundet zu haben. Er hatte gehofft, Aristides würde bis zur Villa Flavia nicht weiter bezüglich der Wahlen nachfragen - Gracchus wusste sehr wohl, dass sein Vetter weder dumm, noch einfältig war, doch war er sich gleichsam dessen bewusst, dass Aristides bisweilen erst eine geraume Weile über eine Fragestellung nachdachte, ehedem er zu einem Ergebnis kam oder aber sich getraute, dies anzusprechen -, doch an diesem Tage gewährte Fortuna Gracchus nicht ihre Gunst.
    "Es war alles korrekt, darob brauchst du di'h nicht zu sorgen, denn wir haben errei'ht, weshalb wir den Consul aufgesu'ht haben."
    Es war das schlechte Gewissen, welches Gracchus das ch in übermäßiger Zahl raubte, denn obgleich er mit Epicharis der festen Überzeugung war, dass Aristides nicht weiter durfte zögern, sondern sich dem Cursus Honorum musste stellen, so war es ihm doch überaus schwer gefallen, seinen Vetter in der Weise zu hintergehen, dass er ihn ohne dessen Wissen um seine Absicht mit zum Aelius Quarto hatte genommen und selbst dort ihn vor vollendete Tatsachen gestellt, im vollen Bewusstsein, dass Aristides nicht vor dem Consul würde seine Nachfrage stellen. Während sein Vetter eine weitere Falte der Toga bei Seite schob, zog Gracchus seine Unterlippe zwischen seine Zähne, begann gleichsam mit Daumen und Zeigefinger der einen Hand den Zeigefinger der anderen zu kneten. Schlussendlich jedoch, zwischen den unschuldig weißfarbenen Stoffbahnen hob Aristides seinen Blick, musste Gracchus zur Antwort ansetzen.
    "Die Wahlen des Cursus Honorum"
    , begann er einen Satz, welcher kein Satz sollte werden, sondern in untypischer Weise als fleischloses Skelett einer Aussage im Raume verharren. Gracchus senkte seinen Blick, betrachtete seinen Daumennagel, als hätte er dort eine Antwort versteckt, welche es abzulesen galt, als wäre allfällig der Daumen des Rätsels Lösung - und obgleich im Daumen der Triumph des Menschen lag, so wollte er doch an diesem Tage Gracchus gleiches nicht gewähren.Nicht die geringste Überwindung kostete es ihn bei einem der kultischen Feste ob der litatio zu lügen, doch die Lüge in jeder anderen Art und Weise war eine überaus hässliche Angelegenheit, welche dem Harmoniestreben, dem inneren Drange Gracchus' nach Ästhetik widerstrebte, und die Lüge gegenüber einem Verwandten war gar das scheußlichste Konstrukt, welches Gracchus' Welt beschieden war, ob dessen er zögerlich von neuem begann, denn die Alternative zur Wahrheit - das Schweigen - würde ohnehin ihm nicht vergönnt sein.
    "Du wirst als Vigintivir bei den kommenden Wahlen des Cursus Honorum kandidieren."

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  • Erleichtert seufzte Marcus, als er endlich diese Dunsthaube los wurde, die all die Hitze und Körperwärme unter mehreren Lagen von Stoffschichten hielt und ihn kochte wie einen Hummer; Marcus' Gesicht hatte auch – trotz der Kühle des Tages! - eine gesunde, vielleicht etwas zu kräftige Röte angenommen, er lehnte sich zurück in die weichen Polster der Sänfte, die wie eine Wiege hin und her schwankte und – da er das eher aus seiner Kindheit kannte, prompt zum Gähnen brachte, er hatte es geliebt, in der Sänfte zu schlafen, wenn sie von einem Ort zum Anderen reisten, damals, vor so vielen Jahren, daß es Marcus schon grauste daran zu denken, wieviele es denn genau waren; zumindest jetzt noch konnten Gracchus' Worte ein Lächeln bei Marcus wecken, immerhin war er wohl dieses Mal nicht in ein Fettnäpfchen getreten und es schien alles glatt gelaufen zu sein; doch bei den folgenden und scheinbar zögerlichen Erklärungen, runzelte Marcus die Stirn, langsam tropften die Worte durch seinen Gehörgang, krochen die Nervenbahnen hinauf und in Marcus' unergründlichen Geist – unergründlich, weil er ein seltsames Schwarzes Loch-Phänomen besaß, das viel davon aufsaugte, was sich Marcus verzweifelt zu merken versuchte, und niemals ward die Erinnerung wieder gesehen; Marcus begriff jedoch nun.


    Sein Vetter, sein eigener Vetter und womöglich sogar bester Freund, hatte ihn herein gelegt? Wahllisten für den cursus honorum, aber natürlich, das hatte der consul gemeint, Marcus schien aus den Latschen zu kippen und konnte gar nichts erwidern; vor seinen Augen paßierten viele Bilder Revue, Asny, die sich über seine Begriffsstutzigkeit lustig gemacht hatte, zahllose andere Begebenheiten, in denen er vorgeführt worden war, weil er nun mal manchmal länger brauchte, um Zusammenhänge zu begreifen, die einfach für ihn aus einer fremden Welt kamen. Enttäuscht und frustriert sackten die Schultern von Marcus herunter und er starrte durch den halbgeöffneten Vorhang auf die Straße nach draußen; noch war nicht der Zorn da, doch er spürte schon, wie er sich seinen Weg nach oben bahnte; gerade Gracchus wußte doch um so manch eine Schwäche von ihm, Marcus schüttelte langsam den Kopf.
    „Für die Wahl? Ich?“
    , flüsterte er tonlos.
    „Weßen Idee war das?“
    Seine Augen streiften einige Händler, die ihre Waren feil boten, sah jedoch nicht zu seinem Vetter, vielleicht, um die große Enttäuschung nicht offen zu zeigen.

  • Obgleich Aristides völlig ruhig reagierte, fühlte Gracchus sich wie eine Ziege im Käfig eines Löwen, weitaus schlimmer noch als zuvor bei Consul Quarto, und es fehlte nicht viel, dass er ängstlich wie ein junges Zicklein zu blöken begann, und obgleich er um die seltenen, und doch um so heftigeren Wutausbrüche seines Vetters wusste, so war dessen Ruhe weitaus schlimmer zu ertragen, drückte sich weit schwerer auf sein schlechtes Gewissen hernieder, als jedes zornige, gar beleidigende Wort dies hätte tun können.
    "Wir gingen davon aus, du ..."
    Er stockte, schwieg einige Augenblicke, währendder er fest seine Lippen aufeinander presste. Alles hatte so überaus plausibel, so überzeugend und korrekt geklungen aus Epicharis' Munde, kein Zweifel war letztlich in Gracchus verblieben, kein Zögern und Zaudern, das Richtige zu tun, denn schlussendlich hatte er ihren Worten nur allzu gerne glauben wollen, wusste gleichsam, dass was sie verlangte nicht mehr war, als die Familie konnte verlangen. Dennoch konnte er nicht ihren Namen nennen, durfte nicht Aristides darob wissen, denn Gracchus konnte und wollte nicht, dass Marcus' Enttäuschung, noch seine Wut würde seine Gemahlin treffen.
    "I'h bin dafür verantwortli'h."
    Es war dies nicht die Unwahrheit, denn schlussendlich hatte er seinen Vetter überzeugt, ihn zu Consul Aelius zu geleiten.
    "Du wirst in diesem Jahr vierzig, Marcus. Du weißt, i'h respektiere dich, mehr als das, aber ..."
    Er senkte seinen Blick, schluckte einen harten Kloß in seiner Kehle hinab. Er war diese Phrasen so leid, hatte selbst zu viel an ihnen gelitten, an den hohlen Worten, welche einem Manne das Innerste zu rauben vermochten, doch gleichsam war er es leid, dies stets allein ertragen zu müssen, mehr noch als je zuvor seit Aquilius Rom hatte verlassen, ihn hatte verlassen, ihn hatte im Stich gelassen.
    "... aber jeder von uns muss seine Pfli'ht ertragen, Marcus. Au'h du."

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  • Ich bin dafür verantwortlich! Jegliche vorgetäuschte Interesse an den Vorgängen auf den Straßen von Roms und dem Treiben der Stadt schwand, er sah zu seinem Vetter und musterte ihn durchdringend, die Art und Weise, wie sich Gracchus benahm, verriet ihm jedoch, daß er ihm etwas verheimlichte, wollte Gracchus es nur edelmütig auf sich nehmen? Was Opferbereitschaft anging, hatte Gracchus in seinem Leben mehr als einmal bewiesen, daß er alles aufbringen würde, um jemanden zu schützen, der ihm wichtig war, so sehr, daß Gracchus es am Ende selber glauben zu schien und nicht tat, weil es sein Pflichtgefühl von ihm verlangte, aber wen könnte er schützen wollen? Seine – Marcus' – Mutter ganz bestimmt nicht, denn er wußte, daß die Beiden nicht sonderlich gut miteinander auskamen, zumindest hatte er bisher den Eindruck, es sei denn, seine Mutter hätte Gracchus dazu bewegen können, ihn in dieses Netzt zu verstricken und dann es auch noch auf die eigene Kappe zu nehmen – seine Mutter konnte alles, das wußte Marcus! Aber nein, Epicharis vielleicht...Epicharis? Hm, ein Runzeln erschien auf seiner Stirn als er darüber nachdachte, die Beiden verstanden sich ausgesprochen gut, so daß schon einmal in Marcus' Mißtrauen gekeimt war.
    „Komm' schon, Manius, das nehm' ich Dir nicht ab, wer ist noch daran beteiligt, Epicharis? Hm?“
    Schließlich wollte sie ihn unbedingt im Senat sehen; aber daß Gracchus seinen mit rasantenSchritten herannahenden vierzigsten Geburtstag ansprach, war ihm nicht sonderlich recht, denn es waren weniger als zwei Wochen, dann wäre er endgültig dem Alter entwachsen, wo ein Greis ihn noch junger Mann nennen würde- verdammt!
    „Ich habe meine Pflicht für das Imperium bereits getragen, Manius, ich habe weit mehr als das getan, ich habe mein Leben dafür riskiert und mehrfach beinahe verloren, das ist deutlich mehr als die meisten Senatoren von sich behaupten können, die doch nur Abnicker im Senat sind und kaum etwas für die Sicherheit und das Fortbestehen unseres Reiches getan haben. Außerdem...“
    Marcus war zwar zornig, aber er war seinem Vetter auch zu sehr zugetan, um ihn zu beschimpfen, wie er es vielleicht bei Aquilius getan hätte, der das wiederum gut vertragen hätte.
    „...außerdem wäre ich ein lausiger Senator und das weißt Du! Verdammt noch mal!“

  • Obgleich Gracchus sich wand wie die Schlange im Korbe eines Schlangenbeschwörers, so war es ihm gleichsam unmöglich, zu verbergen, was er zu verbergen suchte, zudem kannte Aristides ihn zu gut, um nicht hinter die brüchige Fassade der für Gracchus überaus mühsamen Täuschung zu blicken, weshalb jener schlussendlich widerstrebend nickte, dennoch den Namen Epicharis' nicht aussprach.
    "I'h habe dich stets für deinen Mut und deine Bereitschaft, für das Imperium zu sterben, bewundert, Marcus, aber ... aber wer noch? Der Maßstab unserer Welt ist ein anderer, jener, mit wel'hem unser Stand und unsere Familie gemessen wird. Sie sorgt sich um eure Na'hkommen, auch um Serenus. Theoretisch kann sich ein jeder Bürger vom Boden der Gesellschaft empor arbeiten, doch du weißt, dass dies ni'ht so ist, dass des Vaters Gelingen die beste Basis bietet."
    Gracchus sog tief die Luft durch die Nase und seufzte hörbar. Nicht etwa, dass er würde glauben, sein Vetter würde keinen passablen Senator abgeben, störte ihn am meisten - denn Aristides hatte sein Herz stets am rechten Fleck -, sondern dass er den Senat selbst für eine überaus schwere Bürde hielt für jeden Mann, welchen es nicht aus eigenem Antriebe bereits in die Politik drängte, und dass er somit im Begriffe war, Aristides jene Bürde aufzulegen.
    "Ich glaube, du wärst ein weitaus besserer Senator als so manch einer, wel'her derzeitig tagein, tagaus in der Halle der Curia Iulia sitzt."
    Womöglich gar besser als er selbst, sah Gracchus sich doch als einen überaus mittelmäßigen Senator, da ihm zumeist jeglicher Antrieb zu politischer Disputation fehlte.

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  • Resigniert gab Marcus auf, er würde kein Wortgefecht, keinen Streit mit Gracchus gewinnen können, Gracchus war ihm einfach, was die Kette von logischer und geistig brillanter Argumentationen anging, einfach haushoch überlegen, da war es besser einen taktischen Rückzug zu beginnen, etwas, was selbst einem Soldaten nicht schlecht zu Gesicht stand, wenn das Terrain nun mal verloren war; seine Mundwinkel waren deutlich nach unten geneigt und er starrte wieder düster hinaus auf das Treiben der Römer, die putzmunter und völlig unbekümmert ihrem Tagestreiben nachgingen und von dem Dilemma des Marcus Flavius Aristides' nichts ahnten, und sowieso sich dafür nicht interessiert hätten. Er grummelte und brummelte noch einige Herzschläge, wußte jedoch auch wirklich nichts auf die Antwort von Gracchus zu erwidern, darum obließ er es bei dem Schweigen, und quittierte das über den Senator mit einem Nachobenwölben seiner linken Augenbraue und einem mißtrauischen Taxieren von seinem Vetter, denn Marcus glaubte dahinter Ironie und Sarkasmus, denn Marcus konnte nicht von der Annahme ausgehen, daß Gracchus das ernst meinen würden. Er würde jedoch ob der Angelegenheit noch eine Weile seinem Vetter grollen – in seiner mießen Stimmung in dem Augenblick nahm er sich vor, daß es mindestens das Amtsjahr dauern würde! Einige Herzschläge später: Mindestens bis zur Wahl! Drei Weitere: Mindestens die nächsten beiden Tage! Marcus seufzte leise und ließ das schwere und düstere Schweigen zwischen den Beiden, das wie ein Klotz auf ihnen zu lasten schien, während die Sänfte nach Hause zurück kehrte.

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