cubiculum MAC | ...und da lag er darnieder

  • Ich wusste nicht, was schlimmer war: der Durst, die Träume oder der Umstand, dass ich die Decke ständig mit den Füßen wenden musste, weil ich sonst Gefahr lief, darunter zu schmelzen. Ich war nicht wehleidig. Ich war auch alles andere als jemand, der beim geringsten Anzeichen einer Krankheit alles stehen und liegen ließ. Und vermutlich aus diesem Grund hatte mich die Krankheit nun so dahingerafft, dass ich schon vor der cena zu Bett gegangen war. Meine Augen waren glasig, ich fühlte mich zittrig und regelrecht schwach, Hunger hatte ich ohnehin keinen und mir war kalt, obwohl sich unter meiner Bettdecke ein Dampfbad befand.


    Es war inzwischen dunkel, ich hatte ein wenig geschlafen und vor mich hin gedämmert. Irgendjemand hatte ein Tablett mit inzwischen kalter Hühnerbrühe auf den Tisch neben dem Bett gestellt. Es roch zwar gut, aber weder hatte ich Hunger, noch erschien mir der Griff zur Suppenschale hin lohnenswert. Mit dem einigermaßen kühlen Unterarm versuchte ich, meine Stirn zu kühlen, seufzte und richtete mich schließlich halb auf, um zu der Tür zu Sivs Kammer zu schauen. Der Spalt unter der Tür verriet, dass sich dahinter ein wenig flackerndes Licht verbarg. "Siv? Dina?" murmelte ich mit belegter Stimme, ließ mich dann wieder zurücksinken und schloss ermattet die Augen. Ein tiefer Seufzer entwich meiner Brust und ich presste die Handballen auf meine Augenlider. Der Kopf dröhnte. Ich wusste nicht, wie spät es war, noch welcher Tag oder was am nächsten Morgen anstand. Fakt allerdings war, dass für mich der nächste Tag nicht allzu viel beinhalten würde, sah man von Schlaf und Langeweile im Bett einmal ab.

  • Es war noch gar nicht so lange her, dass Siv aus Mantua wiedergekehrt war, und ihr war von Anfang an aufgefallen, dass Corvinus nicht sonderlich gut aussah. Siv hätte es am liebsten gesehen, wenn er sich gleich ins Bett gelegt und auskuriert hätte, aber Corvinus gehörte zu den Menschen, die sich von so etwas kaum beirren ließen, sondern einfach weiter arbeiteten – so lange, bis sie entweder irgendwann wieder gesund waren oder es sie komplett flach legte. Was Siv an diesem Verhalten etwas störte war die Tatsache, dass er zweierlei Maß anlegte. Wenn es ihr schlecht ging, verlangte er regelrecht von ihr, sich auszuruhen, da konnte sie ihm noch sehr sagen, dass es nicht schlimm war, und seit sie schwanger war, musste es ihr dafür noch nicht einmal schlecht gehen. Auch diesmal hatte sie versucht, ihn dazu zu bewegen sich auszuruhen, und auch diesmal hatte es, wie üblich, nicht funktioniert. Also hatte sie nur versucht darauf zu achten, dass er wenigstens etwas Ruhe bekam, was ihr allerdings nur mittelmäßig gelungen war, war Corvinus doch in den letzten Tagen häufig unterwegs gewesen.


    Als sie an diesem Abend nun in ihre Kammer ging, nachdem sie mit Brix die Vorratslisten durchgegangen war, hatte sie nicht wirklich eine Ahnung, wo Corvinus steckte. Sie hatte ihn schon den ganzen Tag nicht gesehen und vermutete, dass er wohl unterwegs war – als sie aber aus seinem Zimmer ein Geräusch hörte, sah sie auf und runzelte die Stirn. Es war dunkel bei ihm, was sie davon hatte ausgehen lassen, dass er noch fort war, denn wäre er da, würde er noch arbeiten – so spät war es bei weitem noch nicht, dass er sich schon schlafen gelegt hätte. Mit der linken angelte Siv sich die Öllampe und öffnete dann die Tür zu dem Cubiculum, um hineinzusehen. Im nächsten Moment war sie auf dem Weg zu Corvinus’ Bett. "Hey." Ihre Stimme war ebenso besorgt wie ihr Gesichtsausdruck, als sie sich an seiner Seite auf der Bettkante niederließ und mit kühlen Fingern über sein Gesicht strich. Corvinus schien regelrecht zu glühen, und ein schneller Griff zeigte ihr, dass seine Decke annähernd durchgeschwitzt war. "Du brauchst neues, für das Bett. Ich hole das. Und Wadenwickel. Heiße Steine. Irgendein Kräuteraufguss, Weidenrinde oder so", murmelte sie mehr zu sich selbst. Das Beste war immer noch, das Fieber herauszuschwitzen, aber dann würde die Nacht über jemand bei ihm bleiben und regelmäßig das feuchte Bettzeug wechseln müssen. Die Schale mit der Hühnerbrühe fiel ihr ins Auge, aber als sie sie berührte, merkte sie dass diese kalt war. "Was ist mit Magen? Ist schlecht? Oder hast du Hunger? Ich hole neue, dann." Er musste eigentlich etwas essen, aber Siv wusste auch, dass es wenig brachte, wenn sie ihn dazu zwang etwas hinunterzuwürgen.

  • Umnachtet, wie ich war, bemerkte ich Siv erst, als das fahle, honigfarbene Licht ihr Gesicht neben meinem Bett erhellte. Ich blinzelte leicht geblendet und seufzte. Meine Hüfte kippte leicht nach außen, als sie sich setzte und damit das Bett einseitig dazu zwang, ihr Gewicht zu tragen. Den Unterarm hatte ich immer noch über die Stirn gelegt, aber er kühlte schon lange nicht mehr. Ihre Finger waren dafür umso willkommener, und als ich das nächste mal aufseufzte, war es ob der angenehm kühlen Berührung ihrer Finger. Lahm angelte ich nach ihrer Hand und platzierte die ganze Handfläche auf der Stirn. Binnen weniger Herzschläge allerdings hatte sich die wunderbare Kühle meiner Temperatur angeglichen, und ich ließ sie los.


    "Kein Hunger", antwortete ich ihr kurz und knapp auf die Fragen, die mir wie eine Aneinanderreihung erschienen und auf mich hinunter prasselten. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und schloss die Augen wieder. Es war angenehmer, vom Dunkel umwölkt und bewegungslos da zu liegen, als die Augen anzustrengen, etwas im schwachen Schein der Öllampe zu erkennen. Wieder hob ich die eigene Hand und legte sie auf die Stirn, doch Abhilfe verschaffte das keine. Sivs Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen und war wie in Watte verpackt. Ich seufzte erneut. Keinen klaren Gedanken vermochte ich zu fassen, doch dann und wann schienen Schemen einen Reigen hinter meinen Lidern zu tanzen. Hoffentlich redete ich nicht wirr, wenn ich schon wirr dachte. Oder träumte ich?

  • Corvinus reagierte kaum auf ihre Anwesenheit, blinzelte schwach, rührte sich aber ansonsten nicht wirklich. Erst als sie mit ihren Fingern über sein Gesicht strich, kam etwas Bewegung in ihn, und er griff nach ihrer Hand legte sie sich auf seine Stirn, die tatsächlich glühte. Siv zog besorgt die Augenbrauen zusammen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Corvinus je so ein hohes Fieber gehabt hätte. Hunger hatte er keinen, und sie nickte, obwohl sie bezweifelte, dass er das überhaupt bemerkte. Ihm etwas zu essen zu bringen hatte dann keinen Sinn, denn in seinem Zustand würde sie ihm kaum etwas aufzwingen können, wenn er nicht wirklich wollte.


    Obwohl es einiges gab, was zu holen war, blieb Siv sitzen, solange er ihre Hand festhielt. Erst als er sie losließ – sie spürte selbst, wie unangenehm warm die Haut geworden war, strich sie ihm noch einmal sacht über das Gesicht, bevor sie sich erhob und von dem Tisch die Karaffe mit Wasser holte. Nach kurzem Betrachten des Saums ihrer Tunika wandte sie sich dann noch einmal um und holte das kleine Handtuch, das bei der Waschschüssel lag, ebenso wie die Schüssel selbst. Über das Stadium, indem sie ihre Kleidung zerrissen hatte in scheinbarer Ermangelung anderer Alternativen, war sie nun wohl endgültig hinaus :D Sie goss frisches Wasser in die Schüssel und tunkte anschließend das Handtuch hinein, wrang es vorsichtig aus, so dass es nicht mehr tropfte, und legte es ihm dann gefaltet über die Stirn. "Hör zu, ich hole etwas, ein paar Sachen." Sie sprach langsam, während sie ihm erneut sacht über die Wange streichelte. Sie war sich nicht wirklich sicher, ob er überhaupt verstand, was sie sagte, aber sie hoffte, dass allein schon ihre Stimme eine beruhigende Wirkung hatte. "Aufguss, und Steine, gegen das Fieber. Neues, Decke für Bett. Wasser. Ich bin gleich wieder da." Sie beugte sich zu ihm hinab und hauchte einen Kuss auf seine Wange, dann stand sie erneut auf. Für einen Augenblick überlegte sie, eines der Fenster einen Spaltbreit zu öffnen, aber so lange keiner hier war und ihn im Blick hatte, war es besser er schwitzte noch ein wenig, fand sie, als dass er anfing zu frieren und das Fieber dadurch noch schlimmer wurde.


    In der Küche angekommen, war nicht nur Niki anwesend, sondern auch Nuala. Kurz klärte sie beide auf. "Corvinus ist krank. Richtig, mit Fieber sehr hoch. Niki, haben wir heiße Steine?" Die Köchin nickte. Im Winter waren erhitzte Steine in der Küche immer vorrätig, und Niki ging, ohne ein überflüssiges Wort zu verlieren, zur Feuerstelle hinüber, um die Steine in einen dafür vorgesehen Korb zu packen. Während Siv ein paar Kräuter zusammensuchte und begann den Aufguss vorzubereiten, wandte sie sich an Nuala – auf Germanisch, weil es so viel bequemer war und sie im Moment nicht den Nerv hatte, auf Latein nach Worten zu suchen, wenn sie auch in ihrer Muttersprache reden konnte. "Nuala, kannst du frisches Bettzeug holen und damit zu Corvinus’ Cubiculum kommen? Am besten gleich zwei mal, wir werden das in der Nacht sicher wechseln müssen." Niki verzog leicht das Gesicht, als sie Siv schon wieder Germanisch reden hörte, sagte aber nichts dazu, sondern meinte nur. "Da, die Steine. Lass mich den Aufguss machen, ich bring ihn dann vorbei, wenn er fertig ist. Wenn der Dominus so krank ist, solltest du ihn nicht so lang allein lassen." Siv lächelte. "Danke, Niki, Nuala." Sie nickte beiden zu, schnappte sich den Korb mit den Steinen und machte sich wieder auf den Weg zu Corvinus’ Cubiculum, das sie kurz darauf erreichte.

  • Nuala hatte einfach noch etwas trinken wollen, bevor sie zu Bett ging. Sie war in die Küche gegangen und hatte dort noch Niki angetroffen. Die Köchin war dabei, die letzten Vorbereitungen für den morgigen Tag zu tätigen. Noch zwei Tage, bis zu den Satrurnalien und dann ruhte die Arbeit, wenigstens für einige Tage. Die Aussicht, doch am Ausflug teilnehmen zu können, hatte aber Nuala bereits jetzt in Festtagsstimmung versetzt. Das war auch der Grund, weswegen sie bei der Köchin stehen blieb. Sie sollte es als erste erfahren!
    Während sie sich einen Becher holte und ihn mit Wasser füllte, erzählte sie ihr ganz nebenbei, was um die Mittagsstunde in Orestes cubiculum geschehen war. Dabei war sie so eifrig, dass sie ein wenig Wasser verschüttete. Schnell wischte sie ihr Ungeschick mit einem Tuch weg.
    Nualas Trübsinn, der sie die letzten Tage begleitet hatte, war wie weggeblasen.


    Nuala hielt inne, als sich plötzlich die Tür öffnet und Siv herein trat. Sie macht nicht den Eindruck, erheitert zu sein. Ihre Erklärung dafür war einleuchtend. Corvinus war krank! Siv schien ernsthaft besorgt zu sein. Wahrscheinlich wäre sie es auch gewesen, wäre Orestes an Corvinus Stelle gewesen.
    Was Siv ihr in germanischer Sprache erzählte, ließ keinen Zweifel mehr übrig. Die Sache war ernst. Da war es selbstverständlich, dass Nuala half, so gut es ging. Sie ließ ihren Becher stehen und eilte sofort davon um frische Laken und Bezüge für das Bett des Aureliers zu holen.


    Wenig später machte sie sich, mit Bettzeug bepackt, zum cubiculum von Sivs dominus. Irgendwie schaffte sie es, eine Hand frei zu bekommen, ohne, dass ihr die Laken zu Boden fielen. Sie klopfte ganz leicht an der Tür und öffnete langsam.
    In diesem Raum war sie noch nicht gewesen, weshalb sie nur zögerlich eintrat. Siv war bereits wieder da und hantierte mit den heißen Steinen. Nuala trat näher und legte die Bettwäsche ab.
    Dem dominus sah man es an, wie es um ihn stand. "Siv, was kann ich tun, um dir zu helfen?" fragte sie die Germanin in ihrer Muttersprache. Sie nahm an, der Römer würde nichts von ihrer Konversation mitbekommen. Er wirkte, wie benommen.

  • Corvinus rührte sich nicht, als Siv das Zimmer wieder betrat, und als sie näher kam, sah sie, dass er in einen unruhigen, offenbar von Fieberträumen geplagten Schlaf gefallen war. Ihre Stirn runzelte sich besorgt, und sie strich ihm vorsichtig über das Gesicht, bevor sie sich zu einer der Truhen wandte, um ihr eine frische Schlaftunika zu entnehmen. Es kam selten genug vor, dass Corvinus eine Tunika trug zum Schlafen, aber heute hatte er eine angezogen – was Siv durchaus vernünftig fand, bedachte sie, wie krank er war. Die jetzige war aber durchgeschwitzt, und der Zustand, in dem er sich befand, ließ vermuten, dass sie nicht die letzte bleiben würde. Das Fieber wütete so heiß in ihm, dass er zu glühen schien, gleichzeitig aber zitterte er immer wieder vor Kälte. Die Germanin schlug die Decke zurück und setzte dazu an, Corvinus die Tunika auszuziehen, was sich als etwas schwierig gestaltete – er wachte von ihren Bemühungen nicht auf und konnte nicht mithelfen, wenigstens den Oberkörper anheben. Dennoch gelang es ihr, das ihn des Kleidungsstücks zu entledigen. Sie war gerade fertig damit, ihm die neue überzuziehen, und platzierte die ersten Steine um ihn herum, als Nuala hereinkam. Siv strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und verzog ihre Lippen zu etwas, das ein Lächeln darstellen sollte. "Kannst du die Decke neu beziehen, bitte? Das Zeug ist zu feucht. Wer weiß, wie lang er hier schon so gelegen hat…" Die Germanin unterdrückte die unschöne Bezeichnung, die ihr auf der Zunge lag. Was musste Corvinus auch immer denken, er könne alles aushalten und mit sich allein ausmachen? Was war so schlimm daran, jemanden dazu zu holen, wenn es einem so offensichtlich nicht gut ging? Ganz davon abgesehen, dass er ihrer Meinung nach sich viel früher etwas Ruhe hätte gönnen sollen, nämlich als die ersten Anzeichen des Fiebers sich gezeigt hatten.


    Während die andere Sklavin das Bett neu bezog, packte Siv die restlichen Steine um Corvinus’ Körper herum, die sie zuvor sorgfältig mit Tüchern umwickelt hatte, damit sie niemanden verbrennen konnten. Niki kam herein und stellte sowohl den Aufguss als auch einen großen Krug mit kaltem Wasser bereit, und Siv nickte ihr dankbar zu. Anschließend wandte sie sich an Nuala. "In Ordnung. Wadenwickel sind als nächstes dran. Dann packen wir die Decke um ihn herum. Und dann… sollten wir versuchen, ihm etwas von dem Aufguss einzuflößen, wenn es klappt so lange er schläft."

  • Ursus hatte schon von den Sklaven gehört, daß sein Onkel sehr krank war. Deshalb war er auch nicht zur Cena erschienen. Diese Krankheit hatte sich ja auch vorher schon angekündigt, wie er sich erinnerte. Doch wie schlimm war es wirklich? Mußte er anfangen, sich Sorgen zu machen? Er beschloß, sich selbst davon zu überzeugen, wie ernst die Angelegenheit war und machte sich auf den Weg zu Corvinus' Cubiculum. Die Geschäftigkeit der Sklaven war nicht gerade dazu angetan, ihn zu beruhigen.


    Gerade wurde etwas hineingetragen, weswegen er es sich sparen konnte, anzuklopfen. Schon ein Blick auf seinen Onkel zeigte ihm, daß es ihm sehr schlecht ging. "Wie schlimm ist es? Könnt ihr das einschätzen?" So wie es für ihn aussah, war es besser, wenn ein Medicus kam. Bedauerlich, daß Mattiacus nicht in Rom war, so mußte er auf einen anderen ausweichen. Und sich erst einmal nach einem guten Medicus erkundigen. Einen Scharlatan wollte er auf keinen Fall im Hause haben. Doch bevor er sich auf die Suche nach einem guten Arzt machte, wollte er erst einmal hören, wie die Sklavinnen, die ja zum Teil recht gute medizinische Kenntnisse hatten, die Lage einschätzten. Hatte Siv nicht damals, als Helena verletzt gewesen war, offenbart, daß sie sich auskannte?


    Während er wartete, daß eine der Anwesenden Zeit fand, seine Fragen zu beantworten, stellte er sich so hin, daß er niemandem im Weg stand. Aufmerksam beobachtete er, was sie taten. Die Wäsche wechseln, heiße Steine, kühle Wadenwickeln, ein Kräuteraufguß. Klang alles vernünftig in seinen Ohren, kein Grund also, sich irgendwie einzumischen. Doch die Sorgenfalten auf seiner Stirn vertieften sich dennoch. Obwohl viele Hände an ihm herumhantierten, schien Marcus kaum etwas wahrzunehmen. Und das war absolut kein gutes Zeichen.


    Edit: Falsche Tageszeit korrigiert

  • Nuala wartete nicht lange und ging an die Arbeit. Der Bezug der Decke hatte sich voll mit Schweiß des Römers gesogen. Wie Siv schon gesagt hatte, er war klitschnass.
    Die Arbeit ging ihr schnell von der Hand. Betten beziehen, Betten machen waren Tätigkeiten, die zu ihren täglichen Aufgaben gehörten. Während sie damit begann, den frischen Bezug über die Decke zu stülpen, sah sie abwechselnd zu Siv und Corvinus. Das Fieber wütete stark in seinem Körper, so stark, dass er auf nichts reagierte, was um ihn herum geschah.
    Nach kurzer Zeit war das Bett wieder frisch gemacht. Nuala warf die schmutzige Wäsche auf einen Haufen. Später, wenn sie hier fertig war und sie wieder ging, wollte sie die Wäsche mitnehmen. Jetzt galt es aber zuerst alles nötige zu tun, um den Kranken zu versorgen. Niki hatte einen Aufguss gebracht und ein Krug mit kaltem Wasser. Es war jetzt wichtig, das Fieber zu senken. Das erreichte man am besten Mit Wadenwickeln.
    "Gut! So machen wir es!" Nuala nahm sich einige Tücher und benässte es mit dem kalten Wasser. Bevor sie es um die Waden des Römers schlang, wrang sie es aus.
    Sie war dabei so vertieft, dass sie von Ursus´ Eintreffen wenig bemerkte. Erst seine Frage ließ sie aufblicken. "Wir müssen versuchen das Fieber zu senken. Wenn uns das gelingt, dann sieht es gut aus!"Nuala packte noch den fehlenden anderen Wickel um die Wade. Jetzt noch die Decke und den Aufguss und dann hieß es abwarten und hoffen.
    Sie wusste um Siv´s Sorge, auch wenn die Germanin ihre wahren Gefühle verbergen wollte, spürte sie was in ihr vorging. "Er wird es schon schaffen, glaube mir!", sagte sie auf germanisch, um ihr wieder Hoffnung zu geben.

  • Siv breitete unter Corvinus’ Beinen ein größeres Tuch aus, dick genug, dass die Feuchtigkeit der Wickel nicht bis zum Bett durchdringen würde, und umwickelte dann die feuchten Tücher noch einmal mit je einem trockenen. Ebenso wie Nuala bemerkte sie Ursus’ Eintreten erst, als dieser das Wort aufgriff. Sie bestätigte Nualas Antwort mit einem Nicken, während sie begann, die Decke über Corvinus zu ziehen. Die Beine ließ sie unbedeckt, damit die Wadenwickel wirken konnten, dann rückte sie die eingepackten warmen Steine etwas näher an seinen Körper – allerdings nicht zu nah. Corvinus schien immer noch zu frieren, jedenfalls bebte sein Körper, obwohl er offensichtlich Fieber hatte. So lange er fror, waren die Steine sinnvoll, aber sobald er nicht mehr zitterte, würden sie sie vom Bett nehmen müssen, weil sonst die Gefahr zu groß war, dass die Hitze seinem Kreislauf mehr zusetzte als dass sie ihm gutes tat.


    Mit einem Ärmel fuhr die Germanin sich über die Stirn und verzog etwas schief die Lippen, als sie zu Ursus und Nuala sah, was mit viel gutem Willen als angedeutetes Lächeln durchgehen konnte. "Danke", wisperte sie in Nualas Richtung, dann, etwas lauter und auf Latein: "Wir… müssen aufpassen. Er, wenn er nicht mehr kalt ist, nicht mehr… friert, müssen Steine weg." Die Müdigkeit machte sich langsam bei Siv bemerkbar, was sich unter anderem in den fehlenden Artikeln zeigte, eine Angewohnheit, die sich bei ihr über Monate eingeschliffen hatte und die ihr nun einige Schwierigkeiten bereitete sowie Konzentration beim Sprechen von ihr abverlangte, es abzulegen. Der Tag war lang gewesen, und die letzte halbe Stunde hatte sie zusätzlich angestrengt, nicht weil sie sonderlich viel zu tun gehabt hätte bei Corvinus’ Pflege, sondern wegen der Sorgen, die sie sich inzwischen um ihn machte. "Die… Wadenwickel?" Siv wusste beim besten Willen nicht, was Wadenwickel auf Latein hieß. Hilfesuchend sah sie zuerst zu Nuala, dann gestikulierte sie zu Corvinus’ Füßen. "…das da. Muss weg, bald, und neue hin." Genauer gesagt, sobald sie einigermaßen trocken waren, was bei Corvinus’ derzeitiger Temperatur nicht allzu lange dauern dürfte. In Gedanken kalkulierte sie, wie oft sie neue Wickel würden ansetzen können, bevor es besser war aufzuhören. Bei ihnen galt dasselbe wie bei den Steinen, nur umgekehrt: das Fieber durfte nicht zu schnell sinken, um den Kreislauf nicht zu sehr zu belasten.


    Siv kümmerte sich nicht zum ersten Mal um Fieberkranke, wie wohl nahezu jede Frau, die in einer Welt wie der ihren aufgewachsen war, obwohl das letzte Mal schon etwas her war. Sie wusste, was zu tun war, worauf sie zu achten hatte, damit die Maßnahmen nicht ins Gegenteil umschlugen, und kannte die Risiken, die es gab, wenn man zu lange wartete, ohne dass sie sie sonderlich gestört oder behindert hätten. Jetzt aber taten sie es. Und Siv wusste, dass das nicht daran lag, dass sie sich unsicher war – sie wusste nach wie vor, was zu tun war. Es lag daran, dass es Corvinus war, der krank im Bett lag. Nicht einen Gedanken verschwendete Siv daran, ob es gut war, wenn ausgerechnet sie sich um ihn kümmerte – was mit dem Kind passieren würde, wenn sie sich ansteckte und ebenfalls krank wurde. Und selbst wenn sie daran gedacht hätte, sie hätte Gebete zu den Göttern geschickt, zu ihren und den römischen – seit sie von ihrer Schwangerschaft wusste, richtete sie sich mehr und mehr auch an die Götter von Corvinus’ Volk –, und ihnen Opfer versprochen, damit sie sie und ihr Kind beschützten – und wäre geblieben. An ihre Schwangerschaft dachte sie immer noch nicht, dafür aber an die Götter. Sie sah Ursus an. "Wer… was für, welcher Gott ist zuständig, für Kranke? Welcher römische?"

  • Geduldig, nein, eigentlich nicht geduldig, aber der Stimme der Vernunft gehorchend, wartete Ursus, bis die Sklavinnen seine Fragen endlich beantworteten. In einer anderen Situation hätte er es sich gewiß nicht gefallen lassen, daß sie ihn einfach warten ließen, doch hier und heute war nicht zu übersehen, daß sie erst handeln mußten, bevor sie reden konnten. Mit jeder Minute, die er dort stand, wurde klarer, wie schlecht es Corvinus ging.


    "Ich denke, wir sollten einen Medicus rufen", sagte er mit hörbarer Sorge in seiner Stimme, während sein Blick weiter auf dem Onkel lag und verfolgte, was die mit ihm beschäftigten Sklavinnen taten. Nualas Antwort beruhigte ihn zwar ein wenig, trotzdem war er sich noch nicht so sicher, ob er das einfach so hinnehmen sollte. Sie klang so, als wäre kein Arzt vonnöten. Doch wenn er Corvinus so ansah, dann fühlte er sich in der Pflicht, für Hilfe zu sorgen. In so schlechtem Zustand hatte er seinen Onkel noch nie gesehen. Und sein Herz fühlte sich an, wie von einer eisigen Hand umklammert. Zu viele der Familie waren in den letzten Jahren gestorben. Marcus mußte leben!


    "Apollo", antwortete er dann auf Sivs Frage, die ihn aus diesen finsteren Gedanken riß. "Und Aesculapius. Ja, ein Opfer ist mehr als angebracht, doch wohl kaum vor morgen früh möglich." Es war zu spät. Um diese Zeit würde er keinen Priester mehr finden, der für ihn ein Opfer durchführte. Im Moment konnte er nur an den Hausaltar gehen und dort den Schutz der Ahnen und der Hausgötter erbitten. "Siv... Mattiacus ist nicht in Rom. Wir könnten die Flavier fragen, ob sie einen guten Arzt kennen. Ich will nicht irgendeinen rufen, er könnte mehr schaden als nützen." Er blickte zu Nuala herüber. "Nuala, Siv, - ist es einfach nur Fieber, das ihr auch ohne Hilfe in den Griff bekommt?" Er war drauf und dran, sämtliche verfügbaren Sklaven loszuschicken, um einen brauchbaren Arzt aufzutreiben. Wüßte er nicht genau, daß Siv sich mit der Heilkunst auskannte, würde er gar nicht erst lange fragen, sondern einfach handeln.

  • "Wadenwickel meint sie.", ergänzte sie, als Siv das lateinische Wort nicht einfiel.
    Nuala war sich nicht schlüssig, ob unbedingt ein medicus her musste, oder ob sie es nicht auch alleine schaffen konnten. Im Grunde konnte der aber auch nichts anderes machen, als das, was Siv und sie schon taten. Aber das hatte nicht sie zu entscheiden und deshalb erwiderte sie nichts auf Ursus´ Worte. Sie hatten sowieso alle Hände voll zu tun. Da blieb wenig Zeit, um sich um diese Fragen Gedanken zu machen.
    "Wir sollten versuchen, ihm etwas Flüssigkeit einzuflößen. Er muss viel trinken, wenn möglich. Der Aufguss müsste jetzt so weit sein! Ich richte ihn auf und du versuchst ihm den Aufguss einzuflößen. Einverstanden?", meinte sie zu Siv, nachdem sie den Wadenwickeln soweit waren. Sie überließ ihr gerne die weniger körperlich anstrengende Arbeit, weil sie ja um Sivs Schwangerschaft wusste. Unbewusst war sie wieder ins germanische gewechselt, so wie sie es immer tat, wenn sie sich mit Siv oder einem anderen germanischen Sklaven unterhielt.
    Nuala hatte vollstes Verständnis für Ursus´ Sorge, die einfach daraus resultierte, etwas Hilfreiches beitragen zu wollen. Schließlich sah sie zu ihm auf. "Im Moment sieht es ganz danach aus, als sei es "nur" Fiber, das wir in den Griff bekommen können. Oder was meinst du Siv?"

  • Als Ursus das erste Mal vorschlug, einen Medicus zu rufen, verstand Siv gar nicht, was er sagte – zu sehr konzentrierte sie sich in diesem Moment auf Corvinus. Seine Antwort auf ihre Frage jedoch hörte sie. „Apollo. Und Aesculapius“, wiederholte sie, entschlossen, zum Hausaltar zu gehen und etwas Weihrauch zu verbrennen, sobald sie die Gelegenheit dazu hatte. Corvinus war Römer, es erschien ihr nur logisch, römische Götter darum zu bitten, dass er wieder gesund wurde. Allerdings wusste sie nicht, wann sie hier weg konnte – und vor allem wusste sie nicht, wann sie hier weg wollte. Wenn es nach ihr ging, würde sie vermutlich erst dann wieder diesen Raum für einen längeren Zeitraum verlassen, wenn es Corvinus schon wieder so gut ging, dass keine Bitte, sondern ein Dank angebracht war. Siv schickte ein stummes Stoßgebet zu den beiden Göttern, die Ursus ihr genannt hatte, eine flehentliche Bitte, Corvinus wieder gesund werden zu lassen, eine Entschuldigung dafür, dass sie im Augenblick nicht opfern konnte, nicht einmal am Hausaltar, und das Versprechen, dies so bald wie möglich nachzuholen.


    Sie nickte Nuala auf deren Vorschlag hin zu. „Ja, ich denk auch, dass der Aufguss fertig ist“, antwortete sie, unwillkürlich ebenfalls auf Germanisch. „In Ordnung, machen wir so. Du-“ In diesem Moment sprach Ursus erneut das Thema Medicus an, und diesmal hörte Siv ihn. Sie zögerte. Sie war absolut dafür, einen Medicus zu rufen – allerdings war sie sich nicht sicher, ob das wirklich nötig war, oder ob sie nur dieses Bedürfnis hatte, weil es eben Corvinus war, der dort im Fieberschlaf lag. Sie war nicht objektiv, dafür bedeutete er ihr zu viel. Während sie die Unterlippe zwischen die Zähne zog und noch überlegte, gab Nuala bereits ihre Einschätzung der Lage zum Besten. Siv bewegte ihren Kopf. „Ich weiß nicht…“ Sie sah zu Corvinus und biss sich erneut auf die Unterlippe, diesmal so stark, dass sie beinahe zu bluten begann. „Wir warten bis morgen. Wenn bis dahin nicht besser, dann rufen wir Medicus.“ Ihr Blick wandte sich wieder Ursus zu, während sie nach dem Aufguss griff, einen Becher davon einschenkte und darauf wartete, dass Nuala Corvinus etwas aufrichtete. „Ich kenne einen Medicus. A… Arcatus… Aca… Ara… Brix weiß ihn, und weiß wo er wohnt. Er ist sehr gut.“ Als sie das sagte, klang ihre Stimme überzeugt, und das war sie auch – seit Aracus von Zákinthos sie untersucht hatte, genauer gesagt, seit er ihr offenbart hatte, dass er von ihrer Schwangerschaft wusste, ohne dass sie ihn überhaupt von ihrem Verdacht in Kenntnis gesetzt hatte, war sie von ihm beeindruckt – und er hatte eine freundliche, ruhige, aber nichtsdestotrotz bestimmte Art, die Vertrauen einflößte. Auch wenn er die – für Siv zumindest – extrem unangenehme Angewohnheit hatte, nicht zu erklären, was er gerade tat. Dann griff sie sich ein Tuch und setzte sich zu Corvinus, dessen Schultern und Kopf Nuala etwas angehoben hatte, und versuchte vorsichtig, ihm etwas von dem Kräuteraufguss einzuflößen. Zunächst gestaltete sich das als eher schwierig, und Siv war froh, dass sie an das Tuch gedacht hatte, das die überlaufende Flüssigkeit abfing, bevor sie Corvinus’ Schlaftunika oder Bettzeug erreichte. Dann jedoch begann der Kranke, auf die zusätzliche Flüssigkeit in seinem Mund zu reagieren, und vollführte langsame Schluckbewegungen, die nicht wirklich viel die Kehle hinunter beförderten, aber immerhin etwas.

  • Die Sklavinnen glaubten, allein damit zurecht zu kommen. Durfte er ihrem Urteil vertrauen? Er wußte, er war es, der die Entscheidung zu fällen hatte. Und er mußte sie rechtzeitig fällen, damit Corvinus auf jeden Fall noch geholfen werden konnte. Andererseits sah es tatsächlich so aus, als wüßten die Frauen, was sie da taten. "Dann... versucht es erst einmal selbst. Ich werde zum Hausaltar gehen und opfern und die Ahnen und die Götter um ihre Hilfe bitten... Danach komme ich wieder her. Wenn es ihm dann schlechter geht, schicken wir Brix zu diesem Medicus. Ich will kein Risiko eingehen und es nützt auch nichts, wenn wir den Medicus erst rufen, wenn ihr feststellt, daß ihr nicht genug habt tun können. Denn es könnte sein, daß er ihm dann auch nicht mehr helfen kann."


    Er war schon ausgesprochen erleichtert, daß Siv den Namen eines guten Medicus kannte. Woher wohl? Aber war das wichtig? Hauptsache, sie brauchten keine wertvolle Zeit zu verschwenden, wenn sie sich entschlossen, einen Fachmann dazu zu holen. Brix also kannte ihn. Das war gut. Ursus atmete tief durch und legte Siv sanft eine Hand auf den Arm, aber so, daß er sie in ihrer Tätigkeit nicht behinderte. "Glaube nicht, daß ich nicht Deinen Fähigkeiten vertraue, Siv. Ich habe damals bei Helena gesehen, daß Du weißt, was Du tust. Aber es geht um ein Leben. Um einen Menschen, der mit sehr wichtig ist. Ich will ihn nicht verlieren. Schon gar nicht, weil ich zu wenig getan habe, um das zu verhindern." Sie mochten sich nicht sehr gut verstehen, Marcus und er. Aber das waren doch nur Streitigkeiten. Sie waren eine Familie! Er blickte die beiden Sklavinnen nochmal prüfend an. Dann nickte er und verließ das Zimmer, um den Beistand der Ahnen und der Götter zu erflehen.

  • Nuala packte Corvinus bei den Schultern und stütze ihn, während Siv ihm den Aufguss einzuflößen begann. Von der Flüssigkeit ging einiges daneben, aber als etwas von dem Aufguss auch in den Mund des Römers gelangte, begann der zu schlucken. Er brauchte die Flüssigkeit, nachdem er so viel geschwitzt hatte und immer noch schwitzte.


    Die Germanin konnte Ursus davon überzeugen, dass es besser war, bis morgen mit dem medicus zu warten, wenn das überhaupt notwendig war. Ob es notwendig werden würde, zeigte sich in den nächsten Stunden.
    Als der Aurelier sah, dass alles mögliche für seinen Onkel getan wurde, verließ er Corviuns cubiculum, um den Göttern zu opfern. Bevor er das tat, versicherte er Siv, dass er ihr und ihrem Heilkundewissen vertraute.


    Nuala hatte nicht viel Zeit, dem Aurelier hinterher zu schauen. Sie hatte ihre Mühe, Corvinus zu halten. Als der Aufguss langsam zur Neige ging, ließ sie ihn sachte wieder auf sein Bett gleiten. Nun gab es im Augenblick nicht mehr viel zu tun, als zu warten und zu beobachten, bis die nächsten Wadenwickel wieder gewechselt werden mussten oder die heißen Steine entfernt werden mussten.
    Nuala atmete tief durch und blickte forschend in das Gesicht der Germanin, sagte aber nichts. Sie verstand,was in ihr vorgehen musste und eswar ihrer Meinung nach falsch, ihr gut zureden zu wollen. Siv wusste selbst genau, wie es um Corvinus stand. Beinnahe beneidete sie die Germanin sogar dafür, dass sie jemanden hatte, der ihr soviel bedeutete.
    Nach einer Weile spürte sie die Müdigkeit in sich hochkommen. Sie sah, dass sie im Augenblick nichts mehr tun konnte. Außerdem wollte sie noch einmal nach Orestes schauen. "Ruf mich einfach, wenn du mich wieder brauchst.", sagte sie der Germanin und verließ das Zimmer.

  • Siv lag die Bitte auf der Zunge, Ursus möge auch in ihrem Namen die Götter um Hilfe bitten, aber sie hielt sich zurück. Stattdessen nickte sie nur. "Ja. Wenn es schlechter wird, dann auf jeden Fall Medicus." Das stand außer Frage für sie. Selbst wenn Corvinus’ Zustand sich nicht verschlechterte, sondern unverändert blieb, würde sie spätestens in der Früh Brix bitten, nach dem Medicus zu senden. Sie konnte Ursus verstehen, aber er brauchte sich keine Sorgen machen, schon gar nicht in diesem Fall. Sie hatte nicht vor, irgendein Risiko einzugehen. Mit vorsichtigen Bewegungen fuhr sie fort, Corvinus den Aufguss einzuflößen, als Ursus zu ihr kam und ihr eine Hand auf den Arm legte. Es geht um ein Leben. Einen Menschen, der mir sehr wichtig ist. Siv grub heftig die Zähne in die Unterlippe. Ich will ihn nicht verlieren. Diesmal musste sie sich zusammenreißen, um sich einen Kommentar verbeißen – oder einen Gefühlsausbruch, der entweder in einem kleinen Wutanfall geendet hätte oder in wilden Schluchzern. Sie konnte gar nicht sagen, ob sie Tränen näher war oder daran, Ursus anzufauchen, aber sie wusste, dass beides nicht half – und dass letzteres ungerecht war. Ursus war nicht der einzige, der Corvinus nicht verlieren wollte, und Siv war überzeugt davon, dass er nicht solche Angst um ihn hatte wie sie – aber das konnte er nicht wissen. Er wusste nicht, was sie empfand. Sie wiederholte das, in Gedanken, mehrmals hintereinander, während ihre Hand zitterte und sie gleichzeitig den Wunsch bekämpfte, es ihm zu sagen, oder besser, ihm um die Ohren zu schleudern. Was ihre Angst um Corvinus anging, war sie allein.


    "Ich weiß", presste sie schließlich hervor. "Ich… passe auf. Ich sage Brix Bescheid, rechtzeitig, wenn nichts hilft." Nun endlich sah sie hoch zu Ursus. "Das werde ich." Sie hielt seinem prüfenden Blick stand, und in ihren Augen war nichts zu lesen als die Sorge, die sich auch in seinen spiegelte – und schließlich nickte er und wandte sich ab, um das Zimmer zu verlassen und den Göttern zu opfern. Siv sah ihm einen winzigen Augenblick hinterher, dann wandte sie sich wieder Corvinus zu. Der Aufguss war inzwischen fast leer – ungefähr die Hälfte war vorbei oder wieder aus dem Mund gelaufen und vom Handtuch aufgefangen worden, wie Siv feststellte, als Nuala den Mann wieder sinken ließ und sie die Sachen beiseite legte. Aber das hieß, dass er die andere Hälfte getrunken hatte, und das war einiges, immerhin. Beide Sklavinnen schwiegen, während sie nun da saßen und warteten, und Siv wollte gerade sagen, dass Nuala auch gehen könne, weil es momentan nichts mehr zu tun gab – jedenfalls nichts, was sie nicht auch allein bewältigen konnte –, da erhob sich die andere und verabschiedete sich. "Mach ich. Und danke!" rief sie ihr leise nach, als Nuala den Raum verließ. Dann stand sie ebenfalls auf und prüfte die Wadenwickel, nur um festzustellen, dass diese bereits von der Hitze des Körpers getrocknet waren. Das Fieber allerdings schien noch nicht nennenswert gesunken zu sein, also erneuerte Siv die Wickel, mit erzwungen ruhigen Bewegungen, weil ihre Hände bebten. Anschließend setzte sie sich wieder ans Kopfende des Bettes, angelte nach einem der Tücher und benetzte es mit kaltem Wasser, um es wieder auf seine Stirn zu legen. Kühlte ihre Hände im Wasser und strich ihm dann sacht über das Gesicht. "Marcus… Werd wieder gesund. Hörst du? Werd bloß wieder gesund…" Wieder biss sie sich auf die Unterlippe, diesmal, um Tränen zurück zu drängen. Heulen half nicht, nicht im Geringsten. Sie musste sich irgendwie ablenken. "Möchtest du eine Geschichte hören? Weißt du noch, als du mir erzählt hast von Pegasus, und Celeris – und ich von Sleipnir?" Sie konnte sich noch so gut an diese Nacht erinnern, so lang sie inzwischen auch her sein mochte. "Ganz ehrlich, ich hatte nicht den Eindruck, dass du da meine Geschichte wirklich verstanden hast. Hm… Kein Wunder, würde ich sagen, da konnte ich noch kaum Latein. Und jetzt sieh mich an, ich bin doch wirklich besser geworden, oder nicht?" Ein vages Lächeln flog über ihr Gesicht, als ihr bewusst wurde, dass sie gerade Germanisch sprach. "Was hältst du davon, wenn ich dir die Geschichte noch mal erzähle, richtig diesmal…" Und Siv begann zu erzählen, auf Germanisch – immerhin hatte sie ja gesagt, sie wolle sie richtig erzählen. Und wenn Corvinus sie überhaupt hörte, würde für ihn ohnehin vermutlich nur der Klang ihrer Stimme zählen, nicht die Worte. Leise schwebten die Worte durch den Raum, getragen von ihrer Stimme, während Siv die Geschichte von dem Frostriesen erzählte, der von den Asen den Auftrag bekam, Asgard zu bauen, und dafür die Göttin Freya und mit ihr Sonne und Mond als Lohn wollte…

  • Irgendetwas war anders.


    Ich schlug die Augen auf und sah zum ersten Mal seit langem wieder klar. Die Vorhänge waren halb zugezogen, Stäubchen tanzten träge im Sonnenlicht vor dem Fenster. Jemand hatte eine Vase Fresien auf den schmalen Tisch gestellt. Die Hand, mit der ich mir mühsam über die Stirn fuhr, schien nicht zu meinem Körper zu gehören. Die Haut wirkte seltsam brüchig und hatte den Anschein von Pergament. Meine Lippen waren rissig, aber ich hatte scheinbar kein Fieber mehr. Wie lange ich wohl hier gelegen hatte? Viel zu lange. Ich blinzelte träge und setzte mich auf. Zu hastig vermutlich, denn plötzlich drehte sich alles in einem ungeheuren Wirbel, und mir wäre sicher schwarz geworden vor Augen, wenn ich sie nicht ohnehin bereits zusammengekniffen hätte. Ein halb unterdrücktes, unzufriedenes Murren entwand sich meiner Kehle, ehe ich ungeduldig die Decke zurückschlug und einen Fuß über den Rahmen des Bettes hinaus bugsierte. Ich ließ den Blick beiläufig über das Bein schweifen, an dem der Fuß hing. Es war dünn, wie ich irritiert feststellte. Eine Vorahnung packte mich. Am Ende war ich nicht mehr bettlägerig, sondern bereits tot. Ich musste mich im Spiegel betrachten, doch der erschien mir nun recht weit entfernt von meiner jetzigen Position. Dennoch, ich musste mich vergewissern, dass ich nur abgenommen hatte, nichts weiter. Also hievte ich mich irgendwie aus dem Bett heraus, froh darüber, dass die Wand nicht nachgab, als ich mich schwer dagegen lehnte. An der Tür vorbei, durch welche die alltäglichen, mir allzu vertrauten Geräusche der villa drangen, schob ich mich langsam, aber stetig auf den Spiegel zu, der unschuldig über der Kommode mit der Waschschüssel hing, bis ich schließlich ohne Zwischenfall bei eben jenem anlangte. Mich mit den Armen rechts und links aufstützend, riskierte ich einen Blick und sah doch nicht mich selbst, sondern einen bärtigen, aschfahlen Mann mit tief in den Höhlen liegenden Augen und viel zu langem, wirr abstehendem Haar. Entsetzen breitete sich allmählich auf dem Gesicht im Spiegel aus, als gleichzeitig die Erkenntnis in mir reifte, dass ich wohl dem Tod wahrhaftig von der Schippe gesprungen war. Erst jetzt bemerkte ich das Zittern meiner Beine, welche der ungewohnten Belastung nach der langen Liegezeit nicht Stand halten konnten. Langsam und ohne den Blick von meinem Ebenbild im Spiegel zu nehmen, ließ ich mich auf den Hocker sinken und brachte mein Hirn auf Trab. Ich brauchte eine Rasur und einen Haarschnitt. Ich brauchte etwas zum Anziehen, das nicht an mir klebte wie eine zweite Haut. Und ich musste etwas essen, damit mir keine lebende Leiche mehr aus dem Spiegel entgegenblickte. Aber erst wollte ich noch ein wenig sitzen bleiben und verschnaufen, denn obwohl es mir peinlich war, es zuzugeben, so hatte mich der kurze Weg aus dem Bett hierher doch erschöpft.

  • Wie ich so dasaß und nachdachte, welche Schritte ich wie priorisieren sollte, fragte ich mich wieder, wie lange ich wohl ausgefallen war. Ich dachte an Celerina und Siv und an Ursus und Avianus, an Laevina und Prisca und Severa und auch an Minervina, die wir letzten Endes doch zur Erholung ans Meer geschickt hatten. Ich war nicht auf dem neuesten Stand, was meine Familie und die sie betreffenden Obliegenheiten anbelangte. Ich wusste nicht, wer in meiner geistigen Abwesenheit die Familiengeschäfte weitergeführt hatte und ob es überhaupt etwas von größerer Wichtigkeit als das Tagesgeschäft gegeben hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie es den anderen ging und was sie taten oder wie sich die Dinge entwickelt hatten. Und das ließ mich unbehaglich fühlen, beinahe schuldbewusst.


    Schlussendlich stemmte ich mich an der Kommode hoch und schwankte in Richtung der Tür, um mir einen Sklaven zu organisieren, der hoffentlich mehr wusste als ich und mich mit Informationen versorgen konnte. Ich öffnete die Tür aus dunklem Holz und blinzelte in den helleren Flur hinaus, an dessen anderem Ende soeben Dina und Sofia standen und schwatzten. Letztere hielt einen Weidenkorb voller Wäsche unter einem Arm, und beide hielten sie in ihrer Unterhaltung inne, als ich auf den Gang hinaus trat und in ihre Richtung blickte. dominus? Oh, dominus!“ entfuhr es ihr, nachdem ihre Lippen kurz das Rund eines verblüfften Os gezeichnet hatten. Dann rutschten ihre Brauen hinauf und Dina starrte mich an, während Sofia den Korb abstellte und hernach auf mich zu eilte. “Du bist ja wach! Und du gehst schon spazieren? Geht es dir denn gut, Herr? Du solltest nicht hier herumlaufen, sondern dich ausruhen und-„ “Sofia, mir geht es ganz gut. Ich würde nur gern diese ganzen Haare loswerden“, unterbrach ich sie mit rauer Stimme, runzelte die Stirn ob ihrer Tiefe und räusperte mich. Sofia blinzelte und nickte dann. “Na klar! Ich werde gleich Naavi zu dir schicken und Saba am besten auch gleich. Obwohl… He, Dina, kannst du das für mich tun? Brauchst du sonst noch etwas? Die anderen werden sich bestimmt freuen, Herr. Zumindest die, die noch da sind!“ erwiderte sie und lächelte, nachdem Dina fort war und sie sich mir wieder zugewandt hatte. Ihre Worte ließen mich die Stirn runzeln. “Die noch da sind?“ hakte ich nach. “Ja… Also, dominus Avianus ist immer noch im kalten Germanien, und dominus Ursus hat sich ein zweites Mal zum Militär gemeldet“, erzählte sie. Ich sah sie überrascht an und kniff dann die Augen zusammen. “Wer gibt auf die Mädchen acht?“ wollte ich wissen, und als Sofia ein wenig verlegen zur Seite sah und überlegte, konnte ich die Antwort bereits erraten und seufzte resigniert. “In Ordnung. Schick mir einfach Saba und Naavi, und sieh auch zu, dass Arsinoe sich bereithält. Und sage Brix, dass ich ihn sehen will, wenn ich wieder einigermaßen wie ein Mensch aussehe…“ wies ich sie an und wandte mich bereits wieder halb um, um zurück ins Zimmer zu gehen. Sofia murmelte noch eine Zustimmung, dann eilte sie zurück zu ihrem Korb und mit diesem davon. Ich selbst wagte mich noch zu der schmalen Verbindungstür zu Sivs Kammer hin und klopfte, doch als niemand öffnete und auch sonst kein Laut zu hören war, wankte ich wieder zu dem Hocker, setzte mich und wartete.


    Sim-Off:

    Falls jemand das übernehmen möchte? Außer Corvinus weiß nämlich auch ich selbst nicht mehr als das, was oben im Text steht.

  • Entgegen der Anweisungen ihres Herrn machte Sofia sich nicht zuerst auf die Suche nach Saba oder Naavi, sondern nach Siv. Und weil sie die Germanin inzwischen recht gut kannte, führte sie ihr Weg zuerst in den Garten, wo sie sie auch tatsächlich fand. Siv hatte sich in den letzten Wochen wieder mehr zurückgezogen. Als klar geworden war, dass Corvinus nicht innerhalb weniger Stunden oder Tage wieder auf den Beinen sein würde, sondern an einer schlimmeren Krankheit litt, hatte Brix ihr verboten, sich weiter um ihn zu kümmern. Sie hatte nicht vorgehabt, auf ihn zu hören, aber Brix kannte sie viel zu gut, um darauf zu vertrauen, dass sie einfach so gehorchen würde. Er hatte die Tür verschlossen, die von ihrer Kammer in Corvinus’ Gemach führte, damit sie nicht etwa auf die Idee kam, sich nachts zu ihm zu schleichen, und er sorgte dafür, dass jeder der Sklaven Bescheid wusste – vor allem die, die bei Corvinus waren und ihn versorgten. Als Siv gemerkt hatte, dass Brix ihr keine Chance ließ, war sie zu ihm gegangen und hatte gebeten, fast gebettelt, dass er sie zu Corvinus ließ. Aber der Maiordomus hatte sie nur angesehen und seinen Blick dann zu ihrem Bauch wandern lassen. "Und dein Kind? Schon mal daran gedacht?" hatte er nur gefragt – und Siv hatte nur die Zähne zusammen gebissen. Sie hatte tatsächlich nicht daran gedacht. Sie wollte bei Corvinus sein, wollte sich um ihn kümmern – was es anrichten konnte, wenn sie ebenfalls krank wurde, was dann mit dem Kind passieren würde, daran hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt keinen Gedanken verschwendet. Und sie wusste, dass es bedeuten konnte, wenn eine Schwangere krank wurde. Manche sagten es sei schlicht eine Strafe der Götter, manche, dass das Kind, weil es im Bauch war, noch viel stärker getroffen wurde von der Krankheit als die Mutter, und manche führten es schlicht der Tatsache zu, dass Kinder empfindlicher waren als Erwachsene – je kleiner sie waren, desto mehr. Wie es auch sein mochte, Siv wusste eines: nicht immer überlebten die Kinder es, und wenn sie es taten, waren sie nicht immer gesund, wenn sie schließlich auf die Welt kamen. Also gehorchte sie schließlich doch. Und trotzdem fühlte sie sich innerlich zerrissen. Sie würde, wollte nichts tun, was ihr Kind gefährden könnte. Aber sie sehnte sich danach, bei Corvinus zu sein, ihm irgendwie zu helfen, für ihn da zu sein, seine Hand zu halten. Die anderen erzählten ihr, dass es nicht viel gab, was sie tun konnten, dass er kaum bei Bewusstsein war, nur selten wach genug, um es überhaupt zu realisieren, und noch seltener bei so klarem Verstand, dass er wusste wo er war und wer sich bei ihm befand. Aber das alles nur aus Erzählungen zu hören und nicht selbst da sein zu können, machte es für Siv fast noch schlimmer. Sie fühlte sich noch hilfloser als sie es getan hätte, hätte sie wenigstens bei ihm sein können.


    Und so hatte sie sich wieder zurückgezogen, wie sie es häufig tat, wenn es etwas gab, was sie bedrückte. Die wenige Zeit, die sie mit Brix verbringen konnte, tat ihr gut, weil der Germane nicht meinte, sie aufmuntern oder ablenken zu müssen. Er war einfach da. Aber die Arbeit wartete nicht, und so verbrachte Siv weit weniger Zeit in seiner Gesellschaft, als ihr lieb gewesen wäre. Dass sie selbst nur wenig zu tun hatte, machte ihre Situation auch nicht besser. Am liebsten hätte sie den ganzen Garten umgegraben, aber körperliche Arbeit kam nicht in Frage – dass Corvinus im Bett lag und kaum etwas davon mitkriegen, geschweige denn etwas dagegen tun konnte, spielte für Brix keine Rolle. Die Anweisung, dass Siv keine anstrengende körperliche Arbeit mehr verrichten sollte, war unumstößlich. Was die Germanin mit recht wenig zurückließ, womit sie sich hätte ablenken können. So sehr ihr sowohl das Lernen Spaß machte als auch das Lesen, dass sie mehr und mehr für sich entdeckte, und die ganze Organisation des Haushalts, die in Brix’ Händen lag und bei der sie ihm half – in den letzten Wochen hatte sie feststellen müssen, dass geistige Anstrengung nicht denselben Dienst tat wie körperliche, wenn es darum ging, die Gedanken abzulenken, wenn sie beständig um etwas Bestimmtes kreisten. Das Gegenteil war der Fall. Häufig war Siv nur unkonzentriert bei der Sache, weil sie immer an Corvinus denken musste und daran, wie es ihm ging. Ob er wieder gesund wurde… Das war der einzige Gedanke, den sie gekonnt und dauerhaft verdrängte. Dass Corvinus sterben könnte, diesen Gedanken ließ sie einfach nicht zu. Aber die Angst war dennoch da, unterschwellig, und sie blieb.


    Als Siv an diesem Nachmittag durch den Garten ging, um zu sehen, was in der nächsten Zeit getan werden musste – hier mussten ein paar Pflanzen zugeschnitten werden, dort einige Neuzugänge umgepflanzt, weil sie ihnen der schattige oder lichte Standort nicht behagte, wieder an einer anderen Stelle musste Platz geschaffen werden für einen weiteren Neuzugang –, ging es ihr weit besser als in den letzten Wochen. Corvinus schien auf dem Weg der Besserung zu sein, nach allem, was sie hörte. Brix ließ sie zwar immer noch nicht zu ihm, aber lange konnte es nicht mehr dauern. Lange würde sie es nicht mehr gefallen lassen, so einfach war das. Wenn Corvinus wieder am gesund werden war, bestand doch sicher keine Gefahr mehr, dass sie ebenfalls krank wurde. Rein körperlich gesehen ging es ihr so gut wie bisher noch nie in der Schwangerschaft. Die anfängliche Übelkeit, die bei ihr so heftig ausgefallen war, sich lange nicht nur auf den Morgen beschränkt hatte und zu allem Überfluss auch noch länger angedauert hatte als gewöhnlich, schien sie endlich hinter sich gelassen zu haben, und auch die ständige Müdigkeit wurde geringer. Als Sofia also nun auf sie zukam und ihr aufgeregt mitteilte, dass Corvinus nicht nur wach, sondern sogar schon wieder auf den Beinen war, überlegte Siv nicht lange. Um genau zu sein, sie überlegte gar nicht. Sie ließ Sofia im Garten stehen und lief zum Haus, durch die Gänge, bis sie schließlich vor Corvinus’ Tür stand. Ohne zu klopfen trat sie ein, nur um dann für den Bruchteil eines Moments wie angewurzelt stehen zu bleiben, als sie Corvinus sah. Sie war erschrocken darüber, wie mitgenommen er tatsächlich aussah – natürlich hatte sie gewusst, dass eine so lange Krankheit nicht vorüberging, ohne Spuren hinterlassen zu haben, aber da sie ihn die letzten Wochen nicht gesehen hatte, hatte sie sich nicht wirklich ein Bild davon gemacht. Aber er war wach, und seine Augen waren klar. Siv löste sich von der Tür und ging zu ihm hinüber, um ihm wortlos um den Hals zu fallen, während sie ihr Gesicht an seiner Schulter vergrub, um nicht zu zeigen, dass ihr lange unterdrückte Tränen in die Augen stiegen.

  • Als die Klinke sich senkte, hob ich den Blick und sah zur Tür hin. Ich hätte mit Naavi gerechnet, der zehn Utensilien tragend herein kam und sich lispelnd erkundigte, ob es mir auch tatsächlich wieder gut ging. Mit Dina, die sich mit Rollo stritt, bis sie sich dessen gewahr wurde, dass ich sie bemerkt hatte. Oder mit Sofia, wie sie mit dem Hintern voran das Zimmer betrat, weil sie ein Tablett mit sich trug, auf dem sich Essen für eine fünfköpfige Familie befand.
    Aber nicht mit Siv.


    Nicht mit Siv, deren Bauchansatz sich jetzt deutlich unter der Kleidung abhob. Und die recht verloren plötzlich hinter der Tür im Raum stand und mich entgeistert anstarrte, zumindest, bis irgendetwas anderes in ihre Augen und auf ihr Gesicht trat und sie auf mich zu gestürmt kam, noch ehe ich sie anlächeln konnte. Wortlos vergrub sie ihr hübsches Gesicht an meiner Schulter, und ein klein wenig später legte ich meine Arme um sie und zog sie zu mir auf den Schoß, ebenfalls ohne etwas zu sagen. Sie war ganz leicht. Zuckten ihre Schultern etwa? Sie weinte doch nicht? "Sschh..." machte ich und begann ganz automatisch, sie sachte mit mir vor und zurück zu wiegen. Die Rechte löste sich und fuhr ihr in gleichförmiger Bewegung immer wieder übers Haar, das lang geworden war. Lange schwiegen wir beide, bis ich irgendwann beim Wiegen langsamer wurde und sie vorsichtig ein wenig von mir löste. "Was hast du denn?" fragte ich ein wenig planlos. Mein linkes Bein schlief allmählich ein, aber ich schwieg, denn ich wollte nicht, dass sie aufstand.

  • Als Corvinus nur seine Arme um sie legte und sie auf seinen Schoß zog, war es mit Sivs Selbstbeherrschung vorbei. Sie bemühte sich, sich zusammenzureißen, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihre Schultern bebten und einige Tränen ihre Wangen hinunterrannen. Sie schmiegte sich noch enger an ihn und ließ ihren Kopf dort, wo er war – verborgen an seiner Schulter, wo niemand sehen konnte, dass ihre Gefühle mal wieder mit ihr durchgingen. Das war einer der großen Nachteile einer Schwangerschaft, in ihren Augen jedenfalls. Sie war so viel empfindlicher als normalerweise, hatte sie manchmal den Eindruck. Sie hatte nicht so sehr ein Problem damit, wenn sie Tage hatte, an denen sie schlicht gereizter war als üblich, aber sie konnte sich definitiv nicht mit den Phasen anfreunden, in denen sie das Gefühl hatte sie wäre der Himmel und Freyr habe sie mit Regenwolken überzogen, die ihre Last los werden wollten. Und so saß sie einfach nur da, ließ sich von ihm wiegen, von ihm trösten, obwohl ihr eine Stimme zuflüsterte, dass eigentlich sie diejenige sein sollte, die sich um ihn kümmerte, nicht umgekehrt. Es war ihr egal. Sie brauchte seinen Trost, seine Nähe, ihn einfach zu sehr, um das zu tun, was wohl richtig gewesen wäre in diesem Moment.


    Irgendwann schob Corvinus sie dann doch ein wenig von sich fort, und Siv löste einen Arm von seiner Schulter und fuhr sich schnell mit dem Handrücken über die Augen und Wangen, um die Tränenfeuchtigkeit wegzuwischen. Dann bemühte sie sich um ein Lächeln – was ihr auch tatsächlich gelang, wenn auch reichlich schief. "Nichts", antwortete sie und fuhr sich, diesmal mit dem Handballen, noch einmal über die rechte Wange. "Es ist nur… du bist so krank gewesen, so schwer, so lange. Und Brix hat nicht gelassen mich zu dir. Er hat gesagt, ich soll weg bleiben." Siv legte eine Hand an Corvinus’ Wange, auf den Bart, der sich gebildet hatte, während ihr Daumen sacht über den Wangenknochen strich. "Ich… ich hab dich vermisst. … Du hast mir gefehlt." Sie neigte sich nach vorn, bis ihre Lippen die seinen berührten, und küsste ihn sacht, bevor sie ihren Kopf wieder zurückzog. "Was willst du? Hast du, bist du hungrig?"

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