cubiculum MAC | ...und da lag er darnieder

  • Heiße Tränen liefen mir in den Kragen. Ich intensivierte meine Bemühungen noch, sie streichelnd zu beruhigen, und schwieg dazu. Siv war keine Frau, die man darauf ansprechen sollte. Meistens war es ihr peinlich, beim Weinen erwischt zu werden. Viel lieber gab sie sich als die unnahbare Germanin. Ich gab ihr Zeit, und als sie sich löste und mit dem Handrücken die Spuren ihre Schwäche fortwischte, lächelte ich sie schief an. Dann runzelte ich dir Stirn. "Brix hat..." begann ich leicht grollend, dann fiel mir ein, warum er dieses Verbot ausgesprochen haben könnte, und der Groll wich einem weichen Ausdruck. "...vollkommen recht. Das war weitsichtig von ihm. Du darfst dich in deinem Zustand nicht anstecken." Unwillkürlich glitt mein Blick zu der Wölbung unter ihrem Gewand, und während Siv über den leidlichen Bart strich, legte ich vorsichtig eine Hand auf das Kind, das in ihrem Leib heranwuchs. Ein leicht versonnener Ausdruck spiegelte sich auf meinem Gesicht wieder, und gleichzeitig keimte das schlechte Gewissen wieder, das nicht verschwunden war, sondern lediglich geschlafen hatte während ich krank war. Celerina.


    Eine recht willkommene Ablenkung verdrängte sämtliche Bilder, doch der Geschmack in meinem Mund war schlecht, und deswegen beendete ich den Kuss, kaum dass sie ihn begonnen hatte. "Ein wenig. Aber was ich jetzt vor allem anderen möchte, ist ein ausgiebiges Bad und ein Besuch von jemandem mit einer großen, scharfen Schere", witzelte ich. "Wie geht es dir denn? Ist dir immer noch schlecht? Du bist ziemlich dünn geworden."

  • Siv war dankbar dafür, dass Corvinus nichts sagte, nichts tat außer sie zu streicheln, während sie ihr Gesicht an seinem Hals verbarg und so auch die Tränen, die ihre Wangen hinunter liefen. Ganz abgesehen davon, dass Siv nicht gerne vor anderen weinte – auch vor Corvinus nicht – und seine Reaktion daher die beste war, war es das, einfach seine Nähe spüren, wonach sie sich in der letzten Zeit gesehnt hatte. Und so war ihr Lächeln zwar noch schief, aber ehrlich, als sie sich schließlich etwas aufrichtete und ihn zu mustern begann. Er sah nicht so aus, als könnte er Bäume ausreißen, und jetzt, wo sie ihn aus der Nähe betrachtete, fühlte sie erneut leisen Schrecken in sich aufsteigen. Corvinus war hohlwangig und bleich, das zu lange Haar und der Bart standen wirr ab, und ihn umgab immer noch der seltsame Geruch von Krankheit. Besorgt runzelte sie die Stirn, während ihre Finger über seine Wange fuhren, und nur ihr Mundwinkel zuckte kurz, als er von Brix zu sprechen begann – genauer gesagt, als sich der grollende Tonfall änderte und verschwand. Natürlich gab er Brix Recht. Wenn es darum ging, was sie in letzter Zeit alles noch tun durfte und was nicht mehr, schien jeder irgendwie Brix Recht zu geben. Als ob sie nicht mehr selbst entscheiden könne, was gut für sie war, und das störte sie dann doch, zumal vor allem Kandidaten wie Sofia sie zunehmend fragten, ob sie den Brix’ Erlaubnis habe, dies oder jenes zu tun…


    Aber der weiche Ausdruck, der plötzlich in Corvinus’ Gesicht und Stimme getreten war, wischte die Irritiertheit über die Sonderbehandlung, die sie derzeit bekam, weg. Ein zartes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als Corvinus’ Blick zu ihrem Bauch glitt und er seine Hand darauf legte. "Gut. Mir geht es gut. Ich bin… Mich, mir ist nicht mehr schlecht. Das ist vorbei, zum Glück. Endlich…" seufzte sie auf. Es war auch langsam Zeit geworden, fand sie. Bei einem der Besuche des Arztes bei Corvinus hatte Brix dafür gesorgt, dass er sie sich ebenfalls noch einmal ansah, und er hatte gemeint, noch wäre es alles normal… zwar sei es eher selten, dass die Übelkeit so lang anhielt, und unangenehm für sie, aber normal. Siv hatte sich schwer getan sich damit abzufinden, aber letztlich war ihr ja ohnehin nichts anderes übrig geblieben, und irgendwann hatte sie gemerkt, wie ihr Geruchs- und Geschmackssinn sich langsam wieder normalisierten und nicht mehr urplötzlich auf irgendetwas überempfindlich reagierten und die so vertraut gewordene Übelkeit auslösten. "Und seit Übelkeit weg ist, es ist… toll", meinte sie leise. Ihre Augen fingen an zu strahlen. Sicher, seit sie gewusst hatte, dass sie schwanger war, hatte sie immer wieder darüber nachgedacht – was es bedeutete, letztlich, dass sie ein Kind in ihrem Bauch trug, dass da ein anderes Leben in ihr heranwuchs… Aber solange sie von der Schwangerschaft nicht mehr gemerkt hatte als dass ihr viel zu oft schlecht wurde und sie überempfindlicher war als sonst, war es trotzdem irgendwie noch nicht so wirklich… real gewesen, schien es ihr. Erst jetzt, wo die Übelkeit nachließ, dafür aber ihr Bauchumfang wuchs und auch die anderen Anzeichen zunahmen, wurde ihr so wirklich bewusst, dass sie ein Kind bekam. "Ich meine, bisher… war schon gut, aber weniger Schlechtsein ist es besser. Dafür wird das mehr." Siv lachte und legte ihre Hand ebenfalls auf ihren Bauch, neben die seine, bevor sie einen schnellen Blick zur Tür warf. Sie ging davon aus, dass Sofia wohl Naavi schicken würde oder sonst jemanden, aber bisher hatte sich noch keiner blicken lassen. Und sie wollte jetzt nicht gehen, um selbst jemanden zu holen. "Sonst ist manchmal langweilig. Brix lässt kaum mich was machen, außer dass ich ihm helfe, oder eben lerne." Sie grinste, und ihrer Stimme konnte man anhören, dass ihre Worte nicht als Beschwerde gemeint waren – obwohl ihr tatsächlich immer häufiger langweilig wurde, weil sie das Gefühl hatte, nicht mehr wirklich viel tun zu können, nicht im Vergleich zu früher jedenfalls.

  • "Toll?" echote ich. Ein leichtes Schmunzeln umspielte meine Mundwinkel. Sivs Römischkenntnisse schienen während meiner Bettlägrigkeit nicht eben weiter gediehen zu sein. Dafür schien ihr die Schwangerschaft wahrlich gut zu bekommen. Ihr Strahlen wirkte ansteckend. "Je mehr es wird, desto näher rückt der Zeitpunkt, an dem es sozusagen schlagartig wieder weniger wird", bemerkte ich, denn wie jeder Mann ging ich davon aus, dass eine Frau nach der Geburt rank und schlank wie eh uns je aussehen würde. Ihren Blick zur Tür missdeutete ich, da ich davon ausging, sie wolle nicht ertappt werden, wie sie hier saß, mit meiner Hand auf ihrem Bauch. Ich nahm sie fort und hörte ihr weiter zu. Der Wunsch nach einem ausgiebigen Bad wuchs ins Unermessliche.


    "Langweilig ist dir? Soso. Du hättest ruhig ein bisschen intensiver lernen können, Siv. An deinem Latein hat sich nicht sio viel verändert", neckte ich sie. Ich wusste schließlich, wie schwer es manchmal für sie war, stillzusitzen und sich in geistiger Fähigkeit zu üben, statt draußen herumzuspringen. "Aber wenn du Brix helfen kannst, kann dir doch gar nicht langweilig sein, so wie er sich jedes Mal bei mir beklagt, zu viel zu tun zu haben." Ich grinste schief, und in diesem Moment klopfte es tatsächlich an die Tür.

  • "Toll", bestätigte Siv mit einem Grinsen. Dass Corvinus an diesem Wort etwas auszusetzen haben könnte, kam ihr nicht in den Sinn. Zwar war ihr durchaus bewusst, dass viele Sklaven eine andere Sprache nutzten als die Römer selbst, zumindest die, die sich Sklaven leisten konnten, aber in diesem Moment dachte sie nicht daran, dass toll kaum ein Wort war, dass er oder jemand seinesgleichen verwenden würde. Dann schnitt sie eine Grimasse. "Mh. Mal sehen." Sie hatte den deutlichen Verdacht, dass sie inzwischen mehr zunahm als nur das, was das Kind allein ausmachen konnte. Allerdings, wenn sie in Betracht zog, dass sie zu Beginn der Schwangerschaft eher noch abgenommen hatte, war sie froh, dass diese Phase vorbei war. Gesünder war es allemal, so wie es jetzt war, und was nach der Geburt war, würde sie dann sehen – generell zog sie es vor, nicht allzu viele Gedanken an das zu verschwenden, was in diesem Zeitrahmen lag. Letztlich hieß das nämlich, dass sie dann an die Geburt dachte, und das vermied sie, rein aus pragmatischen Gründen. Sie fand dass es früh genug war, sich mit den Schmerzen zu beschäftigen, wenn sie da waren. Sich vorher verrückt zu machen hatte überhaupt keinen Sinn.


    Etwas enttäuscht war sie, als Corvinus seine Hand von ihrem Bauch zurückzog. Die Geste hatte irgendwie etwas… Beschützendes an sich gehabt, hatte Geborgenheit vermittelt. "Ach." Sie zuckte leicht die Achseln und deutete ein etwas verlegenes Lächeln an. "Ich habe gelernt. Und das macht auch… Spaß. Nur die ganze Zeit…" Sie wollte nicht zugeben, dass sie schon wieder eine Phase erreicht hatte, in der ihre Sprachkenntnisse kaum Fortschritte zu machen schienen. Allerdings, in den letzten Wochen hatte sie sich schwer damit getan sich zu konzentrieren, während Corvinus gleichzeitig schwer krank in seinem Zimmer gelegen hatte und sie ihn nicht einmal hatte besuchen dürfen. "Und Brix gibt ja nicht alles, mir. Und wenn da Schreibkram ist zu tun, zum Beispiel, das ist langweilig", hielt sie grinsend dagegen, als Corvinus davon anfing, dass ihr kaum langweilig sein könne bei Brix’ Arbeitspensum. Sie wollte gerade noch etwas anfügen, als es an der Tür klopfte. Mit leisem Bedauern sah sie auf, dann nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und legte ihre Stirn für einen Augenblick an seine. "Ich liebe dich", murmelte sie leise, mit geschlossenen Augen, bevor sie ihren Kopf zur Seite neigte, bis ihre Lippen die seinen streiften. Sie konnte gar nicht ausdrücken, wie froh sie war, dass es ihm wieder gut ging, suchte erneut nach Worten, gab es aber auf, als es ein zweites Mal klopfte. Stattdessen sprang sie auf und ging zur Tür hinüber, um sie zu öffnen, und auf der anderen Seite war Saba, die sie mit einem kurzen Nicken begrüßte. "Dominus! Wir sind alle so froh, dass du wieder gesund bist!" rief sie aus, während sie zu Corvinus eilte, und Siv konnte sich vorstellen, dass inzwischen das gesamte Haus von Corvinus’ Genesung wusste, so wie sie Saba kannte. "Naavi kommt auch gleich. Was möchtest du zuerst? Etwas zu essen?" Bei diesen Worten schnitt Siv in Sabas Rücken eine Grimasse. Als hätte sie nicht daran gedacht, das zu fragen. "Oder rasieren? Oder zuerst ein Bad?"

  • In dem kurzen Moment, bevor es klopfte, wusste ich nicht recht, was ich sagen sollte. Einerseits schien Siv glücklich zu sein, vielleicht auch froh, weil ich nicht gestorben war - so schlecht war es mir nun auch wieder nicht gegangen. Andererseits wirkte sie auch betrübt, wie ich fand, doch die Gründe hierfür konnte ich kaum erahnen. Vermutlich zermürbte die Langeweile sie doch allmählich. Vielleicht fand sich auch eine Tätigkeit für sie, die sie mehr forderte? Doch den Gedanken verwarf ich schneller als er meinem schwachen Geist entgleiten konnte. Brix wäre nicht Brix gewesen, wenn er nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hätte.


    So blieb mir denn nichts weiter übrig, als die Augen zu schließen und den flüchtigen Moment zu genießen, in dem wir beieinander waren. Siv liebte mich, das sagte sie mir und sie sagte es laut. Ich erwiderte nichts. Keine Worte zumindest. Stattdessen strich ich ihr über die Wange, ehe sie aufsprang und zur Tür lief, um Saba einzulassen. Ich sah ihr hinterher und fühlte mich ein wenig durcheinander. Ein Mann in meiner Stellung sollte wissen, was gut für ihn war, und das war es ganz sicher nicht. Dennoch hätte ich um ein Haar auf ihr Bekenntnis geantwortet. Diesen Satz zu sagen, kostete mich allerdings immer noch meine gesamte Willenskraft. Außer einer hatte ihn bisher keiner gehört, und das war es, was mir die Sache so schwierig machte.


    Sabas Eintreten und die Ehrlichkeit in ihrer Stimme waren schön zu hören und freuten mich aufrichtig. Es konnte jetzt wohl nur noch bergauf gehen. "Danke, Saba. Ein Bad, denke ich. Unbedingt zuerst ein Bad. Ich rieche mich schon selbst..." Verschämt lächelnd zog ich mich an der schmalen Anrichte hoch, vor der ich saß, und bewegte mich Richtung Tür. Hilfe nahm ich nicht an, so sie denn kommen sollte, sei es von Siv oder Saba oder beiden. Noch war ich kein alter Mann. Ein wenig kränklich und schwach auf der Brust vielleicht, aber nicht alt. Und das würde ich den beiden auch sagen. Nun ging es also ins Bad. Und der Genesung konnte damit eigentlich nichts mehr im Wege stehen.




    ~ finis ~

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