Hortus | Eine Lyra zu stimmen

  • Aus dem Hortus erklangen quaekende, unharmonische und wummernde Laute, die durch die Luft wirbelten und einen schoenen, sonnigen spaeteren Vormittag mit Harmonielosigkeit erfuellten.
    Der Grund dafuer wuerde sich dem unbeteiligten Zuseher entschliessen, entschloesse er (oder sie) sich, um die Ecke in den Hortus hineinzuschauen. Dort hatte sich Piso alleine mit seiner wertvollen Lyra im Schneidersitz am Boden niedergelassen. Die Lyra hielt er nicht affektiert und kuenstlich edel in den Armen, wie er es sonst zu tun pfelgte, sondern hatte sie quer ueber seine Beine gelegt. Er blickte sie mit einem eigenartigen Blick an. Er hatte schon seit geraumer Zeit versucht, seine Lyra zu stimmen. Da stimmte hinten und vorne was nicht. Er drueckte die Zwirbel der vordersten Saite etwas nach hinten und zupfte die Saite.
    Daeng! Nein, nein, nein! Das konnte es nicht sein! Piso murmelte etwas Boeses in seinen nicht vorhandenen Bart und lockerte die Zwirbel.
    Waung, machte die Saite. Das war auch nicht richtig. Gab es keinen Mittelweg hinter jenen zwei unharmonischen Toenen? Pisos Haende waren schon langsam verschwitzt. Doch sein Stolz gebot es ihm, dass er sich mit der verstimmten Lyra nicht an eine qualifiziertere Person als sich selbst wandte. Er musste es selber machen. Es musste gehen. Es musste einfach funktionieren. Doch wieso tat es das nicht?
    Erschoepft setzte sich Piso auf und atmete einige Male tief ein und aus. In seinem Kampf, besser gesagt, Krampf mit der eigenen Lyra hatte er noch ueberhaupt keine Fortschritte gemacht.
    Nochmals hob er die Lyra an und fuhr, schon einigermassen genervt, ueber die Saiten. Das schaurige Spektrum an Klaengen, das aus ihr kam, haette viel eher zu einer Geisterbahn als zu einem gepflegten Lied gepasst.
    Desillusioniert liess er die Lyra sinken. Was fuer ein Kaese. Und niemand, der ihn helfen wuerde. Piso richtete seinen Blick gen Himmel.
    "Ihr Goetter, ihr Goetter, warum habt ihr mich verlassen?", jammerte er hinauf.

  • Er sagt, er kommt aus dem Jahr Zweitauuseeend,
    kaum anders als hier, doch lebt man dann im Meeeer.
    Und deine Groß-, Groß-, Groß-, Großtochteeeer,
    ist mächtig hübsch, ja mächtig hübsch!

    Ja, Asa hatte gute Laune, derart, dass sie nicht einmal die mahnenden Blicke der noch lebenden Schwester in ihrem inbrünstigen Schmettern irgendeines Gassenhauers störte, der einmal vor sieben Jahren oder mehr in bedenklichen Bevölkerungsschichten beliebt gewesen war. Vornehmlich den in billigen Fuselwein getränkten Schichten. Sowie bei allem, was zwangsläufig damit in Berührung kam. Nicht einmal die Ermahnung, dass man dieses Geplärr mit Sicherheit selbst in den tiefsten Abgründen der Unterwelt würde vernehmen können, hatte Asas Inspiration Einhalt geboten. Sie feierte ihren erklärten, persönlichen Sieg über Hannibal, der bei Aristides außerordentlich schmerzhaft in Ungnade gesackt, und dessen gehobenerer Posten als 'Buchhalter' inzwischen Asny zugefallen war. Also ein Triumph auf ganzer Ebene.
    Natürlich war diese Erhöhung schon vor einigen Wochen vollzogen worden, doch wann immer man Hannibal begegnete oder seinen Namen hörte oder einen Stein sah, der Hannibal ähnelte, wurde der untote Zwilling an diese fantastische Entwicklung erinnert und lebte die frohlockende Schadenfreude aus, als wäre diese am morgigen Tage für alle Ewigkeiten schon ausverkauft. Wenngleich die wahren Gründe für diesen unerwarteten Vertrauensumschwung der lebenden Hälfte des Schwesternpaares nicht bekannt waren und man auch kein Interesse für dieses Geheimnis hegte, so wussten die bereits verstorbenen fünfzig Prozent doch ganz genau, wo der Hase sich die Ohren kraulte. Ihrer negativen Energie vermochte sich auf lange Sicht eben niemand zu entziehen. Nicht umsonst hatte sie mehrmals im Monat den schlafenden Hannibal mit albdruckhafter Anwesenheit aus seinen Träumen gerissen und ihm das Leben zunehmend vergrämt. Gut, eigentlich hatte der Plan gelautet, dass er sich auf möglichst peinliche Weise in einer der steinernen Vogeltränken im Villengarten ertränkte, doch was nicht war, konnte ja noch werden. Ohja, der Stern dieses Perverslings sank stetig gen Horizont, und sein Aufprall an demselben würde nicht angenehm werden.


    Während Asas Gesang von einem irren Grabesgelächter abgelöst wurde, was sie bedauerlicherweise falsch abbiegen ließ und damit kurzzeitig der Gesellschaft ihrer Schwester beraubte, folgte Asny unbeirrt weiter dem Gang, der sie auf lange Sicht in den Garten hinausführen würde. Sie hatte den gesamten Morgen, welcher bei ihr stets äußerst früh einsetzte, in der Bibliothek verlebt, zu der sie, ganz im Rahmen ihrer neuen Aufgaben, jetzt Zutritt hatte, und aus der man sie in den ersten Tagen nur mittels Gewalt hatte wieder entfernen können. Volltrunken von diesen unerschöpflichen Quellen des Wissens hatte sie gelesen und gelesen, lästige Nebensächlichkeiten wie Schlafen, Essen und Trinken völlig vergessen und war überhaupt nicht mehr ansprechbar gewesen. Inzwischen zwang sie sich zur Mäßigung, auch wenn es ihr schmerzhaft schwer fiel. Doch sie durfte nicht alles andere vernachlässigen, nur weil man ihr Zugang ins gelobte Land gewährte. Nach der Auspeitschung hatte sie aufgrund der Wundheilung lange genug auf regelmäßiges Konditions- und Bewegungstraining verzichten müssen, obgleich sie niemals nur still und regungslos herumgelegen hatte. Aber es brachte nichts, kaum verheilte Wunden durch Überanstrengung immer und immer wieder aufreißen zu lassen.


    Und nun, nach langen und anstrengenden Überlegungen, hatte sie endlich einen Wochenplan erstellt, der sie all ihre bislang auferlegten Arbeiten zügig erledigen ließ und der vor allem ihre Freizeit in einer Art regelte, dass sie alle ausbaufähigen Bereiche sowohl ihres Körpers als auch ihres Geistes abdecken und bestmöglichst fördern konnte. Es war ein Meisterwerk. Glücklicherweise ließ Aristides sie weitgehend in Ruhe, ebenso wie der größte Teil der übrigen Villenbewohner, so dass selten etwas Unvorhersehbares dazwischen kam. Zusätzlich zu den gewohnten Übungen war 'Innere Andacht' hinzugekommen, jenes faszinierende Exerzitium, das sie zum ersten Mal und zufällig im Carcer hatte erleben können. Eigentlich gefiele ihr ein abgeschiedenes, stilles, dunkles Loch auch jetzt noch besser als beispielsweise der Garten, doch bereits zweimal hatten Mitglieder dieser elenden Sklavenschaft versucht, sie dort unten einzusperren und zu vergessen. Bei ihrem Ruf war letztendlich das Risiko, diesen wunderbar friedlichen Ort zu benutzen, zu hoch gewesen. Ihre werten Kollegen ließ sie daraufhin allerdings nur noch mehr spüren, wie sehr sie sie verachtete. Vermutlich hatte Fettbäckchen Aristides sie unwissentlich dank seines Postens schon des Öfteren vor etwas gerettet, das man im Fachjargon als 'Abreibung' diagnostizierte.


    Inzwischen war sie ja auch schon siebzehn Jahre alt. Kein Springen mehr zwischen sechzehn oder siebzehn, nein, endlich. Natürlich kannte jemand wie sie ihr Alter ganz genau. Sie war im Ianuarius geboren. Nur mochte sie die geraden Lebensjahre nicht und tendierte bei eben jenen stets zur nächsthöheren Zahl. Nächstes Jahr wäre sie dann achtzehn oder neunzehn Jahre alt. Aber eher neunzehn. Womöglich hing das mit ihrem Zwilling zusammen, dem gerade Zahlen immer besser gefallen hatten, weil sie angeblich erwachsener klangen. Jedenfalls fühlte sich diese Ordnung irgendwie richtiger an. Und es war schließlich ihr Alter, damit konnte sie machen, was sie wollte.


    Der Hortus hatte sich neben dem Carcer und der Bibliothek zu einem von Asnys Lieblingsorten entwickelt. Nicht nur wegen der Trainingseinheiten und der Geräumigkeit, und ganz bestimmt nicht wegen Blumen, Sonne, lauen Brisen und Vogelgezwitscher. Natürlich tummelten sich auch hier Sklaven und Herren gleichermaßen, doch man fand eher einen abgelegenen, verborgenen Winkel als in der Villa. Diese Winkel waren selbstverständlich nicht versehentlich angelegt worden und gerade im Sommer hatte die weißblonde Sklavin in so manchem ihrer favorisierten Ecken ein Pärchen (oder mehrere) aufgespürt, denen Blumen und Vogelgezwitscher ähnlich gründlich den Rücken hinunterrutschten wie Asny. Eigentlich aus der Not heraus hatte sie mehrere Taktiken entwickeln müssen, um die unerwünschten Störenfriede möglichst schnell voneinander zu lösen und das Weite suchen zu lassen. Mit der Zeit hatte sie immer kreativer werden müssen, denn wo am Anfang noch ein 'Ich dachte, du hättest diesen komischen, juckenden Ausschlag da unten, tut das nicht weh?' oder ein 'Schadet das nicht dem Kind von Marcus Aristides?' genügt hatte, musste nach und nach dank doch erstaunlich lernfähiger Opfer ein von seiner Kette losgerissener Haushund oder ein alarmierter Flavier herhalten, um die gewünschte Wirkung immer noch zu erzeugen. Auf der Suche nach ein wenig Abgeschiedenheit hatte man es in Rom wirklich nicht leicht.


    Scheinbar waren ihr die Götter auch heute nicht gerade hold. Asny seufzte enerviert, als sie, kaum dass sie einen Fuß auf den weißen Kiesweg gesetzt hatte, schon die untrüglichen akkustischen Signale zweier mehr oder weniger paarungswilliger Katzen hörte, die in der Nähe offenbar gerade ihr Tänzchen abhielten, welches trotz allen albernen Sträubens doch nur ein Ende finden konnte. Kurz entschlossen hob die Sklavin einen kinderfaustgroßen Stein vom Rand des Weges auf und wog ihn probehalber in der Hand, ehe sie ihren Weg fortsetzte, dabei auf die Quelle dieses furienhaften Jammerns zielend. Sie würde sich ihre kostbare Freizeit garantiert nicht von rolligen Aushilfstigern ruinieren lassen.
    Je näher sie kam, um so schmäler verengten sich ihre Augen. Diese Katzen mussten sich irgendeine ganz üble Krankheit geholt haben. Hoffentlich traf sie gut und konnte dadurch wenigstens eine von ihnen von ihrem Leid erlösen.
    Wie sich herausstellte, hätte sie am Ende auch nur einen einzigen Stein benötigt. Nicht, dass es ihre Laune sonderlich emporwirbelte zu sehen, dass sie es hier offenbar mit einem hörbehinderten Menschen zu tun hatte. Katzen waren wesentlich einfacher zu vertreiben. Da sie sich ihm von schräg hinten näherte, hätte sie es zwar bequem mit einem glücklichen Wurf versuchen können, doch dieses lärmende Etwas entpuppte sich bei näherer Betrachtung unglücklicherweise als Flavier. Als dieser kürzlich eingetroffene Neuzugang, um genau zu sein. Aulus Flavius Piso. Flavier schossen heutzutage wohl aus dem Boden wie Schneeglöckchen im Frühling. Wobei jenes Schneeglöckchen hier anscheinend beim fröhlichen Sprießen aus dem Erdreich direkt mit dem Kopf gegen einen Granitfelsen gestoßen war.


    Kurz legten sich Asnys Finger noch etwas fester um den Stein, ehe sie ihn im hohen Bogen über den sitzenden Flavier warf, so dass er einige Schritte von ihm entfernt unter einem harten Poltern auf den Boden schlug.
    "Weil auch Götter im Besitz von Ohren sind", beantwortete sie in ihrer üblichen hilfsbereiten Art die rhetorische Frage, während sie langsam näher trat, wie immer ausgestattet mit einem sanften Lächeln und einem träumerisch schimmernden Ausdruck in den zartblauen Augen. Sie war gekleidet in eine einfache, doch saubere hellblaue Tunika, um die Hüfte mit einem schmalen Band umgürtet, und trug ihr langes Haar glatt und offen, wie sie es am Liebsten tat. Nichts in ihrem Aussehen deutete darauf hin, dass sie vorhin noch mit dem Gedanken gespielt hatte, auf dem dunkelschopfigen Hinterkopf dieses Mannes eine passable Platzwunde zu züchten. Obgleich ihre Stimme ähnlich weich klang, so war die Botschaft, die sie mit sich brachte, doch eine gänzlich gegensätzliche.
    "Wenn du so weitermachst, wird Apoll bald seine Lyra mit dir stimmen."

  • Zum wiederholten Male strichen die Hände des begnadetsten Künstlers seiner Zeit über seine Lyra. Der begnadete Künstler? Eine normale Person, ausgestattet mit einem entsprechenden Mass an Vernunft, würde hier innehalten und die Richtigkeit jener Aussage hinterfragen. Doch während der Künstler in Frage kein dummer Mensch war, so war er doch nicht ganz... normal, um es einmal durch die Blume zu sagen.
    Das Ergebnis jenes Versuches, Töne, herzeigbare Töne, zu produzieren, war nicht sehr zufriedenstellend. Die Lyra miaute mehr, als dass sie erklang. Der Laut, den sie von sich gab, ist an dieser Stelle nicht einfach zu beschreiben. Es soll dem geneigten Leser aber genügen, dass der selbsternannte Künstler sein Gesicht verzog, als ob er gerade etwas unvergleichlich ekliges gesehen hätte. Ein Stosseufzer ertönte. Es war keine glückliche Zeit. Ja, die Götter meinten es nicht gut mit ihm. Fast schon bereute er, was er gesagt hatte – aber ein schneller Blick nach oben überzeugte ihn, dass Jupiter besseres zu tun hatte, als einen Blitz auf den Unglücklichen im Hort niederfahren zu lassen.
    Sein Gesicht färbte sich für ein paar Sekunden rot, als er sah, wie zwei Vöglein an ihm vorbeiflogen. Sie zwitscherten frohen Mutes, fast so, als ob sie ihm seine Unzulänglichkeit vor Augen halten wollten. Ihm aber selbst lag nichts ferner, als dies einsehen zu wollen. Natürlich, die Töne waren schräg, doch dies war nur das Ergebnis von diesen Saiten. Diesen elenden Saiten! Wie sehr er doch den Händler hasste, der ihm diese Saiten verkauft hatte. Sie waren nicht billig gewesen. Dabei ignorierte er, dass es nicht die Saiten waren, die hinüber waren. Nien, es hing vielmehr mit der ausgeleierten Lyra zusammen, die – wohl aufgrund von Pisos unschöner Musik – schon seit einiger Zeit den Entschluss gefasst hatte, den Geist aufzugeben, indem sie ganz feine Risse in ihrem Holz entwickelte. Dies nahm den Tönen die Kraft, und zusammen mit Pisos schlechter Zwirbeltechnik waren somit schrecklichen Lauten Tür und Tor geöffnet.
    Gerade wollte er seinen lästerlichen Worten einen Fluch obendrauf dazugeben. Doch dieses Vorhaben wurde jäh unterbrochen, als er nach links sah.
    Dass Dinge auf ihn zuflogen, war für Piso eher schon Normalität, Routine, etwas Alltägliches. Es waren faules Obst, nicht minder faule Eier, sowie unreifes Gemüse und sonstige mehr oder weniger verdorbene Lebensmittel. Er hatte schon verdorbenen Fisch ins Gesicht geschlagen bekommen (von einem Gallier der besonders netten Sorte) und man hatte ihm schon Holzstücke nachgeworfen.
    Doch noch nie war jemand so aufgebracht gewesen, dass er oder sie es für nötig gehalten hätte, ihn zu steinigen.
    Piso kam es so vor, als ob der Stein ganz langsam auf ihn zuflöge. Er war erstarrt. Einige Sekunden starrte er nur den Stein an, unfähig, eine Berührung zu machen.
    Schliesslich warf er sich auf die Seite. Nicht zu spät. Der Stein flog über ihn hinweg. Die Lyra landete auf einer Steinplatte, es gab einen blechigen Klang, als sie aufschlug und die Risse im Holz intensiviert wurden.
    Der Stein landete eine Sekunde später auch am Boden, prack, ein unästhetischer Klang.
    Verwundert setzte sich Piso blitzschnell auf und starrte zur Frau hin, die ihn mit einer bemerkenswert feunlichen Stimme verhöhnte. Wie hiess die noch einmal? Etwas mit A. Und mit S. As... As... Asasasasasn! Etwas mit N und dann noch ein Vokal. Asny. Dies war ihr Name. Eine Sklavin.
    Er war unrund ob jener Erscheinung. Verdattert, seine Lyra ausser acht lassend, stand er auf und wischte sich Erdkrümel von seiner Tunika. Es war eine teure Tunika gewesen, aus rotem Stoff, die durch den Steinwurf schmutzig geworden war.
    Sein Blick wanderte zur Sklavin hin, die sich noch immer nicht eingekriegt hatte. Er presste sich seine Lippen zusammen.
    In jedem anderen Fall hätte es nun ein Donnerwetter gegeben. Doch Piso fand, es gab effektivere Mittel, die Sklaven zum Gehorsam zu bringen, als Strafen.
    Deshalb fuhr er sich erstmals nur übers Haar.
    Dann hub er an zu sprechen.
    „Du solltest deine Treffkünste verbessern. Du hast mich verfehlt.“, stellte er sachlich und in einem sehr höflichen Tonfall fest. „Ich war sehr beeindruckt von der Reichweite deines Wurfes. Aber die treffsicherheit, daran mangelt es.“ Er raeusperte sich und ging auf ihre Worte ein.
    „Versuch du einmal, mit einer komplett verstimmten Lyra Musik zu machen. Ich nehme an, weil du solche Worte in den Mund nimmst, dass du die Kunst, eine Lyra richtig zu stimmen, gut beherrscht. Es wäre prima, wenn du das machen könntest.“ Er hob die Lyra vom Boden auf. Dann trat er auf sie zu. Piso war ein gross gewachsener Mann, und dies verhalf ihm hie und da, Eindruck zu schinden, indem er einfach nur auf die Leute zuging.
    „Hier.“, meinte er, streckte die Lyra nach vorne und begann, eine Saite zu zupfen. Kring, machte die Saite unharmonisch und verklang in einem leicht gummigen Tremolo. „Die Saiten sind nichts. Es sind schon die Fünften, die ich gekauft habe. Aber du kannst das sicherlich hinkriegen.“, meinte er sehr freundlich und reichte ihr die Lyra. Er erwartete nicht, dass die Sklavin die Lyra richtig zu stimmen vermochte.
    Doch einen Versuch war es wert. Wenn sie es schaffte, war alles prima. Wenn sie es nicht schaffte, oder aber ablehnte, um so besser, dann hatte er sich moralisch durchgesetzt.

  • Womöglich benötigte sie gar keine großartige Taktik mehr, um erneut die Grenzen ihres Körpers zu prüfen. Womöglich brachte dieser frischgesprossene Flavier sie ein weiteres Mal in den Carcer oder ans Kreuz oder dachte sich sonst irgendeine 'Strafe' aus, welche ihre Konstitution und Ausdauer verbesserte. Mitunter galten Flavier da als äußerst erfinderisch. Beinahe ein Jammer, dass nur so wenige von ihnen auch in anderen Bereichen Erfindungsreichtum und beachtliches Können zeigten. Doch ihre einzelnen Charakterschwächen durften Asny eigentlich vollkommen einerlei sein, solange sie von deren Bibliothek und Schwächen ausreichend zu profitieren vermochte. Die Bibliothek und ihre eigenen Wochenpläne würden sie noch ein gutes Weilchen in Atem halten, ohne dass sie auf weitere Einfälle vonseiten der Villenbewohner angewiesen wäre. Bis auf eine Kleinigkeit vielleicht, doch darüber würde sie demnächst mit ihrem Herrn ein persönliches Gespräch führen. Sehr wahrscheinlich endete es in langen, zähen und aufbrausenden Verhandlungen, doch nur die Dinge waren wirklich wertvoll, um welche man tatsächlich kämpfen musste.
    Aus jenen Gründen jedenfalls befand sich Asny in der glücklichen Situation, den Kontakt mit Flaviern und natürlich anderen Sklaven auf ein gesundes, akzeptables Maß herabsenken zu können. Zwar wusste sie nicht, wie ihr allgemeiner Ruf unter den höheren Herrschaft gerade war, im besten Falle konnten sie sich kaum an ihren Namen erinnern, doch bis dato hatte sie mit niemandem von ihnen ein längeres Gespräch oder eine zu gewichtige Aufgabe erfüllen müssen. Oder, in passenderen Worten formuliert, niemand hatte ihren Tagesablauf bislang derart durcheinander gebracht, dass er ihren persönlichen Unmut auf sich gezogen hätte. Und auch jener Mann hier war eigentlich noch ein gutes Stück davon entfernt. Trotz seines desaströsen Lyraspiels würde er keinen derart gewichtigen Eindruck bei ihr hinterlassen, um ihr die Konzentration für ihre kommende Aufgabe zu rauben. Wenn er sie strafte, tat er ihr und ihren Absichten im Grunde nur einen angenehmen Gefallen. Man durfte mit Fug und Recht behaupten, dass Asny geradezu unbezwingbar war und sich mit diesem Gefühl auch durchaus wohlfühlte.


    Es war ein interessantes Schauspiel, wie dieser Flavier sich zur Seite warf, obgleich sie den fliegenden Stein einen Bogen formen ließ, als meide selbst das leblose Ding den direkten Kontakt mit ihm. Sie vermutete hinter diesem plötzlich in der villa eingekehrten Neuankömmling einen finanzschwachen kleinen Parasiten, doch natürlich kannte sie ihn bei Weitem nicht genug, um diese Hypothese entweder zu bestätigen oder zu widerlegen. Allerdings war sie niemals schlecht damit gefahren, bei ihren Mitmenschen selbstsüchtige, niedere Absichten zu vermuten und es drängte sie auch nicht danach, in die Abgründe dieses Mannes einzudringen auf der Suche nach der einzig richtigen Wahrheit. Hätte er sie nicht mit einem akustischen Speer in die Seite gestochen, wäre an dieser Stelle niemals irgendein Kontakt geknüpft worden. Womöglich wünschte sie sich recht bald, ihre Verärgerung überwunden und sich einfach mit Bienenwachs die Gehörgänge versiegelt zu haben.
    Ob sie ihm sagen sollte, dass es eine eher kontraproduktive Geste darstellte, mit einer Hand, welche eben noch den erdigen Boden und die verschmutzte Tunika berührt hatte, über sein Haupthaar zu streichen? Asnys blassblaue Augen verließen die seinen und wanderten kurz ein wenig höher, ehe sie sich dazu entschloss, diesbezüglich den Mund zu halten. Wahrscheinlich würde es ohnehin gleich eine Standpauke hageln, denn der Stoff seiner nun dezent ruinierten Gewänder wirkte nicht gerade billig. Entweder jemand hatte ihm eine großzügige Spende aus dem Familienschatz zukommen lassen, oder er war doch keine abgebrannte Zecke, die sich am flavischen Wohlstand festsaugte wie an einem räudigen Straßenköter.
    Schließlich ergriff Piso seinerseits das Wort, in einem überraschend zivilisierten Umgangston wenn man bedachte, dass er gerade am Boden und im Dreck kauerte, wohin ihn eine Sklavin und ein Stein befördert hatten. Entweder er disziplinierte seinen Zorn für einen späteren Zeitpunkt, an dem er umso schmerzhafter über sie hereinbrechen würde, oder die Unfassbarkeit ihrer Tat wirkte noch ein entzückendes Weilchen länger. Dem Inhalt seiner Worte nach zu urteilen, versuchte er seinen tatsächlichen Gemütszustand mit gelassener Ironie zu überspielen. Zumindest blieb das zu hoffen, denn die Alternative wäre, dass er diese Aussage wirklich ernst meinte. Ruhig und mit unbewegt sanftmütiger Miene lauschte Asny erst einmal seinen Äußerungen und ließ lediglich ihre Pupillen folgen anstatt den gesamten Kopf leicht zu heben, als er sich zu voller Größe erhob und auf sie zutrat. Da sie ihn nun unter ihren hellen Brauen hervor anschaute, bekam ihr Blick trotz aller unbeeindruckten Verträumtheit etwas Dunkles, Lauerndes, wobei es sich natürlich um eine Täuschung handeln musste.


    So, nun versuchte er die volle Verantwortung für diesen Auswurf einer Sirene in den Wechseljahren also ihr aufzubürden. Doch seine weiterhin herrschende Ruhe und Freundlichkeit waren währenddessen durchaus interessant. Kein anderer Flavier, wahrscheinlich nicht einmal ein angeheirateter, wäre dazu in der Lage gewesen. Entweder hier regierte eine unglaubliche Beherrschung oder ein durchweg fehlender Familienstolz. Erst einmal verschob Asny diese Überlegung zurück in einen Wartestatus, als er ihr demonstrativ den Ursprung all ihrer aktuellen Probleme entgegenhielt. Flüchtig juckte es sie in den Finger, das Ding zu nehmen und gegen eine der hübschen Marmorsäulen zu schleudern, um hier wieder die benötigten Favoriten 'Ruhe' und 'Frieden' einkehren zu lassen, doch wahrscheinlich wäre all seine Selbstkontrolle dann wie von einem Sturzbach abgewaschen. Und Männer vermochten durchaus ebenfalls ein Geheule und Gekreische anzustimmen, das selbst die Furien vor Schreck verstummen ließ.
    "Oh, es mangelt mir keineswegs an Treffsicherheit. Doch so erfreut man in jedweder anderen villa dieser schönen Stadt auch auf das Ableben eines Flaviers reagieren würde, ich fürchte, ausgerechnet an diesem Ort brächte eine solche Tat eher unangenehme Folgen mit sich. Natürlich könnte ich mich diesbezüglich auch irren, mir ist nicht bekannt, welchen Status du genau innerhalb der Familie bekleidest." Wahrscheinlich hatte es seinem Ansehen hier außerordentlichen Gewinn gebracht, dass Asny ihn bei der Lyraprobe vor beispielsweise Aristides erwischt hatte. So liebenswürdig wie die Worte ihre Lippen verlassen hatten, neigte sich nun ihr Kopf leicht seitlich, ehe sie mit sehr weichem Klang in der Stimme fortfuhr:
    "Auf den Gedanken, dass es nach deinen zahlreichen Einkäufen unmöglich weiterhin an den Saiten liegen kann, bist du also noch nicht gekommen? Die Wahrscheinlichkeit, dass man dir fünfmal mangelhafte Ware verkauft, läuft gegen Null. Nun gut, inzwischen könnte der Händler auch gemerkt haben, dass er dir all seinen billigsten Ramsch zu überteuerten Preisen andrehen kann, du aber trotzdem wieder vor dem Ladentisch erscheinst. Doch bevor ich zum wiederholten Male denselben Faktor kritisiere, schaue ich mir für gewöhnlich erst einmal die übrigen Faktoren auf ihre Tauglichkeit an. Eine Lyra besteht meines Wissens nicht nur aus Saiten. Möchtest du anhand dieser Information ergo selbst noch einmal dein Instrument untersuchen oder gestehst du dir deine Niederlage bereits zu diesem Zeitpunkt ein und überreichst den Staffelstab nun feierlich mir?"
    Lächelnd hob die Sklavin in einer betont langsamen Bewegung ihre Hand, als wolle sie Piso in absehbarer Zeit und natürlich von reinster Hilfsbereitschaft beseelt die Lyra abnehmen.

  • Es war durchaus so, dass Piso eine unheimliche Selbstbeherrschung aufbrachte. Er blickte an seiner Tunika herunter. Sie war, den Goettern sei Dank, nicht zerrissen. Man muesste sie waschen muessen. Er wuerde Nike schon dazu bringen, dass sie irgendeinen magischen Trick anwandte, damit die Tunika wieder sauber wuerde. Dies war auch gar nicht der Streitpunkt, der hier zur Frage stand.Er könnte nicht weniger besorgt sein um ein Kleidungsstück. Der Punkt war, dass eine Sklavin ihn behandelte, wie eine Herrin ihren Sklaven. Bisher hatte sie ihn nicht nur beleidigt, nein, auch angegriffen. Doch er wuerde die Position umdrehen, und zwar so, dass diese danach eindeutig wie noch nie sein wuerden. In seinem Hirn arbeitete er ein Stratagem aus. Welcher Art, das würde Asny früh genug erfahren.
    Ein bisschen Erde krümelte von seinen dunklen Haaren. Er blickte in seine Hand. Sie war erdig. Er klopfte sie mit der anderen Hand ab und wischte sich die Erdkrümel aus dem Haar. Wie durch Zufall wurden alle in das Gesicht der Sklavin vor ihm hineingeweht.
    Woher kam diese Beherrschung? Es musste doch so sein, dass Pisos Frust mit der Lyra zu einer durchaus selten schlechten Laune beitragen musste. Haette er nicht dementsprechend hart durchgegriffen? Man könnte mutmassen, dass er sich an Kummer jetzt, nach der ergebnislosen Versuchen, die Lyra zu stimmen, schon gewöhnt hatte. Oder man konnte mutmassen, dass jetzt, gleich, in ein paar Sekunden, ein Vulkan in Form einer massiven Schimpftirade erumpierte. Oder aber dass sonst etwas geschehen würde, was sich Asny nie erträumen könnte.
    Als Piso auf die Sklavin zutrat, sah er, wie sich in ihren Augen etwas leicht veränderte. War das Eingeschüchtertheit? Oder etwas anderes? Plante sie, sich jetzt auf ihn zu stürzen? Selbst wenn, schmutziger wie jetzt könnte er nicht werden.
    Sie versuchte, ihn zu provozieren. Das war klar. Doch Piso war überhaupt nicht danach, auf diese Provokationen einzugehen. Er musterte die Sklavin. Lange und ausfuehrlich, als er ihr zuhörte. Von Kopf bis Fuss. Sie war blutjung, sicher jünger als er. Stolz war sie, dass sah er ihr an. Eine Germanin von Schrot und Korn. Und sie nahm ihn nicht ernst, doch das würde ihr schon noch vergehen.
    Die Tirade der Sklavin war mit Spott durchsät. Piso musste sich immer mehr beherrschen, um diesen impertinenten Ding nicht einfach mit brutaler Gewalt eine runterzuhauen. In seinem inneren Augen formte sich ein Bild – sie, vor ihm, auf dem Boden, weinend, sich für ihr Verhalten entschuldigend. Ihm die Schuhe küssend. Gedemütigt. Mit dem Beweis ausgestattet, dass man Piso nicht auf der Nase herumtanzen konnte. Dies wäre befriedigend, würde ihm jetzt, sofort, ein Remedium, eine Genugtuung biten, eine sofortige Strafe für ihr Verhalten. Doch nicht effektiv, bereits nach einer Woche, oder sogar noch weniger Zeit, würde sie wieder versuchen, ihre Kräfte mit den seinen zu messen.
    Ja, brutale Gewalt würde das erreichen, und er war versucht, zu jener Methode zu greifen. Doch er war kein Freund davon. Gewalt war so unästhetisch. Er griff da lieber zu anderen Mitteln. Es gab Mittel, Sklaven zum Gehorsam zu bringen, ohne dass man Gewalt aufbringen musste. Beim Willen der Götter, er hatte es bei Semiramis geschafft! Nur, dass diese ihn nicht beleidigt hatte, wie die da jetzt.
    Auf ihre erste Ansage hin überlegte er kurz. Dann verzog er den Mund und antwortete: „Dann kann ich ja annehmen, dass du absichtlich danebengezielt hast. Wie überaus nett von dir. Ich sollte dir jetzt wohl die Schuhe küssen, aber dessen bin ich wohl nicht würdig. Als Flavier, dessen Tod man in anderen Häusern liebend gerne sehen würde. Ich denke, mein Stand wird dich in deinem Pfad zur Erleuchtung, sofern du diese nicht schon längst in der Tasche hast, nicht weiterbringen. In deinen Augen bin ich sowieso nur ein Wurm. Ein minderwertiges Subjekt. Es ist nicht einmal wert, dieses Ding zu töten. Tja, so ist das Leben halt.“ Er lächelte noch immer genauso freundlich wie die Sklavin, er erhielt den höflichen Umgang aufrecht. Obwohl seine Worte von Ironie durchdrungen waren, erhielt er ein Pokerface aufrecht. Zu einem gewissen Mass verdrehte er ihr die Worte im Mund, doch dies war ein altbewaehrtes rhetorisches Mittel, welches durch einem Stärkeren gegenüber einem Schwächeren angewendet werden konnte. Nur ein gelegentliches Blitzen in seinen Augen zeugte von dem aufgestauten Unmut und Zorn auf die Sklavin.
    Auch den weiteren Ausführungen der Sklavin gegenüber zeigte er sich nach aussen hin aufgeschlossen. Am Ende ihrer Faselei lächelte er wieder. „Du musst bemerkenswert schlau sein. Unglaublich. Dann schau dir diese Faktoren an. Ja, du bist sicher schlau genug, die Lyra wieder instande zu setzen. Immerhin behauptest du das ja von dir. Ich will dir das auch geraten haben, dass du das tun kannst.“, meinte er und drückte ihr sein Instrument in die Hand. Bei seinem letzten Satz konnte man eine spürliche Veränderung der Tonart feststellen. Bei dem Wort Niederlage, welches die Sklavin benutzte, wäre ihm wieder beinahe die Hand ausgerutscht. Sie zitterte kurz, doch Piso konnte sie unter Kontrolle behalten.
    Es gab nun zwei Möglichkeiten. Entweder, sie brachte die Lyra in Ordnung, was unmöglich war. Oder Piso würde sie fertig machen. Jenseits aller Möglichkeiten, die dieser germanischen Sklavin zu diesem Zeitpunkt vorschwebten. Und er wusste schon, wie. Dies wurde eindeutig signalisiert von einem staehlernen Blick, den Piso hatte; denn sein Laecheln reichte beileibe nicht bis in seine Augen.

  • Vermutlich vergeudete sie hier doch nur ihre Zeit. Alles, was dieser frischgelieferte Flavierzuwachs ihr bieten könnte, wäre eine Bestrafung, wenn sie sich weiter mit ihm unterhielt. So gerne Asny auch ihre Grenzen ausweitete, es musste sich in mehr als nur einer Art und Weise lohnen. Sollte sie wiederum für mehrere Tage, womöglich Wochen ausfallen, weil ein medicus ihr strikte Ruhe verordnete, dann musste der Lohn den Aufwand in mehrerer Hinsicht wettmachen. Mit Aristides hatte sie auf diese Art gleich vielerlei Grundsätze klären können, Angelegenheiten, die auf Piso nicht zutrafen, schließlich war er nicht ihr Herr. Er war eine zweifelhaft nützliche Abzweigung am Straßenrand, die erst noch beweisen musste, dass sie den Umweg wert sein würde. Die junge Sklavin besaß nicht die geringste Intention, sich auf diesen Weg zwingen zu lassen, wenn sie sich nicht willentlich dafür entschied. In den letzten Jahren hatte sich nichts in ihrem Leben ereignet, das sie nicht genau so persönlich herbeigeführt hätte. Und im Gegensatz zu den wirklich großen, weitreichenden Erfahrungen war diese Abzweigung nichts als ein kleiner, verwachsener Trampelpfad, den man ebenso gut im Gebüsch hätte übersehen können. Sie konnte ihn ignorieren und hinter sich lassen, so wie sie diesen Vergewaltiger von Musikinstrumenten ohne ein weiteres Wort stehenzulassen vermochte, trotz seines Geplärrs und Gebrülls. Es gab nichts, was sie einem fremden Flavier beweisen müsste. Man konnte an ihm die Manipulation anderer Menschen testen, doch reicher Adel machte es einem in diesem Punkt immer zu einfach. Zwei Tritte in den Stolz, einen Haken auf das Selbstwertgefühl, und schon begannen Adern zu pochen und das Blut zu brodeln. Da war keine Herausforderung, keine Besonderheit, nichts Interessantes. Es war amüsant, aber am Ende doch nur jämmerlich und enervierend.
    Da man sie gerade musterte gleich einer soeben geangelten Meerbarbe intensivierte sich auch ihr Blick kurzfristig zu einer durchdringenden, in längerer Dauer vermutlich unangenehmen Beobachtung. Was sollte sie mit diesem Kerl anfangen? Ihm, der vermutlich gerade dachte, sie trüge persönlichen, aufgestauten Groll gegen ihn. Dabei war er nichts als ein grob geformtes Gesicht auf einer Tonpuppe. Austauschbar, wenig nützlich. Menschen neigten dazu, erst dann einen wirklichen Sinn zu erhalten, wenn Asny einen solchen sorgsam auswählte und ihn mehr oder weniger feierlich verlieh. Ansonsten... Menschen eben. Dieser Begriff sollte bereits alles hinlänglich klären.


    So, er versuchte also, ihr mit Eigenironie den Wind aus den Segeln zu nehmen. Angesichts seiner extremen Darstellung musste er unter der freundlichen Oberfläche tief beleidigt sein. Und dieser kleinen, erdigen Dusche folgend verbarg er sein aufbrausendes Temperament recht mühsam. Natürlich war es auch immer noch möglich, dass er als kleines Kind von einem hohen Punkt auf eine harte Fläche aufgeschlagen war oder ein Produkt flavischer Inzucht darstellte. Mutmaßungen, welche das Ergebnis nicht großartig beeinflussten. Nachdem er sich solche Mühe gegeben hatte, sollte sie dies wohl auch kurz kommentieren. Während ihr Blick flüchtig Zweifel erweckte, ob sie ihm überhaupt zugehört hatte oder zwischenzeitlich in weit entfernte Sphären entschwebt war, zuckte sie endlich doch knapp eine ihrer schmalen Schultern und antwortete gewohnt zart, gewohnt freundlich, doch eher ungewohnt knapp:
    "So kann man es auch ausdrücken. Aber ich wollte nicht unverschämt sein." Hatte er erwartet, dass sie rot anlief und ihm eilig widersprach? Wenn er es gerne so sah und sich selbst erniedrigte, würde sie sich da garantiert nicht zwischen werfen. Ihr Lächeln verstärkte sich eine Nuance, als sie sich in geheuchelter Vertraulichkeit ein wenig zu ihm vorbeugte und ihm zuhauchte:
    "Zudem ist es doch viel spannender, wenn sich das wahre Bild seines Gegenübers erst nach und nach formt." Gleichmütig lächelnd richtete sie sich wieder auf und spielte kurz mit der Überlegung, ob man eine kleine Sucht nach Zynismus entwickeln konnte, doch nur kurz danach kam sie zu dem Ergebnis, dass ihr abgesehen von einem schwachen Vergnügen dorthingehend die Herausforderung und der Sinn fehlten. Was brachte es, einen Säugling anzuspucken?


    Anscheinend hielt er an seiner Taktik fest, sie durch ironische Zustimmung und überzogene Freundlichkeit zu... ja, was sollte ihm dies bringen? Wollte er ihr die Abzweigung pflastern, damit sie auch wirklich abbog? Versuchte er, ihr eine kleine Falle auszulegen, in die sie aufgrund ihres übersteigerten Stolzes blind tappen sollte? Oder wollte er einfach nur seine dämliche Lyra gestimmt haben? Als ob sie daran ihren Wert bemaß. Es hätte ihr tatsächlich mehr imponiert, wenn er nicht so kleingeistig auf seine eigene Würde versessen selbst noch einmal eine Untersuchung durchgeführt hätte, anstatt ihr jetzt um jeden Preis eine Wolke vor die Sonne zerren zu wollen. Aber scheinbar funktionierte ihre Manipulation in diese eine Richtung schlicht zu gut. Der Stier preschte bereits vorwärts und trampelte alles nieder, was ihm vor die Hufe geriet. Und dann war nicht einmal die Aussicht auf einen selbstgeschaffenen Erfolg wichtiger, als die persönliche kleine Rache. Warum wunderten sich dann noch alle, dass sie ihr so hoffnungslos unterlegen waren?
    "Schlau? Das war nicht schlau. Jeder mit einem halbwegs funktionierenden Verstand vermag schließlich eins und eins zusammenzuzählen. Ich hoffe zudem, dass du nicht allzu sehr an deiner hübschen Lyra hängst, die du gerade nur aufgrund deines heulenden Stolzes mir aushändigst, anstatt sie zu einem qualifiziert ausgebildeten Handwerker zu bringen. Doch nun ja, man sagt schließlich, dass auch das Eingeständnis einer Niederlage ein Zeichen für innere Größe wäre. Vielleicht sollte man dabei aber nicht außer acht lassen, dass solche Verlierer-Sprüche in der Regel von... tja, Verlierern benutzt werden."
    Wahrscheinlich sollte sie nun langsam wirklich aufpassen, was seine Hände oder am Besten gleich sein gesamter Körper so anstellten. Würde sie ihn zu nahe an den Abgrund drängen, käme er womöglich überwältigt von Hilflosigkeit auf die Idee, gleich persönlich auf sie einzuschlagen. Und ihr dämmerte gerade, dass dies womöglich Bereiche treffen könnte, welche Aristides gerne unverletzt sehen würde. Zudem durfte sie es ihm nicht zu einfach machen. Je mehr Möglichkeiten sie ihm bot, seine Wut frühzeitig abzubauen, umso kürzer stünde sie im 'Genuss' seiner rissigen Selbstbeherrschung.


    Zur Not konnte sie noch die gerade nicht sehr feierlich übergebene Lyra als einen Schild benutzen, am Besten mit den Zwirbeln voran, die taten bei übereiltem Körperkontakt bestimmt am meisten weh. Sollte er sich ruhig das Ding selbst kaputtschlagen, augenscheinlich arbeitete er bereits etwas länger an dieser Mission. Ruhig senkte sie den Blick auf das Instrument, achtete jedoch darauf, dass sie Bewegungen vonseiten des Besitzers aus den Augenwinkeln noch wahrzunehmen vermochte. Langsam drehte sie die Ursache allerlei Ohrenschmerzen und strich mit dem Zeigefinger behutsam über die Saiten. Zusammengenommen durfte man ruhigen Gewissens behaupten, sie behandele das edle Stück durchaus ehrfurchtsvoll, oder wenigstens sehr viel besser als denjenigen, der für gewöhnlich daran zupfte. Nachdem ihre Fingerknöchel leicht den Klangkörper abgeklopft hatten, bemerkte Asny ohne den Blick von dem derzeitigen Ziel ihrer Untersuchung zu nehmen:
    "Wie lange hast du sie schon? Hatte sie einen 'Unfall' abseits deiner Finger? Hat sie jemals gut geklungen? Hast du jemals auf irgendeiner Lyra gut gespielt?" Der Spieler stellte schließlich ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Faktor dar, welcher ausführlich überprüft werden sollte. Allerdings bezweifelte die weißblonde Sklavin, dass dieser Faktor so bereitwillig kooperieren würde, wie alle anderen, die man eigentlich nur testen und beobachten musste.

  • Er wusste wirklich nicht, wieso er so nett war. Wie hatte das Mädchen das verdient? Sie war daher gekommen, hatte ihn angegriffen (dafür schon hätte er ihr mit Fug und Recht Manieren beibringen können) und verspottet. Sie beleidigte seinen Verstand und behandelte ihn wie ein unartiges Kind. Jeder andere Flavier hätte bei ihren Worten schon mal ganz flott und locker eine Peitsche in der Hand gehabt und die Sklavin mal ganz lässig auf Teufel komm raus ausgebeizt. Piso jedoch bildete sich viel darauf ein, dass er geradewegs unmenschlich kultiviert und gnadenlos aesthetisch veranlagt war, ein Vorbild für die Jugend, ein Herzeigestück römischer Pracht, ein...
    Und so weiter und so fort. Lassen wir einmal Piso mit seinen Gedanken alleine. Nehmen wir wieder die Rolle des vernuenftigen, normalen, unbeteiligten und wahrhaft bemerkenswert inexistenten Zusehers an. Was dieser sehen würde, war unzweifelhaft eine kecke, blutjunge Sklavin, die mit bewundernswerten Mut einem Römer auf der Nase herumtanzte. Ein solcher Betrachter – die Faulheit hindert den Schreiber daran, ihm einen Namen zu geben, und eine Namensgebung solcher Art wäre eh eine sinnlose Beschäftigung, existiert doch jene Person gar nicht - wuerde vermutlich entsetzt sein über die Leichtigkeit, mit der die Sklavin den Römer herunterputzte. Doch jener imaginäre Beobachter würde nicht wissen, dass Piso noch ein paar Tricks auf Lager hatte, und sowieso am längeren Hebel sass.
    Doch kehren wir zu Aulus Flavius Piso zurueck, den glücklosen verhinderten Barden. Dieser hatte gerade mit einigen pompoesen Konstrukten seinen selbstbeweihraeuchernden Gedankengang abgeschlossen und blickte wieder auf Asny. Was... was wollte die jetzt?, fragte er sich, als sie sich vorbeugte. Wollte sie ihn abknutschen? Ganz so abgeneigt wäre er dem nicht gewesen, da wäre ihm eine Verzeihung schon besser über die Lippen gelaufen. Auch wenn sie ihm ein bisschen zu jung für seinen Geschmack war. Doch sie machte das nur, um ihm noch weitere Gemeinheiten ins Ohr zu flüstern.
    Nun, wenn Piso ganz ehrlich war: Jawohl! Das hätte er wollen. Er wollte sie dazu veranlassen, ihre Aussage gerade eben zu qualifizieren. Er hatte es darauf angelegt. Das war in die Hosen gegangen, doch Piso wollte dies nicht der Sklavin zum Vorteil gereichen lassen. Zumal er jetzt soviel gegen sie in der Hand hatte.
    Aber er musste ihrem Mut Respekt zollen. Und irgendwie hatte diese Aussage schon etwas. Direkt, frech, voll von einem unverfälschten Mutterwitz. Piso verdrängte die Wut aus seinen Augen und grinste. Dann fing er an zu Lachen. „Hehehe.“, meinte er. „Du Spassvogel. Hihihi.“ Er verdrehte die Augen wie in freudiger Extase. „Muahahahahahahaha!“ Es klang wie Groehlen, ein ferner Widerhall und ein Vorgeschmack auf seine (nicht vorhandene) musikalische Begabung. „Hahahahaharrharharrrrrrrrrrrrr... sehr unbeeindruckt.“ Beim langen R waren seine Mundwinkel wieder heruntergerutscht, und er sah sie wieder streng an. „Lustig bist du schon, nicht wahr?“ Abschaetzig blickte er sie an. So einen Humor konnte sie gut brauchen. Seine Freundlichkeit hatte er jetzt gegen Ehrlichkeit ausgetauscht. Na schön, in dieser Hinsicht hatte sie gewonnen, und dazu noch mit einem geschmacklosen Schmäh. Er hatte sie damit einschuechtern wollen. Gut, dann halt nicht. Aber Piso hatte sein Pulver noch nicht verschossen. Das konnte ja kein wahrer Römer sein, der vor einem Sklavenmädchen klein beigab. Die Lust, ihr Manieren beizubringen, hatte er jetzt aber wieder komplett unter Kontrolle.
    Er hörte sich ihre Worte an. Bei ihren Worten fing er an zu grinsen. Ja, die Worte waren dazu befähigt gewesen, ihn zur Weissglut zur Bringen, und ihn dazu zu bringen, sie zu schlagen. Vielleicht wollte diese Verrückte das sogar. Damit sie ihre eigene ach so überlegene moralische Verfassung zur Schau stellen konnte. Doch Piso würde da nicht mitspielen. Vor allem nicht, wenn sie ihm jetzt eine so gute Vorgabe lieferte.
    Er wartete duldsam, mit einem undeutbaren Blick in seinen Augen, bis sie die Lyra untersucht hatte. Er atmetete tief ein. Und tief aus. Dann sprach er. „Weisst du, was ich glaube? Das es dich einen feuchten Kehrricht angeht. Genau.“ Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und er sah sie missmutig an. Dann bildete sich ein Grinsen auf seinen Lippen. Es war kein hoefliches wie gerade eben, sondern ein arglistiges.
    „So, ich bin ein Verlierer.“, wiederholte er ihre Worte. „Gut. Ich mag ja ein dummes Stück Dreck und ein Verlierer sein.“ Seine Worte troffen vor Ironie. Freundlich klangen sie nicht mehr. Jetzt lagen die Karten auf dem Tisch, rien ne va plus. „Aber ich kenne jemanden, der mich in allen diesen noblen Disziplinen klar übertrifft.“ Er streckte die rechte Hand aus und zeigte mit dem Zeigefinger auf sie. „Du. Und du weisst auch, wieso. Du bist die grosse Verliererin. Du hast die Arschkarte des Lebens gezogen. Sklaverei. Du bist Sklavin. Das darfst du nicht vergessen. Weisst du was? Es macht mir nichts aus, wenn du mich Dummkopf, Esel, Arsch, Dreckstück nennst. Denn jedes Mal, wenn du das sagst, werde ich lachen. Genau! Ja!“ Er prustete kurz los und kriegte sich wieder ein. „Denn ich weiss, dass du mir etwas neidest, was mir eigen ist. Du magst mich verachten, dieses eine aber willst du haben. Die Freiheit. Du wirst sie nicht bekommen, wenn du so weiter machst. Neeeee.“ Mit seinem letzten Wort unterstrich er seine Worte genussvoll.
    Dann warf er einen Blick auf die Lyra. „Und lass die sein. Ich werde sie einem Handwerker bringen. Du haltest sie ja in der Hand wie ein Dorftrottel.“ Er machte keinen Versuch, ihr die Lyra aus der Hand zu nehmen. Etwas in ihm sagte ja eh schon, dass sie hinüber war.

  • Es war nicht schwer festzustellen, dass die Lyra anscheinend wesentlich größeres Interesse in Asny erweckte, als deren menschlicher Anhang. Stets bevorzugte sie die Arbeit mit leblosen Objekten, oder, wenn es schon Leben in sich tragen musste, Pflanzen, Tieren, Insekten, Würmern. Alles, worüber der Mensch angeblich unangetastet herrschte, war ihr willkommener, als sich mit der Krone der Schöpfung persönlich auseinandersetzen zu müssen. Und dieser Mann, jener angebliche Flavier, ließ in ihr einmal mehr die Erinnerung aufsteigen, weswegen sie genau so dachte. Es hätte sie auch ernsthaft überrascht, wenn er tatsächlich ernsthafte und nützliche Informationen zu seinem Musikinstrument hätte darbringen können. Freiwillige Kooperation brachte man Asny auch nur sehr selten entgegen, nicht einmal dann, wenn es zum Gewinn eines anderes durchaus angebracht und wertvoll gewesen wäre. Anscheinend ging es den Menschen doch immer noch viel zu gut. Es verlangte sie nicht bloß nach Hilfe, sie sollte auch noch respektvoll und freundlich daherkommen, als könnte man sich glücklich schätzen, sie unterstützen zu dürfen. Nur bedauerlicherweise war sie trotz aller Gegenargumente keine Göttin, die in die Herzen der Sterblichen zu blicken vermochte und dort etwas gab, das man respektieren konnte, wenngleich auch alles andere in eine völlig andere Richtung deutete. Die blonde Sklavin war nur imstande mit dem Material zu arbeiten, das man ihr vorlegte.
    Was sich ihr bei Piso da gerade offenbarte waren eine massive Portion Unfähigkeit, geistiger Rückstand, schlechte Prinzipienwahl, mangelnde Menschenkenntnis, miserables Urteilsvermögen, Unmusikalität, ein starker Hang zur Blamage, hinderliche Sturheit und eine katastrophale weil vollständig unbegründete Selbstüberschätzung. Wenig später kamen noch Ordinarität und das Benehmen eines Kleinkindes hinzu. Ohja, die Familie der Flavier durfte sich wirklich glücklich schätzen, diesen Segen der Götter eingefangen zu haben. Jeder wirkliche Komödiant hätte sich angewidert abgewendet angesichts dieser völlig humorlosen Scherze. Zum ersten Mal wurde Asny bewusst, dass es sie bezüglich ihres Herrn doch durchaus härter hätte treffen können. Sie hätte die Leibsklavin dieses gehenden, grölenden Beweises dafür werden können, dass Menschen auch ohne direkten Einsatzes ihres Gehirns lebensfähig waren. Minderwertig, aber lebensfähig.


    Wahrscheinlich war er als Kind - was er ja irgendwie immer noch war - ganz oft von bösen, großen Jungs verprügelt worden. Und dann immer auf den Kopf. Er lebte in seiner eigenen, lustigen, bunten Welt, ähnlich wie sie, nur tanzten bei ihr keine knuddeligen Fantasiewesen Ringelrei und versicherten ihr mit blöde dreinschauenden Knopfaugen, dass sie ihr bester Freund wäre. Der König von Flauschipuh-Land hier würde schon bald mittels recht ungemütlicher Weckrufe aus seinem kuscheligen Bettchen gerissen. Er befand sich dafür genau an der richtigen Stelle. Alles, was noch fehlte, war ein Nutzen für Asny. Ansonsten durfte er ihretwegen sehr gerne gackernd und kichernd im Fischteich absaufen.
    Inzwischen hatte die Sklavin die Lyra wieder sinken lassen und den überaus ausdrucksstarken Blick des Flaviers mit gleichbleibend sanftmütiger Miene erwidert. Wie es schien probierte er sich nun an einer anderen Taktik, der wohl billigsten überhaupt. Der langweiligsten und vor allem der für ihn blamabelsten überhaupt. Wenn wenigstens seine Rhetorik dem zerbrechlichen Argument ein wenig Auftrieb gegeben hätte. Bekam dieser Mann eigentlich noch Unterricht? Plante man, ihm Unterricht zu erteilen? Am Besten sie brachte diesen Vorschlag bei Gelegenheit einmal in einem Gespräch mit Aristides ein, sie hoffte, dass der Ruf der Familie dem gegenwärtigen Oberhaupt nicht vollkommen gleichgültig wäre.


    "Du bist dir schon des Effekts bewusst, wenn du jemanden, der dir so eindeutig überlegen ist, derart tief herabwürdigst, oder? Wenn du den Fakt, dass ich eine Sklavin bin, in solch einer Weise herausstellst, verdeutlichst du damit gleichzeitig deine Unfähigkeit, neben einer Sklavin zu bestehen. Vergleiche uns nicht. Du zeichnest damit ein sehr unvorteilhaftes Bild von dir. Und deine Meinung ist mir völlig einerlei."
    Inzwischen hatte sie die Hände langsam auf den Rücken genommen und damit ebenso die Lyra, denn sie plante keineswegs, diese ihrem Besitzer zurückzugeben. Inzwischen hatte sie eigene Überlegungen dazu angestellt, insofern war die Diagnose und Reparatur nun zu ihrer Aufgabe geworden.
    "Im Übrigen habe ich dir niemals derart profane Titulierungen angedeihen lassen, aus dem schlichten Grunde, dass ich sie für niveaulos und vulgär halte und solcherlei Begriffe aus meinem Wortschatz verbannen möchte. Umso mehr überrascht es mich, sie nun aus dem Munde eines Flaviers hören zu müssen. In diesem Zusammenhang würde ich dir gerne auch den gut gemeinten Ratschlag geben, niemals mehr ein derartig obszönes Lachen wie gerade eben anzustimmen, nicht einmal in deinen persönlichen Räumlichkeiten. Ich bin mir sicher, du wolltest damit etwas wie Überlegenheit, Stärke und Macht demonstrieren, leider ist ein deutlich anderer Eindruck entstanden. Es zeigte Ähnlichkeit mit den Lauten einer Krähe, der aufgrund eines Parasitenbefalls langsam die Lungenflügel aufgefressen werden."
    Nun gut, auch Aristides' gröhlende Lachanfälle drangen ihr durch Mark und Bein und irgendwann würde sie ihm ganz gewiss einen rotbackigen Apfel zwischen die abstoßend aufgerissenen Kiefer pressen, doch wenigstens sprach dieses Verhalten von derber, wenngleich ehrlicher Freude und stellte kein gekünsteltes Möchtegern-Imponiergehabe dar, als wäre er der prunkvolle Darsteller seiner eigenen Theaterbühne.


    Asnys Lächeln verstärkte sich um eine daunenweiche Winzigkeit.
    "Aber wahrscheinlich hat deine Mutter dich einfach zu lieb gehabt, um dir in erzieherischen Maßnahmen die Mundhöhle auszuwaschen, wenn du solch schmutzige Wörter benutzt hast. Und ehrlich, wer könnte jemanden wie dich nicht auf Anhieb ganz furchtbar lieb haben? Du bist mir in der kurzen Zeit, die wir miteinander verbracht haben, auch gleich dermaßen an mein kaltes, totes, freiheitsloses Sklavinnenherz gewachsen, dass ich dir eine solch würdelose Lyra niemals überreichen würde. Ich trage persönlich Sorge für die umgehende Reparatur, mir ist ein ausgezeichneter Instrumentenbauer bekannt. Dadurch lerne ich zudem dieses schöne, wohlklingende Instrument viel besser kennen und vermag dir bei deiner nächsten verzweifelten Künstlerphase gleich angemessen behilflich zu sein. Stell' dir nur vor, das eben Erlebte geschähe mit einer reparierten oder völlig neuen Lyra erneut! Nachher käme noch jemand auf die Idee, du selbst trügest die Schuld an diesen grausigen Klängen!"
    Sie verspürte große Lust, sich ihren Verdacht von einem Fachmann bestätigen zu lassen. Vermutlich hatte sich das ganze Ding aufgrund nicht sachgemäßer Behandlung verzogen und verzerrt. Es käme nicht überraschend zu hören, dass selbst ein Genie auf dem Gebiet der Instrumentenreparatur nur noch fassungslos und bedauernd den Kopf schüttelte und zum Kauf einer ganz neuen Lyra riet. Falls er einem derartig misshandelnden Spieler überhaupt noch eine solche Kostbarkeit anvertrauen wollte.
    "Bei einem derart leidenschaftlichen Spieler gehe ich davon aus, dass du weder Mühen und ganz besonders nicht Kosten scheuen wirst, um dich endlich wieder mithilfe elegant schwingender Seiten und zarten Klängen ausdrücken zu können, nicht wahr?" Auf diese Weise vermochte Asny auch gleich zu prüfen, wie es gegenwärtig mit seinen finanziellen Möglichkeiten bestellt war. Wenngleich Aristides ihr diese Prüfung auch mit keinem Wort aufgetragen hatte, doch dessen Vorstellung einer 'perfekten' Sklavin glich sich eben nicht in allen Punkten mit der ihren der 'besten Sklavin der Welt'.

  • Die Sklavin war bei weitem nicht so wie alle anderen, die Piso je kennen gelernt hatte. Die meisten stanken und katzbuckelten, wo es nur möglich war. Wenn ein Römer die streng ansah, machten sie sich in die Hose. Manch andere waren rebellisch, aber dies war dann offnabr. Das waren immer diejenigen, die ausgepeitscht wurden, weil sie sich geweigert hatten, irgendwelche Arbeiten auszuführen. Und dann kamen sie sich vor wie Spartakusse, weil sie eine Art Widerstand geleistet hatten, der sie weder voranbrachte, noch die Welt verbesserte, noch irgendjemandes Meinung über sie verbesserte. Meistens waren es dann eh die anderen Sklaven, die Verstösse der anderen Sklaven ahndeten und meldeten, in der Hoffnung, irgendwelche Begünstigungen zu erlangen.
    Diese Sklavin ragte aus dieser Menge heraus, passte nicht in das 0815-Schema einer typischen Sklavin. Wie auch sie eine psychologische Analyse von piso machte, griff auch der Patrizier dem damals noch relativ unbekannten Dr. Freud voraus und erstellte eine Analyse. Die Sklavin war so hochnäsig und präpotent, das konnte erklärt werden. Es mussten die psychologischen Schäden der Sklaverei sein. Halluzinationen, genau, und Illusionen. Aehnliches hatte er schon gehört von anderen Sklavenhaltern. Eine gewisse Art von Sklaven entwickelte Allmachtfantasien. Dies war ein offensichtlicher Eskapismus aus ihrer echten, realen Situation. Und diese Fantasie schlug sich schlussendlich auch in die Realität durch. In anderen Worten, die Sklavin war verrückt. Genau das musste es sein. Sie musste unter einer ordentlichen Portion an Selbsttäuschung und Wahnvorstellungen leiden.
    Soweit Piso, Amateurpsychologe von nicht allzu umfassender Bedeutung. Er seufzte ganz leise, innerlich auf. So war das also, das erklärte alles. Die Sklavin wusste nicht, was sie tat. Krampfhafte Zuckungen in ihrem Hirn diktierten ihre Aktionen. Sie begann, ihm Leid zu tun. Nun, fast. Das wäre tatsächlich so geworden, hätte die Sklavin nicht Piso ordentlich gegen den Strich gekämmt. Er selbst wäre nicht auf eine wildfremde Person zugegangen, hätte sie attackiert, angepöbelt und beleidigt. Nicht einmal einen Sklaven. Aber nein, sie musste das machen, also sah sich Piso auch dazu verpflichtet, sich zu verteidigen. Ihre herablassende Art wurde nur noch ausgeprägter, als sie wieder zu sprechen anfing. Sie hielt sich offenbar für die beste aller besten. Nun, da Piso schon ziemlich davon überzeugt war, dass sie verrückt war, liess er den Zorn aus seinen Augen verrauchen.
    „Ich habe nie vorgehabt, dich mit mir zu vergleichen. Und meine Worte waren nicht als Herabwürdigung gemeint gewesen. Die Sklavenschaft ist ein sehr ehrenwerter Stand, den ich niemals zu verspotten wagen würde.“, meinte er. Ein feines Lächeln zierte wieder sein Gesicht, doch man konnte fast schon sehen, wie seine Stimme vor Ironie troff. „Doch ich wollte dich nur auf etwas aufmerksam machen. Meine Meinung sollte dir nicht egal sein. Denn ganz gleich, wie überlegen du bist, oder zu sein glaubst, du musst die Meinung deiner Herren immer für voll nehmen. Das ist eine der Pflichten der Sklaven, wenn ich mich richtig erinnern kann?“ Er lächelte noch immer. „Ich muss mich ausserdem an dieser Stelle für meinen Ausraster entschuldigen. Verzeih mir, dass ich etwas... irritiert war ob deiner Interpretation deiner Pflichten als Sklavin.“ Er zuckte mit den Schultern, ganz so, als ob er seinen Versuch, die Sklavin aus der Reserve zu bringen, ehrlich bedauerte.
    „Hm, warte mal. Dann schätze ich, deine tätlicher Angriff auf mich gerade eben war wohl rein freundschaftlich? Und du hast gerade zugegeben, dass du mich für Dreck haltest. Vielleicht hast du mich nicht explizit so genannt – was ich dir auch geraten haben will – aber ich sehe es dir an, dass du diese Begriffe für mich schon lange im Kopf hast. Da konnte ich es auch genau so gut aussprechen. Und nein, ich habe nicht die Intention, mein Lachen zu ändern. Ich finde es wunderbar. Kernig und ehrlich. Wenn es der werten Dame nicht gefällt, kann ich Moos empfehlen. Es dichtet sehr gut ab, wenn man es sich in die Ohren steckt.“Doch was sie nun als nächstes sagte, liess sein Lächeln verklingen. Er starrte sie verdattert an. Zum ersten Mal in ihrer Konversation wirkte er entsetzt und getroffen. Sein Ueberheblichkeitsgetue blätterte von ihm auf einmal ab wie alte Farbe von einer feuchten Mauer.
    Er schluckte, dann meinte er, ganz langsam: „Lass meine Mutter aus dem Spiel. Lass sie aus dem Spiel.“ Der Versuch, drohend zu klingen, scheiterte.
    Erinnerungsstücke flackerten hervor. Seine Mutter. Seine Geschwister hatten ihn regelmässig lästig getan, haben ihn gehänselt, ebenso wie sein Vater, der ihm regelmässig viel zu derbe Watschen gegeben hatte, „damit aus diesem Waschlappen mal ein Mann wird!“ Nur seine Mutter hatte ihn beschützt. Und ihr Vater hatte sie hintergangen, immer und immer wieder. Und immer mit verschiedenen Mädchen. Und er hatte nie etwas dagegen tun können, so gern er es auch getan hätte. Wie froh er gewesen war, als er endlich aus Ravenna wegkam. Doch diese Sklavin brachte wieder Erinnerungen hoch.
    Er schüttelte einmal schnell den Kopf und meinte dann: „Ich mag deine Ehre angegriffen haben. Doch nie die deiner Eltern und deines Volkes.“ Er war jetzt wieder fähig, in geordneten Strukturen zu denken. „Was die Lyra angeht, finde ich den Vorschlag gut.“ Er meinte dies ganz frank und frei heraus. „Dann mach das.“ Ein kurz Pause, in der er Zeit hatte, ein selbstgefälliges Grinsen, das direkt danach lechzte, das Ziel eines starken Fausthiebes zu sein, aufzusetzen. „Ich... befehle es dir, Sklavin. Und ja, wir alle wollen ja, das das Instrument wieder gut klingt. Du bist dann von jenen unsäglichen Lauten befreit, und ich habe wieder ein funktionierendes Instrument. Und, um den Preis mach dir keine Sorgen. Das werde ich hinkriegen.“, meinte er und liess sich von seiner finanziellen Schwäche nichts anmerken.
    „War das alles? Oder willst du mir noch etwas an den Kopf werfen, etwas anderes als, sagen wir mal, Steine und Beleidigungen?“

  • Zumindest schien er nicht einen weiteren seiner Lachanfälle zu bekommen, von denen man kleinen, unfolgsamen Kindern vermutlich immer erzählte, wenn man sie ins Bett bekommen wollte. 'Wenn du nicht schlafen gehst, hol' ich den irren Flavier und der lacht dir die Ohren blutig'. Wirksamer als jeder Mythos aus der Unterwelt. Vor allem, wenn man dann auch noch von seinem Lyraspiel berichtete. Oder seinem Sinn für messerscharfe Ironie. Aber wahrscheinlich versuchte sich dieser arme Mensch nur gegen ihre fiese, gemeine Art zu verteidigen, etwas, das er schlicht nicht gewöhnt war zu tun. Wenngleich Asny das nicht ganz verstehen konnte. Mit diesen Fähigkeiten und den dazu passenden Charakterzügen musste er doch sein halbes Leben lang seine Umwelt dazu provoziert haben, ihm auf verschiedenen, lustigen Wegen wehzutun. Die einzigen Voraussetzungen, welche ihn möglicherweise gerettet hatten, waren sein Stand, sein Name und sein Geld. Vielleicht befand sie sich hier auch einem verwöhnten, verhätschelten Söhnchen gegenüber, das stets in seiner regenbogenbunten Seifenblase gelebt und sich nie gegenüber irgendwem hatte verteidigen müssen, ganz einfach weil ihn niemand jemals angegriffen hatte. Selbstverständlich wusste Asny um ihre Fertigkeiten wenn es darum ging, bei ihren Gesprächspartner rasch negative Emotionen zu wecken, was für die meisten gänzlich unerwartet war, doch das Überraschungsmoment dürfte dennoch langsam verflogen sein. Trotzdem schien er noch nicht ganz eine sinnvolle Taktik für den Gegenangriff gefunden zu haben. Er suchte, ohja, sogar recht weitflächig. Möglicherweise war dies das Problem, mit diesem Breitband-Rückschlag verstreute er sich zu sehr, anstatt auf einen direkten, konzentrierten Angriff zu setzen, hinter den er seine volle Überzeugung setzte. Selbstverständlich hätte sich Asny ihm in eigentlich allen Manövern überlegen gefühlt, doch momentan wurde sie von dem entspannten Gefühl heimgesucht, einem verletzten Schmetterling, welcher hilflos auf dem Boden herumkrabbelte, beim Sterben zuzuschauen.


    Nun ging er also wieder zur Ironie über. Dies war immerhin besser, als wenn er kurz davor stünde, sich selbst zu vergessen und sich auf den unkontrollierten Schlag seiner Hand zu verlassen. Nicht, dass dies unverdient geschähe. Asny wusste genau, was für ein insensibles Scheusal sie in den Augen anderer sein konnte, schon oft genug hatte man ihr diese und ähnliche Titel verliehen. Aber die anderen Leute waren nicht besser. Und sie besaß zumindest keine schmutzigen kleinen Geheimnisse, tratschte nicht heimlich hinter den Rücken anderer, verbreitete Gerüchte und brachte Konkurrenten in Misskredit, ließ Feinde in dunklen Gassen ermorden oder trieb es mit dem Bruder ihres Mannes. Dennoch schienen solche geheimen Aktionen immer noch ehrenvoller und freundlicher zu sein, als wenn man dem Problem in aller Öffentlichkeit und ohne jedwede Verschleierung auf den Fuß trat. Menschen waren ein verlogenes Volk, das nichts weniger ausstehen konnte, als eine direkte Wahrheit in ihrer Mitte. Dabei war es nicht so, dass Asny niemals log. Gelangte sie dadurch leichter an ein Ziel, wollte sie erst einmal ungestört eine Lage sondieren, wie nach ihrer Ankunft in der Villa, war sie eine formvollendete Schauspielerin. Doch dies änderte sich. In den seltensten Fällen erreichte sie ihre Absichten mit blanker Höflichkeit.
    "Ich verzeihe dir. Irren ist schließlich nur allzu menschlich, nicht wahr? Was nun die herrschaftliche Meinung und das 'voll nehmen' anbelangt - kein Sklave nimmt die Meinung seiner Herren 'für voll'. Sie geben dies lediglich vor. Und ich tue das nicht. Ich halte nichts davon, derart noble Herren wie dich freiheraus anzulügen. Aber nein, mein Wurf, welcher keinen tätlichen Angriff darstellte, weil er nicht traf, erfolgte nicht rein freundschaftlich. Ich plante, die offensichtlich schwer kranke, schreiende Katze damit zu erlösen, welche sich den Indizien folgend im Garten gerade fürchterlich quälte. Dann fand ich dich und habe den Stein anderweitig entsorgt. So du dies wünschst kann ich jedoch gerne zum direkten Vergleich einmal einen tätlichen Angriff auf dich mit besagtem Stein simulieren. Unterschreibe jedoch bitte zuvor eine Einverständniserklärung, tote Flavier im hortus bedeuten in der Regel Komplikationen, wie ich bereits zuvor erwähnte. Einen guten Rosendünger, gewiss, leider jedoch eben auch Komplikationen."


    Es wäre zudem einmal eine interessante Überprüfung seines Status' innerhalb der Villa gewesen, hätte sie die Botschaft über die schwere Verletzung zu seiner Familie getragen. Vermutlich hätte der zweifelhafte Mechanismus namens 'heilige Familienbande' gnadenlos gegriffen, welcher besagte, dass nicht einmal allzu mangelhafte Exemplare dieser gens aussortiert und stillschweigend entsorgt werden durften, bevor sich die Kunde ihrer Taten und Worte noch verbreitete wie Unkraut und das gesamte Beet in Verruf brächte. Asny besaß Aristides' Meinung zu dem Thema noch ausgesprochen gut in Erinnerung. Andererseits hatte sich zum damaligen Zeitpunkt auch noch kein Piso häuslich eingerichtet und die Möglichkeiten des Gebrauchs von Moos in Richtungen gelenkt, die eine effektivere Lösung des Problems brächten als es in die Ohren der Zuhörer zu drücken.
    "Dein Lachen klang in etwa so ehrlich wie deine Entschuldigung. Und was du als 'kernig' bezeichnest würden andere eher mit 'degoutant' in Einklang bringen. Mir ist bewusst, dass du nun wie viele andere auch konsequent meine Meinung herabwürdigst, weswegen ich mich auch meist nicht als Ratgeberin eigne. Nicht, weil es mir an Intelligenz mangelt, sondern weil ich am entzündeten Stolz der Ratsuchenden zwingend scheitern muss. Ein schweres Schicksal, fürwahr, doch ich trage es mit Fassung."
    Aha, die Mutter also. Ein Schwachpunkt, jedoch wahrscheinlich nicht der einzige. Die Flavier schienen tatsächlich stark auf familiäre Bande fixiert zu sein. Möglicherweise weil sie diese Blutsverbindungen brauchten, um gegen die Welt dort draußen bestehen zu können. In Asnys Blick legte sich ein flüchtiger, dunkler Schatten, der stark verdeutlichte, was sie bei der Entdeckung dieser Achillesferse empfand. Es war weniger der Sachbestand an sich als die Art und Weise, wie empfindsam und wie bloß Piso hier eine Angriffsfläche präsentierte, und das auch noch vor jemandem, welcher bei ihm sicherlich längst in eine eher feindliche Kategorie driftete als in die einer Vertrauensperson. Und die weißblonde Sklavin pflegte in derartigen Wunden ohne den Anflug eines Gewissens herumzutasten, mit Salz und Essig an den Fingern. Besonders dann wenn man glaubte, sie hätte diesen Umstand bereits längst vergessen.


    Seine Reaktion war wirklich recht interessant. Ihre Ehre angegriffen... glaubte er, sie hätte einen konkreten, bösartigen Angriff auf ihn ausgeführt? Und im Gegensatz zu ihm war ihr bewusst, dass die Ehre ihrer Familie oder gar ihres Volkes einen Dreck wert waren. An dieser Stelle würde man bei ihr garantiert keine Angriffsfläche finden.
    Gelassen und desinteressiert zuckte sie mit den Schultern, während ihr Blick so kalt und weich wie die Berührung einer Schneeflocke auf nackter Haut wurde.
    "Ich habe nicht vor, irgendeinen Ödipus-Komplex aufzuschneiden gleich einem eitrigen Geschwür. Und da du derart empfindlich reagiert hast, muss dieses Geschwür äußerst schmerzhaft sein. Geradezu entstellend. Aber es ist deine Seele, welche Wucherungen du darauf züchtest, kann mir einerlei sein. Und wahrscheinlich hast du schlicht recht. Davon auszugehen, dass deine Mutter jemanden wie dich lieb haben könnte, greift ganz gewiss massiv ihre Ehre an." Ihr Lächeln mochte weniger ausdrucksstark als das seinige ausfallen, doch in seiner eigentlich sanftmütigen Unschuld wirkte es um einiges boshafter angesichts der zuvor gesprochenen Worte.
    Asny nahm sich innerlich vor, derzeit wieder vermehrt auf mögliche physische Angriffe von seiner Seite zu achten.
    "Kann ich dir denn noch einen Wunsch erfüllen, Herr? Mir ist es selbstverständlich erst erlaubt zu gehen, wenn du mich entlässt und fortschickst." Jetzt, da sie den Auslöser für ihren gestörten Morgen in Händen hielt, vermochte sie eigentlich wieder ihren ursprünglichen Plänen nachzugehen, falls ihr nicht doch noch etwas einfiele, wobei ihr dieser Flavier behilflich sein könnte. Schließlich bestand er ja nicht nur aus Verstand und Zunge, er besaß zudem noch einen Körper, mit welchem sich auch einiges anfangen ließe, wenn man wusste, wonach es einen verlangte.

  • Piso war sich ehrlich keiner Schuld bewusst. In aller Ernsthaftigkeit, was hatte er getan? Er war im Garten gesessen, ganz friedlich und in aller Gemütsruhe. Und er hatte versucht, die Lyra zu stimmen. Nun gut, die Geräusche waren leicht unkonventionell gewesen. Doch was die Sklavin hier aufführte, erinnerte ihn wirklich an ein sehr schlechtes Theater, in dem die Besetzung unterbezahlte Suburaner waren und das Publikum einen halben Sesterzen Eintritt hatten zahlen muessen. Nun, er hatte schon durchaus sehr miese Reaktionen auf sein Lyraspiel gehört. Menschen konnten mit wahrer Kunst oft nichts anfangen. Das war schade. Einmal wäre er als Kind schon fast wirklich hart verpruegelt worden, von irgendwelchen strolchenden Kindern in Ravenna. Der Grund, warum dies nicht geschenen war, war Archias gewesen, der gerade zu diesem Zeitpunkt um die Ecke gekommen und ihm aus der Patsche geholfen hatte. Ja, es war sein aelischer Jungendfreund, dem er es verdankt hatte, dass er seine Jugend so blessurenlos überstanden hatte. Ohne ihm wäre er nie so ungeschoren davon gekommen. Ja, er wusste, dass die meisten mit seiner Musik nichts anfangen konnten. Doch er spielte weiter... nicht weil er die Leute zu ergötzen suchte, sondern weil er auf der Suche nach Leuten war, welche seine Musik schätzten. Er war in seinem Leben schon 2 begegnet. Alte, eigensinnige Kunstkritiker. Vielleicht fand er ja bald einen dritten. Er wusste noch nicht, dass die am naechsten Tag erscheinende Acta Diurna einen Artikel beinhalten wuerde, in dem er ueber den Klee gelobt werden wuerde. Hätte er dies gewusst, wäre er noch viel unmöglicher aufgetreten, wie er dies jetzt schon tat. Und sein Ego häte sich aufgeblasen wie ein Germteig. Nicht, dass es jetzt schon genug aufgebläht wäre.
    Jene Unsicherheit, welche das Ereignis am Mercatus Urbi, wo er so haushoch gegen die Fremde verloren hatte, in ihm verursacht hatte, allerdings daempfte ihn. Er war schon immer peinlich gewesen, ja, er gab es zu, aber in Gehaessigkeit hatte er wenig Erfahrung. Dies war wohl, neben jener Unsicherheit, ein gewichtiger Grund, wieso er noch immer keinen Punkt gefunden hatte, an der er die Sklavin angreifen konnte. Ja, man konnte wirklich sagen, dass Piso in der echten Welt, abseits von Geld und Komfort, auf sehr wackeligem Grund stand. Doch eines hatte er noch vor, er wollte das letzte Wort haben.
    Er hörte also ihren Entgegnungen zu. Was sie sagte, lockte ein Lächeln in ihm hervor. „Tja. Du hast mich tätlich angegriffen, da muss ich dir widersprechen. Du hast mir keine Körperverletzung zugefügt. Aber angegriffen hast du, obwohl du mich nicht getroffen hast. Was daran gelegen hat, dass ich mich noch zu Boden geworfen habe. Und was in diese verschmutzte Tunika resultierte. Aber, tja, da du mir so nobel verzeihst, verzeihe ich dir auch deine Unkenntnis in Rechtssachen. Man kann das ja nicht von einer Sklavin erwarten.“, meinte er gönnerhaft. „Was man aber von einer Sklavin erwarten kann, ist, dass sie nicht Steine in die Richtung ihrer Herren wirft. Oder dass sie nicht subtil Mordabschichten andeutet.“, lächelte er.
    „Und nein, ich benötige deine Meinung überhaupt nicht. Umgekehrt schaut das ganz anders aus. Ein Sklave, der seine Herren nicht ernst nimmt, ist nicht mehr sehr lange ein... gesunder Sklave.“ Er grinste überheblich. „Ich kann dir da Sachen erzählen... aber ich bin ein gnädiger Mann und erspare dir dies. Was ich dir nicht ersparen kann, ist dass ich dir meine Meinung sage. Mein Lachen ist nicht degoutant. Vielmehr trifft diese Beschreibung auf deine Präpotenz zu, die nicht einmal von Herrn zu Sklavin angemessen wäre.“, belehrte er sie. „Ich finde es aber schön, dass du mit der Tatsache, dass du damit leben kannst, dass dir niemand zuhört. Dann muss ich mir ja keine Sorgen machen. Amsonsten hätte ich mich schlaflos im Bett herumgedreht.“ Piso hatte garantiert nicht vor, die Meinung dieser Sklavin sich anzuhören. Er wusste eh schon ganz genau, was sie von ihm dachte. Schade eigentlich. Aber sie hatte es so gewollt. Sie hatte sich, wie es aussah, keinen Freund gemacht. Ihr Nutzen sollte das nicht sein.
    Nun kam das Gespräch auf eine Ebene, welche Piso sehr unangenehm war. Er hörte sich also die ungehörigen Worte der Sklavin an. Er erwiderte gar nichts. Am Ende räusperte er sich. „Ach.“, meinte er nur. Es hatte ihn durchaus getroffen. Ihm gefiel die Art der Sklavin ganz und gar nicht. Er brachte ja durchaus Verständnis auf, wenn ein Sklave sein Schicksal beklagte. Doch was diese Sklavin da vom Stapel liess, das passte auf keine Kuhhaut.
    Die Grenze war jetzt überschritten worden. Jetzt konnte sie nicht mehr damit rechnen, dass Piso den netten Kerl spielen würde. Ja, vielleicht wäre er einfach nur gegangen und hätte es als Kuriosität abgehackt. Er hätte vielleicht einmal mit Aristides darüber gesprochen, dass er mit seinen Sklavn was falsch machte. Vielleicht hätte er nicht einmal das getan, wenn seine Lyra in einem tadellosen Zustand zurückgebracht worden wäre. Nein, er war möglicherweise doch kein so grosser Ungustl, wie er sich nach aussen gab. Dies dachte er einmal selbst von sich, wer weiss, ob das auch in der Realitaet stimmte. Doch jetzt war es auf jeden Fall, so oder so, genug.
    Er liess sich nach aussen nichts anmerken und lächelte nur. „Ich habe mir eigentlich gedacht, dies wäre ein gepflegtes Gespräch. Aber, ich sehe es ganz deutlich, das steht dir nicht zu Gesicht. Gut, auf ein zivilisiertes Gespräch kann ich für dieses Mal verzichten.“ Er wollte gar nicht solch niveaulose Bemerkungen kommentieren.
    Er blickte die Sklavin noch immer an, mit einem fast schon verständnisvollen Gesichtsausdruck, sich ins Gedächtnis rufend, dass sie ja verrückt sein musste. Er selbst hatte das ja festgestellt. nSie musste in ihre Schranken gewiesen werden. Nur, wie?
    „Ah, ja. Da hast du recht. Gut, dass dir das noch in letzter Minute eingefallen ist. Und da war durchaus noch was. Ja, genau, ich verlange etwas.“ Er lächelte ganz leicht. „Weil du mir eine so gute und folgsame Sklavin zu sein scheinst, macht dir das sicher nichts aus.“ Er machte eine kurze Pause, dann verkündete er: „Ich will, dass du mir die Füsse küsst. Nein, nein, das ist nicht als Strafe gemeint. Es soll dir die Gelegenheit bieten, dich zu besinnen. Darauf, wer du bist, Asny, und wie du deine Herren zu behandeln hast, ganz gleich, was du tief in dir drinnen von ihnen denkst. Und es gibt dir eine Möglichkeit, dir ins Gedächtnis zu rufen, welche Stufe in der Hierarchie du inne hast. Also, mach schon.“ Er streckte seinen rechten Fuss aus, welcher in einer Sandale steckte, welche durchaus von Staub und Erde beschmutzt war.

  • Sim-Off:

    Hoppala. Sorry -_-


    Unter Umständen sollte sie diesen grenzwertigen Flavier einmal mit zu einigen Händlern nehmen, nur um andere, wenig unabhängige Meinungen einzuholen zum Thema 'tätlicher Angriff' im Hinblick auf sie selbst. Hätte Asny diesen Kerl verletzen wollen, dann wäre es mit einem springbockartigen Hüpfer zur Seite nicht getan gewesen. Die Sklavin besaß da weder eine moralische, noch eine mitleidvolle Grenze wenn sie auf dem Wege zu einem anvisierten Ziel jemanden etwas schmerzvoller aus dem Weg räumen, oder ihre Meinung verdeutlichen musste. Manche Menschen waren für feinsinnige Argumentationen schlicht nicht offen genug, sie verstanden nur diese eine Sprache und Asny war flexibel genug, sich ihnen anzupassen. Doch ein Ausflug in die Händlerviertel Roms hätte zu einem solchen Zwecke lediglich eine leidige Zeitverschwendung dargestellt, jenes meistverabscheute Monstrum, welches auch gegenwärtig so langsam um die Villaecke zu schielen begann. Pisos Gedanken zu ihr waren ihr einerlei und umgekehrt hatte sie ihre Ansichten gewohnt konsequent und deutlich vorgetragen. Was nun noch folgen konnte war erfolgloses, sinnfreies Geplänkel, das ihr nichts nützte. Sie benötigte keine Anerkennung von diesem verqueren Flavier und eine Ruhestörung brauchte sie dank ihrer Trophäe auch nicht weiter zu befürchten. Piso war unnütz für sie. Eine solche Meinung kam in etwa einem Todesurteil gleich.
    All seine Bemerkungen prallten an ihrem sanften, etwas verträumt wirkenden Lächeln ab, denn nach seinem tiefen, haltlosen Fall in das Grab der Nutzlosigkeit hätte er sich als Iuppiter selbst zu erkennen geben können und Asnys Reaktion wäre dieselbe geblieben. Die Situation entsprach in etwa einem lauschigen Spaziergang, bei dem man einem Paar Kätzchen zuschaute, welches sich um eine erlegte Maus balgte. Es war possierlich anzusehen, doch außer vielleicht der ein oder anderen Metapher oder Lebensweisheit erntete man nichts von einem solchen Bild. Man hielt kurz inne, lächelte, setzte seinen Weg fort, und vergaß eine Straßenecke weiter bereits Katzen und Maus.
    Zudem hatte ihr Pfeil schon unlängst sein Ziel bei ihm getroffen, wie ihm nur zu genau bewusst war. Alles, was nun noch über seine Lippen strömte, waren die fahrigen Gegenschläge eines verwundeten Geistes. Der armselige Versuch, sein eigenes, ausströmendes Blut wieder in den Körper zurückzubringen, indem er es vom Boden schlürfte, bevor der trockene Sand es unwiderbringlich aufsaugte. Doch, ein hübsches Bild, wie er sich durch die offensichtliche Anstrengung mit jedem Wort nur noch ein wenig mehr demütigte.


    Anscheinend empfand er auch noch etwas wie Freude an seiner eigenen Demütigung. Wie sonst war wohl seine letzte Aufforderung zu verstehen? Doch vermutlich hatte er lediglich einmal mehr nicht darüber nachgedacht. Wenn er schon glaubte, dies wäre ein 'gepflegtes Gespräch'. Es gab keine 'gepflegten Gespräche' in Asnys Welt, es gab Belanglosigkeiten und Informationsbeschaffung, wobei sie auf die Belanglosigkeiten nach Möglichkeit verzichten wollte. Dabei war es nicht so, als hätte sie in ihrer Ausbildung zu 'einer guten, respektablen Ehefrau' nicht gelernt, wie man höflich und nichtssagend Konversation betrieb, sein Gegenüber erheiterte und die Zeit vertrieb. Sie verfügte durchaus auch über solcherlei Geplänkel, welches sie wie eine interessierte, jedoch nicht zu kluge römische Bürgerin wirken ließ. Aber weswegen sollte sie dies gerade jetzt benutzen? Um einem Flavier zu schmeicheln, ihn in Sicherheit zu wiegen und so zu tun, als stünde sie einem Kaiser gegenüber? Es war ganz und gar irrelevant, welchen Eindruck sie hier hinterließ. Zudem würde Piso ein 'gepflegtes Gespräch' nicht erkennen, wenn es ihn ansprang und in sein gerümpftes Riechorgan biss. Er mochte wie Aristides die ein oder andere gehobenere Erziehung genossen haben, doch das überspielte nicht seine niederen Instinkte. Die Füße küssen.. anscheinend fühlte dieser eitle Geck sich tatsächlich zum Kaiser erhoben. Solchen Gestalten bekam Rom einfach nicht, erst recht nicht das Wohnrecht in einer solchen Villa.


    "Lass mich dir einen Rat geben, Flavier. Einen, den du selbstverständlich ignorieren wirst, weil deine Eitelkeit es dir gebietet, meinen Äußerungen nicht die kleinste Beachtung mehr entgegenzubringen. Ich gebe ihn dir dennoch. In der Hoffnung, dass du deine Ohrmuscheln sauberer zu halten vermagst denn deine Füße." Seltsamerweise sah ihre Umgebung in den wenigen Augenblicken der Hilfsbereitschaft stets nur eine noch größere Vermessenheit. Piso würde an dieser Stelle wahrscheinlich kaum eine Ausnahme darstellen, noch mit einer anderen Freundlichkeit würde sie ihm an diesem Tage unter Garantie nicht mehr gefällig sein. Asny machte einen halben Schritt vor und beugte sich erneut in falschem Vertrauen zu ihrem Gegenüber, wenngleich sie ihren eigenen Fuß derart knapp neben seine staubige Sandale setzte, dass es für einen flüchtigen Moment so schien, als wolle sie direkt darauf treten.
    "Mache deinen Sieg niemals davon abhängig, dass dein Gegner kapituliert. Derenthalben ist seine Niederlage in gleichem Maße die deinige."
    Immer noch denselben, ruhig sanften Gesichtsausdruck tragend trat Asny wiederum zurück und nahm den exakt gleichen Abstand zu Piso ein, wie zuvor bereits.
    "Zudem würde ich in Zukunft davon abraten, einem Sklaven das Füßeküssen zu befehlen. Ich wurde einst Zeugin einer solchen Bestrafung und du glaubst gar nicht wie simpel es in dieser Haltung ist, jemandem den kompletten Zehennagel herauszureißen. Man schiebt lediglich die untere Zahnreihe zwischen Nagel und Zeh, presst die obere ans Nagelbett, und beißt einmal kräftig zu. Abgeleitet vom folgenden Geschrei müssen die Schmerzen nahezu unerträglich sein. Und es hinterlässt in gesellschaftlichen Kreisen auch gar kein gutes Bild, seines Zehennagels verlustig geworden zu sein."
    Das Lächeln verstärkte sich eine besorgniserregende Unschuldigkeit, ehe sie den dezent unangenehm wirkenden Blick auf ihr Gegenüber aufgab und sich mit einem eleganten Schwung zur Villa umwandte. Bereits im Fortstreben und ohne noch wirklich eine Antwort darauf zu verlangen teilte sie anscheinend mehr dem Garten als dem Flavier mit:
    "Ist dir einmal aufgefallen, dass, wenn du des Gelee Royals bereits habhaft geworden bist, jenes unsägliche Summen des Bienenschwarms nurmehr lästig und störend in deinen Ohren klingt?"

  • Sim-Off:

    Verzeihung viele Male. Nicht daran gedacht. :(


    Hätte Asny nun ihre Intention verlautbart, Piso mit auf die Märkte zu nehmen und diverse Händler, oder Bettler, oder Banditen nach deren Definition gewisser Wörter zu befragen, er hätte gelacht. Gesetze werden nicht durch den Pöbel beschrieben. Im Gegenteil, der Pöbel hat sich aus der Legislation rauszuhalten.
    Es war also ein Glück für Asny, dass sie nicht auf jenen Punkt bestanden hatte. Piso wäre ohne Zweifel auf eine Linie eingeschwenkt, bei der er ohne Zweifel mit juristischen Spitzfindigkeiten hätte punkten können. Asny wäre mit einem langweiligen und recht irrelevanten Vortrag über Gesetzgebung und Gewaltentrennung überschüttet worden, und Pisos Ego hätte sich zu bisher ungeahnten Maßen aufgebläht, wie immer, wenn er vermeinte, über einen Sachverhalt besser im Bilde zu sein als sein Gegenüber. Besonders, wenn es sich bei jenem Gegenüber um eine Sklavin handelte... eine kleine, wertlose Sklavin, die nicht einmal Dreck sein sollte für einen hochwohlgeborenen Römer wie ihn. Andere mochten ihren Sklaven das Leben versüßen, Piso hätte im Prinzip auch nichts dagegen, doch es war klar, dass die Sklavin, auch wenn sie Pisos Selbstgerechtigkeit einen Schlag versetzt hatte, sich keinen Freund gemacht hatte.
    Pisos Liste in seinem Kopf war demnach lang. Die Liste bestand aus diversen Delikten, die ihm die Sklavin zugefügt hatte, oder von denen er dies dachte. Tätlicher Angriff natürlich. Beleidigung. Verleumdung. Drohungen. Verhetzung. Infamie. Verletzung seines Rechtes auf Privatsphäre. Verletzung seines Rechtes auf körperliche Integrität.
    Während er also diese großen, vornehmen Wörter in seinem Kopf herumwälzte, entging es ihm tatsächlich, dass die Hälfte der Anschuldigungen aus der Luft gegriffen waren und er sich mit der anderen Hälfte eher lächerlich machen würde. Doch für den Sohn des ehrenwerten Saufboldes und Lebemanns Flavius Aetius war die Idee, sich der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben, kein fremdes Konzept. Es war ihm wohlvertraut.
    Doch einen Anklagepunkt konnte selbst sein kreatives Hirn nicht erfinden. Einen Punkt gegen ihr debiles Grinsen. Hilfe, Hilfe, sie hat mich angelächelt – nein, das wäre vielleicht eine kleine Spur seltsam. Doch die Sklavin wusste, mit so einem Lächeln konnte man die Leute zur Weißglut treiben. So frech, so infam, so ungezogen! Aristides hatte seine Zügel eindeutig zu locker gelassen bei dieser Sklavin. Piso würde dies niemals passieren. Seine Sklaven waren nicht ungehörig.
    Doch war dies nicht wegen seines festen Anpackens, sondern, weil die Sklaven, mit denen er sich ungab, zu philosophisch, zu gutmütig oder zu willenlos waren, um ihm etwas anzutun. Es war wohl deshalb, wieso er sich mit genau diesen Subjekten umgab. Wenn man noch an Secundus Felix dachte, wie streng er mit den Sklaven umgegangen war – Piso war viel zu schwach, um dies jemals durchziehen zu können. Vielleicht war es sein innerlicher guter Kern, der verhinderte, dass er die Sklaven reihenweise ans Kreuz nagelte.
    Obwohl, vielleicht würde er noch eine Ausnahme bei dieser jungen Dame machen.
    Freude über seine eigene Demütigung empfand er keineswegs, vielmehr war es die Unfähigkiet seiner geistigen Haltung, zu begreifen, dass er nichts ausrichten konnte. Er zeihte seinen Vater einen elenden Kerl, der ihm eine elende Kindheit bereitete hatte. In Wirklichkeit aber konnte Flavius Aetius wenig dafür. Im Gegenteil, er hatte immer nur das beste für seinen Sohn wollen, welcher aber nicht die Ruchlosigkeit besaß, die ein Mann brauchte, um ganz nach vorne zu kommen.
    Es war ihm also seiner Kindheit ein gemachtes Nest gestaltet worden.Andere Leute wurden in hinteren Gossen geboren, oder als Sklaven, und mussten aus eigener Kraft sich aufraffen. Pisos Beine berührten den harten Grund der Realität, als sie schon am Laufen waren. Leider war für Piso die Realität ein Sumpf, in dem er immer wieder stecken blieb. Was lag also näher, als sich Luftschlösser zu bauen? Was lag näher, als sich einzureden, in Wirklichkeit hatte er der Sklavin Respekt vor sich selber beigebracht? Was lag näher, als sich selber zum Sieger dieser verbalen Auseinandersetzung zu erkiesen, sich mit imaginären lorbeeren zu schmücken, abzugehen wie ein Kaiser, oder zumindest wie ein Patrizier mit kaiserlichen Blut in seinen Venen?
    Und doch, der Pfeil steckte in ihm. Er wollte es nicht wissen, doch es war klar, dass sie ihn getroffen hatte. Seine Pfeile währenddessen waren an ihr abgeprallt wie an einer Legionärsrüstung. Er blickte ihr abschätzig in die Augen und schüttelte leicht den Kopf. Das Mädchen war abgebrüht... so sehr, dass er nicht mehr wusste, wie das vonstatten gegangen war. Sicherlich war es ihre Verrücktheit. Dass er sie der Verrücktheit zeihte, war natürlich so, als ob die Krähe den Raben schwarz nennt.
    Er schenkte ihr also sein Gehör, wobei er nicht wusste, wieso. Vielleicht dachte er, dass er noch den einen oder anderen sinnlosen Punkt machen könnte.
    Er kicherte leicht sinnlos und hielt dann inne. „Der Zustand meiner Füße geht dich einen verdammten Kehrricht an, Sklavin.“, blaffte er die Sklavin an und blickte säuerlich.
    Als sie auf ihn zutrat, hielt er sich nur mit äußerster Standhaftigkeit davor zurück, unwillkürlich nach hinten zu treten. Er blieb also, wo er war, und fühlte die Körperwärme der Sklavin. Was, wenn er jetzt... Unfug, sie würde ihm die Zunge abbeißen. Obwohl, eine Gaudi wäre es schon.
    Unflätige Überlegungen hielten ihn also zurück, den Worten Asnys irgendeine Bedeutung zuzumessen. „Jaja...“, meinte er deshalb nur spitz und wortkarg.
    Er räusperte sich, als er ihre Worte verdaut hatte. „Soso. Befehlsverweigerung. Das kommt natürlich sehr gut.“, stellte er fest und grinste selbstgefällig. „Und du willst eine vorbildliche Sklavin sein? Natürlich hätte mein Befehl nicht das Ausreißen meines Nagels inkludiert. Vielmehr wäre es eine Übererfüllung meines Wunsches gewesen, und ich hätte dir da sicherlich noch eine Extra-Angenehmlichkeit zukommen gelassen. Es fände sich sicherlich jemand aus der Sklavenschaft, der für eine Exraportion Pampe dir mit Freude alle Nägel herausreißen würde.“ Wer am Hahn saß, und daran herumschrauben konnte, war immer in einer guten Position. „Was würde DAS nur für ein Bild machen...“ Mitleidig schüttelte er den Kopf.
    „Wie dem auch sei, Spaß habe ich enorm gehabt bei dieser Konversation.“ Seine Stimme troff vor Ironie, doch dem aufmerksamen Leser musste dies nicht klargemacht werden. „Und jetzt... scher dich.“ So harsch endeten seine Worte, und er war schon dabei, sich brüsk umzuwenden, als ihm noch etwas einfiel, was er loswerden wollte.
    „Sklavin! Vergiss deinen Auftrag nicht. Damit wäre uns beiden geholfen. Ich könnte mich wieder den Musen widmen, und du musst dem Missklang dich nicht mehr hingeben. Und das war alles. Du bist entlassen.“, strich er heruas und drehte sich um.
    Als er ging, hörte er noch ihre Stimme verträumt etwas nuscheln... Gelee Royale? Er dachte nach. Er, als Norditaliener, kannte das unter Königinfuttersaft. Angeblich hatte es stärkende Funktionen. Doch so krampfhaft er seine Hirnwindungen arbeiten ließ, er kam nicht darauf, was der Sinn von Asnys Worten bezüglich der Nahrung der Bienenköniginnen war. Er beschloss, es auf ihre Verrücktheit zu schieben, ohne sich noch weitere Gedanken in Richtung der unterschwelligen Bedeutung ihres Satzes zu machen.
    Weitausholend waren seine Schritte, als er den Ort des Grauens verließ. Sein Tag war ihm verlitten. Er würde sich noch einen falerner genehmigen, nicht, weil er ihn verdient hatte, sondern,w eil er damit seine Erinnerungen an dieses gespräch wegspülen wollte.
    Er bog um die Ecke und war verschwunden.
    Dies konnte das Ende sein in den Auseinandersetzungen zwischen dem römischen Patrizier und der germanischen Sklavin.
    Ob es dies aber war, stand in den Sternen.

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