alicubi | Sternenzeit

  • Der Abend war schon weiter fortgeschritten. Die Cena war länger vorbei, und auch die anschließende kleine Feier befand sich im Ausklingen – einige der Gäste hatten sich bereits verabschiedet, andere waren wohl gerade im Begriff, es zu tun, während einige wenige, hauptsächlich die Bewohner, noch im Triclinium beisammen saßen. Siv bekam davon nichts mehr mit. Als sich die erste größere Aufbruchstimmung breit gemacht hatte, hatte sie die Gelegenheit genutzt und sich ebenfalls zurückgezogen. Allerdings war sie nicht in ihr Zimmer gegangen. Sie war noch nicht müde, und davon abgesehen wollte sie warten, bis Corvinus sich ebenfalls von der kleinen Feier lösen würde – was frühestens dann passieren würde, wenn die Flavia ging, das war Siv klar. Zum ersten Mal jedoch führten sie ihre Schritte nicht in den Garten oder den Stall, wohin sie sich für gewöhnlich zurückzog – nicht wegen der Kälte, obwohl das in ihrem momentanen Zustand auch eine Rolle spielte, sondern weil dort zu wenig Licht vorhanden war. Stattdessen ging sie zur Exedra, die im hinteren Bereich wenigstens teilweise offen war zum Garten hin, entzündete eine Öllampe, hüllte sich in eine warme Decke und machte es sich auf einer der Klinen bequem, die in einer geschützten Nische stand. Dann griff sie nach dem Buch, das sie von Corvinus bekommen hatte, schlug es auf, blätterte erneut darin herum, betrachtete für Momente einfach nur die Zeichen, die ihr vor wenigen Monaten noch fremd gewesen waren. Selbst jetzt noch waren sie es für sie, bildeten noch keine begreifbaren Zusammenhänge für ihre ungeübten Augen. Sie musste sich anstrengen, sich konzentrieren, damit aus den Symbolen Buchstaben wurden, Worte, schließlich Sätze, damit sie ihr die Geschichte erzählen konnten, die irgendjemand dort niedergeschrieben hatte. Ungeduldig war sie meistens, sie konnte es nicht erwarten, bis endlich der Tag kommen würde, an dem die Zeichen sich von selbst zusammenfügten zu Worten, ohne dass sie sich bewusst darauf konzentrieren musste, an dem sie einfach ein Papyrus zur Hand nehmen und es lesen konnte, ohne nachdenken zu müssen. Cassim hatte ihr versichert, dass es so sei, wenn man wirklich gut lesen konnte. Dass man nicht mehr würde nachdenken müssen, ähnlich wie man nicht nachdenken musste, wenn man lief oder sprach. Sie hatte argumentiert, dass das etwas anderes sei, dass Gehen oder Sprechen etwas war, was Menschen einfach konnten, und Cassim hatte dagegen gehalten, dass dem nicht so war – dass es Dinge seien, die kleine Kinder erst mühsam lernen mussten. Das hatte Siv schließlich überzeugt.


    Versonnen strichen ihre Finger über die Seiten und blätterten vorsichtig die einzelnen Seiten um, und schließlich begann sie zu lesen, zunächst flüchtig, hier an einer Stelle, dann blätterte sie wieder weiter, um woanders erneut zu lesen, bis sie schließlich an einer Geschichte hängen blieb, die gleich die Bedeutung mehrerer Sternbilder erklärte: die Geschichte der Andromeda und ihrer Eltern, Cepheus und Cassiopeia, deren Eitelkeit den Zorn der Meergottheiten auf sich zog, und schon bald war sie vertieft darin.


    Sim-Off:

    Reserviert

  • Der Abend war schön gewesen, ausgelassen und unkompliziert. Im Großen und Ganzen hatten sich alle gefreut über die Geschenke, die ich zu verteilen gehabt hatte, und auch ich war nicht leer ausgegangen. Nach und nach hatte sich dann die Gesellschaft aufgelöst, ich hatte Quintus Philo verabschiedet und auch meine Verlobte, die sich mit ihrer neuen Sklavin auf den Heimweg gemacht hatte. Einen Moment noch hatte ich der flavischen Sänfte nachgesehen, an der porta stehend, die ich schließlich selbst geschlossen hatte. Nach einem Blick ins Speisezimmer hatte ich mich von den anderen verabschiedet, allen eine gute Nacht gewünscht und mich dann auf die Suche nach Siv begeben. Einerseits, weil ihr zweites Geschenk noch ausstand, andererseits, weil mir nach etwas Wärme zumute war, nachdem ich den ganzen Abend in Gesellschaft Celerinas verbracht hatte. Nicht, dass ich meine Verlobte nicht aushalten konnte - das nicht - nur war mir stets so, als müsste ich mich verstellen, um nicht etwas preiszugeben, das sie nicht wissen durfte.


    Sivs Kammer suchte ich zuerst auf. Ich verbrachte eine ganze Weile allein in diesem Raum, still und heimlich - und wer genau darauf achtete, konnte im Vorübergehen ein leichtes Schaben von Holz auf dem Fußboden hören. Mit zufriedenem Lächeln auf den Lippen stahl ich mich dann aus der Kammer heraus und machte mich auf die Suche nach Siv. Ich fand sie in eine Decke gewickelt auf einer Liege in der exedra. Es war eigentlich noch nicht so warm, dass man es sich hier wirklich gemütlich machen konnte, aber als Germanin lag ihr das kühle Klima ohnehin im Blut, und die Kohlen in ihren Becken glommen noch schwach, sodass es nicht zu kalt war. Lautlos lehnte ich mich an das Holz des Durchgangsrahmens und betrachtete die weichen Wellen goldenen Haares, die sich über ihre Schultern und die Decke ergossen. Eine ganze Weile stand ich so da, unbemerkt von ihr und den Anblick aufsaugend wie ein Schwamm das Wasser. Lautlos bewegten sich manchmal die Lippen, wenn sie ein Wort las, und ihre Augen hüpften von Silbe zu Silbe. In diesem Moment wurde mir klar, dass Celerina niemals diesen Platz würde einnehmen können, den Siv besaß.


    Ich stieß mich mit der Schulter ab und ging zu ihr hin, setzte mich auf den Rand der cline und beugte mich wortlos vor, um sie zu sanft küssen. Dann wandte ich den Kopf, um zu erforschen, was sie las. "Andromeda... Ja, ihre Mutter war nicht gerade die Schüchternheit in Person", bemerkte ich leise. Meine Augen streiften eine kindliche Anmerkung meinerseits, die empört - und ziemlich rechtschreibfehlerhaft - verkündete, dass meine Mutter niemals auf die Idee gekommen wäre, eines ihrer Kinder zu opfern. Ich hob einen Mundwinkel, drängte die aufwallende Melancholie in memoriam matris zurück und betrachtete Siv. "Möchtest du dein eigentliches Saturnaliengeschenk jetzt haben?" fragte ich sie, und meine eigene Vorfreude schwang deutlich in den Worten mit.


    /edit: red is the world...

  • Siv hätte nicht zu sagen vermocht, wie lange sie schon so da saß und las – aber es musste eine ganze Weile gewesen, denn sie war in der Geschichte schon recht weit gekommen, für ihre Verhältnisse hieß das. Ihr Lesetempo war noch recht langsam, der Tatsache geschuldet, dass sie die Buchstaben noch mühsam zusammenfügen musste, um das Wort zu begreifen. Dennoch war sie inzwischen schon an der Stelle, an der Andromeda geopfert werden sollte. Empört war Siv gewesen, als sie den Orakelspruch gelesen hatte, und noch empörter, als Andromedas Vater den Forderungen des Volkes nachgab und die Entscheidung fällte, seine Tochter zu opfern. Cassiopeia, die Schuld an dem ganzen Dilemma trug, schien dazu wenig zu sagen zu haben. Und Siv hätte sich am liebsten lauthals darüber aufgeregt, wie Eltern so etwas tun konnten, aber die Geschichte war zu spannend. Sie unterbrach sie nur, um nebenbei die Anmerkungen zu entziffern, die Corvinus hinterlassen hatte, und las dann wieder weiter, während sich eine Hand unter ihre Decke stahl und sich in einer schützenden Geste auf ihren Bauch legte.


    Dass jemand in der Tür stand und sie seit geraumer Weile betrachtete, bemerkte Siv nicht, nicht einmal, als dieser jemand sich ihr näherte. Erst, als sie direkt neben sich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm, wandte sie überrascht ihren Kopf und erkannte Corvinus, der sich gerade auf ihrer Kline niedergelassen hatte. Noch bevor sie reagieren konnte, beugte er sich in derselben Bewegung schon zu ihr und berührte ihre Lippen mit den seinen, und Siv ließ das Buch sinken und erwiderte den Kuss. Sie seufzte leise, als er sich von ihr löste, enttäuscht darüber, drehte dann aber das Buch so, dass er bequem die Seite überfliegen konnte. "Nein, war sie nicht." Ein Grinsen zupfte an ihren Mundwinkeln, während auf ihren Lippen die Frage brannte, ob Andromeda überleben würde, ob ihr Vater noch rechtzeitig zur Besinnung kam und das Opfer absagte, ob sie auf andere Art gerettet werden würde, oder ob das Ungeheuer sie tatsächlich umbringen würde. Aber sie sprach nichts davon laut aus, wollte sie sich doch selbst nicht die Spannung verderben. Stattdessen beugte nun sie sich ein Stück vor und küsste ihn erneut, kurz und sacht, bevor sie sich wieder zurücklehnte. "Danke. Ich mag das Buch, die Geschichten." Ihre Finger strichen über die abgenutzten Seiten. "Ich mag, dass es deins ist. War. Früher, als Kind, und bis heute. Das ist… toll." Sie lächelte ihn an, nur um gleich darauf überrascht die Augenbrauen hochzuziehen. "Was? Wie… mein eigentliches?" Sie hatte das Pars I gelesen, unter ihrem Namen, das auf dem Umschlag gestanden hatte, in den das Buch gewickelt gewesen war, aber sie hatte sich darauf nicht wirklich einen Reim machen können. "Du hast noch was?"

  • Zu gern nur ließ ich Siv gewähren, ich mochte ihre Eigeninitiative, wenn wir allein waren, und der Kuss schmeckte umso süßer in dem Wissen, dass ich ihr mit dem Buch tatsächlich eine Freude gemacht hatte. Ich hob eine Hand an das verwunderte Gesicht und strich mit dem Daumen über die pfirsichzarte Wange. „Das war mein Lieblingsbuch. Naja, zumindest bis ich rechnen gelernt hatte“, witzelte ich und kräuselte in selbstspottendem Amusement die Lippen. „Es hat einmal meinem Vater gehört. Er hat es in seiner Zeit in Griechenland irgendwo aufgetrieben und später dann mir geschenkt. Jetzt weißt du, woher mein Interesse an Sternbildern und damit verbundenen Geschichten stammt“, erzählte ich ihr, während der rechte Zeigefinger langsam eine Haarsträhne eindrehte. Kurz wirkte ich nachdenklich, doch ein Blinzeln später lächelte ich Siv erwartungsvoll an. „Naja. Ein schäbiges altes Buch erschien mir zu…plump.“ Ich zwinkerte ihr zu und stand dann auf, um ihr die Hand zu reichen. „Komm“, forderte ich Siv leise auf und wartete, bis sie die Seite markiert und mir ihre Hand gereicht hatte.


    Ihre schmale Hand in meiner haltend, ging ich voran durch die villa. Mir war angenehm warm, nicht nur bedingt durch den Wein, und dementsprechend wohltemperiert war auch meine Hand. Sicherlich erkannte Siv bald, wohin ich wollte. Allerdings standen wir kurz darauf nicht vor der Tür zu meinen Gemächern, sondern vor ihrer Kammer. Auf dem Weg hierher war uns niemand begegnet. Ich blieb stehen und legte die freie Hand auf die Klinke, drückte sie jedoch nicht. „Schließ die Augen“, sagte ich zu Siv gewandt und lächelte. „Und nicht schummeln.“ Als sie getan hatte wie ich ihr geheißen, öffnete ich die Tür zu ihrem Zimmer und trat einen Schritt zurück. Behutsam legte ich ihr die Hände auf die Schultern und führte sie in den Raum hinein. Beschienen vom Licht des fast vollen Mondes stand dort unter dem Fenster ein Konstrukt aus dunklem Holz. Man konnte das harzige Aroma riechen. Die Öllampen, die ich zuvor entzündet hatte, schienen die hölzernen Formen mit Honig zu überziehen. Ich führte Siv vor das neue Möbelstück hin und legte ihre Hände auf die Seite. „Du darfst schauen“, erlaubte ich ihr dann leise und trat beiseite, um ihr Platz für eine Reaktion zu bieten. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte ich nun also an der Tür, die zu meinem Schlafgemach führte, und betrachtete Siv, wie sie ihre erste Bekanntschaft mit der Wiege machte, die ihr zweites Saturnaliengeschenk darstellte. Sie war außergewöhnlich, darauf hatte ich Wert gelegt. Der Tischler hatte den Kopf in Form eines Pferdes ebenso gekonnt umgesetzt wie die kleinen Schnitzereien an den Seiten. Auffällig waren auch die fein herausgearbeiteten, angelegten Flügel an den Seiten der hölzernen Wiege. Sivs Kind würde behütet schlafen, beschützt durch einen pegasos selbst und ruhend auf einem weichen, mit blutrotem Stoff bezogenen Bettchen. In diesem Moment wurde mir klar, wie ungeduldig ich auf die Geburt wartete.

  • Sivs Mundwinkel hoben sich, als sie seine Hand auf ihrer Wange spürte, und ihr Kopf neigte sich um eine Winzigkeit der Berührung entgegen. Ihre Lider senkten sich kurz, aber gleich darauf öffnete sie sie wieder und sah ihn mit leichter Überraschung an. "Schon deinem Vater?" echote sie. Ihre Finger strichen nun beinahe ehrfürchtig über die Seiten. Das Buch war nicht nur wichtig für ihn gewesen, sondern hatte davor auch schon seinem Vater gehört, was Siv nicht nur klar machte, dass es noch älter war als sie gedacht hatte, sondern dass es auch noch mehr bedeutete. "Danke", wiederholte sie dann schlicht, nur um gleich darauf leise zu lachen, als sie sein Zwinkern sah. "Es ist nicht schäbig. Gar nicht. Sag nichts gegen mein Buch!" Grinsend sah sie kurz auf die Seiten hinunter und legte ein schmales Band dazwischen, bevor sie das Buch schloss, die Decke beiseite legte und dann aufstand. Aus einem Reflex heraus wollte sie die Decke gleich zusammenlegen und aufräumen, aber Corvinus hatte schon ihre Hand ergriffen, und dann fiel ihr ein, dass ja Saturnalien waren – wenn sie das erst morgen aufräumte, würde das in diesen Tagen niemanden stören.


    Leise folgte sie ihm durch die Gänge, in Richtung seines Cubiculums, wie sie nach ein paar Wendungen vermutete. Seine angenehm warme Hand war um ihre etwas kühlen Finger geschlossen, während sie in der anderen das Buch hielt, und ein neugieriger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Tatsächlich bogen sie bald in den Gang ein, in dem sein Gemach lag, aber zu ihrem Erstaunen hielten sie dann vor der Tür, die zu ihrer Kammer nebenan führte. Verblüfft und neugierig sah sie ihn an und wollte schon etwas fragen, als er ihr zuvor kam. "In Ordnung", meinte sie nach einem kurzen Moment, und nach einem weiteren gespannten Blick zuerst in seine Richtung, dann zur Tür, schloss sie gehorsam ihre Augen und wartete. Ein Augenblick verstrich, dann konnte sie hören, wie eine Tür geöffnet wurde. Ein sachter Lufthauch strich über ihr Gesicht, der unaufdringliche Geruch von verbrennendem Öl drang in ihre Nase, vermischt einem anderen. Dann spürte sie Corvinus’ Hände, die sich auf ihre Schultern legten und einen sachten Druck ausübten, dem Siv anstandslos folgte. Der Geruch wurde stärker, nach Öl und etwas, das sie nun als Harz identifizierte. Holz? Er hatte irgendetwas aus Holz für sie? Sie ließ sich weiter in den Raum hinein führen, bis Corvinus stoppte und sie hieß, ihre Augen wieder zu öffnen. Langsam, um die Spannung bis zuletzt auszukosten, hob sie ihre Lider an. Sie nahm sofort wahr, was vor ihr stand, aber es dauerte, bis sie es tatsächlich begriff. Eine Wiege. Das allein wäre schon mehr als genug für Siv gewesen, sich zu freuen, wäre mehr gewesen, als sie erwartet hätte – aber es war nicht einfach nur irgendeine Wiege. Sie glich mehr einem Kunstwerk denn einem Möbelstück. Dunkles Holz zeigte sich Siv, vom Licht der Öllampen mit einem warmen Schein überzogen, kunstvolle Schnitzereien, die liebevoll bis ins kleinste Detail ausgearbeitet waren, ein zart geschwungener Pferdehals, den ein edler Kopf krönte und der zur anderen Seite hin in eleganten Flügeln endete. Die Germanin stand Augenblicke einfach nur da und starrte sprachlos das Möbelstück an. Ihre Lippen teilten sich in Erstaunen, aber noch kam kein Laut darüber. Schließlich blinzelte sie, zweimal rasch hintereinander, und streckte eine Hand danach aus, als wollte sie es berühren, aber ihr Arm verharrte auf halber Höhe. Dann fuhr ihr Kopf zu Corvinus herum, suchten ihre Augen seinen Blick. "Marcus, das… das ist…" Ihre Hände, in einer davon immer noch das Buch, hoben sich, bis sie etwa auf der Höhe ihrer Brust waren, bewegten sich von der Wiege zu Corvinus und wieder zurück. Sie war immer noch sprachlos, was selten genug vorkam, und so drehte sie sich schließlich wieder um, immer noch mit offenem Mund, legte endlich das Buch beiseite auf ihr Bett und überwand nun den letzten Schritt hin zu ihrem Geschenk, um es nun auch mit ihren Händen wahrnehmen zu können. Vorsichtig, fast so als bestünde die Gefahr, sie könnte das Holz zerbrechen, strich Siv über die Konturen der Wiege, glitten ihre Finger den Pferdekopf, hinab zu den Flügeln und über die anderen Schnitzereien, während sie selbst leicht in die Knie ging. Dann erhob sie sich, wandte sich erneut Corvinus zu, und diesmal war sie mit einem Schritt bei ihm und schlang ihm die Arme um den Hals. "Danke! Das ist… Ich weiß nicht, was ich… das ist wunderschön, das…" Siv fand immer noch keine Worte. Stattdessen drückte sie für Momente ihr Gesicht an seine Brust, bevor sie sich, ohne ihn loszulassen, etwas zur Seite drehte, um wieder zu der Wiege sehen zu können. Ohne es wirklich zu wollen oder bewusst daran zu denken, sah sie vor ihrem inneren Auge plötzlich ein Kind darin liegen, auf dem roten Stoff, im ruhigen Schein der Öllampen. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, während sie erneut zu ihm hochsah. "Danke, Marcus." War ihr sein Name zuvor noch aufgrund der Überraschung über die Lippen gerutscht, sprach sie ihn jetzt bewusst damit an, bevor sie sein Gesicht in ihre Hände nahm und ihn küsste. Als sich ihre Lippen voneinander lösten, hatte ihr Lächeln etwas Verschmitztes. "Magst du jetzt deins? Dein Geschenk?"

  • Zunächst glaubte ich wirklich, es gefiel ihr nicht recht. So, wie sie dastand und erst einmal nichts tat. Dann nahmen ihre Augen diesen Glanz an, und ich wusste, dass ihr die Wiege ebenso gefiel wie mir. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich um meine Mundwinkel herum aus. Sprachlosigkeit war ebenso wenig eine Eigenschaft Sivs wie falsche Bescheidenheit, und es kam gewiss nicht oft vor, dass ihr wahrhaftig die Worte fehlten - ob scharfe oder sonstwie geartete. Beim ersten Mal, als sie etwas zu sagen suchte, breitete sich nur ein Grinsen auf meinem Gescht aus, beim zweiten Mal konnte ich ein kurzes Lachen nicht zurückhalten und schlug ganz ungeniert ein passendes Satzende vor. "...eine Wiege?"


    Zärtlich strich sie über das dunkle Holz. Eine Geste die so viel mehr aussagte als sie es mit Worten gekonnt hätte. Es war doch stets wieder verwunderlich, wie glücklich man selbst durch eigen provoziertes Glück anderer wurde. Sivs Bewegung kam zwar nicht unerwartet, aber plötzlich. Ihre rasche Umarmung drückte mir die Luft aus den Lungen, und mit einem "Uff!" hob ich die Hände und umschloss locker ihre Taille. Mädchenhaft verrenkte sie sich beinahe den Hals, als sie, ohne die Umarmung verlassen zu wollen, wieder einen Blick auf die Wiege warf. Eben war es mir noch nicht aufgefallen, doch als sie mich jetzt Marcus nannte, zuckte eine Braue in die Höhe, dann manifestierte sich ein Schmunzeln. Es störte mich nicht im Geringsten, wenn sie mich so nannte, im Gegenteil, es kam mir richtig vor. Nur war es in Gesellschaft nicht möglich, und ich stellte mir vor, dass es schwierig war, sich stets die Situation zu verallgegenwärtigen, um nur ja nicht die falsche Anrede zu wählen. Ich legte mein Kinn auf Sivs Haar, sog tief ihren Duft ein und seufzte leise. Auf ihre Frage antwortete ich ein wenig verspätet, aber dennoch positiv - wenn wohl auch nicht so, wie Siv vermutet hatte. Ich zog sie noch ein wenig fester an mich heran. "Hmm... Was hast du denn für mich...?" 8)

  • Sivs linker Mundwinkel zuckte kurz nach oben, als Corvinus ihren Satz vollendete, aber zu mehr reichte es dann doch nicht – zu sehr war sie gefangen von der Wiege, als dass sie seinem Kommentar oder seinem leisen Lachen mehr Beachtung hätte schenken können. Einige Momente widmete sie sich nur dem kunstvoll bearbeiteten Möbelstück, bevor sie schließlich Corvinus umarmte. Seine Reaktion darauf, dass sie ihn bei seinem Praenomen nannte, entging ihr nicht, und sie erwiderte sein Lächeln. Sie benutzte gerne seinen Namen, aber sie tat es selten – lange hatte sie sich geweigert, irgendeine Form von Anrede zu benutzen, weil diese anfangs Herr hätte lauten müssen, und das war etwas, was Siv bis heute nur in den seltensten Fällen über die Lippen brachte, jedenfalls dann, wenn es nicht ironisch gemeint war. Dann, als die Beziehung zwischen ihnen vertrauter geworden war, hatte sie lange nicht gewusst, wie sie ihn ansprechen sollte. Dazu kam noch, dass Siv ohnehin Namen eher selten nutzte, wenn sie nicht jemanden Bestimmten auf sich aufmerksam machen wollte – und so hatte sie sich im Lauf der Zeit angewöhnt, Corvinus kaum direkt anzureden, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Was sich letztlich als Vorteil herausgestellt hatte, denn so war die Gefahr geringer, dass ihr irgendwann ein Fehler unterlief und sie den falschen Namen nutzte.


    Sie erwiderte sein Schmunzeln, und sie hätte am liebsten seinen Namen noch einmal ausgesprochen, weich und langsam, hätte den Klang der Buchstaben auf der Zunge schmecken wollen, aber sie ließ bleiben. Stattdessen schmiegte sie sich nur an ihn und legte ihr Gesicht wieder an seine Brust, was er dazu nutzte, sein Kinn leicht auf ihren Kopf zu stützen. Er ließ sich Zeit mit der Antwort, aber Siv störte das nicht im Geringsten, nicht so, wie er sie gerade hielt. Als er dann endlich reagierte, tat er es anders, als sie gedächt hätte – aber dafür auf eine Art und Weise, die es ihr schwer machte, sich an die eigentliche Frage zu erinnern, oder das, was sie damit gewollt hatte. Oder an das Geschenk, dass sie in ihrer Truhe verstaut hatte. Ein Laut kam aus ihrer Kehle, der mehr einem Schnurren glich denn irgendetwas anderem, während Siv sich von ihm fester an sich ziehen ließ und die Umarmung genoss, die Wärme seines Körpers, seine Beschaffenheit, sein Duft, die Nähe. „Mmmh“, machte sie leise, ein Laut, der fast schon einem Schnurren glich, während sie die Umarmung genoss. „Weiß nicht… Mmh… Ich glaub… Mir fällt gerade noch was ein“, seufzte sie dann, etwas undeutlich, weil sie ihr Gesicht nicht wirklich von dem Stoff seiner Tunika löste. Eine ihrer Hände wanderte über seine Brust nach oben zu seinem Hals und dann zu seinem Nacken, wo ihre Finger begannen, ihn sacht zu liebkosen, ein Stück weit in seine Haare hinauffuhren und wieder hinab. „Kommt auf dich an. Was willst du haben? Jetzt?“

  • Kam es mir nur so vor oder erfüllten die Öllampen den Raum tatsächlich mit einer ziemlich penetranten Wärme? Siv strahlte sie auch ab. Ich grinste in ihr Haar hinein. Die meisten Dinge, die man schwangeren Frauen nachsagte, stimmten nur halb oder gar nicht, wie ich herausgefunden hatte. Gut, Siv war wohl leichter reizbar, zumindest bei ihren Mitsklaven, aber Stimmungsschwankungen hatte ich bei ihr eigentlich noch nicht bewusst feststellen können. Mit dem Gedanken an die Schwangerschaft kam auch das Bewusstsein, dass dieser Abend vermutlich der letzte entspannte Abend vor der Hochzeit sein würde. Bereits jetzt liefen die Planungen, Einkäufe wurden getätigt, Gewänder genäht, Gerichte Probe gekocht. Die Saturnalien bildeten da die Ausnahme, sie waren eine Art ruhige Insel inmitten des Trubels, das letzte Luftanhalten vor dem nächsten Atemzug.


    Sivs Seufzer löste in mir allerdings nicht die Begierde aus, die sonst da war, wenn sie solche Laute von sich gab, sondern den Wunsch, sie schlichtweg festzuhalten und den Moment zu genießen. Ihr Kosen mochte ich, den Rücken an die Verbindungstür zu meinem Schlafgemach gelehnt ließ ich sie gewähren. Sie nuschelte etwas in den Stoff hinein, der über meiner Brust Falten schlug, was mich schmunzeln ließ. Langsam strich ich ihr das Haar zur Seite, dann über den Rücken hinunter bis zur Taille, wieder und wieder. "Eigentlich brauche ich nichts weiter für den Moment", sagte ich leise und schwieg hernach eine Weile. "Es wird eine Weile dauern, bis es wieder so ist wie jetzt. Und ich fühle mich schlecht, wenn ich daran denke, was ich Celerina damit antue. Das hat sie nicht verdient. Sie darf davon nichts merken, Siv." Die Stirn hatte sich nun gerunzelt, die friedvolle Zufriedenheit war einer aufrüttelnden Ernüchterung gewichen "Wie lange wird es noch dauern, bis du die Wiege brauchst?" fragte ich sie plötzlich.

  • Die Augen geschlossen, die Finger leicht in seinem Nacken hin und her bewegend, lehnte Siv an Corvinus und genoss es einfach, so von ihm gehalten zu werden. Dass sie eigentlich auch noch etwas für ihn hatte, war mittlerweile völlig in den Hintergrund getreten. Ihre Lippen verzogen sich unwillkürlich zu einem Lächeln, als er auf ihre Frage antwortete. "Ich auch nicht", murmelte sie und blieb wie sie war, während ihre Finger mit den kraulenden Bewegungen in seinen Haaren fortfuhren. Im Gegensatz zu ihm offenbar wäre ihr schon noch etwas eingefallen, aber sie war zufrieden mit der Situation, wie sie war, war es für ihren Geschmack doch ohnehin selten genug so. Eine Weile verging in Schweigen, dann, gerade als sich auf Sivs Gesicht ein verschmitztes Grinsen zu bilden begann, mit dem sie nur einen Augenblick später hochgesehen und gefragt hätte, ob er tatsächlich nichts weiter bräuchte, ergriff Corvinus erneut das Wort. Und Sivs Kopf blieb unbewegt. Sie sah nicht nach oben, und sie war dankbar dafür, dass sie es noch nicht getan hätte, hätte er so doch gesehen, wie ihr Lächeln erstarrte und schließlich erstarb. Dass ihr Körper sich in seinen Armen etwas versteifte, konnte ihm wohl kaum entgehen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass ihre Finger stoppten. War seine Zufriedenheit durch Ernüchterung ersetzt worden, hatte Siv auf einmal das Gefühl, Tränen unterdrücken zu müssen. Sie ärgerte sich über sich selbst, weil ihr das in letzter Zeit so häufig passierte, und sie kämpfte dagegen an – dass sie reizbarer war als sonst, damit hatte sie weniger ein Problem, aber empfindlicher zu sein hieß, schwächer zu sein. Und das wollte Siv nicht. In dieser Situation kam hinzu, dass weder sie noch Corvinus etwas ändern konnten.


    Sie schluckte den Kloß hinunter, der in ihrem Hals festzustecken schien, und sah immer noch nicht auf. "Ich weiß", antwortete sie leise. Was sonst sollte sie auch sagen? Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte ihn davon überzeugen zu wollen, sich nicht schlecht zu fühlen. Und Celerina durfte davon nichts erfahren, das stimmte. Es war einfach besser so. Aber warum musste sein schlechtes Gewissen ihn ausgerechnet jetzt plagen? Warum hatte er überhaupt ein schlechtes Gewissen? Die Flavia war mit Sicherheit kein Unschuldslamm, so wie Siv sie kennen gelernt hatte. Ein Funken Trotz flammte in ihr auf, und flüchtig kam ihr der Gedanke, dass sich Celerina doch auch mit einem Sklaven vergnügen konnte. So lange nichts bekannt wurde, schien für die Römer dann doch alles in bester Ordnung zu sein, als warum nicht? Aber sie wusste auch, dass Corvinus Recht hatte, und das nicht nur damit, dass die Flavia nichts erfahren durfte. Sie hatte es nicht verdient. Aber Corvinus hatte es auch nicht verdient, eine Frau heiraten zu müssen, für die er nicht mehr empfand als Sympathie, wenn er doch eine andere liebte. Und sie selbst hatte es nicht verdient, ihre Gefühle ständig verbergen zu müssen.


    Als die Frage nach der Wiege kam, löste Siv sich aus seiner Umarmung. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie sich wirklich im Griff hatte, und solange er sie im Arm hielt, war ihr die Gefahr zu groß, dass sie doch noch anfing zu weinen. Und das wollte sie nicht. Sie wollte ihm nicht noch ein schlechteres Gewissen machen, als er ohnehin schon hatte, zumal sie gewusst hatte, worauf sie sich einließ, als sie sich entschieden hatte für ihn. "Ehm", machte sie und räusperte sich leise, weil sie das Gefühl hatte, dass ihre Stimme etwas schwankte. Kurz sah sie ihn an, dann wandte sie sich ein weiteres Mal der Wiege zu und strich in einer zärtlichen Geste über den Pferdekopf, fuhr die Konturen nach, beginnend bei den Ohren, über die Augen hinab bis zu den Nüstern. "Sechs Monate, ungefähr. Vielleicht weniger." Erneut warf sie ihm einen Blick zu und bemühte sich um ein Lächeln, während sie grübelte, warum er diese Frage wohl gestellt hatte, in diesem Moment. Weil er darüber nachdachte, wie lange er noch Zeit haben mochte, bis er Celerina etwas erzählen musste, wenn seine Leibsklavin ein Kind auf die Welt brachte? Mit einer etwas fahrigen Geste strich sie sich einige Strähnen aus dem Gesicht, die sich aus der Spange gelöst hatten, und verbannte sie hinter ihr Ohr. Für einen Augenblick überlegte sie, ganz abzulenken, sein Geschenk heraus zu kramen und es ihm zu geben, aber der Augenblick erschien ihr falsch dafür, und sie wollte auch nicht auf eine derart plumpe Art ablenken, wenn er von etwas begann, was ihm wichtig war. Auch wenn es ihr weh tat, dass sich die friedliche Atmosphäre geändert hatte, dass die Flavia nun wieder zwischen ihnen zu stehen schien, war sie doch froh, dass er mit ihr über das redete, was ihn beschäftigte – und sich nicht wortlos zurückzog und eine Distanz schaffte, die Siv nicht überbrücken konnte, weil er sie nicht an sich heranließ. Mit dem Oberschenkel lehnte sie nun leicht an der Wiege, während sie ihn ansah, immer noch mit einem halben Lächeln auf den Lippen, das sich nicht so recht entscheiden zu können schien, ob es nun unsicher, verlegen, freudig sein oder ganz verschwinden wollte. "Es wird… ein Frühlingskind." Das Lächeln verstärkte sich wieder etwas, als Siv an das Kind denken musste, und wie so häufig legte sich ihre Hand unbewusst auf ihren Bauch. Dann wurde sie wieder ernster. "Was sagst du ihr? Wenn sie fragt?"

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