Der Wassertropfen löste sich von der grauen Ader, die sich durch die silberweiße Marmorplatte zog, ganz langsam geschah dies, zuerst sammelte sich immer mehr von dieser flüssigen Konsistenz in dem Gebilde, das die geometrische perfekte Form mit der geringsten Oberfläche aufwies, das Wasser zog sich zu einem birnenförmigen Tropfen auseinander und dann löste es sich von dem Gestein, völlig lautlos und von niemandem bemerkt sauste die kugelige Gestalt durch die feucht geschwängerte Luft und traf auf nackte Haut, explodierte dort in vielen winzig kleinen Fragmenten und vereinigte sich mit den Geschwistern, um mit anderen Rinnsalen den Körper herunter zu gleiten. Weißer, feuchter Nebel aus verdunstetem Wasser schwebte wie ein Sichtvorhang in diesem Raum, in dem wir uns befanden, in den Agrippathermen zu Rom, und es handelte sich um den caldarium, in dem die Hitze jeden der Besucher ordentlich zum Schwitzen gebracht werden sollte; und in eben selbigen Raum der sehr luxuriös ausgestatteten Thermen saß Marcus mit geschloßenen Augen, den Holzsandalen an den Füßen, die seine bloßen Sohlen vor der Hitze des Bodens schützen sollten, und nur mit einem Linnentuch um die Hüften geschlungen...doch Moment, zwei Schritte zurück an diesem Tag und eine gute hora zuvor:
Es war eigentlich ein recht trüber Tag, die Sonne verbarg sich hinter den zahlreichen Wolken aus weißgrauer Konsistenz, immer mal wieder schickte der Wettergott einen feinen Nieselregen auf die Erde hinab, der sich wie ein feines Gespinst auf Marcus' schwarzes Haar legte und deren Regentropfen wie silbrige Perlen wirkten; unbeeindruckt vom nicht so prallen Regenwetter schlenderte Marcus, stets jedoch hinkend und in den letzten Wochen hatte sich dieser Makel an seinem Bein noch verstärkt, trotz der Behandlung, des alle paar Tage vorbei schneienden medicus, durch die Straßen Roms, um zu den großen und prachtvollen Thermen zu gelangen, wenig verriet an ihm seine Herkunft, vielleicht mehr der geübte Blick, der seine grüne Tunika aus mehr gutem Stoff erkannte, den Siegelring an seiner Hand mit der korallfarbenen Gemme erkannte, aber weder seine Stiefel verrieten einen Halbmond, noch trug er gar eine toga oder sonstige heraus stechende Merkmale, und da Markus vom Äußeren eher wie ein typisch arbeitender Mann wirkte, hätte man ihn auch glatt für einen Plebejer vom Aventin halten könnten, insbesondere, da er den Fußweg vorzog, statt sich mit der Sänfte zu den Thermen tragen zu laßen. Auch Asny, seine neue Leibsklavin, die ihm jetzt schon seit einigen Monaten in ihrer neuen Position diente, mußte somit ihm zu Fuß folgen, dabei hatte Marcus ihr die Badesachen in die Hand gedrückt, da er keine Lust hatte, selbige zu tragen – wofür hatte man bitte die Sklavenschaft, hm?
Seine Sandalen traten über eine braune, schlammige Pfütze hinweg, spritzte etwas von der dunklen Brühe hoch, als er auf die geöffneten Tore der Thermen zuschritt, die sie dem Freund des ersten Kaisers verdankten, dem General und Feldherrn des Augustus; doch Marcus verlor weder einen Gedanken ob der Geschichte dieser Thermen, noch lauschte er den Worten von Asny mit sonderlich großer Aufmerksamkeit, obwohl er sie noch vor wenigen Momenten eben dazu aufgefordert hatte, ihm einen kurzen Bericht über ihre letzte Arbeit zu geben, aber Marcus' Gedanken verweilten ganz woanders, bei den Pflichten, die anstanden, der auf ihn zu kommenden Amtszeit – er wußte immer noch nicht, wann die Magistrate endlich vereidigt werden sollten, selbst sein Vetter war darob recht ratlos, aber schien unbesorgt zu sein; Marcus wußte ohnehin nicht, ob er dem Ganzen entgegen fiebern sollte, um das Jahr schnell herum zu bekommen, oder sich davor fürchten, aber immerhin hatten die Senatoren ihm den Posten zugesprochen, der ihm als ehemaliger Soldat doch am Nächsten lag. Gerade als sie an einer Gruppe von jungen Männern vorbei kamen, die wohl noch auf einen Freund warteten und sich lachend und scherzend unterhielten, drangen wieder einige Worte von Asny an sein Ohr, worüber hatte sie eben gesprochen? Marcus hatte nichts mitbekommen; er drehte den Kopf leicht zu seiner Sklavin.
„Hm? Was hast Du gesagt?“
, fragte er darum zerstreut nach, und war im nächsten Augenblick schon wieder mit den Gedanken ganz weit fort, nämlich bei einer Frau, die gerade einer Sänfte entstieg und aufsehend erregend dekadent, aber recht freizügig bis unsittlich gekleidet war, womit man all ihre Rundungen ausgiebig studieren konnte, da sie nur mit einem Hauch von Nichts bedeckt schienen; fror sie nicht?, der Gedanke schoß Marcus einen Herzschlag in den Kopf, doch seine Mundwinkel hoben sich ein wenig und er begaffte einige Herzschläge länger die schöne Frau, die sich ungeniert und mit souverän erhobenem Haupte in die Thermen begab, vielleicht eine Kurtisane? Darum waren Marcus' Gedanken wieder zerfahren wie weiße Wolken an einem windigen Tag; zerfasert und ohne Konsistenz.
„Ah, ja...ja...“
, murmelte Marcus und nickte, hätte Asny jetzt gefragt, ob er ihr die Freiheit schenkt, ob er ihr sein Vermögen überträgt, ob er sich gar von ihr kastrieren laßen möchte, Marcus hätte wohl mit dem vertrottelten Blick, den Männer bekommen, wenn sie eine schöne und begehrenswerte Frau sehen, genickt und auch nur Ja, ja! gemurmelt, doch es dauerte nicht lange, nachdem die aufsehen erregende Frau in dem Bad verschwunden war, daß sich Marcus aus dieser tollen Männerträumerei löste; er warf ihr einen schnellen Seitenblick zu.
„Warst Du schon mal in den Thermen?“
Als Bewohnerin der Stadt konnte es sich Marcus unschwer vorstellen, daß sie die Thermen nicht kannte, denn der Eintrittspreis war nicht sehr hoch und selbst für die ärmeren Leute erschwinglich; nur war es das erste Mal, daß er Asny zu seinen – beinahe – täglichen Badeausflügen mitnahm; und Marcus hoffte sehr, daß er es am Ende des Tages nicht bitter bereuen würde, denn mit Asny war es stets ein Tanz auf Messers Schneide, ein falscher Schritt und schon tat es höllisch weh.
Während Marcus auf Asnys Antwort wartete und vielleicht sogar die Güte hatte, die vorigen Worte noch mal zu wiederholen – wobei Marcus sich hütete, da noch mal nachzufragen, um eventuellem Spott zu vermeiden, dem er kaum, außer mit rabiaten oder strengen Disziplinarmaßnahmen, etwas erwidern konnte; das Treiben um die Thermen war in den ersten Räumen natürlich genauso munter wie auf dem Weg zu der Agrippatherme; in einem der großen Umkleideräume, den Marcus betrat, das apodyterium, waren sie natürlich nicht alleine; doch das war etwas, was Marcus als Römer natürlich kannte und sich nicht daran störte, im Gegenteil, gerade die Geselligkeit und die Stimmen aller anderen Besucher, vielleicht sogar das eine oder andere bekannte Gesicht, waren einer der Gründe, warum er in die Thermen ging, denn ein großartiges Bad besaßen sie auch in der villa, doch hier in den Thermen war es etwas ganz anderes, dies war ein Ort der Zusammenkunft; Marcus trat auf eine Marmorbank zu und ließ sich dort nieder, um eigenhändig seine Stiefel aufzuschnüren und abzustreifen, dann löste er den Gürtel um seine Tunika, warf alles recht unordentlich neben sich und zog ungeniert und ohne Scheu die Tunika über seinen Kopf, um diese grob gefaltet neben sich zu legen; dann streckte er die Hand aus, um Asny zu bedeuten, daß sie ihm das Linnentuch zu reichen hatte, das er aus der villa mitgebracht hatte; Marcus erhob sich und schlang das Tuch um seine Hüften, wartend, daß sich auch Asny sich für die Thermen bereit machte, denn in ihrem Schuhwerk von Draußen konnte sie selbstredend ihn nicht begleiten, das stand natürlich außer Frage; Marcus, der heute besonders ungeduldig schien, trat jedoch schon einige Herzschläge später in das frigidarium, lief mit bloßen Füßen an das kalte Wasserbecken heran und legte das Leinentuch zur Seite, seine Fußspitzen berührten die aufgeworfene Wasseroberfläche, die immer wieder von Badegästen durchbrochen wurden.
„Brrrr....“
, murmelte er.
„Kalt...!“
, schloß er unnötigerweise an, dann machte er einen beherzten Schritt in das Wasser und ließ sich in das kalte Naß sinken, das ihn eiskalt und wie eine Ohrfeige ins Gesicht, aufnahm; ein wenig erinnerte ihn das an das Bad in dem fernen Parthien, dem Fluß dort, deßen Namen er bereits vergeßen hatte, aber Marcus liebte es zu schwimmen und das war auch etwas, was er gut konnte, denn schon im nächsten Herzschlag zog er mit kräftigen Schwimmzügen durch das kleine Becken, das war leider der Nachteil der Thermen, lange und ausgiebig schwimmen, wie in einem Fluß oder gar dem Meer, konnte er hier nicht, aber es gelang ihm, sich ein wenig zu bewegen, das Wasser verlor schnell seine erschreckende Kälte und nach einer doch deutlich längeren Zeit als die meisten Gäste in dem Kalt verweilten, erhob sich Marcus aus dem Wasser und wartete hinaus, um nach dem Tuch zu greifen, sofort schoß das Blut durch seinen Körper, wurde von seinem Herzen wieder in die Peripherie getrieben und rötete seine Haut kräftig, nur dort, wo seine früheren Verletzungen waren und an den Stellen er Narben zurück behalten hatte – an seinem Torso gab es einige, an seinem Bein auch, aber ebenso an seinem Arm-, blieb die Haut unnatürlich blaß.
„Ich habe gehört, daß Du ein Instrument spielst, Asny!“
Eine halbe Frage, eine halbe Feststellung, denn er bedachte die blonde Sklavin mit einem derartigen Blick; erst vor einigen Tagen war die Neuigkeit an seine Ohren gedrungen und er fragte sich, warum Asny es nicht selber erwähnt hatte, oder hatte sie es und es war einer jener Momente, in denen ihre Worte einfach an ihm vorbei rauschten und er ihr nicht zuhörte?