In einem Land vor unserer Zeit


  • Von Ostia aus erreichte das Schiff nach etwa acht Tagen den schwarzen Kontinent und fuhr, in Sichtweite der Küste, noch etwa einen halben Tag ostwärts. Dann war die Stelle erreicht, an der Marduk und seine Männer an Land gehen wollten. Weit und breit gab es keinen Hafen, keine Siedlung und keine Menschenseele außer ihnen, doch das Ziel ihrer Reise war damit noch nicht erreicht. Vor ihnen lag noch ein Tagesmarsch hinein in ein Land welches sich, mit seiner von Sand und Felsen geprägten Schönheit, vor ihnen ausbreitete. Doch es blieb nicht viel Zeit um den Anblick dieser kargen Idylle zu genießen. Schließlich musste noch die ganze Ladung und der Proviant von Bord geholt werden, bevor sie ins Landesinnere aufbrechen konnten. So wurden eben auch Tilla, Pumilio und Hektor irgendwann an Land gebracht und erst einmal zwischen den Kisten und Säcken stehen gelassen, wobei Hektor als Einziger von den Dreien - rein vorsorglich - in Eisen gelegt worden war. Aber was hätte der Grieche schon großartig ausrichten können, hier in dieser Einöde und … wohin hätten die Drei schon fliehen sollen -oder wollen? Zumindest was Tilla betraf und das wusste Marduk natürlich.


    Und um das Mädchen nicht weiter zu ängstigen, hatte der Hüne - widerwillig zwar aber dennoch - darauf verzichtet, den kleinen Jungen und den Fremden über Bord zu werfen. Obwohl die Beiden nur ein lästiges Anhängsel waren, aber sollte doch Neith entscheiden, was mit Ihnen geschah. Marduk wollte jedenfalls so schnell wie möglich zu ihr und deshalb wandte er sich nur kurz an Tilla, bevor er sich wieder ganz seinen Männern zuwenden wollte:


    "Wir sind fast am Ziel kleine Träne! … Nur noch ein Tagesmarsch, dann werden wir den Tempel der Neith erreichen. Deine Heimat! … Freust du dich denn gar nicht?" Die Euphorie in Marduks Stimme war kaum zu überhören ...


    Ob das ein gutes Zeichen war?

  • Mit einem Bündel unterm Arm und den kleinen Straßenjungen im Tragebeutel vor der Brust tragend stand sie zwischen den Kisten, tauschte vorsichtige Blicke mit Hektor aus. Hier gab es sehr viel Sand und Steine! Ein Tagesmarsch? Den werde ich ganz sicher schaffen, denn Gelegenheiten zum Ausruhen gab es reichlich. Ja, ich freue mich. Bald werde ich meiner Mutter gegenüberstehen erwiderte sie stumm flüsternd und setzte sich auf eine Kiste. Sorgenvoll nahm sie die menschenleere Umgebung in Augenschein, registrierte die Einsamkeit der Landestelle und fragte sich was dahinter verborgen war! Sie würde es noch erfahren, wenn sie darüber hinweg laufen würden.


    Tilla war schon seit der Landung schlecht, weil sie nicht mehr auf dem Schiff war sondern auf still stehendem Boden. Hmpf.. sie konnte und sollte jetzt nicht krank werden! Von einem finster aussehenden Mann bekam sie die morgendliche Mahlzeit gereicht und verzehrte diese auf der Kiste sitzend. Wie immer probierte sie Pumillio zum Essen und Trinken zu bewegen. Der Junge nahm zu ihrem Erstaunen alles an und öffnete sogar die schlafverkrusteten Augen, als sie ihm Wasser über seine Lippen einflößte. Es wird alles gut, Äpfelchen! sprach sie ihm flüsternd zu, streichelte seine salzigen Haare. Und versuchte selber an diesen Spruch zu glauben!!


    Nach der Mahlzeit band sie die Sandalensenkel neu zusammen und rubbelte Fetzen des schmerzhaft überstandenen Sonnenbrandes von Armen und Beinen. Schmunzelnd bewunderte sie die Anzahl der Sommersprossen und schielte auf ihre sonnenverbrannte Nase. Auch dort waren Sommersprossen zu finden, es war ein heiteres Bild was sie erblickte. Es lenkte von der Übelkeit ab. Mit den Beinen baumelnd wartete sie auf das Zeichen zum Aufbruch. Die Tage in Rom waren wie fortgeblasen, kamen ihr wie ein seltsamer Traum vor, aus dem sie jetzt erwachen durfte. Bald, bald schon würde sie ihrer Mutter gegenüberstehen und alles erfahren was sie schon immer wissen wollte. Tilla suchte den Blick Hektors, um ihm eine Nachricht mit wenigen gesten zu übermitteln. Pumillio hat eben gegessen.. endlich! gebärdete sie und brachte sogar ein erleichtertes Lächeln zustande. Rasch liess sie die Hände sinken, massierte Pumillios Bauch.

  • Tja, da wären wir nun! Fern der Heimat - sofern ich Rom als meine Heimat bezeichnen wollte - und ohne jeden Schimmer, was uns hier in dieser Einöde erwarten würde. Sand, Felsen, Geröll ... Sehr einladend sah es hier nun wirklich nicht aus aber besser, wie noch länger in diesem stickigen Laderaum schmorren zu müssen. Doch irgend etwas mussten sich diese Halunken dabei gedacht haben, uns ausgerechnet hierher zu verschleppen. Besser gesagt Tilla. Marduk faselte ja ständig davon, dass er das Mädchen endlich zu ihrer Mutter bringen würde. Hoffentlich wäre die etwas freundlicher, da ich den schweren Verdacht hegte, dass ich und Pumilio längst überflüssige Anhängsel waren, welche früher oder später beseitigt werden sollten. Naja immerhin und warum auch immer zum Trotz, waren wir (noch) am Leben, wobei ich mir bei Pumilio da gar nicht mehr so sicher war. Der kleine Kerl wirkte immer apathischer, sagte kaum noch ein Wort und aß und trank fast nichts mehr.


    Viel tun oder helfen konnte ich leider nicht, da ich kein medicus war und man mir die Hände mit einem Sklaveneisen zusammen gebunden hatte. Wenn ich nur diese verdammten Ketten los bekäme, dann … hmm, dann hätte ich wahrscheinlich auch nicht viel gegen diese Bande ausrichten können. Es waren einfach zu viele und außerdem ließen sie mich auch kaum aus den Augen ... Verdammt, was glotzt du mich denn ständig so blöd an! , schnitt ich beiläufig eine Grimasse zu Janus - meinem persönlichen Aufpasser, dessen einzige Aufgabe darin bestand jeden meiner Schritte genau zu überwachen. Oh ja, da hatte Marduk wirklich den perfekten Mann für diese Aufgabe ausgewählt, denn an Janus könnte ich mich nicht mal von hinten anschleichen, ohne von seinem einzigartigen 'Panoramablick' erfasst zu werden. Und das wusste der Kerl genau, so wie er auf meine Grimasse hin nur gelassen zruück grinste Na warte, wer zu letzt lacht …


    Oh, Pumilio hatte gegessen! Bemerkte ich aus den Augenwinkeln heraus Tillas Gesten und wandte mich und meine Gedanken wieder von Janus ab. "Hmm, wurde auch langsam Zeit! … Ihm geht es gar nicht gut", stellte ich laienhaft die Diagnose, während ich mich zu Tilla und Pumilio setzte.


    "Vielleicht hat er irgendwo eine Krankheit aufgeschnappt. Hat er Fieber? … Wollen wir hoffen, dass dein Marduk uns schnell zu deiner Mutter bringt und die sich dann etwas fürsorglicher um dich und … den Jungen kümmert!!", bemerkte ich weiter und wirkte ungewollt etwas sarkastisch. Das wollte ich zwar nicht, aber gerade in dem Moment kam dieser Kerl auf uns zu. ...


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    "He du, rede nicht soviel! Stell dich da rüber! …", fuhr Marduks schneidende Stimme dazwischen und mit einem Kopfnicken gab er Hektor zu verstehen, sich zu verziehen. Dann ging der Hüne vor Tilla und Pumilio in die Hocke, wobei er den Jungen flüchtig musterte. Am liebsten hätte er ihn einfach hier zurück gelassen, doch das ging leider nicht so einfach. "Wie lange willst du ihn eigentlich noch mit dir herum schleppen ….", lang dauert es ohnehin nicht mehr, bis die beiden ihr Ende gefunden haben, meinte er nur kopfschüttelnd und verkniff sich den Zusatz gerade noch.


    "Wir brechen auf. Pack deine Sachen kleine Träne und meinetwegen, nimm auch diesen Wurm mit. … Kommt jetzt!" , meinte der Hüne schließlich und erhob sich wieder. Mit einem prüfenden Blick in die Runde gab Marduk das Zeichen zum Aufbruch, worauf sich der Trupp langsam in Bewegung setzte und immer weiter ins Landesinnere vordrang ...

  • Hektor kam zu ihnen rüber. Mit klopfendem Herzen sah Tilla ihm zu und hoffte, das es keinen Ärger geben würde. Nein, kein Fieber... er liegt schlafend bei mir und wacht selten auf. erklärte sie rasch mit fliegenden Gesten. Ich weiss nicht was ich tun soll! Vielleicht ist das seine Art dieses Abenteuer zu überleben? Wie ein Eichhörnchen im Winterschlaf... Kurz zuckten Tillas Lippen. Ohja.. das Rätsel von Köchin Niki und die Diskussion mit Siv über den Winter tauchte in ihren Errinnerungen auf. Sie schüttelte diese schnell ab und schützte Pumillio mit einer liebevollen Umarmung vor Marduks Zugriff.


    Ich schleppe ihn mit mir herum solange sein Herz noch schlägt. Meine Mutter ist bestimmt nicht genauso böse mit ihm wie du. antwortete sie flüsternd mit voller Hoffnung im Herzen. Pumillio hat dich zu mir geführt und du müsstest ihn eigentlich dafür belohnen. Stattdessen strafst du ihn mit Verachtung. Hätte er gewusst was du vorhast.. es war keine leichte Entschidung für ihn. Weisst du, dass er sich die Schuld gibt, dass wir hier sind? Sein Herz ist schwer. Darum ist er krank geworden. Sie umfasste Pumillos leichten Körper mit den Armen stützend und hängte den Beutel Wasser an den Gürtel. Immer noch klopfte ihr Herz und es klopfte immer noch als sie mit erhobenem Kopf an Marduk vorbeiging und die ersten Schritte in die Wüste tat. Bald würde sie ihre Mutter mit eigenen Augen sehen und das war das Ziel des heute zu überstehenden Tages.


    Tilla sah nicht mehr zum Schiff und zum Wasser zurück... sie wusste, dass die grauen Leiber auch so auf sie aufpassen würden. Als weisse Wolken am Himmel. Tilla lächelte Hektor hoffnungsvoll zu und achtete darauf irgendwie in seiner Nähe zu gehen und zu bleiben. Es war mit einem Mal egal ob sie ihn nicht kennen durfte... sie fühlte sich bei ihm sicher. Was das stumme Mädchen nicht wusste war, dass ihre selbst zugefügten Schnitte im Ellenbogeninneren sich durch das ständige Tragen von Äpfelchen oder der Reibung der Kleidungsärmel entzündet hatten. Ein blauer Streifen wanderte unlängst zur linken Schulter hinauf. Marduk? Warum wohnt meine Mutter gerade hier? Allein im Sand? Gibt es keinen Regen? Eine Geschichte würde helfen diesen Marsch zu überstehen. Mit einem Fuß trat sie einen Stein zur Seite und ging weiter.

  • Dieser Marduk ist wirklich die Liebenswürdigkeit in Person. dachte ich nur so für mich und vermied es aber, den Kerl in irgend einer Form zu reizen. Wütend stieß ich nur die Luft zwischen den Zähnen hindurch und verzog mich, hinüber zu meinem Aufpasser Janus, der mich grinsend am Oberarm packte und noch ein Stück weiter fort zog, während Tilla diesem Marduk ins Gewissen redete. Gut so Tilla, gib´s ihm! Nur hatte ich leise Zweifel, dass sie bei dem Kerl Erfolg haben würde. Naja ein Versuch war es sicher wert.


    Dann war ich auch schon außer Hörweite und wurde von Janus weiter gezerrt. Widerwillig folgte ich ihm , sich dagegen zu wehren hätte ohnehin keinen Zweck gehabt und wäre sicher nicht zielführend gewesen, in der augenblicklichen Lage in der wir uns befanden. Pumilio war völlig apathisch und auch Tilla wirkte seit kurzem sehr erschöpft und irgendwie krank. Wenn ich uns also helfen wollte, dann musste ich - wohl oder übel - abwarten und auf eine günstige Gemeinheit hoffen. Doch ob diese je kommen würde? Mit einem Blick zu Janus und den übrigen Gefolgsleuten begann ich ernsthaft daran zu zweifeln, doch wie hieß es so schön .. 'Die Hoffnung stirbt zuletzt'. Also folgte ich und marschierte durch die flirrende Hitze der Wüste, verkniff mir jeden Kommentar gegenüber den Entführern und versuchte einfach, in Tillas Nähe zu bleiben.


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    Kurz sah er Hektor nach, wie der von Janus weggezerrt wurde dann wandte er sich wieder an Tilla. Reden! "Pah! Was interessiert es mich denn, dass er sich die Schuld dafür gibt. … Sei froh, dass ich ihn und diesen Hektor am Leben gelassen habe …", zischte der Hüne nur böse auf Tillas Worte zurück und winkte verächtlich ab. Aber halt, halt … warum denn so böse! Marduk schnaufte tief durch und ermahnte sich selbst seiner Vorsätze. "Nun ... deine Mutter wird schon wissen, was mit den beiden geschehen soll. Bald schon …", lenkte er schnell ein und beließ es dabei.


    Ein paar Mal war Marduk allerdings drauf und dran, seine guten Vorsätze über Bord zu werfen, da Tilla ihn mit vielen Fragen löcherte. Der Hüne atmete tief durch und schaffte es auch irgendwie ruhig zu bleiben, wenngleich er nicht gerade mit Gesprächigkeit glänzte: "Neith lebt schon immer hier … aber sie ist nicht allein! Sie ist schließlich eine Göttin. Und sie hat uns. Wir sind ihre Anhänger und gehorchen ihr bedingungslos. So will es die Prophezei ...huh, was meinst du damit? Es regnet hier doch … naja selten zwar, aber … ach, frag doch deine Mutter und jetzt halt endlich den Mund und spar dir deine Kräfte lieber fürs Laufen. Wir haben noch ein ganzes Stück vor uns.", wiegelte Marduk letztendlich das Gespräch ab und beschränkte sich während des Marsches nur noch auf die nötigsten Worte wie: "Los ... schneller ... nicht so langsam ... Wir sind bald da ..."

  • Endlich! Nach einem langen Marsch durch die heiße und steinige Einöde erreichten sie endlich ihr Ziel. Doch dieses konnte man zunächst nicht sehen oder gar erahnen, lag es doch hinter einer kahlen Felswand verborgen, die scheinbar aus dem Nichts plözlich vor ihnen in den Himmel ragte. Kein Weg schien an ihr vorbei oder hinauf zu führen und erst beim Näherkommen konnte man einen schmalen dunklen Spalt entdecken, der wie der Schlund des Hades selbst wirkte. Um ihn herum lagen zahllose Knochen und Tierschädel verstreut und ein dumpfes Heulen, verursacht durch den Wind der sich durch diesen klaffenden Spalt hindurch drängte, mochte schnell den Irrglauben erwecken, dass in dieser pechschwarzen Höhle eine schreckliche Kreatur lauern könnte. Doch Marduk wusste es besser und so steuerten er und seine Männer gelassen darauf zu. Für Tilla, Hektor und den Jungen gab es hingegen keine Alternative. Sie mussten den Männern folgen und konnten nur darauf hoffen und vertrauen, durch diesen Eingang nicht in die finsterste Verdammnis zu gelangen.


    Doch zunächst sah es ganz danach aus, nachdem die Schwelle zwischen Licht und Dunkelheit überschritten war und nur noch pechschwarze Nacht sie umgab. Die wenigen Fackeln vermochten diese Düsternis kaum mehr zu durchdringen bis endlich das Tageslicht, am anderen Ende des Tunnels den Weg und damit einen Hoffnungsschimmer wies.


    Sie traten aus der Dunkelheit zurück in das gleißende Licht der Sonne und vor ihnen breitete sich eine Ebene aus, ein kleines Tal, ringsherum komplett von steilen Felswänden umgeben. Nur durch diesen einen Spalt gelangte man hierher, doch verlassen war dieser Ort keineswegs. Überall verstreut standen Zelte und waren Menschen, die ihren alltäglichen Gewohnheiten nach gingen. Ein Lager! Waren es Schmuggler, Landstreicher oder sonstiges lichtscheues Gesindel? Für manchen mochte es durchaus den Anschein haben und es gab sicher einen driftigen Grund dafür, warum diese Leute freiwillig eine solche Abgeschiedenheit ihr Zuhause nannten. Hie und da hockten ein paar Männer auf dem staubigen Boden, redeten, würfelten oder tranken Tee. Dort standen Frauen um eine Kochstelle herum und bereiteten das Essen. Sogar Ziegen und Kamele konnte man sehen, die gelangweilt in der Sonne standen oder lagen. Nur eines fehlte seltsamerweise … das Gelächter und Geschrei von ... Kindern.


    Sehr schnell wurden die Ankömmlinge bemerkt und Leben kam in die verschworene Gemeinde. Etwa dreißig Männer und Frauen strömten von allen Seiten herbei und lautes Stimmengewirr empfing Marduk und seine Männer. "Seht doch nur, sie sind zurück! … Marduk ist zurück! … Tatsächlich! … Wer sind denn die anderen? … Ist sie das? … Ja, ja doch! … Endlich! … Sie ist es, sie ist heimgekehrt! … Preiset Neith! … Unsere Gebete wurden erhört! … Die Prophezeiung wird sich nun endlich erfüllen!! …"


    Doch der Hüne hielt sich nicht lange mit Erklärungen auf. Auch dem Jubel der Menge gab er nicht nach, es reichte schon das schmale Lächeln, mit dem er und seine Leute sich einen Weg durch die jubelnden Anhänger bahnten. "Lasst uns durch! … Ihr seht doch, dass sie es ist. Neith erwartet uns. Geht zur Seite und geduldet euch noch ein wenig! ..."


    Als die Menge seinen Worten endlich Folge leistete und vor ihnen auseinander wich, konnten Tilla und die Anderen endlich einen Blick auf das Ziel ihrer Reise werfen.


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    Ein in Fels gehauenes Relikt einer Hochkultur, die lange schon vor den Römern dieses Land bevölkert hatte. Ein Ort für die Ewigkeit, an dem vor vielen Jahren das Schicksal seinen Lauf nahm. Eine Prophezeiung! Anfang und Ende zugleich von dem, was für Marduk und die übrigen Anhänger von Bedeutung war und an das sie glaubten … glauben wollten ...


    Eine breite Treppe führte hinauf in eine Art Vorhalle, etwa zwanzig Meter hoch, fünfzehn Meter Breit und dreißig Meter lang. Eingerahmt von imposanten Säulen an den Seiten, die über und über mit befremdlich wirkenden Symbolen und Bildern beschriftet waren. Dazwischen brannten große Feuerbecken, die ein unheimlich flackerndes Licht hinauf zur Decke schickten und an einigen Stellen führten kleine Durchlässe hinab in ein weites Labyrinth aus Gängen und Kammern, die sich unter den Hallen befanden. Einige Lagerstätten gab es hier ebenfalls, die zweifellos Marduk und seinen Männern gehören mussten.


    Am Ende der Vorhalle ging es durch eine Pforte weiter, in das eigentliche Heiligtum des Tempels. Eine weitere Halle, etwas höher, breiter und länger als die Erste. Am hinteren Ende befand sich ein großer Steinquader, in dessen Mitte ein flaches Becken eingelassen war und von dem aus, schmale Rinnen nach allen Seiten verliefen. Unschwer konnte man darin eine Art Opferaltar erkennen. Wofür er wohl gedacht war?


    Marduk schritt unbeirrt darauf zu und je näher sie kamen, umso lauter wurde ein Rauschen das sich wie ein Wasserfall anhörte. Wasser, hier? Direkt hinter dem Altar endete die Tempelhalle abrupt, an einer natürlichen Felskante . Und tatsächlich! Dort unten in der ewigen Finsternis trat Wasser aus dem Fels heraus und verschwand ebenso plötzlich wieder unter dem Urgestein der Natur.


    Die Gruppe versammelte sich schließlich um den Altar, wobei man Tilla, Hektor und Pumilio zusammen stehen ließ. Sogar Marduk schien sich nicht daran zu stören. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf die Gefangenen und wirkte durchaus zufrieden, als er seine Stimme erhob:


    "Neith! … Neith meine Göttin. Erscheine und sieh, wen ich dir zurück gebracht habe!.. ", rief Marduk ehrfürchtig und voller Stolz, sodass es von den Wänden widerhallte. Mit theatralisch ausgebreiteten Armen stand er da und starrte in Richtung eines ganz bestimmten Eingangs, der sich an der Seite der Halle befand. "Kniet nieder!", befahl er dann und sah Tilla, Hektor und Pumilio eindringlich an. Der Befehl galt jedoch allen und so sanken er und seine Männer ebenfalls auf den kalten Steinboden und warteten, dass Neith endlich erscheinen würde …

  • Ja, sie konnte tatsächlich froh sein, dass Hektor und Äpfelchen am Leben waren. Wer weiss wie Tilla ohne sie diese Reise durchgestanden hätte? Sie war froh um deren Begleitung, sah immerzu zu Hektor zurück, um sich zu versichern, dass er anwesend war. Ahso. erwiderte Tilla stumm flüsternd auf Marduks Worte. Ihr Entführer war verärgert, sie merkte es an seiner grollenden Stimme und schwieg von da an.


    Wenn es eine Gelegenheit zum Stehenbleiben gab nutzte Tilla diese sogleich, um ein kleines Tüchlein in ihren wasserbeutel zu stopfen und es wieder hinauszuziehen. Damit befeuchtete sie zuallererst Pumillios Lippen und sein Gesicht, dann erst die eigenen Lippen. Meist steckte sie einen Zipfel zum Nuckeln in seinen trockenen Mund, damit er Feuchtigkeit aufnahm und auf diese Weise Wasser 'trank'. Schritt für Schritt ging Tilla weiter, trug Pumillio auf dem Arm. Es war ungewohnt heiss... manchmal dachte Tilla die Sohlen ihrer Sandalen würden jeden Moment aufplatzen, weil diese seltsam knirschten. Das Knirschen erhielt kurzweilig Tillas Aufmerksamkeit. Bald konzentrierte sich das Mädchen nur noch auf das Gehen, setzte einen Fuß vor den anderen. Ihr war seltsam zumute. Wahrscheinlich war die Hitze daran schuld. Die viel zu warme Kleidung klebte am Rücken, so auch die langen Haare auf dem Nacken und an den Schläfen. Tilla schwitzte unter der Sonne.


    Die Knochen und Tierschädel flößten Furcht ein. Sie sah nicht hin und presste Pumillio fest an sich. Plötzlich gab es wohltuenden Schatten. Erstaunt sah sie die Felswände hinauf, entdeckte den Himmel nicht mehr über sich. Der Moment verging allzurasch. Dank einem Stoß von einem der Männer stolperte sie nach vorne und fand gerade so noch ihr Gleichgewicht wieder. Oh, wie sie die beinah totale Dunkelheit hasste! Nach der flirrenden Hitze schienen ihre Augen Streiche spielen zu wollen... die tollsten Regenbogenfarben tobten vor ihrem inneren Auge herum. Sie biss die Lippen zusammen und bemühte sich Marduk's Reisegesellschaft mit gespitzten Ohren zu folgen. Ihr Rücken wurde, je länger sie hier drinnen entlang liefen, wieder kühl. Mit den Fingern zog sie den braunen Mantel enger um sich herum.


    Oh.. hauchte das stumme Mädchen als sie draußen ankamen. Wo sind wir? Pumillio, schau, du musst dir das ansehen. Bitte schau dir das an und sag mir, dass ich nicht träume. Der kleine Junge regte sich geringfügig, erwachte aus seiner Aphathie und seufzte ebenso erstaunt über die jubelnden Menschen. "Kein Traum..." flüsterte er und nuckelte den letzten Rest Wasser aus dem beinahe trockenen Tuch. Mit erhobenem Kopf und großen Augen schritt Tilla Marduk hinterher durch die Menschenmenge, schüttelte warnend mit dem Kopf wenn jemand Pumillio berühren wollte. Die Menschen kannten ihre Mutter die Königin sogar beim Namen. Ein schwaches Lächeln zierte Tillas Lippen. Eine wahrhaft berühmte Mutter wartete auf sie. Sie konnte kaum noch gehen, immer seltsamer wurde ihr zumute. Tilla ächzte beim Anblick der breiten Treppe auf und riss sich zusammen. Jetzt erst recht, das Ziel ist nah!, dachte sich das Mädchen und setzte einen Fuß nach Fuß nach dem anderen auf jede Stufe.


    Nach der Treppe war keineswegs Schluß mit der Wanderung... sie musste weiterlaufen. Tilla setzte Pumillio auf den anderen Arm, trug ihn weiter. Ihre dunklen Augen schweiften über die Symbole. Immer wieder war der Delphin zu sehen! Was sollte es bedeuten? Die Gruppe passierte eine Pforte. Tilla bleib einen Moment stehen, betrachtete die Farben und die Höhe der Pforte. Vorsichtig berührte sie ein blau gefärbtes Symbol, dass wie Meereswellen aussah. Auch bei diesem Anblick fragte sie sich, was es bedeuten sollte. Nach einem stummen auf das Symbol aufmerksam machenden Blick zu Hektor durchschritt Tilla die Pforte.


    Wasserrauschen? Sie ging ein Stückchen schneller... endlich konnte sie den Durst stillen! Weit gefehlt! Dies hier war keine Stätte an der man Wasser trinken konnte. Mit jedem Schritt näher heran entdeckte sie das Becken, die Rinne, die Felskante hinter dem Becken. Was war das? Eine bisher unbeantwortete Frage, die sie sich ständig stellte. Auf Marduks Befehl kniete Tilla gehorsam nieder, auch weil ihr die Kraft in den Beinen ausging. Sie setzte Pumillio neben sich ab, stützte ihn mit ihrer rechten Körperseite. Für das kommende wollte sie die Hände frei haben.. das war ihr aus irgendeinem unerfindlichen Grund wichtig. Langsam krempelte sie mit geschickten Fingern die Ärmel hoch und schob die verschwitzten Haare aus dem von der Sonne geröteten Gesicht.


    Jeder konnte den blauen Strich am linken Arm sehen, der inzwischen ihre Schulter erreicht hatte und nicht zu wissen schien wohin des Weges. Tillas Blick folgte dem von Marduk. Ihre Mutter war hier! Ganz nahe bei ihr. Wieder umspielte ein Lächeln Tillas Mundwinkel. Neith.. meine Mutter! flüsterte sie stumm. "Tilla! Still! Sag nichts.." flüsterte Pumillio, sah Hektor hilfesuchend an. Mit forscher Geste schüttelte das stumme Mädchen Pumillios Hand ab, saß auf den Knien hockend auf dem kalten Boden und wartete auf ihre Mutter. Jetzt und endlich hatte das Warten ein Ende. Mutter! rief Tilla stimmlos aus, zeigte ihre nach oben gerichteten leeren Handflächen vor.

  • Einem ehemaligen Soldaten wie mir sollte das Marschieren, durch die Wüste eigentlich nichts ausmachen. Dachte ich zumindest. Aber es war eine ganz schöne Anstrengung, muss ich sagen und da konnte ich mal sehen wie sehr ich aus der Übung war, seitdem ich als Sklave mein Leben fristete. Wie viel anstrengender mochte es da für Tilla und Pumilio sein, die eine solche Strapaze wohl noch viel weniger kannten. Ich machte mir Sorgen um die Beiden und noch viel größere Sorgen machte ich mir, als wir diesen seltsamen Knochenfriedhof erreichten. Abergläubisch war ich zwar nicht gerade, doch irgend ein Geheimnis musste sich hinter dieser seltsamen Anhäufung von Knochen und der dunklen Felsspalte, auf die wir zu steuerten sicher verbergen.


    Und dieses Geheimnis sollte sich - in Teilen zumindest - lüften, nachdem wir die Felspassage hinter uns hatten. Oh was war denn das für ein seltsames Völkchen?? Lauter zerlumpte Gestalten, die sich hier in dieser Einöde ein heimliches Plätzchen zum Leben geschaffen hatten. Waren es Landstreicher, Schmuggler, Räuber, oder gar Mörder? ... hm, dann sollten die Knochen am Eingang wohl ungebetene Gäste abschrecken. Was zweifellos bei den meisten funktionieren würde. Nur wir, wir waren hier und bei dem Gedanken, dass wir hier ganz allein auf uns gestellt waren, wurde mir ganz und gar nicht wohler.


    Na gut! Eines musste man den Leuten zumindest zu Gute halten. Sie bewarfen uns nicht gleich mit Steinen. Die Begrüßung fiel sogar sehr freundlich, fast schon euphorisch aus was mich wiederum stutzig machte. Aber gut, vielleicht hatten wir ja Glück und diese Neith wäre eine ganz nette Person, die mit ihren Anhängern zusammen diesen alten verlassenen Tempel bewohnte und sich einfach eine schöne Zeit machte.


    Nur irgendwie wollte ich daran nicht mehr so recht glauben, nachdem wir die dunklen Hallen betreten hatten und uns um den Opferalter knien mussten. Dieser Ort war nicht heilig! Das fühlte ich. Marduk rief nach dieser Neith und für einen kurzen Augenblick hoffte ich, dass dies alles nur ein Traum wäre. Doch so war es nicht. Eine Stimme ertönte und spätestens jetzt zuckte ich ordentlich zusammen.


    "Du hast mich gerufen? … Marduk, mein lieber Marduk … ", erklang eine süßlich gedehnte Stimme aus dem Nichts. Ein Schatten begann über die Wände zu tanzen, zeichnete wirre Bilder im Lichte der Feuerbecken und ein ehrfurchtsvolles Raunen ging durch die Halle. Dort aus der Dunkelheit löste sich eine schlanke Gestalt, schwebend über dem Boden gleich kam sie näher und näher ... direkt auf uns zu ...

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    Gehüllt in ein blutrotes Gewand, welches ihren schlanken Körper schmeichelnd umfloss, betrat Neith die Halle und schritt gemächlich auf die Ankömmlinge zu. Das Kleid reichte bis zum Boden, verdeckte ihre Füße und erweckte so den Eindruck sie würde schweben. Ein goldenes Geschmeide, in Form eines Falken mit ausgebreiten Flügeln zierte ihr Dekolleté, dazu trug sie zwei goldene Armreife und einen Gürtel aus Goldelementen. Das Gewand selbst wurde gehalten von zwei Fibeln in Form von Schlangenköpfen. Doch das Geschmeide war nichts gegen die Frisur, bei deren Anblick jede römische Patrizierin sofort vor Neid erblasst wäre. Das pechschwarz glänzende Haar war kunstvoll aufgetürmt und so geschickt geflochten, dass es im flackernden Licht des Feuers zum Leben erweckt wurde. Wie sich windende Schlangen, die das Haupt der Frau in eine Meduse verwandelten.


    "Was hast du mir denn diesmal Schönes mitgebracht? … Ist es das was ich denke. Gold, Schmuck, Edelsteine, … wieder einmal? , seuftze Neith gelangweilt über Dinge, die manch anderen in Verzückung versetzt hätte. "Oh bitte sag mir nicht, dass deine Suche wieder einmal erfolglos war! … Marduk Marduk, was soll ich nur mit dir machen?", ganz leise sprach sie und umso gefährlich klang es aus ihren blutroten Lippen. Die mit Ruß umrandeten Augen stachen auf den Hünen herab und dieser wirkte mit einem Mal richtig klein, in diesem bizarren Schauspiel. Kurz warf Neith einen abfälligen Blick auf die Besucher, taxierte Tilla einen Herzschlag lang, ohne sich weiter für sie zu interessieren.


    "Nein nein nein… Neith, meine Göttin! Bitte hör mich an.…Ich ich habe dir das Amulett und die kleine Träne zurück gebracht" In einer Mischung aus Freude, Angst und Ehrfurcht stammelte Marduk völlig aufgelöst vor sich hin und verneigte sich noch tiefer vor seiner Herrin. Aber auch seine Männer duckten sich eingeschüchtert von einer einzigen Frau auf den Boden, was die Szene noch bizarrer erscheinen ließ.


    "Das Amulett?? …", nun versagte auch Neith kurz die Stimme. Überrascht und doch gefasst wirkend war sie mit ein paar Schritten bei Tilla. Wer sonst hätte es sein können. "Du! … Steh auf!", befahl sie mit kühler Stimme und ihr Gesicht verriet nichts von den Gefühlen, die sich dahinter verbergen mochten. Reagierte so eine Mutter, die ihr Kind nach vielen Jahren endlich wiedergefunden hatte? Die spinnenartigen Finger der Göttin griffen nach dem Amulett, befühlten es andächtig, bevor sie Tilla am Stoff ihrer Tunika packte. "Dreh dich um. Lass mich deinen Rücken sehen!" Mit einem Ruck zog Neith das Kleid des Mädchens auch schon herunter. So weit, dass sie einen Blick auf die Stelle werfen konnte, an der sie ein tropfenförmiges Muttermal erwartete. "Das Mal! Sie ist es!... Du bist es wirklich! … Oh mein Kind, wo hast du nur die ganzen Jahre über gesteckt? Endlich hab ich dich wieder!!", stieß Neith einen tiefen Seufzer aus, mit dem sie sich vor Tilla auf die Knie fallen ließ.


    Die Göttin wirkte wie verwandelt und doch mangelte es der Umarmung an Wärme und Herzlichkeit, mit der sie Tilla kurz an sich drückte. Eine viel zu kurze, fast verlogen wirkende Berührung angesichts dessen, was geschehen war und noch geschehen würde. Das Schicksal hatte sie getrennt und nun waren sie wieder vereint. Die Prophezeiung! Nur daran dachte Neith. "Genug, … nun da du endlich zurück bist, gilt es alles für deinen Ehrentag vorzubereiten!Wir haben keine Zeit zu verlieren", sprach Neith regelrecht in Rätseln während sie Tilla wieder von sich schob. Warum nur diese Hektik? Doch da bemerkte Neith den dunklen Strich unter Tillas Haut und ihre Miene verfinsterte sich. Sie packte Tilla am Arm und besah sich die Stelle genauer. "Was ist denn das? Bist du krank?" Einen Moment lang schien Neith zu überlegen und vieles abzuwägen. Dann zog sie Tilla an der Hand einfach mit sich. Weg von den Anderen, die für sie gar nicht mehr zu existieren schienen.

  • Und dann sprach jemand, schien näher zu kommen. Tilla konnte ihre Neugier nicht bezähmen, blickte zur näherkommenden Gestalt auf. Da kam sie, gekleidet in einem Kleid dessen Farbe sie im Laufe der Zeit hassen gelernt hatte. Nur die Haare der Frau allein lenkten Tilla von diesem Umstand ab. Schwarze Haare! Sie musste es einfach sein.. ihre Mutter! Sie begann flacher zu atmen, vor Aufregung und Anspannung, erwiderte den kurzen Blick, den sie von der Frau zugeworfen bekam. Tilla konnte die Augen nicht mehr von der Königin lösen, verfolgte jede ihrer Bewegungen.


    So schnell sie mit beinahe eingeschlafenen Beinen sie konnte, stand sie eilig auf und zuckte instinktiv zurück, wie die Hand der Frau auf sie zugeschossen kam. Mutter bewegte sich rasend schnell und forderte etwas neues. Im nächsten Moment musste sie ihr halbwegs zerissenes Kleid festhalten. Auf dem Rücken war ein Muttermal zu sehen, gut sichtbar neben längst verheilten Narben auf den Rücken. Tilla selbst wusste nichts vom Muttermal, wunderte sich über das merkwürdige Interesse an ihrem Rücken. Sie bemerkte Hektors Blick, nickte ihm verdutzt dreinblickend zu und hob fragend die Schultern an. Im übernächsten Moment fand sie ihre Mutter vor sich knieend wieder. Tillas Verwirrung stieg noch ein bisschen mehr an. Du lieber Himmel, was fanden die Erwachsenen nur am Amulett?? Sahen sie etwas, was sie nicht sehen konnte?


    Mit den Händen hielt sie das Kleid fest, versuchte ihren jugendlichen schlanken Körper notdürftig zu bedecken und liess es bei Neiths nächsten Worten verblüfft zu Boden fallen. Ein Ehrentag? Für sie? Autsch!! stöhnte sie stumm über den harten Griff am Handgelenk auf. Ich weiss nicht genau. Mir ist schon seit der ersten Nacht auf dem Schiff nicht gut. Liebend gerne hätte sie andere erste Worte ihrer Mutter entgegengeflüstert... zum Beispiel, dass sie sich freute, ihre Mutter nach so langer Zeit zu treffen.


    Unbekleidet, nackt bis auf die Haut, lief sie stolpernd an Neiths Seite mit. Lass meinen Arm los, du tust mir weh... Mutter! Die Pause hatte nicht allzulange gedauert. Die Erschöpfung von der Wanderung und der feste Griff machten es Tilla schwer sich zu wehren. Unbewusst hielt sie das Amulett mit der anderen Hand in der geballten Faust fest. Jetzt bloß nicht den Tränenstein nicht verlieren! Mutter! Was hast du vor? Was für ein Ehrentag? Warum trägst du ein rotes Kleid? Was ist auf meinem Rücken? fragte Tilla atemlos und stumm flüsternd, stellte ihr Fragen die ihr in diesen Momenten im Kopf herumwirbelten. Sie versuchte mit den Sandalen Neiths schnelles Gehtempo abzubremsen, schlitterte mit den Sohlen über den feuchten moosigen Boden. Aua autsch!! stöhnte sie auf und ging in die Knie, weil sie nach vorne hin ausrutschte und ihr festgehaltene Arm dabei in die Höhe gezerrt wurde. Der blaue Strich schien sich entschieden zu haben, wanderte weiter seines Weges durch die Adern des stummen Mädchens.

  • Das soll also Mutter sein?, stellte ich mir ungläubig die Frage während ich mit Entsetzen mit verfolgen musste, was da gerade vor meinen Augen ablief. Diese Neith machte sich über ihr verlorenes Kind her, wie die Schlange über die Maus und die arme Tilla nannte sie dabei auch noch "Mutter". Das konnte doch nicht wahr sein!


    Unruhig rutsche ich auf meinen Knien und überlegte, ob ich nicht einfach aufspringen sollte. Doch einen Seitenblick zu Janus und dem Dolch den er stets griffbereit hielt, belehrten mich eines besseren. Das würde letztendlich Tilla und dem Jungen nicht helfen. Nein! Ich musste abwarten und weiter auf eine günstige Gelegenheit hoffen, sofern diese je käme.


    Ich trug ja immer noch Tillas Messer bei mir, in einem kleinen Beutel um den Hals. Allerdings so herum, dass er im Nacken unter meinem langen Haar verborgen war. Kein besonders gutes Versteck aber ich dankte auch unablässig den Göttern dafür, dass diese Kerle mich nicht besonders gründlich durchsucht hatten. Wahrscheinlich hielten sie es nicht für nötig bei einem einzelnen Gegner, oder sie waren sich ihrer Sache einfach zu sicher.


    So sicher wie für mich fest stand, dass diese Neith und die Anderen hier allesamt verrückt sein mussten. Verblendete Fanatiker, die anscheinend an diesem Amulett und an Tilla ihren Narren gefressen hatten. Voller Verblendung. Nur was sollte das bringen und vor allem was erhofften sie sich nun von ihr. Sollte Tilla etwa eine Art "Erlöserin" sein? So was gab es ja in der Vergangenheit schon öfters und man wusste auch, wo das meistens endete … am Kreuz!


    Ausgerechnet diesem Moment wanderten meine Augen hinüber zu dem Altar und von dieser Sekunde an wollte ich mir eigentlich gar nicht mehr so genau ausmalen, was diese Rabenmutter mit ihrem Kind so alles vor haben könnte ...

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    Es war eine Vision der sie folgte, seit sie denken konnte und die sie zu dem gemacht hat, was sie schon immer sein wollte: Eine Göttin! Neith die Herrscherin, über ein kleines Volk, in dieser Abgeschiedenheit und unbeachtet vom Rest der Welt. Doch dies würde nicht mehr lange so bleiben. Sie alle waren zu einer viel größeren Sache auserkoren! Neith wusste es, wusste es schon immer und deshalb war es an ihr, ihre Anhänger zu führen und über sie und den Weg zu bestimmen, den sie zusammen gehen würden.


    Von daher kam die Göttin gar nicht damit zurecht, dass sich Tilla dagegen sträubte ihr zu folgen. Genervt hielt sie inne, packte das heruntergerutschte Kleid und drückte es Tilla ungeduldig zurück in die Hände. "Jetzt hab dich nicht so und komm endlich! … Und was ist nun, bist du nun krank oder nicht? ", fragte sie ungeduldig nach, ohne die Fragen des Mädchens überhaupt wahrgenommen zu haben. Doch was war das? Erst jetzt bemerkte es die Göttin. Tilla bewegte nur lautlos die Lippen indem sie ihr etwas antworten wollte. Die Augen der Königin wurden langsam immer größer und begannen dunkel zu funkeln, als sie begriff was es damit auf sich haben musste.


    Einen Herzschlag lang verharrte Neith stumm, doch gleich darauf hallte ihre Stimme von den Wänden wieder.


    "MAAAAARRRRDUK was soll das, wo ist ihre Zunge? ... Du Nichtsnutz! Sieh dir an was du mir zurück gebracht hast, nach all den Jahren. Konntest du nicht auf sie aufpassen … damals schon? Oh ich sage dir eines, wehe dir und deinen Männern, wenn sich die Prophezeiung deinetwegen nicht erfüllen wird, dann dann … "


    Fauchte die Schlange außer sich vor Wut, sprach ihren Fluch über Marduk und weidete sich an der Angst, die aus seinen Augen zu ihr sprach. "Du weißt, was dann passieren wird!" Neith herrschte - ohne jeden Zweifel - nur mit Worten, ohne dabei ihre unnahbare Haltung aufzugeben. Immer noch stand sie fast unbewegt da, schwebte über allem und sah angewidert auf diese Sterblichen herab.


    "Aus meinen Augen jetzt, ihr alle! Und wagt es ja nicht mich vor Morgen früh wieder zu stören. Bereitet alles für die Zeremonie vor und sperrt die beiden da in eine der Kammern. Sie sollen ruhig dabei sein und vielleicht wird ihr Opfer den Zorn des Wassergottes besänftigen den du, Marduk, herauf beschworen hast … "


    Erneut funkelte Neith die Männer böse an, verbreitete Angst und sprach in Rätseln. Mit einer scheuchenden Handbewegung deutete sie auch auf Hektor und Pumilio und wischte sie alle zusammen aus der Halle hinfort.


    Marduk und seine Leute folgten ohne jeden Mucks und so dauerte es nicht lange, dann standen Neith und Tilla alleine in dieser großen Halle, unweit des Altars. Erst jetzt entspannten sich Neiths Gesichtszüge wieder. Schlagartig, von einem Moment auf den anderen lächelte sie und sah Tilla fast mitleidig an. "Und jetzt zu dir du armes Ding. Meine Sklavin wird sich deine Wunden ansehen, schließlich musst du bei Kräften sein, wenn du morgen …"


    Oh nein! Neith sprach den Satz nicht zu Ende, sie lächelte nur hintergründig und rief stattdessen nach ihrer Sklavin: "Esther … Komm und sieh dir an, wen wir hier haben! … Mein Kind ist zurück. Hörst du? Meine kleine Träne ist wieder da!"


    Es dauerte nicht lange, da erschien aus einer der Seitentüren eine Frau. Sie trug eine einfache zerschlissene Tunika und das leicht ergraute Haar war zu einem schlichten Knoten hochgesteckt. "Du wünschst? … ", fragte sie mit müder Stimme während sie langsam näher kam und mit den hängenden Schultern und ihren kraftlosen Schritten, wirkte die Sklavin alt und gebrechlich. Erst als sie Neith und Tilla erreicht hatte wurde klar, dass sie kaum älter als die Göttin selbst sein konnte.


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    Esther warf einen flüchtigen Blick zu Tilla und fast unmerklich spannte sich ihr ganzer Körper in dem Moment. "Wann wirst du endlich aufhören mich damit zu quälen Neith? Nach all den Jahren in denen deine Worte nichts weiter waren als nur Schall und Rauch. Genügt es dir nicht, dass du mir … ", hob Esther zum sprechen an und mit einem Mal waren ihre Augen voller Leben. Sie sah zu Neith und deutlich war der Hass darin zu erkennen, der einzig und allein der Göttin galt. Es begann ein regelrechter Kampf der Blicke, mit denen sich die beiden Frauen zu vernichten versuchten, doch am Ende konnte es nur eine Gewinnerin geben.


    Neith trat einen Schritt auf Esther zu und einen Herzschlag später fiel die Sklavin auch schon auf die Knie. Ein dünner Streifen Blut rann aus ihrem Mundwinkel, genau dort, wo der Schlag der Göttin sie verletzt hatte.


    "Halt sofort deinen Mund und wage es ja nicht noch einmal mich so anzusehen. Dafür wirst du noch die Peitsche zu spüren bekommen. Aber nicht jetzt. … Zuerst bringst du die kleine Träne in meine Gemächer und kümmerst dich um ihre Wunden verstanden? Sorge zudem dafür, dass sie bei Kräften ist für die Zeremonie. ... Falls du mich suchst, ich bin unten in der Gruft und komm ja nicht auf dumme Gedanken, Esther, hörst du? … Noch einmal werde ich nicht so gnädig sein und dich am Leben lassen, so wie damals. Oder willst du, dass Marduk und die all die anderen erfahren, wer in Wirklichkeit die Verräterin war?"


    Mit dieser dunklen Drohung aus längst vergangenen Tagen entfernte sich Neith schließlich von den beiden und ließ ihre Sklavin am Boden liegend zurück. Diese begann sich indes langsam aufzurappeln, wobei sie kaum hörbar zu sich selber sprach: "Ich wünschte du hättest mich damals schon getötet du Miststück ..."

  • Ihr Kleid... sie bekam es in die freie Hand zurück und drückte es vor ihre knospende Brust, während sie den Blick ihrer Mutter stumm erwiderte. Irgendwie war auch eine Entschuldigung darin zu lesen. Denn wenn sie sich damals nicht so tollpatschig angestellt hätte, dann besäße sie ihre Zunge und Stimme heute noch und könnte 'richtig' zu ihrer Mutter sprechen. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Marduk hätte schon von Anfang an auf sie aufpassen sollen? Aber wie ging denn das? Er hatte sie doch erst jetzt gefunden. Oh, wenn sie gewusst hätte, dass Hilfe so nah gewesen wäre oder dass man sie suchte!! Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte sie Marduk böse an. Oh, wenn er sich doch viel früher zu erkennen gegeben hätte, dann hätte sie all die Jahre schon längst bei ihrer Mutter sein können!! Jetzt, wo sie sauer auf Marduk und seine Männer war, fühlte es sich gerecht an, dass der grimmiger Entführer ausgeschimpft wurde. Neith schickte alle weg. Schnell suchte sie des netten Bartträgers Blick, bat ihn stumm auf Pumillio aufzupassen. Der kleine Junge hatte sich nicht mehr gerührt oder einen Ton von sich gegeben. Tilla hoffte für den Kleinen, dass er dieses Abenteuer überlebte.


    Schliesslich wandte sich Neith direkt an sie. Mit großen Augen sah sie Mutter an, nickte stumm. Von wegen armes Ding!! Sie hatte in großer Gefahr ein liebgewonnenes Menschenleben gerettet. Mutter, was ist morgen? Was wird morgen sein? flüsterte sie die nächste Fragen, die ihr einfielen und überhört wurden. Da ihre Mutter eine mächtige Königin war, musste sie Leute haben die ihr dienten. Sie bezeichnete Tilla sogar als ihr Kind. Tilla schluckte hart, einen netteren Stimmenklang hatte ihre Mutter wohl gerade nicht parat. Stumm betrachtete sie Esthers Näherkommen und hörte mit offenem Mund mit an, wie diese gegen Mutter aufbegehrte und sogleich von eben jener zu Boden geschlagen wurde. Neith spuckte wilde Drohungen aus, drohte mit der Peitsche und sprach erneut von einer Zeremonie. Tilla schluckte hart. Eine Gruft? Hier drinnen? Die vielen unbeantworteten Fragen und rätselhaften Sätze machten Tilla schwindelig und ihre Ohren klingelten von Neiths Stimme.


    Als Mutter weg war, sackte Tilla zu Boden, hockte sich neben Esther. Sie spürte etwas unförmiges in dem zerissenen Kleid und angelte den halbvollen Trinkbeutel hervor, an dem das Nuckel-Tuch für Pumillio hing. Sie patschte mit der flachen Hand gegen die eigene Stirn. Da wünschte sie sich die ganze Zeit etwas für ihn und sich zu trinken und trug es die ganze Zeit bei sich. Warum wünschst du dir tot zu sein? Langsam wurde ihr alles zu viel. Mit heftig zitternden Händen öffnete sie den Beutel, nahm das Tuch und feuchtete es an, um es Esther mit stummer Geste zu geben. Die andere Frau sollte sich das Blut aus dem Mund wegwischen. Dann trank Tilla mit gierigen Schlucken, stillte ihren Durst und setzte den Beutel ab als kein Tropfen Wasser mehr drin war. Das angeschlagene Knie schmerzte und die Erschöpfung machte Tilla immer mehr zu schaffen. Warum auch immer, sie rutschte näher zu Esther und umarmte sie vorsichtig bevor sie mit einem Male ohnmächtig wurde. Der leere Wasserbeutel fiel aus Tillas Hand, langsam sackte der Mädchenkörper zusammen. Das Amulett funkelte auf, während Tillas Kopf auf Esthers Schultern liegenblieb.

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    Dieses hämische Grinsen von Neith war einfach widerlich. Esther kannte dieses Grinsen nur zu gut, hatte es in all den Jahren zu oft sehen müssen und sie wusste auch, dass der Zeitpunkt gekommen war, an dem sich der Wahnsinn aufs Neue vollziehen würde. Immer und immer wieder. Die Göttin dürstete nach Blut und sie, ihre Sklavin, sollte dafür sorgen, dass sie es bekäme. Und das schon morgen …


    Die Sklavin warf einen bösen Blick hinter ihrer Herrin her und fand allein darin ihre Kraft, dass sie damals, vor fünfzehn Jahren, über Neith triumphiert hatte. So lange war es schon her, dass man ihr das Herz heraus gerissen hatte, indem man ihr das Liebste nahm und noch immer blutete diese Wunde tief in ihrem Leib, auf ewig. Würde dieser Irrsinn denn nie ein Ende haben?


    Esther wandte den Blick zu Tilla und als sie sah wie aufgeregt und hilflos das stumme Mädchen wirkte, versetzte es der Sklavin einen schmerzlichen Stich. Seltsam, dass es ausgerechnet die Stelle traf, an der sie so lange schon nichts mehr gespürt hatte. Fast schon ein zu vertrautes Gefühl, nach all den Jahren. War es wegen ihr? "Schhhh, ruhig. … Beruhige dich Mädchen. Ist nicht so wichtig, was ich gerade gesagt habe!", erwiderte Esther schnell und nahm dankbar das Tuch entgegen, um sich damit das Blut aus dem Mundwinkel zu wischen . "Kein Wunder, dass du so verängstigt bist, so wie ich gerade aussehe nicht wahr? Aber siehst du, ist halb so schlimm", versuchte Esther Tilla zu beruhigen und ein warmes Lächeln umspielte dabei ihre Lippen, als Tilla sie tröstend umarmen wollte.


    "Wie ist denn dein Name?", wollte die Sklavin gerade als nächstes fragen, aber da sackte Tilla unvermutet in ihren Armen zusammenzusammen.


    Esther war völlig überrascht und ehe sie weiter denken konnte, bemerkte sie das funkelnde Amulett um Tillas Hals. Ihre Augen weiteten und es genügte allein der Blick auf den nackten Rücken des Mädchens um die schrekclihe Gewissheit zu haben.


    "Nein, oh nein. Ihr Götter bitte, … lasst das nicht wahr sein!!!", hauchte Esther voller Entsetzen und beinahe wäre auch sie in Ohnmacht gefallen. Keuchend und würgend versuchte sie gegen die aufkommende Dunkelheit anzukämpfen, gleichbedeutend mit diesem einen Kampf, den sie gegen Neith schon gewonnen geglaubt hatte.


    Irgendwie schaffte es Esther schließlich aufzustehen, taumelnd zwar, aber Tilla dennoch fest und sicher in ihren Armen haltend. So eilte sie in die Gemächer ihrer Herrin, vorbei an dem prunkvoll eingerichteten Raum in dem Neith, auf einem riesigen Lager aus Fellen zu nächtigen pflegte, hinein in ihre kleine Kammer.


    Dort angekommen legte Esther das bewusstlose Kind ganz behutsam auf ihrem eigenen Lager ab, deckte es mit einem Fell zu und schickte sich anschließend an, eine Schüssel mit Wasser, Tücher und einen Korb voller Kräuter herbei zu holen.


    "Ich werde nicht zulassen, dass sie dir etwas antun wird, das verspreche ich dir …", murmelte Esther immer wieder ganz leise vor sich hin. Ihre Stimme zitterte regelrecht vor Aufregung auch wenn sie äußerlich versuchte ruhig zu bleiben, um sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Die Wunde musste gereinigt und dafür gesorgt werden, dass das schmutzige Blut nicht weiter Tillas Körper vergiften konnten. Zum Glück kannte sich Esther mit Kräutern gut aus und sie wusste genau was zu tun war, um Tilla zu retten. Doch nicht für Neith und diese Zeremonie tat sie dies, sondern einfach weil sie nicht anders konnte.


    "Ich brauche nur etwas Zeit … etwas Zeit jawohl, dann wird alles gut, hörst du? … Ich werde schon dafür sorgen, dass dir nichts passiert. … Wir werden einfach sagen, dass du noch nicht bei Kräften bist. Nicht morgen! Sie wird auf mich hören, sie muss einfach …", schmiedete Esther ganz leise einen Plan, während sie sich weiter um die bewusstlose Tilla kümmerte, ihr zärtlich durch das Haar strich und dabei still vor sich hin weinte ...

  • Tilla wusste nicht wie ihr geschah. Ihr gebeutelter Körper forderte eine Ruhepause und sie musste diese, egal ob sie wollte oder nicht, hinnehmen. Ohnmächtig hing sie in den Armen einer Frau und wurde asbald auf ein Lager abgelegt. Die Wärme des Felles und das sanfte Streicheln behutsamer Fingerkuppen brachten sie langsam wieder zu Bewusstsein. Die Schmerzen im Arm trieben die Tränen aus ihren Augen... stumm wimmerte sie auf.


    Tilla holte scharf Luft und sah sich mit tränen überquellenden Blicken um. Esthers Gesicht tauchte verschwommen in ihrem Blick auf. Auch die Frau weinte. Schmerz- und tränengeplagt griff sie mit der gesunden Hand nach der von Esther und drückte diese einmal ganz fest. Was hatte diese noch gefragt? Löckchen. Mit dem Daumen der Hand zog sie eine Haarsträhne ihres Haars zu sich, umwickelte diese mit den Daumen und zog den Daumen langsam wieder heraus sodass die Haarsträhne sich zu einer Locke verwandelte. Mit dem Zeigefinger schrieb sie als nächstes ihren Namen auf das Fell.Tilla. und als letztes kam Hektors Spitzname für sie dazu. Kleiner Irrwisch. Ein schwaches Lächeln umspielte Tillas Mundwinkel in Erinnerung an den Bartträger, während sie Esther anblickte. Ihr fiel noch ein weiterer Name ein, diesmal aber nutzte sie die Lippen, um ihn stumm auszusprechen. Mia.


    Stirnrunzelnd versuchte sie sich aufzusetzen, das Fell rutschte von der bloßen Brust runter und gab den Blick auf das Amulett frei. Neith.. meine Mutter... Was hat sie.. mit damit zu tun?? Eine Königin mit soviel Wasser? In trockener Wüste? fragte Tilla einmal mehr. Hektor.. will weg gehen helfen... Pumillio ist nicht schuld an mich herbringen. Er wollte Geld für überleben.. auf Straße. fügte sie flüsternd einen Teil der bereits geschehenen Ereignisse hinzu. Ich kann ihn verstehen.. ich kenne nach Flucht das Leben auf der Straße... bis Verkauf als Sklavin für Römer. Hoffentlich dachte Esther nicht, dass sie fieberte. Wenigstens etwas erklären.. ihre urplötzliche Anwesenheit.

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    Die Mischung aus Freude, Trauer, Hoffnung und Verzweiflung, wollten Esthers Tränen einfach nicht versiegen lassen. Was nur sollte sie nur tun nach all den Jahren? Sich freuen, hoffen, trauern, zweifeln, fluchen - Nie waren ihre Gefühle zerrissener wie in diesem Augenblick, da all ihre Hoffnung, der Glaube an die Götter und an die Gerechtigkeit des Schicksals mit einem mal dahin waren.


    "Ach ihr Götter was soll ich nur tun?", wisperte Esther immer und immer wieder und erst als Tilla seufzend nach ihrer Hand griff, erwachte auch die Sklavin aus ihren wirren Gedanken. Schnell versuchte sie die Tränen beiseite zu wischen, durch die sie nur verschwommen die Gebärden des Mädchens sehen konnte und mit Mühe gelang es ihr sogar zu verstehen was Tilla ihr mitteilen wollte.


    "Oh gleich so viele Namen besitzt du?", meinte Esther leise und versuchte das schwache Lächeln des Mädchens zu erwidern. Mit den Fingern strich sie vorsichtig eine Locke aus Tillas Gesicht, ehe sie die Hand langsam zurück zog und dabei zärtlich die Wange des Mädchens berührte. "M .. Mia gefällt mir gut. Darf ich dich so nennen, wer gab dir diesen Namen?", fragte Esther unsicher nach in dem Bewusstsein, dass sie selbst nie einen anderen Namen kannte wie den, welchen Neith für die kleine Träne gewählte hatte … 'lacrima'


    Diese falsche Schlange! Augenblicklich spannte sich Esthers ganzer Körper bei dem Gedanken an Neith und wie Tilla sie auch noch als 'Mutter' bezeichnete. Ihr Blick fiel auf das Amulett um Tillas Hals und erneut packte Esther die Wut. Dieser ganze Irrsinn wegen eines einfachen Steines und einer Verrückten, die voller Verblendung und mit ihrer Gier nach Macht Andere ins Verderben stürzt. "Neith ist … sie ist ... " nicht das was sie vorgibt zu sein. Esther biss sich augenblicklich auf die Zunge und schluckte schwer, da sie nicht wusste wie sie Tilla das alles erklären sollte - je erklären könnte.


    So schnell wie sie Tillas Blick aus wich, zog sie das Fell wieder hoch über die Schultern des Mädchens und flüchtete sich in die Erklärung eines Teils des Ganzen. "Dies hier war einst ein heiliger Ort. Ein Grabmal unter dessen Fundament, tief unten im Gestein eine Quelle entspringt. Im Laufe der Zeit wurde daraus ein Versteck von Schmugglern und Dieben, bis eines Tages Neith erschien und seitdem über alles und jeden hier herrscht - lange schon bevor es mich hierher verschlug. ... Aber das ist eine sehr lange Geschichte ... ", versuchte Esther der Wahrheit auszuweichen, was ihr jedoch nicht gelang, da das Vergangene sie längst eingeholt hatte - Sie selbst und vor allem auch Tilla! Hatte das Mädchen nicht auch ein Recht darauf es zu erfahren? Nach all dem, was sie in dem fernen Rom alles erleiden musste.


    Einen Herzschlag lang zögerte Esther, hatte sie die Lippen noch geöffnet um die ganze Wahrheit endlich auszusprechen. Doch erneut versagte ihr die Stimme. Zu sehr drängte die Zeit, die ihnen noch bleiben würde. Sie mussten fliehen, noch heute Nacht! Während Neith, unten in der alten Grabkammer, ihren eigenen Wahnsinn zelebrieren und Marduk mit seinen Männer die Rückkehr feiern würde, wäre dies die einzige Gelegenheit dazu. "Wie fühlst du dich eigentlich Mia. Glaubst du, dass du aufstehen kannst? … Ich mache dir am besten etwas zu essen und dann werden wir sehen, ob wir nicht deine beiden Freunde finden …", vollendete Esther schließlich den Satz mit einem aufmunternden Lächeln. Der Plan musste einfach funktionieren, damit der Weg des Schicksals nicht hier und jetzt zu Ende wäre ...

  • Mia. Der Name Mia hatte ihr gut gefallen bis ihr alter Herr sie so unsäglich bestraft hatte und fortan mit einem anderen Namen rufen liess. Er hatte wohl gedacht, dass er mit der Bestrafung ein gänzlich gehorsames Mädchen bekommen würde, das niemals mehr aufmucken konnte. Ein unheimlich nettes Ehepaar, Mio und Maja Benedetto, sie haben mich als Findelkind 'Mia von der Tür' aufgezogen. beantwortete sie die Frage nach den Namensgebern stumm flüsternd. Beide sind seit bald sechs Sommern tot. Er hat das Paar getötet nachdem ich geflüchtet bin.. sie haben mir helfen wollen von ihm wegzukommen, weil ich immer mehr Angst vor ihm bekommen habe. Die Angst sei nicht gut für mich, sagten die Alten, sie und er dürfe mich nicht beherrschen... ich müsse aufhören ins Bett zu pinkeln. Es gibt im Leben schöneres zu sehen als die Farbe von rotem Blut. Ich habe nach der Flucht einen von seinen Sklaven getroffen und er hat mir vom Tod der Benedettos erzählt. Da habe ich viel geweint und mich noch besser bei den Straßenkindern versteckt. Ihnen die Geschichten von Mio und Maja erzählt und viele neue Geschichten von den Straßenerzählern und Puppenspielern mitgebracht. Wie eine Maus die anstatt für den Winter vorsorgt lieber Farben und schöne Dinge sammelt... erzählte Tilla stockend, immer wieder perlte eine Träne aus den Augenwinkeln.


    Sie liess sich von Esther wieder aufs Lager zurückdrücken und kuschelte sich ins Fell. Von wem ist das Grabmal? Heilig für wen? Wollen die Menschen nicht mehr weg? Weil meine Mutter da ist und ihnen hilft zu überleben?? Hier gibt es doch kaum etwas... geschweige denselben Trubel wie in der ewigen Stadt. Sie versuchte die Schmerzen im Arm zu verbergen, aber das war gar nicht so einfach, so erschöpft wie sie war. Soviel war auf sie eingestürmt und stürmte immer noch auf sie ein. Ganz erledigt blickte sie Esther von unten herauf an. Im Moment geht gar nichts... vielleicht geht es mir nach Essen und einer Mütze Schlaf besser. Du und das Amulett sind bei mir und Hektor ist bei Pumillio. Hast du keinen, der für dich nach ihnen sehen kann? Ich kenne das alleine sein und niemanden haben. Ich mache mir Sorgen... Pumillio ist krank. Sie rutschte tiefer hinab aufs Lager, um wegen der Schmerzen im Arm eine flachere Lage zu finden.


    Esther, ich habe das Wasserrauschen gehört.. weisst du wohin es fliesst? Wohin entfliesst die Quelle? Ist das Wasser geschmacklos oder salzig? Und was bedeuten die Delphine? Besuchen die euch? Tilla hatte keine Ahnung wieso die Fragen gerade jetzt wie ein Wasserfall über die Lippen sprudelten aber sie spürte, das sie diese jetzt stellen musste. Nachher war vielleicht keine Zeit mehr dazu, um den Antworten zuzuhören. Mutter kam sicher zurück zu ihr und Esther, wer weiss was dann geschah? Tilla biss sich auf die Lippen. Es tut so weh. dabei möchte ich mich freuen.. ich bin bei meiner Mutter.

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    Die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen gepresst hörte Esther einfach nur zu während sie nebenbei für Tilla etwas zu essen und zu trinken brachte. Sie brannte darauf mehr zu erfahren und gleichzeitig war sie entsetzt über das, was Tilla über ihr bisheriges Leben erzählte. Von diesem grausamen Herrn und ihre Flucht, das Leben bei den Straßenkindern und letztendlich von dem alten Ehepaar an das sich Esther noch gut erinnern konnte. Wenigstens die Benedettos waren gut zu Tilla gewesen wie sie es versprochen hatten. Wenngleich es ein schwacher Trost war, angesichts dessen was das Schicksal ihnen allen zugemutet hatte. "Mio und Maja sind also auch … tot", wiederholte Esther flüsternd die Namen und schüttelte fassungslos den Kopf.


    Die vielen Fragen und Ängste de Mädchens ließen Esther immer unruhiger werden. Sie fühlte sich so ohnmächtig und doch trug sie allein die Schuld und die Verantwortung für das Geschehene. "Ich werde später nach dem kleinen Pumilio sehen, wenn du schläfst Mia …", versprach Esther und lächelte leicht, damit sich Tilla hoffentlich nicht mehr so viele Sorgen um ihn machte.


    Seufzend rutschte Esther dann auf das Lager, legte sich seitlich neben Tilla und stützte den Kopf mit einer Hand so ab, dass sie dem Mädchen nachdenklich, aber auch mit einer Art Verliebtheit in die Augen blicken konnte. Einen Moment nur zögerte sie ob Tilla in der Verfassung wäre mehr zu efahren, doch dann begann sie mit sanfter Stimme die Geschichte zu erzählen welche viele, aber sicher nicht alle von Tillas Fragen beantworten würde:


    "Das Grabmal hier wurde vor sehr langer Zeit zu Ehren eines ägyptischen Priesters erbaut. Ich kenne seinen Namen leider nicht, aber in den wenigen erhaltenen Hieroglyphen steht überliefert, dass er hier lebte und mit Hilfe seines ... deines Amuletts das Wasser beherrschen konnte. Er konnte das Land fruchtbar werden lassen, es sogar überschwemmen wenn er wollte … Damals wusste wohl niemand von der unterirdischen Quelle, die hier unter dem Fels entspringt und nicht weit von hier eine kleine Oase speist. Du hast sie bei eurer Ankunft sicher nicht gesehen, da sie auf der anderen Seite des Felsmassivs liegt. … Das Wasser versiegt allerdings wieder noch ehe es das Meer erreicht. Die Delphine können uns also nicht besuchen kommen wie du sagst. Sie sind vielmehr Symbol für die Kraft des Wassers an sich, so wie das Amulett ...." Esther machte eine kurze Pause und betrachtete nachdenklich den Stein um Tillas Hals, der auf solch wunderliche Art zu einem Teil ihres Lebens geworden war. Es fiel ihr plötzlich gar nicht mehr so schwer darüber zu reden, aber sie konnte auch gar nicht anders als das zu erzählen, was gleichermaßen ihrer beider Schicksal war.


    "Aber das ist sehr sehr lange her. Der Priester geriet in Vergessenheit, bis Grabräuber seinen Tempel entdeckt und ihn geöffnet haben. Sie fanden die Quelle und da Wasser etwas sehr Kostbares ist in dieser unwirtlichen Region, wurde der Ort schnell zu einem begehrten Versteck. ... Für Diebe, Räuber und Schmuggler - weißt du, die Menschen da draußen wollen gar nicht weg von hier, viele können es auch gar nicht da die Römer sie sofort verurteilen und töten würden, wenn sie sie finden. … Doch hier haben die Römer bislang noch nicht gesucht, wahrscheinlich da es in dieser Einöde nicht wirklich viel lohnendes zu finden gibt ", erklärte Esther dem Mädchen, was es mit dieser verschworenen Gemeinschaft auf sich hatte. Wenn es doch nur dabei geblieben wäre …


    "Doch eines Tages kam Neith hierher und alles änderte sich von diesem Moment an. Neith, diese … diese …" Schlange mit ihrem Gift! Esther musste kurz durch atmen, um die aufkeimende Wut hinunter zu schlucken: "Sie liebte es schon immer Andere zu beherrschen und in diesem Tempel fand Neith nicht nur das Amulett des Priesters sondern auch eine Möglichkeit sich selbst - mit Hilfe seiner Geschichte - zu einer Göttin zu machen. Eine Prophezeiung, über eine Sintflut, die nur sie herauf beschwören könnte. … ", Esther war mittlerweile so vertieft in der Erzählung, dass sie gar nicht mehr innehalten konnte. Dieser Wahnsinn musste endlich ein Ende haben! "Neith verstand es prächtig, vor allem die Männer in ihren Bann zu ziehen. Mit allen Mitteln die ihr zur Verfügung stehen um sie regelrecht abhängig von sich zu machen, allen voran Marduk …" Esthers Blick schweifte unbewusst hinüber zu der Truhe, in der sich das Geheimis von Neiths Erfolg befand. Verschiedenste Opiate und Gifte, aus denen sie für ihre Herrin so manchen Trank zusammen brauten musste, um die Sinne der Männer zu benebeln, oder sie für immer zum Schweigen zu bringen.


    Je nach Bedarf. Doch darüber schwieg Eshter wohl weislich, um Tilla nicht noch mehr aufzuregen. Bis hierhin war die Geschichte sicher schon aufregend genug für das Mädchen und mittlerweile war es auch schon spät. Doch gäbe es überhaupt einen Morgen und eine weitere Gelegenheit, um ihr die ganze Wahrheit zu sagen?


    Eshter brachte es nicht über das Herz es auszusprechen, stattdessen strich sie Tilla zärtlich über die Stirn und sah sie flehentlich dabei an. "Ich weiß das es weh tut und ich fühle, wie sehr du dich eigentlich freuen möchtest .… Aber hab keine Angst und vertrau mir, vertrau vor allem deinem Schicksal. … ", erklangen plötzlich sehr seltsame Worte aus Esthers Mund, ehe sie sich mit einem aufmunternden Lächeln von Tilla löste: "Und nun versucht zu schlafen, damit du schnell zu Kräften kommst. … Ich werde nach Pumilio sehen und rechtzeitig wieder bei dir zurück sein …" Mit diesem Versprechen verschwand die Sklavin einfach und ließ Tilla alleine zurück. Allein in genau jenem Raum, in dem sie einst zur Welt gekommen war ...


    ... als unschuldiges Baby und damit rein und weiß im Gewissen. So wie ein unbeschriebenes Blatt Papier das nur darauf wartete vom Leben, wie vom Schicksal gezeichnet zu werden. … Oder wie eine leere Tafel, wie man es eben sehen wollte ...

  • Nach ihrer Erzählung, die so manche alte vergessen geglaubte Wunde aufriss, bekam sie zu Essen und zu Trinken. Si.. sie sind tot. erwiderte sie stumm flüsternd und zog eine bedrückte Miene, um dem Ehepaar kurz zu gedenken. Das wäre nett wenn du nach beiden schaust. Während sie alles zu verzehrende zu sich nahm, hörte sie Esther so gut sie neben den Schmerzen im Arm konnte, genau zu. Die Frau wiederholte die Geschichte mit der Quelle. Erstaunt riss Tilla die Augen auf.. ihr Amulett konnte das Wasser beherrschen? Land fruchtbar werden lassen? Überschwmmungen veranstalten? Tilla versuchte sich die vorhin durchquerte Einöde in blühender Pracht vorzustellen. Wie ein riesiger verwildeter vernachlässigter Park würde es nach ihren Vorstellungen aussehen und mittendrin die Oase von der Esther sprach. Nein.. die haben wir nicht gesehen. Überall Sand und Stein. verneinte Tilla. Schade, die Delphine konnten nicht hierher gelangen und alle die nicht hier sein wollten zurück zum Meer bringen.Und wenn jemand den Römern sagt, dass all die Gesuchten hier in diesem Versteck zu finden sind? warf Tilla fragend ein. Tilla selbst war eine fingerflinke Diebin, die genommen hatte was sie zum Überleben auf der Straße brauchte. Von den Römern eingefangen zu werden hatte sie am eigenen Leib erlebt und großes Glück gehabt mit der Gens, die sie als stumme Sklavin gekauft hatte. Die wollen gar nicht weg von hier? Hm...


    Esther regte sich abermals auf als sie auf ihre Mutter zu sprechen kam. Sorgsam stellte Tilla das leere Geschirr zur Seite. Woher wusste Neith von der Macht meines Amulett? Der Priester war doch schon vergessen oder tot. Eine Sintflut? Um die Erde erneut fruchtbar zu machen? Dann kriegt sie ja noch mehr böse Menschen hierher! stellte Tilla stumm flüsternd für sich fest, gab ihre herumirbelnden und nachdenklichen Gedanken preis. Das Nachdenken lenkte vom Schmerz im Arm ab. Weisst du, ich habe irgendwie schon immer versucht das Beste aus den Momenten zu machen und zu schauen was dann auf mich zukommt oder was daraus entsteht. Mio und Maja haben dies immer gesagt...ich soll nichts tun was mir selbst und vielleicht auch anderen Angst macht. Sie war dank dem aufmerksamen Zuhören sehr erschöpft. Ich warte auf dich... flüsterte sie Esther stumm hinterher. Doch die war schon weg.


    Tilla setzte sich auf, zog das zerrissene Kleid aus und war nun nur noch mit einem langen kastanienbraunen Unterhemd bedeckt. Sie deckte sich mit dem Fellen zu, den Gürtel samt Beuteln legte sie obendrauf auf das kaputte Kleid. Kaum das sie wieder in der waagrechten Position lag, schlief sie auf der Stelle ein. Drei Faden zerbröselten geräuschlos und gaben das Versteck an der Innenseite des Gürtels frei. Mehrere Papyrusteile lagen längs eingeschlagen in einem fein gewebtem Tuch und kamen aus dem Gürtel rutschend zum Vorschein. Es waren verschiedene Zeichnungen die Mio persönlich angefertigt hatte. Tilla als Baby an der Brust Majas nuckelnd, auf stämmigen Beinen an der Hand von Mio laufen lernend, später mit blühenden Blumen einen Sandberg dekorierend, auf einem Schemel stehend einen großen Tellerberg abwaschend. Immer wieder Tilla in verschiedenen Situationen mit langem schwarzem Haar, welches von Maja geschnitten wurde und mit dem unvermeidlichen Tränenstein um den Hals. Das letzte Bild zeigte ein verstörtes und verweintes Mädchengesicht mit dickem Verband um den Hals. Tilla wusste nichts von dem Vertseck, wusste nur, das sie auf den Gürtel ebensogut achten sollte wie auf den Tränenstein. Das Tuch war das Tuch in welchem Tilla als Baby vor der Tür gelegen hatte und wartete darauf von Esther in die Hände genommen zu werden.

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    Und wenn jemand den Römern sagt, dass all die Gesuchten hier in diesem Versteck zu finden sind? Es waren Tillas stumme Worte, die Esther einfach mitgenommen hatte. Ja diese Frage hatte sie sich nicht nur einmal gestellt. Aber wer außer ihr hätte dies tun sollen und welche Gelegenheit hätte sie gehabt von hier zu entkommen. Keine außer der Einen, damals, als sie sich mit Tilla davon geschlichen hatte. Hinaus in die Wüste um lieber dort zu sterben, ehe sie ihr Baby dieser Wahnsinnigen überlassen würde. Doch was dort draußen in der Wüste geschehen war verdrängte Esther vorerst wieder. Sie hatte einen Plan gefasst und dieser musste einfach gelingen!


    Nachdem Esther ihre Kammer verlassen hatte schlug sie schnellen Schrittes den Weg zur Vorhalle des Tempels ein, von wo aus deutlich Stimmen und Gelächter zu hören waren. Angewidert verzog Esther das Gesicht bei dem Gedanken an Marduk und seine Männer, die dort ihr Lager aufgeschlagen hatten und ihre erfolgreiche Rückkehr feierten. Die werden sich noch wundern! In dem Moment als Esther zu ihnen trat setzte sie ein falsches und gleichwohl triumphierendes Lächeln auf. Wie so oft bediente sie die Kerle auch heute Nacht, reichte ihnen das Essen und schenkte vor allem den guten Wein mit besonderem Vergnügen nach. "Trinkt! Ja trinkt nur auf die Rückkehr der kleinen Träne", ermunterte sie die Männer dabei umschmeichelnd auch wenn es sie viel Überwindung kostete, sich von diesen halbbetrunkenen Kerlen betatschen zu lassen.


    Aber es musste sein und jedesmal wenn sie einen neuen Krug mit Wein holte, schüttete Esther unbemerkt etwas von einem Pulver in den roten Beerensaft, welches sie in einem kleinen Beutel bei sich trug. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie so etwas tat und dieses Mittel würde sicher reichen um die Kerle für längere Zeit in das Reich der Träume zu schicken. Hoffentlich! Danach wäre nur noch Janus übrig, der unten in den Katakomben Pumilio und Hektor bewachte und natürlich Neith, die sich in die ehemalige Grabkammer des Priesters zurück gezogen hatte um dort zu meditieren.


    "Ich bin gleich zurück. Ich bringe nur schnell Janus etwas zu essen. Der Arme! Er muss unten alleine Wache halten, während ihr fröhlich feiert" Unter diesem Vorwand zog sie Esther schließlich lachend und scherzend zurück. Sie trug das Tablett mit Brot, Fleisch, Käse und einem Krug Wein darauf hinunter in das Labyrinth aus engen Gängen und Kammern, welche im spärlichen Licht der wenigen Fackeln wie ein undurchdringbares Hindernis wirkten.


    "Halt wer da? … was willst du hier?", rief plötzliche eine Stimme aus dem Halbdunkel und schon tauchte Janus im Schein einer Fackel auf. Misstrauisch beäugte er die Frau obwohl er sie bereits erkannt hatte und leckte sich beim Anblick der Speisen erwartungsvoll über die Lippen.


    "Nun hab dich nicht so Janus. Ich bin es doch, Esther! Ich bringe dir und den beiden Gefangenen etwas zu essen und zu trinken", erklärte die Sklavin mit ruhiger Stimme ihre Anwesenheit hier unten.


    "Oh für mich? Das wurde aber auch Zeit", rief Janus erfreut über das unerwartete Mahl aus und nahm das Tablett fordernd an sich. "Das Fleisch, der Käse und der Wein gehören mir. … Da! die beiden Gefangenen können etwas Brot haben. Sie brauchen ohnehin nicht mehr viel, da sie morgen sterben werden. … Aber löse ja nicht die Fesseln, hörst du!", hämisch grinsend setzte sich Janus auf einen kleinen Schemel. Den Schlüssel und ein Stück von dem Brotlaib warf er achtlos zu Esther, ehe er sich schmatzend über das Essen her machte.


    "Natürlich nicht, Janus! …", erwiderte Esther darauf hin nur mit süßer Stimme und einem verachtenden Blick in seine Richtung. Sie öffnete die Türe, trat ein und im Schein der Fackel erkannte sie sogleich den Mann und das Kind. Zeit für irgend welche Worte blieben nicht mehr. Sie legte einen Finger an ihre Lippen und holte mit der anderen Hand den verborgenen Dolch unter ihrem Gewand hervor. Damit zerschnitt sie die Fesseln und drückte Hektor das Messer sogleich in die befreiten Hände. Ein leichtes Nicken mit dem Kopf zur Türe hin und Hektor verstand, was er zu tun hatte.


    Janus hingegen war so vertieft in sein letztes Mahl auf Erden, dass er gar nicht mit bekam was sich da in seiner Nähe abspielte, wie sich der Grieche vorsichtig von hinten an ihn heran schlich um sein tödliches Werk zu verrichten. Erst als sich eine kalte Hand auf seinen Mund presste wusste Janus, dass es zu spät für ihn war und einen Herzschlag später starrten seine weit aufgerissenen Augen leblos in die Dunkelheit, die ihn von nun an und für immer umgeben sollte ...

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