In einem Land vor unserer Zeit

  • … Mit durchgeschnittener Kehle sackte mein ehemaliger Bewacher in meine Arme. Ich vermied es ihn länger als nötig anzuschauen und schleppte ihn lieber schnell in den Verschlag, aus dem Esther mich und Pumilio gerade befreit hatte. "Danke! …", sagte ich einfach nur mit einem flüchtigen Blick zu ihr, aber da hatte sie bereits Pumilio auf die Arme genommen und winkte mir zu ihr zu folgen.


    "Pssst, leise und kein Wort mehr. Folge mir einfach! … Neith ist noch hier unten und sie darf uns auf keinen Fall bemerken! ", erklärte sie mir flüsternd das Nötigste und hielt sich dann nicht mehr weiter mit Worten auf, sondern eilte schnellen Schrittes und zielsicher durch die engen Gänge davon.


    Ich hatte ehrlich Mühe ihr zu folgen und von daher verzichtete ich auf all die Fragen, die mir brennend auf der Zunge lagen. Wo war dieser Marduk und seine Männer, wo hatte man Tilla hingebracht, was hatte es mit dieser Zeremonie auf sich und vor allem … wie kämen wir hier unbemerkt und lebend wieder heraus? - Es blieb mir wohl nichts anderes übrig als dieser Frau zu vertrauen und zu hoffen, dass sie wusste was sie tat. Am besten hatte es in diesem Moment noch Pumilio erwischt denn sein apathisch wirkender Blick und seine Teilnahmslosigkeit ließen die Vermutung zu, dass er von dem Ganzen hier gar nichts mehr mit bekam nur - hoffentlich würde sein Zustand nicht für immer so bleiben.


    Wir schafften es schließlich unbemerkt bis nach oben in die Tempelhalle und ab hier schöpfte ich wieder allen Mut zusammen den ich hatte. Noch einmal würde mich jedenfalls niemand in ein dunkles Loch stecken! Das schwor ich mir, den Griff des Dolches noch entschlossener umklammernd, während ich mich aufmerksam nach allen Seiten umsah. Doch nichts und niemand war zu sehen. Nur ein paar undefinierbare Geräusche vom Eingang her, die sich wie lautes Schnarchen anhörten.


    "Hier entlang, schnell!", kam von Esther die Aufforderung und schon hatten wir die Halle wieder verlassen und fanden uns kurz darauf in einer kleinen kleinen Kammer wieder. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die wenigen Gegenstände darin und erkannte sofort Tilla, die auf einem Bett lag und schlief. … "Hier nimm den Jungen! Ich muss mich um Mia kümmern … oh ... w..was ist das?" - "Mia? …und was ist was?" Das ging mir fast ein wenig zu schnell da ich kaum Zeit fand mich zu orientieren. Mechanisch nahm ich den kleinen Jungen aus ihren Händen entgegen und blickte die Frau verwirrt an, da diese sich plötzlich neben dem Bett auf die Knie fallen ließ und heftig zu weinen begann. "Ehm …was ist mit dir, was sind das für Bilder ... Tilla?!", fragte ich vorsichtig nach. Eine direkte Antwort erhielt ich allerdings nicht mehr von ihr, dazu schien Esther schon viel zu weit weg in ihren Gedanken zu sein …


    "Sieh doch nur ... das ist sie. Das ist meine Mia. … Meine Mia! … Oh nein, was für eine schlechte Mutter bin ich, dass ich mein Kind allein gelassen habe. All die Jahre … nicht bei ihr war … sein konnte … ", wisperte Esther schluchzend vor sich hin ohne den Blick von den Zeichnungen zu nehmen. Sie sackte kraftlos in sich zusammen, in der Sekunde, in der all ihre Hoffnung zu schwinden drohte. Das war zu viel. Diese Bilder zeigten das, was sie in all den Jahren nicht zu denken gewagt hatte. Sich einfach vorzustellen wie es hätte sein können, Tilla aufwachsen zu sehen, bei ihr zu sein, für sie zu sorgen - "Wie kann ich das je wieder gut machen, dass ich so kläglich versagt habe sie zu beschützen ... "

  • Tilla schlief nicht gut und erholsam wie sie es nötig hatte. Sie schlief unruhig, weil ihr viel Erlebtes durch den Kopf ging was den Schlaf störte. Ebenso störten die Schmerzen ihren dringend nötigen Schlaf, die von ihrem blutvergifteten Arm aus ausgingen und diesen zu lähmen schienen. Sie öffnete blinzelnd, sich nicht wirklich erholt fühlend, die Augen und entdeckte sogleich Hektors Gestalt. Da bist du ja... flüsterte sie stumm, erleichtert darüber, dass er unverletzt wieder bei ihr war. Ebenso schien es Pumillio gutzugehen, der auf Hektors Arm saß. Ich heisse nicht nur Tilla und Irrwisch und kleines Glöckchen, Hektor. Ich heisse in Wirklichkeit Mia. So wie mich alle von Anfang an und klein auf nannten. flüsterte sie stumm weiter. Das stumme Mädchen konnte sich keine weiteren Erklärungen für ihre treuen Begleiter und das verwirrende Namensverwechslungsspiel ausdenken, denn Esther sagte etwas, was beinahe ihr kleines Herz zum stehen bleiben veranlasste. Die Frau nannte sich jetzt ihre Mutter... wie denn das jetzt? Wie wie wie?! An diesem Schreckensort nennst du dich jetzt meine wirkliche Mutter? Ich glaub' ich träume!! Mit sichtlich verwirrter Miene rutschte sie im Nachthemd über die Bettkante an Esthers Seite und betrachtete die Bilder. Diese Szenen kenne ich doch! Mio hat beinahe immer gemalt, wenn er Zeit für mich hatte. stutzte Tilla und sah hilflos in die Erwachsenengesichter, nach Erklärungen forschend.


    Impulsiv wandte sie sich Esther zu, versuchte diese zu stützen und etwas aufzurichten. Kläglich versagt? Mich beschützen? Ich verstehe gar nichts mehr, Esther! Maja sagt mir, meine Eltern seien tot und ich ihr und Mios Findelkind. Ich wachse als Sklavin auf, erlebe allerlei Dinge und fliehe irgendwann von dort, um nahc etlichen Sommern wieder Sklavin zu werden. Dann erfahre ich plötzlich, dass der Tränenstein eine Bedeutung hat, die er nur hier erfüllen kann sowie dass meine Mutter hier lebt und all die Jahre auf mich wartete. Neue Tränen perlten über Tillas gerötete Wangen, diesmal weil sie den roten Faden nicht fand. Oder die Puzzleteile in dem ganzen Rätsel nicht an den richtigen Platz setzen oder die Lösung nicht erkennen konnte. Upsa! Hatte sie gerade laut geflüstert? Sie legte erschrocken die Hand auf den Mund und blieb hockend neben Esther sitzen. Mit nach dem Aufstehen gewohnten Bewegungen nahm sie die Zeichnungen samt dem Gürtel an sich und stopfte diese zurück in einen Beutel, den sie von jetzt an niemals mehr loslassen würde. Was müssen der Tränenstein und ich tun? fragte sie die Lippen stumm bewegend und wischte die hinabstürzenden Tränenbäche von den Wangen.

  • Uns allen ging es im Moment wohl eher schlecht als recht, wobei es Tilla augenscheinlich am schwersten getroffen hatte. Nicht nur ihr verwundeter Arm schien sie zu schwächen, hinzu kam dieimmer rätselhafter werdende Verstrickung zwischen Tilla und diesen beiden Frauen, die angeblich beide ihre Mutter sein wollten. Nun gut, gegen Esther als Mutter war ja eigentlich nichts einzuwenden .Sie schien sich eh vor Gram und Sorge um Tilla fast zu verzehren. Doch diese Neith war wohl sowas wie das personifizierte Böse hier in der Gegend und ausgerechnet Tilla hatte sie zu ihrer Tochter auserkoren. Und das nur, weil sie dieses Amulett bei sich trug. Ja warum waren eigentlich Neith, dieser Marduk und die all anderen Irren so von Tillas Amulett fasziniert?


    Ich versuchte mich nicht weiter in diese Grübeleien zu verstricken, denn ich musste schließlich wachsam bleiben. Ich schenkte Tilla nur ein herzliches und aufmunterndes Lächeln für ihre Worte an mich, ehe mein drängender Blick hinüber zu Esther schweifte. Mit einer unscheinbaren Kopfbewegung gab ich ihr zu verstehen, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren hatten. Sie nickte mir auch kurz zu, doch als Tilla begann sie mit Fragen zu überschütten wurde sie wieder abgelenkt und mir blieb - wohl oder übel - nichts anderes übrig als weiter zu warten und zu hoffen, dass niemand unser Verschwinden so schnell bemerken würde …

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    Esther nahm das stumme Drängen des Mannes wahr und nickte ihm zu. Sie wusste, dass sie keine Zeit mehr hatten. Sie mussten so schnell wie möglich von hier verschwinden, noch ehe die Nacht vorüber wäre. Nur so hätten sie einen realen Vorsprung und könnten es bis zur nächstgelegenen Siedlung schaffen. Doch auch dann wären sie noch lange nicht in Sicherheit, würden es vielleicht auch nie wieder sein. Angesichts dieser Tatsache wurde Esther bewusst, wie kostbar die Zeit in diesen vielen Jahren der Einsamkeit und der Trauer geworden war. Ein Herzschlag konnte eine Ewigkeit bedeuteten und am liebsten hätte sie ihre wiedergefundene Tochter einfach nur umarmt und nie mehr losgelassen. Ganz egal, ob es das Letzte gewesen wäre, dass sie in ihrem Leben getan hätte ... so wie einst ... Aber sie traute sich nicht.


    Selbst als Tilla zu ihr rutschte und sie etwas stützte, konnte Esther nur dankbar ihre Hand auf die ihrer Tochter legen. Das Mädchen wirkte so voller Zweifel, ihr Blick so hilflos und all die vielen Tränen. Wer konnte es ihr verdenken, ebenso wie die Fragen die sie stellte?! Esther blickte immer wieder verzweifelt zwischen Tilla und Hektor hin und her, während sie fieberhaft überlegte was sie tun sollte. Sie mussten weg von hier und doch verlangte dies alles nach einer Erklärung. Wirklich? Vielleicht würde es Tilla nur noch mehr ängstigen und verwirren und doch war sie es Tilla schuldig, nach all den Jahren.


    Schweren Herzens rang sich Esther zu einer Entscheidung durch. Sie hob die Hand zum Zeichen für Hektor, dass sie noch nicht soweit waren. "Mia, … ich … ich weiß nicht, wie ich dir das alles erklären und wo ich damit anfangen soll. Aber ich will es versuchen, auch wenn in all den Jahren so vieles passiert und dir schreckliches widerfahren ist.", wandte sich Esther wieder an Tilla und sah ihr tief in die Augen. Mit zitternder Stimme fing sie an zu erzählen, wie alles begann und was es letztendlich mit dem Stein und dieser Neith auf sich hatte:


    "Vor vielen Jahren brachte man mich als Sklavin zum Verkauf nach Alexandria. Dort traf ich deinen Vater Mia. Er war ein römischer Centurio, der mich kaufte und bei dem ich fortan leben sollte. Er war sehr gut zu mir und behandelte mich nicht wie eine Sklavin, sondern wie seine Ehefrau . Wir waren wirklich ineinander verliebt und eines Tages geschah es dann, … ich wurde schwanger. Aber auch da stand er zu mir und seine Liebe ging soweit, dass er zum Deserteur wurde an dem Tag, an dem er mich und unser Kind verlassen und in einen Krieg ziehen sollte. ... Wir flohen gemeinsam aus Alexandria und wir wussten, dass es für uns keinen Weg mehr zurück gab. Die Römer hätten deinen Vater verurteilt und mich wieder in die Sklaverei zurückgeschickt. Also zogen wir weiter in die Wüste, in der Hoffnung dort einen Ort zu finden, an dem wir unbehelligt und in Frieden leben konnten. Wir fanden ihn auch -diesen Ort, an dem sich unser Schicksal besiegeln sollte. Genau hier! ... Als wir in diese Gegend kamen, wurden wir von Marduk und seinen Männern aufgelesen und zu Neith gebracht. Sie herrschte schon damals hier in diesem Tempel und verbreitete ihren eigenen Glauben - einen Irrglauben unter den wenigen Anhängern, die es in diese Abgeschiedenheit verschlagen hatte. Neith war damals schwanger, so wie ich und sie wählte ausgerechnet mich dazu aus, ihr bei der Geburt zur Seite zu stehen. … Am Tag ihrer Niederkunft war ich bei ihr und tat mein bestes das Kind zu holen. Doch die Götter verwehrten ihr das Glück einer Mutter und nach Stunden voller Schmerz gebar sie eine totes Kind …"


    Esther machte eine kurze Pause und atmete tief durch. All diese Erinnerungen, so lange her und doch für immer gegenwärtig, zehrten sehr an ihr. Ein weiteres Mal blickte sie in die Runde, mahnte sich selbst zur Eile und konnte doch nicht anders, als endlich all das Geschehene mitzuteilen:


    "Neith gab mir die Schuld. Sie behauptete ich hätte ihr Kind getötet und dann … dann verlangte sie allen Ernstes von mir, dass ich ihr mein Kind überlassen sollte. Dich, Mia!! .. Ich und dein Vater weigerten uns natürlich, aber das half uns nichts. … Wir wollten weg, doch Neith gab den Befehl deinen Vater zu töten. Mich haben sie eingesperrt und bewacht, bis zu jenem Tag vor etwa fünfzehn Jahren, an dem du zur Welt gekommen bist. … Du, mein geliebtes Kind."


    Ein scheues Lächeln huschte über Esthers Gesicht, so ehrlich und doch so unsicher, ehe sich ihr Blick wieder verfinsterte. Was müssen der Tränenstein und ich tun?, hatte Tilla wissen wollen und ihr genau das zu sagen, fiel Esther unglaublich schwer.


    "Dieser Tränenstein war eigentlich für Neiths Kind bestimmt, doch nunmehr solltest du ihn tragen. … Es war Neiths Wille. Sie war der festen Überzeugung, dass der Stein göttliche Kräfte besaß und das Element Wasser beherrschen konnte. Sie … sie glaubt allen ernstes, mit seiner Hile eine Sintflut erzeugen zu können, um damit das Gefüge der Welt zu ihren Gunsten zu verändern … Und dazu wäre es erforderlich ein Opfer zu bringen, indem seine Trägerin ihr Blut vergießen sollte. … Sie war bereit das Blut ihres eigenen Kindes zu vergießen, … dein Blut Mia! … Oh bei den Göttern, Neith ist wahnsinnig und ich konnte es nicht verhindern …"


    Esther redete sich immer mehr in Rage und ihre Stimme begann noch mehr zu zittern, ebenso wie ihre Hände, mit denen sie unablässig an dem Stoff ihrer Tunika herum zupfte.


    "Ich wollte und konnte das nicht zulassen, also beschloss ich mit dir zu fliehen. Hinaus in die Wüste, um lieber dort mit dir zu sterben als dich den Händen einer Wahnsinnigen zu überlassen. … Es gelang mir in jener Nacht vor der Zeremonie, indem ich die Wachen mit einem Trank betäubte. … Ich lief mit dir einfach los, hinaus in die Wüste, immer weiter, ohne mich auch nur einmal umzudrehen. … Nach vielen Stunden sah ich ein Feuer am Horizont und ich lief darauf zu. Es war eine Handelskarawane unter dem Begleitschutz einer römischen Patrouille. Wir sind in Sicherheit, dachte ich. Doch all meine Hoffnung sollte vergebens sein. Einer der Soldaten, ein ehemaliger Freund deines Vaters, erkannte mich wieder. … Das Letzte was ich tun konnte war, dich einem Ehepaar zu geben und sie zu bitten, gut auf dich aufzupassen … Mio und Maja … Dann holten die Soldaten mich und schleppten mich aus dem Lager fort, zurück in die Wüste, wo sie mich, … wo sie mich anschließend einfach liegen ließen"


    Esthers Worte versiegten bei der Erinnerung an damals. Es war schrecklich gewesen und einzig die Hoffnung, dass Tilla leben würde hatte ihr die Kraft gegeben, das alles über sich ergehen zu lassen. Sie hatte überlebt und wer sie letztendlich wiedergefunden hatte, konnten sich die Anwesenden sicher denken. Unsicher sah Esther zu Mia und anschließend zu Hektor, der geduldig gewartete hatte und sichtlich mitgenommen war von dieser Geschichte.


    Doch nichts desto trotz drängte Hektor nun zum Aufbruch: "Tilla … Esther … wir sollten jetzt besser aufbrechen. … Jetzt ... bitte!!"

  • "Mia, … ich … ich weiß nicht, wie ich dir das alles erklären und wo ich damit anfangen soll. Aber ich will es versuchen, auch wenn in all den Jahren so vieles passiert und dir schreckliches widerfahren ist." Esther wollte es tun und tat es auch. Mit großen tränenverquollenen und tränenüberströmten Augen sah sie Esther an und nickte leicht. Dieses Nicken als Zeichen, dass sie zuhörte, musste reichen. Und endlich erfuhr sie alles, von wem sie abstammte, was oder wer ihre Mutter und ihr Vater zur Zeit ihrer Geburt gewesen waren. Ihr Vater war ein römischer Centurio gewesen, daher vielleicht ihre Neigung sich zu wehren, aber nicht zu töten. Ihre Mutter, eine Sklavin und aus Ägypten stammend, daher vielleicht die dunklen fast schwarzen Haare und Augen. Ein Irrglaube? Also sowas wie die Geschichte der Geschichtenerzähler dass Fische fliegen können... flüsterte sie kopfschüttelnd. Mio hat immer gesagt, das das falsch ist und ich das nicht glauben soll bis ich selber sowas gesehen habe. Erschrocken biss sie sich auf die Lippen, so Esther auf die Sprache auf das tote Kind Neiths kam. Tilla konnte sich denken, was dann kam und so war es dann auch. Neith wollte Tilla als eigenes Kind ausgeben. Esther verweigerte sich und Vater wurde getötet. Neue Tränen rollten über Tillas Wangen. So gerne hätte sie Vater kennengelernt, aber er hatte sein Leben für sie geopfert. Schon wieder hatte ein Mensch sein Leben für ihr Leben hingegeben.


    Esther verriet ihr auch noch wie alt sie war. Fünfzehn Sommer! Sie hatte geglaubt jünger zu sein, wohl weil sich ihr Körper nur langsam vom Mädchen zur Frau wandelte. Mit jedem Wort näherte sich die erzählende Frau vor ihr der Geschichte über den Tränenstein. Blut musste vergossen werden... so einfach und doch angst machend. Das Wasser beherrschen? Überschwemmung? Sintflut? Instinktiv fiel ihr Blick auf den geschwächten Arm, der immer noch ziemlich schmerzte. Tilla wusste plötzlich was sie machen musste, richtete sich gerade auf und wischte die Tränen weg. Immer wieder stumm nickend hörte sie Esthers Worten zu, wischte dieser die Tränen von den Wangen. Marduk hat dich wie ich irgendwie wieder gefunden und hierher zurück gebracht. Sonst wärst du nicht hier. Es tut mir so leid, Esther. flüsterte sie stumm mit den Lippen und warf einen weiteren Blick auf ihren Arm. Hektor machte sich mit ernsten Worten bemerkbar. Richtig, sie mussten gehen. Tilla nickte und versuchte auf die Beine gelangen, half Esther ebenfalls vom Boden auf. Du und Hektor und Pumillio, ihr müsst ohne mich voran gehen. Ich muss zum Opferstein und dort erledigen was Neith unbedingt will. Ganz bestimmt komme ich hinterher.. es wird alles ganz bestimmt gut ausgehen! Ihr war schwindelig. Tilla riss sich mit viel Mühe zusammen und knotete den Gürtel samt Beutel um ihre Taille fest.


    Hier sind viele Bilder von den grauen Leibern.. den Delphinen. Sie leben im Wasser... es muss mit dem Wasser zu tun haben. Das Wasserrauschen.. wo kommt es her? Diese Oase.. die braucht doch bestimmt Wasser! Die Menschen draußen brauchen Wasser.. dürfen die hier rein? Nee, ne? Die dürfen nur rein, wenn sie etwas wissen wollen.. wie ihr Schicksal lautet. Sie blickte Esther an, arbeitete trotz des persönlichen Unwohlseins weiter an der Idee in ihrem Kopf. Es würde schwierig werden aber nicht unmöglich zu bewerkstelligen. Hektor.. gib mir dein Messer! Bringt mich zur großen Halle und dann geht ohne mich. Bitte, wir werden uns wiedersehen. Ich weiss es! In der Halle vor dem Opferstein angekommen kniete Tilla sich nieder, pulte die Verbände vom verletzten Arm. Die Schmerzen kamen wie ein stummer Blitz zurück. Leise keuchend kratzte Tilla die verletzte Stelle auf und drückte die Ritzen auseinander. Tropfen für Tropfen kam zum Vorschein, tropfte aus der Wunde auf den Opferstein nieder und vereinigte sich zu einem Bächelchen, welches den eingravierten Rillen des Opfersteines folgte. Etliche Tropfen folgten den anderen Tropfen ohne weitere Hilfe. Der Schwindel verstärkte sich. Tilla ächzte, biss die Zähne zusammen und versuchte wegen dem vielen Blut und der Farbe Rot nicht durchzudrehen. Sie musste durchhalten. Jetzt musste genug Blut im Opferstein sein. Tilla robbte auf den Knien neben den Opferstein, wartete auf den Tropfen, der der Rille zur Klippenkante hin folgen würde. Sie wartete zugleich auf Neith mit der sie noch eine Rechnung offen hatte, dachte an gar nichts bestimmtes. Aus dem verletzten Arm blutend wartete sie weiter, klammerte sich an die Hoffnung namens Wasserrauschen. Der rote Tropfen des eigenen Lebens rollte voran... das Schicksal hatte es so gewollt!

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    Das Rätsel um Tillas Herkunft löste sich langsam und gleichzeitig wurden so viele neue Fragen aufgeworfen. Zu viele, um sie alle hier und jetzt in Ruhe zu beantworten. Das wussten Esther und auch Hektor, der immer noch neben dem Eingang stand und Pumilio auf dem Arm hatte. Er hatte zum Aufbruch gedrängt, doch Tilla war diejenige die als Erste handelte. So schnell und unerwartet, dass die beiden Erwachsenen völlig überrascht wurden und ihr kaum folgen konnten. "Tilla nein… TILLA NICHT, BLEIB STEHEN!", schrie Esther nach Sekunden der Starre ihrer Tochter hinterher. "Hektor, tu doch was. Lauf ihr nach!… Halt sie auf, nun mach schon", keuchte Esther völlig atemlos, wie sie auf den Mann zu hastete und ihm den kleinen Jungen regelrecht aus den Armen riss.


    Tilla war indes schon auf und davon geeilt , hin zu dem Altar, in der festen Absicht das Blutritual für Neith zu vollziehen. War sie nicht ganz bei Trost? Wie konnte sie nur so etwas verrücktes tun wollen … Doch sie konnte. Tilla erreichte den steinernen Altar als Erste und öffnete dort hastig die Wunden, sodass ihr Blut den kalten Stein benetzte. In dünnen Rillen floss der rote Lebenssaft über das kalkbleiche Gestein zusammen, um letztendlich über die Klippenkante hinab in das tosende Wasser zu tropfen. … Und? … War das nun die Erfüllung der Prophezeiung?


    Zunächst geschah nichts, doch urplötzlich durchzuckte ein dumpfes Grollen die ganze Halle des Tempels und ließ jeden Stein und selbst das umgebende Felsmassiv im Mark erzittern. Ein Erdbeben? Nein! Anstatt zu verhallen, blieb ein unheimliches Grummeln, welches sich fortsetzte und langsam zu einem regelrechten Getöse anschwoll.


    "Tilla? …Tilla! Was was machst du da? Hör sofort auf, bist du übergeschnappt!?", schrie Hektor gegen den Lärm an, als dieser die Halle endlich erreichte und er sah, was das Mädchen da mit ihrem eigenen Blut anstellte. Schon wollte der Grieche auf Tilla zueilen und sie retten, doch da fiel sein Blick nach oben zur Decke und was er da sah, ließ ihn augenblicklich erstarren. Aus den Ritzen zwischen den großen Deckenplatten rieselte unablässig Sand und schon löste sich einer von den schweren Steinen und krachte mit lautem Donner nach unten. Hart schlug die Steinplatte auf dem Boden auf, ehe sie mit einem lauten Knirschen kippte und über die Klippe hinweg nach unten in das tosende Wasser fiel. Sie verfehlte Tilla dabei nur um wenige Meter, wobei die hochspritzende Gischt das Mädchen voll traf und völlig durchnässte.


    "Tilla pass auf! … Bei allen Göttern, was passiert denn hier?"


    "Neith diese Wahnsinnige. Sie tatsächlich den Mechanismus in Gang gesetzt", rief Esther hinter ihm völlig außer Atem als sie, mit Pumilio auf ihren Armen, ebenfalls in die Halle getorkelt kam. Keine Sekunde zu spät, denn schon fiel hinter ihr der Gang zusammen. Die Ägypterin wollte sofort zu ihrer Tochter eilen, doch eine weitere Deckenplatte bohrte sich mit lautem Getöse zwischen sie, Hektor und Tilla und verhinderte dies zunächst.


    "Welchen Mechanismus denn?", wollte Hektor wissen, während er zusammen mit Esther und Pumilio hastig über einen Schutthaufen hinweg kletterte.


    "Oh nein, Tilla … gib auf die Decke acht, sie stürzt gleich ein! … Das ist der Mechanismus, der den Tempel vor Räubern schützen soll. Der ganze Tempel wird einstürzten und alles unter sich begraben. Die unterirdische Quelle wird gestaut und das Wasser wird die Hallen hier überfluten… Das ist es was auf den Hieroglyphen geschrieben steht. Neith hat sie - im Gegensatz zu mir - nur falsch gelesen und stets geglaubt eine Sintflut wird über das ganze Land kommen. Pah, dabei werden nur diejenigen sterben, die diesen Tempel entweihen wollen, so wie Neith … ", die erklärenden Worte sprudelten nur so aus Esther heraus, wobei sich ihre Stimme aus Angst und Sorge um Tilla fast überschlug. Sie hatte es all die Jahre gewusst und Neith die Wahrheit verschwiegen und jetzt sollte es für sie alle zum Verhängnis werden.


    "Na toll! Und gibt es wenigstens einen Fluchtweg?? … Wenn ja, sollten wir diesen schnellstens suchen!", schrie Hektor gegen das stete Donnern zurück.


    "Es gibt …"


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    "Es gibt keinen Ausweg für euch, ihr unseligen Kreaturen. Außer mir und meinem Gefolge wird niemand die kommende Sintflut überleben", fiel Neith mit schriller Stimme Esther ins Wort. Mit fliehenden Gewändern kam die selbsternannte Göttin in die Halle gestürmt, ihr Blick starr auf Tilla gerichtet und das Gesicht zu einer lachenden Fratze verzerrt. Die herabfallenden Gesteinsbrocken schienen die Meduse gar nicht zu beeindrucken, sie sah nur das Mädchen dort neben Altar knien und wähnte den Triumph und den Sieg bereits ganz auf ihrer Seite. "Jaa Tilla, gut so! Gib dein Leben für mich hin, damit die Prophezeiung Wirklichkeit wird und ich auf ewig leben und herrschen kann!"


    "Oh nein, da ist die Irre wieder! … Tilla pass auf hinter dir", versuchte Hektor das Mädchen zu warnen, da er erneut einem Felsbrocken ausweichen musste. Es war wie verhext. Während sie kaum vorwärts kamen eilte Neith mit einer Leichtigkeit durch das Chaos hindurch zum Altar hin.


    "Neith du Scheusal, lass endlich meine Tochter in Ruhe!", schrie Esther zur gleichen Zeit ihren ganzen Hass gegen diese Frau heraus. Mit einem beherzten Sprung überwand sie einen Geröllhaufen und hätte beinahe Neith zu fassen bekommen, als … ein weiterer Gesteinsbrocken sie in letzter Sekunde zum Ausweichen zwang.


    Es war zu spät! Neith hatte Tilla inzwischen erreicht. Mit schrillem Gelächter zog die Göttin einen langen Dolch unter ihrem roten Gewand hervor und versuchte damit sofort auf Tilla einzustechen. Was dann geschah entzog sich allerdings den Blicken von Hektor und Esther, da der herab rieselnde Staub, wie ein Vorhang die skurrile Szene verbarg. Erstals dieser Vorhang sich langsam wieder öffnete wurde es schreckliche Gewissheit, dass Tilla und Neith wie vom Erdboden verschwunden waren.


    "Bei allen Göttern, wo sind sie hin?", versuchte Hektor zu begreifen was eben geschehen war, allerdings blieb ihnen nun nicht mehr viel Zeit um irgendetwas klar zu durchdenken. Immer mehr Steinplatten polterten auf den Boden und in diesem ganzen Chaos standen er, Esther und Pumilio wie verlorene Figuren in einem göttlichen Spiel.


    Doch was tat Esther da? Die Frau hob den kleinen Jungen auf und lief mit ihm direkt auf die Klippe zu. Ohne sich noch einmal umzudrehen rief sie nur: "Vertrau mir Hektor … und spring! Das ist der einzige Ausweg …. " Dann war sie auch schon über den Rand der Klippe hinweg und mit einem letzten Aufschrei in dem tosenden Wasser verschwunden.


    "Springen?" Hektor konnte es nicht fassen. Tilla war verschwunden und Esther war mit Pumilio einfach in die Schlucht gesprungen und vom Wasser in die Dunkelheit fortgerissen worden. Was hatte er noch zu verlieren? Sein Ende war ohnehin besiegelt. Ein letzter Blick zurück erfasste das ganze Ausmaß der Zerstörung. Von der Tempelhalle war so gut wie nichts mehr übrig, nur noch übereinander fallende Steine, die alles unter sich zermalmten und das Wasser der unterirdischen Quelle langsam aufzustauen begannen. Erschlagen werden oder ertrinken, was wäre wohl der angenehmere Tod?


    Hektor sprang! Hinab in die dunklen Wassermassen, die in sofort umschlangen und fort trugen. Tief unter dem Gestein wurde er hindurch gespült, doch nicht den Tod hatte der Grieche dabei vor Augen sondern ein fahles Licht, welches rasend schnell auf ihn zukam. Es wurde immer heller und als es am hellsten war, glaubte Hetkor sogar zu schweben. …Hektor schwebte sozusagen aus dem dunklen Schlund der Quelle heraus, die just an dieser Stelle das Felsmassiv durchbrach und in einer kleinen Oase mündete die hier von dem Felswasser gespeist wurde. Hustend und prustend ruderte Hektor an die Oberfläche, saugte frische Luft in seine Lungen und paddelte mit letzter Kraft auf das Ufer zu, an dem er verschwommen vier Gestalten erkennen konnte.


    … Waren sie tot, oder lebten sie noch? … Gleich würde er es wissen. ...

  • Sie klammerte sich zudem an der Hoffnung fest, dass alles gut ausgehen würde und zuckte bei dem Grollen der Steine sichtlich zusammen. Erschreckt sah sie auf zur Decke und schliesslich zum schreienden Hektor zurück. Wieso brüllte er ihr zu mit dem Ritual aufzuhören? Sie hatte es doch erklärt. Ich kann nicht! erwiderte sie mit einer Hand gebärdend und bat mit stummen Blick um Entschuldigung für ihr seltsames Verhalten. Der herabrieselnde Sand machte es schwer Hektors ärgerlichen Blick einzufangen. Immer wieder wischte sie sich den Sand aus dem Gesicht und den schwarzen Haaren. Die Sandkörnchen fielen auch in die Wunde und verursachten große Schmerzen in den selbst aufgerissenen Wunden. Tilla verzog schmerzvoll das Gesicht und stöhnte stumm auf. Der erste schwere Stein fiel von der Decke und traf beinahe die Klippe. Tilla zog den blutenden Arm an sich, presste ihn an die Brust. Das aufspritzende Wasser war angenehm kühl. Irgendwie schaffte sie es auf den Knien vom rutschigen Klippenrand weg zu rutschen. Sie hörte Esther, ihre Mutter ihren Namen schreien. Hektor erwiderte etwas, was in dem Getöse einer weiteren herabfallenden Deckenplatte unterging.


    Tilla hätte der Diskussion gerne zugehört, aber sie musste auf sich selbst aufpassen. Die Vergiftung des Blutes, der Blutverlust und ein Drehschwindel machte dem stummen Mädchen schwer zu schaffen. Plötzlich war Neith bei ihr und bedrohte sie mit einem Messer, welches die irre Frau in ihrer Hand hielt. Hektisch rappelte Tilla sich auf, wich dem Messerstößen seitwärts aus. Die Boshaftigkeit von Neith verwirrte Tilla.. sie begriff nicht, wieso sie auf Marduks Verlockungen und den Worten dieser irren Frau hereingefallen war. Sie hatte nur ihre Mutter wiedersehen wollen!! Ächzend wich das Mädchen einem weiteren Messerstoß aus und wehrte den Dolch mit dem eigenen Messer ab. Tilla sah Neiths Reaktion kommen. Deren Augen weiteten sich vor Überraschung, wohl weil sie nicht damit rechnete, dass Tilla sich wehrte. Das Mädchen machte einen Ausfallschritt nach rechts, duckte sich unter dem herabsausenden Messer weg und bemühte sich auf dem nassen Boden rutschend in Neiths Rücken zu gelangen. Die Frau musste sich nun nach ihr umdrehen, das lange rote Kleid behinderte sie dabei. Tilla stand auf wackligen Beinen und legte all ihre Kraft in den Wurf des Messers mit dem blauen Griff. Es flog und flog und flog durch die staubige Luft... bohrte sich tief in Neiths Kehle hinein. Die Frau fasste sich an den Hals, verlor wegen einem weiteren Beben das Gleichgewicht und im Fallen das eigene Messer. Tilla sprang nach vorne, versuchte eben dieses Messer zu ergreifen, um wieder eine Waffe in der Hand zu haben. Aber Neiths Hand packte sie und versuchte das Mädchen zu sich zu ziehen. Tilla wehrte sich mit heftigem Gestrampel, wobei ihre Kraft immer weniger wurde. Die gegeneinander Kämpfenden rollten über die Klippenkante und verschwanden in der Tiefe. Tilla schaffte es ihr Messer aus Neiths Kehle herauszuziehen und stiess blindlings noch einmal zu, woraufhin die Frau den Griff löste.


    Der Aufprall auf dem Wasser war hart. All ihre Sinne verlierend glaubend umklammerte Tilla den Tränenstein mit der Faust und stiess die Sandalen von den Füßen. Der selbst verletzte Arm schien nicht Teil ihres Körpers zu sein, schwebte eigenständig neben ihr. Im Wasser schwebend sah Tilla hilflos mit an wie die Blasen aus ihrem Mund immer mehr wurden und nach oben verschwanden. Sie würde ersticken! Nie mehr das Meer und die Delphine sehen!! Nicht miterleben was aus Esther und Hektor und 'Äpfelchen' werden würde!!! Aber.. das ging nicht.. sie wollte weiterleben! Ja.. sie wollte leben!!!! Sie wollte atmen und brauchte Luft! Nur woher?! Sämtliche Kraft war aufgebraucht. Tilla schluckte Wasser, schloß aufgebend die Augen, hielt sich an dem Tränenstein fest. Das Wasser trug sie weiter, wusch die blutvergiftete Wunde heimlich aus und entfernte jedes störende Sandkorn.


    Irgendwann spürte sie festen Grund unter sich, konnte atmen, hörte Wind und Blätter rauschen. Tilla brauchte eine ganze Weile, um die Lider zu heben, die Augen zu öffnen. Die schattenhaften Schemen vor ihr sahen seltsam verschwommen aus. Tränen rollten über ihre Wangen. Das war Esther.. neben ihr lag Pumillio. Mama! flüsterte Tilla stimmlos, versuchte auf dem Bauch robbend zu den beiden reglos Liegenden zu gelangen. Mami!! Tilla hörte Wasser plätschern und drehte den Kopf diesen Geräuschen zu. Der Bartträger! Erschöpft begrüßte sie ihn mit der ihm zugedachten Gebärde, strich über ihr Kinn hinweg und liess die Hand sinken. Hektor! Das Mädchen lächelte nicht.. zeigte stumm auf die beiden Liegenden, von denen sie glaubte, dass sie das Abenteuer nicht überlebt hatten. Schon wieder hatten zwei lieb gewonnene Menschen ihr Leben für sie gelassen. Das war wirklich zum Heulen... stumm weinte Tilla weiter.

  • Hatte ich das alles nur geträumt? Das eben Geschehene erschien mir so irreal, dass ich es kaum fassen konnte, ebenso wie die Tatsache, dass ich anscheinend überlebt hatte. Noch dazu ohne größere Blessuren wie ich erfreut feststelle, während ich mich erschöpft ans Ufer kämpfte. Halb verschwommen nahm ich dabei Tillas Gestalt wahr. Sie lebte! "Tilla, was für ein Glück. Du lebst!", rief ich erleichtert aus und hob kurz die Hand wie zum Gruß.


    Dabei fiel mein Blick auf Neith und augenblicklich spannte sich mein ganzer Körper vor Wut. Da lag diese Schlange nun am Ufer, mit verdrehten Gliedmaßen und weit aufgerissenen Augen. Aus einer Wunde an ihrem Hals sickerte immer noch das Blut und ließ keinen Zweifel daran: Die Göttin war tot! ... Eine Träne würde ich ihr ganz sicher nicht nachweinen, dennoch hielt ich kurz inne und wunderte mich einfach nur über soviel Verblendung und Wahnsinn in einer Person. Warum nur? Wenn das Ganze überhaupt einen Sinn hatte dann nur den, dass Tilla auf diese Weise endlich ihre Mutter wieder gefunden hatte.


    Apropos Mutter! Wo war Esther und Pumilio? Tillas Weinen riss mich völlig aus meinen Gedanken und mit einem weiteren Blick in die Runde erfasste ich die beiden leblos am Ufer liegen.


    "Oh nein!", stieß ich heiser aus und schon war ich bei der Frau und dem Jungen auf meinen Knien und wusste eigentlich gar nicht, was ich tun sollte. "Leben sie oder sind sie tot?", stammelte ich nur. Für den Fall, dass es damals schon das Wissen über erste Hilfe gab, so war sie mir gänzlich unbekannt. Ich war schließlich kein Arzt oder Seemann, der vielleicht wusste was bei Ertrinken zu tun war. Ich war Soldat und als solcher war ich bislang nie in die Verlegenheit geraten Leben zu retten. Entsprechend hilflos rutsche ich also zwischen Esther und Pumilio hin und her.


    Wie durch ein Wunder begann der kleine Junge sich wieder zu regen. Er würgte und hustete, was schon mal ein gutes Zeichen war. Esther jedoch rührte sich nicht und so packte ich die Frau einfach an den Schultern, hob sie daran hoch und begann sie wild zu schütteln. Nicht besonders einfallreich, aber es sollte helfen.


    Nach einigen Schüttlern begann auch Esther zu husten und endlich schlug sie ihre Augen wieder auf. Ich konnte es kaum glauben und sie selbst wohl auch nicht. Esther sah mich kurz verwirrt an, ehe sich ihr Blick etwas klärte und sie realisierte, was geschehen war. "Wo ist Mia? ..Mia! Den Göttern sei Dank!", seufzte Esther nur mit Tränen in den Augen und schon war sie aufgesprungen und zu Tilla hinüber geeilt, die einige Meter neben uns am Boden kauerte und bitterlich weinte.


    Doch nun hatte Tilla keinen Grund zum weinen mehr ...


    Liebevoll und voller Freude schloss Esther ihre Tochter in die Arme und drückte sie herzlich an ihre Brust. Endlich! Nach so vielen Jahren der Trennung und des Schmerzes hatten sie einander wieder gefunden. Esther fand keine Worte für das Glück. Sie weinte einfach nur vor Freude und als sie sah, wie einsam und verlassen Pumilio daneben am Ufer saß, streckte sie spontan die Hand nach ihm aus und schloss auch ihn in ihre Arme. Tilla und Pumilio. "Ihr seid von nun an beide meine Kinder! … " Sie waren wieder vereint. Etwas, an das Esther in diesem Leben nicht mehr zu hoffen gewagt hatte.


    Und auch der Junge, der so lange völlig apathisch gewesen war, zeigte wieder eine kleine Regung. Eine einzelne Träne floss aus seinem linken Auge, über seine Wange hinweg und in stiller Freude klammerte sich der kleine Kerl an Esther, die ihn mit so viel Liebe bedachte. Endlich hatte auch Pumilio eine Mutter gefunden die ihn liebte und die ihn beschützen würde, was auch immer geschähe.


    Welch ein glückliches Ende!


    Ich genoss diesen Moment der Ruhe und Geborgenheit den dieses Bild einer Mutter mit ihren beiden Kindern ausstrahlte. Gab es etwas Schöneres? Eigentlich nicht. Obwohl ich innerlich immer noch eine gewisse Beklommenheit verspürte angesichts der Tatsache, dass ich nicht wusste was aus Marduk und seinen Männern geworden war. Waren sie alle tot - ertrunken, oder immer noch am Leben? Allzu weit waren sie ja nicht entfernt, wenngleich uns ein Felsmassiv trennte das nicht so leicht zu überwinden wäre.


    Mit einem Blick zu den hoch aufragenden Felsen bemerkte ich, dass die Quelle fast versiegt war. Nur noch ein Rinnsal floss aus der Felsspalte, aus der wir erst vor wenigen Minuten noch heraus gespült worden waren. Kaum vorstellbar, dass wir das überlebt haben aber die Götter schienen uns gewogen zu sein. Das machte mir Mut und ich war zuversichtlich, dass wir dieses Abenteuer unbeschadet bis zum Ende überstehen würden. Doch wohin sollten wir uns wenden. Nach Alexandria und dann zurück nach Rom, oder wohin sonst?


    Das würde allein das Schicksal bestimmen ...

  • Hektor entdeckte und begrüßte sie. Schluchzend winkte Tilla ihm zu und versuchte weiterhin auf dem Bauch näher zu Esther und Pumillio heranzurobben.. was sie dann auch schaffte. Sie war einfach zu ko, um auf allen Vieren hinüber zu krabbeln. Mit noch mehr verlierenden Tränen sah sie Hektors Bemühungen zu die beiden Menschen wieder zum Leben zu erwecken. Zuerst regte sich Pumillio. Erleichtert aufschluchzend richtete Tilla sich auf und bewegte sich mühsam in den Schneidersitz. Behutsam nahm sie den kleinen diebischen Jungen in die Arme auf, wuschelte ihm durch die nassen Haare und drückte ihn feste an sich. Äpfelchen... ich bin es. lenkte sie ihn stumm flüsternd ab.Er sollte nicht mitbekommen, dass um Esthers Leben gekämpft wurde.


    Der Bartträger wendete eine ungewöhnliche Methode an... aber mit dieser schaffte er es, dass Esther endlich die Augen aufschlug. Mama! Keinen Moment später lag Tilla in Esthers Armen und spürte deren schlagenden Puls. Tilla weinte weiter.. diesmal nicht aus höchster Verzweiflung sondern aus purer Erleichterung. Pumillio wurde ebenfalls in Esthers Armen aufgenommen. Die Tränen auf Tillas Wangen trockneten, je länger sie so zusammen saßen. Langsam legte Tilla ihre Arme um Esthers Schultern und kuschelte sich an deren allmählich wärmer werdenden Körper. Mama! wiederholte Tilla stumm und zeigte das erste Lächeln auf ihrer Miene, wobei sie auch Hektor dankbar anlächelte.


    Der dumpfe Schmerz in der selbst zugefügten Wunde war immer noch da. Sie reckte den verletzten Arm, begutachtete den Schnitt. Das wächst zusammen, ne? fragte sie flüsternd und blickte zur versiegenden Quelle hinüber. Die verrenkte Leiche Neiths hatte sie noch nicht entdeckt. Das war wohl auch besser so... für Tilla war die böse Königin spurlos im Wasser verschwunden. Neith hatte nicht mit an die Oberfläche kommen dürfen.


    Was geschieht mit dem Wasser? Fliesst es zurück zu Vater und passt auf ihn auf?? Dass niemand mehr ihm Böses tut??? lauteten Tillas nächste geflüsterten Worte. Er würde bestimmt sehr gerne bei uns sein... vielleicht ist er gerade irgendwo in der Nähe. Wir können ihn weder hören noch sehen. Vielleicht war Vater gerade die Windböe, die ihrer aller Haare trocknete? Tilla fühlte immer noch große Erschöpfung in sich und wollte die nächsten Momente lieber ganz nahe bei Esther liegen als aufzustehen und sich zu bewegen. Einfach nur in Esthers Armen liegen und sich vom überstandenen gefährlichen Abenteuer ausruhen. Mit jedem Atemzug entspannte sie sich und genoß es gehalten zu werden. Tja... der kleine Irrwisch hatte bei Esther vieles nachzuholen.

  • Es war nur eine stumme Geste aber unmissverständlich das schönste Wort das Esther je vernommen hatte: 'Mama' …"Ja Mia, ich bin deine Mama. ... Und ich werde dich nie mehr alleine lassen, egal wohin uns das Schicksal noch führen wird. Das verspreche ich dir, so wahr ich hier auf meinen Knien die Götter darum bitte", erwiderte Esther die Gesten ihrer Tochter mit glänzenden Augen. Oh ja sie würde darum kämpfen und alles auf sich nehmen, wenn es sein musste - Wirklich alles! - Nur um bei Tilla und Pumilio bleiben zu können.


    Ein erstes Lächeln zeigte sich auf Tillas Gesicht und auch Pumilio´s Mundwinkel zuckten leicht nach oben, wenngleich der Junge sein Glück noch gar nicht fassen konnte. Esther atmete tief durch und erwiderte das Lächeln, drückte ihre Kinder liebevoll an ihre Brust und achtete dabei darauf, dass sie nicht dorthin sahen wo Hektor gerade damit beschäftigt war, die Leiche der bösen Königin im Schilf zu verbergen.


    "Das wächst wieder zusammen und wird verheilen, Mia. … Warte mal", nickte Eshter dann auf Tillas nächste Frage hin. Sie holte aus einem kleinen Beutel, den sie stets am Gürtel trug, ein kleines Töpfchen hervor. "Ich habe hier eine Salbe die dir helfen wird und die den Schmerz ein wenig lindert", versprach die heilkundige Frau während sie damit begann, die Mixtur auf die Stellen an Tillas Armen aufzutragen.


    Nur kurz hielt Esther wieder inne um gegen die Tränen zu kämpfen, als Tilla nach dem Wasser fragte und ob es dorthin fließen würde wo ihr Vater sei. Wie recht sie doch damit hatte, ohne es recht zu wissen! "Ja das tut es sicher … Dort wo dein Vater ist, ist nun auch das Wasser und es wird ihn beschützen", bestätigte die Mutter schluchzend in Erinnerung an den einen Tag, an dem sie den Vater heimlich, tief unten in den verwinkelten Katakomben des Tempels zu Grabe getragen hatte.


    Die Trauer um ihn war, auch nach all den Jahren, immer noch so stark wie damals. Doch endlich hatte Esther auch einen Grund zur Freude. "Dein Vater wird immer bei uns sein Mia, wohin wir auch gehen. … Und er ist sicher stolz, eine so hübsche und liebenswerte Tochter wie dich zu haben", fügte Esther mit einem aufmunternden Lächeln hinzu. Eine Windböe erfasste in dem Moment die Oase, wirbelte durch die Haare und erzeugte ein Rauschen im Schilf, welches wie ein Zeichen wirkte: Tillas Vater war hier!


    Zumindest trug Esther etwas von ihm bei sich und dieses Etwas wollte sie Tilla nun geben. Sie holte aus ihrem Beutel ein kleines Goldmedaillon hervor und drehte dieses leise seufzend zwischen den Fingern, ehe sie das Andenken an ihre Tochter weiter reichte. "Hier, … dieses Medaillon soll von nun an dir gehören. Das Bildnis darauf zeigt deinen Vater! Er hat es damals in Alexandria extra für mich anfertigen lassen, damit ich ihn nicht vergesse falls er einmal in den Krieg ziehen sollte", erklärte Esther in Erinnerung an diese eine Nacht, in der sie sich das erste Mal geliebt hatten und in der er ihr dieses einzigartige Geschenk gemacht hatte … ein neues Leben



    "Oh Alexandria!!! … Ich denke, wir sollten uns langsam aber sicher auf den Weg dorthin machen. Was meint ihr?! … Dort habt ihr noch genügend Zeit und Gelegenheit um euch zu unterhalten", hakte ich wie auf Kommando auf dieses eine Stichwort ein. Dieser Ort hier - so schön er auch war - war einfach nicht sicher genug um noch länger zu verweilen. Nicht auszudenken, wenn Marduk und seine Schergen am Ende überlebt hatten und hier auftauchen würden? Ich allein könnte gegen die Bande nicht viel ausrichten, noch dazu ohne Waffen. Also drängte ich etwas zum Aufbruch, auch wenn ich dadurch die Zweisamkeit der beiden Frauen leider stören musste. "Können wir?!" ...


    ~~ edit ~~


    … und so machte sich die keine Gruppe in Richtung Alexandria auf, wo sie Unterschlupf fanden bei einer alten Freundin von Esther. Da Tilla immer noch krank war beschlossen sie so lange in Ägypten zu bleiben, bis das Mädchen wieder ganz gesund wäre. Erst dann wollten sie gemeinsam die Rückreise nach Rom antreten. Doch es sollte anders kommen. Nach einigen Tagen Aufenthat in Alexandria gerieten Hektor und Esther, bem Einkauf auf dem Markt, in ein Handgemenge in dessen Folge der Grieche festgenommen und - aufgrund seiner Herkunft - nach Rom zurück gebracht wurde. Esther war machtlos und konnte nichts tun. So blieben sie,Tilla und Pumilio vorerst in Alexandria zurück.


    Das Schicksal trennte an dieser Stelle ihre Wege und allein das Schickal vermag sie irgendwann einmal wieder zusammen zu führen. ...


    Sim-Off:

    Da sich die ID Tilla auf ungewisse Zeit im Exil befindet, würde ich die Geschichte hier vorerst enden und Hektor nach Rom zurückkehren lassen. Da über den weiteren Verlauf der Geschichte nichts abgesprochen war, habe ich dieses Ende gewählt damit Tilla alle Möglichkeiten zum weiter spielen hat. Ich hoffe das ist so plausibel und in Ordnung.

  • Oh.. sie versprach ihr dann für immer ihre Mama zu sein. Tilla lächelte selig und drückte sich noch ein bisschen fester an Esthers Körper. Umarmte zugleich die Frau, die ihr bis vor einem Tag noch unbekannt gewesen war. Wie schnell und ereignisreich der Tag und die Nacht doch herumgegangen war.. und zuletzt eine Mama geschenkt hatte!! Bereitwillig liess sie die Schnittwunden versorgen, wischte Pumillio dessen Stirnhaare aus dem Gesicht. Alles gut ausgegangen! gebärdete sie langsam, um dem jüngsten dieser zusammengewürfelten Gruppe Mut zu machen. Vater ist bestimmt genauso stolz auf dich wie auf mich, Mama!


    Mit offenem Mund hörte Tilla der Geschichte über das Medaillion zu und beschloß genauso gut darauf aufzupassen wie bbisher auf den Tränenstein. Die beiden Schmuckstücke passten gut zusammen befand Tilla. Die Wunde schmerzte dank Esthers Mixtur inzwischen viel weniger. Aber nun machte sich bei beiden Jüngsten die Anstrengungen und Strapazen der Reise sowie des Abenteuers bemerkbar. Außerdem besaß sie beide keine Sandalen mehr. Eine Lösung fand sich nach einigem Nachdenken sowie Rumprobieren und die Wanderung nach Alexandria konnte beginnen. In dieser Zeit bedankte sich Tilla ausführlich bei Hektor für ihre Rettung, lernte Esthers Wesen näher kennen und brachte Pumillio ein paar von ihren Gebärden bei.


    In Alexandria fanden sie recht schnell einen Unterschlupf und endlich konnte sie zur Ruhe kommen und die aufregenden Ereignisse verarbeiten. Hektors Verhaftung und Abtransport nach Rom versetzte Tilla einen Schlag in den Magen. Nur schwerlich konnte sie sich mit der Abwesenheit des Bartträgers abfinden und hängte umso mehr an Esther und Pumillio.

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