… Mit durchgeschnittener Kehle sackte mein ehemaliger Bewacher in meine Arme. Ich vermied es ihn länger als nötig anzuschauen und schleppte ihn lieber schnell in den Verschlag, aus dem Esther mich und Pumilio gerade befreit hatte. "Danke! …", sagte ich einfach nur mit einem flüchtigen Blick zu ihr, aber da hatte sie bereits Pumilio auf die Arme genommen und winkte mir zu ihr zu folgen.
"Pssst, leise und kein Wort mehr. Folge mir einfach! … Neith ist noch hier unten und sie darf uns auf keinen Fall bemerken! ", erklärte sie mir flüsternd das Nötigste und hielt sich dann nicht mehr weiter mit Worten auf, sondern eilte schnellen Schrittes und zielsicher durch die engen Gänge davon.
Ich hatte ehrlich Mühe ihr zu folgen und von daher verzichtete ich auf all die Fragen, die mir brennend auf der Zunge lagen. Wo war dieser Marduk und seine Männer, wo hatte man Tilla hingebracht, was hatte es mit dieser Zeremonie auf sich und vor allem … wie kämen wir hier unbemerkt und lebend wieder heraus? - Es blieb mir wohl nichts anderes übrig als dieser Frau zu vertrauen und zu hoffen, dass sie wusste was sie tat. Am besten hatte es in diesem Moment noch Pumilio erwischt denn sein apathisch wirkender Blick und seine Teilnahmslosigkeit ließen die Vermutung zu, dass er von dem Ganzen hier gar nichts mehr mit bekam nur - hoffentlich würde sein Zustand nicht für immer so bleiben.
Wir schafften es schließlich unbemerkt bis nach oben in die Tempelhalle und ab hier schöpfte ich wieder allen Mut zusammen den ich hatte. Noch einmal würde mich jedenfalls niemand in ein dunkles Loch stecken! Das schwor ich mir, den Griff des Dolches noch entschlossener umklammernd, während ich mich aufmerksam nach allen Seiten umsah. Doch nichts und niemand war zu sehen. Nur ein paar undefinierbare Geräusche vom Eingang her, die sich wie lautes Schnarchen anhörten.
"Hier entlang, schnell!", kam von Esther die Aufforderung und schon hatten wir die Halle wieder verlassen und fanden uns kurz darauf in einer kleinen kleinen Kammer wieder. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die wenigen Gegenstände darin und erkannte sofort Tilla, die auf einem Bett lag und schlief. … "Hier nimm den Jungen! Ich muss mich um Mia kümmern … oh ... w..was ist das?" - "Mia? …und was ist was?" Das ging mir fast ein wenig zu schnell da ich kaum Zeit fand mich zu orientieren. Mechanisch nahm ich den kleinen Jungen aus ihren Händen entgegen und blickte die Frau verwirrt an, da diese sich plötzlich neben dem Bett auf die Knie fallen ließ und heftig zu weinen begann. "Ehm …was ist mit dir, was sind das für Bilder ... Tilla?!", fragte ich vorsichtig nach. Eine direkte Antwort erhielt ich allerdings nicht mehr von ihr, dazu schien Esther schon viel zu weit weg in ihren Gedanken zu sein …
"Sieh doch nur ... das ist sie. Das ist meine Mia. … Meine Mia! … Oh nein, was für eine schlechte Mutter bin ich, dass ich mein Kind allein gelassen habe. All die Jahre … nicht bei ihr war … sein konnte … ", wisperte Esther schluchzend vor sich hin ohne den Blick von den Zeichnungen zu nehmen. Sie sackte kraftlos in sich zusammen, in der Sekunde, in der all ihre Hoffnung zu schwinden drohte. Das war zu viel. Diese Bilder zeigten das, was sie in all den Jahren nicht zu denken gewagt hatte. Sich einfach vorzustellen wie es hätte sein können, Tilla aufwachsen zu sehen, bei ihr zu sein, für sie zu sorgen - "Wie kann ich das je wieder gut machen, dass ich so kläglich versagt habe sie zu beschützen ... "