Abschied im Morgengrauen

  • II-XV


    Kühler Märznebel durchfloss die Täler zwischen den und strich sanft über die Kuppe der Hügel Roms, leckte mit seiner nasskalten Zunge auch über den Quirinal und wisperte zögernden Geistern gleich um die Gemäuer der Villa Flavia Felix. Auf der Stelle tretend, sich beugend und streckend suchten die Träger der Sänfte und des Gepäcks ihre Muskeln und Sehnen zu wärmen, um Spannungen und Zerrungen zu vermeiden auf dem bevorstehenden Wege bis vor die Mauern der Hauptstadt hin, wo ein Wagen würde warten, um Manius Flavius Gracchus durch halb Italia hindurch bis nach Brundisium zu bringen, wo ein Schiff für die Überfahrt nach Achaia würde warten. Früh am Morgen war es, die trübe Helligkeit des Tages noch nicht lange an das Firmament empor gekrochen, so wie es Gracchus hatte bestimmt, wohl wissend um den süßen Schlaf seiner Familie, wohl wissend um die einsame Ruhe, die zu dieser Stunde noch über der Villa lag. Niemandem hatte er den Tag der Abreise genannt, sich von niemandem verabschiedet mit langen Worten, war es doch erneut für ihn eine Qual, sich selbst zu hören, war es doch erneut zutiefst demütigend, der Eloquenz seiner Worte beraubt zu sein, wollte er weder seiner Gemahlin, noch seinem Sohne für die nächsten Monate der Absenz die Erinnerung bieten an einem Ehemann und Vater, welcher nicht einmal mehr aufrecht sich konnte halten, welcher nur mehr ein halbes Lächeln brachte zu Stande, welcher keinen zusammenhängenden Satz über seine Lippen zu bringen in der Lage war. Nicht einmal Aristides hatte er den Zeitpunkt der Abreise wissen lassen, obgleich jener der einzige war, vor welchem Gracchus nicht beständig seine Defizite zu verbergen müssen glaubte, doch es beschämte ihn, seinen Vetter nun in der Amtszeit im Stich zu lassen, zu welcher zuvor er ihn hatte gedrängt, gezwungen geradezu. Auch Rom wollte Gracchus nicht mehr sehen, so dass er die Augen geschlossen hielt, während die Sänfte in Bewegung sich setzte, mied, den Blick auf die Spalten zwischen den Stoffbahnen zu richten, welche in der sanften Bewegung wieder und wieder sich auftaten, die Sicht frei gaben auf das Leben im Herzen der Welt um ihn herum. Allfällig war es Rom, eben dieses Rom, welches ihn stets auf ein neues zerstörte, und doch wusste Gracchus, dass auch in Achaia er keinen Frieden mehr würde finden, dass er stets würde zerrissen sein zwischen hier und dort. So vieles hatte die Stadt ihm genommen, so vieles geraubt, so vieles hatte unter Qualen und Pein er ihr gegeben, so vieles an sie verloren, und doch hatten die Reminiszenzen Achaias längst ihren Glanz unter den güldenen Strahlen der Roma eingebüßt. In Rom hatte er letztlich alles gefunden - die Götter, die Liebe, sich selbst. Er würde es missen, dieses Rom, mit seinen sanften Erhebungen und seinen unendlichen Tiefen, mit seinen ergötzlichen Tagen und seinen abgründigen Nächten, mit seiner stillen Wahrheit und seinen farblosen Lügen, mit seinem süßen Odeur und seinen bitteren Liedern. Achaia - dies war nur eine Reise in ein Exil, und doch barg es in sich den Klang nach Elysium. Er würde es missen, dieses Rom, und er würde sie missen, all jene darin.


    ~~~ finis spiritus ~~~

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

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