Hortus | Doktorspiele

  • Kein Tag sollte ohne Sinn sein! Es war eigentlich Micas Lieblingszitat, doch es war schwer den hellen Stunden derartiges einzuhauchen, wenn man wie er rein gar nichts zu hatte. Heute hatte er ausgeschlafen, nur um dann in der Küche ein wenig Extra-Essen abzustauben, was extrem leicht war, denn ständig war jemand versucht ihm irgendetwas zu zu stecken. Sein junger Lehrer Athanaos meinte mal, es länge an seinen Blicken, die denen eines jungen Hundes nicht sonderlich unähnlich wären, doch davon hatte der Junge nichts wissen wollen. Er war kein Hund und ein Kind war er auch nicht mehr. Er hatte lediglich nichts zu tun und an dieser Tatsache konnte nicht einmal die Sonne etwas ändern, die bereits hoch über dem Haus stand und die Luft erwärmte. Mit seinem aufkeimendem Missmut gelang es ihr jedoch keineswegs. Mica verschränkte die Arme vor der Brust und schnaufe schwer, um seiner angestauten Energie Luft zu verschaffen. Mauern! Zwar bemalt und hübsch unter den Sonnenstrahlen, die darauf fielen und dennoch waren es nichts als Mauern!


    Er stand an einer der Säulen gelehnt und schaute in den Garten hinaus, in dem sich die Blätter die Rosenbüsche leicht im Luftzug wiegten. Ein wenig nur. Eigentlich war es ein wunderschöner Tag und er sollte froh sein, dass er von allen Lasten befreit, einfach nur das Leben genießen durfte. Doch er merkte bereits tief in sich, dass dieser Genuss nun schon so lange anhielt, dass er nicht einmal mehr Lust hatte die Dinge zu lesen, die Athanaos ihm aus Baiae mitgegeben hatte. Der Grieche hatte gemeint, er würde es begrüßen, wenn Mica bei seiner Rückkehr die ein oder andere Elegie auswendig kennen würde und auch seine Kenntnisse in der Dichtkunst ein wenig vertiefte. Auf Griechisch natürlich, obwohl es in der lateinischen Sprache viel einfacher war. Zumindest für ihn. Der kräftige Vergil! Nicht nur äußerlich sondern auch im Worte! Der war natürlich auch in seinem Gepäck und bei weitem noch nicht in seinem Kopf.


    Mica hatte keine Lust dazu und warum sollte er sich gegen seinen eigenen Unwillen stemmen? Es interessierte doch niemanden was er tat oder ließ und die Herzen der Herren würde er auch mit dem Rezitieren von Dingen erfreuen können, die er bereits auswendig kannte. Ein Schauspieler war an ihm sowieso nicht verloren gegangen und er empfand ein solches Agieren auch nicht als ehrenhaft und erstrebenswert. Er konnte ja nicht mal ernsthaft lügen, ohne dabei rot zu werden!
    Man war Zeit seines Lebens immer bestrebt gewesen, ihn mit Wissen vollzustopfen, es anzureichern und zu nähren, als wäre er dann ein sprudelnder Quell der Redseligkeit und der lyrischen Freuden, der zur Unterhaltung und Tiefsinnigkeit nach einem überladenen Mahl beitragen konnte. Dagegen gewehrt hatte er sich nie, denn daheim hatte alles seinen Sinn gehabt, den man nicht zu hinterfragen hatte, denn er lag offen da und man musste nur danach zu greifen. Wie einen Stein, von dem einem geheißen wurde, man solle ihn allmorgendlich aufheben. Und das tat man dann einfach. Der Schuster blieb bei seinen Leisten, doch je mehr Freiraum Mica hatte, desto mehr kam es ihm nun sinnlos vor und hinterließ einen schalen Nachgeschmack, den er nicht mehr wollte. Wann konnte er endlich etwas über die Medizin lernen und etwas Praktisches tun, anstatt über Versmaße und philosophisches Allerlei zu lesen? Ein Mann musste schon etwas in seinem Leben bewirken was mehr war als nur die Augen der Herrschaft in Rührung oder Belustigung zu befeuchten.


    Mica vermisste Athanaos und seinen Rat, seine Gesellschaft und er vermisste Baiae, seine Mutter, Ada und all die anderen. Rom war nicht schön und es roch nicht so gut wie am Meer, auch wenn dieser Garten und dieses Haus darüber hinwegtäuschten, mit all seinem Luxus und den schönen Rosen.
    Schnell hingen seine Gedanken wieder in der Luft und es war schwer auch nur einen einzigen davon zu erhaschen und zu halten. Er brauchte einfach etwas, worauf er seine Aufmerksamkeit setzten konnte und so dachte er an etwas, was ihn mit Freude erfüllte und ihm seinen Antrieb wieder zurück gab. Plinius der Ältere und Hippokrates von Kos. Letzter war ein Grieche, den er heiß und innig liebte und für den es Sinn machte, sich mit der griechischen Sprache abzuplagen. Sinn oder Unsinn? Es lag ganz allein in seiner Hand was er hier tat und er hatte die kleine verflohte Katze nicht umsonst unter seinem Bett versteckt, oder wahlweise immer dort wo niemand außer ihm selber sie entdecken würde. Auch an diesem Tag hatte er seine Notizen über ihr Wohlergehen angefertigt und eine Liste über ihre Beschwerden und Symptome erstellt.


    Diese Liste reichte über „ausgiebiges mehrmaliges Kratzen mit den Hinterläufen am Bauch“, „Tränen der Augen mit Schwerpunkt rechts“, „vermehrte nasale Schleimabsonderung, besonders in den nächtlichen Stunden“, „Beschwerden mit dem zweiten Augenlid links“, bis hin zu „langanhaltendem kehligen Röcheln mit Schluckbeschwerden bei Nahrungsaufnahme“.
    Mica war sehr stolz darauf und selbst die großen Ärzte führten Buch, um Krankheiten zu kategorisieren. Dabei beobachteten sie die allgemeine Physis und stellten Rückschlüsse über das Verhältnis der Säfte im Körperinneren auf. Bei der armen kleinen Katze lag der Fall klar auf der Hand, dass der Schleim die Oberhand gewann und vielleicht sollte er sich wieder dem Vorhaben widmen, dieses Dilemma zu beheben.


    Mica grinste und löste sich von der Säule. Wenn sein heutiger Tag einen Sinn haben sollte, dann eindeutig diesen! Langsam ging er durch den Garten, immer darauf bedacht etwas Passendes zu erspähen, was man als Kraut in einem Sud verkochen und dem armen Tier einflößen konnte, damit es sich erholte. Asklepios hatte auf ihn zwar schon in der Ilias einen enormen Eindruck gemacht, doch bezweifelte der Junge, dass sich dieser mächtige Gott und Arzt auf eine Katze einlassen würde, selbst wenn man ihn darum bat.
    Es bedurfte nur weniger Schritte und schon hatte sein Blick etwas erfasst, was durchaus weiterhelfen konnte. Eine Rosen-Malve leuchtete in seidigem Rosé an der Mauer. Es waren nicht nur hübsche, zierliche Pflanzen, sie waren auch äußerst nützlich und richtig angewandt auch schleimlösend. Zwar hatte Mica noch keine Ahnung wie man sie verarbeiten musste, doch das Leben war dazu da um zu lernen, und seiner Auffassung nach war gerade dies endlich einmal das Wissen, das er begehrte. Vorsichtig zupfte er an dem zarten Gewächs und war überrascht, dass sich die Blütenkelche anfassten wie filziger, dünner Stoff. Es roch süßlich und er rümpfte die Nase, ehe er hastig noch weitere Blüten abzupfte. Vielleicht würde es auch einfach reichen, wenn man sie zerstampfte und mit ein wenig Milch darreichte, denn es war wohl nicht möglich die Katze dazu zu überreden, sie freiwillig und ohne Beiwerk aufzunehmen.
    Nachlässig stopfte er die Kelche in einen kleinen Beutel, den er dabei hatte und in dem sich auch ein abgegriffenes Schriftstück von Vergil befand, mit dem er sich eigentlich hatte befassen sollen. Der Dichter würde es ihm schon nicht übel nehmen. Sicherheitshalber bediente er sich auch noch an den Blüten der Nachbarmalven, die schnell genauso zerfleddert aussahen, wie die Erste. Aber ein „mehr“ war sicherlich besser als ein „zu wenig“. Letzten Endes lag es eh an der Dosierung.
    Mica hatte zwar Vorsicht walten lassen, was das Beobachtet -Werden anging, doch nun schockte es ihn doch, dass er einen Schatten über sich wahr nahm und er fuhr herum.


    Sim-Off:

    reserviert

  • Nahezu lautlos landeten Asnys bloße Füße auf dem weichen, kräftig grünen Frühlingsgras, welches im Garten der Villa Flavia stets in ordentlichen Grenzen gehalten und regelmäßig getrimmt wurde. Doch da die zugegeben prachtvolle Flora derzeit nicht im Interesse der Sklavin lag, schenkte sie den Farben und Formen des Frühlings nur geringe Beachtung. Prüfend glitt ihr Blick aus kühl hellblauen Augen noch einmal die Mauer empor, welche das Grundstück der Villa einfasste und abgrenzte, und von welcher sie gerade eben hinabgesprungen war. Selbstverständlich benötigte sie derlei Geheimtuereien im Grunde nicht länger. Ihre Stellung erlaubte nicht nur, sondern verlangte des Öfteren ein Verlassen der Villa, woran auch die kürzliche Flucht einiger Sklaven nichts hatte ändern können.
    Womöglich hätte sie an deren Verschwinden und der Entführung der domina mehr Anteil nehmen sollen, allerdings gehörte sie nicht zu denen, welche ihre Dienste bereitwillig und eifrig anboten, wenn sie die verwendete Zeit weitaus sinnvoller für sich selbst nutzen konnten. Natürlich hätte sie Aristides wie so oft an ein Kreuz nageln können im Angesicht der horrenden Summe, die er dem Sklavenjäger in den Rachen geworfen hatte gleich einer Handvoll Nüsse, doch dieser Impuls war letztendlich doch zu flüchtig, um ihn mit mehr als einem blassen Schulterzucken zu kommentieren. Es waren sein Geld, sein nutzloses Weib und zum Großteil seine Sklaven. In diesen drei Faktoren empfand Asny das Geld als den wichtigsten, denn sowohl eine Frau als auch Sklaven waren leicht zu ersetzen eben mit diesem Geld. Dieser Catubodus könnte sich als Versager entpuppen und die Sklaven als zu stolz und unfähig und am Ende wären sowohl domina als auch Sklaven nichts mehr als ein paar abgeschlagene Köpfe im Beweismittelsack. Die weißblonde Sklavin verspürte nicht die geringste Neugier bezüglich der Information, ob der Auftrag von Erfolg gekrönt wäre. Mit Epicharis verband sie rein gar nichts, sie sah sie als in etwa so nützlich an wie einen hübsch verzierten Armreif, mit dem man sich schmückte, der jedoch früher oder später an Glanz verlöre und nichts mehr als eine lästige Fessel darstellte. Aber er war eben da, so wie es patrizische Frauen im Allgemeinen immer waren. Hübsch, aber vollkommen sinnfrei. Wenn sie dann auch noch so dumm waren, und sich von einem Haufen abgegriffener Sklaven verschleppen ließen, würden sie in Asnys Skala nie wieder einen positiven Wert auch nur von Ferne erblicken.


    Mit einem tiefen Atemzug die süßlich-frische Luft des hortus einziehend begann Asny ihre Blicke vom Mauerwerk zu lösen und dem grünen Panorama vor ihr zuzuwenden, während sie die Schnüre ihrer Ledersandalen vom Gürtel löste. Es war gut gewesen, ihre Kontakte innerhalb der Stadt noch einmal auf ihre Tauglichkeit hin zu prüfen. Das Gedächtnis der Menschen verdrängte viel zu schnell unangenehme Geschehnisse und damit in direktem Zusammenhang stehende Personen. Dass man gegenüber solchen Herrschaften immer gleich zu unterschwelligen Drohungen greifen musste.
    Wenigstens war es ihr gelungen, sich zusätzlich noch einmal adäquat verprügeln zu lassen, weswegen ihr Körper nach langer Zeit wieder mit stärkendem Schmerz ausgestattet war, nicht wirklich verbessert durch das Erklimmen einer Mauer. Sie hatte einen ordentlichen Fausthieb in den Magen erhalten und sich auf dem Weg zurück auch gleich ihres kompletten Mageninhaltes entledigt. Eine ordentliche Platzwunde klaffte an ihrer Schläfe und verklebte ihre gesamte linke Gesichtshälfte mit Blut, das ihren Hals hinab troff und den Stoff ihrer inzwischen recht zerrissenen Tunika in tiefem Rot tränkte. Mindestens eine Rippe machte einen recht geprellten Eindruck und ihr Hinterkopf wies eine schmerzhafte Erfahrung mehr mit einer Hausmauer auf. Ansonsten bestand ihr Körper derzeit aus mancherlei großer und kleiner Abschürfung sowie diversen Prellungserscheinungen, die teilweise bereits anschwollen oder sich irgendeine knallige Farbe aus der Regenbogenwelt erwählten, um in jener zu erblühen. Wie bereits erwähnt, ihr Ausflug war durchaus erfolgreich gewesen. Wären die Flavier weniger zurückhaltend was körperliche Strafen anbelangte, hätte für die Prügel kein Anlass bestanden, aber bedauerlicherweise schienen diese Patrizier nicht einmal mehr dafür richtig zu taugen. Es war ein Elend.


    Wirklich lästig war neben der Bewegungseinschränkung, welche sie jedoch noch standhaft ignorierte, das Blut, welches permanent in ihr linkes Auge strömte und sie die Welt inzwischen teilweise wie ein Berserker im Rausch erblicken ließ. Dies würde sie wohl auswaschen müssen, wenn es denn damit getan wäre. Möglicherweise benötigte ihre Stirnpartie auch den ein oder anderen Nähstich. Asnys Lippen trugen nach wie vor ihr mildes Lächeln, das aufgrund der aufgeplatzten Haut und des verschmierten Blutes daran jedoch noch dämonischer wirkte, als furchtsame Seelen es ohnehin gerne interpretierten. Mit langsamen Bewegungen ging sie in die Hocke, um sich die Sandalen wieder an die Füße zu binden. Ihrem Kreislauf ging es erstaunlich gut. Womöglich hatten ihr veränderter Speiseplan und das vermehrte Trinken auch während ihrer Trainingseinheiten doch etwas genutzt. Oder aber sie verspürte nach wie vor stärkende Nachwirkungen eines Kampfrausches, schließlich deutete die aufgeplatzte Haut über ihren Fingerknöcheln und an ihrem rechten Knie darauf hin, dass sie keinesfalls nur hatte einstecken müssen. Ein wenig mehr Kampferfahrung wäre ohnehin nicht schlecht, besonders, wenn einen ständiges Ausweichen nicht dem eigentlichen Ziel näherbrachte.


    Asny sammelte etwas mehr Speichel in ihrem Mund und spuckte ihn schließlich, vermischt mit ordentlich Blut, neben einen Strauch in ähnlicher Farbe blühender Rosen. Dann setzte sie sich in Bewegung zur Villa, von der sie eine fast komplette Durchquerung des hortus trennte. Sie würde einer Begegnung mit irgendeinem der Bewohner nicht aus dem Weg gehen, doch auf lächerlich unsinnige Fragen legte sie es ebenso wenig an. 'Was ist denn mit dir geschehen?!' Nach was sah es denn bitte aus? Sie hatte Mars ihre Ehrerbietung erwiesen, wie schon ungezählte Male zuvor. Im Grunde verdiente sie bereits den Beinamen 'Amazone'. Doch wahrscheinlich lag ihr Interessengebiet dafür noch zu weit auch in anderen Bereichen verstreut, über die der rote Kriegsgott eher die Nase rümpfte.
    Ihre zur Gleichmäßigkeit gezwungenen Schritte näherten sie nach und nach dem imposanten Villenbau an, als sie aus dem Winkel ihres blutleeren Auges die Bewegungen einer Gestalt wahrnahm, welche sie auch recht zügig identifizieren konnte. Schließlich gehörte das Wissen um die Bewohner durchaus zu ihrem Aufgabengebiet, wenngleich sie jenen Gestalten wohl den kleinsten Teil ihrer Aufmerksamkeit widmete. Außer, sie verfügten über Fähigkeiten, welche ihr Interesse zu wecken vermochten. Oder das ihres Herrn.
    'Mica' war der Name und sowohl Asny als auch Asa hatten ihn überaus zügig in eine eher niedrig gelegene Kategorie fallen lassen. Soviel süße Niedlichkeit in nur einem Gesicht war schlicht kaum zu ertragen, ebenso wenig wie das Soprangewinsel der Sklavinnen, gleich welchen Alters, wann immer die Rede auf den 'knuffigen Schlingel/Racker/Buschen/Kleinen' kam. Seine Zukunft als Lustsklave war so fest in ihm verankert wie sein weiches, streichelzartes braunes Haar. Und Lustsklaven empfand Asny als noch weitaus überflüssiger denn alle übrigen Sklaven.
    Offenkundig hatte der Kleine gerade nichts Besseres zu tun, als den sorgsam gepflegten Blüten die Köpfe abzureissen. Vielleicht sammelte er die zarten Blätter auch für seine Herrin, die im fortschreitenden Mumifizierungsprozess wehmütig ihrer Tage des Frühlings gedenken wollte. Was auch immer der Anlass sein mochte, Mica schien vollkommen darin versunken, denn wirklich bewusst schlich Asny sich nicht heran. Sie prüfte lediglich den Sonnenstand, damit ihr Schatten ihr die Mühe eines Antippens oder ähnlichem Bemühen um Aufmerksamkeit abnahm. Ihr gegenwärtiges Aussehen würde wahrscheinlich bereits ausreichen, um diesem Pimpf einen gehörigen Schrecken zu verpassen und ihn hakenschlagend davonpreschen zu lassen. Nichts also, das sie fürchterlich viel Zeit kostete.


    Als er sich bereits durch ihren Schatten ertappt zu ihr umwandte, schwebte ihr blutgetränktes Gesicht schon bedrohlich nah über ihm und ein zähflüssiger, tiefroter Tropfen löste sich von ihrem Wangenknochen, um auf das Kinn Micas hinabzufallen und die helle Ebenmäßigkeit seiner jungen Züge zu zerstören.
    "Ich werde dir nicht die überflüssige Frage stellen, was du hier tust. Denn das sehe ich bereits. Ich werde einfach dasselbe mit dir exerzieren und mich anschließend erkundigen, wie es dir behagte." Ihre rechte, blutige Hand glitt langsam und tief durch den dunklen Strom seines Haares, ehe die leise, leicht heisere Stimme unter sanftem Lächeln ergänzte:
    "Du darfst aber nicht schreien. Das vermögen diese Malven schließlich auch nicht zu tun." Inzwischen begannen sich ihre Finger zu einem festen Griff in seinem dunklen Schopf zusammenzuziehen und setzten dazu an, stetig stärker und in beginnendem Schmerz daran zu ziehen. Sollte er versuchen, sich loszureißen, würde er das Unvermeidliche zwangsläufig nurmehr beschleunigen.

  • Es war ein großer Schrecken, der ihn aus seinem Tun riss. Dabei war er doch so vorsichtig gewesen und er hatte sich vergewissert, dass niemand im Garten war. Zumindest nicht in seiner unmittelbaren Nähe. Mica hielt überrascht die Luft an und ließ den Beutel sinken, in dem er seine Beute verstaut hatte. Beute. Sicherlich würde man ihm das nun unterstellen, oder man hielt ihn für einen Cretin, der Blumen hasste, oder für einen Wüstling, der sich seiner Zerstörungswut hingegeben hatte, oder für einen... seine Gedanken rasten, während er zu der jungen Frau hinauf stierte und nicht einmal bemerkte, dass dabei sein Mund aufklappte. Alles in allem bot sich ihm kein schöner Anblick, doch blieb sein Schrei unvermittelt in seiner Kehle stecken, auch wenn etwas dickflüssiges sich auf sein Kinn tropfte. Ein wenig duckte er sich und versuchte rückwärts zu entweichen, doch es war hoffnungslos. Starr vernahm er die Worte, die ankündigten, dass sie keine überflüssigen Fragen über sein Tun stellen würde und dass das Vorhaben, ihm Ähnliches angedeihen zu lassen wie das, was er selber mit den Blumen praktizierte. Ihre Schürfwunden und Blessuren stellten diese Ankündigung definitiv nicht in Frage.
    Asny? Der Name war ihm fast entfallen, doch Mica hatte sich schon des Öfteren gesehen, wenn sie auch zu jenen Anlässen weniger entstellt gewesen war. Das alles drängte nun massiv in den Hintergrund, als eine Hand bedrohlich über seinem Haarschopf schwebte und schließlich in diesen hinein griff.


    Er ächzte heiser. “Du darfst aber nicht schreien. Das vermögen diese Malven schließlich auch nicht zu tun.“ Trotz allem spielte er einen Moment lang mit diesem Gedanken. Doch wenn er schrie, dann würde man ihn hören und das war schlecht. Für jemanden wie ihn war es dann so, als würde man zwischen unerträglicher Hitze und unerträglicher Kälte wählen. Extreme waren schlecht, ganz schlecht! Genauso schlecht wie die Situation an sich, in die er nur hinein geraten war, durch seine Unachtsamkeit. “Au!“, gab er leise von sich, als die Hand ihren Druck verstärkte und ihn so zwang das ganze Ausmaß zu erkennen. Es war wirklich die Sklavin, von der gesagt wurde, dass sie so etwas wie ein Verwalter für den Hausherren war. Nur ihr Äußeres wollte nicht recht zu dieser Tätigkeit passen. War sie verprügelt worden? Unwillkürlich fuhr seine Hand auf die ihre, in dem Versuch, sie aus seinem Haar zu lösen. Woher kam sie so schnell? Alles woran er denken konnte, begann zu kreisen, in einer Geschwindigkeit, die ihn fast schwindelig werden ließ. Die Blütenkelche der Malven, die er noch soeben in der Hand gehalten lassen, rieselten auf den Boden und in dem schneller werdenden Herzschlag lag eindeutig aufkeimende Panik.


    Es war eine Illusion anzunehmen, dass sie ihre Drohung nicht wahr machen würde, so wie sie aussah, doch konnte er in jenem Moment nicht unterscheiden, ob es wirklich diese Drohung war, oder nur ihr Erscheinungsbild, welches ihn in Angst versetzte. Mica atmete heftig durch. Bisher hatte er sich rein gar nichts zu Schulden kommen lassen und war weiter nicht aufgefallen. Das alles stand im Widerspruch zu seinem Verlangen, endlich etwas zu erleben. Nur eben nicht so! Er hatte sich doch nur beschäftigen wollen und es überraschte ihn, dass sich mit einem Mal seine Augen in einem Anflug von Trotz verengten und er sich noch fester um ihre Hand klammerte. Egal, ob sie sich nun für das vermeindliche, ihr selber angetane Übel an einem Unschuldigen rächen wollte, oder ob es ihr tatsächlich um die Malven ging, von denen es hier so viele gab, dass es sicher nicht einmal den Bienen ihr Verschwinden auffallen würde. “Aber das sind nur Malven!“, presste er dann heraus, ehe er nachgab. Die Herrin würde das sicher auch anders sehen und es war ihm bei Weitem lieber jetzt verprügelt zu werden, als bei ihr in das Licht des Interesses gezerrt zu werden. Zumal die Erklärung für seine Tat dort noch mehr Elend bringen würde. Wie gut, dass Asny gar nicht erst nach der Tat fragte, was auch das Interesse für das „Warum“ mit einschloss. “Gut, keine Fragen mehr! Hau zu, ich schreie auch nicht!“ Seine Stimme bebte fast, doch es war ihm egal. Mica atmete tief durch, kniff die Augen zusammen, wild entschlossen, es im Mut der Verzweiflung hinter sich zu bringen und blinzelte dann doch. “Aber dann erzählst du es auch nicht der Herrin!“, flüsterte er hinterher. Wenn Prügel das Opfer für das heimliche Interesse an der Pharmazie und des ein oder anderen Geheimnisses war, dann war das sicher ein fairer Preis.

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