Atrium | Metamorphosen - wie aus einem einfachen Jungen ein römischer Bürger wird

  • Es war einige Tage nach den Saturnalien: Alles ging wieder seinen gewohnten Gang. Alles, was an die Feierlichkeiten noch erinnerte, wurde von dienstbaren Geistern, von denen es eine Unzahl in der Villa Flavia gab, fort geräumt oder entsorgt. Die Erinnerung an das Goldne Zeitalter, eine Zeit in der alles besser war und alle gleich waren, verblassten wieder, bis sie in einem Jahr wieder hervorgekramt würden.
    Für mich waren diese vergangen Saturnalien etwas ganz besonders gewesen. Nicht nur, weil es meine ersten als Freigelassene waren, auch weil ich sie in besonderer Erinnerung behalten würde. Zusammen mit den Herrschaftern hatte ich gebacken und gekocht und hatte vielleicht Flavius Gracchus vor einem größeren Übel bewahrt, nachdem er sich in den Finger geschnitten hatte und beinahe das Bewusstsein verloren hätte. Auch wenn andere das Gegenteil behaupteten, konnte sich unser Mahl sehen lassen, was wir mühevoll und unter den größten Kraftanstrengungen, fabriziert hatten.
    Außerdem hatte ich ein Versprechen erhalten, von Flavius Aristides, der sich für die Belange meines Sohnes einsetzen wollte. Der Eintag in die Bürgerliste stand noch aus. Als Kind einer Freigelassenen stand ihm das römische Bürgerrecht zu, was ich ihm keineswegs vorenthalten wollte. In diesen Dingen kannte ich mich nicht aus. Ich hatte noch gut den Tag meiner Freilassung in Erinnerung und auch den Aufwand, der darum gemacht wurde. Die Römer liebten es, jedes kleinste Detail in ihrem Leben in irgendwelchen Akten und Schriften, am besten noch mit Siegel, festzuhalten. Dem musste man sich beugen, wenn man nach ihren Regeln leben wollte. Umso mehr war ich froh, dass man mir Hilfe angeboten hatte.


    Der Tag war noch jung, als ich mit meinem Sohn das Atrium betrat, um zu warten. In der Nacht hatte es geregnet, das impluvium war fast randvoll. Noch war es sehr frisch, Die Wintersonne hatte Mühe, mit ihren schwachen Strahlen die Luft aufzuwärmen. Eigentlich mochte ich den Winter, denn er erinnerte mich an zu Hause. Einzig vermisste ich das Gezwitscher der Vögel und die blühenden Blumen im Garten. Ich musste mich noch einige Wochen gedulden, bis es so weit war.
    Meinen Sohn trug ich auf dem Arm. Er war noch müde und hätte gerne noch etwas geschlafen. Damit er nicht fror, hatte ich ihn in eine wollene Decke eingehüllt.
    Nach einer Weile setzte ich mich auf einen Stuhl. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern. Zuerst hatte ich ja bedenken gehabt, ob ich Aristides wirklich mit meinem Anliegen behelligen sollte. Die Entführung seiner Frau und die Fluch der Sklaven, hatte für große Aufregung gesorgt. Genau zu diesem Zeitpunkt kam dann auch noch ich mit meinen Wünschen. Er hatte aber meine Bitte nicht abgelehnt. Also wartete ich…

  • Von dunklen und düsteren Wolken waren diese Tage für Marcus überschattet; seine Ehefrau war entführt worden, mehrere Sklaven flüchtig, und sein ehemaliger Leibsklave, schon fast Freund, zumindest in früheren Jahren, als er immer ein Schatten von ihm zu sein schien, hatte ihn verraten und sein Vertrauen zur Gänze zerstört; und auch sonst hatten die Parzen im Moment weniger Wohlwollen mit der Familie, wie es schien; nichtsdestotrotz trübte selbst jene Widrigkeiten nicht Marcus' Sinn für Familienloyalität – oder er hielt gerade darum noch eiserner fest als sonst! Und sich um die Angelegenheiten seines Neffens zu kümmern– auch wenn er unehelich war und den Namen eines Freigelassenen tragen würde –, war darum mehr als nur eine Ehrensache für ihn, sondern auch ein persönliches Anliegen, dem Sohn seines Vetters Aquilius wollte er einen guten Start in das Leben verhelfen, damit ihm später alle Türen im Imperium offen standen, ob er Karriere im Militär oder auch der Verwaltung machen wollte, womöglich griff der Junge eines Tages auch nach ganz anderen Sternen im Imperium.


    Darum hatte er auch heute einen Sklaven rufen laßen, der ihm für den Tag half, nämlich ihn in die umständliche und furchtbar unbequeme – da zu heiß – toga zu wickeln, Querfalte dort, Linie hier, Längsfalte hinab, alles ganz so, wie man es heute trug unter dem jetzigen Kaiser, der natürlich genauso Mode gemacht hat, mit der Art und Weise, wie er seine Togen sich anziehen ließ. Derart gewappnet marschierte Marcus schließlich aus seinem cubiculum hinaus und in die Eingangshalle der villa, wo er auch Mutter samt des Jungen sah, der hoffentlich am heutigen Abend ein vollwertiger römischer Bürger war.
    Salve Bridhe!“
    , grüßte er die junge Mutter, den Namen, den sie bei ihrer Freilaßung erhalten hatte, konnte sich Marcus einfach nicht merken. Er trat bis zu ihr heran und guckte in das Gesicht des Jungen.
    „Na, Du, Caius, bereit Bürger zu werden, hm?“
    , fragte er freundlich den Jungen, von dem er freilich des Alters wegen keine Antwort erwartete und sein Ton suggestierte dies auch.

  • Eine Zeitlang starrte ich so vor mich hin. Im Hintergrund konnte ich das geschäftige Treiben der Sklaven erfassen, die damit begonnen hatten, die Räume zu reinigen. Von ihnen schenkte mir kaum einer Beachtung, genauso wenig wie ich ihnen Beachtung schenkte.
    Der Kleine war wieder eingeschlafen. Das frühe Ausstehen hatte ihm gar nicht geschmeckt. Aber jetzt stak er in einer warmen Decke, war satt und zufrieden und wurde von mir gehalten. In Gedanken ließ ich die letzten Monate noch einmal an mir vorüber ziehen. Vom Tag meiner Freilassung an, über dem Tag, an dem mein Kind zur Welt kam, bis heute. Manchmal hielt das Schicksal seltsame Wendungen für uns bereit. Ich hatte noch nicht groß darüber nachgedacht, was einmal aus meinem Sohn werden würde. Wie es sein würde, wenn er einmal erwachsen war. Im Augenblick war er ein kleines schlafendes Bündel in meinen Armen. Bie er einmal groß war, würde noch einige Zeit vergehen. Es lag noch ein langer Weg vor ihm und doch, ehe der Tag zu Ende war, würden ihm sogar noch mehr Rechte zustehen, als sie mir jemals zustehen würden. Dieser Tag würde aus meinem Kind einen Römer machen. Dieser Gedanke aber störte mich nicht. Das Recht, sich Bürger nennen zu dürfen, sollte hoffentlich immer nur ein Segen für ihn sein.


    Bald hörte ich, wie Schritte heran nahten. Ich wandte mich um und erblickte einen in eine Toga gehüllten Mann - Aristides begrüßte mich freundlich. Ich hielt es für angebracht, aufzustehen, bevor er vor mir zum stehen kam.


    Salve dominus! entgegnete ich mit der gleichen Freundlichkeit. Den Kleinen kümmerte es nicht im Geringsten, ob jemand nach ihm sah oder mit ihm sprach. Solange er es schön gemütlich hatte, auf dem Arm seiner Mutter, konnte ihn so leicht nichts aus der Ruhe bringen. Er hatte lediglich nur einmal kurz seine Äuglein geöffnet, wohlig gegähnt und war schnell wieder eingeschlafen.


    Er ist noch sehr müde, heute Morgen. Aber ich denke, ja, antwortete ich. Diarmuid war wahrscheinlich einerlei, was aus ihm heute wurde, solange er sich dabei nur wohl fühlte.

  • Der Junge sah schon drollig aus, auf den Armen seiner Mutter. Marcus hatte schon von je her etwas für Kinder übrig gehabt, natürlich für seine eigenen Kinder ganz besonders, und er war immer traurig gewesen, so wenig von ihnen zu haben; aber womöglich würde sich das in Zukunft doch noch ändern – je nachdem, wie die Parzen es für sein Leben entscheiden würden. Er lächelte freundlich und gutmütig auf den kleinen Jungen herunter und dann auch seine Mutter an und Marcus nickte zufrieden.
    „Ich denke, das Ganze wird auch mehr eine Formsache sein; wir werden auf das forum romanum gehen müßen zu den Bürgerlisten und ihn dann eintragen, mit dem Leumund der gens wird es dadurch auch keine Probleme geben.“
    Zumindest hoffte Marcus das, denn es war auch für ihn das erste Mal, daß er sich um eine solche Angelegenheit kümmerte.
    „Ich würde vorschlagen, Bridhe, das wir die Sänfte nehmen, hm? Ansonsten kommen wir heute wohl dort nicht mehr rechtzeitig an, Togen sind ungemein unpraktisch zum Laufen.“
    Er lächelte gequält verschmitzt und winkte einen Sklaven heran, um diesen für die Sänfte auszuschicken, es wurde auch die große Familiensänfte bereit gemacht, in der mehrere Personen bequem sitzen konnten und die aus dunklem Holz gemacht war, worauf groß und deutlich das Familienwappen der Flavier prangte.
    „Bist Du auch bereit, Bridhe?“
    , fragte er schlußendlich die junge Mutter.

  • Der Junge ließ sich nicht groß stören. Er schlummerte ruhig weiter in meinem Arm. Ich jedoch, die ich überhaupt keine Ahnung davon hatte, wie diese ganze Prozedur von Statten ging, nickte nur, als Aristides mir erklärte, wie einfach es doch war. Nur eine Formsache, meinte er. Ich war wirklich froh, dass er sich überhaupt dieser Sache angenommen hatte. Alleine wäre ich komplett verloren gewesen. Mich schmerzte es schon etwas, dass es nicht der Vater meines Kindes war, der mich begleitete. Aber damit musste ich mich eben einfach abfinden. Ich hatte im Laufe der Zeit gelernt, in allem und jedem das Gute zu entdecken. Das hatte mir schon oft geholfen. Ohne dies hätte ich kaum die schwierigsten Zeiten in meinem Leben überstanden. Nur mit dem Leben zu hadern hätte mich wahrscheinlich irgendwann um den Verstand gebracht.
    Ich nickte auch, als er vorschlug, die Sänfte zu nehmen, um zum forum romanum zu gelangen. Schon immer hatte ich mich gefragt, wer auf die absurde Idee gekommen war, so etwas, wie eine Toga zu erfinden. Sie war nicht nur unpraktisch, sondern sah auch schrecklich unbequem aus. Da lobte ich es mir, eine Frau zu sein und noch dazu keine Römerin. Allerdings in einer Sänfte zu sitzen und nicht neben ihr her laufen zu müssen, daran fand ich schon mehr gefallen. Obwohl immer noch so etwas wie das schlechte Gewissen mitschwang. Während ich in der Sänfte saß, mussten andere, die ich ja größtenteils kannte und die mich auch kannten, durch die Gegend schleppen. Aber vielleicht musste man diesen Gedanken auch einfach nur ausknipsen. Wenn man das tat, war vieles im Leben leichter.


    Ja, ich bin bereit! antwortete ich lächelnd. Schließlich begaben wir uns zur porta, wo die besagte Sänfte und deren Träger bereits auf uns warteten.

  • Mutter und Kind waren wohl soweit und es wurde Zeit, daß sie aufbrachen um die Zukunft des Kindes zu besiegeln, im wahrsten Sinne des Wortes; dem Jungen sollten eines Tages alle Türen offen stehen, selbst wenn er nie die Möglichkeiten haben würde, die sein Vater besaß, der nun mal ein Patrizier war; und dem kleinen Caius würde immer der Makel des Sohnes einer Freigelassenen anhaften, dennoch sollte er wengistens vor dem Gesetz mit einem Römer gleichgestellt sein, was wiederum auch seine Mutter schützen konnte, wenn er dafür später sorgte. In der schweren toga jetzt schon ordentlich schwitzend, machte er sich mit Bridhe auf den Weg zum forum romanum, natürlich in der Sänfte der Flavier.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!