Cubiculum Iunia Serrana

  • "Leider kann ich dir auch nicht wirklich viel über ihn erzählen. Ich weiß, dass er einige Jahre bei der Cohortes Urbanae gedient hat, ein sehr ehrenvoller und manchmal auch gefährlicher Dienst. Zu dieser Zeit war ich selbst jedoch nicht in Rom und hatte daher auch keinen Kontakt zu ihm."


    Silanus tat es leid, dass er Serrana nicht mehr erzählen konnte. Ihr Interesse an ihrer Herkunft und dem Leben ihres Vaters war nur zu verständlich.

  • Serrana hatte Silanus bei seiner Antwort erwartungsvoll angesehen, aber das kleine bisschen Hoffnung in ihren Augen erlosch sehr schnell wieder.


    "Schade." sagte sie leise und schaute auf ihre in ihrem Schoß liegenden Hände, damit man ihrem Gesicht die Enttäuschung nicht allzu deutlich ansah.


    Damit war eine der letzten Möglichkeiten, doch noch etwas über ihren Vater in Erfahrung zu bringen, ausgeschieden. So, wie es aussah, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als das Thema endgültig abzuhaken und darauf zu hoffen, dass es ihren eigenen Kindern später einmal nicht genauso gehen würde.

  • Als Silanus das traurige Gesicht seiner Verwandten sah, tat es ihm unendlich leid, dass er ihr nicht mehr erzählen konnte. Er konnte das alles sehr gut nachvollziehen und überlegte angestrengt, ob es da noch irgendetwas gab, dass er der jungen Frau erzählen oder mit auf den Weg geben konnte. Und da plötzlich…..


    "Ich bilde mir ein, dass ich irgendwann auf alte Aufzeichnungen und Briefe deines Vaters gestoßen bin. Vielleicht können diese dir helfen. Ich werde sie dir von einem Sklaven heraussuchen und bringen lassen."

  • Wie schmal der Grat zwischen Resignation und neuer Hoffnung doch manchmal sein kann. Im ersten Moment glaubte Serrana, sich verhört zu haben, aber dann erhellte sich ihr Gesicht und sie sah Silanus aufgeregt an.


    "Oh, es wäre wundervoll, wenn es diese Briefe irgendwo geben würde. Vielleicht erfahre ich dann endlich ein bisschen mehr über ihn.."


    Während sie sich noch über die neue Möglichkeit freute, wurde Serrana wieder einmal bewusst, wie wenig sie doch im Grunde über ihren Verwandten und seine bisherigen Lebensumstände wusste.


    "Wo bist du eigentlich aufgewachsen? Hier in Rom?"fragte sie vorsichtig nach.

  • "Nein. Meine Kindheit verbrachte ich in Hispania wie die meisten von uns. Aber meine Eltern schickten mich schon sehr früh zu Verwandten nach Achaia und Aegyptus. Dort erhielt ich auch meine schulische Ausbildung. Erst als diese zu Ende war, hat es mich nach Rom verschlagen. Und danach ging eigentlich alles sehr schnell. Ich lernte Decimus Livianus kennen und wurde sein Angestellter und Klient. Vor seinem Aufbruch nach Parthia ermöglichte er mir den Einstieg in die Laufbahn eines Ritters. Es folgte das Tribunat bei der Vigiles, bei der Legio XXII in Alexandria und schließlich das Kommando über die ALA II in Germanien."

  • "Nun, so wie es aussieht, bin ich wohl das einzige Familienmitglied, das noch nie in einem anderen Land gewesen ist." sagte Serrana mit einem leicht wehmütigen Lächeln, nachdem sie Silanus' Erzählung aufmerksam zugehört hatte. Streng genommen kannte sie ja nur Nola und Rom, aber mittlerweile machte ihr das nicht mehr ganz so viel aus, schließlich war sie ja noch jung und würde sicher noch die einer oder andere Gelegenheit zum Reisen bekommen.
    Und auch wenn sie sich mit miltärischen Rängen und Posten nicht allzu gut auskannte, hörte sich die bisherige Laufbahn ihres Verwandten nach einer ziemlichen Bilderbuchkarriere an.


    "Planst du denn jetzt länger in Rom zu bleiben, oder möchtest du lieber wieder in einer der Provinzen zurückkehren?" Eigentlich war Silanus ja durchaus in einem Alter, in dem man sesshaft werden und eine Familie gründen konnte, aber wusste Serrana nicht genau, inwieweit er von dem allgemeinen Heiratsverbot für Soldaten betroffen war.

  • "Leider ist es in meiner Stellung nicht mehr so ohne weiteres möglich seine Zukunft selbst zu planen. Ich komme dort zum Einsatz, wo der Kaiser mich braucht. Sollte er mir ein Kommando in den Provinzen anvertrauen, so werde ich es bestimmt nicht ablehnen."


    Das diese Entscheidungen derzeit nicht der Kaiser, sondern der Praefectus Urbi traf, ließ Silanus einmal außen vor. Solche politischen Details waren für seine Verwandte vermutlich ohnehin uninteressant.


    "Und du Serrana? Hast du nicht auch manchmal Lust etwas mehr von der Welt zu sehen?"

  • Auf diese Antwort hätte sie mit ein wenig Nachdenken natürlich auch kommen können, und so ärgerte sich Serrana mal wieder über ihre immer noch recht ausgeprägte Naivität, die sie zu dieser Frage verleitet hatte.


    "Ja natürlich, ich fürchte meine Frage war ziemlich dumm." sagte sie mit einem leicht verlegenen Lächeln. "Mich würde es auf jeden Fall freuen, wenn du länger in Rom bleiben würdest, schließlich hatten wir bislang kaum Gelegenheit einander etwas besser kennenzulernen." Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu. "Natürlich kannst du das nicht allein bestimmen, aber hast du schon bestimmte Vorstellungen, wie es mit deiner Laufbahn weitergehen soll?"
    Mit seiner Frage trat Silanus bei Serrana natürlich offene Türen ein. "Oh doch, das hätte ich ganz bestimmt." sagte sie eifrig und mit leuchtenden Augen. "Ich würde sehr gern mal andere Länder sehen, bislang kenne ich all die fremden Kulturen nur aus Schriftrollen. Das ist natürlich auch interessant und spannend, aber doch nicht das selbe, als wenn man es mit eigenen Augen sehen kann. Axilla hatte mir ja angeboten, mich mit nach Ägypten zu nehmen, wenn sie im Frühling zurückreist, aber daraus wird wohl nichts mehr werden, jetzt wo Urgulania tot ist." Serrana hielt einen Moment inne und sah Silanus ein wenig unsicher an, da sie keine Ahnung hatte, ob er ebenso um diese ihr selbst unbekannte Verwandte trauerte wie Axilla.
    Und dann war da natürlich die Reise nach Germanien, auf die Sedulus sie in ein paar Monaten mitnehmen wollte...
    Ob das eine günstige Gelegenheit war, um Silanus über ihre Beziehung zu informieren? Serrana biss sich auf die Unterlippe, und überlegte fieberhaft, wie sie das Ganze am besten formulieren konnte. Silanus war ja wirklich nett und zugänglich, aber irgendwie war ihr doch zu peinlich, über ein derart persönliches Thema mit ihm zu sprechen, obwohl er einen Anspruch hatte, darüber Bescheid zu wissen. Andererseits wollte Sedulus doch ohnehin bei Silanus vorsprechen, vielleicht war es da besser dieses offizielle Gespräch abzuwarten. Serrana seufzte unentschlossen auf und entschied dann, noch ein wenig den weiteren Verlauf ihrer Unterhaltung abzuwarten.

  • Silanus nickte anfangs nur und man konnte ihm sofort ansehen, dass sich seine Stimmung sofort verschlechterte. Urgulanias Tod hatte eine große Lücke hinterlassen, die man nicht mehr so rasch auffüllen konnte. Vor allem für Axilla war sie eine wichtige Anlaufstelle und ein Vorbild und dieser plötzliche Verlust hatte Narben hinterlassen.


    "Ja, daraus wird wohl leider vorerst nichts mehr werden. Nun wo Urgulania nicht mehr unter uns weilt ist es mir lieber, Axilla bleibt hier bei uns in Rom. Sie wird zwar früher oder später ohnehin ihren eigenen Willen durchsetzen, aber so lange ich sie hier halten kann, werde ich das auch versuchen.


    Aber wer weiß. Vielleicht habe ich auch irgendwann wieder die Gelegenheit nach Alexandria zu reisen. Dann werde ich bestimmt an dich denken und dich mit mir nehmen."


    Bei den letzten beiden Sätzen rang sich Silanus wieder ein Lächeln ab, um die traurige Stimmung wieder etwas aufzulockern.

  • Der Blick ihres Verwandten schien sich schlagartig zu verdunkeln und Serrana bereute es schon ein wenig, Urgulanias Tod erwähnt zu haben da dieser Silanus auch nahe zu gehen schien.
    Was Axilla anging, konnte sie ihm allerdings nur aus vollem Herzen zustimmen, wenn es nach ihr ging würde sie ihre Cousine nicht so schnell wieder hergeben.


    "Ich wäre auch sehr froh, wenn Axilla hier in Rom bleiben würde. Ich hab sie wirklich sehr gern und würde mich ungern wieder von ihr trennen. Unsere Familie ist ohnehin schon so klein, da möchte ich auf keinen von euch verzichten..."
    Silanus' Angebot, sie mit nach Ägypten zu nehmen, klang in Serranas Ohren natürlich mehr als reizvoll. Vielleicht würde sich die Gelegenheit ja irgendwann noch einmal ergeben.


    "Das wäre sehr schön, vielleicht klappt es ja wirklich irgendwann."

  • Das Häuflein aus verschiedenen Schriftstücken und kleineren Gegenständen wie einer ein wenig abgegriffenen Börse und einem silbernen Anhänger in Form einer Sonne lag jetzt schon eine geraume Zeit auf Serranas Bett und sie selbst saß, mit angewinkelten Beinen dem Rücken an die Wand gepresst, daneben.
    Silanus hatte Wort gehalten und ihr von einem Sklaven eine kleine Kiste mit Hinterlassenschaften ihres Vaters vorbeibringen lassen, und Serrana brauchte eine geraume Weile, bis sie soweit war, die einzelnen Dinge so vorsichtig zu berühren, als könnten diese sich plötzlich und ohne Vorwarnung in Luft auflösen. Langsam nahm sie zuerst die Börse in die Hand und schnupperte an der abgescheuerten Hülle, konnte aber ausser dem schwachen Duft nach altem Leder nichts weiter wahrnehmen. Dann griff sie nach dem Anhänger und drehte ihn im Licht der Öllampe langsam hin und her. Die Sonne war kleiner, als sie sie in Erinnerung hatte, aber trotzdem war sie sich sicher, dass ihre Mutter sie immer um den Hals getragen hatte. Bislang hätten die Dinge auf dem Bett jedem x-beliebigen Menschen gehören können, aber die kurze Erinnerung an ihre Mutter ließ einen immensen Kloß in Serranas Hals anwachsen, daher legte sie den Anhänger schnell wieder zur Seite und griff nach den einzelnen Papieren. Bei den meisten handelte es sich um militärische Bescheinigungen und Urkunden und waren für sie momentan eher weniger interessant. Den persönlichen Briefen schenkte Serrana da schon größere Aufmerksamkeit, und nachdem sie zwei Schreiben von ihr unbekannten iunischen Familienmitgliedern für's erste beiseite gelegt hatte, stieß ihr plötzlich eine Handschrift ins Auge, die ihr unendlich vertraut war, auch wenn sie sie schon seit längerer Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Mit etwas zittrigen Händen rollte Serrana die Schriftrolle vorsichtig auseinander und setzte sich dann ein bisschen näher an die Lampe heran, um den Inhalt besser lesen zu können.


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    Manius Iunius Macro
    Casa Iunia
    Roma



    Salve Macro,



    ich danke dir für deinen Brief und muss gestehen, dass ich wegen deiner Vorwürfe ein wenig verwirrt und mir keiner Schuld bewusst bin. Dieses Schreiben ist das erster aus deiner Hand, dass ich seit über einem Jahr zu Gesicht bekommen habe, daher ist mir nicht klar, wie ich dir bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte antworten sollen. Offenbar scheint da irgendeine Art von Missverständnis vorzuliegen.
    Hier in Nola geht alles seinen gewohnten Gang, deine Tochter ist gesund und kann für eine Siebenjährige schon erstaunlich gut lesen und schreiben, ein Umstand, den ich natürlich nach besten Kräften zu unterstützen versuche. Serrana ist nach wie vor ein stilles und ziemlich ängstliches Kind, aber den Göttern sei Dank scheinen zumindest die ständigen Albträume allmählich nachzulassen, worüber Laevina und ich wirklich sehr froh sind.


    Was nun dein Angebot betrifft, Serrana zu dir nach Rom zu holen, möchte ich dir das folgende ans Herz legen:
    Macro, ich weiß zu schätzen, dass du dich selbst wieder mehr um deine Tochter kümmern willst, und dass deine Verwandten in Rom bereit sind, sie in der Casa Iunia aufzunehmen. Bedenke aber bitte, dass du durch deinen Dienst bei den Cohortes Urbanae nach wie vor zeitlich sehr stark eingebunden bist, und Serrana sich nicht nur an ein völlig neues Umfeld sondern auch zum zweiten Mal in kurzer Zeit an neue Bezugspersonen gewöhnen müsste, die ihr bislang noch vollkommen unbekannt sind.
    Ich verstehe natürlich, dass du verärgert bist, weil meine Frau dir nach wie vor die Schuld am Tod unserer Tochter gibt und dir auch sonst sehr unfreundlich entgegentritt, und kann dich nur um ein gewisses Maß an Verständnis bitten. Laevina erweckt anderen gegenüber gern den Anschein, vollkommen unantastbar zu sein, aber das ist sie nicht. Der plötzliche Tod unserer wundervollen Tochter, nur wenige Jahre, nachdem sie bereits einen ihrer Söhne verloren hatte, hat ihr das Herz gebrochen, auch wenn sie das niemals zugeben würde, und die Existenz eines vermeintlich Schuldigen macht es ihr vermutlich leichter, damit fertig zu werden.
    Macro, ich kann nur an dich appellieren, deine Entscheidung noch einmal zu überdenken und Serrana auch weiterhin bei uns zu lassen. Natürlich sind Laevinas Erziehungsmaßnahmen manchmal ein wenig streng, aber sie würde sich für dein Kind jederzeit in Stücke reissen lassen und auch mir ist die Kleine in den vergangenen zwei Jahren so sehr ans Herz gewachsen, dass es mir sehr schwer fallen würde, mich wieder von ihr zu trennen. Du weißt, dass du hier, zumindest von meiner Seite, immer willkommen bist und deine Tochter jederzeit sehen kannst. Gib mir bitte baldmöglichst Bescheid, wie du dich entschieden hast!


    Mögen die Götter dich und deine Familie beschützen,


    Aulus Marcilius Lento


    Serrana las den Brief ein erstes, dann aber auch noch ein zweites und drittes Mal. Die ersten Tränen waren ihr bereits in die Augen gestiegen, nachdem sie die Handschrift ihres Großvaters erkannt hatte, aber jetzt liefen sie ihr bereits seit geraumer Zeit die Wangen herunter, ohne dass sie sich die Mühe machte, sie zu unterdrücken oder wegzuwischen. In ihrem Innern trafen neue Erkenntnisse auf alte Überzeugungen, und vieles was bislang entweder schwarz oder weiß gewesen war, änderte plötzlich die Farbe und nahm eine undefinierbare Grauschattierung an. Ein paar mal war Serrana versucht, diesen überaus schmerzhaften Prozess einfach zu unterbrechen, entschied sich dann jedoch es auszuhalten und ließ die Tränen einfach weiterfließen, während sie die Knie noch ein wenig enger an ihren Körper zog.

  • "Sehr gut. Dann werde ich dich nun wieder alleine lassen. Ich habe noch einige Dinge zu erledigen und möchte dir auch die Liste baldmöglichst zukommen lassen."


    Er erhob sich wieder und ging Richtung Türe.


    "Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.“


    Dann verließ er mit einem Lächeln das Zimmer seiner jungen Verwandten.

  • Es dauerte länger als gedacht und ein Sklave brachte erst ein paar Tage später die Liste vorbei. Er legte sie auf Serranas Bett und verließ wieder das Zimmer.




    Alle in Rom lebenden Mitglieder der Gens Decima, allen voran
    Marcus Decimus Livianus (Patron)
    Primus Decimus Magnus und Duccia Venusia
    Marcus Decimus Mattiacus


    Alle in Rom lebenden Mitglieder der Gens Germanica, allen voran
    Quintus Germanicus Sedulus (Verlobter von Serrana)
    Medicus Germanicus Avarus


    Wichtige Senatoren:
    Lucius Aelius Quarto
    Marcus Aurelius Corvinus
    Manius Flavius Gracchus
    Titus Aurelius Ursus
    Marcus Vinicius Lucianus
    Lucius Flavius Furianus
    Kaeso Annaeus Modestus
    Manius Tiberius Durus
    Spurius Purgitius Macer
    Publius Matinius Agrippa
    Herius Claudius Menecrates
    Titus Helvetius Geminus
    [strike]Potitus Vescularius Salinator[/strike]


    Tiberius Prudentius Balbus (Praefectus Praetorio)


    Kollegen aus der Administratio:
    Decimus Annaeus Varus
    Gaius Pompeius Imperiosus


    Herius Hadrianus Subdolus (Retter von Decimus Livianus)


    Alle natürlich mit Begleitung. Sollte dir noch jemand einfallen, dann kannst du die Liste gerne erweitern.

  • Ein undefinierbares Geräusch riss sie nach nur wenigen Stunden Schlaf aus ihren Träumen. Für einen kurzen Moment öffnete sie schlaftrunken die Augen, dann rollte sie sich zur anderen Seite hinüber und war fast wieder eingeschlafen, als das Geräusch sich wiederholte, lauter als beim erstem Mal und irgendwie beängstigend.
    Sie setzte sich im Bett auf, lauschte eine Weile in die Dunkelheit und als sie es erneut hörte, glitt sie aus dem Bett, griff mit einer Hand nach ihrer Puppe und eilte auf nackten Füßen aus ihrem Cubiculum, um das Zimmer ihrer Eltern anzusteuern. Normalerweise war es in der kleinen Casa um diese Uhrzeit totenstill, aber in dieser Nacht herrschte eine vollkommen untypische Betriebsamkeit, sie konnte schnell umherhastende Schritte und mehrere Stimmen hören, die sich in gedämpfter Lautstärke unterhielten und alle furchtbar nervös und hektisch klangen. Sie hatte gerade das Atrium betreten, als sich das Geräusch wiederholte und sie es zum erstem Mal als das erkannte, was es in Wirklichkeit war: ein unterdrücktes, langgezogenes und schmerzerfülltes Stöhnen. Sie spürte ganz deutlich, dass sie in ihrem eigenen Interesse sofort umdrehen und sich ihrem Bett die Decke über den Kopf ziehen sollte, aber irgendetwas war stärker und zog sie unweigerlich weiter durch den Innenhof und auf die Stimmen zu. Fast hätte sie dabei ihren Vater übersehen, der ungewohnt still für diesen fröhlichen und meist lautstarken Mann auf einer steinernen Bank des Atriums saß und seinen Kopf in beide Hände vergraben hatte. Ein wenig unschlüssig lief sie ein paar Schritte auf ihn zu, ohne dass er aufsah und sie bemerkte, dann ließ sie die Hand, mit der sie ihn an der Schulter hatte berühren wollen wieder sinken und ging weiter auf das hellerleuchtete Cubiculum ihrer Mutter zu. Während sie sich der Tür näherte, erklang ein neues Stöhnen, schwächer als beim letzten Mal aber nicht weniger furchterregend. Bisher hatte vor allem Neugier ihre Schritte geleitet, aber mit jedem Schritt, den sie sich der Tür und der völlig ungewohnten Betriebsamkeit dahinter näherte, wuchs ihre Unruhe, und eine undefinierbare und in dieser Form noch nie gefühlte kalte Angst ballte sich mit zunehmender Intensität in ihrem Inneren zusammen.
    Unbemerkt von der Leibsklavin ihrer Mutter, die hektisch und mit einer großen Schale in den Händen das Zimmer verließ, schlüpfte sie hinein und näherte sich dem Bett. War das Wasser in der Schale rot gewesen? Nein, da hatte sie sich sicher geirrt. Sie ging langsam und ihre Puppe an sich gepresst ein paar Schritte auf das Bett zu, irritiert durch die Luft im Cubiculum, die stickig und verbraucht war, und in der ein Geruch hing, den sie nicht einordnen konnte.
    Sie war noch ein Stück weit vom Bett und der Gestalt darauf entfernt, als sie im Schein der zahlreichen Öllampen plötzlich das Blut sah und wie angewurzelt und mit weitaufgerissenen Augen stehen blieb. Natürlich hatte sie schon häufiger in ihrem Leben Blut gesehen, wenn sie sich in den Finger geschnitten oder sich die Knie aufgeschlagen hatte, aber hier schien es überall zu sein: auf dem Laken, den umher liegenden Tüchern und den Beinen ihrer Mutter, zwischen denen sich eine weitere Frau zu schaffen machte. Sie wich unwillkürlich ein kleines Stück zurück und obwohl ihr Instinkt ihr sagte, so schnell wie möglich aus dem Zimmer zu rennen, bewegte sie sich , wie von Geisterhand gezogen, langsam zum Kopfende des Bettes, aus dessen Richtung ein erneutes, diesmal jedoch fast unhörbares Stöhnen zu hören war. Als sie so nah an das Bett herangekommen war, dass sie das Kissen und das Haar ihrer Mutter berühren konnte, wandte diese plötzlich den Kopf in ihre Richtung und sah sie an. Ihr entfuhr ein kleiner Ächzlaut des Entsetzens und sie wich ein paar Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Zimmerwand stieß. Das Gesicht ihrer Mutter war so schrecklich blass, beinahe schon weiß, und wirkte fast durchscheinend. Unter ihren sonst so schönen Augen lagen schwarze Schatten, durch die sie riesig erschienen, aber der Ausdruck war dumpf und von der üblichen und so vertrauten Lebendigkeit nichts mehr zu sehen. Selbst ihre Lippen waren weiß, und als sie sich plötzlich öffneten, dachte sie, ihre Mutter wollte etwas sagen, doch es kam kein Ton heraus.
    „Es hilft nichts, nichts hilft, verdammt noch mal….“ hörte sie plötzlich die Stimme der anderen Frau, die sich jetzt vor dem Bett aufrichtete und sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht wischte, bevor sie in ihre Richtung blickte. „Verflucht, was macht denn das Kind hier?“ herrschte sie dann die Sklavin an, die gerade mit einer neuen Schale Wasser ins Zimmer eilte. „Bring sofort die Kleine hier raus und nimm das da mit.“ fügte sie mit einem Seitenblick auf ein blutiges Bündel hinzu, das am Fußende des Bettes lag.
    Sie wollte nicht gehen, sie wollte bei ihrer Mutter bleiben, aber die Hand der Dienerin packte sie und zog sie aller Gegenwehr zum Trotz aus dem Zimmer. Sie waren bereits wieder im Atrium angekommen, als sie einen Blick auf das Bündel werfen konnte, das die Sklavin im anderen Arm hielt. Gebannt starrte sie auf das blutige Stoffhäufchen, und erst, als sie erkannte, dass das, was an dem einem Ende zu sehen war, ein winziger, bläulich verfärbter Fuß war, fing sie an zu schreien und hörte nicht mehr auf.


    ...



    Serrana schrie noch, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte, und erst nachdem sie ganz langsam wieder in die Gegenwart zurückgefunden hatte, verstummte sie wieder und weinte stattdessen leise vor sich hin, während sie sich an Adulas Arm festklammerte, die ruhig neben ihrem Bett hocken blieb.

  • Es war schon Abend, nach der Cena, aber noch nicht so spät, als dass man wirklich damit rechnen musste, jemand könne schon schlafen. Dennoch wusste Axilla, dass Serrana sich in ihr Cubiculum zurückgezogen hatte. Zur Zeit kam sie da ja kaum mehr heraus, wenngleich Axilla nicht so neugierig war und fragte, was sie da denn die ganze Zeit machte. Aber wenn Serrana daheim war, war sie zur Zeit sehr häufig darin wie eingeschlossen.
    Nicht, dass das Axilla gestört hätte. Seit dem Streit im Garten hatten sie beide nicht mehr miteinander wirklich gesprochen – was die Cenae zu einem recht schweigsamen Ereignis gemacht hatte werden lassen – und Axilla war noch nie jemand gewesen, der dann von sich aus wieder Versöhnung gesucht hatte. Was auch größtenteils daran lag, dass sie bis zu ihrem 14. Lebensjahr auf einem Landhof gelebt hatte, auf dem neben ihren Eltern nur die Sklaven gelebt hatten und damit nie die Notwendigkeit bestanden hatte, sich mit jemandem wieder so vertragen zu müssen. Denn wenn sie sich mal gestritten hatte – was selten vorkam – war sie einfach in die umgebende Natur gerannt und sich so eine Auszeit von allem genommen. Und bei ihrer Rückkehr hatte sie einfach so getan, als wäre nie etwas gewesen. Hier in der Stadt allerdings gestaltete sich das alles sehr, sehr schwierig. In Alexandria hatte sie ja schon gelernt, sich mit ihren verwandten auseinanderzusetzen, aber noch immer zog sie sich eher zurück, als irgendwelche Versöhnungen anzustreben. Das war einfach nicht ihre Art.


    Nur in diesem Fall hier ging es nicht anders. Sie musste mit Serrana reden. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig. Aus mehreren Gründen. Da biss die Maus keinen Faden ab. Da musste sie jetzt durch.
    Sie atmete also noch einmal tief durch und klopfte dann an. Als sie sowas wie eine Zustimmung von drinnen hörte, trat Axilla einfach ein und sah sich um. Sie war noch nie in Serranas Cubiculum gewesen, also siegte kurz die Neugier. Es war definitiv ordentlicher als ihr Zimmer. Und es beinhaltete etwas, das in ihrem Zimmer nie einen Platz gefunden hätte: Einen Webstuhl. An dem Serrana saß. Und wob.
    Einen Moment blinzelte Axilla noch, ehe sie ihre Sprache fand. “Hast du einen Augenblick Zeit? Es gibt da ein paar Sachen, die ich gern mit dir besprechen wollte.“
    Was bei den Manen machte Serrana da? So arm, dass sie sich keine Stoffe leisten konnten, war die gens Iunia nun ja auch nicht. Es dauerte noch ein paar Sekunden, bevor Axilla ein Grund einfiel, warum man selber Stoffe weben könnte, und innerlich stöhnte sie auf. Das kam ja auch noch auf sie zu. Verdammter Mist aber auch.

  • Während sich das Schiffchen in ruhigen und gleichmäßigen Bewegungen durch die Fäden des perfekt bespannten Webrahmens schob, ließ Serrana ihre Gedanken einfach fließen und schob nach jeder Reihe zwar automatisch, aber dennoch äusserst sorgfältig mit einem Kamm die Wolle nach unten. Nach einer Weile strich sie mit den Fingern vorsichtig und prüfend über den bereits gewebten Stoff und lächelte zufrieden. Bei ihrer Großmutter war sie durch eine wahrlich harte Schule gegangen und hatte sich während ihrer gemeinsamen Web-Stunden so manchen schmerzhaften Schlag auf die Finger gefallen lassen müssen. Aber das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen, denn Serrana hatte sich im Laufe der Zeit zu einer ausgezeichneten Weberin entwickelt und machte kaum Fehler. Und Fehler waren das letzte, was sie in diesem Stoff sehen wollte, schließlich ging es um ihre Tunica recta, und die musste perfekt sein für die Hochzeit und natürlich auch für Sedulus. Versunken in ihre rosaroten Träumereien von der Zukunft hätte Serrana beinahe das Klopfen an ihrer Tür überhört, und kaum hatte sie mehr instinktiv als bewusst geantwortet, da öffnete sich diese schon und Axilla stand in ihrem Zimmer. Ausgerechnet Axilla, mit der sie seit der ausgesprochen missglückten Aussprache im Garten kaum ein Wort gewechselt hatte. Worüber auch? Ihre Cousine hatte ihr ja schließlich mehr als deutlich gezeigt, was sie von ihr und ihrer Meinung hielt... Ohne, dass sie sich dessen wirklich bewusst war, glitt Serranas Blick über Axillas Körper, und blieb eine Sekunde auf deren Bauchpartie hängen, bevor er wieder nach oben ging.
    Für einen Moment war sie versucht, Axillas Frage zu verneinen und sie einfach wieder aus ihrem Cubiculum zu schicken, aber dann setzte sich doch ihre gute Erziehung gepaart mit einem kleinen bisschen Neugier durch.


    "Ja, komm doch rein." Diese Einladung hätte sicher auch noch etwas freundlicher formuliert werden können, aber so ganz kam Serrana dann doch nicht aus ihrer Haut. Sie wies auf den zweiten Sessel im Raum. "Setz dich, wenn du magst. Soll Adula etwas zu trinken holen?"

  • So schusselig und blind Axilla normalerweise war, den Blick auf ihren Bauch bekam sie sehr genua mit, und als wäre er ein Angriff, wanderte ihre linke Hand wie ein Schutzschild vor ihren Bauchnabel und legte sich dort kurz ab. Axilla hasste es, diese unbewusste Geste immer wieder zu vollziehen, daher nahm sie die Hand auch kaum eine Sekunde, dass sie dort war, wieder weg, aber dennoch war sie kurz dort gewesen, als müsse Axilla das Kind schützen. Verrückter Gedanke, und Axilla schüttelte ganz leicht den Kopf, als könne das diesen konfusen Gedankengang vertreiben.
    “Ähm, nein, ich hab keinen Durst.“
    Axilla kam also näher und ließ ihren Blick dabei über den Stoff gleiten. Ganz akkurat war er gewebt, Reihe an Reihe, nirgends eine Schwachstelle oder gar ein Loch. Ob sie die Fäden auch selber gewebt hatte? Die sahen so gleichmäßig aus, keine Knötchen. Alles in allem sah es so perfekt aus. Und damit ganz anders als alles, was Axilla jemals hinbekommen würde. Sie wusste, wie es funktionierte, nur... bei ihr funktionierte es eben nicht. Sie atmete einmal durch und wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte.
    “Ich werde heiraten“, begann sie also, kaum, dass sie sich gesetzt hatte. Irgendwo musste sie ja anfangen, warum nicht damit? “Und Caius möchte meine Familie gerne kennenlernen. Also dich. Wenn du nichts dagegen einzuwenden hast.“
    Das war vermutlich nichts, womit Serrana gerechnet hatte, aber das eines der beiden großen Themen, die Axilla auf den Nägeln brannten.

  • Serrana, die bereits ihre Hand gehoben hatte, um Adula ein Zeichen zu geben, ließ diese wieder sinken und sah Axilla abwartend an.
    Hätte man sie nach einem plausiblen Grund gefragt, aus dem ihre Cousine nach der üblen Meinungsverschiedenheit der beiden Mädchen ihr Cubiculum aufsuchen könnte, hätte sie wohl einige Schwierigkeiten gehabt, einen solchen zu benennen, aber da sie noch am ehesten auf irgend ein Problem, dass die Casa Iunia betraf, getippt hätte, erwischte sie Axillas Ankündigung völlig überraschend und es gelang ihr auch nicht, dies besonders gut zu verbergen.


    "Oh," brachte sie zuerst nur heraus, gefolgt von einem zaghaften "Das freut mich." Und das war sogar ernst gemeint, denn so sehr sich Serrana auch über ihre Cousine und deren Verhalten geärgert hatte und noch immer ärgerte, eine Hochzeit mit dem Vater ihres Kindes war auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, und würde das Leben aller Beteiligten spürbar erleichtern. Und Caius wollte sie also kennenlernen.... Wer dieser ominöse Caius wohl war? Serrana war mehr als froh, dass sich für Axilla jetzt doch noch der Weg in ein normales bürgerliches Leben als Ehefrau auftat, aber dieser Caius blieb ihr dennoch suspekt. Schön, dass er sich endlich bequemte, seine schwangere Geliebte zu heiraten, aber warum, in der Götter Namen, war ihm das nicht früher eingefallen? Serrana lag bereits eine entsprechende Frage auf den Lippen, aber dann schluckte sie sie doch ungefragt wieder herunter. Vielleicht würde sie ja die Wahrheit erfahren können, ohne sich erneut Axillas Zorn auszusetzen.


    "Nein, ich hab nichts dagegen." sagte sie daher nur schlicht und nickte kurz. "Wie hast du dir dieses Kennenlernen denn vorgestellt? Und was ist mit Silanus?"

  • Na, wirklich zu freuen schien Serrana sich aber nicht. Oder Aber Axilla kannte sie zu wenig, um die mikroskopischen Anzeichen wirklich zu erkennen. Sie sah eigentlich nur das Zögern und Überlegen, und fühlte sich gleich nochmal verunsicherter. Sie fand es nach wie vor keine gute Idee und wäre lieber heute als Morgen mit Archias von hier geflohen. Nur im März ging das ja sowieso nicht, unter dem Marsmond wurde nicht geheiratet. Aber selbst das wäre ihr egal gewesen, Hauptsache, sie wäre bei ihm und würde diese ganzen Erwartungen und Regeln entfliehen können. Axilla fühlte sich so eingeengt und beobachtet, seit sie in Rom war. In Alexandria war das alles viel leichter gewesen. Freier. Sie vermisste die Metropole am Nil richtiggehend. Hier musste sie andauernd aufpassen, wem sie was sagte, wie sie sich gab und wie das bei ihrem Gegenüber ankam. Es erdrückte sie so langsam. Was gäbe sie darum, einfach nur hinauszureiten und den Wind zu fühlen? Wenigstens eine kleine Weile.
    Serrana fragte etwas und Axilla wurde jäh aus ihrem Tagtraum gerissen. Sie kratzte sich kurz verlegen am Unterarm, weil sie unaufmerksam gewesen war, und antwortete dann.
    “Ich werd es Silanus sagen, aber ich weiß nicht, ob er dazukommt. Er kennt ihn ja auch schon, die beiden Arbeiten ja fast nebeneinander. Und er hat ja auch schon sein Einverständnis gegeben.
    Ich dachte, ich lad ihn einfach hierher ein. Er würd uns zwar sicher auch in den Palast einladen, aber ich denke, hier ist das doch auch ganz gut, oder?“
    Vor allem waren hier weniger Augen, die alles genau beobachteten.
    Dass Serrana ja noch nicht wusste, wen Axilla heiratete, daran dachte sie wie üblich im Moment gerade nicht. Für sie war es so klar, dass es nur Archias überhaupt sein konnte, dass sie diese Information einfach vergessen hatte, mitzuteilen und es nichtmal bemerkte.

  • Nun, wenn Silanus sein Einverständnis gegeben hatte, dann konnte "Caius" ja kein komplett indiskutables Mitglied der Gesellschaft sein, dachte Serrana mit nicht geringer Erleichterung. Axlilas Wertmaßstäbe schienen sich schließlich nicht unerheblich von den ihren zu unterscheiden, und wer wusste schon, ob sich das nicht auch auf die Auswahl ihrer Bekanntschaften erstreckte. Und wenn er gemeinsam mit Silanus arbeitete, hatte "Caius" wohl auch einen einigermaßen respektablen Posten inne, denn einem einfachen Laufburschen würde ihr Vetter Axilla wohl kaum zur Frau geben.
    Serrana nickte automatisch zu Axilas wie üblich ein wenig konfusen Ausführungen, aber gegen Ende war sie doch, wie fast immer bei Gesprächen mit Axilla, verwirrt.


    "Natürlich kannst du ihn hierher in die Casa einladen. Alles andere würde wohl auch machbar sein, oder glaubst du, jeder der im Palast arbeitet, darf auch seine Gäste dorthin mitnehmen? Das wäre doch wohl ein wenig zu viel vom Kaiser verlangt..."

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