Athena-Roma: Die Reise zum Mittelpunkt der Erde

  • Ein hektischer Luftstrom flatterte vor Gracchus' Nase, kühle, feuchte Weichheit indes legte sich über seine Stirne und an sein Ohr drang von Ferne her ein Wort, welches den vertrauten Anklang seines Namens in sich trug und doch nicht gänzlich zu ihm wollte gehören. "Herr?" Blinzelnd vertrieb er die trübe Düsternis vor seinen Augen, suchte gleichsam die schattige, nebulöse Wand um seinen Geist zu lichten.
    "Bin ..."
    , krächzte er aus trockener Kehle, in welcher der Geschmack nach Säure und Galle sich hielt.
    "Bin i'h ... tot?"
    Der Tartaros musste dies sein, denn gegenteilig zur Insel der Seeligen, wo jeglicher Schmerz aus dem Leibe wich, barg dieser Qual und Pein allerarten, und neben der rauen Kehle verspürte Gracchus gleichsam ein quälendes Pochen in seinem Kopfe und ein peiniges Stechen in seinem Magen - überdies hatte er ohnehin stets gewusst, dass nach seinem Ableben ein Platz im Tartaros würde auf ihn warten, denn obgleich er fortwährend um die Tugenden sich hatte bemüht, so hatte er doch zu oft versagt, hatte zu viele seiner Verwandten auf dem Gewissen. "Nein, Herr, du hast es überstanden. Wir sind in Brundisium angelangt." Allmählich, doch langsam dämmerte Gracchus die Erinnerung an die Überfahrt, an die unausweichliche Nausea, das flaue Gefühl im Bauch zu Beginn, das Schwanken des Schiffes, das karge Frühstück, welches noch einmal er durch den Kopf sich gehen ließ, sein rebellierender Magen, welcher selbst dann noch sich wollte auf unnatürliche, aufwärtige Art entleeren, als längstens nichts mehr in ihm war, von Innen nach Außen zu kehren sich suchte, den feuchten Film kühler Schweißtropfen, welche in die Augen ihm perlten, vor welchen schwarzfarbene Punkte tanzten, das Klicken und Klacken, von welchem alsbald er nicht mehr konnte differenzieren, ob um oder in seinem Kopfe es war. "Möchtest du dich bis Morgen hier erholen, Herr?" Sorgfältig tupfte Sciurus mit dem feuchten Tuch über Gracchus' Stirne, während neben ihm noch immer ein namenloser Sklave mit einem Fächer Luft bewegte.
    "Wie spät ...?"
    brachte er heiser hervor. "Die zehnte Stunde etwa."
    "Nein ... dann weiter. Bring' mir Wein ... und dann ... weiter."
    Vorwärts, nur vorwärts ging der Weg, Rom entgegen, und nichts würde ihn noch aufhalten können, vornehmlich nicht sein defizitärer Leib, welcher bereits lange genug ihn hatte davon fern gehalten - insbesondere da Gracchus ohnehin auch während der Reise nichts anderes tat als während der nächtlichen Rasten - untätig herumliegen.

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  • Das Reisen war Gracchus seit jeher ein Graus gewesen, ein notwendiges Übel stets, manches mal schlechterdings unabdingbar, doch niemals aus der Sache selbst heraus Grund zu Antrieb und Aufbruch. Ab und an, wenn auch selten, sehnte es ihn danach, ferne Orte zu besuchen, wenige indes nur, wie etwa Athenae, Delphi, Leptis Magna oder Alexandria - Horte des Wissens, der Weisheit und schönen Künste oder adventurösen Hauches -, doch allein der Gedanke an Tage voller Reisetätigkeit schreckte zumeist ihn bereits weit im Voraus ab, noch ehe dies Fernweh sich konnte vertiefen. So ihn dennoch der Zwang befiel, seinen Leib meilenweit zu dislozieren, war das Reiten zu Pferde die von ihm präferierte Fortbewegungsart. Als Patrizier war es ihm stets erspart geblieben, zu Fuß seinen Weg antreten zu müssen, gleichsam stellte er dies sich als überaus mühselige Angelegenheit vor, bei welcher alsbald die Füße, wie Knochen mussten schmerzen, insbesondere dann, wenn zur eigenen Last Gepäck zu transportieren war - eine Fortbewegungsart nuneinmal geschaffen buchstäblich für das Fußvolk. An Grauen war der Gedanke daran nur durch die Realität der Reise mit dem Schiff zu übertreffen - was Gracchus ohnehin als das größte Übel der gesamten Existenz schien, weitaus schlimmer noch ein jedes mal als jede beliebige Qual des Tartaros. Der Reisewagen war ihm ob dessen verleidet, weil auch darin das Hin- und Her-Schaukeln - selbst die beste Aufhängung war nicht gut genug diesbezüglich - beständig an eine Überfahrt mit dem Schiffe ihn erinnerte, dass Hin und Her, das Auf und Ab auf den schäumenden Wogen des Meeres. Die Sänfte - wenn auch für längere Strecken eher uneffektiv - war ihm agreabel, obgleich ohne Gesprächspartner die Reise darin stets ein wenig öde und trist anmutete, der Geist im trägen Verharren ermüdete, der Leib ob der Untätigkeit jedoch nicht im gleichen Maße, so dass der Mensch stets am Rande der Müdigkeit taumelte, doch Schlaf nicht zu finden war, welcher die Reise um einiges würde erträglicher machen, insbesondere gefühlt auch verkürzen. Zu Pferde also war die einzige Art und Weise, welcher Gracchus eine gewisse Pläsier konnte abgewinnen, dem gemächlichen Traben, dem wilden Galopp, dem Ausbrechen vom vorgegebenen Wege, der erhabenen Position, vom Rücken des Tieres aus das Land weithin überblickend. So hatte er ob dessen einige Tage noch vor dem Aufbruch aus Achaia Sciurus eine Stute aussuchen lassen, welche für die Reise nach Rom würde tauglich sein, und jener hatte - wie stets - zur Zufriedenheit dies getan, ein ruhiges, gelassenes Tier gewählt. Indes, es war Gracchus selbst, welcher als nicht tauglich für diese Art der Fortbewegung sich zeigte, verwehrte doch sein Leib ihm auch den hierfür notwendigen Dienst. Zwar hatte er nach einigen unnachgiebig verbissenen Versuchen schlussendlich mithilfe nicht weniger als vierer Sklaven es auf den Rücken des Pferdes hinauf geschafft, ungleich diffiziler jedoch hatte sich gestaltet, die Stute recht zur Bewegung anzuleiten, wie auch hernach den festen Halt zu wahren, war doch stets die Kraft in Gracchus' Beinen gänzlich ungleich verteilt, ohne dass gleichsam er konnte abschätzen wieweit dies der Fall war. Es war ein Glück gewesen, dass jene beschämenden Versuche hinter den Mauern der Villa Rustica Flavia waren verborgen geblieben, und so hatte Gracchus - verstimmt und trübselig ob des Scheiterns wie stets - schlussendlich für die Sänfte sich entschieden, obgleich auch dies ihm noch wurde verleidet, da nicht einmal das beiläufige Studium einiger Schriften ihm war vergönnt. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit zog er darob des öfteren die Vorhänge bei Seite, ließ seinen Blick gleiten durch die bisweilen weite Landschaft Italias, welche in ledrigem Grün und erdigem Braun an ihm vorüber zog, über manch arbeitenden Bauern schweifen, der die sommerliche Ernte einbrachte, doch seine Gedanken weilten stets schon in Rom, bei seiner Familie, und je näher der caput mundi er kam, desto mehr konnte das Sehnen er körperlich in sich verspüren, in Form eines untrüglichen Verlangens nach seiner Gemahlin, welcher die lange Absenz und weite Ferne näher als je zuvor ihn hatten gebracht, nicht nur in Gedanken, sondern auch seinen Leib, welcher ungeduldig darauf drängte, der ehelichen Pflicht nachkommen zu dürfen - die Zeiten hatten augenscheinlich sich gewandelt, und so auch er.

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  • audite


    Nurmehr eine Meile vor der Stadtmauer schob Gracchus, ein wenig defatigiert, das Tuch zu seiner Linken etwas zurück, blickte hinaus in jenes ihm gleichermaßen so unbekannte, wie vertraute Land, blieb mit seiner Aufmerksamkeit sogleich an der unverkennbaren Silhouette hängen.
    "Haltet an"
    , befahl er, und nach einem kurzen Schaukeln kam die Sänfte zum Stillstand, verharrte reglos über dem Boden, gehalten in sicherem Griff der acht Numider mit ihren strammen Waden und kräftiger Arm- und Schultermuskulatur. Indes, Gracchus hatte in diesem Moment keinen Blick für die wohlgeformten, ihn sonstig durchaus entzückenden Leiber der Sklaven, wurde er doch gefangen genommen von jenem funkelnden Juwel in der Ferne, den vage sich abzeichnenden Tempeln und Palästen, dem taumelnden Gewirr aus steinerner Beständigkeit und kaskadierender Lebendigkeit.
    "Noch kann ich umkehren, zurück na'h Achaia, und niemand würde dies bemerken ..."
    , sprach er mehr zu sich selbst denn zu dem Sklaven neben ihm, welcher jedoch die Worte seines Herren zum Anlass nahm, sich zu äußern. "Wovor fürchtest du dich, Herr?" Ein Seufzen entfleuchte Gracchus, ehedem er zu einer Antwort ansetzte.
    "Von mir selbst, Sciurus, nur vor mir selbst."
    Homo homini lupus est - stets hatte Gracchus geglaubt, dies beziehe sich auf den einen Menschen, welcher dem anderen Feind ist, doch mittlerweile wusste er, dass es nur ein Mensch, dass ein jeder sich selbst der schlimmste Feind war, und das jene Befriedung seiner selbst weitaus diffiziler sich gestaltete, als alle Völker der Welt zu einen - was immerhin die römischen Kaiser längst hatten geschafft, zumindest bezüglich der zivilisierten Völker der Welt. Sich selbst jedoch nicht im Wege zu stehen, sich selbst nicht auf die falschen Wege zu senden oder senden glauben zu müssen, sich selbst auf dem eigenen Weg nicht abzudrängen, dies war wohl wahrhaftig eine Kunst, eine Tugend geradezu. Gracchus war sich dessen gewahr, dass er stets würde auf der Hut sein müssen vor sich selbst, dass er widerstehen musste sich selbst, dass sonstig Rom ihn würde verschlingen, womöglich endgültig diesmalig. Gleichsam wusste er, dass es würde schwer sein, peinigend und quälend, wie Tantalos in Sichtweite der Früchte und des Wassers, durstig und hungrig, die er doch nicht würde berühren dürfen, denn gegenteilig zu den Tartaros-Qualen würde niemand sie ihm entziehen, würde gleichsam er an Labung derer ersticken. Nur die noch weitaus größere Pein der Trennung von seiner Familie ließ die Aussicht auf diesen Tanz auf dem Vulkan, auf das Balancieren auf der Felskante des tarpejischen Felsens verblassen, dem fernen Horizont gleich hinter der schimmernden Silhouette Roms.
    "Setzt den Weg fort"
    , befahl er und zog den Vorhang zu, lehnte sich zurück und schloss die Augen, bemüht nicht die Herzschläge zu zählen, welche bis zum Eintreffen würden vergehen, waren es doch noch in ihrer Zahl zu viele.

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  • Wie stets strömten zahllose Personen in die und aus der Stadt, Bauern und Händler, ihre Waren auf den zahllosen Märkten oder in den Straßen zu verkaufen, Einkäufer von Nah und Fern, deren Begehr alle möglichen Arten von Dienstleistung oder Dingen waren, von Geschirr über Sklaven bis hin zu Rohstoffen oder Bauaufträgen, Reisende und Einheimische, Männer, Frauen und Kinder, Alte und Junge, Bettler, Soldaten, Handwerker und Beamte, und vielerlei mehr. Obgleich sie kaum jemanden kontrollierten, trugen die Soldaten der Stadtwache an den Toren doch dazu bei, dass zumindest das Betreten oder Verlassen der Stadt einigermaßen geordnet sich gestaltete, auch wenn spätestens innerhalb der Mauern ihre Macht schwand und der Strom der Passanten in ein Gedränge sich verdichtete, alsbald stockte und löste nach den höchst eigenen Gesetzen der Dynamik ungeordneter Massen. Ein Grund für die Verpropfung war ab und an ein wichtiger Amtsmann mit seinen Liktoren, und auch die Sänften der höheren Stände mit ihren ihnen vorausgehenden Platzschaffern verursachten bisweilen jene Stauungen, so auch die Gracchus', welche sich ihren Weg zur Villa Flavia hin bahnte, deren Insasse jedoch kaum um die Welt um ihn herum sich kümmerte, nur von jenen äußeren, unausweichlichen Einflüssen Notiz nahm, welche bis ins Innere der Sänfte hinein drangen. Der ungustiöse Odeur, welcher bisweilen durch die Stoffbahnen hindurch an Gracchus' Nase gelangte, ließ diese in Unmut ein wenig sich rümpfen, war doch Rom zu dieser Jahreszeit insbesondere in den Tälern noch immer ein stinkender Moloch, gleichsam konnte auch dies nicht seine Vorfreude trüben und ließ ihn nur dessen versichert sein, dass er endlich zuhause war angelangt.


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