Aus dem wallenden Ozean der Menge

  • Out of the rolling ocean the crowd


    Out of the rolling ocean the crowd came a drop gently to me,
    Whispering I love you, before long I die,
    I have travel'd a long way merely to look on you to touch you,
    For I could not die till I once look'd on you,
    For I fear'd I might afterward lose you.
    Now we have met, we have look'd, we are safe,
    Return in peace to the ocean my love,
    I too am part of that ocean my love, we are not so much separated,
    Behold the great rondure, the cohesion of all, how perfect!
    But as for me, for you, the irresistible sea is to separate us,
    As for an hour carrying us diverse, yet cannot carry us diverse forever;
    Be not impatient - a little space - know you I salute the air, the ocean
    and the land,
    Every day at sundown for your dear sake my love


    Walt Whitman 1819-1892


    Die Nacht war stürmisch gewesen. Die ersten Herbststürme kamen über das Land. Der Wind suchte sich pfeifend seinen Weg durch jeden Ritz und jede Fuge. Doch als der Morgen anbrach, war alles vorbei. Nur die windschiefen Bäume, die das Flussufer säumten, erinnerten noch daran, an die heftigen Windböen der letzten Nacht. Selbst das Meer lag still und glatt da. Sanft umspielte ein feiner Wind das dürre Gras, das aus den Dünen hervor lugte. Die Ebbe hatte den Wind wieder mit aufs Meer hinaus getragen, so hätte man meinen können.
    Im Schlick waren Fußspuren zu sehen. Eine Gestalt, in einem grobgewebten wollenen Umhang gehüllt, der sie vor den Kühle des Morgens schützen sollte, war bereits auf dem Weg hinaus, auf das Land, welches das Meer nur für kurze Zeit freigegeben hatte. Sie lief barfuß, um ihre Schuhe zu schonen. Seltsam anmutend waren ihre ersten Schritte in dem nassen Boden. Ihre Füße sanken leicht ein.
    Wie schon so oft versuchte sie ihr Glück und richtete ihre Augen auf dem schlammigen Boden. Ab und an begann sie darin zu scharren. Ihr geübtes Auge hatte ihr schon oft genug einen guten Fang beschert und ihrer Familie ein gutes Abendessen.
    In wenigen Stunden, wenn die Flut zurückkam, waren auch diese Spuren wieder endgültig vergangen. Vergangen, wie so vieles.


    Viel zu früh war ich aufgewacht. Es war noch mitten in der Nacht. Ich hatte wieder einmal geträumt. Mein Traum war so real gewesen. Ich glaubte, den Wind in meinen Haaren zu spüren und das Salz des Meeres auf meinen Lippen zu schmecken. Wieder einmal hatte mich die Sehnsucht ergriffen und ich konnte nichts dagegen tun, als mich ihr wehrlos zu ergeben.
    Ich stand auf, zog mir etwas über und ging hinunter auf die Straße. In ein oder zwei Stunden musste der Ofen entfacht werden, um die Brote darin zu backen. Noch waren kaum Menschen auf den Straßen. Nur das Poltern der Wagen, die in der Nacht in die Stadt hinein fuhren, war nicht zu überhören. Dieses ständige Knattern und Scheppern, ich ignorierte es schon fast ganz. So lange war ich schon hier in dieser unbarmherzigen Stadt, die mich langsam zu verschlingen drohte. Nur ein kleiner Rest von mir war an dem Ort, an dem ich einst entsprungen war. Nacht für Nacht wurde dieser kleine Rest weniger, bis er eines Tages ganz verschwunden war, wie meine Spuren am Strand des Meeres, damals vor so vielen Jahren.
    Nichts gab es hier, was so war, wie der Ort meiner Herkunft. Das Meer war weit fort. Mehrere Stunden musste man gehen, um den Strand zu erreichen. Aber auch dort war alles anders. Das Meer war ein anderes. Eines, welches nicht von Ebbe und Flut beherrscht wurde.
    Ich ging einige Schritte und dann ging ich noch weiter, immer weiter. Der Schein des Mondes wies mir den Weg. Die Zeit war ganz vergessen.
    Bis ich an jenen stinkenden Pfuhl kam, der durch diese Stadt floss und sie in der Mitte teilte. Mein treuer Begleiter spiegelte sich verzerrt darin. Nichts hatte er gemein, mit jenem lebensspendendem blauen Band, das weit hinten in den sanften Hügeln Chill Daras entsprang und sich dann seinen Weg, vorbei an den Hügeln von Tara und der Brú na Bóinne bahnte, um dann in die Weiten des Meeres zu münden. Könnte ich doch nur eines Tage wieder dorthin zurückkehren. Als kleiner Tropfen im riesigen Meer.
    Am Ufer des Tibers verharrte ich und ließ mich nieder. Dabei vergas ich alles um mich. Selbst das wiedergeborene Licht des neuen Tages, das stetig um mich herum zu erstarken begann, bemerkte ich nicht. Endlos lang starrte ich auf das dahinfließende Wasser. Könnte ich nur ein Tropfen sein.

  • Im Wasser erkannte ich mein Spiegelbild. Der ruhelose Fluß, der unerbittlich zum Meer hin drängte, verzerrte es. Trotzallem erkannte ich selbst, aund vor allem, wie ich mich verändert hatte. Die Jahre, die an mir vorbeigezogen waren an mir, hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Zeit hatte mich geformt. Das Gesicht des jungen Mädchens von einst war längst dem einer Frau mittleren Alters gewichen. Das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen hatte Falten in diesem Gesicht hinterlassen.
    Meine Hand griff nach dem Bild im Wasser und als meine Fingerspitzen das Nass erreichten, verschwand es.
    Wie wäre mein Leben anders verlaufen, wäre nicht dieser schicksalhafte Tag vor all den Jahren dazwischen geraten? Diese Frage hatte ich mir schon oft gestellt, hatte jedoch nie eine Antwort darauf gefunden.
    Oft schon hatte ich geglaubt, der Schmerz in mir, das Heimweh und die Sehnsucht würden mich ganz verzehren. Doch in diesem Augenblick schien es unendlich, so unerträglich zu sein. Dabei wäre es so einfach gewesen, sich einfach hinein gleiten zu lassen ins Wasser. Die Strömung würde ihr Übriges tun. Einfach die Augen schließen und sich treiben lassen, wie die Blätter der Bäume, die im Herbst herab in den Bach fielen und auf ihrer langen Reise irgendwann das Meer erreichten.
    Es gab etwas, was mich noch zurück hielt. Ich glaubte zumindest, dass es so war. Mein Sohn! Ich konnte ihn doch nicht einfach zurücklassen! Was für eine Mutter war ich! Aber mein Sohn kannte das Gefühl des Heimwehs nicht. Sein Zuhause war hier. Wie hätte ich ihn entwurzeln können? Ihn zwingen können, in Der Fremde zu leben, wo man ihn vielleicht gar nicht willkommen hieß.
    Von hier ab trennten sich unsere Wege. Er musste seinen gehen und ich meinen. Auch wenn es am Anfang schmerzlich für ihn sein sollte, doch auch er hatte einen Vater, den es noch zu entdecken galt und er konnte auf die Hilfe von Freunden zurückgreifen, auf Catubodus, der in all den Jahren wie ein Vater für ihn gewesen war. Ich jedoch hatte all meine Kraft verloren. Ich konnte ihm nichts mehr geben.
    Vorsichtig berührten meine nackten Fußspitzen das Wasser. ES war kalt, doch ich war unempfindlich für die Kälte geworden. Ganz langsam ließ ich mich hinein gleiten in das Wasser. Die Strömung des Flusses war stark. Sie wollte mich mitnehmen auf ihre Reise zum Meer. Meine Kleider sogen sich voll mit Wasser, was es deutlich erschwerte, über Wasser zu bleiben. Die Wogen des Flusses trugen mich fort, der See entgegen. Bald würde ich wieder zu Hause sein. Ich war ein Tropfen geworden…

  • Langsam ließ sie sich in das kalte Flusswasser gleiten. Für die Kälte war sie unempfindlich geworden. Ihre Tunika und der wollene Umhang sogen sich voll und wurden dadurch schwerer. Diese Schwere war es, die sie hinab in die Tiefe ziehen wollte. Wie die Lämmer, die im Frühjahr zur Schlachtbank geführt wurden, folgte sie dem lockenden Ruf der Stimme, die sie zu hören glaubte und ergab sich ihr. Der Strom nahm sie mit sich. Sie verlor sich in seinen Wogen. Nur das sanfte Mondlicht schien auf sie herab.
    Als sich jedoch ihre Lungen mit Wasser füllten, regte sich doch auf einmal Widerstand. Der letzte Schritt war der schwierigste und es schien so, als verließe sie der Mut, diesen zu tun. Sie kämpfte dagegen an. Letztlich waren es die Gedanken an ihren Sohn, die sie dazu bewogen hatten. Verzweifelt ruderte sie mit ihren Armen im kalten Wasser des Flusses. Dies war nicht ihre Heimat. Fern war Erinn.
    Mit letzter Kraft schaffte sie es doch, den schweren wollenen Umhang abzustreifen. Doch die Kälte war es, die ihr die Kraft entzog. Ihre Glieder wurden so schwer. Ihr Widerstand ließ merklich nach, bis er vollkommen verstummte. So ließ sie sich schwebend, gleitend dahin treiben, wie im Traum.
    Sie kehrte zurück an den Strand ihrer Kindheit, an das wärmende Herdfeuer, an dem sie und ihre Geschwister an den langen Winterabenden immer versammelt waren, wenn ihre Mutter ihnen Geschichten erzählte. Legenden vom Riesen und Feen, von Königen und Druiden, Barden und wilden Ungeheuern. Der Schatz ihrer Geschichten war unendlich.
    So wie die Geschichte vom Lachs der Weisheit, der einst im Fluss Boinne lebte und die neun Nüsse des Wissens verschluckt hatte, die von einem Haselstrauch am Ufer herab ins Wasser gefallen waren. Dadurch wurde er zu dem weisesten der Tiere.
    Daraufhin trachteten viele danach, den Lachs zu fangen, denn derjenige, der vom Fleisch des Fisches kostete wurde selbst weise. Nach sieben Jahren gelang es dem Druiden Finegas den Lachs zu fangen. Seinem Schüler Fionn wies er an, den Fisch zu kochen. Als der dies tat und sich an dem heißen Fisch die Finger verbrannte, leckte Fionn an seiner Brandwunde. Mit einem Male erfüllte ihn der Strom der Weisheit.


    Die Strömung des Flusses treib sie weiter, immer weiter den Fluss hinab. Wie das Blatt eines Baumes. Das Meer war nicht mehr fern. Aber das sollte ihr vorenthalten bleiben...

  • Ich hatte es schon wieder getan. In einem schäbigen Opium-Haus am Fusse des Aventin, war ich ein weiteres Mal dem süssen Vergessen erlegen. Der Morgen kündigte sich bereits an, als ich das Haus verließ, mit einer vagen Übelkeit im Magen, geröteten Augen und der verschwommenen Erinnerung an wundervolle Phantasiegebilde, an tiefschürfende philosophische Diskussionen mit irgendwelchen Wildfremden, an eine selige Nacht im Rausch, halbschwebend zwischen Traum und Wirklichkeit.
    Der anbrechende Tag aber war grausam. Steifbeinig ging ich die Gasse entlang, ich schämte mich, wieder mal schwach geworden zu sein, und durch den Schleier der Benommenheit drangen einzelne Eindrücke häßlich und grob zu mir vor. Der Dreck auf den Strassen, die schwarzen Zahnstummel einer Bettlerin die in einem Abfallhaufen herumwühlte, der modrige Odem des Tiber... Bleich stand der Mond am Himmel, ganz niedrig über den Dächern, dahinter zog eine graue Dämmerung auf. Wenigstens war ich so vorausschauend gewesen, und hatte für meinen Ausflug einen Abend gewählt, auf den ein dienstfreier Tag folgte, ich musste also heute glücklicherweise nicht in die Castra. Langsamen Schrittes schlug ich den Weg zur Casa meiner Familie ein, dort würde ich mich ausschlafen, und meine opiumverrauchte Zivilkleidung wechseln können. (Wenn nur mein Adoptivvater nichts mitbekam!)


    Übernächtig wie ich war, fröstelte ich trotz meiner warmen Lacerna in der kalten Morgenluft. Vor mir lag ein ziemlich gefährlicher Strassenzug, einer der übelsten des Aventin, da beschloss ich doch lieber einen Umweg zu machen. So kam es, dass ich ein Stück entlang des Tiber ging. Morgennebel lag über dem Wasser, der Wind kräuselte die feinen Schleier, trieb sie über der Wasserfläche hin und her wie huschende Lemuren. Das Riedgras raschelte trocken. Irgendwo hörte man Männerstimmen, die sich gegenseitig zuriefen, Fischer wahrscheinlich die schon so früh unterwegs waren, doch der Nebel verhüllte genaueres, machte alles gestaltlos und rätselhaft. Ich stand hier mitten in der riesigen Stadt, und hatte doch das Gefühl, der einzige Mensch auf Erden zu sein. Nachdenklich stieg ich den Ufersaum hinab, achtete nicht darauf, dass ich im Schlick meine Sandalen beschmutzte. Unweit von hier hatte ich mal einen nächtlichen Spaziergang mit Hannibal unternommen..... Trist sah ich hinaus auf das Wasser, und da der Nebel auch das andere Ufer verbarg, hätte ich ebensogut am Rande eines unendlichen Gewässers stehen können, oder des Styx oder des Acheron. Der Fluss machte hier eine Biegung, und die Strömung hatte allen möglichen Müll ans Ufer gespült. In meiner Melancholie erschien mir dies alles sehr symbolisch. Ich hockte mich hin und betrachtete eingehend eine kopflose Puppe, einen kaputten Stiefel, die Scherben eines Terra-Sigilata-Gefässes. Dann nahm ich in paar der runden Kiesel, die hier das Ufer säumten, und begann sie über das Wasser hüpfen zu lassen. Einmal, zweimal, dreimal, viermal sprang der Stein hoch, dann hatte auch ihn der Nebel verschluckt.


    Aber jetzt trieb etwas größeres in mein Blickfeld. Eine alte Decke dachte ich zuerst, Müll der sich in der Stömung zusammengeballt hat. Da hob sich federleicht ein Nebelschleier hinweg und zeigte mir, dass das Ding menschliche Umrisse hatte. Scheiße. Schon wieder eine Leiche im Tiber. Konnten die Mörder ihr Leichen nicht anders entsorgen, konnten die Selbstmörder sich nicht auf eine diskretere Weise umbringen?! (Gut, ich gebe, ich habe aufgrund einer gewissen Episode auf dem Pons Cestius eigentlich nicht das Recht mich darüber zu echauffieren, aber trotzdem, Wasserleichen sind scheußlich, besonders die alten.)
    Diese allerdings schien ganz frisch zu sein. Ein heller Arm tauchte auf, die dazugehörige Hand sah nicht aufgedunsen aus, und einen Moment lang sah ich langes dunkles Haar im Wasser wogen, es umrahmte das schöne und traurige Gesicht einer Frau. Eher wie eine Najade schien sie, die in diesem Augenblick aus ihrer fremden Welt aufgetaucht war, um sogleich wieder zu entschwinden. Oder wie das Hirngespinst eines schmermütigen Poeten. Aber hatte sich da nicht gerade die Hand bewegt, die Finger ein wenig gekrümmt? Ich kniff die Augen zusammen, sah genau hin, doch schon war die Gestalt wieder von Dunst umhüllt.
    Ich zauderte. Es war kalt, und wenn ich jetzt ins Wasser stieg, würde ich mich todsicher erkälten, womöglich sogar abgetrieben werden. Höchstwarscheinlich hatte ich mir die Bewegung sowieso nur eingebildet, oder sie hatte von einer Welle her gestammt, und eine Leiche zu berühren bevor ein Libitinarius sie gereinigt hatte, konnte bekanntlicherweise sehr unangenehme Folgen haben.


    Aber dann warf ich doch schnell meine Lacerna von den Schultern, löste den Gürtel, der mitsamt Dolch schwer zu Boden fiel, und zog mir die Tunika über den Kopf. Brr. Ich fror. Mit ein paar schnellen Schritt entlang des Ufers hatte ich den Schemen wieder eingeholt, ich biss die Zähne zusammen und watete in den Fluss hinein. Erst versanken meine Füße tief im Schlick, dann verlor ich den Boden und tauchte ganz ins eisige Wasser. Ächzend vor Kälte schwamm ich auf die Gestalt zu, nach ein par kräftigen Schwimmstößen war ich nah dran, und da ich mich scheute, eine wahrscheinlich Tote anzufassen, griff ich nach einem Zipfel des Gewandes, das wie eine Wolke um sie herum trieb. Ich krallte die Finger in den Stoff, zog den Körper mühsam hinter mir her und strebte zurück zum Ufer. Mir war so kalt, dass meine Gilder sich ganz taub anfühlten, und die Strömung trieb uns noch ein Stück flussabwärts bis ich endlich wieder Grund unter den Füssen hatte.
    "Bei Plutos stinkendem Atem!" fluchte ich vor mich hin, während ich strauchelnd und mit den Zähnen klappernd die "Najade" an Land zerrte. Sie war groß, und das vollgesogene Gewand machte sie noch schwerer. "Die Pest über alle Mörder dieser Stadt, im Tartarus sollen sie schmoren!! Und erst diese verdammten Selbstmörder, der Cerberus soll sie alle holen!"
    Aber was war es nun, hatte ich es mit dem Opfer eines Verbrechens zu tun, oder mit einer Frau, die freiwillig ins Wasser gegangen war? Lebte sie noch? Triefend und schlammverschmiert, aber jetzt immerhin hellwach, beugte ich mich über das Mädchen aus dem Tiber und suchte nach einem Lebenszeichen.

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Der letzte Funke Leben. Die zaudernde Flamme, sie war fast erloschen. Bald kündete nur noch der abgebrannte Docht von der einst so stolzen Flamme. Niemand würde sich ihrer erinnern. Vergangen wie Rauch. Sie glitt tiefer hinab ins Dunkel. Die Kälte zog sie an einen Ort, der für die Lebenden verborgen lag.


    Vielschöne Frau, du Kleinod von Erinn,
    Komm in mein Wunderland, du Wonnereiche,
    Wo goldgelockt die Glücklichen wandeln!
    Aus sanfter Dämmerung dunkler Wimpern
    Strahlen die Augen der Edlen dir Heil.
    Freund sind dir alle Elfen des Hügels,
    Die weißwangigen, und lächeln dir heiter
    Herzlichen Willkommen und umhegen dich liebreich.
    Liebe ohne Stachel und Lust ohne Gifthauch
    Bietet das Land dir, da sie leidlos wohnen,
    Kummer nicht kennen und niemals sterben.
    Da blühen viel Blumen auf Wiesen und Auen,
    Da rauschen rieselnd die Bächlein zu Tal,
    Und weiße Birken stehn wehend am Strand.
    Lieblicher als Inisfal ist das Land, das ich meine,
    Lauer die Luft und süßer der Trank
    Aus goldenen Bechern der Geisterrunde.
    O folge mir, Frau, unirdische Schönheit
    Leiht deinem Leibe mein duftzarter Kuss.
    Über Fluss und Hügel fliege ich mit dir,
    Noch ehe des Hundes Geheul die Wächter ermuntert,
    Und im silbernen Licht der Sichel des Mondes
    Grüssen noch heut uns mit hellem Jubel
    Singend die Side am bläulichen Hügel
    Und krönen als Königin dich, du Schönste.


    Und sie ergab sich dem. Gleich den Lämmern. Nicht hätte sie mehr aufhalten können. Nichts... außer die Arme, die nach ihr griffen und sie an Land schleppten.
    Die junge Frau hatte längst ihr Bewusstsein verloren. Sie war mehr tot als lebendig. Ihre Lungen waren voller Wasser. Sie war bereit gewesen, den letzten Schritt zu gehen, nach Tír na nÓg.


    Nach einiger Zeit begann sie heftig zu husten. Das Wasser wollte aus ihren Lungen. Das Leben kehrte wieder zurück. Tír na nÓg verschwand in den Nebelschwaden, die über dem Fluss lagen. Hastig rang sie nach Atem.

  • Bleich und kalt lag sie da, das nasse Gewand klebte an ihrem Körper. Auf den ersten Blick jedenfalls konnte ich keine offensichtliche Verletzung erkennen aber auch kein Zeichen dass sie noch nicht über den Styx war. Ich beugte mich noch näher, und konfus kreisten die Gedanken in meinem Kopf – was war zu tun? Ich war doch kein Capsarius. Aber ich hatte mal einen sagen hören, niemand sei tot, solange er nicht warm und tot gleichzeit sei, oder so ähnlich. Und dieses Mädchen war eisig! Bei Herausziehen hatte ich es dann doch nicht mehr vermeiden können sie zu berühren. Ich nahm sie an den Schultern und rüttelte sie, erst zaghaft, dann stärker. Und sie begann zu husten!
    "Tiberinus und Rhea Silvia sei Dank!!"
    Die Stromgötter hatte ihr Opfer freigegeben. Ich zog das von Husten geschüttelte Mädchen hoch, so dass ihr Oberkörper über meinem Arm hing, und klopfte ihr kräftig auf den Rücken als sie das Wasser ausspie. Es war schon verrückt welche Veränderung durch sie ging – eben noch reglos, jetzt kämpfte sie um jeden Atemzug. Ich beschloss keine Zeit zu verlieren, ließ sie wieder los und rannte stromaufwärts wo ich meine Kleider zurückgelassen hatte. Mit dem Bündel im Arm stürzte ich wieder zurück, kniete mich neben sie auf die Kieselsteine.
    "Kannst... kannst du mich hören? Du musst schnell das nasse Zeug ausziehen!"
    Ohne jedweden Hintergedanken begann ich sie von ihrem durchweichten Gewand zu befreien, dann nahm ich meine Tunika und rieb ihre todeskalten Glieder, um sie zu trocknen und ein wenig Leben zurückzubringen. Dem hochmodischen, terakotta-farbenen Kleidungsstück tat das allerdings nicht gut, es war am Ende ganz zerknittert und die seidenen Clavi von den Schlammflecken vollständig ruiniert. Mir schoss auch der Gedanke durch den Kopf, was wohl ein zufälliger Passant denken würde, der uns so sah – er würde mich wahrscheinlich für einen schlimmen Wüstling halten.
    "Hier!" Ich nahm meine Lacerna und legte sie dem Mädchen um. Der Umhang war aus fein gesponnener Ziegenwolle und in einem zu dem Terrakotta korrespondierenden Porphyrrot gehalten, mit einem eingewebten Acanthusmuster am Rand. (Und duftete gut nach Opium.)


    "Kannst du aufstehen?! Wir müssen schnell irgendwohin wo wir uns aufwärmen können!"
    Hektisch rieb ich mich selbst mit der Tunika einigermassen trocken und zog das feuchte Ding wieder an. Auch wenn es jetzt ganz unmöglich aussah, es war besser als im Lendentuch durch die Stadt zu spazieren. Mit klammen Fingern schloss ich die Schnalle meines Gürtels und wandte mich wieder der gestrandeten Najade zu, bot ihr die Hand um aufzustehen, dazu den Arm und meine Schulter um sie hochzuziehen. Ich hoffte nur, dass ich sie nicht die Böschung hochtragen musste.

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Luft strömte wieder in ihre Lungen. Sie atmete. Sie lebte. Noch benommen öffnete sie ihre Augen, die gehofft hatten, Tír na nÓg zu erblicken. Grüne Auen, blühende Blumen und fröhliches Kinderlachen hatte sie erwartet. Ein Himmel der so leuchtend blau war, wie sie ihn nie zuvor hatte erblicken dürfen.
    Ihre Augen brauchten Zeit, sich an das Dämmerlicht des anbrechenden Morgens zu gewöhnen. Verschwommen waren die Bilder, verzerrt die Geräusche. Ein menschliche Stimme. Der Schatten einer Gestalt war über sie gebeugt. Ihr Retter, der auf sie einsprach. Die Worte, so vertraut sie auch klingen mochten, die Bedeutung dahinter konnte sie nicht richtig erfassen.
    Sie blickte in das Gesicht des jungen Mannes, sah seine tiefen blauen Augen und die tropfenden Strähnen seiner blonden Haare, die auf seiner Stirn klebten. Noch hegte sie die Hoffnung, ihr Ziel erreicht zu haben, auch wenn sie sich ihre Umgebung als solches anders vorgestellt hatte.
    "Súile gorm..." *hauchte sie ihm leise entgegen. "I gcás mé?"** Suchend bewegten sich ihre Augen hin und her, um eine Antwort zu finden. Sie lag am Ufer des Flusses. Wo aber war nur das Land der ewigen Jugend? Ernüchternd schloss sie wieder die Augen. Langsam musste sie sich eingestehen, nicht erfolgreich gewesen zu sein. Sie hatte es nicht geschafft, dieses Leben abzustreifen. Stille Tränen rannen über ihre Wangen. Tír na nÓg war irgendwo, nicht aber hier.


    Als sie wieder die Augen aufschlug, erkannte sie wieder den jungen Mann. Er war noch da. Wenigstens er war kein Trugbild gewesen. Nun machte er sich an ihrer Tunika zu schaffen. Er versuchte den nassen Stoff von ihrem Körper zu ziehen, um sie dann mit einem Tuch trocken zu reiben.
    Der bleiche nackte Körper begann zu zittern. Die junge Frau fror. Sie zog eng ihre Beine an ihren Körper heran und hielt schützend ihre Arme dicht verschränkt vor ihren Oberkörper. Nicht nur um gegen die Kälte anzukämpfen. Auch weil sie Angst und Scham empfand, sollte dies ein Schutz sein, vor den Blicken des fremden Mannes. Endgültig war sie nun Morrigans Fängen entglitten. Das Leben kehrte zurück.
    Der Mann, der selbst noch völlig nass war und außer einem Lendentuch nichts weiter trug, überließ ihr seinen wollenen Mantel, der sie wärmen sollte. Sie nahm ihn und wickelte sich damit ein. Wie wohltuend doch die Wärme war!
    Das Tuch mit dem er erst sie und dann sich selbst trocken gerieben hatte, entpuppte sich als seine Tunika, die er sich nun überstreifte. Er sprach weiter mit ihr, in der Sprache, die nicht ihre eigene war, aber die sie in den Jahren seit sie hier war, gelernt hatte. Es fiel ihr noch schwer sich auf das Gesprochene zu konzentrieren. Doch sie verstand, was er ihr mitteilen wollte, als er ihr seine Hand anbot.
    "Danke!" Ihre zitternde Hand griff zögerlich nach der des Mannes und mit ihrer letzten Kraftreserve gelang es ihr, mit seiner Hilfe aufzustehen. Sie stand auf wackligen Beinen und musste befürchten, gleich wieder zusammenzubrechen. Um das zu verhindern stützte sie sich auf die Schulter des Fremden. So konnte es gehen. So konnte sie einige Schritte machen, ohne dabei wieder hinzufallen. Dabei stellten sich ihr einige -fragen, auf die sie keine Antwort wusste. Wohin wollte er eigentlich mit ihr? Wer war ihr Retter und vor allen Dingen wo war sie?



    *= blaue Augen
    **= Wo bin ich?

  • Der Nebel blieb hinter uns zurück, als wir uns vom Fluss entfernten.
    "Gern geschehn" murmelte ich verlegen und hielt die Najade, stützte sie bei jeden Schritt, trug sie beinahe. "Komm, lass uns ein Feuer suchen."
    Durch die Bewegung und die Last auf meiner Schulter wurde mir dann schnell wieder wärmer. Die Strassen waren noch immer beinahe menschenleer, es begegneten uns nur zwei Marktfrauen, die einen Karren mit Rüben vor sich herschoben und uns argwöhnische Blicke zuwarfen, dann ein Besoffener, der aus der Türe einer Schenke taumelte und davonschwankte wie ein Schiff im Sturm.
    Ich fragte mich, was für eine Sprache das wohl gewesen war, in der das Mädchen geredet hatte, als sie wieder zu Bewusstsein gekommen war, es hatte äusserst fremdartig geklungen... und natürlich auch wie es kam, dass sie im Wasser gelandet war, aber die dringlichste Frage von allen war jetzt, wo sie sich auftauen konnte. Zur Casa meiner Familie war es zu weit, also steuerte ich einfach auf die Taverne zu, aus der der Zecher gekommen war.


    "Da können wir uns sicher aufwärmen", meinte ich aufmunternd. Zum Anker stand über dem Eingang, und ein fetter Meeresgott grinste schief auf uns herunter. Mit der Schulter schob ich die Türe auf und verschleppte die Najade in den schäbigen Schankraum. Der Boden war klebrig von verschüttetem Bier, die Wände geschmacklos mit Fischernetzen und Treibgut dekoriert. Eine vollkommen übernächtigte Magd kehrte gerade die Stube aus, sie hob die trüben Augen zu uns tropfenden Gestalten und raunzte: "Wir haben geschlossen!"
    "Ich zahle gut", versprach ich, und wedelte vor ihren Augen mit meiner Eques-Ring geschmückten Hand hin und her. Normalerweise war es mir peinlich so zu protzen, aber das hier war echt wichtig. Komisch eigentlich, aber nachdem ich dieses fremde Mädchen aus dem Tiber gefischt hatte fühlte ich mich plötzlich verantwortlich für ihr Wohlergehen. Es heißt ja, wenn man jemanden rettet, bindet das den Retter an den Geretteten, mehr noch als es den Geretteten an den Retter bindet. Den Eindruck hatte ich im Krieg tatsächlich manchmal gehabt. Und für meine Gemütsverfassung war dieser "Fund" echt ein Glücksfall gewesen, noch vor dem Prandium den Helden spielen zu dürfen, das hatte mich mit ungeahnter Tatkraft und Energie beseelt.
    "Wir brauchen ein Feuer und Decken und – habt ihr auch Zimmer? Ja, dann ein Zimmer mit Ofen und Bett und Decken, und warmer Wein, und zwar schnell bevor das Mädchen hier sich den Tod holt!"


    Die Schankmagd sah mich groß an, erst als ich ihr ein paar Denare auf den Tresen legte, setzte sie sich hurtig in Bewegung. Über einen Innenhof führte sie uns in ein kleines Gästezimmer, es war karg eingerichtet, verfügte aber über eine gemauerte Feuerstelle. Die Najade schaffte ich zum Bett, dann streckte ich meinen Rücken, daraufhin machte ich mich am Kamin zu schaffen. Mit Hilfe eines glühendes Scheites, das die Bedienstete mir brachte, entzündete ich ein Feuer. Ich fütterte es mit Reisig und trockener Rinde aus dem Korb neben dem Kamin, dann mit größeren Holzscheiten bis es ordentlich brannte und eine angenehme Wärme zu verströmen begann.
    "So...", murmelte ich, und rieb mir die Hände über den Flammen. Darauf wandte ich mich ein wenig befangen wieder der Fast-Ertrunkenen zu und erkundigte mich: "Spürst du schon die Wärme?"

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Mit Hilfe des Fremden setzte die junge Frau einen Fuß vor den anderen. Ab und an stolperte sie, denn ihre Füße waren nackt und einige der Kieselsteine waren spitz. Doch ihr Retter sorgte dafür, dass sie nicht stürzte. Den Fluss ließen sie hinter sich und auch den Nebel. Weiter oben auf der Böschung war es besser zu laufen. Doch die Frau hätte sich ohne Hilfe nicht auf den Beinen halten können. Sie war zu sehr erschöpft und müde. Beinahe hätte sie wieder das Bewusstsein verloren. Halb benommen ließ sie sich von ihm mitschleppen. Schemenhaft nur nahm sie ihre Umgebung wahr und auch die Menschen, die ihnen begegneten. Die Stimme des Mannes hatte etwas beruhigendes. Vielleicht sprach er so mit ihr, weil sie ab und an leise schluchzte. Er war ihr in der schlimmsten Stunde ihres Lebens begegnet. Dabei hatte es sich doch so angenehm angefühlt, beim hinübergleiten in die andere Welt. Hätte er sie doch nur gehen lassen!Jetzt aber lag alles in Scherben. Dabei hätte sie ihm gar keine Vorwürfe machen können. Er hatte nur getan, was er für richtig gehalten hatte, weil er ihr helfen wollte. Ihr Leben lag nun in seiner Hand. Sie konnte ihm nur vertrauen und darauf hoffen, dass er es gut mit ihr meinte. Im Grunde war es ihr im Augenblick aber gleichgültig, was mit ihr weiter geschah. Sie war wie ein Baum, dessen Wurzeln man vor langer Zeit aus der Heimaterde gerissen und versucht hatte, ihn an anderer Stelle wieder einzupflanzen. Seitdem hatte sie die unbändige Sehnsucht begleitet. In der vergangenen Nacht war die Sehnsucht so übermächtig groß geworden. Alles hatte sie dafür aufgegeben. Alles....


    Die junge Frau fand sich in einem kleinen Raum wieder. Der Fremde hatte sie auf ein Lager gebettet. Das Kissen und die Decke umschmeichelten sie. Ihre Nase sog den Duft der frischen Bettwäsche ein. Endlich konnte sie sich Ruhe gönnen. Noch zitternd winkelte sie ihre Beine an. Sie fror trotz der Decke, die über ihr lag.
    Der junge Mann gab sich alle erdenkliche Mühe, damit es ihr bald besser ging. Warum er das tat, konnte sie sich nicht erklären. Nur selten hatte sie ein solches selbstloses Verhalten erlebt.
    Sie nahm den Geruch von verbranntem Holz wahr. Das entfachte Feuer im Kamin begann zu knistern. Als Kind hatte sie oft der Mutter zugesehen, wie sie am Morgen das Herdfeuer entfacht hatte. Wenige Jahre später war es dann zu ihrer Aufgabe geworden, das Feuer zu entfachen. Der verbrennende Torf hatte einen eigenen Geruch. Es war so lange her. Wie sie sich danach sehnte!


    Das Feuer gab schnell seine Wärme an das Zimmer ab. Der Fremde konnte mit seinem Werk zufrieden sein. Nun wandte er sich zu ihr.
    "Ja, es wird langsam besser", antwortete sie leise. Ihre Glieder begannen sich zu entspannen. Sie fühlte sich wirklich besser, wenn sie nicht weiter darüber nachdachte, weshalb sie hier war. Sie ließ einige Zeit verstreichen bis sie ihm eine Frage stellte, die sie die ganze Zeit beschäftigt hatte.
    "Warum hast du das getan?" Wahrscheinlich wäre das eher sein Part gewesen, nachzufragen, warum sie das getan hatte. Aber sie war nichts besonderes gewesen, keine Person von Wichtigkeit, die man um jeden Preis retten musste.

  • Ich war froh das zu hören. In beinahe allen Geschichten die ich so kannte, in denen eine Person dramatisch ins Wasser fiel und wieder aufgewärmt werden musste, legte sich dann jemand zu dem Geretteten dazu, um ihm etwas der eigenen Körperwärme abzugeben. Aber hier konnte man wohl mit gutem Gewissen auf solche Maßnahmen verzichten.
    Aus den Tränen, die sie geweint hatte, und dem Umstand dass sie unverletzt war, schloss ich, dass die Frau freiwillig ins Wasser gegangen war. Oder vielleicht sollte ich besser sagen 'willentlich', denn so richtig freiwillig werfen ja wohl die wenigsten ihr Leben weg. Still stocherte ich im Feuer, wusste nicht so recht was ich sagen sollte. Ob sie mir böse war, dass ich ihren Abgang vereitelt hatte? Daran hatte ich vorhin gar nicht gedacht. Ich selbst erinnerte mich heute noch mit großer Dankbarkeit an den unbekannten Zwischenrufer auf dem Pons Cestius, aber bei mir waren damals bloß adoleszente Seelenpein und Furcht vor Callistus' mörderischen Geldeintreibern der Grund gewesen... vielleicht hatte diese Frau, im Gegensatz zu mir damals, das ganze gebührend durchdacht? Es gab ja eine Menge guter Gründe vorzeitig aus dem Leben zu scheiden.
    Warum ich das getan hatte, wollte sie wissen. Komische Frage. Nur ein herzloser Bastard würde eine junge Frau einfach so ertrinken lassen! Ich zuckte die Schultern und gab ihr die naheliegende Antwort.
    "Ich bin Soldat, es ist es meine Pflicht die Bürger Roms zu beschützen wenn ich kann." Das klang hier in dem schäbigen Gasthauszimmer, in meiner schlammigen Tunika, allerdings ein wenig pathetisch. "Auch wenn ich heute eigentlich frei habe.", fügte ich mit einem halben Lächeln hinzu, im Hinblick auf meine zivile Kleidung, die für einen Urbaner nicht gerade angebracht war. Aber ich wollte doch bei meinen nächtlichen Ausschweifungen nicht gleich erkannt werden. (Zudem, immer nur scharlachrot zu tragen, so schön diese Farbe auch ist – wer auch nur einen Hauch von Modebewusstsein besitzt, der wird mir zustimmen das dies eine ästhetische Tortur ist!)


    Mit schlurfendem Schritt trat noch einmal die Schankmagd in das Zimmer, sie trug zwei Decken über dem Arm und Becher mit dampfendem Wein in der Hand. Dankend nahm ich sie ihr ab, worauf sie wieder verschwand.
    "Hier!" Ich reichte der Najade einen der Becher und breitete noch eine zusätzliche Decke über sie. Die andere nahm ich für mich, denn ich wollte endlich meine klamme Tunika loswerden. Neben der Feuerstelle streifte ich sie ab, und mit dem Rücken zum Bett auch den Lendenschurz, dann wickelte ich die Decke fest um mich herum. Viel besser! Die nassen Sachen, auch die Tunika der Najade, hängte ich über einen Stuhl, den ich nah ans Feuer rückte.
    Mit meinem Wein machte ich es mir dann auf den Dielen neben dem Kamin bequem. Ich schloss die Finger um den Becher, genoss die Wärme, die in meine Hände strömte, und den aufsteigenden Dampf, trank einen Schluck der mich auch von innen angenehm aufwärmte.
    "Ich heiße Serapio, übrigens. Das war total seltsam vorhin... im ersten Moment als ich dich gesehen habe, habe ich meinen Augen nicht getraut. Wegen des Nebels und der Dämmerung und so... du hast ausgesehen wie eine Najade. Darf ich fragen wer du bist und warum du... ins Wasser gegangen bist?"

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Soldat war er, auch wenn er nicht so danach aussah. Bisher hatte sie es tunlichst vermieden, sich mit Soldaten oder anderen Vertretern der öffentlichen Ordnung anzulegen. Sie hielt sich verborgen in der Masse. Nur nicht auffallen, war ihre Devise, seit sie auf eigenen Füßen stand. So wie damals, als sie noch Sklavin war und alles dafür getan hatte, nur um nicht Sciurus´ Aufmerksamkeit zu erregen.
    Weil er also Soldat war, hatte er sie gerettet. Und das, obwohl er frei hatte! Die junge Frau verzog ihr ach so trauriges und bemitleidenswertes Gesicht zu einem zarten Lächeln. Welche Ironie dass er ausgerechnet an sie geraten war! Allmählich kam sie zu der Überzeugung an einen ganz anständigen Kerl geraten zu sein. Und trotzdem vermied sie es noch, zu sehr Vertrauen zu schöpfen. Er war immer noch ein Fremder, auch wenn sich ihre Schicksalsfäden zumindest nun einmal gekreuzt hatten.


    Als sich plötzlich die Tür öffnete wurde sie dadurch abgelenkt. Sie sah der eintretenden Frau nach, beobachtete jeden ihrer Handgriffe. Sie wirkte müde. Wahrscheinlich hatte sie die ganze Nacht durchgearbeitet und hätte sich sehnlichst darüber gefreut, endlich Feierabend machen zu können. Aber der Fremde und seine Begleiterin hatten sie daran gehindert, baldmöglichst ihre Arbeit zu beenden. Dass sie jetzt deswegen nicht aus dem Häuschen war, war nur verständlich. Sie selbst kannte das auch. Schließlich hatte sie vor einigen Jahren selbst in einer Taberna gearbeitet. Ohne etwas gesagt zu haben verließ sie dann auch wieder das Zimmer.


    Der Mann reichte ihr einen dampfenden Becher, den sie dankend entgegennahm. Die Wärme begann in ihren Fingerspitzen zu kribbeln. Wie wohltuend es war und erst der warme Wein! Vorsichtig nippte sie daran, um ihre Lippe nicht zu verbrennen. Er breitete noch eine weitere Decke über sie aus und nahm sich die andere. Die junge Frau wandte sich ab, als der Mann begann, sich die feuchten Kleider auszuziehen. Jedoch einen kleinen unauffälligen Seitenblick wagte sie und sah in für einen kurzen Augenblick nackt. Nicht dass es unansehnlich war, was sie sah, wandte sie verlegen schnell ihren Blick wieder ab, bevor er darauf aufmerksam wurde. Lieber hielt sie sich an das heiße Getränk, das sie nun auch von innen zu wärmen begann.


    Serapio, so hieß er, stellte die unausweichlichen Fragen und verglich sie dabei mit einer Najade. Ob das ein Kompliment war? Sie hatte von diesen Wasserwesen gelesen und war erstaunt gewesen, dass man auch hierzulande solche Kreaturen kannte. Im balneum der Villa Flavia war sie ihnen zum ersten Mal begegnet. Dort hatten sie sie in ihren Bann gezogen.
    Doch Serapio hatte ein Anrecht darauf, zu erfahren, wen er gerettet hatte, obwohl er frei hatte und warum das alles erst nötig geworden war. Die junge Frau fragte sich dabei nur, ob er es jemals verstehen konnte, was ihre Beweggründe gewesen waren, warum sie ihr Leben einfach so wegwerfen wollte, obwohl sie es doch im Laufe der Jahre zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatte.
    "Ich heiße Bridhe." Spätestens jetzt sollte ihm bewusst sein, dass es kein römischer Bürger war, den er beschützt hatte. Die junge Frau fragte sich weiter, ob er dies nun zum Anlass nahm, sie weniger zuvorkommend zu behandeln.
    " Ich... ich wollte zurück nach Hause. Ich hatte gehofft, der Fluss trägt mich hinaus zum Meer", erklärte sie, als wäre dies das normalste auf der Welt, wobei sie ihren Blick dann senkte, weil ihr wieder einige Tränen über ihre Wangen rannen.

  • Jetzt weinte sie wieder. Oh je... Diese Traurigkeit, diese Sehnsucht die aus ihrer Stimme sprach, ließen mich nicht unberührt... ehrlich gesagt hatte ich schrecklich Mitleid. Um irgendwas zu tun, suchte ich erst nach meiner Gürteltasche, kramte dann darin nach einem Taschentuch, und tatsächlich, ich fand eines, sogar ein hübsches, es war in einer Ecke verziert mit dem aufgestickten Decimer-Wappen. Das reichte ich der Najade – Bridhe – ganz behutsam, mir war als würde sie sich bei einer stärkeren Erschütterung gleich wieder in Nebel und Tränen auflösen.
    Bridhe, was war das für ein Name? Keiner den ich kannte. Ob ich es mit einer Sklavin zu tun hatte? Sah ganz so aus. Mist, dann würde ich sie ja später noch ihrem Besitzer zurückbringen müssen...
    "Von wo kommst du, Bridhe?" fragte ich voll Sympathie, wenn auch nicht mehr ganz so unbefangen wie zuvor. Es gab da eine Kluft zwischen den Ständen, die sich schwerlich überwinden ließ, für mich bestätigte sich das in der Sache mit Hannibal. Sklaven hatten andere Maßstäbe als wir, lebten direkt neben uns in einer anderen Welt, lernten zu lügen und zu täuschen, ohne böse Absicht, einfach als Überlebensstrategie. (So erklärte ich mir jedenfalls, warum es mit ihm so desaströs gelaufen war.) Aber vielleicht war Bridhe ja auch eine Peregrina, die aus anderem Grund nicht nach Hause konnte?
    "Bist du Sklavin hier in Rom?"

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Bridhe sah wieder auf und wollte sich die Tränen wegwischen. Es war nicht mehr zu ändern. Diese Stadt hielt sie fest und wollte sie einfach nicht mehr aus ihren Klauen entwischen lassen. Das war wie so eine Art Fluch. Wobei sich die junge Frau nicht bewusst gewesen war, was sie so schlimmes getan hatte, dass dies gerechtfertigt war.
    Serapio war ihr zuvor gekommen und reichte ihr ein Taschentuch. Es war keines dieser einfachen schäbigen, die schon unzählige Male benutzt worden waren, ohne dass sie jemals mit Wasser und Seife in Berührung gekommen waren. Es war eines der besseren Sorte, eines das mit einem Wappen bestickt war. Die junge Frau erkannte darin ein Pferd. Aber sie hätte es nicht einer bestimmten Familie zuordnen können. Eigentlich kannte sie nur das Wappen der Flavier.
    Bridhe wischte sich die Tränen ab und versuchte zu lächeln. Was musste Serapio nur von ihr denken, wenn sie ständig nur am heulen war! Mit Sicherheit begann er nicht nur darüber nachzusinnen, wer sie war, auch was sie war, wenn man schon einen so seltsamen Namen trug, wie die junge Frau. Für römische Ohren war er so ungewohnt, wie Bridhe schon oft erlebt hatte. Und sie wusste es ja auch selbst, dass es nicht viele von ihrer Insel gab, die es nach Rom verschlagen hatte. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb Bridhes Heimweh an manchen Tagen ins unermessliche stieg. Jedoch erregte sie oft auch Neugier bei den Menschen, mit denen sie zu tun hatte. Dass dies bei Serapio genauso war, war zu erwarten gewesen.
    "Ich komme von weit her. Jenseits des Meeres. Aus Hibernia." Ihre Augen hatten gestrahlt, als sie den Namen ihrer Heimat aussprach. Für die wenigsten Römer war wohl nachvollziehbar, weshalb man so voller Sehnsucht sein konnte und sich nach einem Land abseits jeglicher Zivilisation verzehren konnte. Allerdings hatte es auch die wenigsten Römer dorthin verschlagen, was durchaus ein Glücksfall war.
    Das Glänzen in Bridhes Augen verschwand ganz schnell wieder, als Serapio eine weitere Frage stellte. Bestürzung trat an seine Stelle. Bestürzung, weil er, der Urbaner, sie für eine Sklavin hielt, womöglich für eine Sklavin, die auf der Flucht war und wegen der Aussichtslosigkeit des Ganzen den letzten Ausweg gesucht hatte. Dabei war es gar nicht so abwegig gewesen, Bridhe war ja einst Sklavin gewesen. Allerdings wusste sie auch genau, was es bedeuten konnte, wenn man sie für eine geflohene Sklavin hielt.
    "Ich? Nein! Ich, ich bin keine Sklavin! Wirklich nicht! Nein!", beteuerte sie nervös.

  • Das war ja mal außergewöhnlich! Ich hatte noch nie jemanden aus Hibernia getroffen, und ich hätte mir eine Person von so barbarischem Ursprung auch viel, nun ja, barbarischer vorgestellt. Fast war ich enttäuscht, dass Bridhe weder Knochen im Haar, noch Kriegsbemalung, nicht mal zottelige Felle trug. Das musste der segensreiche Einfluss römischer Zivilisation sein.
    Meine Erkundigung nach ihrem Stand machte die Frau deutlich nervös, das verstärkte meinen Eindruck es mit einer Sklavin zu tun zu haben. Allerdings hatte ich vorhin am Ufer keine Markierungen an ihrem Körper gesehen, die darauf hinwiesen... aber ich hatte in der Eile auch nicht darauf geachtet. Im Schneidersitz auf den Dielen sitzend, die Decke um mich geschlungen, betrachtete ich Bridhe einen Augenblich lang argwöhnisch und sehr genau. Eigentlich müsste ich jetzt nachfragen, versuchen sie in die Ecke zu drängen... aber sie sah jetzt schon so aufgelöst aus, das würde nur gleich wieder zu Tränen führen, und ich hatte nicht das geringste Bedürfnis diese verzweifelte Frau durch ein Verhör noch verzweifelter zu machen.
    "Mmhm" machte ich neutral und nickte. "Hibernia... das ist ja noch weiter als Britannien... Ich habe bei Strabo darüber gelesen. Was ich mich da gefragt habe: was ist eigentlich der Hintergrund eurer kannibalischen Gebräuche? Ich meine, geht es dabei darum, sich die Kraft der Ahnen einzuverleiben, oder ist das einfach eine praktische Frage, weil die Nahrung so knapp ist?"
    Erwartungsvoll beugte ich mich ein wenig vor, ich war wirklich neugierig, was es mit diesen gruseligen Bräuchen auf sich hatte, und da ich wohl kaum jemals ans Ende der Welt reisen würde, um dort einem Hibernier diese Frage zu stellen, traf es sich gut dass ich hier eine Hibernierin vor mir hatte. Ein anderer, plötzlicher Gedanke ließ mich die Stirn krausen, und voll Unverständnis fragte ich: "Aber... wieso willst du überhaupt dorthin zurück? Fort aus Rom, auf dieses eisige Eiland!"
    Der Name allein ließ ja schon darauf schließen, dass dort immerzu Winter herrschte.

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Ganz ohne Zweifel tat sich die junge Frau schwer, ihre Nervosität erfolgreich zu unterdrücken. Es waren zwar schon Jahre vergangen, seit sie der Sklaverei entkommen war, doch lastete die Erinnerung daran noch immer schwer auf ihr. Ihre derzeitige Situation konnte sie ganz schnell wieder dorthin bringen, woher sie gekommen war. Niemand kannte sie hier oder hätte für die Wahrheit ihrer Aussage bürgen können. Umso erleichterter war sie, als der Urbaner nicht länger danach fragte. Ihre Finger, die sich verkrampft in die Decke eingegraben hatten, entspannten sich wieder.
    Etwas anderes hatte die Aufmerksamkeit Serapios erregt. Bridhes Herkunftsort erschien ihm sehr exotisch zu sein. Zumindest konnte er mit der Bezeichnung Hibernia etwas anfangen, was nicht alltäglich war. Bridhe war des Öfteren auch auf Unwissenheit gestoßen, wenn sie über ihre Herkunft gesprochen hatte. Schon einige Male hatte sie mit Vorurteilen zu kämpfen. Gelegentlich hatte sie auch das Misstrauen der Leute ihr gegenüber spüren können. Was jedoch der Urbaner da sagte, ließ ihren Atem stocken. Allen Anschein nach meinte er alles so, wie er es sagte. Kannibalische Gebräuche! Bridhe konnte es kaum fassen. Obwohl ihr in diesem Zusammenhang auch wieder die Schauermärchen einfielen, die die Alten zu Hause den Kindern erzählten, wenn sie abends nicht zu Bett gehen wollten, von bösen Menschen, die übers Meer kamen und die Kinder mitnahmen um sie später zu fressen. Der jungen Frau lief es jetzt noch eiskalt den Rücken hinunter, wenn sie an die angstvollen Stunden dachte, als sie damals geraubt wurde. Sie hatte tatsächlich geglaubt, genau diesen Menschenfressern ins Netz gegangen zu sein. Erst nachdem man sie an Land gebracht und statt zu verspeisen in einen Käfig gesperrt hatte, wurde ihr langsam klar, dass nichts Wahres an diesen Geschichten war.
    "Wir essen keine Menschen!", entgegnete sie entrüstet. "Genauso wenig wie ihr das tut! Als meine Mutter starb, haben wir sie auf ihre Reise geschickt und nicht gegessen." Allein der Gedanke daran ließ sie erschauern. Wie kam dieser Strabo nur auf so sonderbare Behauptungen? Ob er jemals selbst in Hibernia gewesen war? Wohl kaum! Serapio aber hatte nur das wiedergegeben, was er gelesen hatte. Es waren also nicht zwangsläufig seine Ansichten.
    Für die darauffolgende Frage konnte sie gerade noch Verständnis aufbringen, denn für einen sonnenverwöhnten Südländer, wie es Serapio nun einmal war, konnte selbst der herrlichste hibernische Sommertag nicht warm genug sein. Hibernia als eisiges Eiland zu bezeichnen, war genauso abwegig, wie seine Bewohner des Kannibalismus zu bezichtigen.
    "Éirinn ist kein eisiges Eiland. Die Sommer sind zwar bei Weitem nicht so warm wie in Rom, doch dafür sind die Winter mild. Wir kennen keine Winter mit viel Eis und Schnee." Noch immer hatte sie das Gefühl, sich ihm gegenüber verteidigen zu müssen. Dabei war es doch so offensichtlich, weshalb sie wieder dorthin wollte, auch wenn sie auf diese Weise niemals erfolgreich hätte sein können.
    "Hibernia ist meine Heimat. Deshalb wollte ich da wieder hin," antwortete sie nach einiger Zeit, diesmal wesentlich gefasster als zuvor.
    "Und weil ich weiß, dass ich dorthin niemals wieder zurück kann, hatte ich beschlossen, eine andere Reise anzutreten." Die junge Frau senkte verlegen ihren Blick, vielleicht weil ihr langsam die Tragweite ihres Entschlusses bewusst wurde. Zum Glück ahnte Serapio nicht, dass sie ihren eigenen Sohn zurückgelassen hatte.

  • "Nicht? - Oh, dann entschuldige bitte!"
    Das war mir jetzt aber unangenehm! Der Protest klang so ehrlich, dass ich mir vornahm, dem alten Strabo in Zukunft nicht mehr alles abzunehmen. Womöglich gab es auf dieser Insel verschiedene Barbarenstämme, von denen nur manche Kannibalen waren. Und den schrecklichen Winter dementierte Bridhe ebenfalls.
    "Ach so." Aber ganz überzeugt war ich nicht. Eine Insel im Norden, am Ende der Welt – ohne Schnee und Eis? Allerdings... "Das erinnert mich an etwas anderes, was ich über deine Insel gelesen habe." Ich hatte es aber nicht für bare Münze genommen. "Dass die Wiesen im Sommer angeblich so grün und nahrhaft sein sollen, dass die Kühe einfach platzen, wenn man sie unbeaufsichtigt grasen lässt. Wie angestochene Schweinsblasen. Sag nicht, das stimmt wirklich!"


    Wie sie von ihrer Heimat sprach, so... - wie soll ich sagen – schlicht aber stolz, fand ich es nicht mehr ganz so unbegreiflich, dass Rom sie nicht halten konnte. Aber sich deswegen umbringen zu wollen! Diese Frau schien mir wie eine Figur aus einer Tragödie... schön, verzweifelt, und absolut in ihrem Handeln. Es war bewegend, und auf eine düstere Weise poetisch... und aus den Tiefen meines Geistes begannen Worte aufzusteigen, die der Beginn eines Verses sein könnten. Ich schwieg, während ich versuchte diese Worte festzuhalten, und eine Weile lang herrschte Stille in dem Zimmer, bis auf das Knacken des Feuers.


    "Ich glaube, dass... dass es nicht grundlos war, dass ich dich da im Wasser habe treiben sehen.", sagte ich schließlich nachdenklich. "Ich meine, es war neblig und dämmrig, und das Ufer da ist echt kein belebter Ort, ich war nur dort weil ich, naja, spät, also schon wieder früh aus der Taverne kam, und da runter gestiegen bin um meinen Gedanken nachzuhängen... will sagen, die Chance dass alles so kommt wie es gekommen ist, ist ja eigentlich verschwindend gering. Sicherlich steckt da irgend etwas dahinter. Fortunas Hand... In der Vergangenheit hab ich sie schon oft zu spüren bekommen. Das ist schwer zu erklären. Also, nicht dass ich unbedingt immer jede Menge Glück habe. Aber schon relativ häufig. - Ausser in der Liebe."
    Jetzt hatte ich mich irgendwie in meinen Worten verstrickt. Es war etwas an dieser Morgenstunde nach der Opium-Nacht, und an der verhinderten Selbstmörderin vom Ende der Welt, die Kombination von beidem war so bizarr, es ließ diesen Morgen aus dem gewöhnlichen Rahmen meines Lebens herausfallen. Mir war als könnte ich alles sagen, alles tun, alles was sich nur denken ließ.
    "Also, zum Beispiel wenn es darum geht, etwas zu finden. Etwas bedeutendes. Da habe ich manchmal unverschämtes Glück. Zum Beispiel, als mein Centurio damals in Parthien vermisst wurde. Auf der Rettungsmission bin ich fast über ihn gestolpert. Und das Gebiet war absolut unwegsam, und unübersichtlich und zerklüftet. Oder... à propos gestolpert! Als unser Primus Pilus gegen einen feindlichen General gefochten hat, vor Edessa, da ist der Parther während des Kampfes über mich gestolpert. Das hat man mir jedenfalls später erzählt, ich selbst lag verwundet auf dem Boden und habe nichts davon mitbekommen. Und ich habe einen Haufen solch komischer Zufälle schon erlebt. Manchmal ist es natürlich auch bloß Glück im Unglück."
    Ob sie verstand worauf ich da hinauswollte? Und wollte ich damit wirklich sagen, dass Fortuna damals durch mich gewirkt hatte? Ich war mir nicht sicher, es wäre natürlich schön wenn. (Andererseits hatte ich, voll guter Absichten, auch schon alles andere als Glück gebracht.)


    "Vielleicht kann ich dir ja helfen. Du sagst, du kannst nicht zurück, aber - warum nicht? Ist es, weil dich etwas hier hält, oder wegen der Reise? Es gibt doch Schiffe nach Britannien. Das ist natürlich eine lange, sehr gefahrvolle Passage, aber mit dem Segen Neptuns ist der Weg nicht unmöglich. Und von dort aus müsste man doch eigentlich nach Hibernia übersetzen können, oder nicht?"

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • "Nein!", erklärte sie noch einmal mit Nachdruck, lächelte dann aber mild, als er sich dafür entschuldigte. Ihre Augen ruhten eine Weile auf dem jungen Mann, während sie darüber nachsann, wie es ihr ergangen wäre, wenn sie an seiner Stelle gewesen wäre. Im Grunde waren all diese Geschichten nur auf dem Nährboden der Spekulation gewachsen, um Ängste vor dem Unbekannten zu schüren. Bridhe hatte, wenn auch nicht ganz unfreiwillig, die Chance erhalten, sich von dem Gegenteil zu überzeugen, während Serapio sich lediglich nur auf das stützen konnte, was er irgendwo gelesen hatte.
    Die Augen der jungen Frau erhellten sich wieder, als der Urbaner ein weiteres Kapitel seines angelesenen Wissens von sich gab. Diesmal war es etwas weniger dramatisches, fast schon schmeichelhaftes, fand sie. Tatsächlich war die Gegend, dort wo sie einst gelebt hatte, besonders reich an Weideland. Im fruchtbaren Tal der Bóinne und auf den sanften Hügeln des Umlandes gab es üppige Wiesen an denen sich das Vieh im Sommer laben konnte. Das Land war nicht einfach nur grün. Wenn man genau hinsah, konnte man unzählige Grünschattierungen erkennen. Manche glaubten, bis zu vierzig verschiedene Grüntöne erkennen zu können und hatten sogar Barden dazu veranlasst, Lieder darüber zu singen.
    Die junge Frau begann zu lachen, zum ersten Mal an diesem Tag. "Nein, zum Glück platzen sie nicht! Aber es stimmt, die Wiesen sind unglaublich - grün!"
    Grün. Ein solches Grün hatte sie hier nie wieder entdecken können, obwohl es hier auch Wiesen gab. Das Grün damals im Garten der Flavier, in den sie sich oft geflüchtet hatte, um ihren Schmerz zu ertragen oder um einfach nur für sich sein zu können.
    Langsam senkte Bridhe wieder ihren Blick. Ihre Begeisterung hatte nur einen kurzen Augenblick gehalten. Wieder entstand eine Pause. So gerne sie auch über ihre Heimat sprach, so sehr nagten danach die Erinnerungen an ihr. Und spätestens dann, wenn sie feststellte, dass Jahr um Jahr langsam die Erinnerung an die Gesichter ihrer Geschwister, ihrer Eltern und ihrer Freunde, die sie einst hatte, verblassten, wurde sie noch trauriger.
    Erst Serapios Stimme riss sie aus ihrer Melancholie heraus. Eigentlich klang es recht plausibel, was er sagte. Wer auch immer seine Hand in diesem Spiel gehabt hatte, lag es doch auf der Hand, dass ihre Rettung einen tieferen Sinn haben musste, denn die Chance so früh am Morgen von einem Passanten aus dem Fluss gefischt zu werden, war doch sehr gering.
    "Ich hatte schon öfter diese Art von Glück. Genau dieses Glück im Unglück, von dem du gesprochen hast. Damals, als ich hierher gebracht wurde, da hatte ich Glück und auch später. Auch wenn es kein wirkliches Glück war, das mich hätte wieder zurückbringen können. Aber es hat mein Leben ein wenig - erträglicher gemacht," erwiderte Bridhe nachdenklich.
    Vielleicht hatte alles so kommen müssen, wie es gekommen war. Damals die Sache mit Severus, die Nacht in dem ihr Sohn gezeugt worden war, der letztendlich der Schlüssel zu ihrer Freiheit wurde. Ihr Entschluss die Villa Flavia zu verlassen und die Begegnung mit Catubodus, der ihr bis zuletzt ein guter Gefährte gewesen war, der sich um sie und ihren Sohn gekümmert hatte, als wäre er sein eigener. Und nun die Rettung vor dem Ertrinken, die Rettung vor ihrem Versuch, sich selbst das Leben zu nehmen.
    "Nein, ich kann nicht einfach zurück gehen. Sonst hätte ich schon vor Jahren eines dieser Schiffe bestiegen." An finanziellen Mitteln hätte es ihr dazu nicht gefehlt. In den letzen Jahren hatte sie es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Aber sollte sie es ihm tatsächlich offenbaren, was sie davon abgehalten hatte? Was würde Serapio dann von ihr denken? Eine Mutter, die ihr Kind zurück ließ.
    "Es gibt etwas, was mich hier hält. Vor Jahren habe ich ein Versprechen gegeben. Das ist der Grund."

  • Tatsächlich, sie lachte. Das fand ich ein gutes Zeichen. Wir hatten bei den CU ja immer mal wieder mit Selbstmördern zu tun, und viele davon wirkten so ganz erstarrt, wie tot, obwohl sie noch am Leben waren, richtig unheimlich, zu denen konnte man dann gar nicht mehr durchdringen, egal was man sagte.
    Bridhe nahm meinen Gedanken mit dem Glück auf, aber ganz so einfach wie ich es gerne hätte, schien die Sache hier nicht zu sein. Jedoch, ich gab noch nicht auf, denn ich wollte gar zu gerne ein Retter auf einem weißen Ross sein.
    "Kannst du da denn nicht vielleicht irgendwie... rauskommen? Ich meine natürlich, ohne dich gleich umzubringen.", fragte ich freundlich, in meinem Bemühen hilfreich zu sein. Meine Phantasie malte wilde Bilder vor meinem inneren Auge. Vielleicht hatte sie einen brutalen Ehemann, von dem sie nicht loskam. Oder sie war für immer dem Dienst an einem Götzen in irgendeinem ausländischen Tempel geweiht.
    "Du kannst mir ruhig sagen was es ist. Wir kennen uns ja gar nicht.", fügte ich hinzu, da ich das Gefühl hatte dass es ihr unangenehm war. Das klang zwar, so gesagt, absurd, aber ich finde es manchmal leichter mit Fremden zu reden, nachts, in Tavernen, die man niemals wiedersieht (die Fremden, nicht die Tavernen), als mit Kameraden oder der Familie.
    "Ich will dir wirklich gerne helfen.", bekräftigte ich, und machte ein treuherziges Gesicht, "Allein schon damit ich nicht umsonst in diese stinkige Brühe gesprungen bin."
    Gedankenverloren kratzte ich mich am Knöchel. Nachher würde ich gründlich baden müssen. Der Tiber war so dreckig, angeblich konnte man von dem Wasser eklige Ausschläge bekommen. Ich streckte den Fuß unter der Decke hervor und betrachtete ihn kritisch. Sah (noch) ganz normal aus.

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Rauskommen? Bridhe verstand nicht. Sie sah ihn verblüfft an, als verstünde sie keines seiner Worte. Herauskommen aus dem Versprechen ,das sie gab. Darüber hatte auch schon oft nachgesonnen, war jedoch immer wieder zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Ausweg gab. Sie hatte jedenfalls nie einen entdecken können. Nur der Tod allein konnte sie davon entbinden.
    Serapios Stimme klang aufmunternd, so als gäbe es für jedes Problem eine Lösung. Also auf für ihres. Wenn es doch so einfach gewesen wäre! Doch er kannte nicht die Hintergründe. Er wollte ihr helfen, versuchte sie davon zu überzeugen, dass es besser war, darüber zu sprechen, was sie zu dieser Tat getrieben hatte. Jedoch sperrte sich alles in ihr. Sie konnte nicht! Selbst dann, wenn sie sich nicht kannten, würde er nach ihrem Geständnis eine Meinung haben. Dann würde er die Gewissheit haben, einer Frau geholfen zu haben, die ihr eigenes Kind im Stich gelassen hatte.
    Bridhe rang mit sich selbst. Was sollte sie nur tun? Je länger er auf sie einsprach, desto unsicherer wurde sie, was das Beste war, zu reden oder alles zu unterdrücken, so wie sie es schon seit Jahren getan hatte. Catubodus hatte sie niemals danach gefragt, warum sie nicht mehr zurück in ihre Heimat ging. Es war selbstverständlich gewesen, dass sie da war. Für ihn selbst hatte es auch nie mehr ein Zurück gegeben. Vielleicht war das der Grund. Bridhe war nun aus diesem Kreis ausgebrochen, weil die Sehnsucht zu stark geworden war.
    "Es... es geht nicht, weil... es ist... es ist... Ich habe ein Kind." Sie hatte sich schwer getan, es auszusprechen. Noch ehe das letzte Wort über ihre Lippen gekommen war, war es ihr schon wieder peinlich gewesen, sich vor diesem Fremden so enthüllte. Verschämt senkte sie wieder ihren Blick. Sie hoffte nur, er würde sie nun nicht wütend davonjagen und übel beschimpfen.

  • "Oh."
    Bona Dea, kein Wunder dass sie nicht damit hatte rausrücken wollen. Einen Augenblick lang starrte ich sie erschrocken an, sah wie sie die Augen niederschlug und sich anscheinend sehr schämte. Zu recht! Eine Mutter sollte ihr eigenes Kind nicht im Stich lassen. Ich trank einen großen Schluck von meinem Wein, der mittlerweile nur noch lauwarm war, und versuchte damit auch meine Empörung herunterzuschlucken. Wenn ich daran dachte, wie hart mich der Tod meiner Mutter getroffen hatte, und dabei war ich da schon beinahe erwachsen gewesen! Ich biss mir auf die Lippen, um jetzt nichts falsches zu sagen. Natürlich gab es eine Menge Mütter, die ihre Kinder im Stich ließen, manche schickten sie zum Betteln und Stehlen auf die Strasse, andere vernachlässigten sie, weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren... aber sich zu töten... das war doch eine ganz andere Dimension! Diese Frau musste ganz entsetzlich verzweifelt sein, wenn selbst die Sorge um ihr Kind sie nicht von diesem Schritt hatte abhalten können. Als würde ein kalter Wind mich anwehen... das war monströs.
    Ich nahm an, dass der Vater des Kindes wahrscheinlich nicht damit einverstanden war, dass Bridhe es mit sich nach Hibernia nähme – wer sähe sein Kind schon gerne unter Barbaren aufwachsen – und dass das die Wurzel des Dilemmas war.
    "Du solltest dich jetzt noch etwas ausruhen, Bridhe.", sagte ich dann ziemlich reserviert. "Und danach werde ich dich zurück zu deiner Familie begleiten!"
    Meine Zuversicht, irgendwie helfen zu können, hatte einen gewaltigen Dämpfer erhalten. Vor dem Abgrund, der sich da auftat, fühlte ich mich machtlos.

    cp-tribunuscohortispraetori.png decima.png

    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!