Kapitel I – die Ankunft
Das Erste, woran ich mich in meinem Leben erinnern kann, ist das Lachen meiner Mutter. Wie eine distante Erinnerung ist es nun, doch es ist das einzige aus dem ganzen Gesicht meiner Mutter, das ich noch nicht vergessen habe. Man hat mir gesagt, sie wäre eine schöne, elegante Frau gewesen, mit feinen Gesichtszügen, einem sympathischen Gesicht, dem man ansah, dass die Besitzerin viel lachte. Sie hieß Calpurnia Fausta, eine Frau, die abstammte von der Gens Calpurnia, und zwar aus dem pisonischen Zweig – nicht etwa dem der Caesonini, dem der Bestiae, dem der Bibuli, der Flammae, der Frugines, oder einem anderen Zweig, wie sie immer stolz betonte. Ihr Vater hieß Aulus Calpurnius Piso, nach ihm bin ich benannt. Mein Vater hatte meine Mutter nicht dazu überzeugen können, mich nach ihm selber zu benennen, und so trage ich einen calpurnischen Namen. Eigentlich bin ich stolz auf meinen Namen, welcher eine solch lange Geschichte hat. Auch wenn mein Vater nur zähneknirschend es erlaubt hatte.
Meine Mutter war die einzige, die meinem Vater zwei Kinder gebar. Mich und Vera. Sie war die Frau, mit der mein Vater am Längsten verheiratet war. Was auch erklärte, warum ich mich noch an meine Mutter erinnere. Ich war noch alt genug, als sie damals verschwand, um mir genug von ihr in mein Gedächtnis zu brennen, um sie jetzt noch vor mir zu sehen. Allerdings ohne ihrem Gesicht – bis auch ihr Lachen.
Als Vera geboren wurde, beziehungsweise kurz nachher, verließ uns Mutter. Auf immer. Vater erzählte uns, sie ist weggerannt. Nach Britannien, sie ist dort mit einem Ritter durchgebrannt. Fast 20 Jahre später besuchte ich Londinium, wo ein Verwandter meiner Mutter, Mamercus Calpurnius Valens, lebte, ein Onkel 2. Grades von mir. Er nahm mich herzlich auf, wusste aber nichts von meiner Mutter. Wäre sie nach Britannien jemals gekommen, würde er etwas davon wissen, hatte er mir beteuert, er war sich sicher, sie konnte nie nach Britannien gekommen sein. Als ich meinem Vater davon erzählte, lachte dieser. Humbug sei dies, er wüsste, meine Mutter lebt sicher und behütet auf der Insel. Ich habe sie aber nie gefunden, so verzweifelt und lange ich auch gesucht habe.
Ich habe viel geweint an dem Tag, als Mutter uns verließ. Ich war so sauer auf sie. Ich bin es heute noch. Wir waren kleine Kinder. Wie konnte sie uns im Stich lassen? Sehr lange beschäftigten mich diese Fragen, und ich bin noch immer zu keiner befriedigenden Konklusion gekommen. Dazu die mysteriösen Aussagen meines Onkels Valens. Was hat dies zu bedeuten? Mein Onkel versicherte mir, meine Mutter, hätte ihm sicher eine Nachrciht zukommen lassen. „Fausta hat mir immer vertraut, sie muss wissen, dass ich sie unterstützen würde, wenn ich könnte!“, versicherte er mir in aller Ausdrücklichkeit, die mich beunruhigte. Valens muss sich irren, oder meine Mutter war gar nicht nach Britannien geflohen. Was heißen würde, dass mein Vater sich irrt. Ich bin mir sehr unsicher über diese Sache, weiß nicht, was ich darüber denken soll.
Meine Mutter hatte, als sie uns verließ, kaum etwas mitgenommen, hatte viele von den Sachen, die ihr besonders viel bedeutet hatten, einfach daheim gelassen, scheinbar ohne sich zu scheren. Und das war nicht der einzelne rätselhafte Umstand, unter dem sie verschwand. Eine alte Nachbarin beteuerte, dass am Abend vor Mutters Flucht etwas seltsames geschehen war. Da hatten meine Eltern zusammen das Haus verlassen, scheinbar in friedvoller Eintracht, nachdem wir, die Kinder, uns schlafen gelegt hatten. Dann aber ging die Nachbarin schlafen. Und was sonst in der Nacht passiert ist, weiß niemand. Ich kann mir keinen Reim machen, die ganzen Puzzlestücke kann ich nicht zusammensetz-------------
Die Kutsche stoppte mit einem abrupten Halt, und Piso verzog seine Feder. Grantig blickte er auf das Pergament, das vor ihm lag, und auf dass er seine privaten Überlegungen aufgeschrieben hatte. Er atmete tief auf und blickte zu seinem Leibsklaven. „Sind wir schon da?“, fragte er den Kelten mit der hässlichen Nase, Cassivellaunus. „Ja, Herr.“, antwortete der Kleine. "Wir sind in Ravenna, vor der Villa deines Vaters.“ „Na, das kann heiter werden.“, seufzte Piso. Cassivellaunus seufzte ebenfalls, aber nur, weil er aufstehen nun musste und seinem Herrn die Tür aufzuhalten hatte. Piso gähnte kurz, dann stieg er aus.
Vor sich lag er die Villa seines Vaters liegen. Ein bisschen außerhalb von der Stadtmitte, zusammen mit ein paar anderen Villen, welche ebenfalls hier lagen. Er sah das ravenner Landgut der Aelier direkt neben ihnen, und vor ihnen das der Flavier. Beherzt machte er einige Schritte darauf zu, bevor er stehen blieben. Tief atmete er durch. Mehrere Male. Er schloss seine Augen. Dann öffnete er sie wieder, weit und starr. Er setzte sich wieder in Bewegung. Weit waren seine Schritte, mit denen er sich zur Haustür hinbegab, wo er, noch halb aus dem Schwung des Gehens heraus, anklopfte.