cubiculum MAC | Gewitternacht

  • Ein grelles Leuchten erhellte den Raum und überzog die Möbel mit einem flüchtigen, gespenstischen Schein. Dann war alles wieder dunkel. Kurz darauf war ein finsteres Grollen zu hören, ganz so, wie es der Cerberos selbst ausstoßen mochte. Meine Mutter hatte mir früher stets weißmachen wollen, dass die Götter in ihrem Himmelsreich mit großen, unförmigen Bauklötzen spielten, doch ich hatte mich schon früh von dieser Vorstellung verabschiedet. Gewitter waren nichts, was ich mochte, doch Angst hatte ich auch nicht. Sie waren mir unangenehm, und seit ich Geschichten von auf dem Felde erschlagenen Bauern gehört hatte, vermied ich es, hinauszugehen, wenn Iuppiter seine Blitze schleuderte. Doch jetzt, da ich im Bett lag und Siv sich in meinem Arm befand, war es beinahe beruhigend, wie es draußen gluckste und rauschte. Hinzu mochte noch kommen, dass ich mit Orest getrunken hatte und darob meine Sinne nicht gänzlich geschärft waren.


    Ich konzentrierte mich auf das leise Prasseln, das entstand, wenn eine plötzlich aufkommende Windbö die Regentropfen an die dünngeschabte Tierhaut warf, die das Fenster überzog. Ich konzentrierte mich auch auf Sivs viel gleichmäßigere Atemzüge. Es war ein schlimmer Tag gewesen. Siv war wortlos zu mir gekommen und ich hatte sie mit in mein Bett genommen. Seitdem lagen wir hier und sprachen nicht. Es war keine bedrückende Stille, sondern eine ernsthaft traurige. Ab und an drehte ich den Kopf und drückte einen Kuss in ihr Haar oder auf ihre Stirn, hin und wieder seufzte ich leise. "Titus kommt sicher nach Hause, so schnell es geht", sagte ich, gedanklich bei meinem Neffen. Ausnahmsweise einmal passte das Wetter zu den Begebenheiten des Tages.

  • Siv still da, in Corvinus Arm, ihr Kopf an seiner Schulter, aber auf dem Rücken. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig, aber sie war weit davon entfernt, einzuschlafen. Mit geöffneten Augen sah sie in die Dunkelheit, die gelegentlich von einem Blitz erhellt wurde, lauschte dem Donner und dem Regen, der herunter prasselte. Sie mochte Gewitter. Vielleicht war das vorher bestimmt, bei ihr, mit ihrem Namen, vielleicht hatte sie keine Wahl als Gewitter zu mögen, war es doch Thors Wetter. Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie Gewitter schon immer gemocht hatte, dass sie selbst als Kind nie Angst gehabt hatte vor dem Donner. Und so lag sie da, eingekuschelt an seiner Seite, eine Hand auf ihrem Bauch, der inzwischen selbst mit noch so weiter Kleidung nicht mehr wirklich zu kaschieren war. Sie hatte am Nachmittag von Minervina gehört, von ihrem Tod… Und obwohl sie kaum etwas mit der Aurelia zu tun gehabt hatte, obwohl sie sie im Grunde gar nicht gekannt hatte, hatte sie die Nachricht doch getroffen – weil sie ahnte, wie Corvinus es treffen würde. Und so war sie zu ihm gekommen, als sie gehört hatte, wie er sein Schlafgemach betreten hatte. Sie hatte nichts gesagt, hätte auch nicht wirklich gewusst, was sie hätte sagen sollen, aber sie hatte das Gefühl, dass das auch nicht nötig war. Sie wollte einfach nur da sein, und das schien für den Moment auch auszureichen.


    Nicht lange nachdem sie aufgetaucht war, waren sie ins Bett gegangen, und seitdem lagen sie da. Siv ignorierte das ungewohnte Flattern in ihrem Bauch, das sie in letzter Zeit häufiger spürte, und hoffte, dass es nicht wieder mit der Übelkeit losging. Ihre Hand strich nur kurz über ihren Bauch, bevor sie ihren Kopf schräg nach oben in die Richtung des seinen drehte, als er zu sprechen begann. Kurz darauf erhellte wieder ein Blitz das Cubiculum und ließ seine Züge kurz aufleuchten. Siv löste ihre Hand von ihrem Bauch und legte sie auf seine Brust. "Weißt du, wann er kommt? Frühestens?" Für Ursus musste die Situation noch viel schwerer sein. "Wie geht es dir?" fragte sie dann leise. Er wollte für die anderen da sein, wollte die Familie zusammenhalten, fühlte sich verantwortlich. Fühlte sich sicherlich auch verantwortlich für Minervinas Tod, obwohl es nichts gegeben hätte, was er hätte tun können, jedenfalls nach allem, was Siv wusste. Aber sie fand, dass jeder Momente brauchte, in denen er sich gehen lassen konnte, und Corvinus tat das viel zu selten.

  • "Frühestens in zehn Tagen. Vielleicht acht", sagte ich. Die Strecke bis Mantua war weit, und man musste nicht nur Ursus' Weg einplanen, sondern auch den des Sklaven, dem ich den Auftrag gegeben hatte, die Nachricht zu überbringen. Und selbst, wenn beide weder ihr Pferd noch sich selbst schonten, so wären zehn Tage doch unwahrscheinlich. Ursus musste einen Vertreter bestimmen und gewiss noch einige Dinge regeln. "Wahrscheinlicher ist, dass es länger dauert." Was die Wahrscheinlichkeit erhöhre, dass Minervinas lebloser Körper vor ihm hier eintraf und bereits aufgebahrt sein würde, wenn er heimkehrte. Ich seufzte tief. In dieser tragischen Zeit konnten wir nicht viel mehr tun, als ihm etwas von der Last zu nehmen, wie auch immer das möglich war.


    Sivs nächste Frage überraschte mich nicht. "Mir?" Insgeheim hatte ich mich schon gewundert, warum sie sie nicht schon viel eher gestellt hatte. Siv war ein Mensch, den es interessierte, wie es anderen ging. Sie stellte häufig solche Fragen oder fragte, ob sie etwas tun konnte und wenn ja, was. Ich versuchte, meine auf Wein treibenden Gedanken zu ordnen und zuckte im Liegen mit einer Schulter. "Ich kann es nicht ausstehen, wenn mir die Hände gebunden sind. Das weißt du. Und bei Minervinas Krankheit konnte keiner von uns etwas ausrichten. Es ist als... Als würde man dabei zusehen müssen, wie das einst blühende Leben verwelkt und einem zwischen den Fingern hindurch rinnt, ohne dass man auch nur das Geringste dagegen tun kann. Wie muss sich Titus erst fühlen? Sie war seine Schwester!" Ich schnaubte. Wut auf jemand Unbestimmten war immer noch besser als allzu viel Trübsal. Und dennoch, es war ungerecht. Ungerecht denen gegenüber, die Minervina liebten und alles getan hätten, damit es ihr nur besser ging.


    Ich schluckte. Den ganzen Abend hatte ich vermieden, daran zu denken. Doch hier und jetzt stand das Abbild eines Gesichts im Raum und ließ sich nicht mehr leugnen. "Es ist wie mit Helena damals", stellte ich flüsternd fest. Helena, für die ich verantwortlich gewesen war und die mir dennoch beinahe entglitten war - weil ich nicht gemerkt hatte, wie schlecht ihre Gemütsverfassung gewesen war. "Wenn ich etwas tun könnte, um es ungeschehen zu machen, so würde ich es tun", sagte ich und meinte damit Minervina wie Helena gleichermaßen. Dumpfer Donner grollte draußen und schreckte abermals ein paar Vögel auf.

  • Siv nickte leicht zum Zeichen, dass sie Corvinus gehört hatte, aber sie sagte nichts darauf, wann Ursus ankommen würde. Sie hoffte, dass es Corvinus helfen würde, den anderen Aurelier im Haus zu wissen… aber sicher war sie sich nicht. Vielleicht tat es ihm gut, jemanden zu haben, den er unterstützen konnte, es konnte aber auch genauso gut sein, dass Corvinus sich dann erst recht jedes Anzeichen von Schwäche selbst verbieten würde. Stattdessen fragte sie ihn, wie es ihm ging. Es dauerte ein wenig, bis nach der ersten Nachfrage eine Reaktion kam. Siv spürte, wie er sich leicht bewegte neben ihr, wie er mit einer Schulter zu zucken schien. Dann fing er doch an zu reden, und Siv war fast ein wenig überrascht von der Heftigkeit seiner Worte. Diesmal hob sie den Kopf, stützte sich leicht auf einem Ellbogen ab und musterte ihn von schräg oben. Wut war etwas, das sie für gewöhnlich empfand, gerade in solchen Situationen, die so… ungerecht erschienen, aber sie hatte nicht unbedingt erwartet, dass er wütend werden würde. Vielleicht war es der Wein, der aus ihm sprach… In jedem Fall fand Siv diese Reaktion besser, als wenn er allzu trübsinnig gewesen wäre. Sie wusste aus Erfahrung, dass Wut helfen konnte – wenigstens bis zu einem gewissen Grad. "Ich weiß", murmelte sie, während sie sich wieder sinken ließ und ihr Gesicht an seine Brust legte, und ließ dabei offen, was sie genau meinte – dass sie wusste, dass er es nicht leiden konnte, wenn er nichts zu tun imstande war, oder dass sie wusste, dass niemand Minervina hatte helfen können.


    Sie fragte sich, ob das wohl eine typisch römische Krankheit war. Die Traurigkeit, die manche zu überkommen schien und die keinen Ausweg mehr zu lassen schien. Sie erinnerte sich noch zu gut an die andere Aurelia, an Helena – der Gedanke drängte sich regelrecht auf, auch ihr, hatte sie das doch damals hautnah miterlebt, hatte ihr die Wunde am Arm zusammengepresst und sie verbunden und gehalten, bis ein Arzt gekommen war. Auch sie schien von einer seltsam unbestimmbaren Traurigkeit überwältigt gewesen zu sein. Römer, oder vielleicht auch nur Römerinnen, schienen das gelegentlich zu bekommen. Aber sie hatte noch nie gehört, dass ein Germane jemals an so etwas erkrankt wäre. Und sie war froh darum, dass sie noch mit so etwas wirklich näher zu tun gehabt hatte. Ebenso wie Corvinus hasste sie es, nichts tun zu können, und was sollte man denn gegen eine Krankheit tun, die einen scheinbar verwelken ließ, wie er gesagt hatte? Die einen immer durchscheinender werden ließ, bis irgendwann nichts mehr da war, was den Körper aufrecht hätte halten können? Und dann, auf einmal, kam ihr in den Sinn, wie es ihr gegangen war – in der Zeit, als Corvinus nicht mit ihr gesprochen hatte. Wie es ihr gegangen war, als er so schrecklich gleichgültig gewesen war. Wie sie im Garten gesehen hatte, den Tag lang, die Nacht hindurch, den nächsten Morgen, ohne bewusst etwas gedacht zu haben, ohne wirklich zu merken, wie die Zeit verging, bis Brix schließlich Corvinus alarmiert hatte. Hatte es jemanden gegeben, der Minervina – oder Helena – so viel bedeutet hatte? Sie schloss die Augen, schluckte trocken und versuchte, die Gedanken an diese Zeit zu verdrängen, als dann auch Corvinus von Helena zu sprechen begann. "Helena war anders", antwortete sie leise. Helena hatte selbst Hand an sich gelegt, und das war etwas, was sie beispielsweise niemals getan hätte, niemals tun würde. Aber war es denn tatsächlich so anders bei Minervina? Sivs Lider schwangen nach oben, und ihre Augen weiteten sich erschrocken, während ihr Atem stockte. Hatte Minervina auch Hand an sich gelegt? Hatte sie tatsächlich einfach… so… nichts mehr gegessen, weil sie meinte, keinen Hunger zu haben, so wie sie selbst damals im Garten gesessen war, ohne das Verstreichen der Zeit zu merken? Oder hatte sie sich absichtlich zu Tode gehungert? Ihre Hand auf Corvinus’ Brust ballte sich unwillkürlich zur Faust. "Du… Ich weiß. Ich weiß, du würdest das." Wieder richtete sie sich ein wenig auf, um ihn ansehen zu können. Siv fühlte sich hilflos, weil es so wenig gab, was sie hätte sagen oder tun können, um ihm zu helfen. "Aber es gibt nichts. Es gab nichts. Du hast keine Schuld. Was passiert ist, wollten die Götter", wisperte sie, während sie zugleich wusste, dass auch das keine große Hilfe war. Nicht wenn der Verlust so frisch schmerzte.

  • Anders. Ha, anders war es mit Helena nicht gewesen, fand ich. Sie hatte auch den Lebenswillen verloren und sich damit selbst beinahe umgebracht. Was zählten da schon die Gründe? Aber Siv konnte sich das nicht vorstellen. Sie war eine Frohnatur und ganz anders als Helena oder Minervina. Vielleicht war in ihrer Heimat auch nie so ein Fall eingetreten. Vorstellen konnte ich mir das zumindest recht gut. Die Germanen lebten einfacher und zwangloser. Um nicht zu sagen zügellos.


    Was passiert war, wollten die Götter also. Wieso wollten sie das? Wenn ich das nur gewusst hätte. Hatten wir denn so viel Schlechtes auf uns geladen, dass sie nach Helenas Selbstmordversuch, Cottas Schwäche und Orestes' Wanken nun Minervina zu sich holten? Ich schüttelte frustriert den Kopf, sagte aber nichts weiter. Es gab nichts, das ich hätte sagen können. Nichts würde meine Nichte wiederauferstehen lassen. Helligkeit durchzuckte das Zimmer. Ich schloss die Augen und drehte den Kopf zu Siv. Ihr Haar roch angenehm. Ich sollte vielleicht mehr Wein trinken, um Minervina zu vergessen. Oder mich von Siv ablenken lassen, wie auch immer. Allerdings stand mir der Sinn gerade nicht nach Ablenkung dieser Art. "Wie willst du es nennen?" fragte ich daher unvermittelt, in der Hoffnung, mich auf diese Weise ablenken zu können. Interessant war, das bisher niemand mich direkt auf Sivs Schwangerschaft angesprochen hatte. Nicht einmal indirekt. Ob Siv jemand nach dem Vater gefragt hatte? Vielleicht hatte sie es mir nur nicht erzählt? Gerüchte waren eine schlimme Sache, zumindest in der Theorie. In der Praxis würde sich wohl niemand groß darum scheren, dass Siv mein Kind austrug. Bis auf Celerina vielleicht. Und zumindest, solange ich es nicht anerkannte.

  • Corvinus reagierte kaum, aber das wunderte Siv nicht wirklich. Es gab einfach nicht viel zu sagen, weder für sie noch für ihn, und sie war beinahe froh darum, dass er nichts erwiderte, hätte sie das doch nur wieder in die Lage gebracht zu überlegen, was sie antworten sollte. Sie wollte ihm helfen, aber sie fand keine Worte, die passend zu sein schienen, vielleicht, weil es schlicht keine gab. Hätte sie geahnt, dass Corvinus ihre Worte über die Götter und deren Willen derart wenig halfen, dass sie sogar eher das Gegenteil von dem bewirkten, was Siv eigentlich hatte bezwecken wollen, hätte sie sich vermutlich innerlich verflucht dafür, dass sie das überhaupt gesagt hatte. Aber auch hier ließ er ihre Worte unkommentiert, schwieg einfach und drehte seinen Kopf etwas näher zu ihr. Siv ließ sich wieder sinken und legte ihre Wange erneut an seine Schulter, während sie das Muster aus Schatten und grellem Licht betrachtete, dass die aufzuckenden Blitze auf den Möbeln im Raum malten, während sie den Regentropfen lauschte, die immer heftiger zu prasseln schienen. Das Geräusch hatte etwas Beruhigendes an sich, fand sie, genauso wie Corvinus’ Nähe, auch wenn der Stimmung etwas Trauriges anhaftete.


    Einen Augenblick schwiegen sie einfach beide, dann durchdrang Corvinus’ Stimme plötzlich wieder die Dunkelheit, die im Augenblick herrschte – und sagte etwas, das dafür sorgte, dass Sivs Mund sich verblüfft ein wenig öffnete. "Eh, was?" Die Frage war über ihre Lippen, bevor sie wirklich nachgedacht hatte, dann verdrehte sie ihren Kopf so, dass sie sein Gesicht von der Seite her erneut ansehen konnte. Natürlich wusste sie, wovon er sprach. Und natürlich hatte sie sich bereits Gedanken gemacht über mögliche Namen – auch wenn sie ihm bisher davon nichts erzählt hatte, obwohl sie fand, dass das nicht nur ihre Entscheidung war. Aber in diesem Augenblick hatte sie am allerwenigsten damit gerechnet, dass er danach fragen würde. "Ich… Also…" Sie zögerte kurz, dann fuhr sie fort: "Wenn es ein Mädchen ist, dann dachte ich Eila, vielleicht. Oder Ferun." Eila hieß die Leuchtende, Ferun stand für Freude. Siv fand beides passend, und es war ihr wichtig, dass der Name passte. "Ein Junge…" Hier zögerte sie erneut ein wenig. Sie hielt nicht viel davon, die Namen von anderen zu verwenden – der Name war etwas Besonderes, und sie fand, jedes Kind hatte das Recht auf einen ganz eigenen Namen, einen, der von den Eltern speziell für dieses Kind ausgewählt und nicht einfach nur gegeben worden war, weil der Vater oder die Großmutter oder sonst ein Verwandter diesen Namen bereits vorher getragen hatte. Dennoch brach sie mit dieser Einstellung, irgendwie jedenfalls, bei den Namen, die sie sich gedacht hatte, falls sie einen Jungen bekam – andererseits hatte sie die Namen ganz sicher nicht einfach nur so ausgesucht, sondern bewusst gewählt… Und davon ganz abgesehen hatte sie keine Ahnung, was Corvinus davon halten würde. "Ingraban. Oder Sintram." Der erste stand für Yngwi, Freyr, wie bei ihr Zuhause viele geglaubt hatten, und diesen Gott hatte sie immer gemocht. Der zweite bedeutete Reise, und auch das fand sie passend, hatte sie doch keine Ahnung, wohin es ihr Kind einmal verschlagen würde. Beide Namen jedoch hatten gemein, dass der zweite Teil Rabe bedeutete. Sie drehte ihren Kopf wieder so, dass er normal an Corvinus’ Schulter ruhte. Es war inzwischen schon lange her, dass er das letzte Mal Germanisch gelernt hatte, an das Wort für Rabe konnte er sich wahrscheinlich nicht mehr erinnern. Dennoch fragte sie sich, ob er etwas gegen die Namen hätte, wenn er wüsste, was sie hießen. "Was meinst du? Hast du… mal an Namen gedacht?"

  • Es schien so, als hätte ich mit meiner Frage nicht nur mich selbst abgelenkt, sondern auch Siv auf andere Gedanken gebracht. Zumindest wirkte es so, als sei sie gedanklich irgendwo ganz anders gewesen. Sie sah mich fragend an und zögerte, dann teilte sie mir ihre Ideen mit. Eila oder Ferun. Ingraban oder Sintram. Germanische Namen. Ich hätte damit rechnen sollen, hatte es aber nicht. Die Bedeutung hinter den Nameen blieb mir verborgen. Für Siv war es nur logisch, ihrem Kind einen germanischen Namen zu geben. Warum auch sollte es einen römischen erhalten? Überlegungen, die mich wieder über die Möglichkeit nachdenken ließen, die mir schon einige Male in den Sinn gekommen waren. Ich musste auch an den Besuch von Duccius Vala denken. Die Duccier trugen zwei Namen. Das Kind in Sivs Bauch würde auch ein Kind zweier Welten sein.


    So richtig sagte mir keiner der Namen zu. Ich dachte noch darüber nach, als Siv ihre Gegenfrage stelte. Ich nickte. "Severina", sagte ich augenblicklich. Meine Mutter hatte so geheißen, und für einen Römer war es ganz normal, dass man die Kinder durchnummerierte oder ihnen bereits in der Familie vorkommende Namen gab. "Prisca. Oder Corvina. Wenn es ein Mädchen wird. Wird es ein Junge, vielleicht Marcus Cotta." Ich hatte Cotta sehr geschätzt. Dann fiel mir ein, dass es wohl wenig von Vorteil war, wenn man das Kind direkt mit mir in Verbindung bringen konnte, weil es hieß wie mein rechtmäßiger Spross. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. "Besser nicht." Diese Namen würden für Celerinas Kinder herhalten müssen. Die Kinder, die ich anerkennen konnte, ohne damit der familia zu schaden. Ich drehte mich auf die Seite und vergrub mein Gesicht in Sivs Haaren. "Was machen wir, wenn es da ist?" fragte ich unbestimmt.

  • Obwohl Siv sich darüber schon von Anfang an Gedanken gemacht hatte, dass ihr Kind zur Hälfte Römer sein würde – sie hatte immerhin sogar den römischen Göttern geopfert aufgrund dieser Tatsache! –, hatte sie sich seltsamerweise noch keine Gedanken darüber gemacht, dass Corvinus ihrem Kind womöglich einen römischen Namen geben wollen würde. Jetzt allerdings, wo er seine Ideen aussprach, fand sie das nur logisch. Und sie fand es auch logisch, dass ihr Kind, das zur Hälfte römisch war, auch einen römischen Namen bekam – auch, wohlgemerkt. Zwei Namen, ein römischer, ein germanischer… Welchen Rufnamen es haben würde, würde sich dann zeigen, da war sie offen. Allerdings war sie von seinen Vorschlägen… nun ja, nicht sonderlich begeistert. Es fiel ihr durchaus auf, dass es sämtlich Namen aus seiner Familie waren, aber sie wusste genug von der römischen Kultur, um sich darüber klar zu sein, dass es hier einfach so war. Und nicht nur hier, viele handhabten das so. Sie beschloss, dass sie sich damit anfreunden konnte, zumal er nur Namen genannt hatte von denen, die ihm auch etwas bedeuteten. Im nächsten Moment allerdings nahm Corvinus seine Worte schon wieder zurück, und Siv sah ihn erneut an, diesmal ein wenig erstaunt. Sie dachte nicht daran, dass es gerade diese Namen sein würden, die auf den Vater hinwiesen, genauso wie sie erstaunlich gut darin war zu verdrängen, dass Corvinus, wie er es schon mehrmals betont hatte, das Kind nicht als seins würde anerkennen können. "Warum besser nicht?"


    Noch erstaunter war sie, als Corvinus sein Gesicht plötzlich in ihren Haaren vergrub. "Was…" murmelte sie zuerst, dann hörte sie seine Worte. "Was meinst du? Wir…" Etwas irritiert hielt sie inne und überlegte kurz. Dann allerdings fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Was sonst konnte er meinen, wenn nicht die Tatsache, wie es weiter gehen sollte, mit ihm, mit ihr, mit dem Kind und Celerina… Sie schluckte. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Sie hielt allgemein nicht viel davon, allzu viel in die Zukunft zu planen, was sicherlich zum Teil an ihrer Herkunft, ihrer Abstammung lag – was sollte man in Germanien auch großartig in die Zukunft planen, wenn schon der nächste Ausflug in den Wald alles ändern konnte? Sie war zufrieden damit, einfach abzuwarten und die Situationen dann zu nehmen, wie sie waren – wenn sie eintraten. Und in diesem konkreten Fall mochte sie es noch weniger – gerade weil sie wusste, dass es so viele Unwägbarkeiten gab, und so vieles, um dass sie sich wohl eigentlich Sorgen machen müsste. Corvinus allerdings war da anders als sie, auch das wusste sie. Und sie wusste, dass er sich viele Gedanken machte… was einem winzigen Teil von ihr fast weh tat, weil für ihn etwas, das eigentlich Anlass zur Freude sein sollte, ein Anlass zu Sorgen war. "Ich werde es aufziehen", murmelte sie schließlich. "Ansonsten machen wir… nichts anderes als jetzt. Was gibt es sonst zum, zu machen."

  • Spielte Siv ihre Unwissenheit? War sie so unverfroren? Ich mochte es nicht glauben. Bestimmt dachte sie nur daran nicht, dass es unpassend wäre, ein nicht anerkanntes Kind nach meiner Familie zu nennen. Wieder überlegte ich. Wenn jedermann wusste, dass das Kind von mir war, wäre daran noch nichts Schlimmes. Abgesehen von Celerinas Empfinden vielleicht. Das Kind, gleich ob Junge oder Mädchen, konnte ich aber nicht anerkennen, es nicht offiziell zu meinem Sohn oder meiner Tochter machen. Im Grunde blieb dann nur mehr ein Schritt übrig, den ich in Angriff nehmen konnte. Aber wollte ich das?


    "Es würde implizieren, dass ich nach außen hin dazu stehe, wenn das Kind einen dieser Namen bekommt", sagte ich schlicht. Ich hörte, wie Siv sich die Zukunft scheinbar unbedacht ausmalte. Sie wollte allem Anschein nach alles so beibehalten, wie es war. Ich schwieg und fragte mich, ob sie die Situation nicht belastete. Natürlich musste sie das. Zu Wissen, dass man nicht an dem Platz sein konnte, an dem man sein wollte, an den man gehörte, belastete einen ganz sicherlich. Aber mich wollte sie etwas anderes glauben machen Ich richtete mich auf, setzte mich hin und stützte mich mit einer Hand ab. Ein wenig verärgert sah ich sie an. "Glaubst du, ich weiß nicht, dass das eine verfahrene Situation ist?" fragte ich sie und herrschte Siv damit unnötig an. "Ich kann nicht ewig so weitermachen. Glaubst du denn, es wir bei einem Kind bleiben, wenn das so weiter geht? Denkst du, Celerina wird nicht dahinter kommen? Ich kann mir eine öffentliche Bloßstellung nicht leisten, Siv!" Es tat gut, etwas Dampf abzulassen, ob das nun berechtigt war oder nicht. "Das zermürbt mich", sagte ich. "Das geht nicht länger so weiter. Ich..." Ich fuhr mir durchs Haar und sah Siv dann an, und der Ausdruck in ihre Augen ließ mich tief seufzen und den Kopf schütteln.

  • Als Corvinus ihre Frage beantwortete, war erneut einer dieser Momente gekommen, in denen Siv einfach nur innehielt. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte tatsächlich nicht daran gedacht, und das ließ sie jetzt etwas sprachlos sein. Eigentlich wusste sie ja, wie Corvinus zu diesem Thema stand, und im Grunde – so sehr sie sich wünschte, es wäre anders – hatte sie sich damit abgefunden. Es war einfach nichts anderes möglich, das hatte Corvinus deutlich genug gemacht, und die Momente, in denen sie damit haderte, in denen sich ein Teil ihrer selbst dagegen auflehnte, machte sie mit sich selbst aus – und verschloss sie in sich. Sie konnte mit Corvinus nicht darüber reden, wie denn, wusste sie doch, dass er ohnehin zweifelte an der Richtigkeit dessen was er, was sie taten. Und sie wollte ihm nicht noch mehr Gründe liefern, zu beenden, was auch immer zwischen ihnen war. Sie wollte nicht aufgeben, was sie mit ihm hatte, wollte nicht Gefahr laufen, es zu verlieren. Obwohl genau das normalerweise ganz und gar nicht ihre Art war, schien sie es ihr in diesem Fall einfacher, besser, Stillschweigen zu bewahren.


    Als er sich dann plötzlich aufrichtete, rutschte ihr Kopf von seiner Schulter weg und landete auf dem Kissen. Siv sah den Ärger, der in seinen Augen glitzerte, sah ihn aufleuchten in seinem Gesicht, als ein weiterer Blitz das Zimmer kurzfristig in helles Licht tauchte. Sie unterdrückte ein Zusammenzucken, als er sie nun anherrschte, starrte ihn einfach an und kämpfte darum, ihre überbordenden Emotionen im Griff zu halten. Inzwischen hatte sie sich einigermaßen damit abgefunden, dass sie empfindlicher war als jemals zuvor in ihrem Leben, aber sie wollte auf direktem Weg zu Hel gejagt werden, wenn sie zuließ, dass irgendwelche weinerlichen Gefühle die Kontrolle übernahmen. Wut war eine Sache, damit hatte sie noch nie ein Problem gehabt, aber diese unnötige Empfindsamkeit ging ihr gegen den Strich – gerade weil sie von sich selbst eigentlich anderes kannte. Allerdings traute sie sich selbst nicht so ganz, und davon abgesehen wusste sie auch nicht, was sie antworten sollte. Also schwieg sie zunächst und ließ Corvinus ausreden, sah ihn danach für einen Moment immer noch schweigend an, weil ihr nichts einfiel und weil sie nicht sicher war, dass ihre Stimme sie nicht verraten würde. "Das schon hatten wir", antwortete sie schließlich rau. Sie wusste nicht, warum sie ausgerechnet jetzt ausgerechnet so reagierte. Zu einem großen Teil lag es sicher daran, dass sie sich im Moment so gegen alles wehrte, was ihre Weinerlichkeit nur begünstigen würde. Es war aber auch einfach eine Tatsache: sie hatten das tatsächlich schon gehabt, mehr als einmal. Und ein Teil von ihr war es langsam leid. Sie hatten doch eine Entscheidung getroffen, dachte sie, er hatte eine Entscheidung getroffen, aber trotzdem hatte er ein Problem damit. Sie verstand auch, was sein Problem war, warum, das war mit ein Grund, warum sie ihn liebte – weil er sich Gedanken machte, weil er nichts auf die leichte Schulter nahm, weil er sich sorgte… und niemandem weh tun wollte. Aber sie wollte diese Diskussion einfach nicht schon wieder führen. "Was willst du tun? Ich meine, was gibt es? Mich weg schicken?" Ein Funken von ihrem alten Selbst, von ihrem Temperament begann in ihr aufzuglühen und bekämpfte so wirksam wie sonst nichts die Empfindlichkeit. "Ich weiß, dass du nicht kannst, kannst stehen zu dem Kind! Ich weiß es doch! Aber was gibt es, willst du aufhören, damit, mit uns? Wenn es so nicht weiter geht?" Sie wagte gar nicht daran zu denken, was wäre, wenn er nun mit Ja antwortete, mit einem endgültigen Ja, aber sie wusste einfach nicht, was sie sonst erwidern sollte. Versichern, dass sie es schon irgendwie schaffen würden? Die Situation war verfahren, da hatte er Recht – aber gerade deshalb konnten sie es nur schaffen, wenn sie beide daran glaubten, dass es funktionierte.

  • Zunächst sagte sie nichts, dann klang sie, als stünde sie zwischen Wut und Weinen und versuchte, nicht von dem schmalen Grat dazwischen in irgendeine Richtung zu kippen. Es war, als hätte Siv ein Ventil geöffnet, durch das es nun zischte und dampfte. Mir ging es auf gewisse Weise gut dabei, wenngleich die Thematik alles andere als leicht verdaulich war. Gut, sie war alt, dementsprechen hatte Siv durchaus recht, was die Wiederholung derselben Diskussion betraf - doch es war mir egal.


    "Ach!" blaffte ich sie direkt nach ihrer Frage an, ob ich sie wegschicken würde. Als ob ich eine schwangere Frau quer durch Italien schicken würde! Was glaubte sie denn, wer ich war? Ich machte eine wegwerfende Geste und schnaubte verächtlich. "Das wäre wohl das Beste, meinst du nicht auch? Dann wäre ich alles mit einem Schlag los und könnte mich wichtigeren Dingen widmen als diesen Streitereien mit einer Schwangeren! Weißt du was? Mir reicht es!" Ich schlug die Decke zurück und war aufgestanden, ehe Siv noch recht schalten konnte, was geschah. Mit ein paar schnellen Schritten war ich bei der Tür, unterwegs hatte ich mir eine tunica geschnappt, die ich mir soeben umständlich über den Kopf streifte. Ich wusste noch nicht, wohin ich gehen würde, aber ich hatte das dringende Bedürfnis, dem Zimmer und der immer wiederkehrenden Diskussion mit Siv zu entkommen. Ich streckte die Hand nach der Klinke aus und war gerade im Begriff, die Tür aufzureißen, als...

  • …als Siv ebenfalls aufsprang – langsamer als er, begann ihr Bauch ihr doch langsam etwas im Weg zu sein – und mit wenigen Schritten ebenfalls an der Tür war. Ohne nachzudenken griff sie nach der Tunika, die er sich gerade überstreifte, und zog daran. "Oh nein", fauchte sie wütend, "nein, du gehst nicht!" Jetzt entzündete sich ihr Temperament tatsächlich. Wer hatte denn bitte mit diesem Thema angefangen? Das war nicht sie gewesen, die schon wieder gesagt hatte, es könne so nicht weitergehen, er könne so nicht weitermachen! Sie wusste nicht im Geringsten, was sie tun oder sagen sollte, aber sie wusste, dass sie im Augenblick auch genug hatte – und dass sie mit Sicherheit nicht den Vorwurf von diesen Streitereien mit Schwangeren auf sich sitzen lassen wollte. In gewisser Hinsicht tat es ihr fast gut, ihrem Temperament mal wieder freien Lauf zu lassen und sich zu fetzen, mit irgendwem, selbst wenn es Corvinus war. Ihn jetzt einfach so gehen zu lassen, wäre nicht nur völlig untypisch für sie gewesen, sondern auch äußerst unbefriedigend.


    "Wenn du wegläufst, was bringt das jetzt? Du sagst, es geht nicht weiter, nicht so, du sagst du kannst nicht weiter machen, so, aber wenn ich sage, was gibt es sonst, dann gehst du! Ich will doch nicht weg hier, aber was ist da noch? Und morgen, oder übermorgen, oder in Woche danach du fängst wieder an!" Siv funkelte ihn an, während die Aufregung ihr Latein verschlechterte und sie gleichzeitig versuchte sich zwischen ihn und die Tür zu drängen, damit er nicht auf die Idee kam doch noch einfach so abzuhauen. "Sag mir was ich soll tun! Was ich sagen soll! Ich weiß doch auch nicht, weiß keine Lösung!"

  • Die Tür öffnete sich, fiel dann wieder ins Schloss, als Siv versuchte, sich zwischen die Tür zu drängen. Ich funktelte sie zornig an. Ich griff sie grob am Oberarm und schob sie einfach aus dem Weg. Hässliche Dinge kamen mir in den Sinn und verursachten, dass ich vor mir selbst erschrak. Das hielt mich allerdings nicht davon ab, ihr die schöneren der hässlichen Dinge an den Kopf zu werfen. "Ja, was weißt du schon", sagte ich gehässig. "Ich bin dieses Theater so leid, diese immer wieder neue Diskussion. Das zerreißt mich. Es ödet mich an. Und ich kann nichts daran ändern, um es jedem recht zu machen. Hat mich jemand nach meinen Wünschen gefragt? Nach meinen Vorstellungen? Das interessiert hier keinen, nicht einmal die Götter. Solange du die Familie achtest und die Götter, wird alles gut - ha, dass ich nicht lache! Seitdem ich nach Rom gekommen bin, passiert eine schreckliche Sache nach der anderen. Ich habe Pech, bin gezeichnet durch die Parzen. Mir steht das alles bis hier!" Ich machte eine shwungvolle Geste zur Unterstreichung meiner Worte, die tatsächlich extremst pessimistisch und verdreht waren. Immerhin waren auch gute Dinge passiert, seitdem ich in Rom lebte. An und für sich gesehen womöglich sogar mehr als Negatives. Doch das sah ich nicht. Ich sah es nicht, weil ich es nicht sehen wollte. Außerdem vermischte ich so ziemlich alles, was sich vermischen ließ. Der Wein, den ich am Abend getrunken hatte, tat sein übriges. Erneut schob ich Siv unsanft beiseite. Am nächsten Morgen würden meine Finger blaue Abdrücke hinterlassen haben. "Aber warum erzähle ich dir das. Und jetzt geh mir aus dem Weg. Ich muss an die frische Luft. Du bleibst hier, ich kann dich nicht gebrauchen." Und damit verließ ich meine Gemächer, und wenn sich klug war, blieb sie tatsächlich, wo sie war.

  • Jetzt kamen ihr doch Tränen, allerdings waren es – im Moment jedenfalls noch – Tränen der Wut. Aber sie verbiss sie sich, drängte sie zurück, verhinderte, dass sie in diesem ungünstigsten aller Momente sie verraten konnten. Andererseits hätte Corvinus vermutlich nicht einmal dann die Tränen gesehen, wenn sie tatsächlich über ihre Wangen gelaufen wären. Trotzdem ging es ihr ums Prinzip, und das besagte, dass sie sich vor ihm keine Blöße geben wollte, nicht jetzt, nicht in diesem Moment – und es gelang ihr auch. Was ihr nicht gelang war, noch etwas zu erwidern auf seine Worte. Oh, kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war, fielen ihr nach und nach eine Menge Dinge ein. Zum Beispiel, dass es auch nicht ihre Schuld war. Oder dass es nicht sie gewesen war, die diese Diskussion angefangen hatte. Dass es sie sehr wohl interessierte, was seine Vorstellungen und Wünsche waren – er aber nie damit herausrückte. Dass er vermutlich selbst gar nicht wusste, was er wollte, weil er seine Familie und seine Stellung und all dieses Zeug, das in Rom und unter Römern so furchtbar wichtig war, selbst so hoch stellte, dass seine eigenen Wünsche irgendwo darunter vergraben waren, jedenfalls hatte sie manchmal diesen Eindruck. Dass sie kein Problem damit hätte, mit ihm irgendwohin zu gehen, weit weg von Rom, aber er ja unbedingt hier bleiben wollte… Aber in diesem Moment, in dem er sie anfuhr, fiel ihr nichts davon ein, und auch wenn sie sich darüber maßlos ärgerte, würde irgendwann, am nächsten Tag, der Moment kommen, in dem Siv froh war, dass sie ihm nichts von diesen Dingen an den Kopf geworfen hatte – weil sie im Grunde ihres Herzens wusste, dass es unfair gewesen wäre, so unfair wie es seine Worte gewesen waren.


    So stand sie nur da, starrte ihn an und brachte nicht mehr hervor als ein paar wütende Worte des Protests, die aber gänzlich untergingen in seiner Tirade. Schließlich, als er dann fertig war, schob er sie unsanft, fast schon grob zur Seite, der Griff, mit dem er ihre Oberarme umfasste, schmerzhaft, aber das war es nicht, was sie endgültig sprachlos werden ließ – es war das, was er noch anfügte. Ich kann dich nicht gebrauchen. Siv stand noch eine ganze Weile da und starrte die geschlossene Tür an, und während die Wut immer noch in ihr kochte, spürte sie auch langsam den Schmerz, den dieser letzte Satz in ihr verursachte. Ich kann dich nicht gebrauchen. Sie biss sich auf die Unterlippe, grub ihre Zähne so fest hinein, dass es weh tat, bis sie sich schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit von der Tür abwandte und in ihre Kammer hastete. Ein flüchtiger Blick streifte die Wiege, die er ihr geschenkt hatte, und für einen Moment musste sie den Drang unterdrücken, dem schönen Möbelstück einen Tritt zu verpassen. Stattdessen kramte sie mit fliegenden Fingern eine warme Tunika hervor, die sie sich über ihre leichte Schlaftunika zog, und verließ die Kammer, die Türen hinter sich offen lassend. Sie hatte nicht vor, hier zu warten, bis Corvinus irgendwann zurückkam – unabhängig davon, ob er zu ihr kommen würde oder einfach nur in sein Bett ging, um sich schlafen zu legen. Sie wollte nicht so nah bei ihm sein, auch nicht im Raum neben ihm, nicht jetzt, nicht in dieser Nacht, nicht nach dem was passiert war, und da der Stall bei dem augenblicklichen Wetter und der Kälte nicht in Frage kam, würde sie sich wohl irgendwann, wenn sie sich abreagiert hatte, in das Zimmer der Sklavinnen zurückziehen, wo es sicherlich ein freies Bett gab. Sie zitterte vor Wut und anderen, unterdrückten Emotionen, wollte schreien und gleichzeitig heulen, tat aber nichts davon. Zum ersten Mal seit langem spürte sie nicht einfach nur den Wunsch, sondern das Bedürfnis, auf einem Pferd durch die Gegend zu stürmen, so schnell, dass der Wind ins Gesicht peitschte und nichts übrig blieb außer der Geschwindigkeit und der Bewegung.

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