cubiculum TAU | Prima, Ursus! (?)

  • Ich winkte ab, als er sich selbst dafür scholt, nicht viel für die Acta geschrieben zu haben. "Wie dir geht es momentan allen subauctores. Mach dich also nicht verrückt. Regelmäßige Ausgaben kann ich schon seit einem Jahr nicht mehr rausgeben", erwiderte ich und schenkte uns beiden nach.


    "Gut. Ich werde mich dann wohl auch noch einmal mit Durus treffen. Seine Unterstützung als consul ist nicht zu unterschätzen", fuhr ich fort. "Ich heiße deinen Entschluss gut, Titus. Es ist besser, wenn wir überall vertreten sind. Nicht, dass ich dir den cultus absprechen möchte. Aber abgesehen von dir und eventuell Tiberius ist keiner von uns so recht warm geworden mit dem Militär." Was Imbreax plante, wenn er hier war, wusste ich noch nicht, aber Orest und auch Cotta interessierten sich ebenso wie ich eher für die religiösen Belange denn für die militärischen. "Wen, Vescularius? Nein", gab ich zur Antwort auf Ursus' Frage nach dem persönlichen Kennenlernen. "Aber der Kaiser ernennt die Legaten, nicht der Stadtpräfekt. Ich woll doch meinen, dass sie ihn bei solch wichtigen Entscheidungen nicht übergehen. Dafür wird, denke ich, Quarto schon sorgen."

  • "Das macht es nicht wirklich besser, daß es allen so geht", lächelte Ursus schief, wenn auch durchaus ein wenig erleichtert. "Es ist schade, daß die Acta darunter leiden muß, daß alle Schreiber von anderen Dingen so ausgelastet sind. In manchen Provinzen ist sie fast die einzige Informationsquelle. Ich werde versuchen, in der nächsten Zeit etwas zu schreiben." Zumindest vornehmen konnte er es sich. Auch wenn er nicht das Gefühl hatte, im Moment zu großartigen Artikeln fähig zu sein. Aber vielleicht genügten für den Augenblick weniger geniale Ergüsse.


    "Mit Tiberius Durus hatte ich ebenfalls schon ein Gespräch. Ich bat ihn um die Hand seiner Nichte Tiberia Septima. Er versprach mir, bald über mein Anliegen zu entscheiden. Bei dem Gespräch brachte ich auch die Lage der Prima zur Sprache. Er riet mir, mich an den Procurator ab epistulis zu wenden. Ich habe vor, ihn in der nächsten Zeit persönlich aufzusuchen." Ursus lächelte leicht, als Corvinus andeutete, daß er vielleicht beim Militär besser aufgehoben wäre als im Cultus Deorum. "Du hast Recht, die Famlie sollte sich nicht zu einseitig orientieren. Ich weiß, daß Du mich gerne im Cultus sehen würdest, wir hatten ja schon mehr als einmal darüber gesprochen. Und ich bin auch bereit dazu, mich dort einzubringen, sollte es mit der militärischen Karriere nicht klappen. Aber wie Du auch ganz richtig feststellst: Das Militär liegt mir. Ich kann nicht sagen, daß mit der Cultus Deorum nicht liegt, ich habe es ja noch nicht versucht. Jedoch müßte ich dort von ganz unten anfangen, während ich beim Militär bereits die unteren Stufen hinter mir habe. Übrigens habe ich auch vor, das Gespräch mit Aelius Quarto zu suchen. Ich weiß, er hat eine gute Meinung von mir, immerhin haben wir zwei Jahre lang eng zusammengearbeitet, und vielleicht kann er beim Kaiser ein gutes Wort für mich einlegen." Daß er es versuchen würde, daran hegte Ursus keinen Zweifel.


    "Schade, ich hätte gerne Deine Meinung über Vescularius Salinator gehört. Natürlich sind jede Menge Gerüchte an mein Ohr gedrungen. Jeder scheint etwas über ihn zu sagen zu haben. Und meistens ist es nichts Gutes. Doch was kann man schon auf Gerüchte geben? Deine Meinung wäre mir ein wertvoller Hinweis gewesen."

  • "Wir haben schlichtweg zu wenig Schreiber, das ist das größte Problem. Denn hätten wir mehr, würden die wenigen, die wir haben, nicht in so arge Bedrängnis kommen, sich unzählige Artikel aus den Fingern saugen zu müssen. Einer ist schnell geschrieben, aber ich kann auch verstehen, dass die Schreiblust schnell vergeht, wenn man weiß, dass es mit einem nicht getan ist", erwiderte ich und zuckte mit den Schultern.
    "Den ab epistulis? Warum? Wenn du mich fragst, wäre es unklug, das zu tun, bevor du dich auf die Liste der Anwärter setzen lassen kannst", gab ich zurück. Sicherlich war es nicht optimal für die Erste, wenn sie so lange kopflos blieb, aber es war schließlich ein neuer senatorischer Tribun dorthin entsandt worden, also würde es die paar Wochen auch noch so funktionieren. "Tiberia Septima. Ah. Na dann drücke ich dir die Daumen. Ich habe übrigens vor, demnächst wegen Prisca noch einmal bei den Flaviern nachzufragen. Wir sollten uns nicht so stark auf die Tiberier versteifen. Und bei den Claudiern möchte ich Prisca eigentlich nicht wissen. Hm. Ist dein Patron eigentlich verheiratet?" wollte ich dann wissen.


    "Meine Meinung über Vescularius?" echote ich, als Ursus mich danach fragte. "Warum? Ich meine, ich kann dir sagen, wie er sich im Senat verhält, und natürlich höre ich das ein oder andere, schon allein durch meine Position bei der Acta..."

  • "Dann sollten wir die Augen nach neuen Schreibern offenhalten. Es muß doch Menschen geben, die gerne Augen und Ohren nach Neuigkeiten offenhalten und Freude am Schreiben haben." Es konnte doch nicht so schwer sein, neue Autoren für die Acta zu finden!


    "Du meinst, ich sollte damit noch warten? Nun, dann werde ich zunächst mit Aelius Quarto sprechen und abwarten, was Du und Lucianus in die Wege leiten könnt. Es darf nur nicht zu lange dauern. Die Männer werden unruhig und gepaart mit der üblichen Winterunruhe, die sie entwickeln, ist das keine gute Mischung. Sie brauchen jemanden, der sie mit starker Hand führt." Außerdem hatte er es ihnen versprochen, dafür zu sorgen, daß bald jemand kam. Also galt es, weiter daran zu arbeiten, daß es möglich wurde, ihn selbst auf diese Position zu bringen. "Nun, ich dachte, ich frage Dich nach Deiner Meinung, da dieser Mann im Moment der mächtigste des Imperiums zu sein scheint. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann ich ihm einmal begegne. Nun, ich werde mir dann selbst ein Bild machen müssen." Offenbar war Marcus noch nicht bereit dazu, über den Vescularier ein Urteil zu sprechen. Und Ursus konnte ihm nicht so ohne weiteres offenbaren, warum er das so genau wissen wollte.


    "Prisca? An wen hast Du gedacht? Flavius Piso vielleicht? Oder gibt es noch jemanden, der in Frage kommt? Ja, Lucianus ist verheiratet und gerade erst Vater von Zwillingen geworden. Der scheidet leider als Heiratskandidat aus. Prisca... nun, sie hat mir mal anvertraut, daß sie einen Patrizier vorziehen würde als Gemahl. Ich habe zwar versucht, ihr klarzumachen, daß manche plebeiische Gentes den patrizischen kaum noch in etwas nachstehen, aber ich hatte den Eindruck, daß die Traditionen ihr wirklich wichtig sind. Was keine falsche Einstellung ist in meinen Augen."

  • "Mehr als immer wieder dafür zu werben, können wir kaum tun", erwiderte ich auf seine Bemerkung der Schreiberlinge wegen. Und das taten wir, mittels Aushängen, Anschlägen, Werbung in der Acta selbst und Mundpropaganda. Trotzdem mit bisher geringem Erfolg.


    Was Vescularius betraf, hatte Ursus' Frage bei mir keinen Argwohn hervorgerufen. Doch wenn ich gewusst hätte, dass er mich mit voller Absicht außen vor ließ, wo es doch um eine Verschwörung ging, wäre ich vermutlich aufgestanden und hätte den Raum verlassen. Patronatstreue war eine Angelegenheit, Familientreue eine wichtigere. "Nun, er ist derzeit der Mächtigste in Rom. Der Kaiser hält sich gegenwärtig in Misenum auf", sagte ich. "War Vescularius nicht auf dieser Feier bei den Germanicern?" fiel mir plötzlich ein, da mir ein Artikel darüber vorlag. Mit gerunzelter Stirn dachte ich einen Moment darüber nach, zuckte dann mit den Schultern. Ich war nach wie vor nicht böse darüber, dass mir diese Feier erspart geblieben war.


    Dann war es an mir, die Brauen zu heben. "Oh, hat sie das? Interessant. Mir hat sie bei einem Spaziergang neulich das Gegenteil erzählt", wunderte ich mich. Ich hatte sie ganz bestimmt nicht falsch verstanden! "Aber wer ist Flavius Piso?" Von dem hatte ich bisher noch nicht gehört, obwohl mir der Name doch irgendwie bekannt vorkam.

  • "Vielleicht sollten wir dazu übergehen, die Leute persönlich anzusprechen? Zumindest wenn uns zufällig jemand begegnet, der passen könnte." Das war gar nicht so leicht, wie es klang, das war Ursus klar. Doch wenn auf Werbung niemand reagierte, dann blieb ihnen kaum etwas anderes übrig.


    Man konnte nicht behaupten, daß Ursus sich wohl damit fühlte, Corvinus außen vor zu lassen. Und das war auch kein Zustand, den er lange so zu halten gedachte. Doch er hatte seinem Patron sein Wort gegeben. Es galt, bis Ursus wieder mit ihm gesprochen hatte. Denn er fand die Einstellung seines Onkels auch nicht falsch. Nämlich sich erst ein Urteil zu bilden, wenn er eine Gelegenheit hatte, den Mann selbst kennenzulernen. "Ja, er war dort. Jedoch war er mit einer jungen Dame beschäftigt, die von ihm offensichtlich ebenso sehr angetan war, wie er von ihr, so daß es keine Gelegenheit für ein Gespräch gab." Einen sympathischen Eindruck hatte Salinator nicht gemacht, aber auf äußeren Anscheind durfte man schließlich auch nicht immer etwas geben.


    "Tatsächlich? Da staune ich aber. Vielleicht hat sie sich meine Worte doch mehr zu Herzen genommen, als ich gedacht habe? Wenn Du Flavius Piso nicht kennst, an wen von den Flaviern hast Du dann gedacht? Ich lernte Piso vor einiger Zeit in den Thermen kennen und traf ihn neulich beim Opfer zur Amtseinführung der Consuln wieder. Wir haben einen Becher Wein miteinander getrunken und uns unterhalten. Er hat lange in der Kanzlei gearbeitet, in der Hoffnung, einen der höheren Ritterposten zu erhalten. Dieser wurde ihm aber vom Vescularier verweigert mit der Begründung, daß Ritterposten nicht mit Patriziern besetzt würden. Er will nun den Cursus Honorum beschreiten und sich zur nächsten Wahl als Vigintivir versuchen. Er ist fest zu Höherem entschlossen."

  • "Nein", sagte ich nach kurzer Überlegung. "Es ist durchaus bekannt, dass wir ständig und händeringend nach Verstärkung suchen. Wir werden nicht dazu übergehen, für die Staatszeitung hausieren zu gehen, überspitzt ausgedrückt." Und es brachte wohl auch nichts, wenn man nichts mehr von denen hörte, die zuvor so begeistert Mithilfe angeboten hatten. Das hatte es alles schon gegeben.


    "Ah", erwiderte ich hingegen nur auf die Bemerkung zu Vescularius und nickte ein paarmal nachdenklich. Ganz sicherlich hatte ich mir bereits eine Meinung gebildet, doch offensichtlich wollte Ursus den Präfekten lieber selbst kennenlernen, um sich seine Meinung zu bilden. Ich wollte sie ihm nicht verfälschen, indem ich ihm sagte, was ich von den Machenschaften des Vesculariers hielt, also schwieg ich. Was auch besser war, ohne dass ich es ahnte.


    "Tja, ich weß nicht so recht. Sie schien mir ganz neutral, als sie das sagte. Aber in diesen Zeiten dürfen wir nicht allzu wählerisch sein. Es gibt schließlich auch nicht mehr allzu viele von höherem Stand, die einflussreicher sind als Vertreter des Plebs", gab ich zu Bedenken. Leider war Macer bereits ausgeschieden, und auch mein Patron war verheiratet. Umso interessierter hörte ich Ursus bei seinem Bericht über diesen Flavius zu. "Er hat einen Ritterposten angestrebt? Nun, da hat Vescularius ihm mit seiner Ablehnung wohl noch einen Gefallen getan. Seltsam, dass ich bisher noch nichts von ihm ge... Moment - war das der Flavier, der auf dem forum gesungen hat? Dazu hatte mal jemand einen Artikel eingereicht." Angestrengt grübelte ich nach. "Hm, ich hätte sonst Gracchus fragen wollen, ob er nicht einen Vorschlag zu mache hat. Für seinen Sohn wird auch irgendwann die Zeit kommen..." Und das Prestige, das eine solche Heirat brachte, war nun einmal nicht zu verachten.

  • "Nun gut, wie Du meinst." Ursus zuckte mit den Schultern. Er fand ja, daß das überzogener Stolz war. Manche trauten sich vielleicht nur nicht, weil sie dachten, daß sie nicht genommen würden. Aber Corvinus hatte das Sagen, also würde er sich danach richten.


    "Er hat auf dem Forum gesungen? Wann war denn das? War ich da nicht in Rom oder warum ist das an mir vorübergegangen? Ob das wirklich Piso war? Obwohl... zuzutrauen wäre es ihm vermutlich schon. Er sprach von einem Gedicht. Von einem sehr langen Gedicht, das er bald bei einer häuslichen Feier vortragen wollte. Gracchus' Sohn scheint mir aber noch sehr jung zu sein für Prisca." Sicher, das war Marcus' Entscheidung. "Ich bin sicher, Du wirst den richtigen Mann für sie finden. Als wir miteinander sprachen, was schon eine ganze Zeit her ist, da war sie traurig, daß für sie noch kein guter Mann in Sicht war."

  • Bezüglich der Acta erwiderte ich nichts. Wir machten schließlich immer wieder deutlich, dass wir jede brauchbare Hilfe gern annahmen und entlohnten. Und wenn sich tatsächlich jemand nicht sicher war, ob seine Qualitäten reichten, so brachte ein Versuch seiner- oder ihrerseits Klarheit darüber, sowohl gegenüber sich selbst als auch uns. Man verlor schließlich nicht das Gesicht, nur weil man vielleicht einen weniger guten Schreibstil hatte als andere. Aus eben diesem Grund ließen wir schließlich potentielle subauctores einige Ausgaben lang Artikel verfassen, auch um zu prüfen, ob sie kontinuierlich arbeiteten. Und wenn das so war, nahmen wir sie gern auf in die Redaktion. Derzeit gab es zwei dieser Kandidaten. Sie hatten einen erfrischenden Schreibstil und für die letzten Ausgaben Artikel eingereicht. Doch dazu später mehr.


    "Ich bin mir sicher, dass ich seinen Namen aus diesem Artikel kenne", gab ich zurück. "Das ist allerdings schon eine Weile her. Ein halbes Jahr vielleicht? Schau einfach mal in den Archiven nach." Ich überlegte. Wäre ein solcher Mann vielleicht etwas für Prisca? Wobei es allen Anschein hatte, dass er ein Tollpatsch war, der sich Künstler nannte. Hm. "Vielleicht ziehe ich ihn in Erwägung. Aber Gracchus' Sohn scheint mir momentan die bessere Wahl. Sicherlich, er ist zu jung für eine Heirat. Aber wenn er die bulla abgelegt hat... Und es ist nicht verkehrt, früh gute Entscheidungen zu treffen." Schließlich wurden wohl die meisten Ehen schon im Kindesalter von den Vätern arrangiert, auch wenn es die neue Mode in Rom schien, länger zu warten oder sogar die Kinder selbst entscheiden zu lassen. Dass ich es langsam angehen ließ, einen Mann für Prisca zu finden, durfte auch Ursus klar sein, wenn vielleicht nicht mein Hintergedanke, dass sie, je länger ich brauchte, desto später ausziehen würde.

  • Von den Anwärtern auf eine Aufnahme in die Redaktion wußte Ursus noch nichts. Auch wenn er durchaus wußte, daß in der letzten Zeit doch mal Berichte von Bürgern eingereicht worden waren. Er fragte sich immer wieder, warum das nicht viel öfter geschah. Da beschwerten sich die Leute, daß über ein bestimmtes Ereignis nicht berichtet wurde. Und man konnte nur erwidern: Warum hast Du nichts geschrieben?


    "Ja, ich werde im Archiv nachlesen. Es wundert mich, daß mir das entgangen ist. Hoffentlich war es nur eine einmalige Entgleisung, wie sie in jungen Jahren eben manchmal vorkommt." Er kannte Piso nicht gut genug, um das beurteilen zu können. Und hatte den Namen auch nur genannt, weil er der einzige Flavier in heiratsfähigem Alter, von dem er überhaupt wußte. Gracchus' Sohn allerdings kam ihm für Prisca extrem jung vor. Der Altersunterschied, vor allem in dieser Richtung, tat einer Ehe sicher nicht besonders gut. Umgekehrt wäre es schon weniger problematisch. Aber davon sagte Ursus nichts, er wollte sich da nicht einmischen. "Ich bin mir sicher, daß Du für Prisca nur das Beste willst und daß Du den richtigen Mann für sie auswählen wirst." Er nahm noch einen Schluck aus seinem Becher, bevor er er neues Thema anschnitt.


    "Ich hoffe, Du hast nichts dagegen, daß ich eine junge Dame und ihre Tochter aus Aegyptus in unser Haus eingeladen habe? Sie wird hier an der Schola einen weiterführenden Kurs geben, zum Thema Musik und sich aus diesem Grund ein paar Wochen in Rom aufhalten. Sie kennt hier niemanden, daher habe ich ihr angeboten, bei uns unterzukommen für diese Zeit."

  • "Dann kennst du diesen Flavius also nicht näher?" hakte ich nach. Irgendwie musste ich mir Informationen über ihn beschaffen, denn wie sollte ich sonst beurteilen, ob er etwas für meine Prisca war oder eben nicht?


    Aus diesen Gedanken gezerrt wurde ich durch dieses neue Thema, das Ursus anschnitt. Während er sprach, verfinsterte sich mein Gesicht. Nur marginal zwar, aber Ursus würde es auffallen. Ich stellte meinen Becher vor mir auf den Tisch. Ursus sollte mich doch eigentlich besser kennen, ging es mir durch den Kopf. Warum nur provozierte er immer wieder solche Situationen, die unserer Beziehung nicht gut taten? Wenn er doch eher gefragt hätte, statt schlichtweg anzunehmen, dass ich es gut hieß, einen Gasthausbetrieb aus der villa zu machen! Es war doch jedem klar, dass Dinge, die alle betrafen, nicht von einem allein bestimmt werden konnten. Jeder hielt sich daran. Deswegen schlussfolgerte ich daraus, dass Ursus die unbekannte Frau bei sich aufnehmen würde. "Ich nehme an, die Fremde wird dann in deinen Gemächern wohnen?" fragte ich. "Immerhin kommt sie mit einem Kind. Ich möchte eigentlich ungern über einen so langen Zeitraum eine fremde Person mit einem kleinen Kind in den Gemeinschaftsräumen herumspringen sehen. Das weißt du."

  • Auf diese Frage mußte Ursus den Kopf schütteln. "Ich habe ihn bisher zwei mal gesprochen. Einmal in den Thermen, wo ich an jenem Tag auch Decimus Livianus kennenlernte. Und eben neulich bei einem Becher Wein. Das genügt keineswegs, um einen Menschen richtig kennenzulernen. Er war mir jedoch sympathisch und machte auch einen zielstrebigen Eindruck. Er schien fest entschlossen, den Cursus Honorum zu beschreiten." Wann kannte man einen Menschen überhaupt richtig? Wann konnte man wissen, was für Gedankengänge hinter der Stirn so vor sich gingen?


    Wie leicht man sich verschätzen konnte, bewies die Veränderung auf Corvinus' Miene. Ganz offensichtlich störte er sich sehr daran, daß Ursus jemanden eingeladen hatte. Nun, auch Corvinus mußte sich wohl daran gewöhnen, daß andere erwachsene Männer in diesem Haushalt lebten und auch schon mal eine Entscheidung trafen. Aber natürlich lag es nicht in Ursus' Absicht, den Onkel zu ärgern. Am besten sorgte er dafür, daß Corvinus von dem Besuch möglichst wenig berührt wurde.


    "Selbstverständlich werden sie in meinen Räumlichkeiten wohnen und sich auch dort aufhalten. In den Zeiten, in denen die Mutter an der Schola ihre Vorlesungen hält, werden meine Sklaven das Kind beaufsichtigen. Und selbstverständlich werde ich von vornherein klarstellen, daß es nicht in den Hortus darf, damit Deine Orchideen keinen Schaden nehmen können." Das meinte er keinesfalls als Spott, sondern durchaus ernst. Er wußte sehr wohl, wie kostbar diese Pflanzen waren. Hatte er Corvinus doch eine davon im letzten Jahr zu den Saturnalien geschenkt.


    "Übrigens sollten wir uns bald etwas einfallen lassen, wie wir den Hortus kindersicher machen. Viele junge Ehen bedeuten im Normalfall auch viele kleine Kinder. Und kleine Kinder unterscheiden leider nicht zwischen einem gewöhnlichen Veilchen und einer Orchidee." Ganz sicher würde er seine eigenen Kinder eines Tages nicht mit einem Gartenverbot belegen, wenn sie in diesem Haus aufwuchsen. Bei diesem Besuch war das etwas anderes. Jetzt im Winter hatte ein Kind ohnehin auch im Garten nicht sonderlich viel Spaß. Und an sehr schönen Tagen konnte auch jemand mit dem Kind in einen der Parks gehen, von denen es in Rom reichlich gab.



    Edit: Nach Absprache

  • "Ich werde ihn mir ansehen", versprach ich unverbindlich und ahnte ja doch nicht, dass es Piso sein würde, der sich an mich wandte, nicht umgekehrt. Dass er ehrgeizig ung zielstrebig sein sollte, das glaubte ich sofort. Immerhin war er ein Flavier, und Gracchus' familienpolitischer Einfluss sollte dahingehend sicherlich seine Wirkung nicht verfehlt haben Vermutlich würde ich auch Celerina nach ihrem Verwandten fragen.


    Nicht ich war es, der nicht daran gewöhnt war, dass erwachsene Männer selbst Entscheidungen trafen. Vielmehr erschien mir im Moment leicht unpassend, wie man mit solchen Entscheidungen umging, die im Grunde doch uns alle betrafen. Nun, wenigstens würde Ursus dafür Sorge tragen, dass das Kind nicht wild und unkontrolliert im Haus umhertollen würde. Wir hatten hier schließlich einige Dinge von materiellem wie ideellem Wert stehen, von denen keiner begeistert sein würde, lägen sie in Scherben; noch dazu verursacht durch ein fremdes Kind. Bei den eigenen war man schließlich immer nachsichtiger. Doch da Ursus mir zusicherte, verantwortlich zu zeichnen, nickte ich nur. Sein Wort genügte mir.


    "Kindersicher..." wiederholte ich nachdenklich. "Hm, ja. Wobei ich der Meinung bin, dass hinten auf dem Rasen der Platz zum Spielen reichen müsste. Ich werde darüber nachdenken. Ersteinmal wird Siv..." Ich verstummte und sah Ursus ein wenig irritiert an. Um ein Haar hätte ich den Satz anders beendet. "...ihr Kind bekommen", fuhr ich dann nach der kurzen Pause fort. "Nun gut. Ich denke, ich werde dich dann jetzt wohl allein lassen? Grüble nicht mehr so viel über deiner Schachtel, Titus", versuchte ich abzulenken und blieb dennoch erst einmal sitzen.

  • Das war wohl auch das beste, das Corvinus sich eine eigene Meinung über Piso bildete. Ursus wollte ihm nichts einreden oder unterschieben. Er selbst fand den Flavier jedenfalls erfrischend einfallsreich und ungezwungen. Gut, das zeichnete ihn vielleicht nicht unbedingt als idealen Politiker aus. Aber als sympathischen Menschen allemal. Ob Corvinus wohl seine Frau nach Piso ausquetschen würde?


    Was die Einladung der Dozentin aus Aegyptus anging, so schien diese Sache damit erledigt zu sein. Ursus fühlte sich ganz gewiß verantwortlich dafür, daß sie und ihr Kind niemanden störten oder gar etwas beschädigten. Aber auch dafür, daß es den beiden an Nichts fehlte. Eine Verantwortung, der er sich durchaus gewachsen fühlte. Er wußte, was das anging, konnte er sich auch auf seine Sklaven verlassen.


    "Sicherlich ist der Rasen hinten zum Spielen ausreichend. Aber vielleicht erinnerst Du Dich noch ein wenig an Deine eigene Kindheit. Meine Erinnerungen jedenfalls sagen mir, daß die verbotenen Regionen immer die spannendsten waren. Und daß Bälle mitunter weit fliegen können, gerade, wenn die eigentlich angepeilte Richtung verfehlt wurde." Kein Kindermädchen konnte sicherstellen, daß nichts passierte. Das wäre übermenschlich und dessen mußte sich jeder bewußt sein, der schon mal mit Kindern zu tun hatte - oder zumindest fähig war, sich an die eigene Kindheit zu erinnern. Ursus jedenfalls war kein übermäßig braves Kind gewesen, sondern durchaus wild und unbändig. Und selbst Minervina, die wesentlich braver und ruhiger gewesen war als er, hatte so manche 'Untat' auf dem Kerbholz gehabt.


    Siv's Kind. Ursus war erstaunt, daß Marcus es überhaupt ansprach. Schon hatte ihm eine Bemerkung dazu auf der Zunge gelegen. Doch dann verkniff er sich diese lieber wieder. Zumal Corvinus ohnehin gehen wollte. Also nickte Ursus nur. "Ich werde es versuchen. Es ist nicht so leicht, aber ich werde es versuchen." Sein Blick fiel auf die Schachtel. Und wieder nickte er.

  • Meine eigene Kindheit hatte in Mantua kaum Grenzen gekannt, was die Spielterrains anbelangt hatte. Als Ursus mich jetzt daran erinnerte, fiel mir das Haus wieder ein, in dem ich den Großteil meiner Kindheit und Jugend verbracht hatte. Und das nun Durus gehörte. Ich runzelte ein wenig betrübt die Stirn. Nun denn, der Stammsitz in Rom war vor sehr langer Zeit im Auftrag meiner Familie erbaut worden, und die Landvilla in Mantua war ihrerzeit nur zugekauft worden. Insofern war es ein durchaus verschmerzbarer Verlust, Laevina Grund und Haus in Mantua als Mitgift zu geben. Bei Prisca würde ich mir da schon mehr Gedanken machen müssen, ging mir durch den Kopf. Ich seufzte leise.


    "Ich werde mir Gedanken darüber machen", versprach ich. Zwar würde es vorerst bei Gedanken bleiben, doch immerhin war das ein Vorsatz, den ich nicht vergessen würde. Ursus' Überraschung entging mir nicht. Ich sah ihn ein wenig grübelnd an und war im Grunde froh, dass er das Thema nicht weiter verfolgte. Ich erhob mich also, legte ihm noch kurz die Hand auf die Schulter und drückte flüchtig zu. "Wenn du etwas brauchst, lass es mich wissen", sagte ich noch. Dann verließ ich Ursus' Zimmer.

  • Ursus blickte seinem Onkel hinterher. Ein merkwürdiges Gespräch, wie er fand. Es war ihm weiterhin unmöglich, ihn einzuschätzen. Immer wenn er glaubte, Marcus zu verstehen, mußte er feststellen, daß er wieder falsch lag. Waren sie wirklich so verschieden? Dachten sie so verschieden? Fühlten sie so verschieden? Es mußte wohl so sein, sonst müßte es doch leichter sein, seine Reaktion vorauszuahnen. Seufzend griff Ursus nach der Schachtel, um sie in seinen Händen zu drehen. Dann nahm er sie entschlossen, um sie doch wieder ganz unten in einer seiner Kisten zu vergraben. Vielleicht kam der Tag, an dem er froh war, durch sie erinnert zu werden an die ferne Vergangenheit.

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