Änderung des Instanzenzugs

  • Bereits kurze Zeit nach dem Beginn seiner Amtszeit setzte Tiberius Durus die angekündigte Reform der Prozessordnung, genauer des Instanzenzugs auf die Tagesordnung. Erwartungsgemäß hatte Vitorius ihn dabei nicht sonderlich unterstützt, sondern sich vielmehr auf die Diskussion von Alltagsfragen spezialisiert. Die Reform, die Durus anstrebte, war sehr umfassend, daher war er sehr gespannt, wie man reagieren würde, als er zur Rede ansetzte.


    "Patres Conscripti,


    wie ich es bereits in meiner Kandidaturrede angekündigt habe, möchte ich die Instanzenzüge reformieren. Der Stand heute ist, dass es das Iudicium Minor, Maior und Imperialis gibt - wobei vorletzteres für fast sämtliche Delikte im Sinne des Codex Iuridicialis zuständig ist. Sowohl dem Iudicium Minor, als auch dem Iudicium Maior gehören darüber hinaus beide Praetoren an. Welche Arbeitsbelastung dies für unsere Magistrate ist, wird wohl jeder gewesene Praetor wissen: Täglich geschehen hunderte Verbrechen auf den Straßen Roms - der Praetor muss sie alle persönlich verhandeln! Dadurch bleibt ihm jedoch wenig Zeit für den einzelnen Fall, wodurch es ihm wiederum kaum möglich ist, sich selbst ein Urteil zu bilden.
    Dies wird durch eine weitere Aufgabe verstärkt, die den Praetoren zukommt: Jede gerichtliche Niederlage vor dem Iudicium Minor kann in Berufung gehen, sodass erneut ein Gericht - das Iudicium Maior unter Vorsitz der Praetoren - darüber zu entscheiden hat. Theoretisch sollte diese Berufungsverhandlung nach eingehender Prüfung vorgenommen werden - doch habe ich bereits erwähnt, dass die Arbeitsbelastung der Praetoren es kaum zulässt, in diesem Fällen andere Urteile zu fällen als zuvor.


    Aus diesem Grunde möchte ich eine Reform vorschlagen, die an die alten Traditionen unseres ehrwürdigen Rechtssystems anknüpft: Die Praetoren müssen entlastet werden, ihnen muss die Möglichkeit gegeben werden, Fälle an Iudices abzugeben, die dann unparteiisch entscheiden mögen. Unter uns sitzen bereits zahlreiche erfahrene Männer, die als Iudices in verschiedensten Prozessen geurteilt haben. Warum sollte man es ihnen nicht anvertrauen können, Fälle ohne die Bevormundung durch den Praetor zu verhandeln? Ich denke, man sollte es und will daher die Möglichkeit schaffen, dass Praetoren Fälle abgeben und damit selbst Zeit bekommen, ihre eigenen Fälle eingehend zu bearbeiten.


    Um den Bedarf an Iudices jedoch nicht überzustrapazieren, möchte ich die Instanzen selbst reformieren und ihnen ihre alte Form zurückgeben. In jenen kleinen Fällen, die lediglich eine kleinen Streitigkeit zwischen zwei Männern darstellen, ist es nicht erforderlich, ein ganzes Richtercollegium einzusetzen. Ich bin der Meinung, dass in diesen Privatprozessen ein einziger Iudex, der das Recht kennt, eine Entscheidung zu treffen vermag. Erst in größeren Fällen, die oftmals über die Zukunft eines Angeklagten entscheiden, halte ich ein Iudicium Publicum mit drei Richtern für erforderlich. Ich möchte daher die Unterscheidung zwischen Iudicium Minor und Maior zugunsten der alten Unterscheidung nach Iudicium Privatum und Iudicium Publicum abschaffen. Ersteres soll Vergehen verhandeln und lediglich einen Iudex als Vorsitzenden kennen, letzteres etwa dem alten Iudicium Maior entsprechen. Ich habe dies bereits in einen Gesetzesvorschlag gegossen:


    § 2 Iudicium Privatum
    (1) Dem Iudicium Privatum sitzt ein vom zuständigen Praetor eingesetzter Iudex vor, wozu auch ein amtierender Praetor zugelassen ist.
    (2) Den Iudex bestimmt der Praetor Urbanus bei Fällen zwischen Römischen Bürgern, bei solchen mit Beteiligung von Peregrini ist der Praetor Peregrinus berechtigt, einen Iudex einzusetzen.


    § 3 Iudicium Publicum
    (1) Dem Iudicium Publicum sitzen drei vom zuständigen Praetor bestimmte Iudices vor, wozu auch die amtierenden Praetoren zugelassen sind.
    (2) Die Verhandlungen führt ein vom zuständigen Praetor bestimmter Iudex Prior, wozu auch ein amtierender Praetor zugelassen ist.
    (3) Die Iudices und den Iudex Prior bestimmt der Praetor Urbanus bei Fällen zwischen Römischen Bürgern, bei solchen mit Beteiligung von Peregrini ist der Praetor Peregrinus hierzu berechtigt.
    (4) Zur Urteilsfindung erfolgt eine Abstimmung unter den Iudices, bei der die Mehrheit gewinnt. Eine Enthaltung ist nicht möglich.


    Damit scheint der Kaiser aus der Jurisdiktion ausgeschlossen. Da es jedoch der Tradition unseres Staates und der Auctoritas des Princeps entspricht, habe ich diesen natürlich nicht vergessen. Als Ersatz für das Iudicium Imperialis schlage ich nämlich zwei wesentlich traditionellere Einrichtungen vor, die seit dem göttlichen Augustus im Rechtswesen feste Instanzen sind: Die Iudicia Extraordinaria!


    § 4 Iudicia Extraordinaria
    (1) Die Coercitio Extraordinaria des Kaisers wird entsprechend den Bestimmungen des Kaisers durchgeführt. Iudex ist ein oder mehrere vom Imperator Caesar Augustus eingesetzte Iudices, gegebenenfalls auch der Imperator Caesar Augustus selbst.


    Der Kaiser sollte meiner Meinung nach nicht mit der alltäglichen Rechtsprechung betraut sein, sondern vielmehr nur die Fälle selbst entscheiden, an denen er ein besonderes Interesse hat. Dies sollte nicht auf Verbrechen gegen den Staat eingegrenzt sein, da es doch stets im Interpretationsspielraum des Praetoren liegt, welche Delikte er wie einschätzt. Folglich sollte auch § 19 zur sachlichen Zuständigkeit der Gerichte geändert werden:


    § 19 Sachliche Zuständigkeit
    (1) Bei Verhandlungen über Verbrechen und Schwerverbrechen ist das Iudicium Publicum sachlich zuständig.
    (2) Bei allen anderen Delikten ist das Iudicium Privatum sachlich zuständig.
    (3) Bei Delikten von besonderem öffentlichen Interesse ist der Kaiser berechtigt, die Verhandlung kraft seiner Coercitio Extraordinaria an sich zu ziehen.


    Schließlich beantrage ich die Einrichtung einer weiteren Instanz, in diesem Falle für uns Senatoren. Wie ihr wisst, sehen manche Gesetze wie § 51 vor, dass Fälle vor dem Senat zu verhandeln sind, ohne dass es gesetzliche Regelungen für diese Instanz gibt. Ich bin der Meinung, dass jeder Senator darüber hinaus das Recht haben sollte, von seinen Standesgenossen gerichtet zu werden, weshalb ich ihn als Appellationsinstanz für Senatoren vorsehe. Um dies zu ermöglichen, beantrage ich also eine Ergänzung zu § 4:


    (2) Wird der Senat als Gericht angerufen, sitzen ihm die Consuln oder in deren Vertretung die Praetoren vor. Die Urteilsfindung erfolgt durch die Consuln, ihre Ratifizierung durch Abstimmung des Plenums.


    Ich weiß, dass diese große Zahl an Anträgen eine gravierende Veränderung unseres Rechtssystems darstellt, doch bin ich der Meinung, dass wir uns auf die Mores Maiorum besinnen sollten und unser Rechtssystem nach ihrem Vorbild nachbilden sollen. Dies alles sind keine Neuheiten - nein: Es ist eine Renovatio, deren wir dringend bedürfen."


    Damit hatte Durus das Prunkstück seiner Reformpläne vorgetragen. Die Frage der Appellationsinstanzen würde wohl zu einem späteren Zeitpunkt angegriffen werden - vorerst musste dies durchgebracht werden!


    Erwartungsvoll blickte er in die Gesichter der Männer um ihn herum. Was würden sie davon halten?

  • Das war also die angekündigte große Rechtsreform des Tiberius Durus, oder zumindest ein Teil von ihr. Macer hörte aufmerksam zu und stellte fest, dass der Consul die vorher geschürten Erwartungen nicht enttäuschte. Macer hörte auch deswegen besonders aufmerksam zu, da er als amtierender Praetor einer der ersten sein durfte, die auf den Vorschlag antworten konnten. Da wollte er nichts unüberlegtes sagen. Aber schon während der Rede des Consuls stellte er fest, dass er schnell einen Einstieg für eine Antwort finden würde.


    "Consul, Senatoren, als amtierender Praetor bin ich an diesen Überlegungen besonders interessiert, wie ihr euch denken könnt", leitete er seine Worte ein. "Schon in den bisherigen wenigen Tagen meiner Amtszeit konnte ich feststellen, dass Tiberius Durus mit seinem Ausgangspunkt ganz recht hat. Keineswegs möchte ich mich über die Fülle an interessanten Aufgaben beklagen, die mein Amt mir nun gebrtacht hat, aber ich sehe es ebenso wie der Consul, dass man es den Praetoren ermöglichen muss, Arbeit zu delegieren und sich auf wichtige Belange zu konzentrieren. Zu der Verhandlungen von Strafsachen vor Gericht kommen schließlich noch zahlreiche andere Aufgaben, den sich meine Kollegen und ich stellen müssen. Erwähnt seien nur beispielsweise Freilassungen von Sklaven oder Adoptionen." Macer ging davon aus, dass sich die Senatoren weitere Aufgaben problemlos denken konnten.


    "Und der gewählte Ansatz mag zwar nach großen Umwälzungen klingen, aber er setzt nur das fort, was in speziellen Bereichen ohnehin schon gängie Praxis ist. Denken wir nur an die Erbschaftsprozesse, die wir Jahr für Jahr den Decemviri unter Aufsicht eines Praetors überetragen. Da ist es nur konsequent, mit anderen Dingen ebenso zu verfahren, wenn es sich anbietet. Ich unterstütze daher ausdrücklich den Vorschlag des Consuls, die Instanzenzüge zu reformieren."


    Soweit die allgemeine Zustimmung. Macer hatte sich während des Zuhörens jedoch auch schon eine Details zurecht gelegt. "Ich möchte jedoch auch daran erinnern, dass über die Formulierung der sachlichen Zuständigkeit hier in der Curia vor gar nicht allzu langer Zeit schon einmal debattiert wurde", fuhr er fort und stellte damit ganz nebenbei unter Beweis, dass sein Gedächtnis nicht immer ganz schlecht war. "Wenn wir nun schon wieder dieses Thema anfassen, möchte ich weitergehende Schritte sehen. Der Codex unterscheidet zwischen Vergeben, Verbrechen und Schwerverbrechen, ordnet letztere beiden dann aber doch wieder derselben Zuständigkeit zu. Das können wir vereinfachen. Zumal wir nun, wenn wir dem Vorschlag des Consuls folgen, mit den Begriffen 'privatus' und 'publicus' zwei wunderbare Kategorien hätten." Macer wusste, dass es sich hierbei eher um eine kosmetische Änderung handelte, aber wenn sich die Chance ergab, wollte er sie eben nutzen. "Keinesfalls sollten wir jedoch darauf verzichten, auch weiterhin die explizite Festlegung der Zuständigkeit für einzelne Delikte zu erlauben. Aber ich nehme an, dass der Consul dies nur nicht erwähnt hat, weil er unser Augenmerk eben auf die Änderungen und nicht die Beibehaltungen lenken wollte." Macers Blick ging in Richtung des Consuls, um zu sehen, ob er mit seiner Vermutung richtig lag.

  • "Die Neuordnung der Delikte ist durchaus eine bedenkenswerte Angelegenheit, die zweifelsohne zu diskutieren ist. Dennoch bin ich der Meinung, dass dies in einer gesonderten Anhörung erfolgen sollte, weshalb ich sie hier ungern ergänzen würde."


    erwiderte Durus, nachdem Macer geendet hatte. Er freute sich sehr, dass der Praetor Urbanus ihn so unterstützte, denn gerade er als aktueller Praktiker konnte wohl glaubwürdige Worte liefern.


    "Die Möglichkeit, einzelne Delikte per Gesetz separat zuzuweisen, möchte ich selbstverständlich beibehalten. Wie Du bereits sagtest, soll sie ja nicht geändert werden."

  • "Man könnte die Praetoren auch dadurch entlasten, dass man die Adoptions- und Freilassungsangelegenheiten an die Vigintiviri überträgt. Insgesamt begrüße ich aber diese Neuordnung der Instanzen und bin mir sicher, dass sie bald schon Früchte tragen wird. Doch Die Rolle der Praetoren in diesem Gesetzevorschlag halte ich noch nicht für vollends ausgereift. Nach der derzeitigen Formulierung müsste nie wieder irgendein Praetor irgendeinem Prozess vorstehen und dies entspricht sicherlich nicht den Gedanken, die unsere geschätzten Ahnen hatten, als sie dieses Amt erschufen. Daher möchte ich eine Änderung vorschlagen.
    Anstatt den Vorsitz automatisch einem Iudex zu übertragen bei dem es sich möglicherweiße vielleicht auch einmal um einen Praetor handeln könnte, schlage ich vor, dass auch weiterhin der zuständige Praetor normalerweiße den Verhandlungen vorsteht. Allerdings sollte ihm die Möglichkeit zugestanden werden den Vorsitz an einen von ihm eingesetzten Iudex zu übertragen, falls er es für notwendig erachtet. Es mag lediglich eine kleine Umformulierung sein, aber ich halte dies für signifikant."


    "Außerdem sollte zwei weitere Dinge noch beachtet werden. So sollte der Praetor meiner Meinung nach die Entscheidungen der vorsitzenden Iudices revidieren und sie selbst im Zweifelsfall auch ersetzen dürfen, so er dies für notwendig hällt. Außerdem sollten wir Rahmenbedienungen für die vorsitzenden Iudices schaffen. Kann jeder dahergelaufene Proleatarier einen Prozess führen? Sicherlich nicht! Kann man jedem Winkeladvokaten die Integrität zutrauen, derer es Bedarf, um einen Prozess zu führen? Sicherlich nicht! Daher würde ich vorschlagen, dass die vorsitzenden Iudices aus den reihen der Senatoren zu wählen sind. Am Besten aus den Reihen der gewesenen Praetoren, denn bei diesen Männern kann man sicher sein, dass Erfahrung und Integrität vorhanden sind."

  • In Wahrheit war es bis zu Zeiten Sullas absolut normal gewesen, dass ein Praetor keinen Gerichten vorsaß, sondern lediglich Richter einsetzte. Doch auch das war inzwischen lange her, sodass es verständlich war, wenn sich nicht mehr jeder erinnerte.


    "Ich möchte meinen Antrag demgegenüber verteidigen: Der Praetor sollte einen integren Richter einsetzen, dann muss er jedoch zu seiner Entscheidung stehen und darf nicht eingreifen. Ebenso halte ich die Umformulierung für nicht sinnvoll, da sie in der Praxis die gleiche Wirkung entfaltet und es wohl so sein wird, dass der Praetor einen Großteil der Fälle abgibt."


    Die zweite Anregung war natürlich ebenfalls bemerkenswert. Er selbst hatte ja ganz ähnliche Gedanken gehabt, als er mit Mattiacus gesprochen hatte.


    "Wir haben bereits ein Gesetz, das genau das sicherstellt, daher habe ich diese Frage außer Acht gelassen. Doch ich stimme dir zu: Nur Senatoren sollten Richter sein. Wir können die genaueren Modalitäten jedoch in einer Aussprache separat diskutieren."

  • Dies war seine erste Senatssitzung. Dementsprechend schenkte Ursus den Reden seine höchste Aufmerksamkeit. Und mußte feststellen, daß es ganz und gar kein Fehler gewesen war, den Cursus Iuris schon abzulegen! Sonst hätte er jetzt vermutlich nur die Hälfte verstanden. Doch dank des dort Gelernten konnte er der Diskussion mühelos folgen. Die Diskussion wurde erfreulich sachlich geführt, die Vorschläge waren wohlüberlegt und verständlich formuliert.


    Als Jungsenator in seiner ersten Senatssitzung hielt es Ursus für besser, wenn er seinen Mund hielt und erst einmal die erfahrenen Senatoren zu der Sache Stellung nehmen ließ. Jedoch hielt er es auch für besser, die Neuordnung der Delikte gesondert zu diskutieren, da sonst die Gefahr bestand, sich in Einzelheiten zu verzetteln. Sinnvoll fand er den Vorschlag von Senator Purgitius jedoch ebenfalls.

  • Die Idee seines Klienten und die Antwort des Consuls bezüglich der Einflussmöglichkeiten des Praetors auf einen bereits eingesetzten Iudex hatten Macer ins Nachdenken gebracht. "Ich denke, wir sollte schon einen Augenblick noch darauf verwenden, darüber zu sprechen, ob und wie der Praetor in einen laufenden Prozess eingreifen kann. Immerhin sehen unsere Gesetze auch vor, dass ein Iudex ausgetauscht werden kann, wenn er als befangen gilt. Wir sollten sicherstellen, dass das Mittel der Befangenheit nicht dazu genutzt werden kann, um auf undurchsichtigem Wege eine Einflussmöglichkeit zu schaffen, über die der Praetor vielleicht doch wieder die Möglichkeit erhält, einen Iudex auszutauschen. Wobei wir wohl in beide Richtungen vorischtig sein müssen. Erlauben wir zu viel Einfluss des Praetors, kann er die Iudices zu seinen Marionetten machen und quasi jedes Urteil willkürlich im Alleingang bestimmen. Erlauben wir zu wenig EInfluss, besteht keine echt Kontrolle der Iudices und durch die beschränkten Revisionsmöglichkeiten sind die Prozessbeteiligten damit auch wieder einer gewissen Art von Willkür ausgesetzt." So spontan wie ihm diese Gedanken gekommen waren, so wenig hatte Macer schon eine Lösung für die aufgeworfenen Probleme zur Hand.

  • “Ich bin verwirrt.“, mischte sich Aelius Quarto in die Diskussion ein: “Bei der Berufung von Richtern wollt ihr den Praetoren vertrauen – aber wenn es um die Abberufung dieser Richter geht, dann nicht mehr? Das finde ich seltsam!
    Wer einen Auftrag erteilt, der muss auch das Recht haben, diesen Auftrag wieder zu entziehen. Gilt das nicht in allen Lebenslagen? Warum sollte es hier also anders sein?“

  • "Auch bisher ist es dem Praetor nicht möglich, einen eingesetzten Iudex abzulehnen, wenn das Verfahren begonnen hat. Vielmehr obliegt es dem Imperator Caesar Augustus, derartiges zu tun - als Inhaber der Tribunicia Potestas ist dies ja auch verständlich! Von der Möglichkeit des Praetors lese ich hingegen nichts."


    meinte Durus etwas verwirrt, als sich alle an den Möglichkeiten zur Entziehung des Richtermandats äußerten. Aber offenbar war man mit den bisherigen Regelungen zum Iudex unzufrieden.


    "Wobei durchaus die Frage besteht, ob man diese Gesetze ebenfalls überarbeitet. Auch das würde ich allerdings auslagern."

  • "Nun prinzipiell finde ich den Vorschlag des Consuls aller Zustimmung wert, aber ich glaube wir sollten den Punkt der Befugnisse der Praetoren jetzt klären, scheint er doch für viele von uns unmittelbar mit dem vorliegenden Gesetzesvorschlag zusammenzugehören."


    Zumindest interpretierte Victor es so, da sich die Diskussion ja jetzt zu einem großen Teil darum gedreht hatte.


    "Vor allem, da du in deiner Rede erwähntest, werter Consul, dass es auch deine Intention wäre den Kaiser von den Belastungen des alltäglichen Rechtsgeschäfts zu befreien. Da erscheint es mir etwas unschön nur ihm die Prüfung jedes Revisionsantrages aufzubürden."

  • "Gut, wenn es der Wunsch dieses Hauses ist, werden wir die Befugnisse des Praetors gegenüber den Iudices genauer diskutieren. Ich bin der Meinung, dass der Praetor das Recht haben sollte, die Richter einzusetzen. Möglicherweise wäre es sinnvoll, den Prozessparteien die Möglichkeit zu bieten, eine bestimmte Zahl von Richtern abzulehnen, um Unparteilichkeit zu gewähren. Ich lehne es jedoch ab, dass der Praetor einen Iudex eigenmächtig wieder abberufen kann. Meines Erachtens sollte ein Iudex alle Freiheit haben, seinen Richtspruch unabhängig zu fällen."


    erklärte Durus auf die Anmerkung Victors hin. Doch auch die zweite Bemerkung bedurfte eines Kommentars:


    "In Zukunft soll es absolut unüblich werden, ein Verfahren neu zu verhandeln. Der Kaiser ist nicht dazu verpflichtet, sondern sollte nur bei gravierenden Mängeln der Rechtsprechung ein Verfahren an sich ziehen. Abgesehen besitzt er dafür ja einen eigenen Procurator a cognitionibus, dem genau diese Aufgabe zukäme, wie ich meine."


    Hier konnte Durus aus Erfahrung sprechen, obwohl er damals noch vor allem der Ankläger des Kaisers gewesen war.

  • "Eine feste Begrenzung, wie viele Richter maximal wegen Befangenheit abgelehnt werden dürfen, würde ich nicht festschreiben", warf Macer sofort ein. "Auch dies würde taktische Möglichkeiten erlauben, einen bestimmten Richter festzulegen. Wir sollten eine größtmögliche Objektivität gewährleisten und das geht nicht, wenn bestimmte Teile des Prozesswesens zu statisch und berechenbar ablaufen. Denn je eher das Urteil der Richter von allen Seiten als unparteiisch und gerecht erachtet wird, umso eher kommen wir auch unserem Ziel nahe, Revisionen zu vermeiden."

  • "Es kann schwerlich möglich sein, dass jede Prozesspartei unbegrenzt viele Richter ablehnen kann - wir haben auch nur eine gewisse Anzahl an möglichen Richtern! Natürlich sollte der Praetor einen unparteiischen Richter einsetzen, doch ist die Frage, ob die beiden Parteien diesen Richter ebenfalls als unparteiisch akzeptieren."


    Natürlich war es Durus klar, dass ein Praetor auch immer neu befangene Richter einsetzen konnte, doch andererseits entsprach die Möglichkeit der Ablehnung den Mores Maiorum und waren darüber hinaus auch eine gute Möglichkeit für Anwälte, den Prozess etwas stärker zu beeinflussen.


    "Oder welche Alternative würdest du vorschlagen, Purgitius?"

  • “Wenn ihr um die Unabhängigkeit der Iudices fürchtet, dann soll es von mir aus so sein, dass der Praetor einmal berufene Richter nur mit gutem Grund wieder abberufen kann. Und meinethalben kann das künftige Gesetz auch die Befangenheit nennen, als den Grund, der üblicherweise akzeptabel ist.
    Aber vorschreiben, wie viele Richter von den Parteien abgelehnt werden dürfen, also eine Zahl nennen? Nein, dass kann nicht richtig sein!
    Wenn nur Senatoren Richter werden können, dann wird sich jeder Praetor schon aus Eigennutz gut überlegen ob er einen Senatskollegen fälschlich der Befangenheit bezichtigt und enthebt. Wer das täte, der würde sich große Probleme für die Zukunft einhandeln.“

  • Auf die Worte des Consuls hin musste Macer schmunzeln. "Natürlich haben wir nur eine begrenzte Azahl an möglichen Richtern, aber ich möchte nicht ausschließen, dass ein windiger Advocat sie allesamt als befangen ablehnen wird, wenn es seiner Strategie nützlich ist", antwortete er.


    Da er auch direkt angesprochen worden war, musste er jedoch wohl auch noch zur Sache antworten. "Ich hatte eben zunächst einmal nur grundsätzliche Bedenken formuliert. Die derzeitige Regelung scheint nicht schlecht zu sein. Zumindest sind mir keine Prozesse bekannt, die sich wegen der massenhaften Ablehnung angeblich befangener Richter unnötig in die Länge gezogen hätten. Vielleicht sollten wir daher einfach nur die bestehende Regelung auf die vorgeschlagenen Änderungen bei der Einsatzung der Iudices anpassen und dann schauen, was passiert."

  • "Dann würdest du schlichtweg bestimmen, dass nicht mehr der Iudex Prior, sondern der Praetor die Richter für jedes Verfahren einsetzt, das Gesetz sonst jedoch so belassen, wie es ist?"


    fragte Durus nach, da er sich sonst kaum an Änderungsvorschläge erinnern konnte.

  • Macer schüttelte den Kopf und war sich nicht ganz sicher, ob er und der Consul gerade aneinander vorbei redeten. "Wenn ich es richtig im Kopf habe, erlauben unsere derzeitigen Gesetze, dass ein Iudex wegen Befangenheit abgelehnt werden kann und der Praetor dann einen anderen Iudex bestimmt und dass ein Praetor als Vorsitzender abgelehnt werden kann und der Kaiser dann einen neuen Iudex Prior bestimmt, selber als oberster Richter jedoch selbstverständlich ausgenommen ist.", versuchte er die aktuelle Regelung aus dem Kopf widerzugeben. "Genau dieses müsste dann darauf angepasst werden, dass nun der Praetor Iudices einsetzt und auch sich selber einsetzen kann. Konstruieren wir mal einen schweren Fall: Ein vom Praetor eingesetzter Iudex Prior wird der Befangenheit bezichtig. Wer entscheidet über seine Ablehnung? Der Praetor, der ihn eingesetzt hat? Zumindest dürfte es im Sinne der vorgeschlagenen Änderungen nicht mehr der Kaiser sein, wie bisher. Nehmen wir einmal an, der Praetor gibt dem Antrag statt, weil der von ihm eingesetzte Iudex Prior doch nicht so unparteiisch ist, wie er gedacht hatte. Der Praetor muss also einen neuen Iudex Prior einsetzen. Um taktisch Spielereien zu unterbinden, wirft er das Gewicht seines Amtes in die Waagschale und setzt sich selber als neuen Iudex Prior ein. Trotzdem stellt eine der beiden Streitparteien nun auch gegen ihn einen Befangenheitsantrag. Was nun? Wer entscheidet?"

  • Das nicht der Imperator jeden Revisionsantrag persönlich bearbeiten würde, war Victor zwar auch schon vor der Belehrung durch den Consul klar gewesen, aber er hatte hier und heute keine Lust sich deshalb zu echauffieren. Dafür schritt ja auch die Diskussion auch zu schnell voran.


    "Nun, nur so als Vorschlag könnten prinzipiell wir, also der Senat, ja in Zukunft einen solchen Fall entscheiden. Schließlich dreht sich eh alles um die Senatoren, wenn die Iudices aus unseren Reihen stammen müssen."

  • "Der Praetor sollte durchaus entscheiden, aber nur auf Antrag der Prozessparteien. Wenn er seine Rechte missbraucht um einen Prozess nach seinen persönlichen Wünschen zu entscheiden, kann sich jeder Bewohner des Imperium Romanum ja noch immer an den Kaiser als höchsten Schiedsrichter wenden - oder ein römischer Bürger auch an die Volkstribune, die ja genau für diese Fälle existieren. Der letzte Weg wären natürlich auch die Consuln oder ein anderer Praetor kraft der Intercessio, beziehungsweise der Prohibitio."


    warf Durus ein, da er es für nicht sehr sinnvoll hielt, wenn der Senat über die Einsetzung von Gerichtshöfen diskutierte. Solche Debatten würden die Arbeit dieses Gremiums nur aufhalten!

  • Während Macer den Vorschlag von Octavius Victor zwar etwa arg kreativ, aber immerhin zur Frage passend fand, schüttelte er bei der Antwort des Consuls den Kopf. "Ich fürchte, das beantwortete meine Frage nicht", fasste er seine Zweifel auch noch in Worte. "Wenn der Praetor als Iudex Prior wegen Befangenheit abgelehnt wird, kann man schlecht sagen, dass der Praetor entscheiden soll. Den Volkstribun würde ich hier ebenfalls heraushalten wollen, denn schließlich kann er mit seinem Veto nur Amtshandlungen unterbinden, aber dem Praetor nicht vorschreiben, wen er als Richter einzusetzen hat. Der Verweis auf den Consul als höhere Instanz wäre natürlich möglich. Wie würdest du das dann formulieren? 'Wird der Praetor selbst wegen Befangenheit abgelehnt, entscheiden die Consuln über den Iudex Prior'? So in etwa? Und wäre gegen deren Entscheidung erneuter Einspruch möglich, abgesehen vom Recht des Imperators?"

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