Andere Länder, andere Sitten

  • “Feigen?“ fragte Axilla nach und nahm sicherheitshalber nochmal einen Schluck, vergaß aber jetzt das Schmatzen hinterher. Sie schmeckte keine Feigen, und in Ägyptus hatte es die Früchte das ein oder andere Mal auf dem Tisch gegeben. Und auch nach noch einem Schluck, keine Feige. “Vielleicht hast du recht, und es schmeckt für jeden anders. Ich schmecke keine Feigen.“
    Axilla lächelte vor sich hin und fühlte sich alles in allem recht wohl, auch wenn sich ihr nicht erschloss, warum überhaupt. Aber ihr war warm, sie hatte nette Gesellschaft, warum sollte sie sich nicht wohl fühlen? Und der Wein war doch recht lecker, und sie nahm noch einen Schluck.
    “Du hast einen guten Weingeschmack, Piso. Der ist wirklich gut“ machte sie ihm ein kleines Kompliment und merkte noch nichtmal, wie leicht ihre Sprache gerade war im Vergleich zu ihrer Zunge, die sich langsamer bewegte, als sie sollte. Aber noch war es nicht wirklich schlimm.
    “Machst du sowas öfter? Also... Wein trinken gehen, mein ich. Der Kellner war ja gleich ganz eifrig, dir den richtigen Wein zu bringen.“ Und noch ein Schluck von dem süßen, hellen Getränk. Nein, Feigen schmeckte sie da wirklich nicht, aber sie musste mal nachschenken...

  • Feigen, fragte Axilla ganz verwundert nach, was doch eine gewisse Skepsis in Piso auslöste. Er trank noch einmal ein wenig Wein – und schmatzte noch einmal laut hörbar. Jetzt, wo sie es sagte... konnte das tatsächlich sein... das waren doch Beeren. Erdbeeren sogar. Piso blinzelte und stellte seinen Wein ab. Er hatte doch noch einen gewissen Rest Stolz, und er würde sich sicher nicht bloßstellen wegen so einer Sache. Er lächelte deshalb ein bisschen süßlich die Iunierin an. „Ja, das muss wohl so sein. Vielleicht liegt es auch am Unterschied zwischen ägyptischen Feigen und Beeren und italischen Feigen und Beeren.“ Er beeilte sich, das Thema so schnell wie möglich abzuschließen, da sowieso jetzt wieder ein Kompliment kam, welches seine Seele labte. Zufrieden lächelte er.
    „Nun, es ist vor allem so, dass man wissen muss, wohin man gehen muss. Aber eine schlechte und eine gute Kaschemme kann man schon unterschieden.“ Obwohl es eher so war, dass er Glück gehabt hatte... und vielleicht war die Qualität des Falerners, den man anbot, doch entscheidend.
    „Danke trotzdem.“ Auch er nahm noch einmal einen Schluck vom Wein. Plutoverdammmich, das waren Beeren. Ganz sicher. Was sollte daran auch nur im Entferntesten an Feigen erinnern? Am besten, wenn er dies gar nicht mehr erwähnte, denn es war ja wohl auch schon egal.
    Ein wenig belustigt blickte er aber auf Axilla. Das Mädchen hatte aber einen gesunden Zug drauf. Das konnte gut daran liegen, dass der Wein so unwiderstehlich süffig war, dass man gar nicht anders konnte, als noch mehr davon zu wollen.
    Er schlug trotzdem etwas anderes nun vor. „Magst du einen anderen probieren? Wir können ja einmal schauen, wie dir der Rosé schmeckt.“ Wenn er so weitermachen würde, hätte er sie sicher bald einmal abgefüllt bis ganz nach oben hin. Doch er wollte der Iunierin einmal wirklich die Freuden eines guten Weines vorführen... und dass man schon nach einem Becher beschwipst wurde, sah der trinkfeste Flavier nicht ein.
    „Oh, ähm, ja!“, beantwortete er ihre Frage. „Ich gehe gerne einmal auswärts was trinken. Manchmal alleine, manchmal mit Freunden.“ Hie und da endete das in einem veritablen Disaster, doch das musste er Axilla jetzt nicht unter die Nase reiben. „Aber ich muss sagen, in dieser Schänke war ich noch nie.“ Gut möglich, dass die neu war. Und auch gut möglich, dass der Kellner sich so beeilt hatte, weil einem Flavius Piso sein Ruf vorauseilte. 8)

  • Es gab Unterschiede zwischen den Feigen hier und den Feigen dort? Axilla zog eine Augenbraue hoch und überlegte, ob sie sowas schonmal gehört hatte. Aber irgendwie klang diese Idee neu. War eine Feige nicht eine Feige, egal, wo sie herkam? Das war doch mal ein Thema für die Philosophen! Sie musste es sich unbedingt merken.
    Piso gefiel offenbar ihr kleines Kompliment, und Axilla strahlte ihn an, weil er es so dezent von sich wies, aber doch nicht ganz davon ab konnte. Es freute sie, dass sie es geschafft hatte, ihm zu schmeicheln. Und jetzt trank auch er ein bisschen mehr, so dass sie sich nicht schämte, als sie sich nachgoss, um langsam aber sicher noch einen Becher zu vernichten. Der Wein war aber auch gut und süß!
    “Rose? Ja, probieren wir noch einen Rose!“ strahlte sie Piso glückselig an und hob flink einen schlanken Arm, um den Kellner herbeizurufen. Der kam auch fast sofort herbeigeeilt und fragte nach weiteren wünschen.
    “Wir wollen einen“ kurzer, fragender Blick zu Piso, ob sie es richtig aussprach “Roséwein probieren.“ Sie strahlte den Kellner kurz beinahe so fröhlich an wie eben noch Piso, und nachdem dieser die Bestellung präzisiert hatte und der Kellner davongeschwirrt war, um das Gewünschte herbeizubringen, strahlte sie ihn umso glückseliger an. “Ist aber schade, dass du das manchmal allein machst. Ist doch viel lustiger zu zweit, oder? Mit wem unterhält man sich denn, wenn man allein in eine Taverne geht? Dann kennst du doch gar niemanden?“
    Die Frage troff nur so von Naivität, aber im Moment erschien sie Axilla schon ziemlich berechtigt und auch logisch. Und sie wollte irgendwie wirklich eine Antwort wissen. Vor allem aber wollte sie sich weiter mit Piso unterhalten. Er konnte gut reden, und Axilla mochte es, einfach zuhören zu können.

  • Ha... ha! Die Augenbraue! Sie zog sich hoch! Und zwar nur eine Einzige! Was für eine flavische Eigenart, dachte sich Piso, der belustigt beide Augenbrauen einmal hochtippte.
    Sie schlug sofort in die selbe Kerbe wie er und bestellte einen Wein nach. Hach, das war ja was! So musste man nicht einmal selber den Kellner rufen! Er nickte zu der Iunierin hin, als Zeichen, dass ihre Aussprache richtig gewesen war (immer diese gallischen Wörter!) und wartete auf den Kellner. Lange musste er nicht warten. Er wandte sich an ihn, der dahergeeilt kam wie ein Wiesel, und dachte kurz nach. „Am Besten... einen aus den Alpen. Aus Noricum oder Pannonien vielleicht.“ Der Kellner nickte. „Wir haben da einen aus Noricum, er...“ „Her damit!“, befahl Piso und drehte sich wieder zu Axilla hin, als der Kellner sich verbeugte wie ein Sklave vor seinem Herrn und davoneilte.
    Der Flavier hörte sich die Frage von Axilla an, und während er gerade vorhin noch gerade so munter dahergeschaut hatte wie Axilla, rutschten ihm nun die Mundwinkeln ein winziges Stück herunter. „Hmm.“ Das war sicher nicht die Antwort, die Axilla erwartete, und doch hielt er inne, um einen Satz zusammen zu basteln. Selbstverständlich war es nicht, dass er auf so etwas antwortete, es nicht nur mit einem Kopfnicken überging, aber erstens mochte er Axilla zu sehr, um sie so abzukanzeln, und zweitens hatte ihn der Wein doch ein bisschen redseliger gemacht.
    „Ich weiß nicht. Weißt du, Axilla... hie und da will ich meine Ruhe haben. Und dann doch nicht auf das Ambiente in einer Kneipe verzichten.“ Er hätte schon genug Leute, mit denen er ausgehen konnte, allerdings wollte er dies manchmal gar nicht. „Manchmal, da wird mir die Welt so lästig... alle gehen mir auf den Geist... und niemand will mich verstehen. Dann will ich nicht die Gesellschaft von irgendwelchen Banausen... ich will einfach nur... in Ruhe mein Ding durchziehen. Über die Welt sinnieren, ohne dass jemand meine Kreise stört.“ Ob sie das verstand? Gut möglich, hie und da verstand er sich selber auch nicht. Er würde sich selber als extrovertierter Mensch bezeichnen, aber hie und da hatte er das Bedürftnis, sich in eine Kapsel zurückzuziehen, und diese durch den Genuss von Alkohol verstärken.

  • Axilla schaute offen und ohne Arg Piso entgegen, als sie auf seine Antwort wartete. Allerdings merkte sie fast sofort – irgendwie war ihre Reaktionszeit gerade etwas langsamer, wie sie feststellte – dass sie wohl einen Fettnapf erwischt hatte. Piso schaute mit einem Mal etwas abwesend, fast traurig, und auch ihr Gesichtsausdruck wurde dabei ernster und mitfühlender. Als er ihr dann antwortete, lauschte sie ruhig und mit Verständnis in ihren Augen. Oh ja, das kannte sie sehr gut. Was er da beschrieb, das kannte sie mehr als gut. Nur hätte sie nie gedacht, dass jemand anderes auch jemals so fühlte, und erst recht kein Mann. Und schon dreimal nicht jemand wie Piso, der ja Patrizier, redegewandt und so fröhlich war.
    Sie wollte antworten, aber in diesem Moment kam der Kellner, der sich auch dieses Mal beeilt hatte, als wären die Furien mit ihren Peitschen hinter ihm her, mit dem neuen Wein. Er stellte den neuen Krug ab, auch zwei neue Becher dazu, und schenkte schnell ein, ehe er sich verbeugend und zwei Schritte rückwärts gehend wieder entfernte. Axilla nahm den neuen Becher und roch einmal an dem Wein. Dieser war irgendwie kräftiger, roch mehr nach Blumen als nach Beeren, und sie nahm einen Schluck davon. Einen kräftigen Schluck, um genauzusein, gefolgt von noch einem, weil sie beim ersten Mal ja gar nicht so richtig den Unterschied geschmeckt hatte. Dieses Mal schmatzte sie wieder und schaute dann überlegend wie in hundert Meilen entfernung. “Der ist gut“ kam schließlich etwas schwerfällig von ihren Lippen, gefolgt von noch einem Schluck. “Riecht nach... Jasmin... oder Glockenblumen...glaub ich...“ Ihre Eloquenz litt ein wenig, während sie noch einen Schluck nahm und zu Piso rüberschaute. Er sah irgendwie so verloren aus in Axillas Augen. Und er hatte schöne graue Augen.
    Axilla rutschte wieder näher zu ihm und beugte sich leicht zu ihm rüber. “Ich verrate dir ein Geheimnis. Aber du musst versprechen, dass du es nie verrätst.“
    Auch wenn ihre Zunge eine Winzigkeit belegt war und verriet, dass sie bestimmt schon gut angeheitert war – auch wenn sie nicht lallte oder Schluckauf hatte – sah und hörte man ihr an, dass sie das ernst meinte. Bei dem Wörtchen 'versprechen' machte sie mit ihrer Rechten ein leichtes X über Pisos Herz und dachte dabei nicht einmal daran, dass sie ihn einfach so berührte. Sie beugte sich zu ihm rüber, damit niemand anderes mithören konnte. Oh, er roch auch gut...
    “Daheim, in Tarraco, da hatten wir einen Baum im Garten. Wenn es mir zuviel wurde, bin ich einfach zu ihm gelaufen und in seine Äste geklettert. Es war ein wundervoller Baum, alt, knorrige Rinde...Meine Mutter war sehr krank, und manchmal war es schlimm. Wenn dann niemand wusste, was zu tun war... ich bin dann immer dorthin gelaufen. Dann war ich in einer anderen Welt. Dann... war ich nicht ich. Da war ich ganz weit weg, nur ich und meine Gedanken, und der Baum...“
    Während Axilla erzählte, wurde ihre Stimme etwas abwesend, als sie sich erinnerte. “Ich schwöre dir, es lebten Nymphen darin. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Ich vermisse ihn. Ich fühlte mich immer sicher bei den Bäumen...“
    Sie schüttelte kurz den Kopf und rückte aus der unmittelbaren Nähe des Flaviers leicht ab. Ganz verlegen lächelte sie ihn an und nahm sich wieder ihren Becher mit Wein, von dem sie einen großen Schluck nahm. Irgendwie hatte sie gerade das Bedürfnis dazu. “Ich denke, deine Methode war besser und klingt nicht ganz so verrückt“, meinte sie schließlich selbstironisch und schenkte sich aus dem Krug noch etwas nach.

  • Es ließ der Flavier seine Sensibilität wieder unverblümt raushängen. Hie und da schaffte er es, sie durch eine Aura von patrizischer Indifferenz und noblem Getue zu umgeben, zumeist jedoch nicht. Er schaffte dieses Mal nur ein tiefes Seufzen, als Axilla ihn mit einem Blick anschaute, der einem Reh zur Ehre gereichen würde. Sie war so goldig irgendwie, besonders, wenn sie beschwipst war. Goldig. Es hatte einmal ein anderes Mädchen gegeben, das er so bezeichnet hat, dachte er sich insgeheim. Eine, deren Verhältnis mit ihm zerbrochen ist, zerbrochen an dem unüberwindbaren Graben zwischen seinem und ihrem Stand. Er schloss die Augen für einen Moment, bevor er sie wieder behäbig öffnete, und wieder zu Axilla hinblickte, die noch immer zu ihm hinschaute. Es war ein irgendwie intimes Gefühl. Angenehm intim. Er blickte ihr noch immer in die Augen, als der Wein daherkam, umfasste ihn mit lockerem Griff und trank ein wenig daraus, ebenso wie Axilla. Sie folgerschlusste... schlussfolgerte, der Wein schmäcke... schmöcke?... schmeckte?... nach Blumen. Er runzelte seine Stirn kurz. Begann der Wein ebenfalls schon, ihn einzuduseln?
    „Ich denke, du hast recht.“ Schmeckte der nicht eher nach Pflaumen? Egal, er hatte ja noch Manieren. Und diese besagten: Gib einer Dame recht. Und Axilla war unbestreitbar eine solche, wenn auch ein wenig eigenwillig in ihrer Eigenschaft als erwachsenes weibliches Wesen. Fast kindlich. Nicht ein Kindskopf wie Piso oder Archi, sondern so, dass man dachte, sie müsste noch ein halbes Kind sein. Zum ersten Mal kam ihm die Erkenntnis, dass Axilla sehr jung sein musste, und er spürte ein bisschen ein schlechtes Gewissen darüber, tief in seinem Inneren, dass er ein solches Mädchen, denn nichts anderes war sie, mit Alkohol abfüllte. Na ja, auch schon egal, dachte er sich innerlich und hörte ihr zu, als sie mit ihrer Gesichte begann.
    „Ich werde niemandem erzählen.“ Sein Versprechen war ernst gemeint, er konnte gut dicht halten. Ein bisschen verwundert war er aber, dass sie ihn auf der Brust anstupste. Was sollte das sein? Was hatte sie vor? Dass sie irgendwas markierte, bemerkte er gar nicht, er blickte sie nur erstaunt an, und gönnte sich noch einen Schluck Wein. Ach, gut, jetzt war es besser.
    Er begann also, hinzuhorchen, und unterdrückte einen Furz, den auszustoßen sein Hintern sich bemühte, wie vor langer Zeit im gemeinsamen Furzwettbewerb mit Archi. Durch ein solches akustisches und olfaktorisches Phänomen wäre der Eindruck seines guten Geruches sicherlich dahin.
    Piso nickte. „Das klingt sehr schön.“ Er lächelte leicht. Ein spanischer Baum. Erinnerungen wurden in ihm wach. Auch er hatte einst Zuflucht vor der Welt gesucht auf einem Baum in Hispania. Das war bei Caesaraugusta gewesen. Es war schön gewesen – nichts zu hören außer das Geschnarche seines Sklaven Cassivellaunus, der seine Siesta am Fuße des Baumes hielt.
    „Nymphen.“, echote er, was sie sagte. Nymphen. Einerseits war das Humbug. Andererseits – was für ein Arvalbruder wäre er, so etwas komplett im Vorhinein auszuschließen? „Hast du sie jemals gesehen?“ Ob solch numinöse Gestalten sich jemals blicken lassen würden? „Hast du sie jemals... gehört?“ Er legte seinen Kopf schief und lächelte noch immer. Nymphen müssten sich schön anhören.
    Er lachte, als sie seine Handlungen kommendierte. „Ich denke nicht. In einem Baum zu hocken und zu sinnieren, statt sinnlos sich Alkohol hinter die Binde zu gießen, finde ich präferabel. Besonders, wenn beim einen Szenario Nymphen deine Begleiterinnen sind, und beim anderen...“ Billige Huren? Ne, das sagte er besser nicht. „...niemand.“
    Er atmete tief ein, dann aus, und trank schnell Wein hintennach. Glockenblümchen? Nicht im Ernst. Das waren eindeutig Pflaumen.

  • Als er ihr Recht gab, grinste Axilla freudig. Das Kompliment tat ihr gut, auch wenn sie sich nicht sicher war. Es war irgendwie blumig, aber sie kam einfach nicht drauf, was genau es war. Vielleicht irgendwas, das noch süßlicher roch? Nur was? Nunja, aber wenn Piso ihr recht gab, hatte sie ja vielleicht doch schon das richtige gefunden.
    Und auch sein Versprechen ließ sie lächeln, wenngleich anders. Es war nicht, dass es sie freute – also schon auch, aber nicht nur. Nein, es verband sie. Es machte sie zu gemeinsamen Hütern eines Geheimnisses, und damit waren sie Axillas Ansicht nach näher als noch vor ein paar Minuten. Und ihr fiel auf, dass ihr dieser Gedanke gefiel. Sehr sogar. So hatte sie auch wenig Hemmungen, ihm ehrlich von ihren Gefühlen für den Baum zu berichten, auch wenn es kindisch und albern klingen mochte.
    Als sie geendet hatte, nahm sie wieder einige schlucke. Leider war der Becher viel zu schnell an seinem Ende angelangt, so dass sie nachschenken musste. Wieviele Becher hatte sie nun eigentlich gehabt? Drei? Vier? Sie wusste es nicht. Im Endeffekt zählten ja doch nur zwei: Der erste und der letzte. Und das hier würde sicher der letzte sein, nahm sie sich vor, als sie ihn einschenkte. Ihre Hand-Augen Koordination war aber irgendwie gerade nicht besonders, so dass sie sich ein wenig über die Hand schüttete und erstmal damit beschäftigt war, den Wein wieder von ihrer Hand zu lecken. Sonst klebte das ja alles!
    Piso klang verträumt, als er sie nach den Nymphen fragte, und Axilla war zu beschwipst, um die Frage nicht geradeheraus zu beantworten. “Ja, hab ich“, erzählte sie also mit einem verklärten Lächeln im Gesicht und rückte doch wieder näher, den Becher in der Hand. Sie nahm eben noch zwei kräftige Schluck und kam dann wieder so nah zu ihm, dass sich ihre Oberarme berührten. Ein schönes Gefühl, daher blieb sie so, nachdem sie ihn einmal glückselig angelächelt hatte.
    “Ich war noch... ganz klein. So klein... naja, vielleicht auch so klein“ Sie zeigte mit den Händen eine Größe, die vielleicht einem fünfjährigen Kind entsprach, wenngleich ihre Hand dabei etwas wankte. Sie sah lächelnd zu Piso rüber. “Du hast schöne, graue Augen...“, dachte sie laut und merkte es nicht, ehe sie ihren Kopf ohne zu überlegen auf seine Schulter legte, um weiterzuerzählen. “Weischt du, mein Vater...[size=6]hicks[/size]... der ist mit mir einmal..[size=6]hicks[/size]... ausgeritten, nachts. In den Wald sind wir geritten, nur wir zwei. Isch bin einge..[size=6]hicks[/size]...schlafen und dann wach geworden von Stimmen. Ich hab sie nicht gesehen, dafür war esch schu dunkel. Aber schie waren da, ganz ehrlich. Ich schwöre, schie waren da.“
    Axilla wendete kurz den Kopf leicht, um zu ihm hochschauen zu können. Sie lächelte leicht und glückselig. Er hatte wirklich wunderschöne, graue Augen. “Du glaubscht mir doch?“ fragte sie noch einmal nach, weil sie ja irgendwie doch wusste, wie verrückt das klang. Aber andererseits behielt sie diese Nacht immer in Erinnerung, manchmal träumte sie sogar davon, wie sie dann auf den Hügel geritten waren, hinter ihnen der Wald, und hinunter in das nächtliche Tal geschaut hatten. Sie konnte sich an jeden einzelnen Stern am Firmament von dieser Nacht erinnern, und an das helle, leise Lachen, das das Kind anfangs erschreckt hatte.

  • Noch einmal ein bisschen Wein, aber ganz vorsichtig. Pflaume war es eindeutig... Piso schüttelte den Gedanken ab. Was brachte es, über Weingeschmäcker zu sinnieren? Er hatte eh das Gefühl, er könnte nur verlieren, wenn er jetzt noch irgendwas über den Wein sagte, also ließ er es sein.
    Lieber horchte er kurz in sich hinein, als ob er dadurch etwas erfahren könnte, was er nicht eh schon wusste. Hatte er zuviel Wein getrunken? Nein, er spürte noch kaum etwas, es war ihm vielleicht ein wenig wärmer im Gesicht geworden, aber sonst nichts. Axilla hingegen schien der Wein nicht so gut zu bekommen, fiel ihm doch auf, als sein Blick wieder ein bisschen weniger verklärt wurde nach seinen Fragen. Sie leckte sich ihre Hand ab, Iuppiter weiss warum. Und sie klang so duselig irgendwie, als sie ihm antwortete. Sie habe tatsächlich schon Nymphen gesehen, antwortete sie ihm, doch das war das einzig Sinnvolle, was er aus ihren Worten destillieren konnte. Als sie ihm erklärte und mit der Hand anzeigte, wie klein sie damals gewesen war, nickte er nur ein wenig konfus, ließ sich seine Verwirrtheit aber nicht anmerken. Axilla hätte sie in ihrem Zustand eh nicht mehr bemerkt. Bei den Göttern, die ist aber schnell betrunken worden, dachte er sich. Wie alt sie damals gewesen war, konnte er nicht feststellen, schwankte ihre hand doch beträchlich herum. Und... was war das den? Seine Augen? Er hob ganz leicht eine Augenbraue an. „So...?“ Er selber kam sich natürlich sehr schön vor, zumindest gab er sich so, als ob er das täte, doch er wusste nicht recht, wie er das aufnehmen sollte. Sie musste wirklich schon jenseits von gut und böse sein. Er fühlte eine Berührung auf seiner Schulter und merkte, dass Axilla, als ob sie müse wäre, ihren Kopf dort hinangelehnt hatte.
    Sie begann, etwas zu faseln, wovon Piso nicht besonders fiel mitbekam. Die Aussprache war verzogen und von vielen Hicksern durchsetzt. Etwas von einem Ausritt, von Stimmen, von der Nacht. Ihren letzten Satz, eine Frage, die verstand er aber widerum sehr gut. „Sicher.“, machte er kalmierend und dachte nach. Immer mit der Ruhe, dachte er sich. Was tun?
    Ein Gedanke fuhr ihm durch den Kopf. Gib ihr noch etwas Wein. Und wenn sie dann so besoffen ist, dass sie quasi bewusstlos ist, kannst du sie dann in aller Ruhe irgendwo nehmen. Ohne dass jemand es jemals erfährt...
    Urplötzlich wurde die Farbe in seinem Gesicht um eine Spur weißer. Wieso hatte er nur so etwas gedacht? Wie konnte er nur? Solche Gedanken waren diabolisch, und eines Menschen unwürdig. Wo war nur seine Ehre hin, dass er so etwas denken konnte, seine Männlichkeit, seine Manieren, die Ansprüche, die er an sich selber und seine Mitmenschen stellte? So etwas zu tun wäre doch zutiefst... unästhetisch.
    „Axilla.“, begann er deshalb vorsichtig. „Ich glaube, wir haben jetzt genug gehabt. Sollen wir gehen?“, fragte er.

  • Weder von seinen Blicken, und erst recht nicht von seinen Gedankengängen, bekam Axilla irgendetwas mit. Sie war auch nicht betrunken, nein, nein, sie fühlte sich klar wie selten. Sie hörte Geräusche, von denen sie nichtmal wusste, dass es sie gab! Sie war sich sicher, dass der Holztisch vor ihr ein Geräusch hatte. Ein... holziges Geräusch. Ein geradezu eichenholziges Geräusch! Wunderschön.
    Und Gerüche! Oh, Piso roch gut. Er roch geradezu phänomenal gut. Sie wusste nicht, nach was. Wahrscheinlich Seife. Aber es gefiel ihr, so an seiner Seite zu kuscheln und bei ihm zu sein. Er war warm, und hatte eine geradezu komfortable Kuhle da, wo ihr Kopf an seiner Schulter lag. Und seine Tunika war auch toll. So... flauschig. Ja, genau, flauschig. Schön flauschig.
    Nein, Axilla war sicher nicht betrunken, ganz und gar nicht. Sonst könnte sie das alles ja gar nicht bemerken. Höchstens eine Winzigkeit beschwippst. Aber nur minimal. Und da man auf einem Bein nicht stehen konnte, goss sich Axilla lieber nochmal nach. Sie hatte ja erst.... fünf Becher? Auf jeden Fall zu wenig.
    “Wieso denn? Isch doch schön hier, und wir haben doch noch scho viel Wein übrig. Der scholl doch nich schlecht werden?“
    Warum sollten sie denn gehen? Wie zum Beweis leerte Axilla ihren Becher und schenkte nochmal nach. Sie glaubte, es war diesmal noch vom ersten Krug mit dem Weißwein. Aber das war ohnehin egal. Irgendwie schmeckte sie jetzt keinen Unterschied mehr heraus, es schmeckte nur noch eines: Guuuuuuuut.
    Aber dann kam Axilla eine Idee, warum Piso gehen wollen könnte, und verschwörerisch schaute sie ihn an, ehe sie immer diebischer lächelte. “Flaviusch...ne, Flavius Piso. Willscht du etwa mit mir allein sein?“ Ihr Blick wurde geradezu wagemutig, aber sie hielt ihn nur etwa eine Sekunde, ehe sie freudig grinsen musste und ihm kurzerhand um den Hals fiel. “Das find ich süß von dir“ jauchzte sie dabei und kuschelte sich dann ziemlich dicht an ihn. Oh ja, er roch wirklich gut. Und er hatte so schöne, graue Augen.


    Als Axilla meinte, sie vertrage keinen wein und würde schnell betrunken, hatte sie wohl ein klein wenig untertrieben. Aber das kümmerte sie jetzt auch nicht mehr, ebensowenig wie die Blicke in der Taverne, die teils schon in leise Kommentare übergingen, gefolgt von tiefem Lachen. Für sie war nur interessant, dass Piso sie gern hatte. Zumindest hatte das ihre unbestechliche Logik in diesem Moment so zusammengefasst.

  • Piso kam zusehends in Bedrängnis. Zumindest kam es ihm so vor. Dasitzend in seiner ganz normalen roten Tunika, die eigentlich gar nichts so Besonderes war, umschmeichelt von einem ganz normalen Geruch (er hatte zwar am Morgen sich gewaschen, aber seither war er zum Beispiel schon über den Viehmarkt gegangen), hatte er keinen blassen Schimmer, was er jetzt tun sollte. Am Besten tat er es ihr gleich, und trank ebenfalls einen Becher Wein nach. Vielleicht würde er sich dann beruhigen. Denn er konnte nicht abstreiten, dass die Situation schon irgendwie aufregend war. Im ganz und gar positiven Sinne. Er wollte eigentlich mit seiner Hand zu denen von Axilla hinfahren, sodass er sie daran hindern konnte, noch mehr Wein zu trinken. Wenn er komplett nüchtern gewesen wäre, hätte er dies auch noch getan.
    Doch bevor er dies tat, füllte er sich noch einmal vom Wein ein – und trank ein wenig daraus. Als er den Becher wieder abstellte, hatte plötzlich die Attraktivität, Axilla vom Trinken abzuhalten, abgenommen. Ihre Frage drang ihm ans Ohr, und – sie war plausibel, verflucht noch einmal. Er rüttelte an den beiden Krügen und stellte fest, dass es in beiden noch vergnüglich herumschwappte. Sie hatte ja recht, es wäre jammerschade um den guten Wein.
    Doch bevor er sich daran machen konnte, sich daran zu machen, den Wein auch entsprechend einzusetzen, ihn seine Gurgel hinuntergleiten zu lassen, als er plötzlich Axillas zweite Frage hörte, und wahrnahm, wie sie ihm um den Hals fiel. Ein wenig rot wurde er jetzt tatsächlich, und ja, er hörte die Kommentare rund um sich. Er musste jetzt entscheiden. Den väterlichen Aufpasser spielen und um eine prima Gelegenheit kommen, sich zu vergnügen? Oder aber richtig reinhauen – was die Götter die schenken, das lehne nicht ab?
    Es gab nur eine Möglichkeit für ihn, herauszufinden, was er wollte. Er legte die Linke um Axilas Schulter, und griff mit der Rechten zu seinem Becher, und leerte ihn. Ja, eigentlich schon, dachte er sich, als er ihn absetzte und zu Axilla blickte, die sich in seine Schulter hineinkuschelte.
    „Nun...“ Er hob seine Hand und strich ihr über die rechte Wange. „Willst du das denn auch, dass wir gehen und ein wenig alleine sind?“ Seine Frage war leise gestellt, und mit einem Lächeln, von dem Piso sich dachte, es wäre ziemlich charmant.

  • Ja, eindeutig flauschig, die Tunika war das flauschigste Flausch, das Axilla kannte. Naja, vielleicht nach Flauschehäschen. Aber nur knapp. Sie kuschelte sich an Piso, und weil in dieser Position seine Knie im Weg waren, legte Axille ihre Beine einfach kurzerhand über seine, so dass sie sich bequemer an seine Schulter seitlich kuscheln konnte. Piso umarmte sie sogar, wie sie mit einem zufriedenen Lächeln feststellte. Dass er weitertrank, störte sie nicht. Sie wollte nur schmusen, und das konnte sie gerade prima. Sie hatte sogar im Moment beide Hände frei, denn ihr Becher stand noch auf dem Tisch. Egal, war eh kein Wein mehr drin. Obwohl sie noch gut einen Becher hätte vertragen können. Aber dafür nun diese bequeme Position verlassen? Niemals!
    Und dann strich Piso über ihre Wange und sah sie an. Es dauerte einen Moment, bis die Frage in ihr vernebeltes Hirn vorgedrungen war, und sie musste automatisch lächeln. Schüchtern nahm es immer wieder ab, um dann noch heftiger zuzunehmen, während sich eine leichte Schamesröte zu der Weinröte hinzugesellte. Axilla streichelte Piso leicht über die Brust und überlegte, mit einem einfach nicht auslöschbaren Lächeln im Gesicht.
    “Ich bin gern bei dir“, antwortete sie schließlich etwas vage und beugte sich dann zu seinem Ohr vor, um zu flüstern. Auf dreiviertel des Weges aber überlegte sie es sich doch anderes und mit einem kurzen, wohligen Laut entschied sie sich doch dazu, ihn jetzt lieber küssen zu wollen. Dass das in der jetzigen Position ohne sein Zutun gar nicht ging – weder das eine noch das andere – war ihr dabei nicht wirklich bewusst. Sie vertraute einfach darauf, dass alles schon klappen würde, und bewegte sich dementsprechend.

  • So, wie Axilla sich nun an ihn herandrückte, wurde es ihm unmöglich, weiterzutrinken. Und er war eigentlich gar nicht sauer darüber. Der Grund für sein Trinken war jedoch nicht etwa gewesen, dass er unempfänglich wäre für die Reize der Iunierin, sondern, weil er die Entscheidung, die er nun unweigerlich fällen musste, sich leichter machen wollte. Doch der große Alkoholrausch, den er sich erwartete, und von dem er erhoffte, dass jener seine Aktionen leichter machen würde, trat nicht ein.
    Die Entscheidungshilfe, die er sich vom Wein erhofft hatte, trat aber nun doch ein – doch war diese nicht vom Wein initiiert, sondern vielmehr vom Objekt der Begierde. Axilla sagte etwas... sie war gerne bei ihm. Für den glückseligen Piso war dies Antwort genug. Und sie schwang ihm nichts, dir nichts ihre Beine auf die seinen hinauf und beugte verheißungsvoll ihr Gesicht zu dem seinen hin, sodass ihre Lippen fast trafen.
    Eine hitzige Welle der Erregung erfasste Piso, eine Welle, die alle anderen Gedanken hinwegfegte. Hier wird dir der Himmel auf dem Serviertablett serviert – jetzt zurückzurudern und die Sache abzublasen wäre, wie ein Geschenk von den Göttern zurückzuweisen. Und wäre eine solche Aktion nicht, als ob man einem Schenkenden eine Ohrfeige ins Gesicht verpassen würde?
    Seine rechte Hand umschlang den zarten Körper Axillas, und er brachte seinen Mund zu ihrem hin. Rot wie Kirschen waren ihre Lippen... jetzt wusste er es! Nicht nach Pflaumen oder Blumen hatte dieser vermaldedeite Wein geschmeckt, sondern nach Kirschen! Er hatte Kirschengeschmack! Kirschengeschmack!
    Ihre Lippen berührten sich, und Piso drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Und wieder. Er drehte seinen Kopf leicht nach links. Seine Zunge suchte sich, als er Axilla näher an sich hinandrückte, ihren Weg in ihren Gaumen hinein... zum Tartarus mit den ganzen verkniffenen Prüderichen, die jetzt starren würden, er war Arvalbruder, und was er sagte, war Moral!

  • Er zog sie an sich. Ein Kribbeln ging dabei durch Axillas Rücken, und sie schmiegte sich in seinen Arm. Er wusste, was er wollte, und er nahm es sich, und Axillas Körper reagierte einfach, ohne zu denken. Nicht, dass sie dazu noch in der Lage gewesen wäre. Aber so bestimmt, wie er war, stillte es eine Sehnsucht in Axilla, und nur zu breitwillig ließ sie seine Zunge ihren Mund erobern. Sie schmiegte sich in seine Umarmung, stöhnte, als sie seine Hand in ihrem Nacken fühlte, und rückte mit ihrem Unterkörper leicht mehr auf seinen Schoß. Jeder Gedanke war vergessen, noch ehe er gekommen war. Das bisschen an Verstand, was nicht schon in Wein ertränkt worden war, ersoff in einer Welle an Lust, und nur Axillas Instinkte und Gefühle blieben zurück. Und die waren weinvernebelt genug, Piso alles zu geben, was er wollte.
    Er schmeckte nach Wein. Nein, er schmeckte besser als Wein, er schmeckte nach Mann. Axillas Augenlider flackerten, als stünde sie kurz vor einer Ohnmacht – und allzu weit war sie davon auch gar nicht weg – und atemlos lösten sich ihre Lippen, als sie ihren Kopf in den Nacken warf, um ihm ihren blanken Hals zu präsentieren, während ihre Hände sich in sein Haar verkrallten. Nur am Rande bekam sie die Kommentare mit und schaffte es noch, zu denken, dass sie allein sein sollten, ehe sie weitermachten. Allerdings kam statt einem artikulierten Satz nur ein sehr gelalltes “Warte...“ raus.
    “Wir haben auch preisgünstige Zimmer....“ hörte sie von einer Stimme, die ihr bekannt vorkam, und sie musste kichern. Ja, vermutlich wäre ein Zimmer jetzt nicht schlecht. Bestimmt sogar wäre es nicht schlecht. Dann konnte Piso sie weiterküssen, ohne diese lästigen Blicke hier um sie herum.

  • Piso war ein Opfer der Wollust geworden. Er war schon immer ein Mann gewesen, der nicht unbedingt lange auf der Moral und auf überholten Vorstellungen herumsaß, auch wenn seine Einstellung, verglichen mit vielen seiner Freunden, doch etwas konservativ war – man kam eben aus der Haut eines Patriziers nicht heraus. Gleichwohl gefiel er sich selber als Liberaler. Was er aber nun mit Axilla machte, in aller Öffentlichkeit, das war durchaus etwas, was selbst den aufgeschlossensten Geistern missfallen würde. Doch Piso war in den Studel, den Abyss gefallen, der die reine Lust darstellte – ungarniert von Sentimentalitäten. Er spürte ihre Last auf seinen edelsten Teilen, und es affektierte ihn zu solch einem Ausmaß, dass er fast nicht an sich halten konnte...
    Welch Wunder, dass der Kellner einschritt. Widerwillig wurschtelte Piso seine Zunge aus Axillas Mund heraus und parkte sie wieder in seinem Gaumen, bevor er sich an den Störenfried wandte. „Ähm, na gut. Zimmer für zwei. Ist eh schon spät. Wein bitte aufbewahren.“ Seine Kehle fühlte sich rau und ausgetrocknet an, als er sprach. Der Kellner nickte und deutete diskret, wie er war, im Gegensatz zu seinen beiden Gästen, zur Stiege nach oben. Piso dachte kurz nach, wie er sich erheben könnte – und erpackte dann Axilla, die in ihrem Zustand sowieso nicht mehr gehen könnte, und hob sie hoch. Widerstand würde sie in ihrem Zustand wohl nicht mehr leisten.
    Sie also so quasi abschleppend, trug er sie zur Treppe, wäre dabei fast mit einer Säule zusammengestoßen, und eilte hinauf, dem Kellner hinterher, der eine Türe hastig aufhielt, Piso mit Axilla auf seinen Armen hineinrumpeln ließ, und die Türe hinter sich zumachte.
    Als die Türe zu war, wischte sich der Kellner den Schweiß von seiner Stirn und schritt wieder hinunter. Er verstaute den Wein für seine Gäste, und nahm es mit Erleichterung zur Kenntnis, dass sich seine übrigen Gäste wieder scheinends beruhigt hatten.
    Das Zimmer derweil war in einem angenehmen Halbdunkel eingetaucht. Piso stieß mit seinem Schienbein an das Bett, das er nicht gesehen hatte, an, knirschte einen leisen Fluch hervor, ließ Axilla darauf nieder. Mit schelmisch glänzenden Augen blickte er auf die nieder, bevor er sich auf sie stürzte.

  • Von dem Geplänkel zwischen Piso und dem Kellner bekam Axilla nichtmal wirklich etwas mit. Sie fühlte nur, wie sie mit einem Mal hochgehoben wurde, und versuchte, nicht herunterzufallen. Sie sah auf den Boden vor sich, und musste lächeln. Es war wie fliegen. Sie konnte es zwar nicht steuern und wusste nicht, wohin es ging, aber es war wie fliegen. Erst, als Piso beinahe eine Säule umlief, bemerkte sie, dass er sie trug und lehnte sich mehr zu ihm. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, und ihre Arme hingen fast schlaff an seinem Hals. Sie schloss die Augen und schmiegte sich einfach nur an ihn. Er roch gut. Und sein Hemd war so flauschig. Und er hielt sie so sicher im Arm. Und er war warm...


    Beinahe wäre Axilla eingeschlafen, doch dann lag sie mit einem Mal auf einem Bett und die Wärme von seinem Körper war weg. Verwirrt und betrunken blinzelte sie zu ihm hoch, und sah ihn lächeln. Er beugte sich über sie, küsste sie, streichelte sie. Ihr Körper reagierte instinktiv, stöhnte, bog sich ihm entgegen. Dass er sie entkleidete bekam sie nicht wirklich mit, und auch nicht, dass er sich entkleidete. Sie zog ihn nur immer und immer wieder an sich, um ihn zu küssen und seine Nähe zu fühlen. Er war so warm, so lebendig, und er roch so gut.
    Als er sich auf sie schob, wollte sie noch sagen, dass sie das nicht tun durften. Irgendwo wusste Axilla, dass das hier gerade mächtig falsch war, und dass sie das nicht tun sollten. Er war Archias Freund, sie war seine Freundin. Sie waren nicht verheiratet, und angesichts ihrer Stände würden sie das wohl auch nur schwerlich tun. Abgesehen davon, dass sie sich auch erst wenige Stunden kannten und Axilla von ihm eigentlich nur den Namen kannte, sonst nichts. Sie wollte auch wirklich etwas sagen, ihn von sich stoßen, aber ihr Körper machte einfach gar nichts. Oder im Gegenteil, sie machte es ihm noch leicht, umschlang seine Hüften instinktiv mit ihren Beinen und anstatt dem eigentlich notwendigen 'nein' kam nur ein lusterfülltes Stöhnen, als sie sich schließlich vereinten.


    Eine Weile später lag Axilla einfach nur neben ihm. Ihr war kalt, und sie kuschelte sich dicht an ihn. Er war so schön warm. Sie wollte bei ihm sein, zumindest für den Moment. Und sie war müde. So müde. Aber sie wollte nicht schlafen, weil sie Angst hatte, er würde dann gehen und sie allein lassen. "Bleib bei mir...“ flüsterte sie ihm nur leise zu und meinte es genau so, wie sie es sagte. Sie wollte jetzt nicht allein sein. Sie wollte beruhigt einschlafen.

  • Er küsste und streichelte? Tat er das? Vermutlich ja. Er konnte sich nicht hundertprozentig erinnern, hatte ihm doch der Rausch der besinnungslosen Lust den Verstand geraubt. Ohne den geringsten Widerstand zu finden, nur die vollste Bereitwilligkeit, hatte er mit ihr einige der schönsten... Minuten? Stunden? Er wusste es nicht, konnte es nicht wissen.
    Irgendwann einmal war es vorbei, und Pisos Gedanken klärten sich auf. Er starrte an die Decke, und sie schien zurückzustarren. Was hatte er getan. Was zum Holler hatte er getan! Er hatte sich komplett von seiner Lust einnehmen lassen, hatte komplett sein Hirn abgeschalten, hatte nur an die Befriedigung seiner Triebe gedacht. Jetzt, im ausgenüchterten Zustand, begann er zu sehen, was das für Implikationen hatte.
    Erstens, er hatte mit einer Wildfremden geschlafen. Ohne sie wirklich zu kennen. Nicht nur das, er hatte sich an ihr vergriffen, als sie sturzbetrunken war, zu keiner rechten Handlung fähig. Er hatte nicht rechtens gehandelt. Dass er zudem mit einer Frau Geschlechtsverkehr getrieben hatte, die nicht Decima Serrana hieß, war dabei noch vernachlässigbar. Verdammt! Jetzt hatte er sich potentiell in eine gewaltige Scheiße hineingeritten.
    Ein unbändiger Fluchttrieb erwuchs in ihm. Er wollte auf, seine Sachen hastig ergreifen, und weg, nichts wie kopfüber weg aus dieser Katastrophe. Und ihr vorher nch einreden, er wäre eigentlich Appius Lollius Tubulus, und mit den Flaviern weder verwandt noch verschwägert, oder so was in der Art.
    Wieso konnte er sein bestes Stück bloß nicht unter seiner Tunika behalten? Es war zum Haare ausreißen!
    Er spürte ihren Körper, wie er sich an ihn kuschelte, und die leise Bitte. Er holte tief Luft, als wollte er etwas sagen, ließ es dann aber doch sein. Er würde jetzt brav das machen, was sie sagte... er fühlte sich eh schon so schlecht. Wegrennen würde gar nichts bringen. So hatte er vielleicht noch eine Chance, sich aus dem Dilemma zu bringen... die Sache weiter durchziehen und zu einem Ende bringen. Er ging noch einmal im Kopf seine Gedanken durch.
    Er würde bei ihr bleiben, so lange sie wollte, und dann ganz normal weitermachen, als wäre nicht passiert. Wenn sich rausstellt, dass sie von ihm schwanger war, leugnen, leugnen, leugnen. Wozu strebte er in die Politik? Schließlich würde man doch einem Patrizier des ordo senatorius mehr Glauben schenken als einem leichten plebejischen Mädchen.
    „Ich bleibe...“ Sicher könnte sich der verdammte Kellner erinnern an ihn. Na ja, wozu war man Flavier? Man müsste den Kerl einfach mit Bedrohungen und Schmiergeldern das Maul stopfen, sollte es wirklich hart auf hart kommen.
    Er legte also seine Arme um Axilla und seufzte leicht, versuchte, seine Panik nicht allzu offen zu zeigen. Was, wenn er wirklich alles abstreiten würde? Silanus würde ihn umbringen, der Kerl machte immer einen so aggressiven und stufen Eindruck auf ihn. Der würde sicher keine Sekunde zaudern. Und Archi? Der würde nie wieder mit ihm reden. Und Imperiosus doch auch! Verdammt! Was hatte er bloß für einen elenden Salat gebaut?

  • Von seinen Selbstzweifeln und Plänen merkte Axilla nichts. Sie hörte nur, dass er blieb, und sie glaubte ihm. Sie wollte ihm auch glauben, so sehr, dass er noch so ein schlechter Lügner hätte sein können. Sie hatte die Worte hören wollen, und er hatte sie gesprochen, und das reichte, um die schlimmsten Dämonen zu vertreiben. Sie schmiegte sich an ihn, drückte ihn leicht und dankbar. Ihr Kopf legte sich leicht in die Kuhle an seiner Schulter, die sie auch schon vorhin so wundervoll gefunden hatte, und schloss die Augen. Ihre ganze Welt war für einen Augenblick nur sein Geruch und sein Herzschlag, und Axilla war glücklich. So widersinnig und verrückt es auch sein mochte, sie war glücklich, denn er war bei ihr und würde nicht weggehen. Sie war nicht allein, und das war wichtiger als alles Komplikationen, die es bedeuten mochte.
    Und es dauerte auch nicht lange, bis sie eingeschlafen war. Ganz ruhig und gleichmäßig waren ihre Atemzüge, nur ab und an zuckte es leicht durch ihren Körper und ihre Finger griffen leicht, als müsse sie auch im Schlaf sichergehen, dass er noch bei ihr war. Und jedes Mal, wenn sie dann fühlte, dass er noch da war, kam ein leises, wohliger Seufzer von ihr.


    Als sie allerdings nach einiger Zeit aufwachte, war das doch sehr anders. Es war noch dunkel um sie herum, und Axilla hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen. Dazu hatte sie einen schalen Geschmack im Mund, als wäre ihr eine Maus hineingekrabbelt und dort verendet. Irgendwie pelzig und trocken. Und noch etwas anderes fühlte sie. In ihrem Unterleib. Nicht nochmal... dachte sie nur und fühlte sich stark an ihr Treffen mit Timos erinnert. Wie konnte man nur dieselbe Dummheit zweimal begehen? Wieso hatte sie getrunken? Sie wusste doch, dass sie nichts vertrug.
    Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit um sie herum gewöhnt hatten. Und noch einen Moment länger, ehe sie realisierte, dass sie nicht allein hier war. Im ersten Moment war sie davon ausgegangen, aber so langsam realisierte sie, dass derjenige, der ihr dieses Gefühl in ihrem Unterleib beschert hatte, noch bei ihr war. Und so langsam wusste sie auch wieder, wer es war. Und ncoh viel langsamer erkannte sie ihn auch.
    Einen Moment verharrte Axilla ganz still. Sie war ganz leicht auf ihren Ellbogen aufgestützt und sah auf Piso hinunter. Er war noch hier. Er war bei ihr. Er war nicht weggegangen. Er war hier. Ein ganz merkwürdiges Gefühl beschlich Axilla, die nicht wirklich wusste, wie sie sich fühlte. Wieso war er hier? Wieso war er nicht gegangen? Er hatte sicher die Chance gehabt. Er hätte einfach abhauen können. Wer würde ihr schon glauben? Wieso war er geblieben? Bei ihr? Sie war so schlecht und so unmoralisch und so.... sie war einfach sie. Sie hatte nicht verdient, dass er blieb. Sie hatte nicht verdient, nicht allein zu sein. Und er war hier.
    Ganz langsam erkannte Axilla das Gefühl. Erleichterung. Unendlich süße Erleichterung. Sie war nicht allein. Er war bei ihr geblieben. Auch wenn sie es nicht verdiente. Er war hier. Und es war egal, dass er sie zuvor abgefüllt und verführt hatte. Es war egal, dass das rein faktisch betrachtet mehr als nur verwerflich war. Es war egal, aus welchem Grund er es getan haben mochte. Er war bei ihr geblieben. Und jetzt war er hier.
    Sie zitterte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie tun sollte. Schlief er noch, oder war er wach? Sie sah es nicht richtig, es war zu dunkel. Sie wollte ihn nicht aufwecken, und so verharrte sie noch ein wenig in ihrer Position, nur ganz sanft auf ihn hinunterblickend. Ihr war kalt, und erst, als es sie wirklcih fröstelte, legte sie sich wieder zu ihm, schmiegte sich ganz dicht an ihn an. Er war bei ihr geblieben. Axilla wusste nicht, wann sie das letzte mal sich so leicht gefühlt hatte. Sie kuschelte sich dicht an ihn und am liebsten wollte sie weinen, aber sie unterdrückte es. Was sollte er von ihr denken, wenn er doch wach war? “Danke“, flüsterte sie nur leise und war sich selbst nicht sicher, ob sie ihn oder vielleicht doch die Götter meinte.

  • Irgendwann schlief er ein. Er wusste nicht, wann. Er wusste nicht, wie. Er wusste nur, dass er irgendwann einschlief und wieder aufwachte. Tief in seinem Inneren hatte er eine eher laue Hoffnung in sich getragen. Vielleicht war alles nur ein Traum gewesen, ein irrer Traum, realitätsfern und symptomatisch wohl für die Künstlerseele. Geradezu hoffnungsvoll hatte er deshalb dreingeschaut, als er aufwachte.
    Vielleicht würde er in seinem Cubiculum aufwachen. Jetzt würde gleich einmal Phrima hineinplatzen, ihm fröhlich einen „guata Morga“ wünschen, die Gardinen aufreißen und ihm sein Frühstück ans Bett bringen. Vielleicht hatte er vorher noch das Glück, ein wenig im Bett bleiben zu können uns zu sinnieren.
    Doch als er seine Augen ganz öffnete, verblasste diese eitle Hoffnung. Rund um sich erblickte er die Wände des Zimmers in einer Herberge. Auf der Decke sah er einen Riss, der sicher in seinem Zimmer niemals einen Platz gehabt hätte.
    Und neben sich erblickte er Axilla. Noch schlafend. Zumindest schlafen scheinend. Sie war nackt, wie er selber, wie er jetzt feststellte. Es war geschehen, es hatte es nicht nur geträumt, es war wirklich geschehen, und wieder wuchs das Gefühl in Piso herauf, das man als Panik kannte. Je mehr er die Sitauation überdachte, um so mehr schoss ihm die Röte des panischen Gemütszustands ins Gesicht. Er kniff die Augen zu. Vielleicht würde dies Abhilfe verschaffen?
    Ihm kam ein altes Sprichwort in den Sinn. Vater werden ist nciht schwer, Vater sein, hingegen sehr. Piso unterdrückte ein Gurgeln und den Impuls, sein Gesicht tief in Kissen zu vergraben, es um sein Haupt zu klemmen und loszubrüllen vor Entsetzen. Stattdessen lag er nur regungslos im Bett, wieder mit aufgerissenen Augen, mit verwirbelten Haaren, an die Decke starrend. Was nun, sprach Zeus?
    Er drehte sich auf die Seite, von Axilla weg, und dachte nach. Wenn er nun Axilla geschwängert hatte, was dann? Er könnte einen kleinen Unfall inszenieren... ach, was war er für ein Arsch! Er hätte sich für diesen Gedanken am Liebsten geohrfeigt, aber das tat er dann doch nicht, da der Laut Axilla aufwecken könnte.
    Vielleicht würde er sich jetzt einfach wegschleichen. Genau, das war eine gute Lösung. Er würde sich leise anziehen und sich wegschleichen. Vielleicht würde er eine Notiz hinterlassen. „Es war schön mit dir, aber ich musste gehen. Liebe Grüße...“ Und was für ein Name dann? Vielleicht sollte er nicht unbedingt den seines Calators benutzen. Wie hieß der Knilch, der einmal versucht hatte, ihm bei einem Holzhandel über das Ohr zu ziehen? Genau, Curtius Longus. Er würde diesen Namen auf den Zettel schreiben und...
    ...er schlief wieder ein, wider Willen.
    Er wachte erst wieder auf, als er eine Berührung spürte. Es waren die Hände von Axilla, die ihn hier umschleichelten. Er heute ein leises Danke. Danke wofür, dachte sich Piso. Danke, dass du mich besoffen gemacht hast und dich dann durch meinen Zustand an mir schadlos gehalten hast? Danke, dass du mich zur Mama gemacht hat? Danke, dass du Pläne schmiedest, mich fallen zu lassen wie einen verfaulten Apfel? Doch ihr Danke schien ehrlich zu sein.
    Mit einem Schnauben drehte er sich zu Axilla hin. Theoretisch wäre er wieder bereit, noch einmal die selbe Vorstellung zu geben. Doch es wäre ein wenig unpassend.
    So lächelte er sie nur leicht unsicher an. Was würde nun kommen?
    „Ähm...“ Was sagte man in einer solchen Situation? Archias hätte sich gewusst, was nun zu tun war. Götter, steht mir bei, dachte er sich. „Joa... guten Morgen.“

  • “Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken“, entschuldigte sich Axilla gleich mehr gehaucht denn wirklich gesprochen. Laute Geräusche taten ihr in den Ohren weh, und außerdem wollte sie diesen Moment nicht jetzt schon beenden und zerstören, indem sie einfach drauflosplapperte. Nur noch einen Herzschlag lang an ihn kuscheln, nur einen Herzschlag noch wissen, dass er bei ihr war und nicht gegangen war. Nur einen Herzschlag lang dieses schöne Gefühl behalten, dass die Kopfschmerzen, die Ehrverletzung, die ganze Situation vergessen machte. Nur einen Herzschlag noch.


    “Ist denn schon Morgen?“ fragte sie ebenso sanft und leise, und schmiegte sich noch wie schlaftrunken an Piso. Er war so herrlich warm, und seine Haut fühlte sich wundervoll an ihrer an. Nur noch einen Herzschlag mehr.
    “Ich will nicht, dass Morgen ist“, flüsterte sie weiter und begann damit, etwas geistesabwesend über seine Brust zu streicheln, ohne dabei aufzublicken. Er roch auch gut. Nur einen Herzschlag mehr.
    “Wenn Morgen ist, werden wir nämlich ein Gespräch führen. Wir werden sagen, dass das nicht hätte geschehen sollen. Du hättest mich heimbringen sollen.“ Axilla sagte es ohne jeden Vorwurf in der selben, fast verschlafenen, leisen Stimmlage wie alles andere, während sie beständig und sanft weiterstreichelte und sich an ihn schmiegte. “Ich hätte gar nicht erst so viel trinken sollen. Vielleicht sagst du sogar, dass es dir leid tut.“
    Sie atmete einmal tief durch und sog dabei den Geruch seiner warmen Haut tief auf. Nur einen Herzschlag mehr, nur einen weiteren Herzschlag.
    “Du bist Patrizier, ich bin Plebejerin. Wir kennen uns eigentlich gar nicht. Und deshalb werden wir sagen, dass es auch nie wieder sein wird, weil es schon dieses eine Mal nicht hätte sein sollen. Und weil wir beide mit Archias befreundet sind, sollten wir wohl auch so tun, als wäre es nie geschehen, und einfach weitermachen. Es einfach vergessen, als wäre es nicht passiert. Vermutlich sehen wir uns ohnehin nicht so oft.“ Ein klein wenig Trauer klang in ihrer Stimme mit, und Axilla ruckte einmal ihre Körperhaltung zurecht, um ihn besser streicheln zu können und bequemer an seiner Seite zu liegen. Vorsichtig und schüchtern schaute Axilla zu Piso auf. Sie war nicht dumm, auch wenn sie meistens sehr naiv daherplapperte und nicht unbedingt vorausplante. Aber sie war nicht so dumm, zu glauben, dass er sie liebte und nun heiraten würde hierfür. Er konnte bessere haben als sie. Warum sollte er sie nehmen?
    “Aber wenn noch Nacht ist, dann passiert das noch nicht. Dann kann ich noch einen Moment bei dir liegen und vergessen, wieso das hier so ist. Ich kann einfach nur froh sein, dass du jetzt hier bist. Kann dir danke sagen, dass du hier geblieben und nicht einfach gegangen bist. Nur noch einen Herzschlag mich an dich schmiegen“, und bei diesen Worten tat sie eben selbiges, “und so tun, als wären wir gar nicht, wer wir sind, sondern einfach nur ein Mann und eine Frau, die jetzt beieinander liegen.“
    Ihre Nase stupste ihn ganz leicht an, aber der Blick ihrer Augen war immernoch traurig und sehnsüchtig, fast flehend. Nur noch ein paar Momente wollte sie einfach nur so tun, als ob, und damit das schöne Gefühl noch ein wenig behalten. Sie suchte etwas in seinem Blick, wie er sich fühlte, was er wohl dachte. Ob ihm die Nähe gar unangenehm war. “Ist schon Morgen?“ fragte sie noch einmal vorsichtig und leise, während sie ihm weiter in die Augen blickte. Er hatte schöne graue Augen.

  • Sie entschuldigte sich. Entschuldigung wofür? Piso blickte in seinem Dämmerzustand zwischen wach sein und Schlaf die Iunierin neben sich etwas verdattert an. „Na ja, ist schon in Ordnung...“, schaffte er, zwischen seinen beiden Lippen herauszubringen. Seine Augenlider flatterten leise. Er fühlte sich mehr als nur versucht, sich einfach nur zurückzusacken lassen, auf das Kissen, und weiterzupennen. Das wäre schön. Aber er wurde durch zwei Dinge daran gehindert.
    Zum einen drückte Axilla ihn an sich, und er wollte eigentlich dies nicht aufgeben. Er legte vorsichtig, betulich, seinen linken Arme ebenfalls um sie, sodass sie noch eine Weile so liegen bleiben konnten.
    Zum anderen begann sie, leise etwas zu reden. Piso brachte all seine Konzentration auf, um sie anzuhören, um zu wissen, worum es hier überhaupt ging. Ob es morgen war? Er wusste es selber nicht, aber er hatte das Gefühl, lange geschlafen zu haben. Das war nicht gut. „Ich weiß nicht... die Fenster sind verschlossen...“ Draußen konnte es genausogut zappenduster wie auch strahlend hell sein.
    Vermutlich wäre ersteres besser, denn es dräute ein Gespräch, wie ein Gewitter am Horizont. Er hob leicht die rechte Augenbraue (nach welchen Prinzipien die Flavier ihre Augenbrauen hoben, war unerklärlich, und gewiss wussten sie selber es auch nicht). Ein Gespräch. Die Ankündigung dessen könnte sogar den starken Hercules oder den unverzagten Perseus in die Flucht schlagen, ganz zu schweigen von einem Piso. Doch er floh nicht, vielmehr schaute er Axilla an wie ein Kaninchen die Schlange. Axilla hielt ihm gerade vor, was er sowieso schon wusste. Oder kündigte es zumindest an zu tun.
    Er zwang sich dazu, sie sich weiter anzuhören. Äußerlich bewahrte er mit riesiger Anstrengung die Fassade, lächelnd, aber innerlich verkrampfte sich sein Magen. Er widerstand dem Impuls, hektisch herumzuschlagen wie ein Irrer vor lauter Angst – ja, genau so konnte man es nennen, was den Flavier umtrieb, Angst, vor sich selber, vor der Situation, und vor allem davor, mit den Konsequenzen seines Handelns zurechtzukommen. Ja, sie hatte recht. Wie hatte er so unverantwortlich handeln können? Falsch, wie hatten sie so unverantwortlich handeln können? Axilla hatte ja auch Schuld daran, protestierte eine Stimme in ihm, welche wohl jedem Menschen innewohnte – jene, die suchte, die Schuld, zumindest partiell, an den anderen bzuschieben. Piso wusste zwar, dass dieser Gedanke schäbig war, aber er konnte den Gedanken nicht abschütteln.
    Doch er hörte weiter zu, und was se sagte, ergab Sinn. Der Morgen wäre die Zeit, der brutalen Wahrheit, der Realität sich zu stellen. Die Nacht aber erlaubte es den beiden noch, einfach einen Schleier der Vergesslichkeit über die beiden zu legen. Zu vergessen, wer sie waren, zu vergessen, wo, und wie, und warum, und was.
    Er blinzelte kurz, als ob die Argumentationen Axillas wie zähflüssiger Honig waren, als sie durch seine Gehirnwindungen krochen. Erst, als sie zu Ende war, wagte er, etwas zu erwidern.
    „Dann... sei... es noch die... Nacht.“ Fehlte nur noch das missglückte ch in Nacht, dann hätte der Satz auch von Gracchus in seiner Diktion und der leicht schleppenden Ausdrucksweise sein können. Siedend heiß fiel ihm ein, er wurde am Morgen in der Kanzlei erwartet (denn es waren ja immer noch die Faunalien, und er war noch immer ein Kanzleibeamter, und weder ein Collegiatspriester noch ein Vigintivir). Aber auch schon egal.
    Er atmete leise aus, und ließ die Stelle, wo Axilla ihn mit ihrer Nasenspitze sanft berührt hatte, noch kurz auf sich wirken, bevor er sie wieder küsste. Nox, lass diese Nacht ewig andauern, betete er innerlich, auf dass ich mich niemals der angedrohten Unannehmlichkeiten stellen muss.

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