Der Tiberhafen

  • "Was genau machen wir jetzt eigentlich hier?", stellte Vala eine ziemlich dumme Frage, die ihm gleichzeitig aber notwendig vorkam, denn ihm ging die Geheimniskrämerei seines Begleiters mit zunehmender Dauer ihres Herumirrens auf dem aventinischen Hügel ziemlich auf den Sack. Linus hatte ihn mit wenigen Worten aus der Casa Prudentia gelockt, just als Vala sich darüber wunderte, wie Orpheus nur so dumm gewesen sein konnte, sich kurz vor Ende doch noch umzudrehen und seine Eurydike damit aus der Hand zu geben. Linus hatte das mit "Denk mal drüber nach.." abgetan, und ihm gesagt, dass an diesem Tag eine Lektion an der Reihe war, die fundamental für sein Verständnis von römischer Politik sein würde.
    Was Vala nicht im geringsten erklärte, warum sie auf dem Aventin durch die Gegend liefen. Dessen nicht genug, bestand Linus darauf, seine Masquerade mit dem Stock weiter aufzuführen, was ihr Tempo ins unerträgliche verlangsamte. Sie sprachen auf dem Weg über dies und das, und Vala wunderte sich immer wieder, wie der alte Grieche aus Belanglosigkeiten aus seinem Leben bedeutungsschwangere Zusammenhänge konstruieren konnte. Oder vorgab, es zu tun.


    Linus von Patrae
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    Der alte Grieche wischte die Frage nur beiseite, und murmelte ein halbverständliches "Gleich sind wir da.", bevor er unvermittelt in eine Kurve einbog, die mehr wie ein Loch zwischen zwei großen Insulae aussah, denn wie eine wirklich gewollte Straßenführung.
    Erst als Valas Nase einen Geruch aufnahm, der sich stark von dem Siff unterschied, der auf den aventinischen Straßen herrschte, bekam er eine Ahnung, warum sie herkamen: "Zum Tiber hätten wir auch am Quirinal gekonnt, macht es Sinn, durch die ganze Stadt zu laufen?"
    Der Blick, den er für diese Frage erntete war vernichtend. Nein, schlimmer: hochmütig und herabblickend. Linus hatte es sich angewöhnt, Vala wie ein ungezogenes Kind zu behandeln, wenn er Dinge nicht verstand, oder einfach schneller redete als nachdachte. Und das schlimmste war: der alte Mann wusste, was er damit mit Valas Stolz anrichtete.
    Wenige Minuten später standen sie vor enormen hölzernen Aufbauten, Lastkränen, Fluss- und Seemöwen stritten sich um Abfälle und geplatzte Behältnisse und links und rechts von ihnen erhoben sich gigantisch anmutende Lagerhäuser.
    "Der Hafen...", erkannte Vala laut denkend, wohin ihn der alte Mann geführt hatte, während derselbe darauf verzichtete, dies wie normalerweise als gedankenlose Unbeherrschtheit zu tadeln.
    "Richtig. Der Hafen.", sprach Linus triumphierend, und freute sich insgeheim sehr darüber, den Jungen überrascht zu haben, auch wenn er ihn später schelten würde, dass derlei Überraschungen irgendwann sein Tod sein könnten. Vala sog die Eindrücke dieses Fleckens Rom, den er noch nie gesehen hatte, wie ein Schwamm in sich auf, und war schier überwältigt von der Masse an Waren, die hier anscheinend jede Stunde umgeschlagen wurden. Linus trabte derweil munter weiter, während das rhythmische Klopfen seines Stocks auf Plasterstein vom Lärm des geschäftigen Hafentreibens übertönt wurde. Es dauerte einige Minuten, bis sie sich durch die Masse an Arbeitern, Schiffseignern, Verwaltern und Bettlern hindurch an eine Stelle bewegt hatten, von der sie bequem den ganzen Hafen im Blick hatte, und dieser Anblick verschlug Vala schlicht die Sprache: es mussten tausende Quadrantales und Talenta sein, die hier umgeschlagen wurden. ZIGTAUSENDE.
    "Nun, junger Duccius.", begann der Grieche mit dem für ihn typischen Erzählton, "DAS HIER ist Rom." Vala war dieses Mal schlau genug, nicht dumm nachzuhaken, und überließ es stattdessen seinem Lehrer, zu vermuten, dass der Junge Germane nicht die geringste Ahnung hatte, was er damit meinte: "Hier werden tagtäglich Unmengen an Getreide umgeschlagen, mit denen Rom ernährt wird. Dieses Schiff hier..", er deutete wahllos auf eines der Schiffe, die Flussaufwärts von Wind und Zugtieren in den Hafen geschleppt wurden, "..bringen das Korn, das in Aegyptus gedeiht, und von dort nach Ostia verschifft wird. Dieses Korn ermöglicht das Rom, wie wir es kennen. Der Kaiser lässt es aus seiner Provinz nach Rom schaffen, und verteilt es dort an die Bevölkerung. Warum tut er das, Alrik?"
    Vala zuckte zusammen, als der Grieche ihn bei seinem germanischen Namen nannte. Das tat er normalerweise nur, wenn Vala in Gedanken abgedriftet war, und er hasste ihn dafür. Nicht, dass er seinen germanischen Namen nicht mochte. Aber dieser war ausschließlich seiner Familie vorbehalten, wenn überhaupt. Alrik war ein Mensch, den es seiner Meinung nach nichtmehr gab. Die Frage des Griechen stellte ihn schon vor eine schwerere Aufgabe, konnte Vala doch mit keiner Hilfestellung rechnen. Irgendwann, nach langwierigen Minuten in denen der alte Grieche passiv und emotionslos das Treiben des Hafens beobachtete, rang Vala sich zu einer Antwort durch: "Weil damit verhindert wird, dass die Bevölkerung Roms hungert, und sich vielleicht gegen den Kaiser erhebt?"
    Linus nickte zufrieden, blickte Vala jedoch nicht an, als er weiter zu erzählen begann: "Das ist es, aber längst nicht alles. Korn bedeutet Macht. Früher, als die Menschen noch eigenes Land besaßen, und der Senat die Macht in Händen hielt, war das Leben in Rom ein ständiges Hin und Her in politischen Dingen. Aber wie in jedem Reich setzten sich auch hier die Eliten durch, erlangten immer mehr Grund, und selbst die Gracchen mit ihrem ambitionierten Programm scheiterten, obwohl es genau dem entsprach, was das Volk eigentlich brauchte. Aber die Eliten haben garkein Interesse daran, das Volk selbstständig und autark sein zu lassen. Denn damit wäre es schwerer zu kontrollieren. Dass der Princeps sich mittlerweile selbst gegen diese enorm mächtige Elite durchgesetzt hat, liegt in der Natur der Dinge: er kontrolliert das Korn. Er kann es sich leisten, das Volk zu ernähren, auch wenn es Unsummen verschlingt. Brot und Spiele, junger Duccius, Brot und Spiele. Gib dem Pöbel zu fressen, und er hungert nicht, gib ihm etwas zum beglotzen, und er denkt nicht nach. Wenn du das erreicht hast, hast du die Liste der Instanzen, die du kontrollieren musst erfolgreich verkürzt. Und der Senat ist damit einer seines größten Kräfte beraubt: der Meinungsmache. Denn wenn der Pöbel keine eigene Meinung hat, gibt es niemanden, der sie beeinflussen kann."
    Vala brummte nur als Zustimmung, hatte er doch schon etwas ganz anderes im Sinn: eine Frau trieb sich zwischen einer in der Nähe werkelnden Menge an Hafenarbeitern herum, und der Anblick irritierte ihn dann doch.
    "Junge, hörst du mir zu?", hakte der alte Mann nach, der dem Blick des Jungen folgte, und ebenso die Frau erblickte, "Was hab ich dir zum Thema Frauen gesagt? Ich kann dir den ganzen Tag die Geheimnisse der Res Publica vorpredigen, wenn du eine Frau siehst, ist das alles wieder weg! Ist das zu fassen?"
    Linus schlug zu. Hart. Und nicht mit irgendwas: auf einmal offenbarte sich Vala, warum der alte Grieche seinen Stock so pflegte, denn das Holz krachte mit einem tumben Klang auf seinen Hinterkopf, und der junge Germane stolperte, vollkommen unvorbereitet getroffen, einen Schritt weit nach vorne, und lief Gefahr über die Kaimauer in den Tiber zu fallen. Der alte Grieche ließ sich jedoch nicht lumpen, und stupste Vala mit der Spitze seines Stocks sachte in den Rücken. Gerade genug, um Vala vollkommen seines Gleichgewichts verlustig werden zu lassen, und ihn mit einem lauten Platschen in den Tiber fallen zu lassen.
    Als Vala wieder auftauchte, spie er eine ganze Armada an römischen und germanischen Flüchen gegen den Mann aus, und schimpfte aus dem Wasser heraus wie ein Rohrspatz gegen die Dreistigkeit des alten Mannes.
    "Das wird dich lehren, in meinen Stunden mit dem Sack zu denken, anstelle mit dem Kopf!", witzelte Linus vergnügt auf seinen Stock gelehnt an der Kaimauer stehend und mit einem süffisanten Blick auf Vala herabblickend.


    Sim-Off:

    Wenn eine Grazie der Auslöser dieses Fauxpaxs sein möchte, ist sie hiermit herzlich eingeladen. ;)

  • Rom war aufregend. Rom war berauschend! Rom war gewaltig! Rom war wundervoll, viel kühner, als Axilla es sich in ihren Träumen hatte vorstellen können! Aber eines war Rom nicht: Alexandria. Und je kühler es wurde, umso mehr merkte Axilla, wie sehr sie die warme Stadt mit ihren seltsamen Bewohnern und all dem bunten Trubel und Wirbel doch vermisste. Inständig vermisste, wie sie nicht geglaubt hatte, einen Platz vermissen zu können, seit sie das Haus ihrer Eltern verkauft hatte. Hier war alles noch neu, und sie kam sich vor wie ein entwurzelter Baum, den man in eine ganz frische Erde gesetzt hatte. Erst nach und nach schlug sie hier ihre Wurzeln, aber das brauchte Zeit. Und Axilla war sich nicht sicher, ob sie hier so tiefe Wurzeln schlagen mochte.
    Und wie immer, wenn ihr etwas auf der Seele lag, versuchte sie, sich abzulenken. Nachdem Brutus sie schon auf dem Baum im Garten entdeckt gehabt hatte, schied der als Zufluchtsort aus, und andere Bäume gab es zwar in Rom, aber auf die sollte sie lieber noch weniger hochklettern, erst recht nicht bei Tag. Die Leute würden sie noch für völlig durchgeknallt halten. An sich gar nicht so übel, wie Axilla schmunzelnd merkte, aber eben doch nicht so passend für das Bild der Familie. Die Märkte waren auch nicht so ablenkend, denn keiner von ihnen war auch nur halb so bunt wie der Xenai Agorai. Außerdem waren sie alle wegen der nahenden Saturnalien von klimperndem Kleinkram überfüllt, den wohlmeinende Herren und Damen für ihre Sklaven kauften.
    Also war Axilla einfach losgelaufen, bis sie schließlich auf den Fluss gestoßen war. Der war zwar nicht wirklich vergleichbar mit dem Nil, nichtmal annähernd, aber das Wasser hatte doch etwas beruhigendes und vertrautes. Sie schlenderte seinem Verlauf nach, quer durch die halbe Stadt, bis sie schließlich am Aventin angekommen war. Auch wenn Axilla sicher nicht lauffaul war, taten ihr so ein wenig die Füße weh. Sie ging noch ein Stückchen weiter, bis sie schließlich eine Hafenanlage entdeckt hatte. Nunja, entdeckt war relativ, war sie doch nur schwer zu übersehen in ihren Ausmaßen. Oder auch ihrer Geräuschkulisse. Kleine Schiffe kamen den Fluss heraufgefahren und wurden hier abgeladen. Schwere Kornsäcke, randvoll, wurden von Hafenarbeitern zu wartenden Karren oder nahen Silos verfrachtet.
    “Aus dem Weg, Mädchen“, knurrte sie einer der Hafenarbeiter an, und Axilla machte einen kleinen Hüpfer beiseite. Sie suchte sich das nächste, aufgerollte Tau, um sich darauf hinzusetzen, und beobachtete die Männer, die an ihr vorbei die schweren Säcke trugen. Geistesabwesend zog sie sich einen Schuh aus und massierte ein wenig ihren Fuß, damit dieser sich etwas besser erholte.
    Ja, das hier hatte etwas vertrautes an sich. In Alexandria hatte sie gerne und häufig den Hafenarbeitern beim beladen zugesehen. Sie fragte sich kurz, ob die Schiffe wohl aus Alexandria waren. “Kommt das Schiff aus Alexandria?“ fragte sie also einfach einen der Vorbeilaufenden.
    “Nein, aus Ostia. Aber das Getreide kommt aus Ägypten.“ Axilla lächelte dem Mann dankbar hinterher, als sie plötzlich ein Platschen hörte, dicht gefolgt von einigen Flüchen, die sie noch nie gehört hatte – und sie war in einem Soldatenhaushalt aufgewachsen! Nun, einen Teil kannte sie nicht, weil sie aus einer anderen Sprache wohl herrührten, die sie nicht kannte. Aber die anderen waren auch mehrfarbig und blumig.
    Neugierig sprang Axilla auf, vergaß dabei ihren einen Schuh und lief also wie Iason von den Argonauten mit nur einer Sandale über den Kai hin zum Wasser und sah auch schon den Quell der Schimpftirade. Axilla konnte sich nicht helfen, sie musste kichern, verbarg es aber schnell hinter einer Hand.
    “Brauchst du Hilfe?“ fragte sie den Fremden, der wohl etwas unfreiwillig baden gegangen war und machte auch schon Anstalten, sich hinzuknien, um ihm eine Hand zu reichen und ihn herauszuziehen. Angst, nass zu werden, hatte Axilla keine. Und auch, dass derjenige, der den Fremden da ins Wasser gestoßen haben mochte, nicht so erbaut sein könnte, bedachte sie nicht. Sie hatte ja weder von dem Schlag noch von dem Grund dafür auch nur das geringste mitbekommen.

  • Linus von Patrae
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    "Mädchen, lass den da gefälligst drin.", orderte Linus mit gewohnter Souveränität die junge Frau, den ihn immernoch wütend anstarrenden Vala im Wasser des Tibers treiben zu lassen, er kam nicht umhin, auf griechisch ein wenig nachzustochern, im vermeintlich festen Wissen, dass ihn sowieso keiner verstand: "Póte boró1 na koitázo1 sto stí1thos sas, antí na akoúsoun eména, pou boreí akómi1 kai na vgei mónos"*


    Vala selbst verstand natürlich kein Wort, war sich aber sicher, dass es nichts nettes gewesen war, und versuchte seinen Lehrer noch ein Stück weit finsterer anzusehen, bevor er zu einem Stück der Kaimauer schwamm, an dem er sich hochziehen konnte. Was folgte, war ein (in Germania nicht unübliches)Lehrstück germanischer Unbekümmertheit: einmal oben angekommen schüttelte er sich einen Großteil des Wassers aus den Haaren, die ihm daraufhin ein ziemlich wildes Aussehen verpassten, und zog sich ohne großes Federlesen die Tunika über den Kopf, um mit einigen Handgriffen auszuwringen. Gedanken um die Hafenarbeiter machte er sich nicht, war die römische Unterschicht doch ebenfalls nicht gerade zimperlich im Umgang mit Nacktheit. An die Frau dachte er garnicht mehr, bis ein gebrülltes "Elender Barbaros! Sieh zu, dass du deinen wilden Körper bedeckst!" ihn sich umdrehen ließ, und sich zum ersten Mal gewahr wurde, dass die Frau, nur weil er ihre Einladung ihm hochzuhelfen nicht angenommen hatte, sich nicht automatisch in Luft auflöste.


    "Achso, ja...", war alles, was ihm schlaues zu der Situation einfiel, als er die zusammengedrehte Tunika wieder entdrehte, und sich mit souveräner Langsamkeit wieder bekleidete. Er warf dem alten Mann einen giftigen Blick zu: "Du kannst froh sein, dass das hier wie Sommer ist, alter Mann."
    Was ihm nur ein spöttisches Lächeln einbrachte: "Das hier, junger Barbar, ist der römische Winter. Und jetzt entschuldige dich gefälligst..."
    So wieder auf die Anwesenheit der jungen Frau aufmerksam gemacht, wandte sich Vala an eben diese, und kratzte sich verlegen am Kopf, dessen Haare immernoch trieften: "Eh... ja... entschuldige bitte diese Situation, DIE GANZ UND GARNICHT MEINE SCHULD WAR.", ein Seitenhieb auf den alten Griechen musste drin sein, "Ich würde mich ja gerne vorstellen, aber in Anbetracht dieser Situation werde ich mich wohl Nemo nennen müssen."
    Ein gekonntes Lächeln unterstrich die Hilflosigkeit seiner Situation. Einmal aus dem Takt gebracht, fand er doch immer wieder zurück...


    *[SIZE=7]"Wenn er auf deine Titten starren kann, anstelle mir zuzuhören, kann er da auch wieder alleine rauskommen." Modernes, computergeneriertes griechisch, und mit Sicherheit sowas von falsch... aber lustig..[/SIZE]

  • Als sie plötzlich von hinter sich angesprochen wurde, sah Axilla etwas verwirrt über ihre Schulter, ließ aber die ausgestreckte Hand noch in der Luft über dem Wasser. Erst bei dem folgendem Satz in Koine nahm sie die Hand zurück, um sich ganz verwirrt umzudrehen. “Du hast ihn ins Wasser geschubst, weil er mich angestarrt hat?“ fragte sie sicherheitshalber nochmal nach, ebenfalls in Koine. Sie war das Griechische noch immer so gewohnt, dass es bei ihr nicht mal eine Sekunde des Umdenkens brauchte, nach anderthalb Jahren unter Griechen redete sie einfach. Auch wenn sie den leichten, ionischen Einschlag weder im Koine und erst recht nicht in ihrem bemühten Attisch je losgeworden war.
    Erst, nachdem sie aufgestanden war und die Frage gestellt hatte, bemerkte sie, dass der Mann im Wasser ja vielleicht nun gar nicht aus eben jenem ohne Hilfe rauskam und drehte sich wieder nach ihm um. Auch wenn das der Grund sein sollte, warum er baden gegangen war, Axilla fehlte jeder Sinn dafür, nachtragend zu sein. Und sie würde ihm ja trotzdem helfen, wieder rauszukommen, sofern er nicht unhöflich zu ihr war.


    Aber das hatte sich erübrigt, der Mann hatte schon eine Stelle zum herausklettern gefunden und zog sich den Kai wieder hoch. Klatschnass schüttelte er sich erstmal ausgiebig wie ein Hund. Axilla schaute ihm schmunzelnd dabei zu und hoffte, sie würde nicht gleich auch im Tiber landen, weil sie nun den jungen Mann anschaute.
    Sie wollte sich gerade Sorgen machen, ob er so nicht krank werden würde bei diesem eiskalten Wetter, als in ihrem Hirn auf einmal einheitliche Leere herrschte, weil das Ziel ihrer Sorge sich mitten auf offener Straße auszog. Als wäre es nichts weiter, zog er sich die Tunika über den Kopf und wrang das Wasser heraus, als wäre nichts weiter dabei.
    Axilla schaute mit offenem Mund hinüber, einen Moment länger, als man dem Schrecken zuschreiben sollte, und damit zwei Momente länger, als für eine Frau, noch dazu aus ihrer Gens, schicklich wäre. Erst, als ihr Verstand wieder soweit einsetzte, dass man sie ja auch sehen konnte und sie nicht unsichtbar war, wie sie dastand und zu ihm herüberschaute, drehte sie sich mit glühend roten Wangen auf der Stelle um und blieb wie angewurzelt stehen.
    Venus... dachte sie einmal, ein stilles Stoßgebet an die Göttin aussprechend. Ihr Herz klopfte ganz aufgeregt, weil sie sich so furchtbar ertappt fühlte. Was musste so ein hübscher Kerl sich auch vor ihr ausziehen?


    Die Rufe bekam sie gar nicht so wirklich mit, und auch den Wortabtausch der beiden Männer hörte sie nur so halb mit. Erst, als der junge Mann direkt bei ihr war und sich entschuldigte, wenngleich er die Schuld weitergab, rührte sie sich wieder und versuchte, nicht ganz so verlegen auszusehen.
    “Ähm, schon gut, ist ja nichts passiert. Und... du bist es ja, der im Tiber gelandet ist, nicht ich.“
    Axilla sah zu Nemo auf. Er hatte graue Augen. Sie blinzelte verlegen, als sie merkte, dass sie ihn vielleicht nicht so direkt anschauen sollte, weil dadurch die Röte zurückzukehren drohte.
    “Ich bin Iunia Axilla.“ Etwas intelligenteres fiel ihr auf die schnelle nicht ein. Sie war ja schon froh, dass sie ihn nicht auf die Narben auf seinem Körper gleich in überschwänglicher Neugier ansprach. Außerdem fürchtete sie immernoch, von dem Griechen auch noch in den Fluss geschubbst zu werden, wenn sie sich nicht benahm.

  • Linus von Patrae
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    Dem alten Griechen stand dann doch kurzzeitig der Mund offen, als das Mädchen auf Koine antwortete, konnte dann auch nicht verhindern, dass er anerkennend den Mund zu einem Lächeln verzog. Was nichts daran änderte, dass er nicht einsah den Tag jetzt schon verloren zu geben: "Na, dann hätten wir das ja jetzt geklärt. Können wir jetzt fortfahren?"
    Er blickte den jungen Germanen, der immernoch triefte wie ein begossener Wolf (die erst sehr viel später durch Zucht so entstellt werden, dass man sie Pudel genannt werden würden), durchdringend an, aber dieser hatte nur Augen für die Frau, was in Linus so ziemlich alle Alarmglocken schrillen ließ. Er kannte diesen Blick. So blickten die Biester im Theatrum Flavium, bevor die einen Gladiator fein säuberlich auseinanderrissen. Als Stadtrömer hatte er natürlich nie die Bekanntschaft jagender Wölfe gemacht, aber so in etwa stellte er sich das vor.


    "Nein. Nein! NEIN!!!", schalt er seinen Schüler, und wedelte drohend mit dem Stock. Und was machte das Mädchen? Es spielte Reh. Linus sah mit wachsendem Entsetzen, wie sich hier Rollen zu manifestieren begannen, die mit der gehobenen Kultur und der Politik des größten und schillernsten Reichs nicht im geringsten etwas gemeinsam hatten. Linus sah ein, dass er bereits verloren hatte, und griff zum zweiten Mal heute zu einer äusserst verzweifelten, aber nicht unwillkommenen Lösung: er schlug zu.
    Dieses Mal allerdings war der Germane vorbereitet gewesen, und fing den Schlag kurz vor seiner Schädeldecke ab, und knurrte den Griechen grimmig an.
    "Wir sind noch nicht fertig, Alrik!", versuchte Linus ein letztes Mal, den gesunden Menschenverstand in seinem Schüler zu wecken, doch ohne Erfolg: "Doch, das sind wir."
    Linus, der sich gerade erst wieder an die Autorität seiner Position gewöhnt hatte, stand mit offenem Mund da, während der Germane die süffisant schmunzelnden Augen nicht von der jungen Frau nahm: "Du darfst gehen Linus, ich bin dir dankbar für das, was du mir heute beigebracht hast. Wir machen übermorgen weiter..."
    Fassungslos, so abserviert zu werden sobald der junge ein hübsches Mädchen vor die Fänge bekam, drehte Linus sich um und stolzierte davon, vollkommen vergessend, dass er ja eigentlich am Stock lief. Die lauten Flüche über den jungen triebgesteuerten Barbaren waren noch einige Sekunden lang zu hören, und die Art und Weise, wie Linus sich darüber ereiferte war bar jeder stoischen Zurückhaltung, die er sonst eigentlich pflegte.


    "Iunia Axilla.", wiederholte Vala den Namen seiner Gegenüber, als wäre er das Kennwort zu einem sagenumwobenen Schatz, "Ich glaube, ich muss mich für meinen Begleiter entschuldigen. Auch wenn er sich der Stoa verschrieben hat, lässt seine Beherrschung manchmal stark zu wünschen übrig. Nun aber genug von diesem alten Zausel, darf ich mir die Frage erlauben, was dich in den Hafen verschlägt? Ich kann mir wahrlich sicherere Gegenden für eine Bürgerin Roms vorstellen... besonders für ein so hübsches Ding wie dich."

  • Als sie und Vala sich gerade vorstellten, fing der Grieche neben ihr plötzlich wieder mit Zetern an und wollte den gerade frisch gebadeten mit seinem Stock schlagen. Doch dieser fing den Schlag geschickt ab, hielt den Stock fest und entließ den Griechen sehr selbstsicher. Dieser zog wild schimpfend von dannen, und Axilla schaute ihm sehr verwirrt nach. Vor allem, da sie seine ganzen Flüche verstand, auch wenn er sich teilweise doch derber Vulgärsprache bediente und auffällig viele Bemerkungen über Teile der männlichen Anatomie beinhaltete.
    Axilla war sich noch immer nicht sicher, ob sie hier überhaupt bleiben sollte und durfte, als der vermeintliche Nemo sie auch schon wieder ansprach. Noch immer etwas durcheinander von dem impulsiven Abgang des Griechen schaute sie einen Moment nur unsicher hoch in seine grauen Augen und musste ernsthaft überlegen, was sie sagen sollte. Die Art, wie er ihren Namen aussprach, hatte etwas beunruhigendes an sich, aber nichts desto trotz auch etwas anziehendes.
    “Ich hätte ihn eher für einen Kyniker gehalten“, fing sie sich langsam wieder und schaute noch einmal in die Richtung, in die der Grieche abgedampft war. Nachdem der erste Adrenalinrausch vorbei war, fand sie auch ihre Sprache wieder. Auch wenn sein Kompliment es ihr nicht gerade einfach machte, ihre Gedanken zu ordnen.
    “Ich wollte mir ein wenig die Schiffe ansehen. Also... ich weiß, das klingt jetzt albern, aber, ich komme aus Alexandria, und bin hier in Rom auf Besuch für den Winter, und... ich hab einfach etwas gesucht, das mich ein bisschen an Alexandria erinnert, und beim Spazieren bin ich hier zum Hafen gekommen und hab gesehen, wie das Korn abgeladen wurde. Und naja, in Alexandria wird es aufgeladen. Und mir haben sowieso die Füße gerade weh getan vom Laufen, da hab ich mich eben hingesetzt und ein wenig zugesehen und... verdammt, mein Schuh!“
    Sie hatte beim Reden die ganze Zeit hoch in seine grauen Augen geschaut, und geredet, und geredet, und irgendwann war ihr aufgefallen, dass der Boden wirklich verdammt kalt war. Zumindest an ihrem rechten Fuß, der noch immer barfuß auf dem Boden stand.
    Sie drehte sich leicht in die Richtung, wo sie gesessen hatte und war auch schon mit zwei schnellen Schritten an der Taurolle. Dahinter lag auch schon die feine Cabatina, und Axilla bückte sich schnell danach. Auf einem Bein hüpfend zog sie ihn sich schnell über, ehe sie sich wieder an Vala wandte.
    “Und du? Ist dir nicht kalt, so in den nassen Sachen? Willst du dich nicht ausziehen?“ Eine Sekunde. Zweite Sekunde. “Äh, umziehen, umziehen! Also, trockene Sachen anziehen. Weil du dich sonst erkältest, mein ich.“
    Axilla wollte am liebsten im Boden versinken und schaute deshalb auch auffällig nicht in seine Richtung, sondern zur Seite weg. Hoffentlich wurde sie nicht wieder so rot, wo sie es gerade im Griff zu haben glaubte.

  • Kyniker. Stoiker, Sokratiker, Platoniker, Hedonisten, Epikuriker, Eklektiker, Gnostiker: für Vala alle das gleiche. Alte Leute, die komisches Zeug brabbelten anstelle die Welt mit Taten zu verändern.
    Mit süffisantem Lächeln hörte Vala sich die dahergebrabbelte Erklärung der jungen Römerin an, nickte ab und an, als würde er verstehen (obwohl er tatsächlich sehr versucht war, sie für bekloppt zu erklären), und erkannte den Grund, warum sie den alten Zausel verstand, er aber nicht: sie sprachen griechisch. Er blickte ihr überrascht her, als sie sich einfach umdrehte, ein paar Schritte weiterrannte und ihren Schuh suchte. Vala war garnicht aufgefallen, dass sie nur einen Schuh an hatte, bis zu diesem Moment. Als sie sich bückte, kam er nicht umhin den sich in der recht seltsam geschnittenen Tunika abzeichnenden Körperbau zu mustern. Ein hochgezogene Augenbraue und ein anerkennender Pfiff waren alles, was der Germane von sich gab, doch als sie wieder zurückkam, gab Vala sich wieder arglos und brav. Als sie ihn aufforderte, sich auszuziehen konnte er ein breites Haifischgrinsen nicht unterdrücken, und es brauchte einige Anstrengung einen unflätigen Witz zu in seinem Kopf zu lassen.
    Ihre Sorge um seine Gesundheit ließ ihn nur fragend den Kopf schütteln: "Erkälten? Warum sollte ich das tun? Das wird schon nicht passieren..."


    Der Gedanke kam ihm irgendwie absurd vor. Natürlich war es in Rom merkbar kälter geworden, aber es war noch weit von dem entfernt, was er in seiner Heimat an winterlichen Zuständen gewohnt war. Eigentlich war der römische Winter wie der germanische Frühsommer."Da, wo ich herkomme ist das hier noch recht warmes Wetter.", schmunzelte er sie an, und strich sich die nassen Haare hinter die Ohren, "Und was machen wir jetzt, Iunia Axilla? Wenn wir es genau nehmen, schuldest du mir eigentlich eine Lektion in römischer Politik. Aber ich gebe mich auch mit alexandrinischen Lehren zufrieden.."

  • “Ach, findest du? Mir ist ganz furchtbar kalt, seit ich hier angekommen bin. Ich meine, in Tarraco, wo ich eigentlich herkomme, war es im Winter auch kalt, aber in Alexandria ist es immer warm. Also, so richtig, richtig warm. Da ist das hier furchtbar kalt.“
    Axilla versuchte, ihre Verlegenheit einfach dadurch zu überspielen, dass sie schnell weiterplapperte. Auch wenn es nicht besonders sinnig war oder einen Zusammenhang zu haben schien, es lenkte von ihrem Versprecher hoffentlich ab.
    Aber Vala schien das ganze ihr nicht übel zu nehmen, denn auch er redete einfach weiter. Wenngleich seine Worte eine seltsame Note hatten, die Axilla hier und da aufhorchen ließen. Sie schaute immer wieder hoch in seine grauen Augen, um dann doch wieder wie ein ertappter dieb wegzuschauen, während sie überlegte, was sie ihm denn antworten sollte.
    “Alexandrinische Lehren? Politik? Ich versteh nicht so viel von Politik. Also... ich bin Scriba vom Gymnasiarchos und kann dir da was über die Ämter erzählen, wenn dich das wirklich interessiert, aber...“
    Axilla wollte Vala in diesem Punkt falsch verstehen. Ein kleiner Teil hatte zwar durchaus in Betracht gezogen, dass er mit ihr flirtete, aber nachdem sie sich schon so blamiert hatte mit dem ausziehen, wollte sie es nicht noch schlimmer machen. Da spielte sie lieber die Dumme – wobei sie hoffte, dass er sie nicht wirklich für dumm hielt. Er gefiel ihr ja durchaus. Er war groß und selbstsicher. Und er hatte ganz wundervolle graue Augen.


    “Ähm, dein Freund hat dich Alrik genannt“, lenkte sie schnell vom Thema ab. Themenwechsel beherrschte Axilla gut. “Ist das dein Name?“

  • "Dann solltest du dich von meiner Heimat fernhalten, so glaube ich, du würdest dort im Sommer erfrieren.", witzelte Vala, als sie das Wetter als kalt bezeichnete, und dass sie meinte, nichts von der Politik zu verstehen bestätigte sein Vorurteil, dass die hellenistisch-beeinflussten Provinzen des Ostens ihre Frauen lieber wegsperrten, als sie am öffentlichen Leben teilhaben zu lassen. Wieder einmal war er ob der Verschiedenheit der Lebenswelten erstaunt.. bei den Stämmen in der Heimat waren Frauen nicht selten die lautstärkeren Stammespolitiker, die sich eigentlich nur in Fragen der Kriegsführung zurückhielten. Was also sollte er mit einem Hausweib anfangen, die offensichtlich keine Ahnung von dem hatte, wie die Welt um sie herum gelenkt wurde? Sich einfach auf das einlassen, was sie wusste: "Dann vergiss die Politik, und erzähl mir von deiner Heimat.. wie ist es dort? Zwei meiner Verwandten sind vor garnicht mal allzu langer Zeit dort gewesen, und erzählten von riesigen Tieren ohne Fell, von Gegenden, die nur von Sand bedeckt seien, und von Bauwerken die Älter seien als die ältesten Reiche der Griechen. Und von der Sonne, die so hoch am Himmel wandert, dass es keinen Fleck gibt, der nicht von ihr erhellt wird."
    Letzter Punkt war von besonderem Interesse für Vala. Zwar war er im Panoptikum der germanischen Götter- und Geisterwelt behaftet, wo die Sonne sich stets als fruchtbringende Göttin manifestierte, und gerade deshalb durch Wintersonne und Sommersonne gefeiert wurde, doch die Erzählungen seiner Verwandten, dass die Sonne im Süden eine wahre Plage sei, wollte und konnte er nicht glauben.


    Dass sie aus Tarraco kam, aber in Alexandria gelebt hatte, fiel Vala schon auf, wahrscheinlich war sie Mitglied der Reichsnobilität, die immer dort lebte, wo es in der Administration zu arbeiten und/oder viel Geld zu verdienen gab. Er würde sich später mit der Gens Iunia beschäftigen müssen.. obwohl... kannte er da nicht wen?


    "Sag..", begann er so unverbindlich wie möglich und wich dezent der Frage nach seinem Namen aus, "..bist du rein zufällig mit einer Narcissa verwandt? Oder mit einer Serrana?"
    Zwar hatte er mit den beiden nicht mehr Kontakt gehabt als die eine ominöse Einladung zu einer Cena die SEHR ruhig verlaufen war (Dagmar hatte ihm später vorgeworfen, die Frauen mit seinem Auftreten eingeschüchtert zu haben), aber er konnte sich das irgendwo nicht vorstellen. Die eine schüchtern zurückhaltend, die andere reserviert ebenso, und die junge Frau, die jetzt vor ihm stand, war das auf eine andere Art und Weise. Eine Art und Weise, die Vala glauben ließ, hier leichtes Spiel zu haben. Oder zumindest die Jagd ein wenig genießen zu können, auch wenn sich am Ende nichts dabei ergeben würde, ergeben durfte.

  • Sie sollte ihm von Ägypten erzählen? Axilla überlegte kurz, wo sie da am besten anfangen sollte. Er fragte so viel, und sie wollte ihm ja auch gerne alles erzählen. Hauptsächlich, damit sie noch eine Weile einen Grund hatte, ihn anzulächeln und ihm in seine Augen zu schauen, denn sie genoss es, wie er sie anschaute.
    “Dann hat dein Verwandter bestimmt einen Elefanten gesehen. Die sind wirklich riesig, bestimmt zweimal so hoch wie ein Pferd und massig und schwer, und die haben einen langen Rüssel und dicke Haut und Stoßzähne. Die Karthager haben Kriegselefanten sogar gezüchtet und sind damit im Punischen Krieg... ich glaub, im zweiten.... auf jeden Fall war es Hannibal, über die Alpen marschiert. Das muss wirklich beängstigend gewesen sein, denn Elefanten sind wirklich gewaltig und stark. Die können ohne Mühe einen ganzen Baum mit ihrem Rüssel tragen.
    Und die Wüste ist auch wirklich gewaltig. Letztes Jahr durfte ich einen Freund, Aelius Archias, und seine Verlobte auf eine kleine Expedition zu den Nilkatarakten und den Pyramiden begleiten. Da haben wir verdammt viel Wüste gesehen. Das kann man sich gar nicht vorstellen, so weit das Auge reicht, nur Sand und Steine, und kein Tropfen Wasser, und man folgt einem Mann, der behauptet, er wisse genau, wo es zur nächsten Wasserstelle geht, und wenn der sich irrt, ist man tot.“
    Axilla schüttelte kurz den Kopf, konnte aber nicht wirklich aufhören, zu lächeln, obwohl das Thema ernst war. Eigentlich, wenn sie so darüber nachdachte, war die ganze Reise ziemlich verrückt gewesen. “Und wenn die Sonne auf den Sand scheint, kommt man sich vor wie in einem riesigen Backofen. Dann flimmert die Luft, und man denkt die ganze Zeit, überall wären große Seen, weil der Boden so spiegelt, aber das ist in Wirklichkeit nur Sand. Und man muss Zelte aufschlagen, damit man in der Sonne nicht verbrennt.“
    Axilla versuchte, ihn nicht die ganze Zeit anzuschauen, während sie redete und redete. Und so sah sie auch immer wieder ablenkend zu den Hafenarbeitern, die das Korn verluden, oder dem Meer, oder auch sehr interessiert dem Boden, auf dem sie standen, nur um doch wieder zu seinen Augen zurückzufinden.
    “Aber die meiste Zeit war ich ja in Alexandria, und da ist es ganz anders. Das Nildelta macht den Boden sehr fruchtbar, und dauernd kommen Schiffe mit Getreide, die in Alexandria umgeladen werden. Weißt du, die ägyptischen Schiffe sind nicht dafür geeignet, auf dem Meer zu fahren, die würden bei Seegang einfach umkippen.“
    Axilla könnte noch weiter erzählen, aber gerade an dieser Stelle musste sie einem Karren mit Korn etwas ausweichen, der an ihnen vorbeigefahren wurde, nicht ohne dass der Hafenarbeiter ein “Aus dem Weg“ brummte.


    Entschuldigend, weil sie ihn in so einem Redeschwall erstickt hatte, schaute Axilla verlegen zu ihrem Unbekannten hoch, der die Frage nach seinem Namen nicht beantwortet hatte, dafür aber eine nach ihren Verwandten stellte.
    “Ja, Serrana ist meine Cousine. Also, meine richtige Cousine, unsere Väter waren Brüder. Und Narcissa habe ich noch nicht kennengelernt, aber die soll wohl auch mit mir verwandt sein.“ Sie hatte nur kurz mit Serrana darüber geredet und wusste eigentlich nur, dass diese Cousine vom griechischen Zweig der Familie stammte und bei Senator Decimus Livianus wohnte. “Aber ich denke, ich werde sie kennenlernen, wenn ich Senator Decimus Livianus besuche. Eigentlich bin ich ja nur hier, weil er mich eingeladen hat, aber irgendwie hat er jetzt vor den Saturnalien wohl auch sehr wenig Zeit.“ Axilla zuckte kurz mit den Schultern, als störe sie das auch nicht weiter. Tat es ja auch nicht, so hatte sie schon mehr Zeit für andere Dinge, zum Beispiel Gespräche am Hafen mit Unbekannten.
    “Aber wieso fragst du? Kennst du die beiden?“ Vielleicht bekam Axilla ja so den Namen ihres Unbekannten heraus.
    “Und jetzt habe ich so viel über mich erzählt, jetzt musst du mir auch ein bisschen von dir erzählen“ setzte sie noch mit einem Unschuldsblick hinzu.

  • Vala hörte zu, ohne dem was sie sagte wirkliche Aufmerksamkeit zu schenken. Die typisch männliche Fähigkeit, bestimmte Informationen abzuspeichern ohne sie wirklich zu beachten, um sie in kritischen Momenten wie "Schatz, hörst du mir überhaupt zu?", oder "Was ist deine Meinung dazu?" oder "Sag doch auch mal was.." sofort abzurufen und direkt zu verarbeiten, kam hier jedoch nicht zum Zug, denn die junge Frau verzichtete auf Gegenfragen. Wie sie es normalerweise taten. Frauen interessierten sich eigentlich nicht für ihr Gegenüber, außer, sie hatten den Eindruck, dass ihr Gegenüber ihr Informationen zukommen lassen könnte, die sie später weiterverwerten, ergo weitererzählen konnte. So auch hier: Minutenlang wurde Vala zugelabert (und würde später sicherlich als 'so ein guter Zuhörer' charakterisiert), und das schlechte Gewissen der jungen Frau manifestierte sich letztendlich wirklich erst am Ende ihres Redeschwalls.


    So wieder zurück in die Aktivität gezwungen, lächelte Vala verlegen, während er überlegte wie er aus dieser Sache herauskam. Wollte er ihr seinen Namen sagen? Namen waren Macht. Seine Mutter hatte ihm einmal erzählt, dass jemand Macht über einen besaß, sobald er den Namen eines Menschen kannte. So auch Linus, der Vala immer öfter bereuen ließ, ihn seinen germanischen Namen genannt zu haben. Mit dem römischen war er weniger restriktiv, wenn auch nicht wirklich freigiebig.


    "Man könnte meinen, Rom wäre ein Dorf.", entgegnete Vala eloquent, und versuchte sich fortan darin, etwas zu erzählen ohne tatsächlich etwas von sich zu verraten, "Senator Decimus Livianus... eine der ersten Personen, die ich hier in Rom zu sehen bekam. Genauso wie deine Cousine, wenn man es genau nimmt. Ich bin vor einigen Monaten nach Rom gekommen, und habe hier eine Stelle als Scriba eines Offiziers der Prätorianer angenommen. Mittlerweile fällt es mir leichter, mich auf Rom einzulassen, das war anfangs nicht so.. allerdings macht die Stadt es mir auch nicht gerade leicht. Deshalb ist es vielleicht so interessant, von deinen Wüsten zu hören, von Hannibals Elefanten und dem fruchtbaren Nil, das lässt Rom vielleicht etwas weniger fremd erscheinen, wenn man sich daran erinnert, dass es Länder gibt die NOCH fremder sind. Aber wollen wir uns hier weiter unterhalten, und den Männern im Weg stehen, oder uns langsam in Gegenden aufmachen, die weniger geschäftig sind?"


    Man konnte ruhigen gewissens behaupten: Vala hatte es einfach drauf.

  • “Scriba? Ich hätte eher gedacht, du bist Soldat“, lächelte Axilla ihn an. In ihren Worten schwang aber keinerlei Abwertung, weder für das eine, ncoh für das andere, mit.
    Scriba eines Prätorianeroffiziers... da musste sich doch der Name herausfinden lassen. So viele davon gab es auch nicht, und so viele Scriba von ebensolchen würde ihre Cousine nicht kennen. Und Axilla brannte wirklich darauf, zu erfahren, wie ihr Unbekannter hieß.
    Sie schaute schon wieder etwas verträumt zu ihm hoch – sie ging ihm ja gerademal bis zur Brust – als er sie mehr noch als der Mann mit dem Karren darauf aufmerksam machte, dass sie wohl nicht wirklich ewig hier stehenbleiben konnten. Verlegen sah sie sich kurz um, als müsse sie die Lage nochmal überprüfen, ob sie denn wirklich im Weg standen.
    “Ja, ich glaube, du hast recht, wir sollten hier wohl weggehen. Bevor die Hafenarbeiter noch wirklich ärgerlich werden und uns vertreiben.“
    Mit einem leichten Schaudern dachte Axilla an den Aufstand im Hafen von Alexandria, dessen Zeuge sie geworden war – auch wenn die Verhöre äußerst glimpflich abgelaufen waren.
    Allerdings wusste Axilla gar nicht, wo sie hingehen sollten, sie kannte sich hier ja gar nicht aus. Sie war ja schon froh, wenn sie den Weg zurück wieder fand. Etwas verlegen biss sie sich kurz auf die Unterlippe
    “Und wohin wollen wir gehen?“ fragte sie unschuldig, während sie sich schon neben Vala gesellte, um hinzugehen, wo auch immer er sie hinführen wollte.

  • "Soldat?", antwortete Vala verwirrt, und sah an sich herab, hatte er etwa zugenommen? Sicherlich hatte er das.. auch wenn stete Bewegung ihn fit hielt, die Tatsache, regelmäßige und oft auch üppige Mahlzeiten zu sich zu nehmen hatten wohl in den vergangenen Monaten die Rippen verdeckt und seine Wangen etwas voller werden lassen. Etwas. So sah er wohl nichtmehr aus wie ein abgerissener Landstreicher, sondern wie einer, der harte Arbeit gewohnt war, und genug zu Essen bekam, um diese auch körperlich niederzuschreiben.


    "Ich denke, wir sollten am Tiber gen Palatin zurückgehen... ich kann mir nicht vorstellen, dass der Aventin die richtige Gegend ist, in der schöne Damen von Stand umherwandeln.", lud Vala sie ein, sich durch die Menge am Hafen zu schlängeln und in ruhigere Gefielde zu wandern. Auch, weil er irgendwann wieder zurück musste, schließlich wartete immer Arbeit auf ihn, solange es hell war, und oft auch danach.
    "So.. und jetzt bist du aus dem Land der großen unbehaarten Tiere und der anderen Wunder nach Rom gekommen...", begann Vala unverbindliches Palaver, während sie am Tiber entlanggingen, "...da frage ich mich: warum? Die großen Pläne eines Vaters, der seine Tochter mit einem wohlhabenden Römer verheiraten will? Eine Mutter, die für ihre Tochter eine Laufbahn bei den Templa vorsieht? Oder ganz triviale Langeweile?"

  • Axilla lächelte zu ihrem Nemo verschmitzt auf, als er so fragend wegen dem Soldaten dreinblickte. Aber das war es eben, was ihr bei ihm einfiel, und das war für sie etwas durch und durch positives. Auch wenn es ihr Gegenüber vielleicht anders sehen mochte, Axilla gab das ein Gefühl der Sicherheit, was sie immer sehr dringend brauchte, um sich wirklich frei zu fühlen.
    So schloss sie sich ihm auch gerne an und sie ließen die Hafenarbeiter hinter sich, um am ruhigeren Tiber etwas entlangzulaufen, ohne ein wirkliches Ziel vor Augen zu haben. Es hätte wirklich wunderschön sein können, wäre seine Frage nicht gewesen, die es sogar schaffte, das Lächeln aus ihrem Gesicht kurz zu vertreiben und ihren Blick statt zu seinen Augen über den träge dahinziehenden Fluss schweifen zu lassen.
    “Nein, meine Eltern sind beide tot. Ich bin hier auf Einladung von Senator Decimus Livianus.“ Hatte sie das eben nicht schon erzählt? Axilla war sich nicht sicher, sie hatte so viel geredet. “Er ist der Patron meines Cousins, Iunius Silanus, und nach seiner Rettung hab ich ihm einen Brief geschrieben.
    … naja, eigentlich hab ich ihm vorgeworfen, dass er nicht bei uns vorbeigekommen ist, wo er doch schonmal in Ägypten war, auch wenn ich das verstehe, ist er doch Senator und hätte gar nicht in Ägypten sein dürfen. Auf jeden Fall hat er mich dann eingeladen, damit ich ihn dann eben in Rom kennenlerne, und ich hab angenommen. Klingt verrückt, nicht?“

    Je mehr sie redete, umso mehr fand sie auch ihr Lächeln wieder und umso mehr sah sie auch wieder zu Vala, anstatt auf die Leute oder die Umgebung oder die Straße. Sie wusste gar nicht so recht, warum sie bei ihm so dermaßen anfing, zu plappern, aber sie wollte ihm einfach gerne so viel erzählen. Er war einer der wenigen, die ihr zuhörten, und von denen sie auch wollte, dass sie ihr zuhörten. Sie fühlte sich einfach wohl bei ihm.


    Sie fühlte die Blicke, die ihnen dann und wann folgten, und ganz automatisch trat sie näher an Vala heran. Sie hatte nicht wirklich Angst, dass etwas passieren könnte, aber so stellte sie sich subtil unter seinen Schutz. Noch ein wenig mehr Sicherheit, noch ein wenig mehr Ruhe für sie.
    “Und wegen dem Soldat...“ griff sie das alte Thema wieder auf, auch wenn ein Teil von ihr wusste, sie sollte es einfach dabei belassen. Sie sah sich kurz um und trat dann so zu ihm, dass er stehen bleiben musste, und sie direkt vor ihm stand. “... Hier hat dich mal ein Pfeil getroffen“, deutete sie auf eine Stelle, wo sie vorhin eine rundliche Narbe entdeckt hatte. “Und dort ist irgendwas scharfes an deinem Brustpanzer abgerutscht und hat dich dann noch gestreift. Und die Rippe hier“, und dabei berührte sie ihn jetzt tatsächlich, “war mal gebrochen. Und...“
    Impulsiv, wie sie gerade war, griff sie nach Valas Rechter und fuhr dann mit den Fingern einmal über seine Handfläche. Sie hatte nicht gewusst, dass es stimmte, aber in ihrem Kopf war das Bild einfach so vollkommen, dass sie es testen musste, und sie fühlte die feinen Schwielen, die entstanden, wenn man körperlich lange Zeit arbeitete. Ihr Vater hatte ähnliche Schwielen an den Händen gehabt, nicht so stark, dass sie unangenehm aufgefallen wären, aber doch so, dass man sie fühlen konnte, wenn man ganz sanft und bedacht wie sie jetzt darüberfuhr.
    “... du hast kräftige Hände und... ich meine...“
    Aber das hier war nicht ihr Vater und auch niemand, mit dem sie so vertraut hätte umgehen dürfen. Sie ließ etwas ertappt die Hand los und versuchte, eine Erklärung zu finden, die nicht ganz wahnsinnig klang. Sie hatte eine Grenze überschritten und sich einfach etwas herausgenommen, was die dignitas eigentlich verbot. “Tut mir leid. Das hätte ich nicht tun dürfen. Es war nur... ähm, wollen wir weitergehen?“ Sie tat sich einfach nicht leicht damit, richtige Worte zu finden, also wechselte sie schnell das Thema.

  • Ihre Eltern waren also tot. Das kam Vala, der selber mit angesehen hatte wie ganze Adelssippen ausradiert wurden, nicht allzu fatal vor: gestorben wurde immer. Ob man nun auf der Straße in einem kleinen Scharmützel starb, von einer Krankheit dahingerafft wurde oder einfach über den eigenen Fuß fiel, und sich Wundbrand einfing: es war sehr viel wahrscheinlicher, an irgend etwas zu krepieren, als irgendetwas wirklich zu überleben.
    Allerdings war es wohl noch wahrscheinlicher, im Imperium irgendjemand wichtigem über den Weg zu laufen: Rom war wirklich ein Dorf, stellte Vala mit amüsiertem Lächeln fest, als die junge Frau ihm von ihrer Reise nach Rom erzählte. Natürlich klang das irgendwo verrückt, und so gab er zu: "Schon ein wenig."
    Als sie jedoch wieder ihre Einschätzung von ihm als Soldaten wieder aufgriff, überrumpelte sie ihn vollkommen mit ihrer Art, ihm von einer Milisekunde auf die andere unangebracht näher zu kommen. Wobei dies wohl eher aus der römischen, und noch viel eher aus der griechischen Perspektive unangebracht erschien: zuhause war man da nicht so.
    Allerdings stellte die unvermittelte Annäherung für Vala etwas vollkommen anderes dar, als die Römerin vermuten möchte: jemand, der ihm von Null auf Hundert nahe kam, wollte ihm meist irgendetwas ungesundes in den Hals oder in die Rippen stoßen, und verdiente daher den Tod. Die Tatsache, dass Vala der Römerin nicht augenblicklich den Hals brach, war für ihn umso erschreckender: er wurde langsam. Er wurde weich. Er registrierte die Annäherung erst, als sie schon an seinem Körper herumtastete, was im Normalfall bedeutet hätte, dass er an seinem eigenen Blut erstickend im Sand verenden würde. Tat er aber nicht, und so fragte sich Vala, ob es ein Wink der Götter war, der ihm eine junge Römerin schickte, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er nachlässig wurde. Er würde am Abend im Hortus der Casa Prudentia den Geistern ein Dankesopfer darbringen.


    "Mach. Das. Nie. Wieder.", grollte Vala, verärgerter darüber, kalt erwischt worden zu sein als denn zu wirklicher Nähe gezwungen, und setzte den Weg unvermittelt fort, die junge Römerin erst einmal keines weiteren Blickes würdigend. Was war bloß los mit den römischen Frauen? Entweder waren sie so verschüchtert, dass sie kaum ein Wort herausbrachten, oder so unbefangen, dass man Probleme hatte sie sich wortwörtlich vom Hals zu halten. Sie gingen einige Momente schweigend nebeneinander her, und Vala hing seinen eigenen düsteren Gedanken nach, die vor allem mit Selbstkritik und Vorwürfen an seine Person zu tun hatten. Plötzlich blieb er stehen, und funkelte die junge Frau an: "Das war kein Pfeil. Wir kämpfen nicht mit Pfeil und Bogen. Mit Pfeil und Bogen schießt man auf Tiere, nicht auf Menschen. Es war der Splitter eines Speeres. Und wir tragen auch keine Brustpanzer. Es war ein simpler Schild aus nassem und halb verfaultem Holz, der mir das Leben gerettet hat. Außerdem war mein Gegner halb tot, ein kranker alter Mann, der seinem Rich einen Gefallen tat, in dem er in der Schlacht fiel. Und natürlich war die Rippe einmal gebrochen. Sie war bei den Göttern nicht die einzige.", er wandte sich wieder um, stapfte ein paar Schritte weiter, blieb stehen, wandte sich wieder um und stapfte ein paar Meter weiter, bevor er sich wieder umwandte, und ihr noch ein paar Worte entgegenschleuderte: "Und natürlich hab ich kräftige Hände. Wer die nicht hatte, starb. So einfach ist das.. entweder man packt an, und hilft mit das Leben außerhalb des gloriosen Reichs zu bewältigen, oder man verrottet im Wald."
    Wieder kehrte Vala ihr seinen Rücken zu, und stapfte weiter mit grimmigem Blick den Tiber hinauf, irgendwo froh, ein Ventil für seine Wut auf sich selbst gefunden zu haben, auch wenn das Ventil die Wut genau ins Gesicht der jungen Frau blies, die im Endeffekt garnichts dafür konnte. Und eigentlich war es auch alles andere als gerecht, letztendlich regte er sich ja nicht wirklich über die verschiedenen Lebenswelten auf, sondern über den Effekt der einen, die die Weisheiten der anderen verblassen ließ, obwohl diese ihm mehr als nur einmal das Leben gerettet hatten.

  • Jedes einzelne der vier betonten Worte ließ Axilla sichtlich kurz zusammenzucken, als hätte Vala sie geschlagen. Sie hatte so schon ein unendlich schlechtes Gewissen, und weil er so wütend reagierte, fühlte sie sich richtiggehend schlecht. Sie hatte es ja nicht mit böser Absicht getan! Und wenn sie die Macht hätte, es zurückzunehmen, würde sie es ja auch tun. Sie wollte doch nur... sie wusste es ja selber nicht so genau.
    “Es kommt nie mehr vor, ich verspreche...“ aber weiter kam sie mit ihrer leisen Entschuldigung gar nicht, denn Vala war schon losgestapft. Einen Moment überlegte Axilla, ob sie nicht einfach stehen bleiben sollte, damit er gehen konnte, dann folgte sie ihm aber doch mit zwei hastigen Schritten. Sie wollte hier nicht allein bleiben, und auch wenn er wütend auf sie war, er war trotzdem der einzige, bei dem sie gerade Schutz finden konnte. Zumindest ihrem Gefühl nach, was ja nicht unbedingt eine hohe Trefferquote aufweisen konnte.
    Doch schon drehte er sich auf dem Absatz um und fauchte ihr noch entgegen, wie falsch ihre Einschätzung seiner Narben gewesen war. “Tut mir leid, ich wusste nicht...“ Und wieder war er schon weiter, ehe sie aussprechen konnte. Völlig geknickt schaute Axilla kurz zu Boden, holte einmal Luft und wollte wieder zu ihm aufschließen, als er sich nochmal umdrehte und ihr noch einmal wegen der Sache mit seinen Händen einige Worte entgegenschleuderte. Ihr Blick blieb nach unten gerichtet, denn sie fühlte sich so schuldig, dass sie nicht zu ihm hochschauen konnte. Erst, als sie merkte, dass er wieder weiterging, hob sie den Blick leicht und ging ihm hinterher.


    Immer wieder schloss sie fast zu ihm auf, zügelte dann ein wenig ihre Schritte, um mehr Abstand zwischen sich zu lassen, nur um wieder doch etwas näher zu kommen. Sie wollte die Lage nicht verschlimmern, indem sie ihm schon wieder zu nahe kam, aber sie wollte auch nicht hier ganz allein am Rand des Aventin herumlaufen. Immer wieder schaute sie zur Seite, zu den anderen Leuten auf der Straße. Sie meinte, fast anklagende Blicke überall zu sehen, und wurde noch ein Stückchen kleiner. Vorhin war ihr die Gegend noch ganz abenteuerlich vorgekommen, jetzt sah sie sie eher als feindselig an.
    Und ihr war kalt. Immer wieder rieb sie sich über die Arme, um sich ein wenig aufzuwärmen. Ihr Blick ruhte immer mehr wieder auf Vala. Sie würde gerne etwas sagen oder machen, das alles wieder gut machte. Sie wollte doch nicht, dass er wütend auf sie war. Ganz bestimmt nicht. Aber sie wusste nicht, ob er nicht eigentlich genug von ihr hatte und sie vielleicht nicht am besten einfach kehrtmachen sollte, um ihn zu lassen.
    Wenn ich ihn nicht bald anspreche, wird es nur noch schlimmer... Axilla holte Luft, um etwas zu sagen, traute sich dann aber doch nicht. Sie schloss wieder ein Stückweit auf, und kaute sich verlegen auf der Lippe herum. Schließlich fasste sie sich doch ein Herz und versuchte es noch einmal.
    “Nemo?“ Sie wartete ganz kurz, um sicherzugehen, dass er sie hörte. “Es tut mir leid. Du bist Germane, oder? Ich weiß nicht so viel über Germania... eigentlich weiß ich fast gar nichts darüber. Ich wollte dich sicher nicht beleidigen. Wenn es etwas gibt, womit ich es wieder gutmachen kann...“
    Das klang so gräßlich furchtbar dumm. Axilla sah nochmal zu Boden und versuchte, ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen, damit nicht noch mehr Chaos hervorbrach und alles verschlimmerte. “Es ist nur.. ich wollte nur... ich weiß auch nicht, ich hab nicht nachgedacht.“
    Aber eigentlich wusste sie es sehr genau. Sie hatte ihn berühren wollen, hatte fühlen wollen, ob es stimmte. Sie hatte nur nicht über die Konsequenzen nachgedacht. Sie fühlte sich wie ein Dieb, dem seine Tat eigentlich gar nicht leid tat, dem es nur leid tat, dass er erwischt worden war.

  • Während er den Tiber hinaufstapfte, brütete Vala über düsteren Gedanken. Die meisten davon hatten damit zu tun, dass er sich verweichlicht, einfältig, unvorsichtig und inkonsequent schalt. Dann kam noch der Ärger hinzu, sich von einer Frau derart aus der Fassung bringen zu lassen, was mittlerweile das zweite Mal war. Vala verzweifelte an sich selbst.
    Seine Gedanken zogen immer weitere Kreise, und sein von sich selbst gekränktes männliches Ego wirkte furios als Katalysator einer Wut, die sich zunehmend auf ihren Auslöser richtete: die junge Frau.
    Erst in diesem Moment wurde Vala gewahr, dass er von ihr verfolgt wurde. Abrupt blieb er stehen, blaffte sie mir einem grollenden "WAS???" an, und starrte sie mit einem Blick darnieder, der entfernt an einen wahnsinnigen Wolf erinnerte, der des Spiels mit seinem gefangenen Kaninchen langsam müde wurde, und drauf und dran war, es im nächsten Moment in der Luft zu zerreissen. Allerdings manifestierte sich in Vala ein Bild, das in eine ganze andere Richtung ging, denn plötzlich verspürte er den Drang, das junge Ding einfach mit in eine Seitengasse zu schleppen, sie dort an eine Wand zu pressen, ihr die Beine auseinander zu drücken und sich für die Kränkung seines Egos zu rächen. Die Hierarchie wieder herzustellen. Die Selbstzweifel unvergessen zu machen, in dem er seine Männlichkeit im ursprünglichsten und gleichsam gewalttätigsten Akt der Menschlichkeit restaurierte. So wie er es schon einmal getan hatte. Nicht nur einmal. Und doch...
    Eine Stimme, die der des alten Griechen auf beängstigende Art und Weise ähnelte, schalt ihn einen Barbaren. Und da wurde Vala sich bewusst, was das eigentlich meinte: Barbar. Wenn er diese junge Frau jetzt nahm, war er weniger als die, die von den Römern Barbaren genannt wurden, er war das wortwörtliche Tier. Und dabei resultierte all der Groll und die Verletzung, die er sich im Endeffekt nur selbst zugefügt hatte, doch daraus, gerade mit diesem Tier konfrontiert zu sein und seine menschliche Selbstbeherrschung fahren zu lassen. Er konnte das nicht. Er DURFTE das nicht.
    Die Erkenntnis, dass er sich nur durch die von Linus so gepredigte Selbstbeherrschung retten konnte, traf ihn wie ein Hammerschlag.


    Er wandte sich wieder um, ging ein paar Schritte und wartete darauf, dass die Römerin zu ihm aufschloss. Was sie nicht tat. Wieder wandte er sich zu ihr um, und blickte sie finster an, in den Resten seines Inneren Kampfes befangen. "Komm.", knurrte er halbherzig hervor. Er würde sie nach Hause bringen. Sicher, unversehrt. Wie ein altes Lebewohl an den Vala, der einen Fehler, ob selbst hinzugefügt oder nicht, als Möglichkeit sah, sich zu verbessern.

  • Offenbar hatte sie ihn erreicht, aber anders, als erwartet. Er drehte sich um, bellte sie erneut an und starrte sie so an, als wolle er ihr am liebsten den Hals umdrehen. Axilla blieb regungslos stehen und schaute so lange zurück, wie sie konnte. Ihr Vater hatte immer gesagt, man dürfe nie rückwärts gehen, und nie den Blick senken, denn genau dann gab man auf. Aber sie schaffte es nicht lange, sich gegen diesen Blick zu erwehren und senkte doch schuldbewusst den Kopf.
    Offensichtlich wollte er ihre Gesellschaft nicht. Axillas Gedanken fingen wieder an, wild durcheinander zu kreisen. Was sollte sie jetzt tun? Fand sie allein nach Haus von hier aus? Durfte sie allein über den Aventin gehen? Konnte sie etwas tun, damit er ihr doch verzieh? Wie gefährlich war es hier wohl, allein? Sie hatte nicht einmal ein Messer dabei. Abgesehen davon, dass sie sich damit vermutlich gegen einen ernsten Angriff auch nicht wehren könnte, sondern sich höchstens das Leben nehmen könnte, wenn etwas geschah, was die Ehre nicht mehr zuließ, danach weiterzuleben. Aber was machte sie jetzt? Was konnte sie machen?
    Vala ging weiter, und Axilla blieb stehen. Sie hatte Angst – was bei ihr sehr selten vorkam und deshalb doppelt so schlimm für sie war – und sie fühlte sich elend. Ihr war kalt wie schon seit Tagen nicht mehr, und schlecht. Aber sie blieb stehen und ließ ihn gehen. Sie würde ihm nicht hinterherjammern oder ihn anflehen. Dafür war sie zum einen zu stolz, und zum anderen schämte sie sich zu sehr dafür. Sie konzentrierte sich aufs Atmen, damit man ihre Gefühlslage nicht körperlich sehen würde. Zumindest nicht noch mehr als ohnehin schon.
    Da drehte sich Vala um und hieß sie, sie solle mitkommen. Es dauerte eine Sekunde, bis Axilla erleichtert aufgeblickt hatte und ihm auch glaubte, dass sie kommen durfte. Ihr war anzusehen, was für ein Brocken ihr vom Herz fiel, als sie eiligst zu ihm aufschloss und sich so in den Schutz seiner Gesellschaft begab. Es war nicht mehr so nah wie noch vor wenigen Minuten, aber deutlich näher als das, wie sie ihm gerade bis hierhin gefolgt war.
    “Danke“ sagte sie noch leise, und ihre Stimme ließ durchscheinen, dass es ehrlich gemeint war.


    Axilla folgte Vala, der scheinbar genau zu wissen schien, wo sie entlang mussten. Sie fragte nicht nach, wieso er das wusste, sie war einfach froh, dass er scheinbar so sicher war. Vielleicht hätte sie ihm böse sein sollen, wie er sie angeblafft hatte, aber das lag nicht in Axillas Natur. Wenn er einen ihrer Freunde so angegangen wäre, das wäre etwas anderes gewesen, aber bei ihr selbst... Vielmehr fragte sich Axilla, wie sie sich vielleicht doch noch bei ihm revanchieren konnte, ohne, dass es aufdringlich war. Sie wollte nicht, dass er wütend auf sie war. Eigentlich sollte ihr das egal sein, sie kannte noch nicht einmal seinen Namen, und bei den meisten Menschen war es ihr auch egal, was die über sie dachten. Aber... sie wollte einfach nicht, dass er ihr grollte.
    “Der Grieche... bringt er dir auch griechisch bei? Weil ich dachte...[size=7]also...vielleicht, wenn du magst...[/size][size=6]so als Wiedergutmachung...[/size]“ Axilla wusste nicht, ob er ihr überhaupt zuhörte, oder zuhören wollte. Sie suchte nur nach irgendwas, um sich wieder zu vertragen. Und sie hatte nunmal nicht viel anzubieten. Und sie wollte nicht wieder vorschnell sein und wurde deshalb auch immer leiser, unsicher, wie er reagieren würde.

  • Vala war vollkommen egal, ob ihr Dank ehrlich gemeint war oder nicht. Und eigentlich war ihm die junge Frau auch egal. Das einzige, was ihm in diesem Moment nicht egal war, war ihre sichere Heimkehr nach Hause. Seine Tunika wurde langsam wieder trocken, mit jedem Schritt den er tat blies der Wind den Fluss hinab durch ihre Fasern, und auch seine Haare wurden langsam wieder reger und wirbeltem wie gewohnt durch die leichte Brise. Wie ein Bär, der sicher ging, dass sein Junges ihm auch folgte wandte er sich alle paar Minuten um, warf der jungen Römerin einen prüfenden Blick zu und setzte dann mürrisch schweigend seinen Weg fort. Er führte am Hang des Aventins am Tiber entlang hinauf zum Palatin, zur Brücke in der Nähe des Circus Maximus, an der Vala vor einiger Zeit die erste Frau kennengelernt hatte, Calena, die ihn aus der Fassung gebracht hatte. Dort angekommen hielt er einen Moment inne, und konnte sich nicht entscheiden, wo er sie absetzen sollte.


    "Wo ist die Casa deiner Familie?", murrte er die junge Frau schließlich an, ihre Frage nach dem Griechen und dem griechisch vollkommen ignorierend. Er hatte nicht die Muse, sich jetzt von dieser Frau auch noch belehren zu lassen, oder es in Zukunft tun zu müssen. Natürlich musste er Griechisch lernen, das hatte ihm sein Patron schon eingebläut, aber er würde einen Loki tun und es von dieser Frau lernen. Sowieso: seine Lust zur Konversation war dahin. Viel zu sehr war er damit beschäftigt, sich einen Reim zu machen aus dem, was gerade passiert war. Oder anders: er plante bereits die Beseitigung dieses Missstands. Die römischen Legionäre hielten sich in Form, in dem sie jeden Tag den Ernstfall probten, sich mit körperlicher Ertüchtigung und Übungen an der Waffe formten. Was Vala erst jetzt verstand, schließlich hatte er in Germania Magna oft genug die Gelegenheit bekommen, den Ernstfall im Ernstfall zu proben. Seitdem das nichtmehr so war, wurde er anscheinend nachlässig: er hatte zugenommen, und ließ eine Frau an sich rumfummeln, ohne ihr das Genick zu brechen, oder gar nur die Finger.
    Das würde sich ändern. Ab sofort. Er führte hier ein Leben in Frieden, obwohl er wusste, dass sich das jeden Moment ändern konnte, wie der Überfall auf seinen Vetter vor einigen Tagen gezeigt hatte.
    Aus seinen Gedanken gerissen wurde Vala erst, als er sich der immernoch anwesenden jungen Frau gewahr wurde, die seine Frage noch nicht beantwortet hatte. Er sah sie abschätzig an, als würde er sie gerade zum ersten Mal sehen, und spürte wie seine Bereitschaft, sich überhaupt noch mit dieser Person abzugeben stetig sank: er verlor das Interesse an ihr.


    "Nun?"

  • Er sagte keinen Ton. Nicht ein einziges Wort, gar nichts. Ab und zu schaute er über die Schulter, ob sie ihm noch folgte, und blickte sie etwas seltsam an. Axilla hatte noch gehofft, dass er ihr vielleicht verzeihen würde, aber je länger sie liefen, und je mehr sein Blick von zornig zu abschätzig sich wandelte, umso mehr begrub sie diese Hoffnung.
    Irgendwann blieben sie bei einer Brücke stehen und endlich sagte er mal etwas. Wenngleich der Tonfall so harsch und unfreundlich war, dass Axilla sich gar nicht getraute, zu antworten. Statt dessen sah sie sich kurz in der Gegend um. Da hinten war der Circus Maximus, den kannte sie schon. Von da aus war es eigentlich gar nicht mehr weit. Sie konnte von hier aus den Weg auch alleine finden, der gefährliche Teil – sofern man irgendeinen Teil von Rom als ungefährlich einstufen konnte – lag hinter ihr.


    Weil sie nicht antwortete, blaffte er sie noch einmal an. Langsam blickte Axilla zu ihm. Seine grauen Augen sahen fast angewidert drein. Resignierend wandte Axilla ihren Blick dem Boden zu und fuhr sich einmal über den Arm. Ihr war kalt, das Wetter war sie einfach nicht gewohnt.
    “Du verzeihst mir das nicht, stimmt's?“ fragte sie einmal leise, ehe sie wieder aufschaute und in seinen Augen kurz die Antwort suchte. Es war nur ein Augenblick, ehe sie durchatmete und ihre gewohnte Maske wieder zur Schau stellte. Sie lächelte sogar ganz leicht, als würde sie das ganze gar nicht betrüben. Sie redete sich sogar selbst ein, dass es genau das nicht täte. Manchmal glaubte sie sich sogar. Im Moment nicht.
    “Ach, weißt du, von hier aus finde ich auch selber nach Hause. Es ist gar nicht weit, nur da hinten lang und dann noch ein paar Straßen... ich danke dir, dass du mich hierher gebracht hast.“
    Kurz ließ sie noch die Maske soweit fallen, ihn einmal fragend anzusehen, ob da nicht vielleicht doch noch irgendwas war. Sie wollte ihn jetzt nicht gehen lassen. Nicht, wenn er wütend auf sie war und sie ihn nicht wiedersehen würde. Er war groß, hatte wundervolle Augen – auch wenn die grade ziemlich unwirsch dreinschauten – hatte wundervolle Hände. Sie wollte nicht, dass er so ging, aber sie wusste nicht, was sie machen sollte, damit er blieb. Aber es war nur ein Augenblick, dann sah sie wieder mit diesem nichtssagenden Blick in Richtung Straße.

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