Cubiculum - Iunia Axilla

  • Am Mittag war ein Brief gekommen, der erst einmal unbeachtet mit den weiteren Briefen hereingebracht wurde. Axilla hatte ihn gesehen und weil sie gerade los wollte, die Stadt zu erkunden, erst einmal auf den kleinen Tisch gelegt worden. Dort lag er dann auch noch am Abend, und auch die ganze Nacht hindurch, direkt neben den Kämmen und Spangen für Axillas Haar. Er schien so klein und unscheinbar, nichts wichtiges. Bestimmt nur liebe Grüße, oder auch die monatliche Abrechnung für die Betriebe. Vielleicht auch, dass Nikolaos während ihrer Abwesenheit einen neuen Scriba gefunden hatte. Irgend so etwas eben. Aber nichts wichtiges. Also lag er dort, auch noch nach dem Aufstehen und während dem frisieren und herrichten, unscheinbar und unbeachtet.
    Axilla rannte aus dem Zimmer, um zum Frühstück die anderen nicht warten zu lassen, und der Brief blieb immernoch ungelesen zurück. Erst, als Axilla irgendwann im Laufe des Vormittages wieder ihr Zimmer betrat, um noch eine Palla zu holen, damit sie nicht so an den Schultern fror, fiel ihr Blick auf das bisschen Papier. Sie legte den Schal beiseite und setzte sich kurz an das Tischlein. Das Siegel ihrer Familie hielt die Rolle zusammen. Axilla überlegte schon, was sie vergessen haben könnte, oder ob Urgulania sie um einen Gefallen bitten wollte, wo sie schonmal in Rom war. Lächelnd nahm sie eine Haarnadel in Ermangelung eines Messers zur Hand, um das Siegel zu lösen.


    Langsam rollte Axilla den Brief auf, und sie lächelte, als sie überrascht feststellte, dass es von ihrem Cousin war. Damit hatte sie ja nun nicht gerechnet, aber natürlich freute es sie.
    Ihre Augen flogen über die ersten Zeilen, und noch blieb das Lächeln. Doch dann erlosch mehr und mehr das Feuer in ihren Augen, das Lächeln gefror erst zu einer Maske, dann verschwand es ganz in ungläubigem Schock. Die Hände, die den Brief hielten, zitterten, und schließlich ballten sie sich hilflos zusammen, zerknitterten dabei das Papier zwischen ihnen.


    Axilla starrte einen Moment in die Leere. Das war nicht wahr! Das konnte nicht wahr sein. Das war nicht wahr! Sie blickte in den Spiegel vor sich, sah ihr undeutliches Spiegelbild auf der glattgehämmerten Silberfläche. Es war, als würde Axilla auf eine vollkommen Fremde blicken, die da mit schreckgeweiteten Augen dasaß und am ganzen Körper zitterte.


    Der Stuhl fiel klappern um, als Axilla aufsprang und losrannte. Sie konnte das hier jetzt nicht ertragen. Es ging nicht. Es durfte nicht wahr sein. Sie würde davor weglaufen. Es durfte nicht wahr sein. Den Brief noch in einer verzweifelten Faust haltend rannte sie einfach runter, riss die Tür auf und preschte hinaus auf die Straße und immer weiter, ohne sich umzusehen.

  • Bisher hatte Silanus es geschafft Axilla gekonnt aus dem Weg zu gehen. Das war nicht sonderlich schwer, da er im Palast ohnehin genug Arbeit hatte in die er sich je nach Bedarf vertiefen konnte. Am Morgen schlief meist noch das halbe Haus wenn er sich auf den Weg zum Palast machte und am Abend wurde es meistens so spät, dass er von Palastwachen zu seinem Haus begleitet wurde.


    Doch das Ereignis Rund um Urgulanias Tod änderte diese Einstellung grundlegend. Zum Einen wollte er nach Axilla sehen, ob es ihr gut ging und wie sie die Nachricht über den Tod der geliebten Verwandten aufnahm und zum anderen musste auch die weitere Vorgehensweise abgesprochen werden. Zaghaft klopfte er an der Türe zu Axillas Zimmer und wartete auf eine Reaktion aus dem Inneren.

  • Seit Urgulanias Tod war Axilla um einiges stiller und verschlossener geworden. Ihr fehlte ihre Cousine, und die Aussicht, sie nie wieder sehen zu können, lastete schwer auf ihrem sonst so sonnigen Gemüt. Sie gab sich zwar Serrana zuliebe alle Mühe, trotzdem noch fröhlich zu wirken – jedenfalls die meiste Zeit – aber immer wieder hatte sie auch Phasen, wo sie nichts und niemanden sehen wollte und sich einfach in ihrem Zimmer verschloss. Nicht einmal Leander durfte dann zu ihr. Dennoch ging es langsam wieder besser, und so war sie heute dazu aufgelegt, etwas fröhlicher sich zu geben, als sie eigentlich war.
    Als es an der Tür klopfte, dachte sie, es sei die Cousine, und beschwingt ging sie hinüber, um sie zu öffnen.
    “Serrana, ich hab dir doch gesagt, wenn die Tür offen ist, brauchst du nicht an…oh.“ Das war nicht Serrana. Das war Silanus. Axilla schaute ihn einen Moment etwas verwundert an, ehe sie zwei Schritte rückwärts ging, um ihm Platz zu machen, falls er eintreten wollte. “Silanus. Ich dachte, du wärst Serrana.“

  • "Das war nicht zu überhören. Ich darf doch?"


    Silanus rang sich ein kleines Lächeln ab und nahm das Beiseitetreten Axillas als Aufforderung einzutreten auf, dem er auch umgehend nachkam. Er schloss die Türe hinter sich und trat in die Mitte des Cubiculums. Dabei sah er sich neugierig um. Er kannte zwar den Raum, doch war er seit Axillas Ankunft nicht in diesem Zimmer gewesen. Unmerklich atmete er tief ein. Alles hier hatte bereits den angenehmen Geruch der jungen Frau angenommen. Einen ihm wohlbekannten Duft den er so lange nicht mehr gerochen hatte. Für einen wirklich kurzen Moment schloss er die Augen und drehte sich erst dann Axilla zu, die sich bisher nicht von ihrem Platz wegbewegt hatte.


    "Wie ich sehe hast du dich schon ein wenig eingelebt. Ich hoffe auch die Skalven kümmern sich gut um dich?"

  • Axilla nickte nur stumm auf seine Frage und ließ Silanus eintreten. Ein wenig perplex war sie noch, dass er so unvermittelt vor ihrer Tür stand. Er war ihr die ganze Zeit bisher sehr erfolgreich aus dem Weg gegangen, und jetzt war er hier. In ihrem Schlafzimmer.
    Erst, als Axilla merkte, sie er sich umsah, und er ihr direkt darauf eine Frage stellte, fiel ihr auf, dass sie noch immer wie angewurzelt stehen geblieben war. Und dass die Rüstung ihres Vaters nicht in der Truhe, sondern gerade aufgebaut war.
    Beinahe peinlich berührt, gleichzeitig auch schützend, ging sie fix zu dem verstärkten Lederpanzer hin. Das Schwert lag noch davor, frisch eingeölt. Mit einer geübten Bewegung beförderte sie es zurück in seine Scheide, während sie zu sprechen begann.
    “Ja, ich denke doch. Ich habe ja Leander aus Alexandria mitgebracht. Er ist der beste, ich glaube, ohne ihn wüsste ich nichtmal, was ich morgens anziehen soll. Und er sorgt schon für alles. Ich glaube ja, er ist fast eifersüchtig, wenn jemand anderes mir etwas bringt.“
    Es war ein kleiner Scherz, immerhin stand Leander einzig und ausschließlich auf Männer, weshalb er überhaupt auch nur so nahe bei Axilla sein durfte. Aber sie kam mit Männern eben besser klar als mit Frauen, und das schloss Sklaven mit ein.


    Das Schwert wanderte vorsichtig in die Truhe, die Scheide in ein Öltuch eingeschlagen, und Axilla machte sich auch gleich daran, die Riemen vom Brustpanzer zu lösen, damit sie diesen auch wieder verräumen konnte. Natürlich wollte sie die Rüstung auch verräumen, aber eigentlich war es nur eine willkommene Ablenkung, nicht direkt zu Silanus schauen zu müssen.
    “Und du? Gefällt dir deine Arbeit im Palast?“

  • Während Axilla sprach beobachtete er, wie sie begann die Rüstung ihres Vaters zu verstauen. Er erkannte sie zwar und wusste, dass sie in Axillas Besitz war und ihr viel bedeutete, hatte aber noch nie die Gelegenheit sie näher zu betrachten. Warum hatte sie die Rüstung überhaupt mit nach Rom gebracht? Auf die Frage nach seiner Arbeit im Palast wirkte Silanus sehr resignierend.


    "Nunja. Es ist anders als ich mir es vorstellt hatte. Der Kaiser selbst ist nicht in Rom und es scheint nicht, als würde er bald zurückkehren. Aber genaueres ist mir auch nicht bekannt. Alles läuft im Moment über den Praefectus Urbi, den ich persönlich auch noch nicht zu Gesicht bekommen habe. Ich glaube jedoch, dass ich nie ein guter Soldat war und vermutlich liegt mir diese Verwaltungsarbeit mehr, als das Kommando über Soldaten."


    Beim letzten Satz schritt Silanus auf Axilla zu, stellte sich neben sie und ließ seine Hand saft über den Brustpanzer gleiten, den sie ebenfalls gerade wieder verstauen wollte. Er dachte dabei an Axillas Vater, den er bereits als kleiner Junge sehr verehrt und geachtet hatte und das dieser vermutlich enttäuscht darüber wäre, könnte er sehen wie sich Axilla und Silanus entfremdet und entzweit hatten. Dieser Gedanke trug nicht gerade zur Aufmunterung der ohnehin schon traurigen Stimmung bei.


    "Es tut mir leid, dass ich mir bisher nicht wirklich Zeit für dich genommen habe Axilla."

  • Als er zu ihr kam und die Rüstung ihres Vaters berührte, schaute Axilla kurz traurig zu ihm rüber. Ja, vielleicht war er wirklich kein Soldat, und das, was sie in ihm gesehen hatte, war nicht mehr als der Wunsch dessen, was sie hatte sehen wollen. Vielleicht war er wirklich kein Krieger, kein Soldat, und kein Kommandant. So langsam verstand Axilla es, und deshalb tat es auch nicht mehr weh, wenn sie ihn ansah.
    Sie öffnete die Schnallen an der Seite, die sie geschlossen hatte, damit die Rüstung auf dem Ständer hielt. Mit einem geschickten Griff schließlich war sie abgenommen, um in der Truhe direkt daneben vorsichtig verstaut zu werden. Silanus war vielleicht kein Soldat, aber Axilla war die Tochter von einem, und das sprach aus jeder ihrer geübten Bewegungen.
    “Du hast halt viel zu tun. Und ich brauche ja auch nichts. In Alexandria hatte ich ja Urgulania...“ Kurz brach Axilla ab und räusperte sich leicht. Sie wollte nicht schon wieder heulen, sie hatte genug Tränen vergossen.
    Sie atmete noch einmal tief durch, und erhob sich dann wieder, den Truhendeckel schließend.“Und jetzt komm ich auch ganz gut alleine zurecht. Serrana hilft mir ja auch, und Aelius Archias hat mich angestellt. Du siehst, ich habe alles, was ich benötige.“
    Axilla wunderte sich fast selber über ihre Selbständigkeit, aber sie brauchte wirklich im Grunde genommen nichts. Sie wusste zwar nicht, wo ihr Weg hinging, oder ob es ihn überhaupt gab, aber gehen konnte sie ihn.

  • Als Urgulanias Name viel merkte Silanus sofort die tiefe Betroffenheit in Axillas Stimme. Auch wenn sie nach außen hin stark blieb, musste sie der Verlust tief getroffen haben. Für einen kurzen Moment wollte Silanus seine Hand auf ihre Schulter legen, ihr Trost spenden, als sie vor der Truhe hockte, doch als sie weiter sprach zog er sie wieder unbemerkt zurück.


    Aelius Archias? Wer war Aelius Archias und warum hatte er sie eingestellt? Als was hatte er sie eingestellt? Silanus blinzelte kurz irritiert und beschloss diese Fragen hinten an zu stellen. Wichtiger war nun wie es mit Axilla weiterging. Es hörte sich zwar schon alles danach an, als hätte sie sich entschieden hier in Rom zu bleiben, doch wollte Silanus sicher gehen. Nach dem Ableben der geliebten Verwandten gab es niemanden mehr, der sich in Alexandria um Axilla gekümmert hätte und so war es Silanus äußerst wichtig, dass sie hier in Rom bleiben würde.


    "Es wäre mein großer Wunsch, dass du hier in Rom bleibst Axilla. Du bist hier nun besser aufgehoben. Ich hoffe du siehst das ähnlich."

  • Axilla blinzelte kurz und überlegte. Wie meinte Silanus das, es war sein Wunsch? Er hatte doch nicht wieder vor, ihr einen Antrag zu machen? Dreimal abzulehnen empfand sie doch als sehr hart, aber es nützte nichts. Es musste sein. Sie ging ein paar Schritte wieder mehr in den Raum hinein und brachte damit etwas Abstand zwischen sich und Silanus.
    Als sie zu ihm rüberschaute, bemerkte sie zum ersten Mal, dass es nicht weh tat. Gar nicht. Sie lauschte kurz in sich hinein, aber da war kein unterdrückter Schmerz mehr. Als hätte die Tatsache, dass sie in einen anderen verliebt war, diesen nun endlich und endgültig ausgelöscht. Es war ein merkwürdiges Gefühl, aber nicht unbedingt ein schlechtes.
    “Ich habe mich noch nicht entschieden. Meine Betriebe sind in Alexandria, und ich habe Nikolaos eigentlich gesagt, dass ich zurückkehre. Und... ich habe Angst um Alexandria, was der Terentier damit machen wird. Ich finde, wir Iunier sollten uns nicht von dieser Stadt abwenden. Treue ist eine Tugend...“ Aus ihrem Mund klang es für sie etwas zweideutig, aber eigenltich meinte Axilla es aufrichtig. “... ich denke nicht, dass wir die Augen verschließen sollten, nur, weil wir jetzt hier in Rom sind. Es gibt viele Menschen, die auf Urgulania vertraut hatten, und denen will ich auch eine Freundin sein.“

  • Ohne eine Gefühlsregung zu zeigen nahm Silanus zur Kenntnis, dass Axilla sich wieder von ihm entfernte.


    "Wenn du etwas für Alexandria tun willst, dann wirst du hier in Rom, im Zentrum der Macht, vermutlich mehr tun können, als vor Ort. Ich erhalte als Procurator ab epistulis alle militärischen Agenden und Berichte an den Kaisers und bin daher auch ständig auf dem Laufenden was Alexandria und den Terentier betrifft. Wenn mir etwas merkwürdig vorkommt, dann kann ich dir versprechen, dass ich der erste sein wird, der beim Praefectus Urbi interveniert. Bis zu einem gewissen Grad habe ich sogar selbst Weisungsbefugnis. Sei also unbesorgt Axilla. Auch ich bin immer noch alexandrinischer Ehrenbürger und habe diese Provinz nicht vergessen."

  • Axilla verdrehte leicht übertrieben die Augen. “Was soll ich denn hier schon großartig machen? Hier bin ich weg von allem! Ich bin hier niemand und kenne niemanden. Was soll ich denn da gegen Terentius Cyprianus unternehmen?“ Außer ihn zu verfluchen, auf das die Furien seine Seele geißeln mögen. “In Alexandria habe ich Einfluss, da habe ich Freunde. Ich könnte mich auch wählen lassen! Ich bin mir sicher, Nikolaos könnte genug Stimmen für mich mobilisieren...“ Axilla deutete mit ihrer Hand grob in Richtung Süden, überhaupt wurden ihre Gesten energischer und kraftvoller. “Und hier? Was kann ich hier schon machen? Warten, dass du eine Nachricht bekommst? Er hat Urgulania umgebracht, Silanus! Auf offener Straße hat er sie erstechen lassen. Und du willst, dass ich hier sitze und Däumchen drehe.“

  • Die energischen Gesten und die Lautstärke ihrer Stimme brachten auch Silanus Blut wieder in Wallung. Nicht nur, weil es gefährlich war einen römischen Statthalter solcher Dinge zu beschuldigen, sondern auch weil er sich sorgen machte, das Axilla eine Dummheit begehen konnte. Auch er wurde daher etwas lauter und energischer in seiner Aussprache.


    "Axilla! Ich bitte dich! Du kannst nicht gegen einem vom Kaiser ernannten Statthalter solche schweren Anschuldigungen in den Raum stellen. Ich habe unter ihm gedient und habe ihn besser kennen gelernt als du. Ich würde ihm eine solche Vorgehensweise nicht zutrauen. Vor allem da er weiß, dass Urgulania meiner unmittelbaren Familie angehört hat.


    Und was willst du mit einer Kandidatur erreichen? Du erreichst gar nichts! Der Statthalter hat letztendlich die Entscheidung über alles was in Alexandria passiert und wenn es außer Kontrolle gerät, dann wird er seine Legionen einmarschieren lassen. Lass mich die Sache in die Hand nehmen. Ich werde schauen was ich machen kann."

  • Wie viel Sorgen Silanus sich wohl erst machen würde, wenn er von dem Fluch wüsste? Axilla wusste, warum sie niemandem davon erzählt hatte, aber in jedes ihrer Gebete schloss sie die Bitte ein, Dis möge Terentius Cyprianus verderben. Im Moment aber war Axilla einfach nur rasend vor Wut.
    “Ich weiß wen ich beschuldige, das weiß ich sogar ganz genau. Und mir hat das eine Mal, das er mich direkt angesprochen hat, gereicht. „Ein Pferd, das man ordentlich zureiten muss“, erinnerst du dich?
    Urgulania war der festen Überzeugung, dass er so etwas plant. Sie hat gedacht, ich merke nichts und bekomme nichts mit, aber ich weiß, dass sie mit Nikolaos Kerykes deswegen über mich geredet hat. Dass er mich wegbringen soll, wenn ihr etwas passiert. Ich weiß es, weil ich sogar den Kapitän kennengelernt habe, der mich dann wegfahren sollte. Sie denken immer alle, ich bekomme nichts mit, weil ich still bin und nichts sage, aber ich weiß es!“

    Natürlich wusste Axilla das. Als Scriba von Nikolaos war es nunmal ihre Aufgabe, seine Korrespondenz zu kennen. Und dass etwas im Gange war, das hatte sie nur sehr deutlich mitbekommen, allein durch Urgulanias Angst und Unruhe.
    “Verstehst du das denn nicht? Es ist meine Schuld! Wenn ich nicht gegangen wäre, dann hätte ich sie beschützen können. Sie wäre nicht allein vor dem Tychaion gewesen...“ Ein paar Tränen kullerten aus Wut, aber Axilla machte sofort eine abwehrende Bewegung. Sie wollte nicht getröstet werden. Es wurde nicht alles wieder gut, nur durch eine Umarmung. Und sie wollte ihre Wut.
    “Und jetzt sag mir, was willst du machen? Was willst du hier in Rom machen, gegen den, wie du so schön betont hast, vom Kaiser eingesetzten Statthalter? Was? Verrat es mir, was du zu tun gedenkst, um den Tod deiner Verwandten zu rächen? Schreit dein Blut nicht auch nach Rache, nichtmal so ein klein wenig?“
    Axilla schüttelte den Kopf, weil sie die Antwort schon zu kennen glaubte. “Du bist wirklich kein Krieger“, meinte sie halb resignierend daher. Ihr Vater hätte diesem Mann vermutlich noch eigenhändig das verräterische Herz aus der Brust geschnitten. Und sie würde es am liebsten ebenso tun.

  • "Verdammt nochmal Axilla! Ich glaube nicht das er ihr etwas angetan hat!"


    Silanus Schrei hallte durch das Zimmer und vermutlich bis raus auf den Gang und wurde ergänzt durch einen heftigen Schlag auf den Tisch, der direkt neben dem Iunier stand.


    "Und glaube mir! Statthalter können ebenso vom Kaiser eingesetzt wie abgesetzt werden. Sollte ich Cyprianus auf irgendwelche gravierenden Fehler in seiner Amtsführung kommen, dann werde ich das umgehend melden. Wir haben hier in Rom mächtigere Freunde uznd Verbündete als in Alexandria. Verstehst du das denn nicht? Nur ein Römer kann etwas gegen einen anderen Römer ausrichten. Vorallem wenn es sich um eine solche Persönlichkeit handelt. Und warum sollten wir uns ausgerechnet in seinen Wirkungskreis begeben, wenn wir hier aus sicherer Entfernung aus mehr erreichen können."


    Er schüttelte den Kopf und überlegte einen kurzen Moment ehe er weitersprach. Auch wenn es in diesem aufbrausenden Zustand schwer viel einen klaren Gedanken zu fassen.


    "Deine ach so guten und hilfreichen Freunde sollen die Beweise aus Alexandria schicken. Ich verspreche euch, dass ich es vor den Kaiser und vor den Senat bringen werde. Allerdings mache ich das nur wenn du hier in Rom bleibst, wo ich dich in Sicherheit weiß."

  • Warum sie sich in seinen Wirkungskreis begeben sollte? Silanus war nicht der einzige, der sauer war, und so kam Axilla ihm doch wieder nahe. Mit funkelnden Augen blieb sie keine zehn digiti vor ihm stehen, stellte sich sogar auf die Zehenspitzen, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein, und zischte ihm in übelstem Ernst zu. “Damit ich das entsetzen in seinen Augen sehen kann, wenn er erkennt, wer das Verderben über ihn gebracht hat. Damit ich ihn am Boden zerschmettert vor mir liegen sehen kann, ehe ich die Klinge in seinen Eingeweiden herumdrehe, auf das er Schmerzen leide. Damit er weiß, weswegen ihn das trifft.“
    Die kleine, süße, sanfte Axilla, die keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, wollte nur eines: Rache. So sehr, wie sie Urgulania geliebt hatte, so sehr wollte sie Rache. Sie wollte, dass Cyprianus ihren Schmerz mitfühlte, und da dieser unendlich war, würde auch er unendlich leiden müssen. “und es ist mir egal, ob du das glaubst oder nicht“, setzte sie noch als Spitze dazu, ehe sie sich von ihm abwandte und ihn wieder stehen ließ. Sollte er doch die gesamte Einrichtung zerschmettern, Axilla hatte keine Angst vor ihm.


    Sie drehte sich wieder zu ihm, und noch immer war nichts von ihrer Wut gewichen. “Außerdem kann ich sehr gut auf mich aufpassen. Wenn ich einen Beschützer brauche, dann such ich mir einen.“ Und das bist nicht du, setzte sie nicht minder wütend in Gedanken dazu.


    Womit er allerdings recht hatte – was Axilla aber nie zugeben würde – war die Sache mit den Beweisen. Wenn Timos Beweise finden könnte, könnte man hier in Rom vielleicht etwas erreichen.

  • Silanus war sprachlos und starrte die junge Iunia einfach nur an. So viel Wut und zugleich so viel Verzweiflung in ihrem Blick. Er erkannte sie nicht wieder. War das die kleine unbekümmerte Axilla die er in Alexandria zurückgelassen hatte? Nein, dass war sie bestimmt nicht. Zumindest in diesem Augenblick nicht. Eines hatte er jedoch unmissverständlich aus diesen hasserfüllten Worten heraus gehört. Er konnte ihr nicht helfen, egal wie sehr er das wollte. Sie würde nie auf ihn hören oder seinen Ratschlag annehmen. Resignierend ließ er sich auf den Sessel sinken, der ebenfalls neben ihm stand und sah zu Boden.


    "Dann wirst du daran zugrunde gehen."


    Sollte sie es tatsächlich wagen sich offen und alleine oder gar mit diesen einfältigen Griechen gegen den Präfekten zu stellen, dann waren sie alle zusammen verloren. Er würde sie einfach wegen Hochverrats verurteilen lassen, wenn er tatsächlich der Mann war, für den sie ihn hielt.

  • Jetzt setzte er sich einfach mitten im Streit hin und gab auf! Axilla knurrte wegen dieser Tatsache allein schon wütend. Ein Soldat war er wirklich nicht, sondern ein furchtbar lauwarmer Politiker. Wo war der Kerl hin, in den sie sich verliebt hatte, der in seiner Rüstung mit Caligae durch die Villa gestapft war und sich wie ein Mann benommen hatte? In diesem Moment fragte sich Axilla wirklich, was genau sie an ihm so unendlich geliebt hatte.
    “Dann geh ich eben unter. Was kümmert es dich? Es hat dich das ganze letzte Jahr nicht gekümmert, was ich gemacht habe. Weißt du auch nur irgend etwas von mir? Du kennst mich gar nicht.“
    Wütend drehte sie sich von ihm weg und stapfte zum Fenster rüber. Jetzt im Winter war der Garten trist und tot, passend zu ihrer Stimmung. “Wenigstens wird keiner sagen, dass ich nichtmal versucht hätte, den Tod meiner Verwandten zu rächen. Du willst ja nur, dass ich ja nicht auffalle, um deine politische Karriere zu gefährden, stimmt's? Keine Sorge, du wirst dir nicht die Finger schmutzig machen müssen.“


    Axilla sah nicht einmal zu ihm. Von ihrer Seite aus war eigentlich alles gesagt, ihre Fronten waren nach wie vor wie in Stein gemauert. Und dass sich daran etwas ändern würde, wagte sie stark zu bezweifeln. Sie war Feuer, und er war... lauwarmes Wasser. “War das alles, was du wolltest?“

  • Das Zusammentreffen mit Axilla hatte er sich anders vorgestellt. Silanus wurde klar das es nicht möglich war vernünftig mit der jungen Frau zu sprechen. Sie war eben das was sie war, ein siebzehnjähriges verwöhntes Mädchen, der man bereits zu früh zu viele Freiheiten eingeräumt und sie zu oft wie einen Erwachsenen behandelt hatte. Das merkte man nun auch deutlich an ihren Argumenten. Sie lebte in ihrer kleinen Welt, verstand noch keine Zusammenhänge und hatte keine Ahnung vom gesellschaftlichen Leben außerhalb ihrer direkten Umgebung. Er atmete tief durch und erhob sich schließlich. Mit vernünftigen Worten oder Erklärungen war hier nicht weiterzukommen. Man musste sehen was die Zeit brachte und ob Axilla von alleine ihre Vernunft zurückerlangte. Letztendlich hatte Silanus ohnehin keine Möglichkeiten mehr ihr Einhalt zu gebieten.


    Natürlich hatte er auch den eigentlichen Grund für sein Kommen noch nicht angesprochen, doch das hatte sich nun ohnehin erledigt. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren warf er Axilla noch einen bemitleidenden Blick zu und ging Richtung Türe.


    "Ja das war alles."


    sagte er ruhig und schloss die Zimmertüre hinter sich, als er den Raum wieder verließ.

  • “Grrrrrrrrrrrrrr!“
    Kaum, dass die Tür ins Schloss gefallen war, konnte Axilla nicht mehr an sich halten. Dieser verweichlichte... Argh! Da fiel ihr nicht mal ein Wort ein, dass es wirklich traf. Wie konnte man nur so gleichgültig sein? Und wegen so einer Lapalie kam er her, nur um dann den Schwanz einzukneifen und zu gehen?
    Axilla schnappte sich das erstbeste, was sie in die Finger bekam. Es war eine kleine Tonfigur, ein Tand, den sie auf dem Markt gekauft hatte, weil sie es hübsch gefunden hatte. Es landete krachend an der Tür, durch die Silanus eben hinausgegangen war, und zerbrach in hundert Stücke. Eine Glasphiole aus dicken Bleiglas mit Parfum darin folgte, ebenso wie drei Tiegelchen mit Schminkfarbe. Die Tür ging gerade einen Spalt weit auf, als die große Dose mit dem weißen Puder durch den Raum segelte und dort in einer beeindruckenden Staubwolke zu Bruch ging.
    “Herrin? Darf ich reinkommen, oder erschlägst du mich?“
    Axilla erkannte Leanders Stimme, und versuchte, sich ein wenig zu beruhigen. Wie ein gefangener Löwe im Käfig stapfte sie wütend auf und ab und brüllte ihm halb ein “Komm rein“ entgegen.
    Vorsichtig öffnete der Sklave die Tür und schaute durch den Spalt herein. Er sah, dass offenbar keine weiteren Geschosse folgten, und stieg vorsichtig über den Haufen an Scherben, Puder und Farbe. “Herrin, geht es dir gut?“
    “Gut? Nein, mir geht es nicht gut. Weißt du, was er gesagt hat? Ich soll auf Rache verzichten! VERZICHTEN! Und hier in Rom in SIHCERHEIT Däumchen drehen!“
    Es folgte ein Katarakt an übelsten Beschimpfungen, von denen Leander nie gedacht hätte, sie jemals aus dem Mund einer Frau zu hören zu bekommen. Der Grieche hatte keine Ahnung, woher seine Herrin solche Ausdrücke überhaupt kannte, bei ein paar zuckte er sogar leicht zusammen, gingen die doch sehr gegen die Männlichkeit. Aber er war klug genug, sie nicht zu unterbrechen, und kam der noch immer Furchen in den Boden laufenden Iunia nur einfach näher.
    “Dieses Weichei hat nur Angst um seine Karriere. Und sowas will Iunier sein!“, schimpfte sie ungehalten weiter. “Unsere gesamte Ahnenreihe müsste eigentlich als Lemures wegen diesen Worten allein hier das Haus heimsuchen. Wie kann man so wenig Ehrgefühl besitzen?“
    “Herrin, vielleicht siehst du das alles nur ein wenig zu sehr schwarz-weiß?“ versuchte er einen Vorstoß und erntete dafür einen drohend erhobenen Zeigefinger.
    “Fang du jetzt nicht auch noch damit an. Immer dieses elende 'Grau'! Ich sag dir, es gibt kein grau! Das ist nur so ein Mist der Politiker, um sich rauszureden, damit sie das machen können, was sie wollen. Urgulania ist tot, und jetzt erzähl mir nicht, das wäre ein gefühlsmäßiges Grau! Das ist schwarz, das ist sogar tiefschwarz! Und jeder, der Ehre im Leib hat, muss da an rache denken. Wie würdest du dich fühlen, wenn du umgebracht wurdest und jetzt in der Unterwelt auf Gerechtigkeit wartest, und diene teuren Verwandten sagen 'Ach, war bestimmt nur ein Versehen'? Hm? Nein, also komm mir nicht mit grau!“ Axilla war wütend und wollte mehr kaputt machen, aber sie fand grade nichts. Also blieb sie vor der Wand stehen und hieb ihre Faust so stark dagegen, dass die Knöchel leicht aufplatzten und blutig wurden.
    “Herrin, nicht!“ kam Leander sofort dazu und nahm Axilla sanft bei den Handgelenken, um sie von der Wand abzuhalten. Er merkte, dass sie vor Wut zitterte, und Tränen liefen noch immer – oder schon wieder.
    Axilla stand wie steif da und atmete zitternd. Warum nur wollte er ihr nicht bei der Rache helfen? Sie verstand es einfach nicht. Und es tat so weh. “es war meine Schuld, Leander. Wenn ich da gewesen wäre...“
    “Was, Herrin? Was dann? Dann würdest du nun tot neben ihr liegen.“
    “Nein, ich hätte sie beschützt. Ich hätte es gekonnt. Ganz sicher.“
    “Herrin, das waren bewaffnete Männer. Was hättest du gegen sie tun können. Es ist nicht deine schuld, Herrin.“ Er nahm sie richtig in den Arm, denn er wusste schon, wie wichtig ihr Körperkontakt in ihrem Leben war, auch wenn sie sich wehrte und man sie zu ihrem Glück im Moment zwingen musste.
    “Lass mich los! Es ist meine Schuld. Ich hätte... ich kann kämpfen... ich hätte...“ Sie versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, aber Leander ließ sie nicht los. Er wusste, dass sie ihn nicht bestrafen würde dafür, er diente ihr jetzt bald zwei Jahre lang und kannte sie ganz gut. Und sie würde nie aufhören, wenn er sie ließ.
    “Es ist nicht deine Schuld“, wiederholte er noch einmal ruhig und hielt sie fest.
    “Lass mich los...“ jammerte Axilla nochmal und versuchte, sich zu befreien, aber ihr Widerstand brach bereits.
    “Es ist nicht deine Schuld“, wieder ruhig, ohne sie loszulassen, und endlich klappte sie zusammen, so dass er sie stützen musste. Er hielt sie eine Weile so, dann trug er sie zum Bett rüber. Als er sie abgelegt hatte, streichelte er ihr ein wenig über den Rücken. “Die Götter sind gerecht, Herrin. Du wirst deine Rache bekommen. Ich weiß, es schmerzt, aber gedulde dich. Du wirst sehen, es wird alles gut...“ Und weiteres sagte er ihr, weil er wusste, dass sie es hören musste.
    Axilla wiederum weinte, bis die Tränen versiegten. In ihrem Herz verhärtete sich der Ort, der für Urgulania reserviert war, wurde umschlossen von festem Stein. Ja, sie würde ihre Rache bekommen, das war sie ihrer Cousine schuldig. Egal, was Silanus dazu auch sagen mochte. Aber nicht heute. Leander hatte recht, nicht heute.

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