Die Stimme der Jungfrau

  • Des Sklavenhändlers Stimme war laut und krächzend. Niemand hörte diese Stimme gerne. Nicht nur, weil sie unangenehm war, sondern auch, weil Lucius Zosimus, ein Syrer aus Antiochia, keinen allzu guten Ruf in Rom hatte. In der Vergangenheit war er vor allem dadurch aufgefallen, dass er mindere Ware per Schminke herausgeputzt hatte und Mängel wie fehlende Zähne kaschiert hatte – und das waren nur einige der Betrügereien, die er vollzogen hatte. Irgendwann waren die Quaestoren draufgekommen, und Zosimus hatte den neuen Besitzern der Ware ihr Geld teilweise zurückerstatten müssen. Dieses Ereignis hatte ein tiefes Loch in die Börse des Zosimus gerissen, und er fand es schwer, wieder ins Geschäft zu kommen.


    So versammelten sich bei einer Auktion von ihm nur einige wenige Leute, die mehr als nur magere Summen boten, als er verzweifelt versuchte, seine Waren an den Mann, oder an die Frau zu bringen.


    „Und seht hier dieses wundervolle Mädchen aus Epirus! Sie ist nicht nur hübsch, nein, sie ist auch kerngesund. Sie ist Griechin, spricht aber Latein! Lesen und schreiben kann sie in beiden Sprachen, meine Herrschaften, in beiden Sprachen! Ebenso wie den Haushalt machen. Oder auch hart arbeiten, ganz sicher! Eine perfekte Sklavin – eine Allzwecksklavin! Geeignet für alles, wozu ihr eine Sklavin einsetzen wollt. Kauft Parthenope!“ Zosimus machte weitläufige Gesten und zeigte auf die Epirerin, welche in einem schlichtem weiße Gewand auf der Rampe stand und nur auf die Menschenmasse bedrückt hinunterblinzelte.


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    Parthenope sah auf die Leute hinunter. Wie auf Ausstellungsstücke. Denn so kamen sie ihr irgendwie vor. Auch wenn die Leute unten herumgestikulierten, auf sie zeigten und längere Blicke auf sie warfen, als es sittsam war – sie ließ das alles nicht an sie herankommen. Es war nicht ihr erster Verkauf, beileibe nicht. Sie war daran gewohnt.


    „Parthenope, welch treffender Name! Die Stimme der Jungfrau! Jawohl, sie ist Jungfrau, und singen kann sie wunderbar. Diese Schönheit vom Fuße des Pindosgebirges steht zum Verkauf! 100 Sesterzen sind geboten, wer bietet mehr?“ Parthenope blickte verachtend auf den lügnerischen Sklavenverkäufer. Doch Gebote wollten nicht so wirklich kommen. Jemand rief „180!“, und noch jemand „250!“ aber das war es auch schon. Zosimus verzog die Lippen. „250! Wer bietet mehr?“


    Ein Mann zeigte auf. „Frage an die Sklavin! Bist du auch Jungfrau? Und kannst du singen?“ Parthenope blickte erstaunt den Mann an, der ihr die Frage gestellt hatte, und schüttelte dann wirsch den Kopf. „Ich bin weder Jungfrau noch kann ich singen. Und ich kann auch nicht musizieren.“ Der Blick des Sklavenhändlers, der sie traf, war unbeschreiblich.


    Anschließend wandte er sich wieder an die Leute. „Sie lügt!“, kreischte er, doch vergebens – die Leute buhten ihn aus und begannen sich zu zerstreuen. Es blieben nur noch 2 Leute da – ein ältlicher Herr und, Zosimus wollte seinen Augen kaum trauen, eine Vestalin. Was suchte so eine hier? Der Mann meinte, eher brummelnd. „300.“, während die Vestalin scheinends damit beschäftigt war, in ihrem Beutel herumzukramen. Sie zählte wohl ihr Geld.


    Zosimus seufzte. „300 zum Ersten. 300 zum Zweiten...“ Er wurde unterbrochen durch die Vestalin. „311 Sesterzen und 1 As!“, rief sie. Zosimus schaute auf. Würden die beiden jetzt vielleicht in einen Wettstreit eintreten?


    Doch dies war nur Wunschdenken. Denn weiter unten, vorm Sklavenverkäufer, wandte sich der Herr an die Vestalin – welche niemand sonst war außer Claudia Romana. „Verzeihung, verehrte Schwester.“, sprach er sie an. „Ich überlasse dir die Sklavin gerne – wenn du mich in eines deiner Gebete an Vesta einschließt.“, meinte er freundlich zu ihr hin. Romana blickte ihn erstaunt an. „Wie? Ich meine, das ist doch nicht nötig...“ Der Mann lächelte. „Das ist schon in Ordnung, ich werde eine Vestalin nicht um eine Sklavin bringen. Ich heiße Quintus Icilius Fimbria, erwähne einfach meinen Namen in einem Gebet an Vesta, und das ist in Ordnung.“ Romana blickte den Mann eine Sekunde lang erstaunt an, bevor sie nickte. „Das mache ich. Vielen Dank, Icilius Fimbria.“


    Während die beiden ihren handel abschlossen, musste Zosimus seine Ware – wieder einmal – weit unter Wert verkaufen. „Zum ersten, zum zweiten, zum dritten, verkauft an die ehrenwerte Vestalin.“, knirschte er hervor, blickte noch einmal zu Parthenope mit einem Blcik, der deutlich besagte, wie sehr es ihm Leid tat, dass er sie nicht deftig bestrafen könnte, bevor er einen seiner Grobiane befahl, sie hinunterzuschicken zu Romana.


    Was für ein schrecklicher Tag für Lucius Zosimus.

  • Und ein sehr guter Tag für Claudia Romana.


    Nachdem Fimbria ihr das Versprechen abgenommen hatte, verabschiedeten sich die beiden, denn der Icilier wollte nun doch bei einem besseren Sklavenhändler seine Waren kaufen. Natürlich hätte es sein können, dass die Sklavin eine Lügnerin war. Doch die Geschichte des Sklavenhändlers machte dies unwahrscheinlich.


    Nachdem Fimbria gegangen war, stand Romana nun so auf weiter Flur herum, auf den Mann wartend, der ihr Parthenope bringen würde. Jener ließ nicht lange auf sich warten und stellte sich vor Romana auf, bevor sie es sich recht versah. „Da ist sie. Und jetzt das Geld.“, raunzte er sie an. Die große Vestalin blickte den Lümmel nur schief an. „Hier.“ Sie übergab ihm ihren Beutel. „Das sind genau 311 Sesterzen und 1 As.“ Es war ihr ganzes Geld, deshalb auch das schräge Angebot. „Den Beutel kannst du behalten, aufgrund deiner überwältigenden Höflichkeit!“ Die Ironie ging komplett am Grobian vorbei, er grinste nur stupide, und ergriff den Beutel. „Soll ich die Fesseln durchschneiden?“, fragte er routiniert, und Romana nickte nur knapp. Der Kerl zückte ein Messer, dass so groß war, dass es eigentlich verboten werden sollte in Rom, und schnitt Parthenopes Fesseln auf.


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    Die Epirerin sagte kein Wort. Sie schüttelte die Seile nur ab und brachte dann langsam ihre Hände vors Gesicht, sie interessiert anschauend, als ob sie ganz erstaunt wäre, ihre Hände endlich ungefesselt zu sehen. Nur nach und anch sickerte es in ihr Bewusstsein, dass sie angesprochen wurde.


    „Parthenope? Parthenope!“, rief Romana, und widerstand der Versuchung, die Sklavin anzupacken und zu rütteln. War die immer so verträumt, mit ihren Gedanken komplett woanders? Konnte gut sein.


    „Ja, Herrin?“, erwiderte Parthenope langsam. Romana blickte sie direkt an. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Parthenope durchaus groß war. Nicht so groß wie sie selber, aber respektabel. Sie musste nicht so weit hinunter schauen wie beispielsweise bei Calvena. Schon einmal eine gute Sache.


    „Also. Parthenope heißt du also. Ich heiße Claudia Romana, und ich bin Vestalin. Von nun an wirst du also im Atrium Vestae wohnen und mir dienen.“ Sie klang nicht unfreundlich, aber trotzdem ernst und entschlossen. „Du bist Griechin? Also kannst du griechisch?“ Ja, Herrin.“ „Sehr gut. Wir sollten auf griechisch miteinander reden, denke ich, von Zeit zu Zeit.“ „Ja, Herrin.“ Romana machte den Ansatz eines Lächelns. „Also. Folge mir zum Atrium Vestae. Ich zeige dir, wo es liegt.“ „Ja, Herrin.“ Romana machte sich gerade daran, umzudrehen und zu gehen, da hielt sie inne. „Sag, Parthenope.“ „Ja, Herrin?“ „Kannst du auch etwas anderes sagen als „Ja, Herrin“?“, fragte Romana, leicht amüsiert. „Ja, Herrin.“


    Romana seufzte nur leise und blickte kurz gen Himmel, bevor sie wieder zur Sklavin sah. „Du kannst also nicht singen oder musizieren?“ „Nein, Herrin.“ „Ach.“, konstatierte Romana. „Du kannst also doch etwas anderes sagen als „Ja, Herrin“.“ Ja, Herrin.“ Romana verdrehte die Augen nur ein kleines bisschen. „Und du bist auch keine Jungfrau?“ „Nein, Herrin.“ Romana lächelte leicht. „Das macht nichts. Nur wir Vestalinnen müssen Jungfrauen sein. Und, ich verstehe schon, dass man den fleischlichen Versuchungen anheim fallen kann...“


    Parthenope senkte den Kopf. „Herrin. Ich habe es mir nicht ausgesucht.“ Dies war der erste zusammenhängende Satz, den Romana aus dem Mund ihrer neuen Sklavin hörte. Sie beugte sich ganz leicht vor. „Dein voriger Herr?“, fragte sie, etwas schuldbewusst, dass sie Parthenope Wolllustigkeit unterstellt hatte, ohne sie zu kennen. „Nein.“, lautete die Antwort schlicht. „Wer dann?“ Parthenope blickte Romana wieder in die Augen. „Verzeih mir, Herrin. Ich will nicht darüber sprechen.“ Eine unangenehme Stille breitete sich aus zwischen Romana und Parthenope, bevor Romana wieder ein verkrampftes Lächeln hervorbrachte. „Na ja. Wie dem auch sei. Danke für deine Ehrlichkeit. Gehen wir also jetzt, ja?“


    Parthenope nickte, jetzt nicht einmal mehr „Ja, Herrin“ sagend, und folgte der Claudierin.

  • Den Markt verließen Romana und ihre Neuerwerbung schweigend. Romana nachdenkend, aber trotzdem noch mit beiden Beinen im hier und Jetzt stehend – metaphorisch, denn sie stand ja nicht, sie ging - Parthenope träumend, ihre Gedanken herumschweifend lassend. Sie müssten mittlerweile schon am Atrium Vestae angekommen sein, noch vor ihrer Denkerin.


    „Parthenope?“, meinte Romana. Keine Antwort. Sie drehte ihren Kopf herum. „PaaarthEEEEnope!“, rief sie, und die Epirerin blinzelte. „Ähm, uhmm, verzeih, Herrin. Ja?“ „Kennst du Rom schon?“ „Nein.“ „Nicht?“ „Nein, Herrin.“ Romana zuckte die Achseln. „Ich werde es dir zeigen, ich werde dich herumführen. Du wirst wohl in Zukunft ein paar Botengänge für mich erfüllen müssen.“ „...“ „...MÜSSEN.“Ähm. Ja, Herrin. Sicher.“


    Romana seufzte. Ein Handbuch, eine Betriebsanleitung für Sklaven, wäre gut. Wie man mit Sklaven umgeht. Oder: Wie man mit Sklavinnen mit sichtlichen Aufmerksamskeitsdefiziten umgeht. „Wo hast du vorher gelebt?“ „Gelebt?“ „Bevor du nach Rom gekommen bist. Wo hast du da gelebt?“ „In Lavinium, auf der Villa Rustica des Naevius Lentulus.“ „Ah, Lavinium. Sehr schön. Es gibt dort einen schönen, alten Tempel der Vesta.“ Somit versuchte Romana die Konversation wieder zu beleben. Wieso hatte sie nur so eine Langweilerin erstanden? Sie würde sicherlich nicht einmal zugehört haben.


    Doch eine Überraschung folgte. Parthenope nickte. „Genau. Die Vesta des Landes. Auch Leute aus der Stadt kommen, um regelmäßig dort zu opfern. Jeden Frühling. Der Göttin des Herdes. Ich sehe die Prozessionen vor mir. In meiner Heimat wird Hestia, ihrem Äquivalent, nicht soviel geopfert wie hier der Vesta. Ich meine, hier ist es ja auch ein Staatskult.“ Romana blickte nun doch erstaunt drein. „Das weißt du?“ Parthenope lächelte schüchtern. „Man sagt mir nach, was ich einmal gehört habe, das vergesse ich nie wieder.“ „Wirklich?“, erwiderte eine erstaunte Claudierin. Parthenope aber senkte nur ihren Blick. Es schwante Romana in diesem Augenblick, dass ihr Kauf vielleicht doch nicht so unnütz gewesen war, wie sie es gedacht hatte.


    Und gerade nun kam es, dass die beiden jungen Frauen vorm Tempel der Vesta ankamen. Parthenope lächelte leicht. „Es ist sehr schön, Herrin. Schöner als der Tempel in Lavinium.“ Romana lächelte zurück. „Nicht wahr?“ Sie war noch nie in lavinium gewesen, aber wenn es ihre Sklavin sagte, würde es schon stimmen. Parthenope verschlug es das Lächeln, als sie das von Romana sah, und blickte wieder zu Boden. Die Vestalin seufzte nur, und wies Parthenope mit einem „Da lang“ den Weg in das Atrium Vestae hinein, um sie dort zu dem ihr zugedachten Raum zu lotsen.

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