alicubi | Vom Unterschied zwischen Veilchen und Orchidee

  • Übrigens sollten wir uns bald etwas einfallen lassen, wie wir den Hortus kindersicher machen. Viele junge Ehen bedeuten im Normalfall auch viele kleine Kinder. Und kleine Kinder unterscheiden leider nicht zwischen einem gewöhnlichen Veilchen und einer Orchidee.


    So Unrecht hatte Ursus damit gar nicht. Andererseits erwartete ich von den Erziehern und Ammen, dass sie ein Auge auf ihre Schützlinge haben würden. "Kindersicher" war damit ein dehnbarer Begriff. Man durfte die Kinder eben nur nicht allein in den Garten lassen. Eine der Grasflächen war groß genug für allerlei Unsinn. Man konnte Ballspielen und sich dort sogar verstecken, denn der Pflanzenbestand war nicht allzu empfindlich in jener Ecke des Gartens. Diejenigen Rabatten allerdings, die die exotischen Vertreter der Pflanzenwelt beherbergten, mussten kinderfrei gehalten werden.


    Gegenwärtig stand ich mit nachdenklich ans Kinn gelegter Hand in einen warmen Umhang gehüllt an der Schwelle zwischen Oriental- und typisch römischem Garten und überlegte, ob die Anpflanzung einer Hecke wohl sinnvoll war oder nicht. Sicherlich würde sie das Auge stören und unästhetisch wirken. Ich zog eine Grimasse. Ein generelles Verbot, den Garten zu betreten, machte auch keinen Sinn, denn Verbote schürten bekanntlich nur die kindliche Neugier.

  • In warme Sachen gepackt, wanderte Siv durch den Garten und sah sich an, was andere Sklaven auf ihre Anweisung hin getan hatten. Sie sehnte sich danach, endlich wieder selbst hier arbeiten zu können. Selbst wenn es nur darum ging, den Garten winterfest zu machen, vor allem den Teil mit den empfindlichen Gewächsen aus südlichen Gefilden, was beileibe keine allzu schöne Arbeit war, juckte es in ihren Fingern. Stattdessen konnte sie nur sagen, was gemacht werden sollte, und musste im Übrigen zusehen – und sogar das hatte sie in den letzten Tagen und Wochen nicht lange gekonnt, weil Brix darauf hingewiesen hatte, dass Herumstehen in der Kälte wohl nicht unbedingt das Beste für sie war. Vermutlich hatte er auch geahnt, dass sie kaum brav dastehen und nur zusehen würde, wenn sie die ganze Zeit dabei war. In jedem Fall hatte Siv sich, wenn auch nur ungern, zurückgezogen, und jetzt lief sie durch den Garten und, ja, überprüfte noch mal alles. Vor ein paar Jahren hätte sie das nie für möglich gehalten, dass sie so etwas tat, dass sie so… pflichtbewusst sein könnte, aber der Garten war etwas Besonderes. Er war ihr anvertraut, seit sie hierher gekommen war, und er war ihr ans Herz gewachsen. Sie überblickte den orientalischen Teil, und ein teils zufriedenes, teils wehmütiges Lächeln huschte über ihre Lippen. Die empfindlichsten Pflanzen waren hier ohnehin nicht direkt ins Erdreich gesetzt worden, sondern in große Gefäße, so dass sie im Winter ins Haus gebracht werden konnten, in die Exedra, wenn sie etwas Kälte vertrugen, ins Haus selbst, wenn sie sehr empfindlich waren. Der Rest war so geschützt, wie es nur ging. Und auch was der Sturm angerichtet hatte, war nicht mehr zu sehen. Oh ja, sie konnte zufrieden sein, aber sie hätte einfach so gerne mitgemacht…


    In diesem Moment spürte sie wieder dieses Flattern. Das hieß, eigentlich war es schon gar kein Flattern mehr. Innerhalb kürzester Zeit, so schien es ihr jedenfalls, war es stärker geworden, und inzwischen war es eindeutig, dass es nicht ihr Magen war, der erneut verrückt zu spielen begann. Allerdings war das nun eher ein Grund dafür, dass ihr Lächeln verschwand. Seit dem Krach in der Nacht waren Corvinus und sie sich mehr oder weniger aus dem Weg gegangen. Sie ihm, hieß das, ob es umgekehrt auch so war, konnte sie nicht sagen. Ich kann dich nicht gebrauchen. Der Satz bohrte in ihr wie eine vergiftete Speerspitze. Sie konnte sich noch so oft sagen, dass er es nicht so gemeint hatte, aber er hatte es ausgesprochen, und das allein schon tat weh. Und sie hasste es, wenn sie sich stritten. Vor allem, weil es dann immer eine Zeitlang dauerte, bis sie sich wieder vertrugen. Weder sie noch er waren Menschen, die leicht einen Streit überwanden, und dabei spielte es, zumindest bei Siv, keine große Rolle, ob sie sich im Recht oder im Unrecht fühlte. Wenn sie sich im Recht meinte, sah sie es nicht ein, den ersten Schritt zu tun, wenn sie sich im Unrecht fühlte, weigerte sie sich häufig, weil ihr Stolz nicht zuließ, das zuzugeben. Und es war so einfach, sich aus dem Weg zu gehen. Die meiste Zeit lebten sie in völlig unterschiedlichen Welten, in denen jeder von ihnen genug zu tun hatte. Solange sie nicht bewusst entschieden, Zeit miteinander zu verbringen, die Gegenwart des anderen zu suchen, lief es eben einfach so vor sich hin. Und dennoch, obwohl auch sie in den letzten Tagen, vor allem morgens, wenn sie ihm beim Ankleiden behilflich war, keine Anstalten gemacht hatte die Distanz zu überbrücken zwischen ihnen, litt sie darunter. Vor allem in Momenten wie diesen, wenn es eigentlich etwas gab, was sie ihm unbedingt erzählen wollte.


    Noch ein Flattern, ein Beben, und Sivs Hand legte sich unwillkürlich auf den Bauch, aber nach außen war der Tritt noch nicht als solcher zu spüren. Oder doch? Sie runzelte leicht die Stirn, nicht sicher, ob sie sich das eingebildet hatte durch den dicken Stoff hindurch, aber es kam nichts weiter, und so drehte sie sich schließlich um – und erstarrte, als sie Corvinus nicht weit von ihr stehen sah. Es waren Situationen wie diese, in denen sie nicht wusste, was sie tun, wie sie reagieren sollte. Einfach zu gehen wäre unhöflich gewesen und ihr zudem lächerlich vorgekommen. Aber was sie sagen sollte, wusste sie auch nicht. "Marcus", meinte sie dann einfach nur, leise. Sie war durch den Garten gegangen im Verlauf der letzten Stunde, sie wusste, dass niemand hier war, niemand der sie hören konnte. Das waren die einzigen Momente, in denen sie sich erlauben konnte, ihn so zu nennen, und Siv achtete genau darauf, dass ihr da kein Fehler passierte.

  • Ich ahnte bereits, dass es Siv war, als sie mich noch nicht angesprochen hatte. Langsam ließ ich die Hand sinken, als mir all jenes wieder in den Sinn tropfte, das ich recht erfolgreich verdrängt hatte seit der Nacht, in der ich eine unsichtbare Grenze überschritten hatte, ohne mir dessen bewusst zu sein. Es kam mir wieder in den Sinn, dass es meine Schuld war, dass meine Frau sich in Ostia ein schönes Leben machte. Und dass es mein Verschulden war, dass Siv nicht mehr allein auf mich treffen wollte. Wie lange war es her, dass sie zuletzt durch die Verbindungstür unserer Schlafräume gekommen war? Und dennoch hatte ich mich bisher erfolgreich aus der Schlinge gezogen, wenn es um eine Entschuldigung ging. Ein Römer entschuldigte sich nicht bei einem Sklaven! Doch bei Siv zählte das nicht, und in diesem Hause lief es zumeist ohnehin etwas anderes denn in anderen Haushalten.


    Jetzt, da sie also bei mir stand und mich bei meinem Namen nannte, war mir seltsam zumute. Ich wusste, dass es jetzt an mir war, etwas an der Situation zu ändern. "Siv", sagte ich und wandte mich dann ihr zu, um etwas Zeit zu schinden. War ich bisher außerstande gewesen, das Gespräch mit ihr zu suchen, so hatte ich doch endlich eine Entscheidung in anderer Hinsicht getroffen. Doch das sollte Siv erst später erfahren.


    "Was machst du denn hier draußen? Es ist doch viel zu kalt", begann ich ein recht unverbindliches wie nichtssagendes Gespräch. Mein Blick fiel auf den dünnen Umhang, den sie sich übergeworfen hatte, und ein missbilligender Ausdruck manifestierte sich auf meinen Zügen. Automatisch öffnete ich die Fibel, die meinen schweren Wollumhang an Ort und Stelle hielt, und Sekunden später trug ihn Siv auf den Schultern. Da Aktivität und Konversation nun gleichermaßen ins Stocken geraten waren, schürzte ich in Ermangelung passabler Worte nur die Lippen und musterte Siv. Ihr Gesicht war ein wenig runder geworden, fand ich, sie wirkte fraulicher, wie man es den meisten werdenden Müttern nachsagte. Bisher war mir das nicht so sehr aufgefallen wie in diesem Moment. So stand ich da und musterte sie nur stumm.

  • Einen Augenblick herrschte Schweigen, bevor Corvinus auch ihren Namen sagte. Und dann war es wieder still. Siv hatte das Gefühl, sie müsste etwas sagen, irgendetwas, aber immer noch fiel ihr nichts ein, und so schwieg sie stattdessen – und begann zu überlegen, wie sie verschwinden konnte. So sehr sie ihn vermisste, so sehr sie unter der Distanz litt, so wenig wollte sie das hier. Bei ihm, mit ihm herumstehen und nicht wissen, was sie sagen sollte, so dass die Zeit einfach nur in unangenehmem Schweigen verging. Da war es besser, ihm aus dem Weg zu gehen, ihm einfach gar nicht zu begegnen. Dennoch blieb sie stehen, musterte zuerst ihn, dann ihre Fußspitzen und den Garten, und sah schließlich wieder, etwas überrascht, zu ihm, als er von etwas recht Belanglosem anfing. Und noch dazu von etwas, was eigentlich nicht so wirklich stimmte, fand sie, denn so furchtbar kalt war es dann doch nicht, ganz davon abgesehen dass sie sich nicht auch noch vorschreiben lassen würde, im Winter das Haus überhaupt nicht mehr zu verlassen. Und, wie ihr erst nach einem Lidschlag bewusst wurde, er fing ein Gespräch an, indem er ihr Vorwürfe machte. Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber in dem Moment hatte Corvinus bereits seinen Mantel gelöst und ihn ihr um die Schultern gelegt, und das ließ sie dann doch wieder kurzfristig sprachlos zurück.


    "Ehm. Danke", murmelte sie und zog den Stoff etwas enger um ihre Schultern. "Ich war…" Sie gestikulierte zum Garten hin. "… habe nachgesehen, ob alles in Ordnung ist. Wegen dem Sturm. Und für den Winter. Die anderen haben, in letzten Tagen, den Garten fertig gemacht. Ohne mich." In den letzten beiden Worten schwang fast so etwas wie Trotz mit, gemischt mit Sehnsucht.

  • Sivs Mund klappte auf und wieder zu. Beinahe hätte ich geschmunzelt, doch ich sah sie nur an und hörte, wie sie sich vor mir verteidigte. Meine Brauen rutschten hinauf und ich sah mich erneut kurz im Garten um, der mir nun anders ins Auge fiel. Winterfest. Nicht mehr nur ungeeignet für Kinder . Dann wandte ich mich wieder Siv zu, die in diesem Moment dezent echauffierte, dass sie nicht hatte mithelfen dürfen. Nun brach sich doch ein Lächeln bahn, das aber nicht lange hielt. "Im Sommer kannst du wieder mithelfen. Es sollte ja jetzt nicht mehr allzu lange dauern", erwiderte ich milde und vergaß darüber, dass Siv und ich eigentlich eine angeknackste Vertrauensbasis hatten. "Wie geht es dir denn? Wir hatten letztens nicht unbedingt Gelegenheit um zu.... reden." Eine vielleicht unglückliche Formulierung, die an und für sich vermutlich die Untertreibung des Jahres darstellte. Ob sie wohl wusste, dass sich Celerina abgesetzt hatte? Vermutlich, immerhin blieben solche Dinge der Sklavenschaft für gewöhnlich nicht verborgen. Ich räusperte mich. Angenehm war diese Situation nicht eben. Allmählich wurde nun mir kühl. Ich war das raue Klima Germaniens nicht so gewöhnt wie Siv und fror vermutlich deswegen schneller hier draußen als sie. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust weil mir kalt war, löste sie dnan jedoch wieder, weil Siv es vielleicht als Abwehrhaltung verstand.

  • Siv war sich nicht ganz sicher, aber sie hatte den Eindruck, dass er sich irgendwie über etwas amüsierte. Sie wusste nur nicht recht, worüber, aber als sich dann ein Lächeln auf seinem Gesicht zeigte, konnte sie es nicht mehr leugnen, dass es so war. Was sie eindeutig verwirrte. Sie hatte gedacht, dass Corvinus und sie gerade nicht unbedingt in einer Phase waren, in der so etwas möglich war. Oder wollte er einfach nur so tun, als sei nichts gewesen? Siv ließ ihren Blick wieder kurz durch den Garten schweifen, während sie seine Zusicherung hörte, dass es nicht mehr allzu lang dauern konnte. Bis auch sie wieder hier draußen arbeiten konnte. Bis das Kind da war. Wieder legte sich ihre Hand auf ihren Bauch. "Nein. Dauert nicht mehr so lang." Sie räusperte sich und musterte ihn wieder, und dann geschah etwas, was ihrer Vermutung, er wollte so tun als sei nichts gewesen, einen deutlichen Riss zufügte. Die Frage war unbeholfen formuliert – nicht unbedingt Gelegenheit um zu reden hätte Siv unter anderen Umständen zum Lachen gebracht in Anbetracht der letzten Tage –, aber sie meinte zu verstehen, was dahinter lag. Oder vielleicht hörte sie auch einfach nur das, was sie in den Worten hören wollte. Sie wollte ein Versöhnungsangebot von ihm, mehr als alles andere. Sie wollte sich wieder mit ihm vertragen.


    Ja, sie wollte sich wieder mit ihm vertragen. Und trotzdem… "Reden?" Etwas ungläubig musste sie wohl klingen. "Nein, das hatten wir nicht." Was nicht ihre Schuld gewesen war, lag ihr auf den Lippen, aber das verschluckte sie, weil sie durchaus wusste, dass es doch ihre Schuld war. Immerhin war sie ihm ja aus dem Weg gegangen, auch wenn er bisher genauso wenig Anstalten gemacht hatte, etwas an dem Zustand zu ändern. "Reden. Mir… geht es gut. So weit", antwortete sie dann also doch auf seine Frage, anstatt weiter auf dem Punkt herumzureiten, was seit ihrem Krach gewesen war. Sie sah Corvinus an und zog währenddessen die Unterlippe kurz zwischen die Zähne. Und dann war es an ihr zu lächeln. Sie wollte nicht, aber sie konnte nicht anders, als sie sah, wie er fröstelte. Ersatzweise senkte sie leicht den Kopf, als ein Schmunzeln über ihre Lippen huschte, aber sie sah gleich wieder auf und machte eine leichte Kopfbewegung zu ihrer Schulter hin, wo der Stoff seines Mantels war. "Willst du ihn wieder zurück?"

  • Nicht mehr so lange... Mein Blick glitt automatisch auf ihren Bauch. Es war definitiv nicht mehr zu übersehen, dass sie schwanger war. Ebenso wenig wie dass sie bald ihre Niederkunft haben würde. Obwohl es keinen Unterschied machte, wünschte ich mir einen Knaben. Celerina würde mir den Jungen gebären müssen, damit ich ihn annehmen konnte. Wenn Siv einen Jungen auf die Welt brachte, wäre das zwar ein Segen, aber ich hatte immer noch keinen Erben. Wieder sann ich darüber nach, und wieder gab ich es auf, indem ich tief seufzte und den Gedanken dann fallen ließ. "Was denkst du, wann es soweit sein wird?" Vielleicht war Celerina noch nicht wieder zurück. Das hätte den Vorteil, die Freunde nicht gänzlich verbergen zu müssen. Obwohl ich bereits jetzt annahm, dass es mir ohnehin nicht gelingen würde.


    "Das ist gut", sagte ich erfinderisch, als sie kund tat, dass es ihr gut ging. Siv lächelte. Ich war gedanklich noch bei einem perfekten Knaben. Deswegen sah ich sie auch vollkommen perplex an, als sie mich fragte, ob ich "ihn" wieder zurück haben wollte. Ich überlegte, wie sie das wohl meinte. Bis mir aufging, dass meine Gänsehaut mit dem Mantel um ihre Schultern und ihrer Frage in Zusammenhang stand, musste ich reichlich überrumpelt ausgesehen haben. Dann grinste ich, zugegebenermaßen, reichlich albern. "Ah. Nein, behalte ihn. Aber lass uns nach drinnen gehen", sagte ich und kam mir gelöst vor. "Ich bin eben doch kein Germane." Eine nüchterne Feststellung. Auch unser Kind wäre weder germanisch noch römisch. Bald waren die Saturnalien. In wenigen Tagen wäre das Haus wieder leer, weil die Sklavenschaft ihre kurzweilige Freiheit genoss. Warum eigentlich nicht? Dachte ich, und erneut legte sich ein Lächeln auf meine Züge.


    "Komm", sagte ich und deutete hinein. Es war nicht weit bis zur Schwelle der exedra. Kurz darauf standen wir darin. "Hol dir etwas Warmes zum Anziehen. Wir gehen in die Stadt", sagte ich zu Siv und setzte mich, um solange zu warten.

  • Kurzzeitig war Siv etwas abgelenkt, als es erneut flatterte. Und ihr lag schon auf der Zunge, Corvinus davon zu erzählen, ihn zu drängen, seine Hand auf ihren Bauch zu legen und herauszufinden, ob er etwas spürte, ob sie sich das nur eingebildet hatte vorhin oder nicht, aber sie sagte dann doch nichts. Die Stimmung zwischen ihnen war seltsam, im Moment, jedenfalls kam es ihr so vor, und es wäre denkbar unpassend gewesen, jetzt von so etwas anzufangen. Fand sie. Vielleicht hätte auch genau das dazu beigetragen, die Stimmung zu lösen, aber sie fand auch nach wie vor, dass sie eigentlich eine Entschuldigung verdient hatte. Oder wenigstens die Zusicherung, dass er seine Worte nicht so gemeint hatte. Das zu erwähnen, zu fordern, erschien ihr aber genauso unpassend, nicht nur weil sie nicht schon wieder streiten wollte, sondern auch, weil es… nun ja, nicht gepasst hätte. Und wie sie aus dieser Zwickmühle herauskommen sollte, war ihr im Moment völlig unklar. Also beschloss sie, sich treiben zu lassen. Einfach abzuwarten, was passieren würde. So seltsam die Stimmung sein mochte zwischen ihnen, immerhin… sprachen sie miteinander.


    "Ich weiß nicht genau. Ich denke, in… zwei Monaten. Ungefähr." Als Corvinus auf ihre Frage zunächst so perplex reagierte, wurde Sivs Schmunzeln, erneut fast gegen ihren Willen, noch breiter. Sie wusste nicht, wo er gedanklich gerade war, aber ihren Kommentar konnte er offensichtlich zunächst nicht einordnen. Und als er es dann konnte, zeigte sich auf seinem Gesicht ein Grinsen, das sie selten an ihm sah. "Nicht-Germane", grinste sie, behielt den Mantel aber, weil sie wusste, dass er ihn kaum angenommen hätte. Dennoch, während sie sich umdrehten und zum Haus gingen, konnte sie es sich nicht verkneifen hinzuzufügen: "Mir ist nicht kalt." Als sie dann in der Exedra standen und kurz innehielten, war sie – für Siv jedenfalls – wieder da, die seltsame Stimmung. Oder besser: sie kündigte sich wieder an, weil sie nicht weiter wusste. Und dann überraschte er sie. "Wir… was? Wir gehen in die Stadt?" wiederholte sie etwas ungläubig, aber dann, nach einem weiteren Moment, gab sie ihm seinen Mantel nun doch zurück und wandte sich um, um sich selbst etwas zu holen – etwas, das auch seiner Definition von etwas Warmes zum Anziehen standhalten würde. Kurze Zeit später stand sie wieder vor ihm. "Wo willst du hin?"

  • "Ja", hatte ich schlicht bestätigt, als Siv ungläubig fragte, ob wir tatsächlich in die Stadt gingen. Jetzt war ein guter Zeitpunkt, fand ich. Während sie sich etwas Wärmendes zum Anziehen holte, knetete ich gedankenverloren meinen tiefroten Umhang und dachte über ihre Zeitangabe nach. Zwei Monate. Bis dahin wäre Celerina vermutlich wieder aus Ostia zurück, wenn sie mich nicht vor den Kopf stoßen wollte. Ich erwartete sie aus Gründen des Anstandes schon vor den Saturnalien zurück. Sie war meine Frau, und damit die Frau des Hausherren, also konnte sie nicht einfach einer solchen Feierlichkeit fern bleiben. Sie hatte sich um das Schmücken des Hauses und die Organisation für die Gäste zu kümmern. Ich ging also davon aus, dass sie ihr Pflichtgefühl noch über ihre persönlichen Belange stellen würde, wie es sich für eine Römerin gehörte. Nun, in zwei Monaten würde ich also Vater werden. Nicht vor dem Recht, aber dennoch biologisch. Das war schon ein seltsames Gefühl.


    Als Siv zurückkehrte, besah ich mir kurz ihren Überwurf und nickte dann. Selbst legte ich mir den Mantel um die Schultern, zog ihn zurecht und bog dann die Fibel zu, damit mir die Schurwolle nicht von den Schultern glitt.
    "Du wirst sehen, wo es hingeht, wenn wir dort sind", sagte ich. "Jetzt komm." Damit deutete ich in Richtung des atrium und ging voran. Vor meinem Arbeitszimmer machte ich Halt. "Warte einen Moment." Ich verschwand drinnen, ließ die Tür allerdings nur angelehnt. "Pyrrus. Es ist soweit. Du weißt, was du zu tun hast?" Ein Scharren war zu hören, dann wie jemand aufstand und über den Boden lief. "Jetzt? Es ist kalt", sagte Pyrrus. Keine Erwiderung. Eine Schublade wurde auf- und wieder zugezogen. Dann trat ich wieder hinaus, wo Siv wartete. Hinter mir kam Livius Pyrrus aus dem Zimmer und schloss die Tür. Er warf Siv einen zweifelnden Blick zu und wandte sich dann an mich. "Bist du sicher, dass-" "Bin ich", erwiderte ich in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ. Pyrrus zuckte mit den Schultern und ging los. "Ist deine Sklavin", murrte er. "Komm Siv", sagte ich.

  • Als sie wiederkam, legte auch er seinen Mantel an, aber auf ihre Frage hin gab er keine klare Antwort. Stattdessen ging er nur voran Richtung Atrium, stoppte allerdings wieder, um etwas aus seinem Arbeitszimmer zu holen und Pyrrus gleich mit. Für Siv wurde das Ganze immer mysteriöser. Wenn Corvinus irgendeinen offiziellen Besuch zu erledigen hätte, hätte er das nicht einfach so spontan entschieden, ganz im Gegenteil. Warum Pyrrus allerdings sonst mitkommen sollte, was er zu tun hatte, war Siv schleierhaft. Etwas ratlos und mehr als nur etwas verwirrt hörte sie dem kurzen Wortwechsel zu, aus dem sie auch nichts schließen konnte, und folgte Corvinus dann. Sie wusste es besser, als Corvinus zu fragen was er vorhatte – wenn er sich so aufführte wie jetzt, würde kein Sterbenswörtchen über seine Lippen kommen über das, was er zu tun gedachte. Sie erreichten das Atrium und durchquerten es, und Siv schloss mit ein paar schnellen Schritten zu Corvinus auf und fragte nun doch etwas. "Warum kommt Pyrrus mit?" Sie war sich nicht so ganz sicher, ob sie dabei sein sollte – wollte –, bei was auch immer Corvinus seinen Schreiberling brauchte, schon gar nicht in ihrem Zustand.

  • EIn vages Schmunzeln beschlich mich, als Siv mich fragte, warum der Schreiber mitkam. "Er begleitet uns, weil ich ihn brauche", war auch hier wieder die nichtssagende Antwort. Es bereitete mir in diesem Augenblick eine fast kindliche Freude, Siv so ahnungslos zu sehen, wie die großen blauen Augen mich verwundert musterten und sie sich sichtlich am Riemen riss, um nicht eine klare Antwort aus mir heraus zu schütteln. Livius Pyrrus zog nur eine Grimasse, sagte sonst aber nichts. "Ein wenig Geduld noch", bat ist, als wir das Haus verließen und uns grob in Richtung des Siv bekannten forum romanum wandten.

  • Es mochten gute zwei Stunden vergangen sein, bis wir wieder nach Hause kamen. Natürlich hatte ich erwartet, dass Siv mich auf dem Weg versuchen würde, mich mit Fragen zu löchern, doch sie hatte auf dem gesamten Rückweg bis zur villa geschwiegen. Ich wollte nicht gehend über solche Dinge sprechen, sondern lieber bei einem Becher Falerner, deswegen hatte ich nicht die Initiative ergriffen, auch wenn ich Siv des Öfteren seitlich angesehen hatte. Pyrrus schwieg ebenso beharrlich wie Siv, sah man von gelegentlichen Flüchen ab, die er rempelnden Passanten oder Dreck auf der Straße entgegen schleuderte, so dass es ein ungewöhnlich schweigsamer Heimweg war.


    Als wir dann zurück kamen, ließ ich mir den Mantel abnehmen und schlug den Weg zum tablinum ein. Das Soffchen lief mit einer Vase voller Blumen an uns vorbei und erklärte, sie würde sie jetzt in domina Floras Zimmer bringen und danach auch das von Narcissa bestücken. Die Blümchen, wie die Zwillinge inzwischen nicht nur von uns Aureliern genannt wurden, sondern auch von den Sklaven, würden demnächst ankommen, und so war hier alles emsig damit beschäftigt, deren Zimmer auszustaffieren und ihnen den letzten Schliff zu verleihen. Ich bat Sofia, Falerner bringen zu lassen, und dann ließ ich mich seufzend in einen Sessel nahe einer Feuerschale sinken. Die toga zerknitterte dabei vollends. "So", sagte ich zu Siv.

  • Siv hatte geschwiegen, nicht weil sie keine Fragen gehabt hätte – sie hatte unzählige, und allesamt schwirrten sie in ihrem Kopf herum –, aber genau das war das Problem. Es waren einfach zu viele. Und sie schien das Durcheinander in ihrem Kopf nicht sortieren zu können. Vom Rückweg bekam sie nicht allzu viel mit, weder von Corvinus’ Seitenblicken noch von Pyrrus’ Flüchen – oder davon, wie der Weg selbst verging. Frei. Sie war frei. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte. Nicht was ihr erlaubt wurde. Nicht weil sie bei Corvinus’ eine Sonderstellung hatte. Sondern einfach weil sie es konnte. Weil sie wieder ihr eigener Herr war. Sie könnte nach Germanien gehen, zurück zu ihrer Familie, zurück nach Hause. Nach Hause… Es klang so… merkwürdig… nicht mehr richtig. Germanien würde immer irgendwie ihre Heimat sein, aber trotzdem war es nicht mehr der Ort, der sich wie Zuhause anfühlte, wenn sie nur daran dachte. Jetzt, zum ersten Mal seit sie die Basilica verlassen hatten, warf sie Corvinus einen kurzen Seitenblick zu. War es das, was er wollte? Was er erwartete, so wie das letzte Mal, als er von Freilassung gesprochen hatte? Dass sie ging? Ich kann dich nicht gebrauchen, schoss ihr wieder durch den Kopf, was er gesagt hatte, und Siv zog es die Brust zusammen, unweigerlich, als gegen ihren Willen der Gedanke hinterher trampelte, es könne einen Zusammenhang geben zwischen ihrem Streit, diesem Satz, und der Freilassung jetzt.


    Als sie die Villa erreichten, war Siv an einem Punkt angelangt, an dem sie mit sich haderte. Sie sollte sich freuen, sie sollte jubeln und tanzen und durch die Gegend springen, und sie freute sich ja, es war einfach unbeschreiblich, so sehr, dass sie es immer noch nicht ganz fassen konnte – aber wenn er sie freigelassen hatte, weil er sie los werden wollte… Aber konnte er das denn wollen? Ganz abgesehen von dem, was zwischen ihnen war, war es doch auch sein Kind, das unter ihrem Herzen wuchs. Sofia lief ihnen über den Weg und plapperte, und völlig zusammenhanglos kam Siv ein weiterer Gedanke: konnte sie denn überhaupt bleiben? Angenommen Corvinus wollte, dass sie blieb, angenommen ihre Ängste waren völlig substanzlos, konnte sie denn in der Villa bleiben oder würde sie ausziehen müssen? Bei dem Gedanken, irgendwo hier allein in Rom zu wohnen, wohnen zu müssen, wurde ihr schlecht. Ihr war noch nie bewusst geworden, wie sehr die Villa Schutz bot, gerade für jemanden wie sie. Schweigend folgte sie Corvinus ins Tablinum und blieb dort stehen, sah zu wie Corvinus sich setzte, wie er Sofia beauftragte Wein zu bringen. Sie sah ihn an, wusste, dass es an ihr war, jetzt etwas zu sagen – sich zu bedanken! –, und sie öffnete den Mund, aber es kam kein Ton heraus, und so schloss sie ihn wieder. Gleich darauf klappte er wieder auf, aber dann kam das Soffchen wieder und brachte den Wein, und Siv holte nur tief Luft und schwieg wieder. Erst als die Griechin ein zweites Mal verschwunden war, diesmal endgültig, schaffte Siv es sich genug zu sammeln, um etwas hervorzubringen – wenn auch zunächst nichts sonderlich Intelligentes. "Ich… ehm. Das…" Sie holte wieder tief Luft und machte einen Schritt in den Raum hinein, vage in seine Richtung. So viele Fragen türmten sich in ihr, aber irgendwie schienen sie noch kein Ventil zu finden, keine Schleuse, durch die sie hervordringen konnten. Sacht fingen ihre Hände an zu gestikulieren, machten kurze, abgehackte Bewegungen, passend zu ihrem Stottern und genauso hilflos. "Du… Du, das ist, ich meine…"

  • Die knisternde Wärme, die das Kohlebecken verströmte, war angenehm, auch wenn sie mich nur einseitig wärmte und die der Schale abgewandte Seite kühl blieb. Der Wind pfiff inzwischen um das Haus, heulte leise an den Ecken, während sie ganz langsam die Dunkelheit auf Rom herabsenkte. Irgendwo im Haus waren leise Stimmen zu hören, dann Gelächter. Ich schloss die Augen und legte den Kopf einen Moment in den Nacken, um meine Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen, und öffnete nur eines wieder, um Siv bei ihren Gesten zuzuschauen. Meine Mundiwnkle bogen sich amüsiert hinauf, als sie irgendetwas brabbelte und wild gestikulierte. "Mein Geschnk für das Kind", vollendete ich ihren Satz und brachte den Kopf wieder in seine rechte Position. "Du bist jetzt frei, Siv, und du kannst tun, was du möchtest. Das Kind wird kein Sklave sein, und es wird die Möglichkeit haben, selbst zu einem vollwertigen Römer zu werden, wenn..." begann ich ernst und sah Siv an. Ich schwieg, dann wandte ich den Kopf hin zu dem Kohlebecken mit seinen glühenden Briketts darin und betrachtete das Flimmern in der Luft darüber. "Wenn er das will." Als wäre es das Natürlichste der Welt, ging ich davon aus, dass es ein Junge werden würde. Aber ob Siv bleiben würde, wusste ich nicht. Ich hatte ihr in der Vergangenheit schließlich genug Gründe geboten, aus denen sie sich dagegen entschieden könnte, hier zu bleiben. Bei mir.


    Als ich den Kopf wieder wandte, war jegliche gute Laune von meinem Gesicht wie weggewischt und ich hatte jenen undurchsichtigen Audruck aufgesetzt, der Siv wohlbekannt war. "Wann wirst du aufbrechen?" fragte ich sie, und allein die Möglichkeit dieser Möglichkeit, dass sie nach Hause gehen würde, nach Germanien, trieb mir einen Kloß in den Hals und ließ meinen Magen zu einem eisigen Klumpen gefrieren. Schwer schlug das Herz in meiner Brust, als mir mit jeder Faser bewusst wurde, dass Siv den Platz besaß, der Celerina gebührte.

  • Mein Geschenk für das Kind. Siv wurde warm ums Herz, als Corvinus das sagte. Nein, er wollte nicht, dass sein Kind ein Sklave war, wollte noch nicht einmal, dass es als Sklave geboren wurde. Ein Lächeln begann sich auf ihrem Gesicht auszubreiten. Ob ihr Kind ein Römer, ein vollwertiger Römer, werden wollte oder nicht, war ihr gleichgültig. Es war ein Römer, in ihren Augen, weil sein Vater einer war. Aber dass es ihm wichtig war, ließ ihr Herz und ihren Magen einen aufgeregten Satz machen. Unwillkürlich strich sie mit einer Hand über ihren Bauch, als Corvinus von ihm sprach. Ein Sohn. Corvinus dachte an einen Sohn. Ihr war auch das egal – es sollte es vielleicht nicht sein, aber es war so. Aber wie Corvinus jetzt von dem Kind sprach, war anders als bei ihrem Streit. Nicht als Problem, sondern als Geschenk, als ein Jemand, der bald genug da sein würde, und atmen und sehen und irgendwann eigene Entscheidungen treffen.


    Siv blinzelte, als in ihre Gedanken Corvinus’ Stimme drang. "Was?" murmelte sie verständnislos. Aufbrechen? Wohin sollte sie denn aufbrechen? Erst nach einem Moment realisierte sie, was er gemeint hatte, und sein abweisender Gesichtsausdruck hatte daran keinen kleinen Anteil. Und Siv erstarrte, meinte zugleich zu spüren, wie irgendetwas in ihr zu erstarren drohte. Wollte er doch, dass sie ging? Wieder zog sich ihre Brust zusammen, so sehr, dass sie plötzlich Mühe hatte zu atmen. Warum sonst sollte er sie fragen, wann sie aufbrach – noch nicht mal die Frage nach dem Ob stellen, sondern gleich nach dem Wann… wenn nicht deswegen, weil es für ihn schon beschlossene Sache war. "Nicht vor…" Unwillkürlich kamen die Worte ihre Lippen, während sie auf ihren Bauch wies und damit die Geburt andeutete – und sich gleichzeitig wie in Trance fühlte. Sie starrte ihn an. Tat noch einen Schritt nach vorne. Schien endlich aufzuwachen. "Ist es das? Ist das, war das dein Ernst? Du kannst mich nicht gebrauchen?" Obwohl sie es nicht wollte, zitterte ihre Stimme, und sie spürte jetzt schon, wie erste Tränen in ihren Augen zu brennen begannen. Oh Götter, warum ließ diese Schwangerschaft sie so empfindlich sein, noch empfindlicher als ohnehin schon, wann immer es darum ging, er könnte sie nicht mehr wollen? Und warum konnte sie scheinbar in seiner Gegenwart nie dann Wut empfinden, wenn sie sie im dringendsten brauchte?

  • Werdende Mütter wirkten stets besonders attraktiv. Ihre Konturen verschwammen zu weich gezeichneten Linien, Wangen wirkten voller, Augen glänzender. Das war ein Phänomen, das man auch Jahrhunderte später noch würde beobachten können, und gerade jetzt fiel es mir wieder einmal auf. Siv schien zu strahlen, aber das war nur von kurzer Dauer. Schon kurz darauf sah ich ihre Augen wässrig schimmern und sah meinerseits wieder hin zu der Kohlenschale. Ich hatte es noch nie auf die leichte Schulter genommen, wenn jemand meinetwegen weinte. In solchen Situationen fiel mir stets ein, wie oft ich unbedacht jemanden dazu gebracht hatte, wegen mir Tränen zu vergießen. Zuletzt war es Helena gewesen, die unglückselige Helena, die meinetwegen keinen anderen Ausweg gesehen hatte, als dem Leben zu entfliehen -


    Ich blinzelte und machte mich weitgehend frei von diesen trüben Gedanken. Ich hatte heute einer Frau ihr Leben zurückgegeben, dem Kind die Aussicht darauf geschenkt, später einmal ein Römer zu sein, der es sogar bis in den Senat schaffen konnte, wie das Beispiel des Annaeus Florus bestens zeigte. Das sollte ein Grund zu guter Laune sein, doch ich sah nur die Frau und das Kind, und die Option auf den Verlust von beiden. Als ich sie wieder ansehen konnte, strich sie sich gerade über den runden Bauch unter dem Stoff ihrer tunica. In dieser Geste lagen Liebe und das Versprechen auf Vertrauen. Sie würde also noch eine Weile bleiben. Acht Wochen, im Idealfall. Schließlich hatte ich zuvor gefragt, wie lang es noch dauern mochte. Bei ihren Worten kniff ich die Augen zusammen im Versuch, sie zu verstehen. Was war was? Ich erfasste die Worte, nicht aber den Sinn dahinter. Längst hatte ich vergessen, was ich im Affekt gesagt hatte. Ob es mein Ernst war? "Ja", sagte ich leise, denn so eine Freilassung konnte man nicht so einfach rückgängig machen, also war sie natürlich mein Ernst gewesen. Siv schien sich nicht zu freuen. Ich verstand sie nicht. "Du kannst hier bleiben, bis... es da ist. Wir finden etwas, das du tun kannst, inzwischen", sagte ich zu ihr, um die Befürchtung fortzuwischen, dass sie nicht zu gebrauchen war. Ich stand auf, konnte nicht mehr stillsitzen. Zum Fenster hin ging ich, um hinauszusehen. Die Hände hatte ich auf dem Rücken zusammengefasst. "Es tut mir leid, ich..." sagte ich, schüttelte und senkte den Kopf.

  • Ja. Ja? Ja?!? Siv starrte Corvinus entgeistert an. "Was?!?" platzte es aus ihr heraus. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als ob ihr die Luft abgeschnürt worden war, und sie keuchte kurz, rang nach Atem und sog die Luft tief in ihre Lungen. Ja. Es war sein Ernst gewesen. Natürlich. Was hatte er noch gesagt? Dass sie so nicht weiter machen konnten? Dass es nicht bei dem einem Kind bleiben würde? Irgendetwas in der Richtung. Etwas in der Richtung, dass sie ein Problem war, ein Problem darstellte, für ihn, oder vielleicht auch nicht sie, aber das, was zwischen ihnen war. Jetzt regte sich doch ein wenig Wut in ihr, aber es war nur eine ohnmächtige Wut, hilflos und absolut nicht geeignet, sie abzulenken. Sie starrte ihn an, als er sich erhob und zum Fenster ging. Oh, sie konnte also bleiben, bis das Kind da war? Tatsächlich? In ihren Ohren klang es eher danach, als ob ihm fast lieber wäre, wenn sie vorher verschwand. Bevor es geboren wurde. Bevor eine eventuelle Ähnlichkeit ihn womöglich als Vater verraten konnte. Siv hätte am liebsten geschrieen.


    Bei seinen letzten Worten, am Fenster, verlor sie dann endgültig die Fassung. "Es tut dir leid?" wisperte sie, dann, wesentlich lauter: "Es tut dir LEID?" Ohne auch nur einen Moment nachzudenken, machte sie einen Schritt nach vorne, griff nach dem Weinbecher, den er abgestellt hatte, und schleuderte ihn nach ihm. Mit funkelnden blauen Augen starrte sie ihn an, während es in ihren Fingern zuckte, noch mehr nach ihm zu werfen. Oder auf ihn zuzugehen und mit ihren Fäusten auf seine Brust einzutrommeln. Wie eine Katze – eine schwangere Katze, zugegeben – spannte ihr Körper sich an, während sie einen Schritt zur Seite machte, fast so als wolle sie dazu ansetzen, ihn zu umkreisen. "Was tut dir leid? Dass du mich hier nicht willst? Dass wir ein Problem sind? Oder dass du nicht, nicht einmal fragst, was ich will? Römer", zischte sie. "Wie alle Römer, du entscheidest einfach, und das ist das Beste, denkst du, aber du denkst nicht, was ich will, oder wollen könnte, oder was unser Kind will!"

  • Siv war ganz offensichtlich entsetzt. Hatte sie tatsächlich geglaubt, ich würde ein Spiel mit ihr spielen? Zum Spaß mit ihr zur basilica laufen, um sie freizulassen? Mit beginnender Verstimmung runzelte sich meine Stirn, das war das einzige Zugeständnis an ihren Ausruf.


    Da ich hinaussah, nahm ich ihren Gesichtsausdruck nicht wahr, als sie ungläubig wiederholte, dass es mir leid tat. Ich öffnete den Mund, um weiterzusprechen, ohne ihr dabei in die Augen sehen zu müssen, da schrie sie durch den Raum. Mein Körper versteifte sich, ich löste die Hände und wandte mich halb um, um Siv forschend anzusehen - als ein Weinbecher auf mich zuflog. In einem formvollendeten Bogen vergoss er drehend einen Teil seines Inhalts in einer schillernd roten Aureole, bis das Gefäß selbst mich linksseitig auf der Brust traf, einen gehörigen Weinfleck hinterlassend. Mit einem leisen, metallenen Scheppern fiel er zu Boden, rollte einen holperigen Halbkreis und schaukelte dann in einer campanischen Weinpfütze träge hin und her. Ich hatte nicht schnell genug reagieren können, um auszuweichen. Nun hob ich tastend die Rechte zur toga hin, befühlte den blutroten Fleck auf - wie passend! - Höhe des Herzens und sah auf die Finger hinunter, die von der Flüssigkeit benetzt waren. Unterdessen zeterte Siv weiter. Die Worte rauschten an mir vorbei, bis ich den Blick hob und sie mit Verwunderung und Wut zugleich ansah.


    Letztere gewann die Oberhand, als ich des anklagenden Blickes gewahr wurde und dem verletzten Ausdruck in ihren Augen. Ich presste die Kiefer aufeinander, die Lippen. Es war immer schon leicht gewesen, bei Siv in Rage zu geraden. Sie machte es einem auch leicht, was das betraf. Doch nie hätte ich erwartet, dass sie so undankbar wäre. Ich machte einen Schritt, trat den Becher beiseite, der scheppernd dem Stoß folgte, und ging auf Siv zu, um eines ihrer Handgelenke zu packen und festzuhalten. Ich streckte den Arm zur Seite, zog den ihren am Handgelenk mit. Dann lehnte ich meinen Kopf zu ihr, die durchtränkte toga sog sich derweil auch am Saum gierig mit Wein voll. "Rede nicht von Dingen, die du nicht begreifst!" zischte ich ihr zu. Dann realisierte ich langsam, dass ich eine Frau bedrohte, die ein Kind trug. Mein Kind. Ich kam mir schlagartig schäbig vor, ließ Siv los und sah grimmig schanubend zur Seite.

  • Als sie diesen einen Satz schrie, drehte Corvinus sich doch wieder um – zu spät allerdings, um dem Weinkelch noch auszuweichen, der auf ihn zugeflogen kam. Genugtuung blitzte für einen Moment in Siv auf, als sie sah, wie der Becher ihn traf, wie sich der Wein ausbreitete auf seiner Toga. Und sie wich keinen Deut zurück, als er nun auf sie zukam, mit Augen, in denen die Wut deutlich geschrieben stand. Wieder verspürte Siv einen winzigen Augenblick Genugtuung. Wenn sie schon sonst nichts in ihm auslösen konnte, dann wenigstens Wut. Wenigstens das. Das hieß doch, dass sie ihm nicht völlig egal war. Nicht, dass sie das tatsächlich geglaubt hätte – aber so wie er manchmal war, wie er sich verhielt… So kühl, so abweisend, so wie vorhin, als er einfach nur gefragt hatte, wann sie aufbrach: das waren die Momente, in denen er es ihr so schwer machte. Das waren die Momente, in denen sie das unbändige Bedürfnis verspürte, etwas zu tun, irgendetwas, was eine Reaktion aus ihm herauskitzelte – und sei es etwas nach ihm zu werfen.


    Nein, sie wich nicht zurück, kein bisschen. Im Gegenteil hob sie stolz ihren Kopf und blitzte ihn an, als er ihre Hand ergriff, zur Seite zog und sich dann zu ihr neigte. Sie wehrte sich gegen den Griff, aber sie wich nicht zurück, und als sein Gesicht dann so dicht vor ihrem war, wurde sie komplett ruhig. "Was gibt es zu begreifen da", fauchte sie zurück. Als er sie gleich darauf losließ und zur Seite gehen wollte, war nun sie es, die seinen Arm packte, in der Absicht ihn aufzuhalten. "Ich bin nicht so klug wie Römer, ich weiß, aber ich bin nicht dumm! Was ist da zu begreifen? Du willst, dass ich gehe. Du fragst nur wann. Nichts anderes fragst du, nur wann!" Siv legte ihre Hände auf seine Brust und schubste ihn leicht fort, und wäre sie nicht so aufgebracht gewesen, wäre ihr vielleicht – vielleicht – sogar klar geworden, wie amüsant diese Geste eigentlich war, aussehen musste, in Anbetracht der Tatsache, um wie viel größer und stärker er eigentlich war als sie. Aber darauf achtete sie gar nicht, und ohnehin kam sie ihm gleich nach, baute sich vor ihm auf, so nah, dass nicht mehr viel gefehlt hätte dass sie ihn berührte. "Aber weißt du was", schleuderte sie ihm trotzig entgegen, "ich will das nicht. Ich gehe nicht." Natürlich würde sie gehen. Wenn er wirklich, ernsthaft wollte, dass sie verschwand, würde sie es nicht mehr lange hier aushalten. Ganz abgesehen davon, dass sie zumindest in der Villa ohnehin nicht würde bleiben können, wenn er es nicht erlaubte, gleich ob sie frei war oder nicht. Aber in diesem Moment dachte sie nicht an all diese Dinge. Sie dachte nur daran, dass sie nicht fort von ihm wollte, und dass es so unglaublich unfair von ihm war zu wollen, dass sie ging – und dass sie ihm das nicht durchgehen lassen konnte.

  • Der trotzige Blick, wie sie das Kinn hielt, die funkelnden Augen - all das erinnerte mich an Sivs Anfangszeit hier. An die erste persönliche Begegnung nach dem Kauf. Damals war es spät gewesen, und sie hatte wie eine Nymphe auf mich gewirkt, mich gefangen und mir mit der das Herz gestohlen. Ich dachte an den Morgen danach. Ich erinnerte mich daran, wie oft es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen uns gekommen war. Wie oft wir getritten hatten. Und rückwirkend betrachtet schien es gar so, als hätten Sivs Jahre hier im Hause ausschließlich aus sich aneinander rehenden Streits bestanden.


    Siv schob mich fort, was angesichts ihrer Größe und Stärke beinahe süß wirkte. Ich gab ihr ein wenig nach, wollte mich dann vollends abwenden und so einem erneuten Streit einfach aus dem Weg gehen - da ergriff sie meinen Arm, und ich sah sie wieder an. Sie verstand es einfach nicht. Und plötzlich stand sie so dicht vor mir, dass kaum ein Blatt Papyrus zwischen uns passte. Ich zog eine Grimasse, als sie sagte, dass sie gar nicht gehen wollte. Ich schnaubte erneut. Ich sollte sie stehen lassen und versuchen, mich so von ihr zu lösen, dass ich Celerina gebührend empfangen konnte, wenn sie endlich wieder aus Ostia zurückkehren würde. Ich wusste, dass es das war, was ich tun sollte. Es gehörte sich so. Aber ich stand da, vor der Frau, die mein Kind trug, die ich allen Ernstes ziehen lassen würde, wenn sie es denn wollte, und konnte nicht an meine Frau denken, nur an Siv. Es war schäbig und eines Römers nicht würdig, dennoch war es so. Die Wut war tiefer Melancholie gewichen, die ich zu verbergen sollte.


    Als ich Siv wieder ansehen konnte, musterte ich ihr Gesicht, ihre Augen, ihr Lippen. Ich bemerkte nicht, wie ich meine Lippen gegeneinander verschob, während ich innerlich mit mir haderte. "Schön", sagte ich schließlich und räusperte mich, um aufgeräumt zu klingen. "Also gut. Dann bleib." Trotz der Bemühung, geschäftsmäßig zu klingen, drang doch eine Winzigkeit von dem nach außen, was in mir vorging. Ich zog eine Grimasse. Wenn man Gefühle doch einschließen und im Regeal verstauen könnte.

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