War Corvinus gerade eben noch wütend gewesen, verschloss er sich nun wieder. Siv meinte es beinahe sehen können, und es ließ sie ohnmächtig und hilflos zurück. Warum tat er das immer? Sie verstand es einfach nicht, verstand nicht, warum er nicht wenigstens ihr gegenüber seinen Gefühlen freien Lauf ließ, abgesehen von den Momenten, in denen sie ihn so sehr reizen konnte, dass seine Wut zu groß wurde. Hilflos sah sie dabei zu, wie sein Gesicht wieder kühler wurde, abweisender, bis die letzten Spuren von Wut verschwunden zu sein schienen, so gänzlich, als sei sie nicht mehr – so gänzlich, als sei sie durch etwas anderes ersetzt wurden. Ihre Worte hatten nicht den von ihr gewünschten Effekt. Sie lösten weder Freude bei ihm aus noch Widerspruch, nichts, was auf Gefühle schließen ließ, die sie hoch loderten, dass sie einen verbrannten und fast zerrissen. Siv kannte Corvinus, sie wusste, wie er war, und doch war sie in dieser Hinsicht so anders, dass es ihr immer noch schwer fiel zu begreifen, wie er sich so sehr beherrschen konnte.
Und als er sie nun erneut ansah, war sie wieder da, die Maske. Seine Stimme klang… gleichgültig, schrecklich gleichgültig, als er meinte dann solle sie eben bleiben. Unwillkürlich wich Siv einen Schritt zurück, dann noch einen. Sie wollte nicht bleiben, wenn es ihm egal war. Wenn es ihn nicht kümmerte. Sie starrte ihn an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie fand keine Worte, und während sie ihn ansah, bemerkte sie, dass die Maske nicht ganz so perfekt zu sein wie sonst. Sie schien bröckeln zu sehen an den Rändern. Seine Lippen waren aufeinander gepresst, wirkten fast verbissen, und den Ausdruck in seinen Augen konnte sie nicht deuten – aber es war nicht Gleichgültigkeit. Noch nicht einmal gespielte. Sie hob eine Hand, in einer hilflosen Geste, die sie nicht vollendete, wandte sich dann ab und machte ein paar frustrierte Schritte, die sie beinahe über den Weinbecher stolpern ließen. Wütend kickte sie ihn noch weiter zur Seite, während sie ihrer Frustration in einem Aufschrei Luft machte und sich mit beiden an den Kopf griff, in die Haare. Der Schmerz, der in ihrer Kopfhaut aufblitzte, brachte sie wieder ein wenig zur Ruhe, und sie ließ die Hände wieder sinken, starrte auf den roten Wein, der sich am Boden ausgebreitet hatte und nun auch am Saum ihrer Tunika leckte. Sie sah ihn nicht an. Sie hatte Angst davor, dass die Maske nun endgültig perfekt sein könnte. "Was willst du? Wirklich? Willst du, dass ich gehe? Wenn ja, wenn du das willst, dann…" Dann würde sie sich etwas überlegen müssen. Sie wollte nicht aufgeben, nicht so schnell, nicht so leicht. Aber es war nicht schnell und nicht leicht. Wie häufig waren sie beide schon an diesem Punkt gewesen, wie häufig hatte sie diesen Kampf schon gefochten? Sie kämpfte ja schon seit Jahren darum, dass er zu dem stand, was er für sie fühlte, nicht vor anderen, aber vor ihr. "Ich will nicht gehen. Aber… bleiben… Bleiben ist schwer, wenn du das nicht auch willst."