Wer ins Atrium kam, dem würde sich unweigerlich ein sonderbarer Anblick geben. Nun gut, was war schon sonderbar in der Villa Flavia? Jede Menge skurille Ereignisse fanden hier statt. Doch ein ausgewachsener Mann, der einen Brief in seiner Hand hielt und einen Tanz aufführte, den man 1900 Jahre später als eine eigenartige und irgendwie fast obszön reizvolle Mischung aus den Tanzkünsten von Rumpelstilzchen und Michael Flatley* bezeichnet hätte. Der Mann sang dabei, nein, gröhlte wie ein Besoffener: „Septemvir, Septemvir, Septemvir Flavius Piso. Trallala! Juhu. Hollaredullio! Juhe!“
Den Namen des Mannes zu nennen ist überflüssig.
Ebendiesem hatte es heute in seinem Briefkasten gerappelt. Als er hineingelangt hatte, war das erste, was er gesehen hatte, ein Siegel vom Cultus Deorum gewesen. Und als er es aufgerissen hatte, waren ihm die wundervollen Zeilen erschienen. Er war nun Septemvir. Septemvir! Unglaublich, so etwas war kaum zum Vorstellen. Er war nun nicht mehr ein einfacher Kanzleibeamter, sondern auch einer der höchsten Priester Roms. Er war nun ein wichtiger Mann.
Die Mühlen der Administration hatten nun also doch nicht so langsam gemahlen, wie Piso es sich gedacht hatte. Es würde seine Kandidatur um einen Zacken womöglich schwerer machen als gedacht, aber das war nichts, was ihn besonders berührte momentan. Er tanzte einfach nur, rund um das impluvium herum, bis er in eine Sklavin hineinkrachte.
„Herr...“, war das einzige, was die komplett baffe Ornatrix Astarte sagen konnte, bevor Piso sie sich packte und mit ihr rückwärtig um das impluvium herumwirbelte. Sie los lassend und sie (mit panischem Gesicht) das Heil in der Flucht suchen lassend, drehte er sich nochmals herum und setzte an, nochmals quer durchs Atrium zu tanzen.
Atrium | Freudentanz
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Langsam erschlafften die Glieder des Tänzers. Seine Beinbewegungen wurden weniger ausgetüftelt und kreativ, vielmehr schien der Körper des Guten insgesamt zu erfaulen.
Keuchend schließlich ließ er sich auf einer Kline nieder und schnaufte erstmal aus. Puh, das war was gewesen. Er hielt immer noch seinen Zettel in der Hand und studierte ihn durch. Nochmal lächelte er, bevor er aufblickte, aus der Dachöffnung über dem impluvium hinaus, in den wolkenbehangenen Himmel hinaus, der sich über die ewige Stadt zog. „Danke, Iuppiter, Regenbringer.“, flüsterte Piso andächtig und erhob sich aus seinem Sitz. „Cassivellaunus!“, brüllte er und wartete, bis der treudoofe Sklave in einer der Türen zum Atrium erschien.
„Da gibt es noch ein freies, unbesetztes Arbeitszimmer, oder?“
„Ja, Heeeerr...“
„Meins!“
„Heeeeeerr?“
„Von nun an soll es mein Arbeitszimmer sein. Ich brauche ein eigenes Arbeitszimmer nun, und mein Cubiculum zur Gänze für meine Freizeit.“
„Aber Heeeeeerr. Du arbeitest doch in der Kanzlei, da...“
„Jetzt nicht mehr. Und sag nicht Heeeeerr.“, äffte er ihm nach. „Das ist Herr, mit kurzem e.“
„Ja, Heeeeeerr.“
Piso seufzte. „Wie dem auch sei. Einrichten. Hopphopp.“
Der Britannier nickte, und Piso ließ sich zurücksacken. Bald würde er ein eigenes Officium haben, wie gut.
Auch wenn es noch ein bisschen dauern würde, so wie er den langsamen Britannier kannte. -
“Schaut den Senator, schaut den Senator, schaut euch einmal den Senator an! Schaut wie der Senator, schaut wie der Senator, schaut wie der Senator tanzen kann! Senator Flavius Piso, ole, ole, ole! Senator Flavius Piso, juheirassa, ole!“ Die kunstvollen Tanzschritte, die Piso im flavischen Atrium aufführte, während er seine Beine schwang wie ein großer Tanzbär, hatten etwas gnadenlos ästhetisch an sich. Sie waren die Tanzschritte eines Senators. Eines Senators von Rom. Die Stimme hingegen war des Teufels.
In seinen Händen schwang er wie eine Tanzpartnerin seine Ernennungsurkunde herum. Piso hatte sie heute erhalten. An Senator Aulus Flavius Piso gerichtet. Er konnte es kaum fassen, obwohl er es natürlich schon gewusst hatte, dass dies kommen würde – genug hatte er dafür gezahlt!
Der Gedanke an das ausgegebene Geld erlöschte die Freude am Tanzen in ihm. Er ließ sich, schwer atmend, auf eine Kline hinab. Dort verharrte er in einer sitzenden Stellung, mit einem Grinsen, welches sich breit über sein Gesicht zog. Ich bin Senator. Senator. Und bald, ihr werdet es sehen, bald wird alles mir gehören. Vom Aventin bis zum Vatikan. Blödsinn, von der libyschen Wüste bis nach Britannien! Alles wird mir gehören! Ich werde der Größte sein! Jahuhuhuhu!“ Er stand auf, drehte sich einmal im Kreis und blickte unbeschreiblich selbstzufrieden drein. “Sklaven! Wein!“ Er gluckste vor Seligkeit, lehnte sich zurück und genoss die Sonne, die ihm ins Gesicht schien. Oh ja, die Sonne, die schien ihm jetzt nicht nur ins Gesicht, sondern auch aus dem Hinterteil. Alles war wundervoll. Sogar jene Missgeburt von Sklave, der ihm unverdünnten Wein einschenkte. Piso griff danach und gluckerte es hinunter. “So ein Tag, so wunderschön wie heute...“, stimmte er mit krächzender, unangenehmer, schräger Singstimme an. Es fiel ihm auf, dass er schon einige Zeit nicht mehr der musikalischen Muse gefröhnt hatte, er hatte einfach nicht die Muße gehabt. Aber ein Lied war seine Ernennung wert, auch wenn den Sklaven erschauderte.
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