cubiculum Celerina | Das Donnerwetter

  • Als ich nach Hause gekommen war, hatte Leone mir mitgeteilt, dass meine Frau unterdessen den Heinweg gefunden hatte. War ich eben noch recht guter Dinge gewesen, so war nun der letzte Tropfen der guten Laune zerronnen, und die Realität strömte wieder auf mich ein. In den Wochen, in denen Celerina nicht im Haus gewesen war, hatte ich mich ständig hin und her gerissen gefühlt zwischen Erleichterung, Missmut, Verärgerung und dem Gefühl, dass diese noch nicht lange währende Ehe kurz vor dem Scheitern stand.


    Den feuchten Mantel hatte ich abgelegt, draußen nieselte es. Ehe ich mich in die Höhle der Löwin begab, brauchte ich einen Becher Wein. So war der erste Weg nach meiner Ankunft in dervilla der in duie Küche, wo ich eine Weile herumlungerte und einen Becher heißen Gewürzwein trank. Als ich schließlich selbst merkte, dass ich das Aufeinandertreffen hinauszögerte, versetzte ich mir selbst einen inneren Schubser in die richtige Richtung und steuerte Celerinas Gemächer an. Während ich also darauf zu ging, überlegte ich mir, welchem Gefühl ich während des Gesprächs die Oberhand lassen und was ich ihr sagen sollte.


    Ich hatte mir einige Dinge zurechtgelegt, die es mitzuteilen galt, doch als ich angelangt war an ihren Räumen, waren sie mir plötzlich zum Großteil wieder entfallen. Ich ärgerte mich, klopfte dann an und öffnete die Tür, ohne auf die Zustimmung dazu zu warten.

  • Als erste hatte Charis wieder den Weg zu mir gefunden. Solange mein Mann noch nicht da war, beschäftigte sie sich damit, meine Koffer auszupacken und mir Bericht zu erstatten, was sich denn so die Tage vor meiner Rückkehr zugetragen hatte. Außerdem hatte ich ihr einige Aufträge erteilt, die sie später noch am Tage zu erledigen hatte. Während meiner Rückreise war mir ein Gedanke immer wieder durch den Kopf gegangen. Ich erinnerte mich der Worte Chimerions noch ganz genau und auch seine Vermutung, weswegen mein Ehemann sich so schwer dabei tat, wenn er des Nachts zu mir kam, wenn er denn kam. Um Chimerions These, Marcus könne eventuell anderen Vorlieben frönen zu überprüfen, hatte ich mir etwas einfallen lassen. Zugegebenermaßen verabscheute ich mich dafür etwas, weil darin ein unschuldiger Knabe involviert war, der noch nichts von seinem Glück wußte. Allerdings, wer sagte mir, daß dieser unschuldig anmutende Sklave nicht längst schon der Zeitvertreib meines Mannes war?!
    Marcus hatte sich an diesem Tage reichlich Zeit gelassen, um mich aufzusuchen. Man konnte fast glauben, er tat dies absichtlich. Doch dann, endlich oder besser gesagt plötzlich wurde, ohne anzuklopfen, die Tür aufgestoßen. Aufgeschreckt sah ich sofort zur Tür. Meiner Sklavin ging es wohl in diesem Moment nicht anders. Sie beendete sofort ihre Arbeit und wartete auf meine Anweisungen.
    "Oh! Marcus! Welch eine Überraschung! Wie schön, daß du deinen Weg hierher gefunden hast," rief ich ein wenig übertreiben freundlich. Ich wollte nicht diejenige sein, die zuerst schrie!
    "Aber bitte, setz dich doch!" Ich gab Charis ein Zeichen, daß ich sie vorerst hier nicht mehr benötigte und sie nun gehen konnte. Wohl aber sollte sie meine weiter meine Anweisungen ausführen.

  • Ich maß die Truhen mit ein wenig Verwunderung, kniff dann die Augen zusammen, als ich Charis entdeckte, die eben irgendein Kleidungsstück faltete. Ich hatte erwartet, dass sie mich über die Absicht meiner Frau, Rom zu verlassen, informiert hätte. Zu gegebener Zeit würde ich mit ihr darüber sprechen. Jetzt allerdings sahen mich die beiden plötzlich an wie zwei Kälber bei Gewitter.


    Meine Lippen teilten sich, um einen Gruß hervorzubringen, doch sagte ich ob meiner Überraschung nichts, als Celerina mich doch recht unerwartet überschwänglich begrüßte. Erneut kniff ich ein wenig die Augen zusammen, skeptisch ob der freundlichen Begrüßung. "Salve", sagte ich dann doch und warf einen kurzen Blick auf Charis, die eben den Raum verließ. Celerina und ich waren nun also allein, und das Angebot, mich zu setzen, stand om Raum. Ich maß die Sitzgruppe mit einem Blick, entschied mich jedoch dagegen, mich zu setzen. Die Situation schien unwirklich und war kurios. Ich wusste plötzlich nicht mehr so recht, was ich überhaupt hier sollte. Angestrengt blinzelte ich, um den Faden wiederzufinden. Ich fühlte mich unangenehm an mein letztes Gespräch mit Siv zurückerinnert, wollte jedoch gleichzeitig diese Sache hier und Celerina nicht mit Siv vergleichen, denn dies hier war anders, und Celerina war nicht Siv - keine Geliebte libertina, sondern meine Ehefrau.


    Ich griff mir an die Stirn und kratzte nachdenklich dort, ohne dass es gejuckt hätte, dann maß ich, noch immer an Ort und Stelle stehend, Celerina mit einem prüfenden Blick. "So. Hast du dich gut erholt?" fragte ich geschäftsmäßig, um höflich zu sein.

  • Offensichtlich hatte er eine Szene erwartet, die ich ihm bei seinem Eintreffen machen würde. Doch weit gefehlt! Indem ich nett und freundlich war, hatte ich ihn schlichtweg ins Schleudern gebracht, ihn unsicher gemacht. Zwar war ich es gewesen, die vor einigen Wochen in einer Nachtundnebenaktion abgereist war, doch war er nicht ganz unschuldig daran gewesen.
    Daß zwischen uns einiges stand, was immer noch unausgesprochen war, konnte man deutlich erkennen. Marcus vermied es, es sich gemütlich zu machen und sich zu mir zu setzen. Wahrscheinlich dachte er, er würde nicht lange genug bleiben, um sich setzen zu müssen. Womöglich waren es andere Dinge, nach denen er sich in Wirklichkeit sehnte.
    "Och, doch!", meine ich im belanglosen Plauderton, auch wenn dies nicht der Wahrheit entsprach. Jedoch ein wenig Small-talk konnte zu Anfang nicht schaden. Schließlich wollte ich ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.
    "Nun ja, du weißt ja, die Sonne hat nicht besonders viel Kraft um diese Jahreszeit. Ostia im Winter ist ein wenig... trist. Und du? Hast du dich gut amüsiert? Die Saturnalien und all das?" fragte ich, mit einem gewissen Hintergedanken. Dann sah ich ein wenig ungeduldig zur Tür. Wo der Junge nur blieb!
    Ach, er würde schon kommen! Schnell lenkte ich meinen Blick wieder zu Marcus und lächelte ihn an, so als könnte ich kein Wässerchen trüben. Noch war die Zeit nicht gekommen, um das große Donnergrollen losbrechen zu lassen.

  • Och doch? Was bitte war das für eine Antwort? Ich ärgerte mich über den belanglosen Plauderton, den sie anschlug. Sie wusste doch ganz bestimmt, dass ich es nicht eben gutgeheißen hatte, sie zu den Saturnalien sonstwo zu wissen. Oder sie während meiner Kandidaturphase nicht an meiner Seite stehen zu sehen. Ich hätte noch einige weitere Dinge aufzählen können, schluckte den Ärger aber ersteinmal herunter, presste die Lippen aufeinander und entschloss mich dann doch, Platz zu nehmen.


    Ich setzte mich und sah sie mürrisch an. "Blendend", gab ich kurz angebunden zurück und holte dann mit sichtlicher Genugtuung zum Gegenschlag aus. "Es war ganz besonders höflich von dir, dein erstes Saturnalienfest in unserer Familie in Ostia zu verbringen. Sicherlich hattest du dort sehr viel mehr Spaß als mit uns...Trautwini hat doch sicher gut auf dich acht gegeben?" Ich stützte den rechten Ellbogen auf und legte die Knöchel meiner Finger ans Kinn, um Celerina gänzlich unbefangen anzusehen. Wenn sie ein Spiel spielen wollte, bitte, das konnte sie haben.

  • Zugegeben, mein Lächeln litt ein wenig unter dem langsam zu brodeln beginnenden Ton, den er anschlug. Natürlich war es nicht besonders nett gewesen, die Saturnalien alleine zu verbringen und auch jetzt in der heißen Phase des Wahlkampfes ihn allein auf weiter Flur stehen zu lassen. Doch er sollte einfach nur einmal am eigenen Leibe spüren, was es hieß allein gelassen zu werden. Und ganz genau das würde zum Dauerzustand werden, würde er sich nicht bald in seinem Verhalten ändern. Ostia war erst der Anfang. Ägypten sollte im Frühjahr noch ansprechender sein.
    Bevor ich etwas sagen konnte, klopfte es an der Tür und ein Sklave, ein Knabe von etwa zehn oder zwölf Jahren trat herein. Ein wenig erstaunt wandte ich meinen Blick auf ihn. Irrte ich mich, oder war seine Tunika, die er trug, besonders kurz. Seine dunklen Locken wurden von einem Kranz aus Efeu umrahmt und in Händen trug er eine Schale mit frischen Feigen. Er verbeugte sich kurz und trat zuerst zu meinem Mann hinüber, um ihn als erstes zu bedienen. Gespannt blickte ich nun auf das ungleiche Paar und hoffte in meinem Innersten, meine Befürchtungen würden sich nicht bestätigen.
    Um ihm nicht den Eindruck zu vermitteln, ich würde auf etwas bestimmtes spekulieren, sprach ich einfach weiter.
    "Ach ja, die Saturnalien! Welch ein Jammer, daß ich sie dieses Jahr alleine verbringen mußte aber du verstehst sicher, ich hatte keine andere Wahl. Und ja, Trautwini hat ganz vorzügliche Arbeit geleistet. Deine Sorge um mich wieß ich durchaus zu schätzen!", meinte ich zuckersüß.

  • Ehe sie dazu kam, etwas zu erwidern, tauchte ein Sklavenjunge auf. Minus war es nicht, und diesen hier kannte ich nicht. Ich empfand seine Präsenz als störend, immerhin wollte ich mit meiner Frau sprechen, und zwar allein. Wenn sie nicht Charis schon fortgeschickt hätte, so hätte ich dies übernommen. Der Knabe sah - denn selbst verständlich sah in den unwillkommenen Störenfired an - aus, als hätte er seit zwei Jahren keine größere tunica entsprechend seines Wachstums bekommen. Er trug einen Efeukranz, wie ich skeptisch feststellte, und balancierte eine Schale mit Feigen auf Händen, die im Verhältnis zu seinem Körper zu groß wirkte. Er trat auf mich zu und hielt mir die Schüssel entgegen, doch ich machte nur eine ärgerliche Handbewegung. "Stell das ab und dann lass uns allein", ordnete ich entnervt an und wandte mich danach demonstrativ wieder Celerina zu, die mich eben neugierig beäugt hatte. Sofort fragte ich mich, warum, aber ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Vermutlich aber war es ohnehin gleich.


    Mit dem, was sie eriwderte, war mir nicht geholfen. Im Gegenteil. Keine andere Wahl hatte sie also gehabt. Ich erinnerte mich noch sehr gut an unser letztes Aufeinandertreffen, das vermutlich der Grund für ihre Flucht nach Ostia gewesen war. Die Scham, die ich darüber empfang, war längstens nicht mehr so stark wie in jener Nacht, nur mehr ein Hauch, der von dem stärker aufkeimenden Ärger überdeckt wurde wie Neuschnee ein Schlachtfeld zu überdecken vermochte. Später würde ich Trautwini zu mir zitieren und ihn befragen, das stand fest. Vorerst allerdings musste ich meinen Ärger über ihre Arglosigkeit hinunterschlucken, denn immerhin wollte ich, dass sie ihren Platz wieder einnahm und nicht übermorgen schon wieder nach Ostia verschwinden würde, oder sonstwo hin. Sicherlich war es mir anzusehen, dass ich versuchte, mich zu zügeln. Es brauchte eine Weile, dann hatte ich mich so weit unter Kontrolle, dass ich Celerina nicht mehr anschreien würde, sobald ich den Mund aufmachte. Ganz gewiss hatte sie genau das beabsichtigt, und ich dachte nicht daran, ihr zu geben, was sie wollte. Der Junge war schon längst vergessen.


    "Ich will..." begann ich, besann mich dann jedoch eines Besseren und fing leicht gepresst von Neuem an. "Ich wünsche mir, dass du mich beim nächsten Mal vorher in Kenntnis setzt über deine Pläne. Du bist meine Frau, und als solche obliegt dir die Aufsicht über Haus und Hof. Du bist die Frau eines pontifex, und als solche solltest du an meiner Seite stehen bei öffentlichen Riten und Festen. Und nicht zuletzt bist du eine Flavia, und als solche solltest du nicht davonlaufen, egal vor was." Ich schwieg kurz und sah ihr in die Augen. "Oder vor wem. Also lassen wir dieses Spielchen und reden Tacheles, Celerina. Du kannst nicht einfach ohne ein Wort zu sagen abreisen und deine Pflichten vergessen!"

  • Sollte ich frohlocken? Den Göttern gar auf Knien danken, daß es nicht so war, wie ich gedacht hatte und es Männer und Knaben waren, nachdem es ihn verlangte? Oder sollte ich mich nun erst recht grämen, denn da es nicht das gleiche Geschlecht war, was ihn anzog, so lag es denn nun an mir selbst, was er als abstoßend erachtete. Die Freude wich noch, bevor sie richtig ausbrechen konnte. Leicht verärgert über mich selbst, bedeutete ich dem Knaben, er solle endlich das Weite zu suchen. Eingeschüchtert von Marcus´ Worten stellte er hastig die Schale ab und verschwand, schneller als er gekommen war.
    Die Zeit der milden Worte waren vorüber. Die bloße Anwesenheit des Knaben hatte ihn richtiggehend verärgert. Auch wenn die Lautstärke seiner Stimme durchaus noch als normal anzusehen war, die Schärfe seiner Worte nahm von Mal zu Mal zu und gipfelte schließlich in den Vorwürfen, die er mir machte.
    "Nun gut, Marcus! Wenn dir das lieber ist! Mir ist es allemal lieber, als weiter dieses Theater spielen zu müssen", brauste es aus mir heraus. Jedoch vermied ich, die Lautstärke meiner Stimme nicht einen bestimmten Pegel überschreiten zu lassen. Nun sollte alles gesagt werden, was mich die letzten Monate und Wochen seit unserer Eheschließung gestört hatte.
    "Du fragst mich, warum ich klammheimlich nach Ostia abgereist bin? Ja, ich brauchte Erholung! Erholung von dem, was ich hier tagtäglich ertragen muß. WAs glaubst du, wie es mir geht? Hast du dich das jemals einmal gefragt? Wir sind schon seit monaten miteinander verheiratet und nichts, rein gar nichts ist geschehen. Was glaubst du, wie erniedigend es es, jedes Mal zu lügen, wenn man mich nach dem Befinden unserer Ehe fragt und wie weit es mit dem Nachwuchs steht? Du nennst mich deine Frau, dann behandle mich gefälligst auch als solche! Offensichtlich weiß du mehr über meine Pflichten, als du über deine eigenen! Darüber solltest du dir einmal Gedanken machen und dann können wir weiter darüber sprechen, wie ich meine erfüllen kann. Was ist es, was dich an mir stört? Diese Frage habe ich dir schon einmal gestellt und du konntest sie mir nicht beantworten. Also, was ist es, Marcus? Was drängt sich ständig zwischen uns und läßt uns nicht zusammenwachsen?" Ich hatte mich richtig in Rage geredet, so daß einige Male beinahe meine Stimme versagen wollte. Diese Auseinandersetzung war, von meine Warte ausgesehen mehr als wichtig, traf sie doch den Kern aller unserer Probleme, die wir miteinander hatten.

  • Wenn ich auch nur geahnt hätte, was der Auftritt des Knaben zu bedeuten gehabt hatte, so wäre ich sicherlich beleidigt gewesen. Es gab da eine Seite an, mir, die Celerina nicht kannte. Und auch sonst kannte sie niemand. Auch heute dachte ich ab und an noch an Aquilius, betrübt, dass mein Freund nicht mehr in Rom weilte. Doch er schien ein besseres Leben für sich gefunden zu haben. Nun, jene Seite an mir, die Aquilius geweckt hatte, war die weniger ausgeprägte, und sie fokussierte athletisch gebaute Männer, doch keine Knaben.


    Bei Celerinas aufbrausenden Worten ruckten zunächst meine Brauen hinauf, dann sanken sie ein wenig tiefer als zurück in ihren Normalzustand. Während ihrer Schimpftirade verfinsterte sich mein Gesichtsausdruck immer weiter. Gen Ende hin schluckte ich, doch die Verärgerung wollte nicht mit dem Kloß hinunterrutschen. Grimmig sah ich sie an. Es brodelte in mir, doch ich zwang mich, zunächst erfolgreich, sitzen zu bleiben. Ich ließ die rechte sinken und umgriff mit beiden Händen kurz die protestierend knarzenden Lehnen des Sessels. Ich bemühte mich darum, ihr nicht zu zeigen, wie sehr mich ihre Worte getroffen hatten. Langsam wurden die Finger wieder lockerer. Ich konnte ihr unmöglich von Siv erzählen. Erst recht nicht nach den Geschehnissen vor kurzem, die mir immer noch schwer auf der Seele lasteten.


    Ich fand meine Contenance wieder, blinzelte und betrachtete mit scheinbarem Interesse die Truhen, die halb unausgeräumt im Zimmer standen. "Es tut mir leid, dass es scheinbar so schwer ist, mit mir verheiratet zu sein", sagte ich in gemäßigtem Tonfall, ohne sie anzusehen. Erst nachdem ich einen Moment gewartet hatte, wandte ich ihr den Blick wieder zu. "Ich werde versuchen, dir ein besserer Ehemann zu sein." Vielleicht war das ein Zugeständnis, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Vielleicht glaubte sie mir nicht. Vielleicht legte sie auch gar keinen Wert mehr darauf, mit mir eine Ehe zu führen. Ich fixierte sie mit meinem Blick. Eine wahnwitzige Idee kam mir in den Sinn, und ich hatte sie ausgesrpochen, noch ehe ich dieses Selbstmordkommando überdenken und ungesagt begraben konnte. "Vielleicht sollten wir eine Auszeit nehmen. Zusammen, meine ich, in Campanien vielleicht." Kaum dass es draußen war, war ich erstaunt über meinen eigenen Vorschlag. Ich betrachtete kurz den Rand des Tisches zwischen uns mit erheblicher Intensität, dann blinzelte ich und sah Celerina wieder an. Ich konnte das unmöglich zurücknehmen, ohne sie vollends vor den Kopf zu stoßen, soviel war mir klar. So blieb mir nur zu hoffen, dass Celerina ablehnte. Dass ich damit den Großteil ihrer Fragen umschifft hatte, war mir sehr wohl bewusst, ebenso wie ich wusste, dass ich nichts auf ihre Anklagen und ihr Befinden erwidert hatte. Doch das lag daran, dass ich wusste, dass sie recht hatte - teilweise! Ich nahm mir vor, sie öfter zu fragen, wie es ihr ging.

  • Ich hatte mich bereits auf seinen Gegenschlag gefaßt gemacht, denn mit größter Wahrscheinlichkeit wollte und konnte er das nicht auf sich sitzen lassen, auch wenn ich recht hatte, mit dem was ich gesagt hatte. Vor allem hoffte ich, endlich ein paar Antworten auf meine Fragen zu erhalten, die mir so sehr auf der Seele brannte. Denn irgendeiner Grund mußte es doch geben, weshalb er mich verschmähte. Daß er bei unserem letzten Zusammensein dann so gewaltbereit gewesen war, katte ich im Nachhinein als Verzweiflungstat gewertet und hätte ihm dies auch noch verzeihen können. Auch wenn es nun schon langer als ein Jahr zurück lag, wurde ich nur ungern an meine Entführung erinnert.
    Doch zu meiner Verwunderung blieb er relativ gehalten und begann mit einer Entschuldigung, die allerdings in meinen Ohren nicht diesen Anklang fand, wie sie wohl beabsichtigt gewesen war. Er wandte seine Augen von mir ab, was wohl ein Eingeständnis seiner Schuld war. Auch sein Versprechen, sich bessern zu wollen, war etwas, womit ich nicht im Geringsten gerechnet hatte. Um ehrlich zu sein, traute ich kaum meinen Ohren. Jetzt kam ich mir fast selbst schon schäbig vor, denn vielleicht hatte ich auch ein wenig Schuld an unserer Misere.
    In der Tat, das berührte mich sehr und zu gerne hätte ich ihm die Hand entgegen gestreckt oder wäre ihm gleich um den Hals gefallen. Doch meine Lebenserfahrung hatte mich gelehrt nicht zu voreilig zu sein, mit dem was ich tat. Im Grunde war dies nichts anderes wie eine Vertragsverhandlung, wenn man Geschäfte machte. Ich wollte sehen, zu welchen Zugeständnissen er noch bereit war und da durften mir meine Gefühle nicht im Wege stehen.
    Dann, endlich sah er mich wieder an. Auch ich fixierte ihn und wartete darauf, was er nun sagen wollte. Die ersten seiner Worte, versetzten mir einem gehörigen Stich. Als er Auszeit sagte, glaubte ich schon, am Ende zu sein. Doch dann sprach er weiter und meine Mundwinkel bewegten sich langsam nach oben. Campanien! Wir beide zusammen. Nur wir beide! Wie herrlich. Dabei muß erwähnt werden, daß ich Campanien in den letzten Jahren liebgewonnen hatte, da ich mich dorthin des Öfteren für ein paar Tage zurückgezogen hatte. Ich liebte Baiae, Misenum und Neapolis und auch die heilenden Quellen der Solfatara wußte ich sehr wohl zu schätzen. Einen Moment brauchte ich, um mir klar zu werden, ich hätte mich nicht getäuscht, was ich soeben gehört hatte.
    "Oh Marcus, ist das dein ernst? Du und ich, wir beide in Campanien? Das wäre sehr reizvoll. Nein, das wäre einfach wunderbar!"
    Ich war schon von jeher reiselustig gewesen und wenn mir jemand sagte, er wolle mit mir verreisen, dann war ich stets Feuer und Flamme dafür. Dann gab es für mich auch kein halten mehr. Wenn man dann, so ganz nebenbei auch noch die eigene Ehe kitten konnte, umso besser! Plötzlich erschien es mir auch nebensächlich, auf die Beantwortung meiner Fragen zu pochen, denn dieses Angebot kam in meinen Augen einem Schuldgeständnis gleich. Marcus hatte es einmal wieder geschafft, mich zu begeistern uns gleichzeitig sich selbst aus der Bredouille zu befreien, ohne daß mir das zu diesem Zeitpunkt richtig bewußt wurde.

  • Ich unterdrückte ein Seufzen. Ich war ein Trottel. Natürlich fand Celerina diesen irrwitzigen Vorschlag ansprechend. Selbstverständlich wollte sie verreisen. Hatte ich je auch nur etwas anderes erwartet? Ich zwang ein Lächeln auf mein Gesicht und überlegte. Wir mussten bald fahren, noch vor der Wahl. Bis dahin musste ich wieder zu Hause sein. Ich hoffte, dass ich gewählt wurde, und dann konnte ich als Ädil nicht einfach irgendwo Urlaub machen, ganz gleich, wie sehr es meine Frau auch freuen würde. Diese Idee war eine Schnapsidee. Ich hätte überlegen sollen, ehe ich den Mund aufgetan hatte. Doch den Vorschlag jetzt, da er auf so heiße Gegenliebe gestoßen war, wieder zurückzunehmen, schien genauso unmöglich.


    Dass Celerina fand, ich hätte uns aus der Misere gerettet, wusste ich freilich nicht. Ich selbst sah das auch ein klein wenig anders. Ich schien uns in die nächstgrößere Bredouille hineinverfrachtet zu haben. Grundgüter, was stellte ich nur in der Zeit mit Celerina an? Allzu viel zu besichtigen gab es meines Erachtens nicht in Campanien. Dorthin fuhr man, um im guten Klima die Seele baumeln zu lassen. Konnte ich das überhaupt, wo die Wahlen so kurz bevor standen? Wo Siv bald ihre Niederkunft haben würde? Das Rad drehte sich unabänderlich weiter. Ich musste zu meinem Wort stehen, wie es sich gehörte. Auch gegenüber Celerina.


    "Wir sollten möglichst bald fahren", erwiderte ich ihr dann, ein wenig befangen. "Die Wahlen stehen bald an, und bis dahin möchte ich wieder in Rom sein."

  • Freilich ahnte ich nichts von dem, was in Marcus vorgehen mochte. Zwar hatte es mich schon ein wenig in Erstaunen versetzt, daß in ihm doch eine romantische Ader schlummerte. Aber nun war ich einfach nur auf eine gewisse Art erleichtert, daß es nicht zum großen Streit gekommen war, der womöglich mit schlimmen Konsequenzen geendet hätte. Natürlich war mir auch klar, daß diese Reise schon bald stattfinden mußte, denn die Wahlen standen ja bevor.
    "Ja, das sollten wir," antwortete ich verständnisvoll. So ein netter Kurzurlaub nach Campanien konnte nicht Schaden und würde uns beide helfen, besser aufeinander zuzugehen.
    Charis konnte sich also gleich wieder an die Arbeit machen und all meine Sachen, die sie bis dahin schon wieder ausgepackt und verstaut hatte, wieder einzupacken. Wahrscheinlich würde ihr das nicht schmecken, aber das war mir gleich. Sie konnte sich glücklich schätzen, denn fraglos würde sie mich wieder auf dieser Reise begleiten. Ob ich auch Chimerion mitnehmen sollte, falls die Nächte doch ein Reinfall werden sollten? Nun, das konnte ich später noch entscheiden.


    Erleichtert und zufrieden atmete ich auf und freute mich einfach. Die Chance auf eine baldige Schwangerschaft war sprunghaft angestiegen. Endlich! Ich konnte es kaum noch abwarten. Zwar machte ich mir keine Hoffnungen, aus uns könnte noch ein Liebespaar werden, doch bot die Reise, die Möglichkeit baldmöglichst meine Pflicht zu erfüllen. Und danach? Ja, danach...

  • "Dann..." begann ich, runzelte einen Moment die Stirn - was hatte ich eigentlich gewollt? War ich nicht hergekommen, um ihr die Leviten zu lesen? "Dann werde ich alles Nötige veranlassen", kommentierte ich ihre bereitwillige Zustimmung bezüglich der geplanten Reise. Ich strich mir nachdenklich über die Stirn und erhob mich dann. "Wäre dir übermorgen genehm oder möchtest du vielleicht erst noch ein paar Tage Ruhe haben, ehe wir aufbrechen?" fragte ich meine Frau. In anderthalb Tagen musste es durchaus machbar sein, alles vorzubereiten und einen geeigneten Ort auszuwählen, an dem wir ein paar Tage verbringen konnten. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was während des Aufenthalts, den ich - ICH! - vorgeschlagen hatte, auf mich zu kommen würde. Ich lächelte gekünstelt. "Das wird sicher ganz angenehm", hörte ich mich sagen und dachte an die Prozedur des Zähneziehens. Schlimmer als der pochende Backenzahn damals konnte es auch nicht werden.

  • "Ja, tu das!", gab ich lächelnd zurück. Wie einfach doch manchmal alles war. Das was vorher schier unüberwindbar erschien, löste sich fast von alleine auf. Ich konnte wirklich zufrieden mit mir sein.
    In diesem Augenblick hatte ich tatsächlich geglaubt, das Schlimmste überstanden zu haben. Quasi mit einem Fingerstreich hatte ich ganz nebenbei alle meine ehelichen Probleme gelöst, so war jedenfalls meine Überzeugung.
    "Von mir aus können wir schon in einigen Tagen aufbrechen. Wir beide können uns dann etwas Ruhe gönnen und uns von dem anstrengenden Alltäglichen etwas erholen. Nur du und ich, Marcus!" Ich betonte es noch einmal deutlich, denn er sollte wissen, wie sehr ich seinen Vorschlag zu schätzen wußte und daß ich zur Versöhnung bereit war.
    "Ja, das wird es mit Sicherheit!" Meine Mundwinkel zogen sich stetig nach oben. Vielleicht konnten wir ja dann einige Tage in Baiae weilen. Dort lebte auch ein Teil der Familie. Oder womöglich mochte Marcus lieber inkognito verreisen und irgendwo bleiben, wo niemand uns kannte. Wie verwegen! Doch dies hatte durchaus auch seine Reize.

  • Nur du und ich, Marcus! Ich unterdrückte ein Schaudern. Das klang wie eine Drohung. Ich lächelte arglos zurück. "Schön. Ich..." Ich blinzelte. "Ich freue mich. Bis später." Ich trat auf sie zu, drückte ihr rasch einen Kuss auf die Wange und war dann verschwunden, noch ehe sie einen Piep machen konnte.


    Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen und war erfolgreich geflohen, fiel die Maske von mir ab und ich hastete mit selbstverärgertem Gesichtsausdruck in mein Arbeitszimmer, um dort wie ein eingesperrter Tiger hin und her zu laufen und mich über mich selbst zu ärgern. Urlaub! In Campanien! So kurz vor den Wahlen! Was hatte mich nur geritten, einen solch selten dämlichen Vorschlag zu machen? Ich mochte gar nicht daran denken, was während dieser Ferien passieren mochte, weder hier im Hause noch bei Celerina. Ruhe gönnen, ha! Ich hatte mich selbst vor ein Wespennest gestellt und darin herumgestochert. Das Dumme war nur, dass ich den Lohn dafür ernten würde, gleich ob ich den Finger aus dem Loch zog und den Schwarm mich erfassen ließ - oder den Finger darin stecken ließ und gezielt gestochen wurde! Stöhnend lehnte ich den Kopf an das Regal mit meinen Dokumenten darin. Und dann die Sache mit Siv. Ich würde ihr sagen müssen, dass ich nicht ihretwegen das Weite suchte. Oder hatte ich aus genau diesem Grund den Vorschlag gemacht?

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